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Soziale Sicherung in der DDR | APuZ 32/1988 | bpb.de

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APuZ 32/1988 Am Ende der Klassengesellschaft? Sozialstruktur und Sozialstrukturforschung in der DDR Sozialstruktur der DDR — Kontinuität und Wandel Sozialpolitik in der DDR Soziale Sicherung in der DDR

Soziale Sicherung in der DDR

Heinz Vortmann

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Sozialpolitikverständnis hat sich in der DDR gewandelt. Die anfängliche Anschauung, nach der Sozialpolitik im Sozialismus überflüssig sei. wurde schrittweise aufgegeben. Heute wird Sozialpolitik formal weit gefaßt und gipfelt sogar in der Ansicht, daß „echte“ Sozialpolitik nur im Sozialismus möglich sei. Soziale Sicherung — die Sozialpolitik im klassischen Sinne — ist danach nur ein (wichtiger) Teil der Sozialpolitik. Die Sozialversicherung in der DDR ist eine Einheitsversicherung (Zusammenfassung der verschiedenen Sozialversicherungszweige, einheitlicher Beitrag) und besteht aus zwei Trägern. Praktisch ist die gesamte Bevölkerung pflichtversichert. Die Leistungen werden über das Umlageverfahren finanziert. Etwa je ein Viertel der Mittel bringen die Versicherten und die Betriebe auf, rund die Hälfte sind Zuschüsse aus dem öffentlichen Haushalt (Leistungsgarantie des Staates). Die Ausgaben sind stärker gestiegen als das Beitragsaufkommen, der Staatszuschuß hat sich daher ständig erhöht. Leistungsauslösende Merkmale sind Alter, Tod des Ernährers. Erwerbsunfähigkeit, Mutterschaft. Hilfsbedürftigkeit wegen zu geringem Einkommen. Arbeitslosigkeit ist kein Leistungsbereich der Sozialversicherung mehr. Bei Verlust des Arbeitsplatzes sind in erster Linie die freisetzenden Betriebe für die Absicherung der Betroffenen verantwortlich. Für die Höhe der Barleistungen sind die Erwerbseinkommen und z. T. auch die Dauer der Beschäftigung von Bedeutung. Diese Koppelung ist aber faktisch — zumindest in der Rentenversicherung — aufgrund der niedrigen Bemessungsgrenze stark eingeschränkt. In dieselbe Richtung wirkt die Mindestsicherungsregelung. In der Mehrzahl der Fälle bemißt sich die Rente nach diesem Grundsatz. Die Renten der Pflicht-versicherung gewährleisten lediglich eine Grundversorgung. Langfristig wird aber das allgemeine Renten-niveau durch die Leistungen der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung steigen. Die Sicherung bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit und bei Mutterschaft orientiert sich ander Höhe der jeweiligen Nettoeinkommen. Die Ausgestaltung der Mutterschafts-und Familien-leistungen kann sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen. Neben ihrer ursprünglichen Funktion, nämlich Schutz in bestimmten Lebenslagen zu bieten, soll Sozialpolitik in diesen Fällen weitere Aufgaben erfüllen. Die DDR ist in ihrem Selbstverständnis eine Wachstumsgesellschaft. Verringerung des Kranken-standes und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrades sind Subziele der wirtschaftlichen Wachstumspolitik. Wesentliches Ziel der Bevölkerungspolitik ist eine hohe Geburtenrate. Flankierende sozialpolitische Maßnahmen sollen helfen, diese Intentionen zu realisieren.

I. Sozialpolitik — ein Begriff im Wandel

Tabelle 1: Einnahmen und Ausgaben der Sozialversicherung der DDR in Mrd. Mark

Quellen: Statistisches Jahrbuch der DDR, div. Jahrgänge. — Statistisches Taschenbuch der DDR 1987. — Lexikon der Wirtschaft. Versicherungen. 1. und 2. Auflage. — Einheit, Nr. 3/1977. — Sozialversicherung/Arbeitsschutz, Heft 5/1976 sowie 9/1977. — Neue Deutsche Bauernzeitung, Nrn. 43/1974, 3/1977, 28/1986 sowie 34/1987. — Tribüne vom 28.Mai 1981 sowie vom 31. März 1986. — Berechnungen und Schätzungen des DIW.

In beiden Teilen Deutschlands hat sich im Zeitablauf ein Wandel im Sozialpolitikverständnis vollzogen; in der DDR war dies eng mit der Überwindung von ideologischen Barrieren verbunden. Unter den bundesdeutschen Wissenschaftlern haben sich vor allem Lampert/Schubert und Leenen in grundlegenden Arbeiten mit der ideologisch-theoretischen Entwicklung und Periodisierung der östlichen Sozialpolitik befaßt -Demzufolge ist in der DDR zwar stets praktische Sozialpolitik betrieben worden, der Begriff verschwand aber — abgesehen von den sozialpolitischen Richtlinien der SED (1946) -zunächst aus dem offiziellen Sprachgebrauch. Der Hintergrund dafür war die in den politischen Kämpfen der Arbeiterbewegung entstandene Auffassung, daß Sozialpolitik ein von den Kapitalisten gebrauchtes Instrument des Klassenkampfes sei, um durch die Gewährung von Vergünstigungen an einzelne soziale Gruppen den Solidarisierungsprozeß innerhalb der Arbeiterschaft zu verhindern. Aufgabe der Sozialpolitik im Kapitalismus sei es, einige Mängel, die dieser Gesellschaftsordnung immanent seien, zu mildern. Mit der Ablösung der alten Ordnung werde sie überflüssig, im Sozialismus lasse sich das politische Handeln generell von dem Prinzip der Sorge um den Menschen leiten.

Erst Ende der fünfziger Jahre wich diese stark historisch-ideologisch geprägte Anschauung einer pragmatischen Betrachtungsweise. Der Widerspruch zwischen dem bisherigen Verständnis und der real betriebenen Sozialpolitik hat wohl eine veränderte Haltung nach sich gezogen. Außerdem mag auch der in diese Zeit fallende Ausbau des Sozialleistungssystems in der Bundesrepublik zu diesem Einstellungswandel beigetragen haben; es galt, darauf durch die Herausstellung eigener Erfolge zu reagieren. Jedenfalls wurde nunmehr der Begriff „Sozialpolitik" häufiger verwendet und zumeist mit „sozialer Sicherung“ gleichgesetzt. Sie stellte auf den systemunabhängigen Schutz vor den „Wechselfällen des Lebens“, wie Alter, Unfall, Krankheit, Mutterschaft ab und auf die Beseitigung oder Linderung von Defekten aus der vorsozialistischen Zeit (z. B. Arbeits-und Wohnbedingungen)

Differenzierter wird Sozialpolitik seit der Mitte der sechziger Jahre gesehen, die Zielfelder erfuhren damals eine ganz erhebliche Ausweitung. Es wurde nunmehr konzediert, daß als Folge des sozialen Wandels oder als Ergebnis von Maßnahmen in den verschiedenen Politikbereichen ständig ein weitgefächerter sozialpolitischer Handlungsbedarf besteht. Die Notwendigkeit einer umfassenden Sozialpolitik ergab sich insbesondere im Zusammenhang mit der damals durchgeführten Wirtschaftsreform Sinn des Neuen Ökonomischen Systems war letztlich die Erhöhung der volkswirtschaftlichen Effizienz. Zur Unterstützung dieses Prozesses und zum Auffangen seiner negativen Begleiterscheinungen bedurfte es eines sozialpolitischen Instrumentariums mit breitem Spektrum. Der Einstellungswandel war zu Beginn der siebziger Jahre weitgehend abgeschlossen und gipfelte in der Anschauung, daß „echte“ Sozialpolitik nur im Sozialismus möglich sei.

Seither wird der Begriff „Sozialpolitik“ vorwiegend im weiteren Sinne benutzt. Eine verbindliche Definition gibt es indes in der DDR — wie auch im Westen — bis heute nicht. Nach wie vor bestehen unterschiedliche Meinungen darüber, „ob Sozialpolitik mit Gesellschaftspolitik gleichzusetzen sei, ob sie einen eigenständigen Bereich oder nur einen Aspekt der Politik darstelle oder ob sie sich auf Verteilungspolitik beschränke“ Die zuletzt genannte Definition bedeutet eine Eingrenzung auf das klassische Gebiet der sozialen Sicherung, sie ist aber nur noch gelegentlich anzutreffen. Eine gängige Lesart charakterisiert Sozialpolitik (im weiteren Sinne) als die „Gesamtheit der Ziele, Maßnahmen und Mittel . . . zur Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus und damit zur Förderung der sozialistischen Lebensweise sowie zur For-mung sozialistischer Persönlichkeiten und zur Herausbildung einer der entwickelten sozialistischen Gesellschaft entsprechenden Sozialstruktur“ Konkret erstreckt sich danach Sozialpolitik im wesentlichen auf die Bereiche Wohnen. Arbeit, Einkommen, Güterversorgung, Gesundheit. Freizeit und Erholung. Familie, Sicherung in bestimmten Lebenslagen. Umweltschutz und Sozialplanung. Nach dieser Auffassung ist soziale Sicherung nur ein — allerdings gewichtiger — Teil der Sozialpoli-tik.der vielfach Sozialpolitik im engeren Sinne genannt wird.

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Darstellung und Wertung der Grundzüge des Systems der sozialen Sicherung. Dazu zählen Einrichtungen und Maßnahmen, die bei Verlust oder Einschränkung der Fähigkeit zur Erlangung von Arbeitseinkommen, Tod des Ernährers, Unfall, Krankheit und Mutterschaft eintreten.

II. Grundzüge des Systems der sozialen Sicherung

Tabelle 2: Mindestrenten, Ehegatten* und Kinderzuschläge der Sozialversicherung der DDR in Mark je Monat

1. Organisation des Systems der sozialen Sicherung Das Sozialleistungssystem wird im wesentlichen von drei Gruppen getragen — von Staat, Sozialversicherung und Betrieben. Kennzeichnend für die Organisation der sozialen Sicherung ist eine starke Zentralisierung, d. h. relativ wenige Träger, die jeweils für ein breites Aufgabenspektrum zuständig sind.

Kern des Systems der sozialen Sicherung ist die aus zwei Trägern bestehende Sozialversicherung. Es sind dies die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und der für Selbständige und Genossenschaftsmitglieder eingerichtete Zweig Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung Beide sind als Einheitsversicherungen konzipiert. in denen die verschiedenen Zweige (Krankheit. Unfall. Renten) zusammengefaßt sind. Es wird ein einheitlicher, nicht nach Risiko gestaffelter Beitrag erhoben. In der DDR besteht eine umfassende Sozialversicherungspflicht. Im Jahre 1987 gehörten rund 91 % der Einwohner (Versicherte und Familienmitglieder) der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten an und rund 9 % der Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung.

Zusätzlich zur Pflichtversicherung gibt es (in dieser Form seit 1971) bei beiden Trägern eine Freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR). Sie steht Beziehern mit einem Einkommen von über 600 Mark im Monat offen und gewährt höhere Bezüge im Renten-und Krankheitsfall sowie bei Mutterschaft. 80 Prozent der Beitrittsberechtigten nehmen sie in Anspruch. Pflichtversicherung und freiwillige Zusatzversicherung werden offiziell als Einheit angesehen. Für eine Reihe von Personengruppen existieren neben der Sozialversicherung weitere Zusatz-und/oder Sonderversorgungseinrichtungen.

Die wichtigste Barleistung der Betriebe im sozialen Bereich war in der DDR bis 1977 der Lohnausgleich im Krankheitsfall. Neben dem Krankengeld von der Sozialversicherung erhielten Arbeitnehmer früher für insgesamt sechs Wochen im Kalenderjahr die Differenz zwischen Krankengeld und 90 % ihres letzten Nettodurchschnittsverdienstes von den Betrieben; 1978 ging der Lohnausgleich im Krankheitsfall ganz auf die Sozialversicherung über.

Betriebsrenten spielen in der DDR nur eine geringe Rolle. Für die private Vorsorge gibt es die Möglichkeit. bei der Staatlichen Versicherung entsprechende Versicherungen abzuschließen. 2. Finanzierung der Sozialleistungen Die Sozialversicherung der DDR finanziert sich über das Umlageverfahren, d. h. die Leistungen werden aus dem Sozialprodukt der laufenden Periode bezahlt. Erwerbstätige und Betriebe haben Beiträge abzuführen. Der darüber hinausgehende Finanzbedarf wird aus öffentlichen Mitteln gedeckt (Leistungsgarantie des Staates).

Beitragspflichtig sind Einkommen bis zur Bemessungsgrenze. Sie beträgt lediglich 600 Mark je Monat und ist nie geändert worden. Das Einkommen der meisten Sozialversicherungspflichtigen liegt heute oberhalb der Bemessungsgrenze. Auch der Beitragssatz der Arbeiter und Angestellten beläuft sich immer noch auf 10 % des beitragspflichtigen Arbeitsverdienstes. Da dieser auf 600 Mark monatlich begrenzt ist. sind höchstens 60 Mark zu entrichten. Hinzu kommt der Beitragsanteil der Betriebe; er betrug bis 1977 ebenfalls 10 % (im Bergbau 20 %) und ist danach auf 12. 5 % (Bergbau 22. 5 %) angehoben worden. Dies war als Äquivalent für die volle Übernahme des Lohnausgleichs im Krankheitsfall von den Betrieben durch die Sozialversicherung gedacht.

Für die Mitglieder der Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung gelten heute im Prinzip die gleichen Beitragssätze (10 % des beitragspflichtigen Arbeitsverdienstes für die Versicherten, 12, 5 % für die Betriebe). Das betrifft Mitglieder der Produktionsgenossenschaften des Handwerks und Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften. Die übrigen Versicherten bei der Staatlichen Versicherung, das sind überwiegend Selbständige, waren von der Neuregelung des Lohnausgleichs nicht betroffen und entrichten deshalb weiterhin 20 % ihres Einkommens (aber höchstens 120 Mark), an die Staatliche Versicherung, einen zu beteiligenden Betrieb gibt es in diesem Falle nicht.

Früher wichen die Beitragsregelungen für Mitglieder der Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung von denen für Arbeiter und Angestellte ab. Die Beitragssätze für Mitglieder der Sozialversicherung und die für Arbeiter und Angestellte sind erst nach und nach angeglichen worden. Seinen Abschluß fand der Vereinheitlichungsprozeß 1971 mit einer Neuordnung für einen Teil der Selbständigen und für Mitglieder Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG). Letztere zahlten vorher 9 %, für die Genossenschaften selbst bestand Abgabenfreiheit. Während ein Teil der selbständigen Handwerker bereits seit 1958, die übrigen seit 1966 20 % ihrer Einkünfte zu entrichten hatten, galt für die anderen Selbständigen bis Ende 1970 ein Beitragssatz von 14 oder 17 %.

Die Übernahme des betrieblichen Lohnausgleichs im Krankheitsfall durch die Sozialversicherung erstreckte sich auch auf Genossenschaftsbauern und -handwerker. Analog zu den Arbeitnehmern ist deshalb der Genossenschaftsanteil 1978 von 10% 12, 5% angehoben worden. Die Differenz in der Höhe des Krankengeldes von Arbeitnehmern/Genossenschaftsmitgliedern auf der einen Seite und Selbständigen auf der anderen wurde 1985 durch eine Verbesserung der Leistungen für Selbständige erheblich reduziert, deren Beitragssatz wurde aber im Gegenzug nicht heraufgesetzt.

Die Beitragsbedingungen in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung ähneln denen in der Pflicht-versicherung. Der entscheidende Unterschied besteht in der faktischen Aufhebung der Bemessungsgrenze für Arbeiter und Angestellte sowie für Genossenschaftsmitglieder. Sie können für die gesamten Einkommen Beiträge entrichten. Für Selbständige gibt es allerdings auch bei der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung eine obere Bemessungsgrenze; sie liegt bei einem Einkommen von 1 200 Mark im Monat.

Zusätzlich zum allgemeinen Beitrag wird eine besondere Unfallumlage erhoben, deren Höhe sich nach der Lohnsumme und nach den Unfallgefahren im jeweiligen Betrieb richtet. Sie beläuft sich auf 0, 3 bis 3, 0 % der beitragspflichtigen Verdienste und ist allein von den Betrieben aufzubringen.

Sieht man von der Anhebung der Beitragssätze für Betriebe/Genossenschaften und der Einführung der Beitragspflicht für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften ab, so vollzog sich die Erhöhung der Einnahmen der Sozialversicherung im wesentlichen auf zweierlei Weise: Das gestiegene Einkommensniveau führte — auch bei gleichbleibenden Beitragssätzen — zu einer Zunahme der Beitragszahlungen. Wegen der faktischen Aufhebung bzw. Aufstockung der Beitragsbemessungsgrenze infolge der Umgestaltung der Freiwilligen Zusatz-rentenversicherung (1971 und 1977) entrichten die meisten Bezieher von Einkommen über 600 Mark je Monat auch von dem Verdienstanteil oberhalb der Bemessungsgrenze Sozialabgaben. 1975 entfielen erst knapp 10 % der Einnahmen der Sozialversicherung auf Beiträge aus der Freiwilligen Zusatz-rentenversicherung (FZR), 1986 dürften es um 22 % gewesen sein.

Die Ausgaben der Sozialversicherung haben sich rascher erhöht als die Einnahmen. Der Anstieg war in erster Linie die Folge von Verbesserungen bestehender und der Einführung neuer Leistungen sowie von Kostensteigerungen im Gesundheitswesen. Nur zu Beginn der fünfziger Jahre reichten die Beitragseinnahmen für die Finanzierung der Leistungen aus, seither muß die Bilanz durch immer höhere Staatszuschüsse ausgeglichen werden — 1960 zu 20 %, 1970 zu 38 % und 1986 zu 47 %. Die Beitragszahlungen der Versicherten selbst (ohne Betriebsanteil) deckten die Ausgaben 1986 lediglich zu 23 %. Der Anteil der öffentlichen Mittel zur Finanzierung der Sozialleistungen ist bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre stufenweise (vor allem infolge von Rentenerhöhungen) gestiegen. Danach bewirkte die FZR eine gewisse Stabilisierung des Haushaltsanteils, denn anders als in der Pflichtversicherung übersteigen die Beitragszahlungen zur FZR deren Aufwendungen für Leistungen ganz erheblich — Mitte der achtziger Jahre um zwei bis drei Mrd. Mark (1975: eine Mrd. Mark). Ohne die Freiwillige Zusatzversicherung wäre der Haushaltszuschuß heute um ungefähr zehn Prozentpunkte höher. Die Einnahmen der FZR werden deren Ausgaben noch viele Jahre deutlich übertreffen.

Eine Reihe von Maßnahmen finanziert der Staat direkt aus allgemeinen Haushaltsmitteln. Es sind dies in erster Linie Kindergeld, Geburtenbeihilfe, Sozialfürsorge sowie bestimmte Renten (Ehren-pensionen, Altersversorgung der „nichttechnischen“ Intelligenz). Mit der organisatorischen Abwicklung wurden zum Teil die Sozialversicherung und dit Betriebe betraut. Als eigene Barleistungen der Betriebe sind neben dem (1978 auf die Sozialversicherung übergegangenen) Lohnausgleich imKrankheitsfall die Betriebsrente und das Überbrükkungsgeld bei Verlust des Arbeitsplatzes zu nennen. 3. Art und Umfang der Leistungen Das soziale Sicherungssystem der DDR kennt Geld-, Sach-und Dienstleistungen. Geldleistungen werden in Form von Rente, Krankengeld, Schwangerschafts-und Wochengeld, Mütter-und Familienunterstützung u. ä. erbracht. Sach-und Dienst-B leistungen bestehen im wesentlichen aus ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung, Zahnersatz sowie Arznei-, Heil-und Hilfsmitteln, stationärer Behandlung und Entbindung (auch Schwangerschaftsabbruch) sowie Kuren. Die Leistungen sind kostenfrei und stehen, anders als die Geldleistungen der Sozialversicherung, nicht nur erwerbstätigen Versicherten zu, sondern auch mitversicherten Familienangehörigen, Rentnern und Sozialfürsorgeempfängern. Das Budget der beiden Sozialversicherungen (1987: 34 Mrd. Mark) teilt sich zu etwa zwei Dritteln in Geldleistungen und zu einem Drittel in Sach-/Dienstleistungen auf. a) Renten Renten sind die mit Abstand wichtigste Leistung. Auf sie entfällt die Hälfte aller Ausgaben. Von der Sozialversicherung werden Altersrente, Invalidenrente, Unfallrente, Kriegsbeschädigtenrente, Hin-32 terbliebenenrente und Renten aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt. Zumeist unterscheidet sich die durchschnittliche Höhe der einzelnen Rentenarten nicht wesentlich.

Durch die hohe Erwerbsbeteiligung und die umfassende Versicherungspflicht haben beinahe alle Personen, wenn die Altersgrenze erreicht ist. einen eigenen Rentenanspruch erworben. In der Pflicht-versicherung bilden in der Regel Mindestrenten die untere Grenze. Sie sind seit 1971 für Alters-und Invalidenrenten nach Arbeitsjahren gestaffelt und liegen seit 1984 zwischen 300 und 370 Mark. Eine darüber hinausgehende Differenzierung, abgeleitet vom früheren Erwerbseinkommen bzw. von einer Orientierung am früheren Lebensstandard, gibt es faktisch nur im geringen Umfang. Als rechnerische Höchstrente (bei 50 Versicherungsjahren und anrechnungsfähigem Einkommen von 600 Mark) sind lediglich 440 Mark erreichbar. Die überwiegende Zahl der Rentenbeziehererhält Mindestrenten. Für erwerbsunfähige Ehegatten ohne eigenen Renten-anspruch werden familienbedingte Zuschläge in Höhe von 150 Mark gezahlt, für jedes Kind in der Ausbildung kommen 45 Mark hinzu.

Die Renten aus der Pflichtversicherung gewährleisten nicht mehr als eine Grundversorgung. Infolge des gestiegenen Einkommensniveaus und der unveränderten Bemessungsgrenze von 600 Mark pro Monat hätte sich längerfristig der Abstand zwischen den Einkommen aus Berufstätigkeit und den Renten noch weiter vergrößert. Dies zu verhindern, soll Aufgabe der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung sein. Die Höhe der Zusatzrente ist abhängig von den Einkommen über 600 Mark, für die Beiträge abgeführt wurden und der Anzahl der Jahre der Zugehörigkeit zur FZR. In Zukunft werden die Rentenbezüge dadurch stärker an das vormalige Erwerbseinkommen gekoppelt sein, eine größere Differenzierung der Rentenhöhe ist mithin absehbar. Da die FZR in dieser Form erst seit 1971 besteht, wird es aber noch geraume Zeit dauern, bevor sich das allgemeine Rentenniveau durch sie fühlbar erhöht. Gegenwärtig werden in einem Drittel aller Fälle bei Alters-, Invaliden-und Hinterbliebenenrenten Zusatzrenten mit einem Betrag um 60 Mark im Mittel gezahlt.

Die durchschnittliche Altersrente (einschließlich der Leistungen aus der FZR. die sich aufgrund der veröffentlichten Daten nicht ausgliedern lassen) betrug 1987 bei der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten 380 Mark monatlich, der Netto-verdienst aller Arbeitnehmer etwa 900 Mark. Obwohl sich die Relation zwischen Erwerbseinkommen und Rente in den vergangenen zwanzig Jahren verbessert hat, geht das Einkommen beim Über-gang in den Ruhestand noch um über die Hälfte zurück. Zwar können sich durch Mehrfachbezug von Renten (z. B. Altersrente und Witwenrente) die Bezüge erhöhen, der Durchschnittsbetrag der zweiten Rentenleistung liegt aber bei nur 55 Mark im Monat, weil beim Zusammentreffen zweier Renten die niedrigere nur gekürzt gezahlt wird. Von den Beziehern einer Alters-, Invaliden-und Witwen-(Witwer-) Rente erhält im Durchschnitt etwa ein Drittel eine Zweitrente.

Eine Dynamisierung, d. h. eine jährliche Anpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung, ist im Rentensystem der DDR nicht vorgesehen, dies gilt auch für die FZR. Von Zeit zu Zeit werden die Renten in der Pflichtversicherung aufgrund spezieller Beschlüsse der politischen Führung angehoben. Das ist in der Vergangenheit, abhängig von der Wirtschaftslage, in einem Drei-bis Fünfjahresrhythmus geschehen — zuletzt 1984/85. Die nächste Rentenerhöhung ist für 1989 angekündigt. Von der Erhöhung der Mindestrenten profitierten insbesondere Frauen; der Rückstand ihrer Rente gegenüber der der Männer hat sich, gemessen an den Durchschnittsbeträgen, verringert.

Neben der Sozialversicherung gibt es schon seit langem für bestimmte Gruppen Sonder-und Zusatzversorgungseinrichtungen, die entweder Rente anstelle oder zusätzlich zu den Sozialrenten zahlen. Bereits in den fünfziger bzw. Anfang der sechziger Jahre wurden spezielle Regelungen eingeführt für die „Intelligenz“ (ausgewählte Techniker, Ingenieure, Wissenschaftler. Mediziner, Künstler, Pädagogen u. ä.), für Angehörige der Reichsbahn, der Post, des «Zolls, der Polizei, des Militärs und für besonders verdiente Staatsbürger sowie für frei-praktizierende Ärzte und Zahnärzte. Mitte der sechziger Jahre sind Bestimmungen über die Versorgung von Opfern des Faschismus und von Kämpfern gegen den Faschismus in Kraft getreten. Für bestimmte Leitungs-und Fachkräfte in Ministerien, nachgeordneten Einrichtungen, Kreisen und Gemeinden besteht seit 1969/70 eine zusätzliche Altersversorgung. Schließlich wurde 1976 eine allgemeine Zusatzversorgung für Pädagogen geschaffen. Die meisten der genannten Gruppen sind dem Staatsdienst zuzurechnen. Zuverlässige Angaben über die Zahl der begünstigten Personen liegen nicht vor. Die Leistungs-und Finanzierungsregelungen bei den Sonder-und Zusatzversorgungseinrichtungen sind häufig auch nicht bekannt; soweit sie veröffentlicht wurden, lassen sie keine einheitliche Linie erkennen. Die Leistungen bestehen im wesentlichen als Alters-, Invaliden-und Hinterbliebenenrenten sowie Einkommensersatz im Krankheitsfall. Die Empfänger sind zum Teil wesentlich besser gestellt als die der Sozialversicherung.

Betriebsrenten spielen nur eine geringe Rolle. Seit 1954 haben langjährige Mitarbeiter in den wichtigsten volkseigenen Betrieben Anspruch auf eine bescheidene zusätzliche Versorgung von durchschnittlich 30 bis 50 Mark im Monat. Eine im Ergebnis ähnliche Regelung gibt es in vielen Genossenschaften. Die früher vorhandenen verschiedenen Formen der Unterstützung im Alter sind dort häufig zu einer Art Zusatzrente zusammengefaßt worden.

Eine individuelle Vorsorge ist u. a. durch den Abschluß von Lebensversicherungen möglich. Es bestehen zwar über elf Millionen Lebensversicherungsverträge, die durchschnittliche Versicherungssumme ist indes niedrig — 3 000 bis 4 000 Mark dürften die Regel sein. b) Krankheit Bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Arbeitsunfalls oder Berufskrankheit wird der Einkommensausfall vollständig oder teilweise bis zur Wiederherstellung bzw. bis zum Eintritt der Invalidität, längstens jedoch für 78 Wochen, von der Sozialversicherung ausgeglichen. Für die ersten sechs Wochen erhalten Arbeitnehmer und Genossenschaftsmitglieder im Krankheitsfall 90% des Nettodurchschnittsverdienstes; wenn ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt, beträgt das Krankengeld für die gesamte Zeit (also höchstens 78 Wochen) 100 %. Von der siebten Woche an richtet sich die Höhe des Krankengeldes sonst nach der Zahl der Kinder und/oder der Mitgliedschaft in der FZR (für Selbständige gilt dies auch schon für die ersten sechs Wochen). Von Ausnahmen abgesehen werden dann 65 bis 90% des Nettoeinkommens gezahlt.

Relativ niedrig ist die finanzielle Versorgung von der siebten Woche an lediglich für Erwerbstätige ohne oder mit einem Kind, die trotz höherer Einkommen der Zusatzversicherung nicht angehören; für Selbständige trifft das schon von der ersten Woche an zu. Diese Regelung soll die Bereitschaft zum Eintritt in die FZR steigern. Nichtmitglieder mit höherem Einkommen, die zwei und mehr Kinder haben, erhalten indes ähnlich hohe Leistungen wie Mitglieder. Obwohl ein großes Interesse besteht, den Mitgliederkreis der Zusatzversicherung auszuweiten, hat hier offensichtlich der Schutz der Famihe Vorrang. Im Vergleich zu den Renten besteht eine wesentlich günstigere Relation zwischen Arbeitseinkommen und Krankengeld. Einige Gruppen (z. B. Opfer des bzw. Kämpfer gegen den Faschismus, Angehörige der „Intelligenz“ mit Sonder-verträgen, Angehörige der bewaffneten Organe) erhalten — zum Teil vollen — Einkommensersatz im Krankheitsfall für eine längere Zeit bzw. ohne zeitliche Begrenzung. c) Mutterschafts-und Familienleistungen Die Mutterschafts-und Familienleistungen sind in der DDR gut ausgebaut. Versicherte erwerbstätige Frauen erhalten bei Mutterschaft einen Schwangerschaftsurlaub von sechs Wochen (vor der Niederkunft) und einen Wochenurlaub von 20 Wochen (nach der Entbindung). Für diese Zeit besteht Anspruch auf Geldleistungen der Sozialversicherung in Höhe des letzten durchschnittlichen Nettoverdienstes. Die Fristen sind im Laufe der Zeit mehrmals verlängert worden.

Nach Ablauf der 26 Wochen können Mütter für das erste und zweite Kind bis zum Ende des 12. Lebensmonats, für das dritte und jedes weitere Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats eine bezahlte Freistellung von der Arbeit in Anspruch nehmen. Diese Regelung ist schrittweise von 1976 an eingeführt worden. In begründeten Fällen wird seit neuestem anstelle der Mütter auch Vätern oder Großmüttern die bezahlte Freistellung gewährt. Die Frauen (bzw. Väter oder Großmütter) bekommen für diese maximal weiteren 32 bzw. 58 Wochen Mütterunterstützung in Höhe des Krankengeldes, das sie bei eigener Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit von der siebten Woche an erhalten würden. Von der bezahlten Freistellung machen über 90% der in Betracht kommenden Frauen Gebrauch. Für die Zeit der Schwangerschaft und des Wochenurlaubs sowie der bezahlten Freistellung besteht grundsätzlich Kündigungsverbot.

Weitere Leistungen der Sozialversicherung sind in bestimmten Fällen finanzielle Ausgleichszahlungen, wenn kein Krippenplatz zur Verfügung gestellt werden kann oder Kinder bzw. Ehegatten erkranken und der Pflege bedürfen. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Regelungen, z. B. im Rentenrecht, die auf einen Ausgleich der durch Mutterschaft und Kindererziehung bedingten Nachteile gerichtet sind. Hinzu treten Leistungen, die aus allgemeinen Mitteln des Staatshaushalts finanziert werden: Geburtenhilfe von 1 000 Mark (vor 1972 gestaffelt nach der Kinderzahl 500 bis 1 000 Mark); Kindergeld in Höhe von 50 bis 150 Mark im Monat für jedes Kind; zinslose Kredite für junge Eheleute, die nach der Geburt von Kindern teilweise erlassen werden — 1 000 Mark beim ersten, 1 500 Mark beim zweiten Kind und weitere 2 500 Mark beim dritten Kind; Mietbeihilfen und andere Zuwendungen für bedürftige kinderreiche Familien.

Mit der großzügigen Ausgestaltung der Mutterschafts-und Familienleistungen — insbesondere in den siebziger Jahren — verfolgt die DDR über den Schutz in einer bestimmten Lebenslage hinaus weitere Ziele. Einmal erfordert die Arbeitskräfte-knappheit und das Streben nach Gleichberechtigung (wirtschaftliche Unabhängigkeit gilt als Voraussetzung dafür) eine möglichst vollständige Erwerbsbeteiligung der Frauen, andererseits wird ein hohes Geburtenniveau als wünschenswert angesehen. Flankierende sozialpolitische Maßnahmen sollen helfen, die beiden konkurrierenden Ziele besser in Einklang zu bringen. d) Sozialfürsorge Die Sozialfürsorge ist ebenfalls eine staatliche Leistung. Anspruchsberechtigt sind Personen, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch Arbeitseinkommen zu bestreiten, die über kein sonstiges ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen und auch keine unterhaltspflichtigen Angehörigen haben. Der Gewährung von Sozial-fürsorge geht die Geltendmachung von Ansprüchen des Antragstellers auf andere Leistungen vor. Grundsätzlich wird Sozialfürsorge nur unter der Bedingung der Erwerbsunfähigkeit bezahlt.

Ähnlich der Entwicklung bei den Renten haben sich auch die Sozialfürsorgesätze im Laufe der Zeit stufenweise erhöht; sie lagen in der Regel jeweils etwas unterhalb der (niedrigsten) Mindestrente. Gemessen an der Zahl der laufenden Unterstützungen hat die Sozialfürsorge keine große Bedeutung mehr. Eine größere Rolle spielen aber noch einmalige Beihilfen und Bestattungskosten. e) Verlust des Arbeitsplatzes Der Einsatz der Arbeitskräfte wird als integraler Bestandteil der Volkswirtschaftsplanung nach Anzahl, Qualifikation, regionaler Verteilung und weiteren Strukturmerkmalen geplant. Zur praktischen Umsetzung steht den staatlichen Stellen ein umfangreiches Instrumentarium von direkten und indirekten Maßnahmen zur Verfügung. Gleichwohl war das Planungs-und Lenkungssystem in der Vergangenheit wenig wirkungsvoll. In den sechziger und siebziger Jahren überstieg die Nachfrage das Angebot an Arbeitskräften bei weitem. Die staatlichen Regulierungsmaßnahmen wurden durch eine Fluktuationsbewegung von großem Ausmaß unterlaufen. Das Problem der offenen Arbeitslosigkeit stellte sich praktisch nicht; durch Strukturverände35 rungen freigesetzte Arbeitskräfte konnten ohne größere Schwierigkeiten absorbiert werden. Es bestand zwar ein „Zweig Arbeitslosigkeit“ bei der Sozialversicherung (mit Sätzen auf Sozialfürsorgeniveau), er hatte aber seit Ende der fünfziger Jahre keine Bedeutung mehr und wurde schließlich 1978 aufgelöst.

Anfang der achtziger Jahre sind Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt eingetreten. Durch eine Reihe administrativer Maßnahmen und durch den fortschreitenden Strukturwandel sowie verstärkte Rationalisierungsanstrengungen ist auf der einen Seite die Zahl der offenen Stellen verringert und sind andererseits Freisetzungen in erheblichem Umfang bewirkt worden. Inzwischen hat die Zahl der offenen Stellen allerdings wieder zugenommen. Zur besseren Nutzung des Arbeitsvermögens werden aber weiterhin Frei-bzw. Umsetzungen (1986: 86 000) vorgenommen. Regelungen für die sich daraus ergebenden sozialen Probleme sind im Arbeitsgesetzbuch von 1978 niedergelegt. In erster Linie sind die freisetzenden Betriebe für die Absicherung der Betroffenen verantwortlich. Das soll in der Regel in Form von Änderungsverträgen (Unterbringung im selben Betrieb auf einem anderen Arbeitsplatz), Überleitungsverträgen (Beschaffung eines Arbeitsplatzes in einem anderen Betrieb) und Umschulungen geschehen. Bei Minderverdienst ist dieser von den Betrieben für ein Jahr auszugleichen. Über 90% der Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz wechseln müssen, werden wieder im eigenen Betrieb eingesetzt.

Erklärtes Ziel ist nach wie vor die Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung. Dies ist bisher im wesentlichen auch gelungen. Vereinzelt sind allerdings Fälle bekanntgeworden, in denen sich nach der Freisetzung nicht nahtlos eine neue Tätigkeit anschloß. Gesamtwirtschaftlich dürfte es sich dabei um marginale Größen handeln.

III. Resümee

Tabelle 3: Leistungen der Sozialversicherung der DDR in Mrd. Mark

Quellen: Vgl. Tabelle 1 sowie: Das Gesundheitswesen der DDR, div. Jahrgänge. — Haushaltsrechnungen (Anlagen zu Volkskammerdrucksachen), div. Jahrgänge. — Sozialversicherung/Arbeitsschutz, Heft 10/1971.

Das allgemeine Verteilungsprinzip, das sich in der DDR in erster Linie an der Arbeitsleistung orientiert, wird durch soziale Aspekte ergänzt. Dies erfolgt in Fällen, in denen das Leistungsprinzip nicht anwendbar ist (Risiken des Lebens) oder zu unerwünschten Ergebnissen führt (z. B. Benachteiligung von Familien mit Kindern).

Das Netz der sozialen Sicherung in der DDR ist eng. Für den Kern der Sozialleistungen — die Renten — besteht indes lediglich eine Mindestsicherung. Im Zuge der allmählich an Bedeutung gewinnenden Freiwilligen Zusatzrentenversicherung wird sich aber die Lage der Rentner in gewissem Umfang bessern. Leistungen, die im Zusammenhang mit vorübergehender Erwerbsunfähigkeit oder Mutterschaft/Familie stehen, haben ein deutlich höheres Niveau. Neben der Sicherung in Lebenslagen ohne Erwerbseinkommen (Schutzfunktion) werden in diesen Fällen weitere Ziele verfolgt: bessere Ausnutzung des Arbeitsvolumens (z. B. Senkung des Krankenstandes, möglichst vollständige Erwerbs-beteiligung von Frauen mit Kindern) als Instrument der Politik wirtschaftlichen Wachstums („Produktivitätsfunktion“) und Geburtenförderung als wesentliches Ziel der Bevölkerungspolitik (gesellschaftspolitische Funktion).

Wie weit für den Bereich der Sozialversicherung das Versicherungsprinzip mit Beitragsäquivalenz (bei dem sich Beitrag und Leistung der Höhe nach bedingen) gilt, ist unter Wissenschaftlern in der DDR umstritten Einen engen Zusammenhang zwischen Höhe der Beiträge und Leistungsumfang gibt es jedenfalls nur bei einem Teil der Leistungen (z. B. Renten der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung), bei anderen ist er nur lose (z. B. Renten der Pflichtversicherung) oder überhaupt nicht vorhanden (z. B. ärztliche Behandlung, Medikamente). Die Ausgestaltung des sozialpolitischen Instrumentariums orientiert sich zumeist eher an einer vom Staat angestrebten Versorgungssituation (Finalprinzip) als an den erbrachten Beiträgen und den leistungsauslösenden Gründen (Kausalprinzip). Bei den Leistungen, die direkt aus dem öffentlichen Haushalt bezahlt werden, erfolgt die Vergabe eindeutig nach den Prinzipien der Versorgung und der Fürsorge.

In der Entwicklung der sozialen Sicherung seit dem Amtsantritt Honeckers (1971) lassen sich zwei Perioden erkennen: Die erste Phase währte bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre und war gekennzeichnet durch eine rasche Expansion der Ausgaben, durch eine Vielzahl von Verbesserungen bestehender und der Einführung neuer Leistungen sowie durch Veränderungen konzeptioneller Art (z. B. Vereinheitlichung des Beitrags-und Leistungsrechts, Umgestaltung der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung, Staffelung der Mindestrenten nach Arbeitsjahren, Schaffung eines Instrumentariums zur Frauen-und Familienförderung, Übernahme des Lohnausgleichs im Krankheitsfall von den Betrieben, Auflösung des Zweiges Arbeitslosenversicherung). In der zweiten Phase war der Ausgabenanstieg deutlich schwächer (die durchschnittliche Zuwachsrate hat sich mehr als halbiert). Die Zahl der Leistungsverbesserungen war geringer, die Maßnahmen bestanden im wesentlichen im weiteren Ausbau vorhandener Regelungen. Neue konzeptionelle Elemente gab es kaum noch, die Ausgestaltung des zentralisierten Systems der sozialen Sicherung (Staat, Sozialversicherung) ist wohl für einen längeren Zeitraum zum Abschluß gekommen. Handlungsbedarf besteht eher auf dezentraler Ebene (Betriebe, Kombinate, Kommunen) zur Meisterung der sozialen Probleme, die infolge der wirtschaftlichen Intensivierungsstrategie und der Durchsetzung des technischen Fortschritts aufkommen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Heinz Lampert/Friedel Schubert, Sozialpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), Bd. 7. Stuttgart 1977, S. 130— 152; Wolf-Rainer Leenen. Zur Frage der Wachstumsorientierung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik in der DDR, Berlin 1977.

  2. Vgl. Wolf-Rainer Leenen, Sozialpolitik, in: DDR Handbuch, Bd. 2, Köln 1985, S. 1212-1218.

  3. Vgl. Hartmut Zimmermann, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik?, in: DDR Report, (1976) 12, S. 749— 752.

  4. Gunnar Winkler, Zur höheren Qualität der Verbindung von Soziologie und Sozialpolitik, in: Jahrbuch für Soziologie und Sozialpolitik 1980, Berlin (Ost) 1980, S. 24.

  5. Lexikon der Wirtschaft, Bd. Versicherung. Berlin (Ost) 1982. S. 491 f.

  6. Die Staatliche Versicherung der DDR ist sonst der alleinige Träger der Sach-, Haftpflicht-und (privaten) Personen-versicherung. Ausgenommen von diesem Monopol sind lediglich Versicherungen, die im Schadensfall in der Regel eine Leistung in fremder Währung nach sich ziehen; dafür ist die Auslands-und Rückvergütungs-AG der DDR zuständig.

  7. Vgl. Günter Radtke/Wolfgang Zschockelt, Die Sozialversicherung in der DDR — sozialpolitische Errungenschaft der Arbeiterklasse und Instrument der Finanzierung sozialer Prozesse, in: Wirtschaftswissenschaft, (1980) 3, S. 291 — 302; Heinrich Bader, Sozialversicherung — Versicherung ja oder nein?, in: Wirtschaftswissenschaft. (1981) 12, S. 1471—

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Heinz Vortmann, Dr. rer. pol., geb. 1943; Studium des Wirtschaftsingenieurwesens (Dipl. -Ing.) an der TU Berlin; seit 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, in der Abteilung DDR und östliche Industrieländer. Veröffentlichungen u. a.: (Mitautor) Handbuch DDR-Wirtschaft, Reinbek 1984; (Mitautor) DDR-Handbuch, Köln 1985; Geldeinkommen in der DDR von 1955 bis zu Beginn der achtziger Jahre, Berlin 1985; (Mitautor) Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987, Bonn 1987.