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Sozialökonomische Weichenstellungen: Sozialisierung und Mitbestimmung | APuZ 49/1986 | bpb.de

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APuZ 49/1986 Frühe Weichenstellungen im Wirtschaftsparlament der Bizone Ein deutsches Entwicklungsmodell? Zur Rolle des Marshallplans beim Wiederaufstieg der westdeutschen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg Sozialökonomische Weichenstellungen: Sozialisierung und Mitbestimmung Westkurs und innenpolitische Stabilisierung der Bundesrepublik Deutschland Die westdeutsche Nachkriegsgeschichte in Lehrplänen und Schulbüchern. Zur Rezeption der Forschung, aufgezeigt an ausgewählten Beispielen Aspekte der Diskussion in der Sektion

Sozialökonomische Weichenstellungen: Sozialisierung und Mitbestimmung

Horst Lademacher

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Verfasser zeigt frühe Interessen verschiedener deutscher politischer Kräfte an einer Sozialisierung von Schlüsselindustrien, kennzeichnet die eigenständige Politik der britischen Regierung in ihrem Willen, in ihrer Besatzungszone Sozialisierungen zu veranlassen, markiert das Scheitern der Bemühungen im Zuge der Verschärfung des Ost-West-Konflikts und der amerikanischen Interessengewichtung und berücksichtigt auch die Schwierigkeiten der Deutschen in dieser Situation. Am Beispiel der Mitbestimmung beschreibt er Prozeß und Abschluß der sozialökonomischenNeuordnungsphase in Westdeutschland und begründet den Kompromißcharakter, den die Lösung für die Vorstellungen der Gewerkschaften darstellte.

I.

Es ist schon einigermaßen erstaunlich, daß ein Geschichtsbuch, das unter dem Titel „Politik und Gesellschaft“ Verbreitung findet, es bisher versäumt hat, den sozialökonomischen Strukturfragen der unmittelbaren Nachkriegszeit bis hin zur Gründung der Bundesrepublik einige Aufmerksamkeit zu widmen. Das ist insofern erstaunlich, weil die Frage künftiger sozialökonomischer Struktur ein durchaus intensiv diskutierter Gegenstand alliierter und deutscher Politik gleichermaßen gewesen ist, und weil Historiker und Politikwissenschaftler diesen Bereich spätestens seit 1975 thematisiert haben, unter ihnen Lutz Niet-hammer mit dem höchst einprägsamen Titel „Strukturreform und Wachstumspakt“ 1).

Daher sei im folgenden auf einige wesentliche Themen hingewiesen, die in die Geschichtsbücher Eingang finden müßten. Gewiß, es mag so sein, daß die Alltäglichkeit der Mangelexistenz in den einzelnen Besatzungszonen zu einer Fixierung der Bevölkerung auf die Nöte des Alltags geführt hat und daß auf diesem Hintergrund der Not eine breite Reflexion behindert worden oder bestenfalls ein diffuses politisches Bild über die eigene Vergangenheit oder über die Besatzungsmächte entwickelt worden ist aber es gab doch recht früh auch eine politische Neu-und Wiederbelebung, in der die Niederlage und die militärische Besetzung als Befreiung von einem terroristischen Regime begriffen und aus der Erfahrung mit diesem Regime Vorstellungen über die Möglichkeiten eines Neuanfangs entwickelt wurden. Neues wurde vor allem dort konzipiert, wo man das Leiden der Vergangenheit als Unterlegenheit gegenüber allen Formen der repressiven Gewalt erlebt hatte und wo zuvor politischer Wille und politisches Leben immer wach gewesen waren. Nachdenken über Vergangenes, über Ursachen und Wirkung, entwickelte sich auf einem recht hohen Reflexionsniveau vor allem in jenen Kreisen, die in Emigration oder Widerstand, im Zuchthaus oder im Lager die Alltäglichkeit der Gewalt erfah-ren hatten. Hier setzte Reflexion ein, Nachdenken über die Fehlerhaftigkeit des eigenen Verhaltens, Überlegungen vor allem über die Vermeidbarkeit von Wiederholungen. Es ist wohl nicht zu übersehen, daß die Zerstörung der alten politischen Existenz diese Reflexion angefacht hat — nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas. Wenige Zeiten hat es gegeben, in denen in solcher Intensität und in solcher Vielfalt über das Vergangene und zugleich — folgerichtig — über das neu zu Gestaltende nachgedacht worden ist.

Nach Veränderungen wurde verlangt, entsprechende Konzeptionen entwickelt. Sie enthielten zuweilen nur leichte Korrekturen des Vorvergangenen, manchmal grundsätzliche Reform der politischen und sozialen Struktur. Grundsätzlichkeit meint hier Wandel bei den Eigentums-und wirtschaftlichen Entscheidungsstrukturen. Träger solcher Gedanken waren Parteien und Gewerkschaften gleichermaßen. Und wenn von Parteien die Rede ist, dann sind Sozialdemokraten und — für die ganz frühe Phase — die Christdemokraten angesprochen. Es ist einfach festzuhalten, daß die Potsdamer Vereinbarung der Siegermächte, in der von der Wiederzulassung demokratischer politischer Parteien, vom Versammlungs-und Diskussionsrecht die Rede war, für die auf gesellschaftliche Neuerung zielenden Politiker letztlich nur eine Äußerlichkeit gegenüber dem eigentlichen Erfordernis der Zeit enthielt — eine Antwort auf die Frage nach zukünftigen Gesellschaftsstrukturen zu finden. Dabei haben sich die beiden Parteien nicht darauf beschränkt, den großen gesellschaftspolitischen Wandel im Eigentums-und wirtschaftlichen Entscheidungsbereich zu fordern, sondern zugleich versucht, ihre Organisationen und damit ihr Programm auf eine breitere Basis zu stellen. Das ist besonders auffällig für die Sozialdemokratie, deren Forderung lautete: Sozialisierung der Großindustrie, Planung und Steuerung der Konkurrenzwirtschaft sowie schließlich Demokratisierung der die Wirtschaftsführung repräsentierenden Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung.

Es ist festzustellen, daß denkerisch der Ansatz unternommen wurde, das Image einer Klassen-oder Weltanschauungspartei abzustreifen, sich der Restriktionen des Klasseninteresses zu entledigen. Das hieß nun nicht Preisgabe des Sozialismus allgemein, sondern bedeutete den Versuch, die Rezeptionsfähigkeit ideologisch und damit personell zu erweitern. Was die Sozialdemokratie unmittelbar nach 1945 vortrug, war nicht neu. Ihr Vordenker Rudolf Hilferding hatte schon im ersten Jahr des Hitler-Regimes Überlegungen angestellt, in denen auf die Bedeutung des Mittelstandes und der Bauern für die Partei hingewiesen wurde, wenngleich das zu jener Zeit noch mit einiger Skepsis verbunden gewesen war. 1942 legte der Gewerkschaftsführer Fritz Tarnow in Stockholm einen Plan vor, der die Gründung einer sozialistischen Volkspartei enthielt, in dem enge Bindung an bürgerliche Kreise vorgesehen war. Und die SOPADE hat ebenso die Angestellten, den Mittelstand, die Landbevölkerung, die Intelligenz in ihre Überlegungen einbezogen. Es hieß dann auch in einem der damals so zahlreich produzierten Papiere: „Die neue Sozialdemokratie muß eine breite Volksbewegung sein. Sie muß ihre Tore weit aufmachen für Menschen aus allen Schichten.“ Kurt Schumacher, der erste Parteiführer der Sozialdemokratie nach 1945, hat diese politische Konzeption übernommen. Er hat sich auch im Zuge der neuen Überlegungen an eine politische Klassenanalyse begeben. Gewiß, die Anschauung der Gesellschaft als einer Klassengesellschaft wurde nicht preisgegeben, doch entfiel die Rigorosität, die in der schlichten Einteilung von Kapital und Arbeit lag. Schumacher vollzog eine Differenzierung und Grenzverschiebung zugleich, in der der eigentliche Klassengegner auf Großkapital und Großgrundbesitz reduziert wurde, die sozialdemokratische Basis sich um den in der Weimarer Periode vom Großkapital verführten Mittelstand erweiterte. Die Forderung, daß das Bündnis der Arbeiterschaft mit allen Schichten außerhalb des Großkapitals und Großbesitzes die eigentliche Basis für Deutschlands demokratischen Neubeginn werden sollte, hieß zugleich, die Klasse durch die „Front der Schaffenden“ ersetzen und darüber hinaus den Klassenkampf zu einem Privileg des Großkapitals, zu einem Klassenkampf von oben hochzustilisieren. Gerade in jenem letzten Punkt zeigte sich, wie sehr Schumacher sich mit der neuen Partei auf die Ebene der Konkurrenzdemokratie, heraus aus dem sozialistischen Turm, begeben wollte. Nicht mehr Klasse des Proletariats, sondern Klasse der Besitzlosen und Geschädigten des Krieges hieß die Parole.

Hans-Peter Schwarz hat richtig darauf hingewiesen, daß wir es hier mit einem Wandel vom universalgeschichtlichen Aspekt des Karl Marx zum zeitgeschichtlichen Aspekt des Kurt Schumacher zu tun haben. Es ist wohl nicht abwegig zu behaupten, daß hier eine neue Basis für künftige politische Kultur gefunden, die Spielregeln für ein neues, eher auf Einsicht und Harmonie denn auf Konfrontation durch Abschirmung angelegtes Demokratieverständnis festgeschrieben werden sollte. Die von Schumacher auf der sozialdemokratischen Konferenz in Wennigsen vorgeschlagene Sozialisierung der wichtigsten Wirtschaftszweige fügte sich durchaus in die politische Konzeption von der breiten Volkspartei, da sie vor allem auch politisch begriffen war, als Mittel nämlich, die politische Gewalt des Großkapitals abzubauen, nicht so sehr als Instrument, um die dem Kapitalismus inhärenten Krisenfolgen der Wirtschaft aufzufangen

Dieses Element der Sicherstellung von Pluralismus und parlamentarischer Demokratie durch Kontrolle über mögliche kapitalistische Extrem-formen enthält ein hohes Maß an Parallelität zu den frühen christdemokratischen Intentionen. Die Christdemokraten der ersten Stunde setzten sich freilich eine zweifache Grenzüberschreitung zum Ziel: zum einen die parteipolitische Union der Konfessionen, zum anderen die soziale Union im Sinne einer Volksbewegung — und damit griff sie das sehr alte Problem einer konfessionsgebundenen, sozial in der Mitglied-und Wählerschaft sehr heterogen strukturierten Partei auf. Es war für den Neuordnungsdrang im sozialökonomischen Bereich schon sehr aufschlußreich, daß im Rahmen der Auseinandersetzungen um das Für und Wider einer interkonfessionellen Partei das Argument laut wurde, daß man von bestimmten protestantischen Kreisen sicherlich kaum ein auf soziale Neuordnung gerichtetes Bewußtsein erwarten dürfe.

Für die frühe Gründungsphase ist nicht zu übersehen, daß die Verbindung einer im Dominikaner-kloster Walberberg erarbeiteten christlichen Diagnose der Zeit mit den christlichen Gewerkschaftsideen oder den Vorstellungen der katholischen Arbeiterbewegung das Bild bestimmt haben. Diese Verbindung beruhte auf einer be-stimmten Ausdeutung der Enzykliken Rerum Novarum von 1891 und Quadragesimo Anno von 1931. Es ging im Prinzip um die neu zu schaffende Stellung der Lohnarbeiter. Es hieß dort: „Die gesamten Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse werden eine Gestaltung erfahren, die das Wohl der arbeitenden Menschen klar und fest in den Vordergrund stellt, nicht aber den erstrebten Gewinn oder die bloße Ergiebigkeit des Unternehmens.“ Solcherlei Ansicht schreckte auch nicht vor einer Neuordnung im Eigentumsbereich und staatlichen Eingriffen zurück. Es sollte durchaus Besitzumschichtung erfolgen, wie auch Wirtschaftsplanung auf dem Programm stand. Und dort, wo Besitzumschichtung stattfand, war sie entschädigungslos vorzunehmen. Der Dominikanerpater Welty schrieb, es sei „ein Grundirrtum der individualistischen Wirtschaft, die öffentliche Gewalt habe der Wirtschaft gegenüber nichts anderes zu tun, als sie frei und ungehindert sich selbst zu überlassen ... Die Wettbewerbsfreiheit ... kann ... unmöglich regulatives Prinzip der Wirtschaft sein.“

Es hat um solche Ausgangspunkte des Denkens harte Auseinandersetzungen gerade auch im Kölner und im westfälischen Gründerkreis gegeben, und letztlich war ihnen auch kein allzu langes Leben beschieden; festzuhalten bleibt jedoch, daß die sogenannten Kölner Leitsätze einiges von diesen gesellschaftspolitischen Forderungen nach Sozialisierung bzw. nach Überführung von Industriesektoren in Gemeineigentum in programmatische Losungen umgesetzt haben. Was hier im Westen, am Rhein, konzipiert wurde, enthielt noch eine viel stärkere Bestätigung bei den hessischen Christdemokraten, wo zunächst ehemalige Zentrumsleute die eigene Partei mit der Sozialdemokratie zu einer Art Labour Party zusammenführen wollten, wie das auch Carl Spiecker in Nordrhein-Westfalen vorgehabt hatte. Das blieb zwar Episode, aber die sogenannten Frankfurter Leitsätze sprachen sich noch dezidierter als die Kölner im Sinne einer gesellschafts-und wirtschaftspolitischen Neuordnung aus. Da waren wirtschaftlicher Sozialismus auf demokratischer Grundlage, planvolle Wirtschaftslenkung und darüber hinaus betriebliche Mitbestimmung ganz konkret gefordert. Und es waren gerade die Frankfurter, die die neue Partei so weit wie möglich auch für Nichtchristen öffnen wollten. Ende 1945 enthielt das Programm der hessischen Christdemokraten eine Zusammenfassung der Frankfurter Leitsätze mit Sozialisierung der großen Schlüsselindustrien, Planwirtschaft und Mitbestimmung.

Ein Vergleich solcher Gedankengänge mit den frühen politischen Richtlinien Schumachers läßt kaum noch einen Unterschied zwischen den Sozialdemokraten und frühen christdemokratischen Gründerkreisen erkennen. Die CDU wollte da keine Besitzbürgerpartei sein. Diese Rolle war in jener Phase eher den Liberalen vorbehalten. Ein Vergleich lehrt darüber hinaus, daß bei beiden Parteien der volksparteiliche Gedanke eine Chance erhalten sollte. Während die Sozialdemokraten versuchten, über ihre Stammwählerschaft hinaus den Mittelstand einzubeziehen, und sich damit eine höchst schwierige Aufgabe stellten, um ihre Neuordnungsvorstellungen auf eine breite Basis zu stellen, strebten die Christdemokraten der ersten Stunde nach einer stärkeren Verankerung bei der Arbeiterschaft. Der eigentliche Unterschied zwischen beiden Parteien bestand in jener frühen Phase lediglich im christlichen Bekenntnis, das gleichzeitig Quelle und Rechtfertigungsgrund der neuen Ordnung abgab. Das heißt auch, daß der christliche Impetus hier von einer ganz bestimmten Stringenz sein sollte, wie sie Walter Dirks verlangte, wenn er auf folgendes Problem hinwies: „... Die Union soll ... sammeln, aber nicht alle Christen schlechthin unbesehen, sondern nur alle diejenigen Christen, die das Gesetz der Epoche, den europäischen Sozialismus aus christlicher Verantwortung, und die politische Sendung der Christen begriffen haben.“ In der Programmatik der sozialökonomischen Neuordnung, wie sie die politisch organisierten Christen der ersten Stunde vortrugen, lag somit auch eine ideelle Begrenzung der Aufnahmekapazität. Wo also das Werben um Breite zugleich eine Abkehr vom Programm enthielt, war das eigentliche Ziel verfehlt

Es ist hier im einzelnen nicht zu fragen, warum in christdemokratischen Kreisen solche Intentionen ein so frühes Ableben erfuhren oder zumindest der Kreis ihrer Verfechter schmolz oder in die Minderheit geriet. Wichtiger ist vielmehr die Frage nach dem Handlungsspielraum jener Politiker oder Gewerkschafter, die sich auch fürderhin auf die Durchsetzung von Sozialisierung und Mitbestimmung als den wesentlichen Faktoren einer Neuordnung in einem künftigen Deutschland kaprizierten. Die Frage nach dem Handlungsspielraum zielt vor allem auf die Rolle der Besatzungsmächte, die es sich vorbehielten, den politischen und sozialökonomischen Freiraum deutscher Politiker der frühen Phase festzulegen, und die es sich auch angelegen sein ließen, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Gewiß, es stand den neugebildeten Parteien und Gewerkschaften allemal frei, eine Reihe von Konzeptionen und Gegen-konzeptionen zu entwickeln, sie zu diskutieren und sie schließlich auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Umsetzung freilich der doch nur politischen Diskussion über gesellschaftliche Strukturfragen in eine ganz konkrete Neuordnungspolitik war dann ein besatzungspolitisches Problem, da die alliierten Siegermächte in erster Linie — gleichsam selbst verordnet — für den strukturellen Gehalt des Wiederaufbaus verantwortlich zeichneten und ihrerseits durchaus ganz bestimmte ordnungspolitische Vorstellungen mitbrachten. Das enthielt sicher schon sattsam Konfliktpotential für Auseinandersetzungen zwischen den Alliierten einerseits und den Deutschen und Alliierten andererseits, wobei die Deutschen von vornherein und immer dann den schwächeren Part innehatten, wenn ihre Vorstellungen quer zur Konzeption der stärksten Besatzungsmacht standen. Wichtig war darüber hinaus, daß Deutschlandpolitik in den Westzonen nicht etwa als Politik in einem nach außen abgeschlossenen Bereich, lediglich als Maßnahme gegen einen geschlagenen Kriegsgegner betrieben wurde, sondern immer auch begriffen war als eine Politik im Ost-West-Konflikt. Das konnte für sozialökonomische Strukturveränderungen dann von Bedeutung werden, wenn solche Änderungen sich in die Nähe von Maßnahmen des Konfliktgegners rükken ließen, die als adäquat dem System der Unfreiheit plakatiert wurden.

Wenngleich Sozialdemokraten und Gewerkschafter spätestens 1947/48 — übrigens schon zuvor 1920 — erfahren haben, daß es offensichtlich nicht nur politisch, sondern auch von der konkreten Ausgestaltung her schwierig war Sozialisierungsvorhaben umzusetzen, so haben beide Gruppierungen doch weit über die ersten Nachkriegsjahre hinaus bis in die Zeit der Bundesrepublik hinein Sozialisierung und Mitbestimmung für die wesentlichen Pfeiler sozialökonomischer Strukturveränderung gehalten. Was sagte doch Hans Böckler auf dem ersten Kongreß der Gewerkschaften seiner Zone?: „Der Kapitalismus liegt in seinen letzten Zügen ... Wir haben nicht mehr den alten Klassengegner uns gegenüber ... Welches Wirtschaftssystem erhalten wir? Verstaatlichung auf der ganzen Linie oder ausschlaggebend genossenschaftliche Betriebsformen.“ Vor allem Berg-und Stahlarbeiter haben diese Forderung niemals von ihrer Tagesordnung gestrichen. Der Ruf nach Mitbestimmung, die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung gleichermaßen meinte und durchaus schon auf eine lange Geschichte zurückschauen konnte, erhielt unmittelbar nach 1945 im gleichen Maße wie die Forderung nach Sozialisierung einen über die historische Traditionalität hinausgehenden politischen Zug, der aus der Erfahrung des Hitler-Regimes schöpfte. So galten eben die Unternehmer als disqualifizierte Klasse, insofern sie sich als Steigbügelhalter des Nazismus, Feinde der Demokratie und imperialistische Kriegstreiber bezeugt hatten. Es war erforderlich, daß auch die Arbeiter in den Aufsichtsräten Patz nahmen, um Wiederholungen zu vermeiden. Diesem politisch motivierten Anspruch fügten die Gewerkschaftler die Erfordernisse der miserablen Versorgungslage hinzu. Sie hielten gerade unter diesem Aspekt der Mangellage eine Mitsprache der Gewerkschaften im Produktions-und Distributionssektor für unerläßlich

Die Verfechter einer Sozialisierung hatten nun, wenn sie in der britischen Besatzungszone wohnten, durchaus Grund, sich günstige Perspektiven auszurechnen, als im Juli 1945 die Regierung Churchill abgewählt wurde und die Regierung Attlee an ihre Stelle trat. Denn noch im Dezember 1944 hatte sich die Labour Party in Programm und Manifest dafür ausgesprochen, daß Sozialismus national und international einzuführen war. Die Ziele lauteten: Schutz vor und Garantie gegen Krieg, Schutz gegen Niederlagen, Kampf der Arbeitslosigkeit, der Armut und den anderen Formen wirtschaftlicher Not, Kampf gegen Faschismus und ähnliche Arten politischer Unterdrükkung. Das endete mit dem Schlußsatz: „To each of these aims socialism is a fundamental necessity.“ Für den spezifisch wirtschaftspolitischen Bereich trat der im Labour-Denken stark entwikkelte Effizienzgesichtspunkt hinzu, nach dem optimale Nutzung und Rentabilität wirtschaftlicher Kapazitäten in einer sozialisierten Industrie am ehesten garantiert erschienen.

Sicherlich ist die Formelhaftigkeit der allgemeinen Zielsetzung nicht zu übersehen, aber festzuhalten bleibt auch, daß sich die Briten im Kriegs-und Nachkriegsdeutschland nach eigenem Verständnis einer Symbiose von Kapitalismus und aggressivem Nationalismus gegenüber zu sehen glaubten, den Abbau des Aggressionspotentials sich zur Aufgabe machten und einen politisch und wirtschaftlich sinnvollen Neuaufbau in Angriff nehmen wollten. Das heißt auch: Wenn irgendwo die Formeln von Sicherheit und wirtschaftlicher Effizienz ihren Sinn oder Anwendungsbereich hatten, dann sicher im besetzten Deutschland. Mentale Prädispositionen durften bei Labour-Leuten also sehr wohl vermutet werden, zumal sozialökonomische Strukturveränderungen zum immer wieder neu wiederholten Repertoire der europäischen Linken zählten. Für deutsche Sozialdemokraten und Gewerkschaftler war somit Hoffnung am Platze und nicht Konflikt vorprogrammiert — bei allem Pragmatismus von Labour. -Leuten —, gab es doch eine deutliche Übereinstimmung, wenn von einer nachweislichen Interessenidentität von Schwerindustrie und faschistischem Machtapparat die Rede war. Und sicher zeugt auch Bevins positive Reaktion auf die Sozialisierungsforderungen der deutschen Bergarbeiter im Herbst 1945 von einer gleichsam intimen Übereinstimmung zwischen deutschen und britischen Arbeitervertretern.

Gerade in diesem Arbeitsfeld — Wandel der Eigentumsordnung im Montan-und Chemiebereich also — scheinen durch weitgehende Konvergenz der Denkvoraussetzungen Bedingungen vorgelegen zu haben, die das Verhältnis von Besatzungsmacht und besetztem Land, verstanden als Beziehung des Befehls-und Auftragsempfangs, zugunsten einer Koalition und Partizipation hätten durchbrechen können. Die britische Besatzungsmacht hat tatsächlich diesen Weg beschritten; von ihr ging im Zusammenspiel mit dem Foreign Office die Initiative zur Sozialisierung der Schwerindustrie und des Bergbaus aus. Das ist hier nicht im einzelnen darzustellen. Festzuhalten bleibt, daß die britischen Besatzungsbehörden und ihre Londoner Instanzen kein großes ideologisch verbrämtes Brimborium veranstalteten, aber dafür auf eine Reihe von Schwierigkeiten stießen, die die ganze Problematik einer Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse in diesem Wirtschaftssektor und unter den gegebenen Umständen aufweisen. Davon ist hier einiges zu nennen, einfach um klarzumachen, welchen Schwierigkeiten sich „gesellschaftspolitische Weichenstellungen“ gegenüber sahen. Völlig unbestritten blieb bei allen britischen Instanzen der Gedanke von der hohen Effizienz einer sozialisierten Industrie — eine Effizienz, die sich für die Briten aus der Organisationsform schlechthin ergab, und weil zu vermuten stand, daß sich die Leistungsbereitschaft der Arbeiter an Rhein und Ruhr verstärken werde, wenn man eben nicht mehr als einfacher Lohhabhängiger, sondern als Eigentümer ans Werk gehe.

Komplizierter gestaltete sich schon das mit der Sozialisierung verbundene Sicherheitsdenken. Da mochte zwar anerkanntermaßen in der Sozialisierung an sich ein Sicherheitswert liegen, frühe Überlegungen jedoch, die wirtschaftlichen Kompetenzen für eine sozialisierte Wirtschaft in die Hand einer einzigen Zentralregierung zu legen, verfielen der Ablehung angesichts des nun einmal augenfälligen Aggressionscharakters der Deutschen. Das heißt, die allgemeine These von Sicherheit durch die Sozialisierung wirtschaftlicher Machtpositionen wurde für den Fall Deutschland im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit unterlaufen. Für Deutschland hieß Zentralisierung wirtschaftlicher Macht offensichtlich auch Zentralisierung politischer Macht und damit Erhöhung der Aggressionsgefahren. Das verbot sich in Deutschland auch darum, weil die Gefahr drohte, daß Kommunisten einmal die Zentrale beherrschen würden. Eine Regelung auf zonaler Ebene dagegen widersprach dem Effizienzdenken, da die Zone nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zugeschnitten war. Blieb also die Länder-lösung, die am ehesten auch dem aus sicherheitspolitischen Erwägungen angestrebten föderativen Aufbau entsprach. Die Konzentration hier auf das Land Nordrhein-Westfalen diente schließlich dazu, eine feste sozialdemokratische Basis in einer Region zu schaffen, in der die Sowjetunion immer noch ein Mitspracherecht haben wollte.

Es ist von Anfang an die Absicht der britischen Politiker gewesen, die Sozialisierung in Zusammenarbeit mit den deutschen Politikern durchzuführen. So kam es auch seit Januar 1947 zu intensiv geführten Gesprächen mit Vertretern der Sozialdemokratie und der Christlich-Demokratischen Union, Gespräche, bei denen auch Adenauer hinzugezogen wurde. Die Gesprächsergebnisse deuten darauf hin, daß es zu einer gelungenen Kooperation kommen konnte, wobei den Deutschen immer mehr die Initiative zugeschoben werden sollte. Aber da waren noch andere Dinge zu klären, etwa die Frage der Entschädigung für ausländische Kapitalbeteiligungen in der Rhein-Ruhr-Industrie. Sowohl die zur Auflistung der Beteiligungen aufgeforderten Benelux-Länder als auch Frankreich ließen recht lange auf eine Antwort warten. Dies alles bedeutete eine erhebliche Verzögerung, die sich gleichsam in einen abschlägigen Bescheid umwandelte, als die Amerikaner aktiv wurden. Es ist einfach festzuhalten, daß die Sozialisierungsvorhaben der Briten und der Deutschen am amerikanischen Einspruch scheiterten. Die amerikanische Opposition kam nicht unerwartet, und sie nahm an Gewicht und Bedeutung in dem Maße zu, in dem sich die britische finanzielle Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten manifestierte. Mit der Verkündung des Marshall-Plans im Juni 1947 und mit der Washingtoner Kohlenkonferenz vom August eben jenes Jahres traten marktwirtschaftliche Ordnungsprinzipien und der damit verbundene Glaube an die Effizienz privatwirtschaftlichen Managements den Sozialisierungsbestrebungen entgegen. Wenn man noch dazu weiß, daß sich jetzt auch deutliches amerikanisches Erwerbs-und Investitionsinteresse an der Ruhrindustrie offenbarte, dann wird deutlich, wie weit man von der Sozialisierung entfernt war, weil eben mit der amerikanischen Vorstellung von einer marktwirtschaftlichen Ordnung das Prinzip politischer Freiheit verbunden wurde. Solche Freiheit konnte nach amerikanischer Konzeption eben nur auf dem Boden freier marktwirtschaftlicher Ordnung gedeihen. Die Tatsache, daß es im amerikanischen State Department Stimmen gab, die die Sozialisierung durchaus der deutschen Entscheidungskompetenz überlassen wollten, änderte nichts an diesem Ergebnis.

Es zeigte sich auch in der Diskussion in der Besatzungszone, daß die Amerikaner ganz andere Denkvoraussetzungen im Hinblick auf wirtschaftliche Effizienz bewiesen. Während die Briten an eine erhöhte Leistungsbereitschaft der Arbeiterschaft im Falle der Sozialisierung glaubten, vertraten die Amerikaner die Ansicht, daß eben der privaten Unternehmerschaft Anreize zur Produktionserhöhung gegeben werden müßten. Sehr zum Unwillen des Foreign Office wies Clay die deutschen Parteien auf einer Pressekonferenz im August 1947 an, das politische Feld der Sozialisierung ruhenzulassen und sich an den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu begeben. Joe Keenan, intimer Berater General Clays, ging da schon grober zu Werk, indem er dem Hamburger Bürgermeister Max Brauer und dem Gewerkschaftsführer Kummernuß mit einer Verminderung der amerikanischen Nahrungsmitteleinfuhr drohte, falls die Vorschläge der Amerikaner nicht akzeptiert werden sollten. Das war die reine Erpressung und wurde im Foreign Office auch als solche empfunden. Es war natürlich recht eigentümlich, wenn eine Besatzungsmacht, die Begriffe wie Demokratie und Liberalität sehr hoch vor sich hertrug, in so wesentlichen Fragen, wie es sicher die sozialökonomische Struktur war, einfach die Entscheidungskompetenz der Deutschen bestritt. Möglicherweise haben die Amerikaner das auch so empfunden. Sie halfen sich aus dieser Widersprüchlichkeit, indem sie die Sozialisierung nicht ad acta gelegt sehen wollten, sondern nur auf-schoben für fünf Jahre, dann aber mit dem deutlichen Hintergedanken, daß nach dieser Zeit kein Mensch mehr nach Sozialisierung rufen werde, weil die Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Ordnung sich bis dahin deutlich gezeigt habe. Daß man einer künftigen deutschen Zentralregierung die endgültige Entscheidung dabei überlassen wollte, widersprach wiederum dem föderativen Prinzip, dem man in allen anderen Fragen durchaus huldigte.

Die Deutschen und die Briten haben sich dem amerikanischen Diktum fügen müssen, ja, praktisch ist es so, daß sich die Frage nach dem Handlungsspielraum der Deutschen recht eigentlich zur Frage nach den Möglichkeiten der Briten erweitert. Für beide gab es ihn nicht. Zwar gingen die Deutschen den vorgeschriebenen parlamentarischen Weg, brachten ihr Anliegen in eine demokratisch gewählte Versammlung, am Ende aber stand das britische Veto. Das heißt, jene, die alles inszeniert hatten, opponierten nun und düpierten jene, die mitziehen wollten. Und bei den außer-parlamentarischen Gruppen, den Gewerkschaften, war es gleich klar, daß Wiederaufbau mit Marshall-Hilfe und Neugestaltung der sozialökonomischen Struktur kaum in einem Zug zu haben waren. Sie haben sich für die Annahme des Marshall-Plans ausgesprochen, wohl wissend, daß dies eine Negativkondition für die Sozialisierung war. Es mochte dann etwas überspitzt klingen, aber möglicherweise gibt es doch die Stimmung jener Zeit wieder, wenn Hans Böckler die Alternative vortrug, man werde entweder die Sozialisierung preisgeben oder aber verhungern müssen

In diesem Zusammenhang taucht die Frage nach den Möglichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung zur Durchsetzung solcher Ziele auf. Vor Jahren hat Eberhard Schmidt die These aufgestellt, es sei Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern an-zulasten, daß sie es versäumt hätten, ihre Anhängerschaft über den wahren Charakter des Marshall-Plans aufzuklären und schließlich die Massen für die Sozialisierung auf die Straße zu bringen. Hier ist dem entgegenzuhalten, daß die von den Propagandisten des Marshall-Plans vorgetragene These, Kapitalinvestitionen würden zu einem raschen Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft führen, gerade in Zeiten empfindlicher Mangellage einen hohen Grad an Plausibilität hatte. Und gerade diese Mangellage läßt es fraglich erscheinen, ob man unter den gegebenen Zeit-umständen die Masse auf die Straße bringen konnte, wenn es zunächst einmal darum ging, das tägliche Leben zu fristen. Der Wandel von der Strukturveränderung zur Produktionserhöhung erhielt dann noch besonderen Antrieb, wenn für erhöhte Leistungsbereitschaft auch besondere Anreize bereitgestellt wurden, die sogenannter „incentives”. Die Gewerkschaftsführung hat das durchaus gesehen, lebte auch in Verantwortlichkeit gegenüber ihren Mitgliedern, die unter miserablen Bedingungen arbeiteten und die vermutlich eine Diskussion über Sozialisierung unter den gegebenen Umständen eher als ein Fernziel zu betrachten in der Lage waren. Böcklers Alternative: Verhungern oder Preisgabe der Sozialisierung hatte da schon ihren Hintergrund. Darüber hinaus ist noch darauf hinzuweisen, daß man zwar leicht-hin von der Notwendigkeit zu Sozialisierung reden konnte, die konkrete Durchführung der Vorhaben aber offensichtlich auch aufdeutscher Seite erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Die Fragen nach Trägerschaft, Kompetenzen, Rolle des Plans usw. sind in jener Phase zwar eifrig erörtert worden, von einer Lösung des Problems war man jedoch noch weit entfernt.

II.

Anders verlief die Entwicklung bei der Mitbestimmung, bei einem Thema, das seit den zwanziger Jahren schon höchst intensiv diskutiert und dann in der Emigration unter der Überschrift „Betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung“ an der Spitze der gewerkschaftlichen Wunschliste für die Nachkriegszeit gestanden hatte. Selbst Widerstandsgruppen wie der Kreisauer Kreis hatten für die Nach-Hitler-Periode die „wirksame Mitverantwortung eines jeden an dem Betrieb und darüber hinaus an dem allgemeinen Wirtschaftszusammenhang“ vorgesehen. Es will selbst scheinen, als ob in den Jahren ab 1945 die wirtschaftliche Mitbestimmung bis hin zu Gesetzen von 1951 und 1952 einen höheren Rang eingenommen habe als die zur gleichen Zeit vorgetragene Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Jedenfalls hat es schon sehr frühzeitig zur Durchsetzung dieser wirtschaftlichen Mitbestimmung eine Reihe von Streiks in einzelnen Betrieben in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gegeben.

Die Thematik konzentrierte sich in der ersten Nachkriegsphase auf die wirtschaftliche Mitbestimmung der Betriebsräte und auf die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie. Die Alliierten wurden mit diesem Wunsch voll konfrontiert. Sie konnten solchem Verlangen nicht ausweichen, selbst wenn wirtschaftliche Mitbestimmung, betriebliche oder überbetriebliche, kaum zu den bekannten Äußerungsformen der Demokratie im eigenen Land zählte. Schließlich gehörte doch Wiedereinführung demokratischer Lebensformen zu den erklärten Zielen der alliierten Sieger, und bei aller Skepsis, die man anfänglich, 1945 noch, gegenüber der politischen Qualität der organisierten Arbeiterbewegung oder gegenüber der Bewußtseinslage von Arbeitern nach zwölfjähriger Diktatur auch hegte — an der Arbeiterschaft als einem wesentlich demokratischen Potential ließ sich kaum vorübergehen. Wie auf der einen Seite nun festzuhalten ist, daß es den Gewerkschaften in erster Linie darauf ankam, für die Betriebsräte auch das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht durchzusetzen, war dies für die alliierte Seite genau der Punkt, dem man nicht ohne weiteres zuzustimmen vermochte. Es zeigte sich hier vor allem auf amerikanischer Seite, daß der Demokratiebegriff in erster Linie auf Politik zielte und dort seine Begrenzungen erfuhr, wo er in die Nähe des eigentumsgebundenen Kompetenzbereiches führte.

Dies läßt sich nachweisen anhand der Meinungsverschiedenheiten bei der Auslegung von Artikel 5 des Kontrollratsgesetzes Nr. 22 über Betriebsräte vor allem im Zusammenhang mit Artikel 37 der Hessischen Verfassung, der ein wirtschaftliches Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte vorsah. Clay war der Mann, der auf die Barrikaden ging, als es darauf ankam, den Artikel 37 in einem Ausführungsgesetz genauer festzuschreiben. Clay konnte so gar keinen Sinn für eine Beschneidung von Kompetenzen entwickeln, die sich schlicht aus dem Eigentum ergaben. Dazu trat, daß gerade über die Betriebsräte ungebührlicher kommunistischer Einfluß befürchtet wurde. Es hat um dieses Gesetz im Zusammenhang mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 22 eine Reihe von amerikanischen Eiertänzen gegeben, die sehr genau die Grenzen des Demokratieverständnisses aufzeigten. Es kam hier auch zu Auseinandersetzungen zwischen dem amerikanischen State Department und der Militärregierung unter Clay, bei der es letztlich auch, wie das State Department es formulierte, um die amerikanische Glaubwürdigkeit ging. Die Argumentation ist hier im einzelnen nicht aufzuzeigen. Es sei lediglich festgestellt, daß sich Clay schließlich doch hat durchsetzen können, insofern die wirtschaftliche Mitbestimmung im Betriebsrätegesetz der Hessen suspendiert wurde. Mit dieser Suspension waren letztlich auch die Zeichen für die weitere Entwicklung gestellt, denn das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 schloß wirtschaftliche Mitbestimmung aus Hinzugefügt sei, daß Briten und Amerikaner in der Sozialisierungsfrage gegenteilige Ansichten verfechten mochten, im Bereich Mitbestimmung freilich konnte durchaus von Harmonie der Ansichten gesprochen werden. Solche Vorabentscheidungen gab es auch im Eisen-und Stahl-und damit im gesamten Montanbereich, d. h. hier, speziell für die britische Zone. Paritätische Mitbestimmung in diesem Industriesektor entwickelte sich praktisch aus der ersten Durchführung der Potsdamer Bestimmungen über die Entflechtung der deutschen Industrie. Die deutschen Manager sahen hier „lebensgefährliche Amputationen“ sich vollziehen und riefen ihrerseits die Gewerkschaften auf den Plan, die bei der Abwehr der schlimmsten Konsequenzen helfen sollten.

Wie schon zuvor im Dezember 1945 wurde nunmehr fast ein Jahr später erneut von Unternehmerseite das Angebot einer gleichberechtigten Mitbestimmung in der Montanindustrie vorgetragen. Die Gewerkschaften teilten zwar z. T. die von den Unternehmern bedauerte Unzuträglichkeit der Entflechtungsmaßnahmen, waren aber dennoch zur Mitarbeit an der Entflechtung bereit, da sich für sie hier die Möglichkeit zu einer grundlegenden Neuordnung der Wirtschaft bot. Darüber hinaus freilich hatten sie gar keinen Grund, auf den von den Unternehmern vorgeschlagenen Handel einzugehen, weil die britische Militärregierung schon die Gewerkschaften für die Entflechtungsarbeit herangezogen und gleichzeitig die Erfüllung von Mitbestimmungsforderungen zugesagt hatte. Die britische Militärregierung ging diesen Schritt, da nicht nur ein Teil der deutschen Manager diskreditiert war, sondern weil sie auch ein Interesse an einer raschen Ingangsetzung und Steigerung der Produktion hatte. Das konnte aber nur dann erreicht werden, wenn es gelang, durch radikale Arbeiter an der betrieblichen Basis verursachte Störungen des Produktionsablaufs zu verhindern. Die Beteiligung der Beschäftigten und ihrer gewerkschaftlichen Vertreter an der Kontrolle und Leitung der Betriebe schien geeignet, radikalen Strömungen an der Basis das Wasser abzugraben. So gestand die britische Militärregierung den Gewerkschaften die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte zu. Ferner wurde im Vorstand der Unternehmen der Posten eines Arbeitsdirektors geschaffen, der nur mit Zustimmung der Gewerkschaften besetzt werden konnte.

Dieses durch eine Vereinbarung der britischen Militärregierung mit deutschen Gewerkschaftsfunktionären 1947 eingeführte Mitbestimmungsmodell bildete die Grundlage für das dann im April 1951 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz über die Montanmitbestimmung. Hier nun sollte betont werden, daß den Gewerkschaften angesichts einer nach Marshallplan, Währungsreform und schließlich Gründung der Bundesrepublik eher auf Restauration als auf Reform getrimmten Stimmung noch ein konfliktreicher Weg bevorstand. Abgesehen von der Kampfbereitschaft der Gewerkschaften für die Wahrung des Bestandes und eine Ausdehnung des paritätischen Modells auf den gesamten Montanbereich, ist zu sagen, daß sich das endgültige Ergebnis als Folge einer Do-ut-des-Politik darstellt: Die Bundesregierung brauchte die Gewerkschaften, um eine Einheitsfront gegen allzu weitgehende Entflechtungsvorhaben der Alliierten zu bilden und mit diesem Druckmittel möglicherweise gar die Verhandlungen um die Montanunion scheitern zu lassen. Die Gewerkschaften ihrerseits versprachen, die Forderung nach paritätischer Montanmitbestimmung auf die anderen Industriezweige zurückzustellen und die Frage der Eigentumsregelung sowie der überbetrieblichen Mitbestimmung auszuklammern. Daß die Zustimmung der Gewerkschaften zu einem deutschen Wehrbeitrag die Verhandlungsgrundlage verbessert hat, ist anzunehmen

Mit dem Gesetz über die Montanmitbestimmung und schließlich mit dem Betriebsverfassungsgesetz war die sozialökonomische Neuordnungsphase in der Bundesrepublik abgeschlossen. Gemessen an dem, was in den Jahren des Widerstandes, der Emigration und eben auch in der ersten Nachkriegsphase gefordert worden war, war es sicherlich nur ein Teilerfolg. Die Frage lautet, ob mehr erreicht werden konnte. Eberhard Schmidt spricht von einem Mangel an antikapitalistischer Strategie. Das ist leicht gesagt. Vielmehr will es scheinen, daß sich Neuordnungsvorstellungen vor allem dann nicht gegen die Politik der stärksten Besatzungsmacht, die Vereinigten Staaten, durchsetzen ließen, wenn diese den Ordnungsvorsteilungen der Besatzungsmacht diametral entgegenstanden und wenn mit zunehmender Verschärfung des Ost-West-Konflikts solche Neuordnungsvorstellungen in die Nähe von Maßnahmen des weltpolitischen Gegners rückten. Ein Weiteres: Die Neuordnungsvorstellungen, die Neuerungscharakter hatten, standen in deutlicher Konkurrenz zu einer angesichts der eingangs beschriebenen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung unmittelbar notwendigen Produktionserhöhung, und es war so erstaunlich nicht, daß sie gegenüber solcher Erhöhung nur nachrangige Bedeutung hatten. Das heißt, es war von daher schon schwierig, ihnen von der Basis her den nötigen Nachdruck zu verleihen. Das hier Gesagte gilt vor allem für die Sozialisierung. Im Mitbestimmungsbereich liegt die Situation anders. Hier kam der Teilerfolg zustande, nicht nur, weil der gesamte Bereich einen viel unmittelbare-ren Bezug zum Arbeitsplatz hatte, sondern weil anfänglich die Gewerkschaften als Verfechter dieses Gedankens sowohl von den Militärregierungen als auch von dem alten Management ge-braucht wurden. Es blieb aber bei einem Teilerfolg, weil sich spätestens ab 1948 auch jene Kräfte der deutschen Gesellschaft wieder erholten, die zuvor im Hinblick auf ihre Vergangenheit als diskreditiert angesehen wurden. Das heißt, mit der Wiedereinführung der politischen Demokratie und der wachsenden Entfernung von der politischen Vergangenheit mußte sich die Unbedingtheit der Neuordnungsvorstellungen schließlich mit einem Kompromiß begnügen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur „Mangelexistenz“ und ihren Konsequenzen s. im Überblick Ch. Kießmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945— 1955, Göttingen 1982, S. 37— 65.

  2. Zur Sozialdemokratie und hier vor allem auch zur Rolle Schumachers s. K. Klotzbach, Der Weg zur Staatspartei. Programmatik, praktische Politik und Organisation der deutschen Sozialdemokratie 1945 bis 1965, Berlin-Bonn 1982; in unserem Zusammenhang das 1. Kapitel. Auf die Angabe älterer Literatur wird hier verzichtet. Zur Frage sozialdemokratischer Konzeptionen, soweit sie in der Emigration entwickelt wurden, s. W. Röder, Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien 1940— 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung (B. Historisch-politische Schriften), Hannover 1968, u. K. Misgeld, Die „Internationale Gruppe demokratischer Sozialisten in Stockholm“ 1942— 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 126, Bonn-Bad Godesberg 1976. Zu R. Hilferding vgl. H. Lade-macher, Gewalt der Legalität oder Legalität der Gewalt. Zur Theorie und Politik der SPD von Kiel (1927) bis Prag (1934), in: Frieden, Gewalt, Sozialismus. Studien zur Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung, hrsg. v. W. Huber u. J. Schwerdtfeger. Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Bd. 32, S. 404— 460.

  3. Zur Christlich-Demokratischen Union ist gerade für die frühe Entwicklung heranzuziehen A. R. L. Gurland, Die CDU/CSU. Ursprünge und Entwicklung bis 1953, hrsg. v. D. Emig, Frankfurt 1980; hinzuzufügen sind die beiden Arbeiten des Mitbegründers Leo Schwering, Vorgeschichte und Entstehung der CDU, Köln 1952, und: Frühgeschichte der Christlich-Demokratischen Union, Recklinghausen 1963. Die Walberberg-Zitate bei Gurland, S. 102 und 106. Zur Haltung von W. Dirks s.dessen Aufsatz „Die Zweite Republik“, in: Frankfurter Hefte, (1946) I, S. 12— 24, hier S. 17.

  4. Vgl. dazu H. P. Ehni, Sozialistische Neubau-forderung und Proklamation des „Dritten Weges“. Richtungen sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik 1945— 1947, in: Archiv für Sozialgeschichte, XIII, S. 131— 190.

  5. Zitat angeführt bei E. Schmidt, Die verhinderte Neuordnung 1945— 1952, Frankfurt 19712), S. 68.

  6. Dazu NA Washington, RG 84. Murphy. Synopsis von L. A. Wiesner, Political Aspects of Trade Unions in the U. S. Zone of Germany, June-July 1946.

  7. Zur britischen Sozialisierungspolitik s. H. Lademacher, Die britische Sozialisierungspolitik im Rhein-Ruhr-Raum 1945— 1948, in: Deutschlandpolitik Großbritanniens und die britische Zone 1945— 1949, hrsg. v. C. Scharf u. H. -J. Schröder, Wiesbaden 1979, S. 51— 92. Kontrovers dazu, insofern amerikanische Liberalität in der Sozialisierungsfrage betont wird, D. Winkler, Die amerikanische Sozialisierungspolitik in Deutschland 1945— 1948, in: H. A. Winkler (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945— 1953, Göttingen 1979, S. 88— 110.

  8. Zur Betriebsräte-Problematik s. zunächst Ch. Kleßmann, Betriebsräte und Gewerkschaften in Deutschland 1945— 1952, in: H. A. Winkler (Anm. 8), S. 44— 73. Zur hessischen Problematik neuerdings W. Mühlhausen, Hessen 1945— 1950. Zur politischen Geschichte eines Landes in der Besatzungszeit, Frankfurt 1985, Kap. VI.

  9. Zur Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung sei neben dem in Anm. 6 genannten E. Schmidt vor allem hingewiesen auf H. Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften, Stuttgart 1982, sowie auf die mit einer ausführlichen Einleitung versehenen Edition von G. Müller-List, Montanmitbestimmung. Das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951. Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Düsseldorf 1984.

Weitere Inhalte

Horst Lademacher, Dr. phil., geb. 1931; Professor für neuere und neueste Geschichte an der Gesamthochschule Kassel. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Gewerkschaften im Ost-West-Konflikt. Die Politik der American Federation of Labor nach dem II. Weltkrieg, Melsungen 1982; Die britische Sozialisierungspolitik im Rhein-Ruhr-Raum, in: J. Foschepoth/R. Steininger (Hrsg.), Britische Deutschland-und Besatzungspolitik 1945— 1949, Paderborn 1985; (Hrsg, mit W. Mühlhausen), Sicherheit, Kontrolle, Souveränität. Das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949. Eine Dokumentation, Melsungen 1985.