Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die deutschlandpolitischen Hauptziele der Siegermächte im Zweiten Weltkrieg | APuZ 13/1985 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 13/1985 Artikel 1 Zur Lage der Nation: Deutschland im Mai 1945 Die deutschlandpolitischen Hauptziele der Siegermächte im Zweiten Weltkrieg Nationalsozialismus — ein deutscher Faschismus?

Die deutschlandpolitischen Hauptziele der Siegermächte im Zweiten Weltkrieg

Albrecht Tyrell

/ 42 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Hauptkriegsziel der Mächte der Anti-Hitler-Koalition in Europa war die „vollständige Niederlage Deutschlands". Die „bedingungslose Kapitulation" sollte ihnen volle Handlungsfreiheit für die Eingriffe sichern, durch die Deutschland dauerhaft entmachtet und als Friedensrisiko ausgeschaltet werden sollte. Bemühungen, diesen. Rahmen noch während des Krieges durch Vereinbarungen über die Inhalte einer gemeinsamen Deutschlandpolitik auszufüllen, blieben weitgehend fruchtlos, und dies nicht nur, weil die Zielvorstellungen erheblich voneinander abwichen. Die Briten vermochten es nicht, ihre Grund-konzeption — die Wiedereingliederung eines durch maßvolle politische und wirtschaftliche Eingriffe geschwächten Deutschland in das politische Leben Europas — vor Kriegsende zu einem konkreten Deutschlandprogramm zu verdichten. In Washington blockierten seit Morgenthaus Auftreten im August 1944 der deutschlandpolitische Grundsatzkonflikt zwischen Außen-, Finanz-und Kriegsministerium und die Vertagungspolitik des Präsidenten Roosevelt klare Entscheidungen. Die Provisorische Französische Regierung brachte ihre noch nicht näher spezifizierte Hauptforderung nach einem Sonderstatus für das Rhein-Ruhr-Gebiet vor Kriegsende niemals offiziell in den interalliierten Verhandlungsprozeß ein. Am eindeutigsten war noch das Programm, das die Sowjetregierung in Jalta präsentierte: eine politisch-wirtschaftliche Doppelsicherung aus staatlicher Teilung einerseits und wirtschaftlicher Schwächung andererseits, ergänzt durch eine innere Umgestaltung in antifaschistisch-demokratischem Sinne.

I. Der gemeinsame Nenner: Bedingungslose Kapitulation

Die elftägige Konferenz, die Roosevelt und Churchill nach der Eroberung Französisch-Nordafrikas im Januar 1943 im marokkanischen Casablanca abhielten, war durch die jüngsten Erfolge der Alliierten im Kampf gegen die Achsenmächte notwendig geworden. In ihrem Mittelpunkt standen deshalb Entscheidungen über die Strategie der nächsten Monate. Stalin war ebenfalls eingeladen worden, nahm an der Konferenz aber nicht teil, weil er Moskau während der Schlacht um Stalingrad nicht verlassen wollte.

Während der gemeinsamen Pressekonferenz zum Abschluß des Treffens ging Roosevelt auch auf die Kriegsziele der Alliierten ein. Er sagte, der Frieden könne nach allgemeiner Auffassung „nur durch die vollständige Beseitigung der deutschen und der japanischen Kriegsmacht herbeigeführt werden ... Die Beseitigung der deutschen, japanischen und italienischen Kriegsmacht bedeutet die bedingungslose Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans. Sie bedeutet eine angemessene Garantie des zukünftigen Friedens in der Welt. Sie bedeutet nicht die Vernichtung der Bevölkerung Deutschlands, Italiens oder Japans, aber sie bedeutet die Zerstörung derjenigen Weltanschauungen in diesen Ländern, die auf Eroberung und auf der Unterjochung anderer Völker beruhen."

Die Genesis von Roosevelts Forderung, die in ihrer provokativen Zuspitzung auf die Zeitgenossen überraschender wirkte, als es der Sache nach eigentlich berechtigt war, ist in-zwischen weitgehend erforscht worden Man weiß, daß der Präsident sie nicht improvisiert formulierte, sondern daß er selbst den Begriff „unconditional surrender" bereits in den Wochen zuvor zur Beschreibung seines allgemeinen Hauptkriegsziels benutzt hatte.

Für die britische Regierung stellte die Zustimmung zu der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation ebenfalls keinen Bruch mit ihren bisherigen Kriegszielvorstellungen gegenüber Deutschland und seinen Verbündeten dar. Churchill und Eden hatten seit 1940 die „vollständige Niederlage Deutschlands" als Ziel der britischen Kriegführung herausgestellt und die Notwendigkeit von sicherheitspolitischen Eingriffen der Sieger in die innere Struktur des deutschen Staates betont. In der Atlantik-Charta war 1941 die „endgültige Zerstörung der Nazi-Tyrannei" verlangt worden, und die Unterzeichner der Erklärung der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 hatten die Forderung nach dem „vollständigen Sieg" über Deutschland, Italien und Japan erhoben. Am 2. Dezember 1942 hatte Eden im Unterhaus gerade noch einmal darauf hingewiesen, daß es nicht damit getan sein würde, die Regierung Hitler zu beseitigen. „Es wäre reine Torheit, eine nicht-nationalsozialistische Regierung entstehen zu lassen und dann sozusagen auf das Glück zu vertrauen. Die Ausrottung der alten falschen Götter wird eine langwierige und mühsame Arbeit sein, aber sie muß vollbracht werden."

Die Verfechter der „unconditional surrender" -Forderung sind nach dem Krieg dafür kritisiert worden, daß sie mit ihrer „psychologisch äußerst ungeschickten" Formel den Hand-

Dieser Text enthält Auszüge aus einer umfassenden Arbeit des Verfassers, die im Sommer 1985 unter dem Titel „Großbritannien und die Deutschlandplanung der Alliierten 1941— 1945" als Beiheft 2 zu den Dokumenten zur Deutschlandpolitik, hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, im Alfred Metzner Verlag Frankfurt a. M. erscheinen wird. lungsspielraum für ein flexibles Verhalten gegenüber Deutschland wesentlich eingeengt und dadurch vermutlich sogar den Krieg verlängert hätten, weil ihre Forderung dem Gegner keinen anderen Ausweg offengelassen habe, als bis zum bitteren Ende Widerstand zu leisten Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß die Forderung zum Zeitpunkt ihrer öffentlichen Proklamation aus der Sicht der Alliierten durchaus zeitgemäß erschien und nicht umstritten war. Die auf einen plakativen Nenner gebrachte Verdeutlichung des Hauptkriegsziels der Alliierten bildete den Höhepunkt und konsequenten Abschluß der allgemeinen Kriegszielerklärungen der Mächte der Anti-Hitler-Koalition. Auch Stalin unterstützte sie, soweit sie sich auf das NS-Regime bezog. Er bezeichnete in seinem Tagesbefehl an die Rote Armee vom 1. Mai 1943 „die völlige Zerschmetterung der Hitler-armeen und die bedingungslose Kapitulation Hitlerdeutschlands" als Grundvoraussetzung für den Frieden in Europa

Das bedeutsamste Motiv der Bekanntmachung, das länger und intensiver nachwirkte als ihre anderen Zwecke, enthüllt ihr kriegszielpolitischer Aspekt. Die mit der Forderung verbundenen Absichten standen in engem Zusammenhang mit der bisherigen Haltung zur Kriegszielfrage. Roosevelt und Churchill kam es einmal darauf an, daß die Alliierten allein, ohne Beeinträchtigung durch Forderungen seitens der Gegner, über die Art und Weise der Beendigung des Krieges bestimmen sollten, zum anderen aber auch darauf, daß sie sich volle Handlungsfreiheit für die Eingriffe wahrten, durch die Deutschland, Italien und Japan anschließend dauerhaft entmachtet werden sollten. Mit ihrer unwiderruflichen Absage an einen Kompromißfrieden mit den Achsenmächten zogen Roosevelt und Churchill bewußt die Konsequenz aus den Lehren der eigenen Vergangenheit. Am 5. November 1918 hatte die amerikanische Regierung im Namen der alliierten Mächte den Deutschen durch ihre Zusagen für den zukünftigen Frieden ein Argument geliefert, mit dem sie später propagandistisch wirkungsvoll gegen den Versailler Vertrag agitiert hatten. Diesen Fehler wollten sie nicht nochmals begehen. Auch sollten sich die politischen Fehlentwicklungen nicht wiederholen, zu denen es in Deutschland auch deshalb gekommen war, weil die alliierten Sicherheitsvorkehrungen unvollkommen gewesen und inkonsequent durchgeführt worden waren

Inhaltlich war das Prinzip der bedingungslosen Kapitulation — seiner äußerlichen Eindeutigkeit zum Trotz — weitgehend unbestimmt. Das war in dreifacher Hinsicht bedeutungsvoll. Mit der Verkündung des Tabularasa-Prinzips legten die Regierungschefs sich nicht gleichzeitig auch auf eine kompromißlos und unwandelbar destruktive Politik gegenüber den besiegten Gegnern fest. Eine entsprechende Einschränkung machte Roosevelt schon während der Bekanntgabe des Prinzips in Casablanca, wie aus dem vorhin zitierten Passus hervorgeht. Churchill interpretierte in öffentlichen Äußerungen die „unconditional surrender" -Forderung ebenfalls in diesem Sinne. Andererseits sagte die Formel selbst nichts darüber aus, wie die Alliierten diese General-klausel in und nach dem Krieg politisch ausfüllen wollten. Die Reservierung der Handlungsfreiheit konnte kein Ersatz für eine Festlegung des Inhalts der künftigen Politik der Siegermächte gegenüber den ehemaligen Feindstaaten sein. Diesen Mangel sah man im Foreign Office und im State Department sehr wohl. Beiden Ministerien lag deshalb daran, diesen Rahmen durch Vereinbarungen über eine gemeinsame Politik der Alliierten auszufüllen. Das spätere Scheitern dieser Bemühungen war im Januar 1943 noch keineswegs abzusehen. Allerdings mußten sie damit rechnen, daß Roosevelt und Churchill die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation auch dazu benutzen würden, um ihren bekannten Vorbehalten gegen eine detaillierte Planung für die künftige Behandlung der Feindländer während des Krieges Geltung zu verschaffen. Die fehlende inhaltliche Eindeutigkeit des Grundsatzes der bedingungslosen Kapitulation ließ bei aller äußerlichen Starrheit den Alliierten im übrigen genügend Spielraum, um im konkreten Fall flexibel handeln zu können. Roosevelt ging bezeichnenderweise in Casablanca nicht weiter darauf ein, wie die Kapitulation sich im Einzelfall vollziehen sollte. Churchill hatte schon im November 1941 im Kriegskabinett darauf hingewiesen, daß er sich durch die Existenz von Prinzipienerklärungen nicht daran hindern lassen wolle, durch eine Schwächung des Gegners eintretende günstige Gelegenheiten auszunutzen, um den Krieg zu beenden Und wenige Monate nach der Erklärung von Casablanca zeigte sich bei der Kapitulation Italiens und in der anschließenden Politik gegenüber diesem Land, daß aktuelle Überlegungen die Auslegung des Prinzips in starkem Maße beeinflußten. Dafür, daß der Krieg gegen Deutschland bis zum bitteren Ende weitergeführt wurde, waren deshalb in erster Linie nicht die Alliierten, sondern vielmehr Hitler verantwortlich, der nur noch die Selbstzerstörung kannte, nachdem die Weltmachtstellung unerreichbar geworden war. Unreflektierte Disziplin und Zwang bewirkten, daß ihm Wehrmacht und Bevölkerung folgten. Eine tatsächlich kriegsverlängernde Wirkung hatte die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation wohl nicht gehabt, wenn man aus der Rückschau urteilt. Während der Jahre 1943/44 war ihre Wirkung allerdings keineswegs so eindeutig festzustellen, und daraus erklärt es sich, daß sich angesichts des hartnäckigen Widerstands, den die Deutschen den Alliierten leisteten, in deren Lager verschiedentlich ein gewisses Unbehagen gegenüber der vermeintlichen Starrheit des Kapitulationsprinzips bemerkbar machte

Eine schwere Last bedeutete das „unconditional surrender" -Prinzip allerdings für die nichtkommunistische deutsche Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime. Aus ihrer Sicht versperrte es die Möglichkeit, von den Alliierten politische Zusicherungen für den Fall zu erhalten, daß sie Hitler beseitigten. Die alliierte Forderung nach vollständiger Entmilitarisierung der Feindstaaten richtete sich zudem gegen die Wehrmacht, die das einzige Instrument darstellte, mit dem Hitler und das NS-Regime von innen überwältigt werden konnten. Jedoch darf man zweierlei nicht übersehen. Die Hoffnungen der Oppositionsgruppen auf ein politisches Entgegenkommen der Westmächte waren tatsächlich schon längst illusorisch. Denn die britische Regierung als der Hauptadressat ihrer Kontaktbemühungen hielt sich aus nicht unverständlichen Gründen seit 1941 an Churchills Anweisung, auf Fühler von deutscher Seite mit „absolutem Schweigen" zu antworten Am 8. Mai 1942 ging Eden in einer Rede in Edinburgh auf Hitlers Drohrede vom 26. April vor dem Reichstag ein. Dabei unterstrich er erneut, daß das deutsche Volk um so stärker mitverantwortlich für die Politik Hitlers sei, die in die Katastrophe führe, je länger es das Regime unterstütze oder toleriere. Der Außenminister fügte als Mahnung an die deutsche Opposition hinzu: „Wenn irgendeine Gruppe im deutschen Volk wirklich zu einem deutschen Staatswesen zurückkehren möchte, das auf der Achtung vor dem Gesetz und vor den Rechten des einzelnen gegründet ist, dann muß sie verstehen, daß niemand ihr glauben wird, bis sie aktive Schritte unternommen hat, um sich von ihrem derzeitigen Regime zu befreien." Und tatsächlich ließen sich die entschlossensten Männer des Widerstands durch die alliierte Forderung nach bedingungsloser Kapitulation nicht von ihren Attentatsversuchen gegen Hitler abbringen, die aber alle scheiterten

II. Großbritannien

Das Hauptziel, das die britische Koalitionsregierung unter Winston S. Churchill zwischen 1940 und 1945 im Hinblick auf Deutschland verfolgte, bestand darin, in Kooperation mit anderen Mächten Europa dauerhafte Sicher-heit zu schaffen vor einem erneuten deutschen Versuch, den Kontinent zu beherrschen. Sicherheit wurde dabei nicht nur als Beseitigung der militärischen und wirtschaftlichen Faktoren der deutschen Macht verstanden. Der schon seit 1941 bestehende deutschlandpolitische Grundkonsens in der britischen Regierung umfaßte vielmehr auch die Absicht, Deutschland neben den Mitteln dazu auch das Interesse an Expansion auf Kosten seiner Nachbarn zu nehmen und ein politisch zu einer vertrauenswürdigen Demokratie geläutertes, friedenswirtschaftlich im europäischen wie im deutschen Interesse leistungsfähiges, international kooperationswilliges Deutschland in die Gemeinschaft der europäischen Staaten zu integrieren.

Die Übereinstimmung über die generelle Zielrichtung, der die britische Deutschlandpolitik folgen sollte, wurde bis zum Ende der Koalition aus Konservativen, Labour Party und Liberalen im Mai 1945 nicht nachhaltig in Frage gestellt. Sie beruhte auf dem zentralen Axiom britischer Sicherheitspolitik, wonach Großbritannien des Friedens und der politischen Stabilität auf dem europäischen Kontinent bedurfte, um möglichst viel von der — in ihrem Bestand durch innere und äußere Gefahren längst vor 1939, jetzt aber ganz akut bedrohten — Rolle als Welthandels-und Finanzmacht bewahren zu können, auf der in der Vergangenheit seine politische und ökonomische Stabilität wesentlich beruht hatte. Die Gefahren einer Überbeanspruchung der „Weltmacht im Niedergang“, die zur Appeasement-Politik geführt hatten, bestanden nicht nur weiter, sie wurden durch die kriegsbedingten Verluste in Handel und Finanzwesen noch dramatisch verschärft.

Da die Bedrohung — wie schon seit den dreißiger Jahren — in erster Linie vom Deutschen Reich ausging, mußten die Briten zwangsläufig ihr Augenmerk darauf richten, diesen Gefahrenherd unschädlich zu machen. Für den Entschluß, durch eine umsichtige, aber nicht rachsüchtige und auf Bestrafung abzielende Entmachtung Deutschlands die Voraussetzung für seine Wiedereinbeziehung in die europäische Gemeinschaft zu schaffen, gaben vor allem drei Motivgruppen den Ausschlag: politische Lehren aus der Vergangenheit, ökonomische Notwendigkeiten und das als Folge von Deutschlands Aggressionspolitik veränderte internationale Kräftefeld, in dem seit 1941/42 die Sowjetunion eine neue Rolle zu spielen begann. Unvergleichlich viel mehr als — zweifellos weit verbreitete und verschiedentlich auch in der amtlichen Deutschlandplanung wirksame — vansittartistische Klischees über den kriegerischen und autoritätshörigen Volkscharakter der Deutschen beeinflußten die praktischen Erfahrungen mit Versailles und Weimar die Zielbestimmung der britischen Deutschlandpolitik. Hier waren Fehler gemacht worden, aus denen man im eigenen Interesse lernen mußte und wollte. Den Planern und der politischen Führung in London standen zwei Erkenntnisse besonders vor Augen. Gefahren konnten nicht nur von politischer, militärischer und wirtschaftlicher Stärke, sondern mittelbar auch von innerer Instabilität in Deutschland ausgehen. Man mußte sich deshalb davor hüten, die Stabilisierung Deutschlands durch repressive Maßnahmen zu beeinträchtigen, die über das sicherheitspolitisch unerläßliche Maß hinausgingen. Starke Wirkung hinterließ in London darüber hinaus der Meinungswandel, der sich schon in den zwanziger Jahren in der Öffentlichkeit — nicht nur im eigenen Land — über das in Versailles beschlossene Sicherheitssystem vollzogen hatte.

Aus den Lehren, die man aus diesen Erkenntnissen zog, ergaben sich vier Kriterien: Die Maßnahmen, die man zum Schutz vor einer Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Expansionspolitik, aber auch zur Wiedergutmachung angerichteter Schäden treffen mußte, sollten praktisch durchführbar und in Bestand und Wirkung auf Dauer gewährleistet sein; deshalb sollten sie für die eigene Bevölkerung einsichtig sein, aber auch zu einer für die Deutschen auf längere Sicht akzeptablen Lebensform überleiten. Dazu gehörte, daß die unerläßlichen Eingriffe so rasch wie möglich vorgenommen und abgeschlossen wurden und längerfristig angelegten Sicherheitsvorkehrungen nach Möglichkeit kein diskriminierender, ausschließlich gegen Deutschland gerichteter Charakter anhaftete.

Ein zusätzliches Argument, das auf historischer Erfahrung beruhte, spielte in der Zerstückelungsfrage eine Rolle: Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Reiches verwiesen besonders die Planer immer wieder darauf, daß der Einheitsdrang des deutschen Volkes augenscheinlich so stark sei, daß ein neues politisches System in Deutschland nur dann dauerhaft Wurzeln schlagen könne, wenn es dem nationalen Gedanken Rechnung trage

Daß die Briten die wirtschaftliche Prosperität des Kriegsgegners als Fernziel in ihre Überlegungen einbezogen leitete sich folgerichtig aus ihrem Interesse an der Stabilisierung Europas ab und wurde ebenfalls durch die negativen Erfahrungen mit der vergangenen Friedensregelung gestützt. Wirtschaftliche Stabilität in Deutschland war als Grundlage politischer Stabilität unerläßlich und würde friedliche Verhaltensweisen eher fördern als Arbeitslosigkeit und niedriger Lebensstandard. Abgesehen davon, daß man auf diese Weise neuen Gefahren für Deutschlands Nachbarn vorbeugte, hatte Deutschland auch ganz unmittelbar eine große wirtschaftliche Bedeutung für sie: Als Absatzmarkt und als Produzent war Deutschland wegen seiner Leistungsfähigkeit und seines Bedarfs für fast alle europäischen Länder ein sehr wichtiger Handelspartner, auf den man nur um den Preis einer Einschränkung der eigenen Prosperität oder einer erheblich verlangsamten wirtschaftlichen Erholung verzichten konnte, wenn man sich absolute Sicherheit gegen die bedrohlichen Aspekte der deutschen Wirtschaftskraft verschaffen wollte. Weder deren Ausbeutung im einseitigen Interesse der Sieger noch eine Knebelung der deutschen Industrie zugunsten der Förderung britischer Exporte waren deshalb angebracht, und entsprechende Forderungen gewannen in London nur am Rande Einfluß auf die Zielbestimmung. Auch als sich seit dem Herbst 1944 und verstärkt seit Anfang 1945 wegen der akuten Gefahren, die davon für den britischen Haushalt ausgingen, das unmittelbare Interesse Londons auf die Bewältigung der Versorgungsschwierigkeiten in Deutschland und speziell in der britischen Besatzungszone verlagerte, wurde die grundsätzliche Zielsetzung nicht aufgegeben, wenn ihre Verwirklichung auch durch das Reparationsproblem auf das schwerste vorbelastet wurde.

Den Stolperstein der Reparationen hofften die Briten durch Verzicht auf unrealistische Forderungen, durch Orientierung an der deutschen Leistungsfähigkeit statt an den Wiedergutmachungsansprüchen der Geschädigten und durch eine möglichst rasche Abwicklung in seinen negativen Auswirkungen begrenzen zu können Nachdem die Verhandlungen in Jalta und Moskau (Juni—Juli 1945) ihnen offenbart hatten, daß sie Umfang und Hartnäckigkeit der sowjetischen Ansprüche stark unterschätzt hatten, wurde ihnen ein Nachgeben auf Kosten Deutschlands zugunsten der alliierten Kooperation — wie etwa in der Frage der Ostgebiete — dadurch versperrt, daß die sowjetischen Forderungen nicht nur deutsche (Versorgungs-), sondern unmittelbar auch britische (Haushalts-) Interessen beeinträchtigten

Mit dem Eintritt der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten in den Krieg schloß sich 1941 nicht nur militärisch der Ring um Deutschland, sondern als Folge der militärischen Leistung und der politisch-strategischen Forderungen zur Neuordnung Europas, die die Sowjetregierung noch 1941 zu erheben begann, erhielt auch der Bezugsrahmen für die britische Deutschlandplanung seine endgültige Gestalt. Die Briten mußten sich darauf einstellen, daß Gefahren für Frieden und Sicherheit in Europa künftig nicht mehr nur von Deutschland, sondern auch von der Sowjetunion ausgehen konnten, wenn die Beziehungen zwischen ihr und den nichtkommunistischen Staaten Europas gespannt sein würden. In London hatte man allen Grund, eine Situation zu fürchten, in der sich die Groß-mächte mit einer Klientel kleiner Staaten auf jeder Seite mißtrauisch oder gar offen feindlich gegenüberstanden. Wenn Frieden und Sicherheit in Europa nach dem Ende des Krieges also durch die Qualität der politischen Beziehungen der drei Großmächte zueinander bestimmt sein würden, blieb den Briten als der weitaus schwächsten, auf die Unterstützung der USA angewiesenen Großmacht kaum eine andere Wahl, als alle Möglichkeiten einer einvernehmlichen Friedensregelung mit der Sowjetunion zu prüfen und auszuschöpfen und zusätzlich in möglichst verbindlicher Form die Vereinigten Staaten als Garantiemacht zu gewinnen, bevor einer oder beide eigene Wege gingen Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die innerdeutschen und die internationalen Aspekte der Deutschlandpolitik außer mit den USA und den europäischen Verbündeten auch mit der Sowjetunion abzustimmen.

Der Inhalt der deutschlandpolitischen Vorstellungen, die man in London entwickelte, wurde durch die neuen internationalen Rahmenbedingungen nicht gravierend verändert. Die Tendenzen, die sich bereits vorher herausgebildet hatten, blieben erhalten. Daß die Briten sich darauf einstellen mußten, daß die Sowjetunion künftig einen europäischen Machtfaktor von großen eigenen Gewicht darstellen würde, unterstrich in gewisser Weise noch die Zweckmäßigkeit ihrer Absichten und gab ihnen eine zusätzliche Funktion: Eine politische und ökonomische Stabilisierung des Kontinents unter Einbindung Deutschlands verkleinerte nicht nur die deutsche Gefahr, sondern konnte zugleich auch als die unverfänglichste und am wenigsten aufwendige Vorkehrung gegen eine Ausbreitung sowjetischen Einflusses angesehen werden. Dies galt insbesondere dann, wenn es gelang, in eine solche Lösung auch die Sowjetregierung selbst mit einzubeziehen, indem man ihr die Kooperation aus sicherheitspolitischen und ökonomischen Gründen attraktiver machte als alle anderen Möglichkeiten, die ihr zur Erfüllung ihres Sicherheitsbedürfnisses, ihrer Wiedergutmachungsansprüche und ihrer Wiederaufbaupläne zur Auswahl standen.

Bei allem, was man über die deutschlandpolitischen Absichten der Sowjetregierung in Erfahrung bringen konnte, sah man in London durchaus, daß dies keine leichte Aufgabe war und daß man im Verlauf der interalliierten Verhandlungen Abstriche an den eigenen Wünschen im Hinblick auf Deutschland würde machen müssen. Man hielt die Differenzen aber nicht für unüberbrückbar. Vor allem aber vermochte angesichts der prekären eigenen Aussichten für die Nachkriegszeit niemand in London eine annehmbare Alternative zu dem Versuch aufzuzeigen, die Sowjetunion in eine gemeinsame Sicherheitslösung für Europa einzubinden. Diese Grundtendenz wirkte in den britischen Bemühungen um die Überführung der Anti-Hitler-Koalition in ein friedenssicherndes Instrument noch über den 8. Mai hinaus fort; selbst bei Churchill hielten sich Elemente davon. Die anfänglich nicht geringe Zuversicht wurde insbesondere nach Jalta allerdings immer stärker von Zweifeln an den Erfolgsaussichten überlagert, und schließlich war es in erster Linie nur noch das Fehlen einer akzeptablen Alternative, das die Briten an ihrer bisherigen Linie festhalten ließ.

III. Die Vereinigten Staaten

Finanzminister Henry Morgenthaus ungestüme Intervention gegen die in seinen Augen gefährlichen, weil viel zu milden Tendenzen der amtlichen Deutschlandplanung hatte Ende August 1944 eine tiefgreifende Kontroverse zwischen Außen-, Kriegs-und Finanzministerium in Washington über Ziele und Methoden der künftigen Deutschlandpolitik ausgelöst. Sie war im September mit dem Entwurf einer Direktive an den Oberbefehlshaber der amerikanischen und britischen Truppen in Nordwesteuropa, General Eisenhower, für die Militärregierung in Deutschland in der Zeit unmittelbar nach der deutschen Kapitulation notdürftig überbrückt worden.

Nachdem die Briten diese Direktive aus formalen, inhaltlichen und bündnispolitischen Gründen zurückgewiesen hatten ließ der Revisionsprozeß, durch den sie in eine zur Vorlage bei der European Advisory Commission (EAC) geeignete Form gebracht werden sollte, die Differenzen sofort wieder in aller Schärfe zutage treten. Die konträren Deutschlandkonzeptionen von Außen-und Finanzministerium prallten erneut mit aller Heftigkeit aufeinander. Gleichzeitig weigerten sich die Vertreter des Kriegsministeriums hartnäckig, die Interims-Direktive so zu erweitern, daß sie einen längeren Zeitraum als die Phase unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlun-gen umfaßte, und sie zu einer grundlegenden Anweisung zu erweitern, die — gegebenenfalls schon über den Alliierten Kontrollrat — an die Oberbefehlshaber in den einzelnen Zonen erlassen werden und ihnen, ohne bereits allumfassend oder endgültig zu sein, Richtlinien für erste einheitliche Maßnahmen der Militärregierung geben würde.

Am Ende dieser Auseinandersetzungen standen schließlich als Ergebnis zwei Dokumente: das kurze Memorandum, das Präsident Roosevelt am 23. März 1945 mit seinem charakteristischen „O. K. FDR“ versah und das der US-Botschafter in London, Winant, am 6. April als „Allgemeine Direktive zur Behandlung Deutschlands in der ersten Zeit nach der Niederlage" der EAC als offiziellen amerikanischen Vorschlag präsentierte Die Bildung der Europäischen Beratenden Kommission war im Oktober 1943 auf, der Außenministerkonferenz der drei Mächte in Moskau beschlossen worden. Sie sollte u. a. Kapitulationsbestimmungen für alle europäischen Kriegsgegner und Vorschläge für die Besatzungsprozeduren ausarbeiten. Sie tagte vom Januar 1944 bis zu ihrer Auflösung im August 1945 in London und bestand aus den dortigen Botschaftern der Sowjetunion, der USA und — seit November 1944 — Frankreichs sowie einem Beamten de März 1945 mit seinem charakteristischen „O. K. FDR“ versah und das der US-Botschafter in London, Winant, am 6. April als „Allgemeine Direktive zur Behandlung Deutschlands in der ersten Zeit nach der Niederlage" der EAC als offiziellen amerikanischen Vorschlag präsentierte 19), und die „Direktive an den Oberbefehlshaber der Besatzungsstreitkräfte der Vereinigten Staaten betreffend die Militärregierung Deutschlands", die aus der Interims-Direktive hervorgegangen war und vom neuen Präsidenten Truman am 10. Mai genehmigt und zur Verwendung in der künftigen amerikanischen Zone freigegeben wurde 20).

Während Präsident Roosevelt und Außenminister Stettinius zur Krim-Konferenz in Jalta weilten, hatten in Washington die Waffen vorübergehend geruht. Vom 28. Februar überschlugen sich dann die Ereignisse in der amerikanischen Hauptstadt.

An diesem Tage kam Roosevelt zurück und übertrug sogleich — offenbar ohne völlig zu ermessen, welche Folgen das angesichts der Spannungen zwischen den drei um die Bestimmung der Deutschlandpolitik ringenden Ministerien haben mußte — dem Außenminister „die Verantwortung dafür, daß die auf der Krim-Konferenz erreichten Beschlüsse, natürlich mit Ausnahme militärischer Angelegenheiten, ausgeführt werden". Andere Dienst-stellen sollten „zu Angelegenheiten, die ihr jeweiliges Ressort betreffen", hinzugezogen werden 21).

Im Außenministerium begriff man diesen Auftrag als die große Chance, endlich der eigenen Politik zum Durchbruch zu verhelfen. Schon am 10. März schickte Stettinius dem Präsidenten den Entwurf einer „Direktive zur Behandlung Deutschlands" 22), die in der knappen Form den Wünschen des War Department entsprach, inhaltlich aber entscheidende Elemente des Programms enthielt, für das man seit September 1944 mit nicht allzu viel Erfolg gegen die Interessengemeinschaft von Kriegs-und Finanzministerium gefochten hatte. Gleichzeitig schlug er die Einrichtung eines informellen Ausschusses für Deutschlandpolitik aus Außen-, Kriegs-, Marine-und Finanzministerium und der Foreign Economic Administration vor, die seit August 1944 unter anderem das Problem der Kontrolle der deutschen Wirtschaft untersuchte. Er sollte „auf der Grundlage der beiliegenden Direktive" künftig für alle zivilen und militärischen Dienststellen die „zentrale Quelle" für Richtlinien in deutschlandpolitischen Fragen darstellen 23). Der Entwurf der Grundsatz-Direktive umfaßte vier Abschnitte mit insgesamt nur 36 kurzen Absätzen: Militärregierung (3), sofortige Sicherheitsmaßnahmen (6), sofortige politische Maßnahmen (8), wirtschaftliche Kontrolle (19).

Im ersten Abschnitt wurde mit unzweideutigen Worten festgestellt, daß die „die interalliierte Militärregierung" durch den Kontrollrat „die Stelle und die Funktionen einer Zentralregierung Deutschlands einnehmen und ausüben" sollte. Die zonenorientierte Konzeption des Kriegsministeriums wurde mit einem zusätzlichen Satz zurückgewiesen, der in diesem Zusammenhang für einen Außenstehenden geradezu kurios klingen mußte: „Die Besatzungszonen sollen eher Gebiete sein, in denen die Entscheidungen des Rates vollstreckt werden, als Regionen, in denen der Zonen-Befehlshaber einen weiten Spielraum autonomer Macht besitzt."

Neben den Säuberungsmaßnahmen wurden als Felder einer einheitlichen Politik nur die Kontrolle der Medien und des Bildungswesens genannt. Im Wirtschaftsteil, der mehr als die Hälfte der Direktive umfaßte, wurde die Notwendigkeit „eines beträchtlichen Maßes an zentraler wirtschaftlicher und finanzieller Kontrolle" durch den Kontrollrat festgeschrieben. Bis zu einer anderslautenden Entscheidung sollte Deutschland in den Grenzen von 1937, aber ohne Ostpreußen und Oberschlesien, als wirtschaftliche Einheit behandelt werden. Der Kontrollrat sollte unkontrollierte Inflation verhindern und Grundsätze für zehn namentlich genannte Bereiche — darunter Preise und Löhne, Rationierung, Zuteilung von Rohstoffen und Industriegütern, Reparationen — aufstellen und deren Erfüllung durch deutsche Zentralbehörden überwachen. Diese sollten in weitestmöglichem Umfang benutzt und nötigenfalls schnellstens wieder-errichtet werden.

Die Gegenposition zum Finanzministerium kam besonders deutlich auch in den Anweisungen zu den Reparationen und zur Umorientierung der Industrie zum Ausdruck. Das Reparationsprogramm sollte gleichzeitig dazu beitragen, Deutschlands „relative Überlegenheit in den Schlüsselbereichen der Investitionsgüterindustrie" zugunsten einer Modernisierung und Erweiterung der Hütten-, Maschinenbau-und chemischen Industrie der Nachbarländer „zu vermindern", also nicht etwa zu beseitigen. In diesen Bereichen sollten Deutschlands Exporte für längere Zeit eingeschränkt werden. Dagegen sollten die Produktion und die Ausfuhr von Kohle und leichten Konsumgütern gefördert werden. Verboten werden sollten neben der reinen Rüstungsindustrie nur der Flugzeugbau und die Herstellung von Leichtmetall, von synthetischem Treibstoff und synthetischem Gummi. Reparationen und industrielle Abrüstung sollten die Sicherung des Mindestlebensstandards, der besonders sorgfältig definiert wurde, nicht gefährden. Um zu verhindern, daß die Alliierten den dazu unter Umständen notwendigen Import von Versorgungsgütern selbst bezahlen müßten, sollten dafür die Erlöse aus deutschen Ausfuhren herangezogen werden; wenn diese nicht ausreichten, sollte die Differenz durch den möglichst nur vorübergehenden Rückgriff auf Reparationsgüter gedeckt werden.

Bei einem Vergleich mit der britischen Planung, die ja im State Department in ihren Grundzügen durch die Londoner Entwürfe für Kontrollrats-Direktiven und die Berichte der dortigen US-Botschaft bekannt war, wird man sagen können, daß die Briten und die Amerikaner auf dieser Basis enge Verbündete bei dem Versuch gewesen waren, die Sowjetunion und Frankreich bald an den Verhand-lungstisch zu bringen. Angesichts der breiten Übereinstimmung in Zielen und Methoden wogen Differenzen etwa bei der Entnazifizierung — hier schlugen die Beamten des Außenministeriums in Washington die Entfernung der „ungefähr zwei Millionen" aktiven Parteimitglieder aus öffentlichen Ämtern und aus bedeutenden privaten Unternehmen vor — oder der industriellen Abrüstung, wo die Briten tiefere Einschnitte vorsahen, nicht übermäßig schwer. Entscheidend war, ob das State Department die maßgebliche Zuständigkeit für die Deutschlandplanung wiedererlangen konnte.

Schon zwei Tage später kam die Vorlage mit dem „O. K." des Präsidenten aus dem Weißen Haus zurück Die Hoffnung der Deutschlandexperten des State Department, damit in dem Rennen gegen Finanz-und Kriegsministerium endgültig die Nase vorn zu haben, währte allerdings nur kurz. Innerhalb weniger Tage stellte deren Interessengemeinschaft die vorherigen Verhältnisse weitgehend wieder her. Der Präsident, der sich Kriegsminister Stimson gegenüber angeblich nicht daran erinnern konnte, die Direktive überhaupt gelesen zu haben wurde durch ihre Gegen-vorstellungen dazu veranlaßt, sein Einverständnis zurückzuziehen. Statt dessen billigte Roosevelt am 23. März das dreizehn Absätze umfassende Memorandum, das ihm als Konzentrat der Äußerungen vorgelegt wurde, die er am Vortag in einer Besprechung mit Staatssekretär Grew vom State Department, Stimsons Berater McCloy und einigen ihrer Mitarbeiter über die Besatzungspolitik getan hatte. Dabei hatte er bei starker Betonung des Wunsches nach Dezentralisierung die Notwendigkeit gewisser zentraler Verwaltungsbehörden anerkannt und möglichst geringe direkte Verantwortlichkeit der Besatzungsmächte und die Erhaltung der deutschen Industrie auf einem Niveau gefordert, das den Alliierten die Lasten einer Versorgung der deutschen Bevölkerung erspare

Bei der abschließenden Besprechung über die von McCloy ausgearbeitete Vorlage in Morgenthaus Büro — er nahm als einziger der drei Minister persönlich daran teil — legte dieser großen Wert darauf, daß alle sieben Teilnehmer aus den drei Häusern das Dokument unterzeichneten, bevor es zum Weißen Haus geschickt wurde Morgenthau bewog den Präsidenten auch dazu, bei der Unterzeichnung des Memorandums ausdrücklich zu vermerken, daß damit der Direktiven-Entwurf des Außenministeriums vom 10. März seine Gültigkeit verliere

In der Form knüpfte das Memorandum an die jüngsten Bestrebungen von State und War Department an, zweigleisig vorzugehen. Es war mit der Absicht formuliert, daß es als amerikanischer Vorschlag für eine allgemeine Vier-Mächte-Direktive in der EAC eingebracht und gleichzeitig als Grundlage für Einzeldirektiven an den Oberbefehlshaber in der amerikanischen Besatzungszone dienen konnte. Deshalb brauchte das Kriegsministerium jetzt nicht mehr auf der Ausklammerung aller Elemente langfristiger Deutschlandpolitik zu beharren, die vor allem in den Aussagen zur Behandlung der Wirtschaft enthalten waren. Die meisten anderen Programmpunkte waren so allgemein gehalten, daß sich die Kontrahenten ohne lange Diskussionen darauf einigten. Im wesentlichen handelte es sich dabei um Schritte zur Auflösung von NSDAP und Wehrmacht, zur Beseitigung der Einflüsse des Nationalsozialismus aus dem deutschen Leben durch die Aufhebung diskriminierender Gesetze, Entnazifizierung, „ein koordiniertes System der Kontrolle" über das Bildungswesen und die Bestrafung derer, die Greueltaten oder Kriegsverbrechen geplant oder begangen hatten. Insgesamt dominierte nach wie vor die Überbrückungsfunktion; in der EAC wurde das Memorandum unter Fortlassung der beiden Einleitungssätze mit dem Titel „Direktive zur Behandlung Deutschlands in der ersten Zeit nach der Niederlage" vorgelegt.

Der Inhalt der letzten Richtlinie zur Deutschlandpolitik, die Roosevelt vor seinem Tode autorisierte, brachte die unterschiedlichen Absichten der Hauptkontrahenten in ein wenig stabiles Gleichgewicht. Nach wie vor gab es in der „Washington-Kontroverse“ keine eindeutigen Sieger oder Verlierer. In den Fragen, die am stärksten umstritten waren, vermochte jede Seite zumindest einige Punkte zu sammeln oder doch dem oder den Rivalen den Weg zu größeren Terraingewinnen zu verlegen. Den größten unmittelbaren Nutzen hatte das War Department, da nun endlich die Hindernisse beseitigt waren, die bis dahin dem Erlaß einer Direktive an den Oberbefehlshaber der amerikanischen Zone im Wege gestanden hatten, auch wenn es über deren Inhalt noch Auseinandersetzungen geben würde. Angesichts der Pattsituation überrascht es nicht einmal, daß die vorläufige Überbrückung der Differenzen in den wichtigsten der umstrittenen Fragen ausgerechnet durch den Rückgriff auf die wenigen allgemeinen Grundgedanken gelang, die der deutschlandpolitischen Festlegungen bewußt . ausweichende Präsident zu der Auseinandersetzung beisteuerte.

Für die Konkretisierung der Deutschlandpolitik, die erst noch bevorstand, bot der prekäre Kompromiß mit seinen oft wenig präzisen Formulierungen viele Ansatzpunkte für unterschiedliche Auslegungen, so daß die Konfliktsituation fortbestand. Ob es zu einer Lösung kommen und wie diese aussehen würde, hing wesentlich auch davon ab, ob die Stellung aller Kontrahenten unter dem neuen Präsidenten unverändert bleiben und ob er selbst stärker lenkenden Einfluß auf die Deutschlandpolitik seiner Regierung nehmen würde als sein Vorgänger. Entscheidende Anstöße zu einer eindeutigen Orientierung konnten außerdem von der Situation ausgehen, die man in Deutschland vorfand, und von der Entwicklung der Beziehungen der Alliierten zueinander.

Hinsichtlich der Kompetenz des Kontrollrats wurde festgestellt, daß er die höchste Autorität in allen Deutschland als ganzes betreffenden Angelegenheiten sei; seine Beschlüsse sollten in den einzelnen Zonen durchgeführt werden. Sprach hier das Außenministerium, so schlug sich im nächsten Satz der Standpunkt des Kriegsministeriums nieder: Lägen derartige Beschlüsse nicht vor, sollte der jeweilige Oberbefehlshaber ebenso wie in allen ausschließlich seine Zone betreffenden Angelegenheiten „seine Machtbefugnis in Überein-stimmung mit Weisungen seiner eigenen Regierung ausüben".

Die Förderung der Dezentralisierung der politischen Struktur Deutschlands und die Entwicklung lokaler Selbstverantwortlichkeit wurden ohne nähere Erläuterung als Ziele der Besatzungspolitik genannt. Auch „die deutsche Wirtschaft" sollte dezentralisiert werden. Damit war die Auflösung von Monopolen und Kartellen und allgemein die Beseitigung der Konzentration wirtschaftlicher Macht gemeint und nicht, wie in der EAC der besorgte sowjetische Botschafter Gusew herauslas, eine regionale Neuverteilung der Industrie Allerdings sollte der Kontrollrat befugt sein, für öffentliche Dienstleistungen wie Eisenbahnverkehr, Fernmeldewesen und Energieversorgung, für Finanzen und Außenbeziehungen und für die Produktion und Verteilung lebensnotwendiger Güter zentrale Kontrollen zu gestatten oder einzurichten, wenn die Ziele der Besatzungspolitik, wie sie in der Direktive zum Ausdruck kamen, anders nicht erreicht werden konnten. Der Versorgungsausgleich zwischen den Zonen wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls als Ziel genannt.

Im wirtschaftlichen Bereich mußte das State Department am stärksten nachgeben. Die Verantwortung sollte weitestgehend bei deutschen Behörden liegen, die in den vorhin genannten Bereichen gegebenenfalls auch Zentralbehörden sein konnten. Neben der Überwachung aller außenwirtschaftlichen Transaktionen und Verbindungen sollten alliierte Kontrollen über die deutsche Binnenwirtschaft nur im Zusammenhang mit Maßnahmen zur industriellen Abrüstung, zur Entmilitarisierung, mit Reparationen und Hilfslieferungen an befreite Gebiete, mit der Versorgung der Besatzungstruppen und der verschleppten Personen in Deutschland errichtet werden; auf die Versorgung der deutschen Bevölkerung sollten sie sich nur insoweit erstrecken, als das erforderlich war, um Hungersnöten oder einer Bedrohung der Besatzungsstreitkräfte durch Seuchen oder Unruhen vorzubeugen. Der deutsche Lebensstandard sollte grundsätzlich das niedrigste Niveau nicht übersteigen, das in einem seiner Nachbarländer herrschte; keine der Maßnahmen, die die Alliierten im Bereich der Wirtschaft oder im Zusammenhang mit Reparationslieferungen ergriffen, sollte den Anstieg auf ein höheres Niveau bewirken dürfen. Den

Beamten des State Department gelang es wenigstens noch, den Grundsatz einzufügen, daß die Bezahlung für Versorgungsimporte, die vom Kontrollrat genehmigt worden waren, durch Exporterlöse erfolgen und falls nötig auch Vorrang vor kostenlosen Reparationsausfuhren haben solle. Mit McCloys Unterstützung konnten sie außerdem die Kompetenz des Kontrollrats zur Genehmigung ausländischer Kredite an Deutschland in besonderen Notfällen durchsetzen

Morgenthau war dagegen unzufrieden damit, daß die „Schlüsselfrage" der Schwerindustrie völlig unzureichend behandelt wurde, und wollte die beiden diesbezüglichen Aussagen — Reparationen aus der laufenden Produktion dürften nicht die Wiederherstellung oder Entwicklung der deutschen Schwerindustrie erforderlich machen; die reine Rüstungsindustrie solle beschlagnahmt oder zerstört werden, Flugzeugbau verboten sein — erheblich verschärft sehen. Unter Berufung auf Roosevelts Äußerungen vom Vortag blockten McCloy und Will Clayton, Leiter der Wirtschaftsabteilung im State Department, diesen Vorstoß ab. Morgenthau, der an der Besprechung im Weißen Haus nicht teilgenommen hatte, beugte sich dem für den Augenblick, seine Hoffnung blieb jedoch, daß der Präsident „so fest auf ein Programm zur Reduzierung des Umfangs der deutschen Schwerindustrie verpflichtet sei, daß [er] später mit Sicherheit genauere Instruktionen erteilen werde“ Weitere eigene Einflußmöglichkeiten sah er außerdem in den gerade beginnenden Vorbereitungen für die Reparationsverhandlungen in Moskau, in die er sich „auf Biegen oder Brechen" einschalten wollte

IV. Frankreich

Die Provisorische Französische Regierung unter General Charles de Gaulle etablierte sich Ende August 1944 im befreiten Paris und wurde am 23. Oktober von allen drei Großmächten offiziell anerkannt. Ihr politisches Hauptziel bestand in der Wiedererrichtung des französischen Nationalstaats, die der außenpolitisch allein maßgebliche Regierungschef als „Rückkehr einer Großmacht auf ihren Platz als Großmacht" verstand Bei allem Selbstbewußtsein war er jedoch angesichts der akuten Schwäche seines Landes auf die unmittelbare militärische, wirtschaftliche und politische Hilfe seitens der Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition angewiesen, denen allein Frankreich seine Befreiung verdankte. Diese Abhängigkeit wirkte sich auch und gerade in dem Bereich aus, der in de Gaulles Augen für die französische Selbständigkeit und Sicherheit auf die Dauer der wichtigste war: Der östliche Nachbar, der dreimal in siebzig Jahren nach Frankreich einmarschiert war, mußte diesmal für immer zu weiteren Aggressionsakten unfähig gemacht werden. Frankreich hatte mit den nach 1918 getroffenen internationalen Sicherheitsvorkehrungen schlechte Erfahrungen gemacht Die amerikanisch-britische Garantie für die französische Ostgrenze war in Washington nicht ratifiziert worden, der Locarno-Vertrag war zerbrochen, das Bündnissystem mit den südost-und ost-mitteleuropäischen Staaten unfruchtbar geblieben, der Völkerbund hatte sich als handlungsunfähig erwiesen. Diese Fehlschläge verwiesen Frankreich mehr denn je darauf, Deutschland durch Kontrollmittel in Schach zu halten, die soweit wie nur eben möglich in den eigenen Händen liegen mußten. Wenn die Sowjetunion, die USA und Großbritannien sich nun anschickten, Deutschland zu besetzen und über sein Schicksal zu bestimmen, so war es deshalb für Frankreichs Zukunft von entscheidender Bedeutung, dabei seine Interessen selbst zur Geltung zu bringen. Die militärische Sicherheit stellte indes nur die eine Seite dieser Interessen dar. Wenn Frankreich „auf der Basis der Gleichheit" mit den führenden Mächten verkehren wollte mußte es seine wirtschaftliche Abhängigkeit von ihnen so rasch wie möglich verringern, wenn nicht gar aufheben.

Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg schien die geographische Lage beider Länder zueinander den Hauptschlüssel zur Lösung beider Probleme zu bieten. Bereits nach der Veröffentlichung der Atlantik-Charta 1941 hatte de Gaulle seiner Londoner Gefolgschaft ans Herz gelegt, die „Möglichkeit einer Ausweitung unserer Position in den Rheinlanden für den Fall eines Zusammenbruchs des Reiches" im Auge zu behalten Und als die EAC die europäischen Alliierten aufforderte, ihre Wünsche hinsichtlich der Kapitulationsbestimmungen für Deutschland zu nennen, wies de Gaulle im Februar 1944 besonders darauf hin, wie wichtig die strategischen und wirtschaftlichen Aspekte einer Trennung des Rheinlands von Deutschland und seine Anbindung an die westlichen Nachbarn seien.

Dabei hob er hervor, daß er unter dem Begriff Rheinland auch die rechtsrheinischen Territorien verstand, die aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen als Ergänzung der Gebiete links des Rheins anzusehen waren In solchen Formulierungen kam deutlich die doppelte Absicht zum Ausdruck, die de Gaulle verfolgte: Frankreich sollte sich durch eine Besetzung der deutschen Rüstungszentren an Rhein, Ruhr und Saar nicht nur militärisch absichern, sondern auch ihr Wirtschaftspotential, vor allem die Kohlevorkommen, soweit wie möglich zu seinen eigenen Gunsten ausbeuten, um auf diese Weise seine wirtschaftliche Selbständigkeit wiederherzustellen. Die erste der drei großen verbündeten Mächte, an die sich die Franzosen bei der Verfolgung dieses doppelten Ziels wandten, war Großbritannien. Zu ihm bestanden trotz einiger Differenzen noch die besten Beziehungen, und die britische Regierung hatte schon früher als Mittler für französische Wünsche an die Alliierten fungiert. Gelegenheit boten die Gespräche über politische Themen von gemeinsamem Interesse, zu denen Ren Massigli in der zweiten Augusthälfte, kurz vor seiner offiziellen Anerkennung als französischer Botschafter in London, den britischen Außenminister Eden aufsuchte

Ihm vermittelte Massigli, der erst bei dieser Gelegenheit erfuhr, daß die drei Großmächte das Reich vollständig besetzen wollten, am 22. und 25. August das folgende Bild von den französischen Ansprüchen in Deutschland. Das 1919 gewählte Verfahren, drei Rheinübergänge militärisch zu besetzen und alle deutschen Gebiete innerhalb einer Linie von 50 km östlich des Rheins zu entmilitarisieren, hatte sich nicht bewährt. Deutschlands militärische Grenze war dadurch im Effekt doch am Rhein gezogen worden. Deshalb verschärften die Franzosen ihre Forderungen jetzt in dreifacher Weise: Sie verlangten die Besetzung umfangreicher Territorien beiderseits des Rheins, deren lang anhaltende Kontrolle und die Aufhebung der deutschen Verfügungsgewalt über die Industrie des Rhein-Ruhr-Gebiets. Das „rheinisch-westfälische Becken" und industriell wichtige Nachbargebiete rechts des Rheins wie die Gegenden um Frankfurt und Mannheim sollten für unbegrenzte Zeit militärisch besetzt und einem besonderen politischen und wirtschaftlichen Re-gime unterstellt werden, ohne jedoch staatsrechtlich von Deutschland gelöst zu werden. Von Saar und Pfalz sprach Massigli in diesem Zusammenhang nicht. Es war aber klar, daß sie in jedem Fall in eine derartige Regelung eingeschlossen werden sollten, wenn nicht Frankreich sogar die Gelegenheit ergreifen würde, sie sich in direkter Form anzugliedern. Massigli machte kein Hehl daraus, daß die „internationale Kontrolle", durch die das Rhein-Ruhr-Gebiet „isoliert" werden sollte, nach französischer Auffassung einseitig der Wirtschaft der westeuropäischen Staaten zugute kommen sollte. Für Frankreich bildete, wie gesagt, eine intensive Beteiligung an der wirtschaftlichen Ausbeutung dieses Gebiets eine der Hauptvoraussetzungen für sein Wiedererstarken. Insbesondere war die französische Industrie wegen der zu niedrigen Selbstversorgung des Landes jetzt mehr denn je auf die deutsche Kohle angewiesen, weil die Lieferungen aus Großbritannien, Belgien und Polen wegen Produktions-und Transport-schwierigkeiten auf noch nicht absehbare Zeit sehr gering bleiben würden. Die Vorteile, die in einem direkten Zugriff auf das Ruhrgebiet lagen, überlagerten jetzt auch den Gedanken, sich Pfänder und Druckmittel für deutsches Wohlverhalten zu verschaffen, der 1921 und 1923 die nachträgliche Besetzung von Teilen des Ruhrgebiets durch Frankreich motiviert hatte.

Aus diesen Umständen erklärt es sich, daß de Gaulle in seinen Überlegungen zunächst kaum berücksichtigte, daß auch die Sowjetunion am Ruhrgebiet interessiert sein würde. Noch bei seinem Aufenthalt in Moskau Anfang Dezember 1944 bemühte er sich mit Nachdruck, aber verständlicherweise vergeblich, Stalin für ein Entgegenkommen bei den französischen Wünschen im Westen zu gewinnen, indem er den sowjetischen beziehungsweise polnischen Anspruch auf die deutschen Gebiete östlich der Oder und Neiße anerkannte Erst nach der Rückkehr de Gaulles und Bidaults begannen sich die Franzosen auf eine sowjetische Beteiligung an der Kontrolle des Ruhrgebiets einzustel38) len De Gaulle selbst und Vertreter des französischen Außenministeriums sprachen seit Anfang 1945 gegenüber britischen Diplomaten mehrfach von einer Zweiteilung des westlichen Besatzungsbereichs: Das Ruhrgebiet und Westfalen sollten von allen Alliierten einschließlich der Sowjetunion kontrolliert werden, das linksrheinische Gebiet südlich von Köln dagegen entweder von Frankreich oder von den westeuropäischen Staaten einschließlich Großbritannien

Daran, daß die Franzosen ihre Ansprüche entschlossen verfechten würden, ließ schon Massigli keinen Zweifel. Seine mehrfach wiederholte Äußerung, ohne die Einrichtung eines besonderen Regimes über das Rhein-RuhrGebiet könne kein „westliches Sicherheitssystem" gegen Deutschland entstehen, machte beträchtlichen Eindruck auf seine Gesprächspartner. In den folgenden Monaten zeigte sich tatsächlich, daß die Franzosen den Abschluß eines britisch-französischen Bündnisses, das als Ausgangspunkt dafür hätte dienen können, von Fortschritten in der Rhein-Ruhr-Frage abhängig machten De Gaulle und Bidault sorgten außerdem auch mit öffentlichen Äußerungen dafür, daß niemand die zentrale Bedeutung übersehen konnte, die diese Forderung für Frankreich hatte.

Bis zum Beginn der Potsdamer Konferenz am 17. Juli 1945 wurden die französischen Forderungen allerdings nicht offiziell in den interalliierten Beratungsprozeß eingeführt. Da aber Frankreich an der Konferenz nicht beteiligt war, sah man in London noch keine Notwendigkeit zu prüfen, ob eine Sonderlösung für das Rhein-Ruhr-Gebiet mit den eigenen Vorstellungen über ein wirtschaftliches Sicherheitsprogramm vereinbar sein würde oder nicht. So bot dieses Thema zunächst noch keinen aktuellen Konfliktstoff für die Alliierten. Eine offene Herausforderung für die wirtschafts-und sicherheitspolitischen Absichten der britischen Regierung im Hinblick auf Deutschland stellte dagegen das Reparationsprogramm dar, das die sowjetische Regierung in Jalta präsentierte.

V. Die Sowjetunion

Dauerhafte Sicherheit vor Deutschland ohne Abhängigkeit von, aber möglichst im Einvernehmen mit den westlichen Alliierten war das Hauptziel der sowjetischen Deutschland-konzeption, wie sie im Verlauf der Konferenz von Jalta sichtbar wurde. Als wünschenswerteste Form galt der Sowjetregierung offenbar eine politisch-wirtschaftliche Doppelsicherung aus staatlicher Teilung einerseits und wirtschaftlicher Schwächung andererseits, die durch eine innere Umgestaltung Deutschlands in antifaschistisch-demokratischem Sinne unter maßgeblicher Mitwirkung der deutschen Kommunisten ergänzt würde.

In diesem Zusammenhang rechnete die Sowjetregierung allem Anschein nach damit, daß Deutschland außerhalb des unmittelbaren sowjetischen Einflußbereichs verbleiben würde. Ihre Forderungen, Deutschlands Schwerindustrie — darunter verstanden die Sowjets die Bereiche Hüttenwesen, Maschinenbau, Chemikalien und Elektroindustrie — auf 20 Prozent ihrer Vorkriegskapazität zu vermindern und die polnische Westgrenze bis an Oder und Neiße vorzuverlegen, d. h. Polen Gebiete zu übertragen, die zu der mit den Westmächten bereits vereinbarten sowjetischen Besatzungszone gehörten, sprechen beide nicht dafür, daß die Sowjetregierung zu diesem Zeitpunkt ihre Besatzungszone bereits als dauernden festen Bestandteil ihres künftigen europäischen Sicherheitsvorfeldes betrachtete Nachdem die Westmächte bereits auf deutschem Boden standen, mußte die sowjetische Führung vielmehr davon ausgehen, daß sie ihre sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen in Deutschland zumindest in der ersten Nachkriegszeit nur mit den Alliierten, nicht gegen sie würde durchsetzen können. Hinzu kam, daß Deutschlands industrielles Herz, das Ruhrgebiet, das unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten für die Sowjetunion ebenso wichtig war wie unter reparationspolitischen, außerhalb ihrer Besatzungszone lag.

Die Sowjetregierung hatte seit 1942 eine Reihe von Hinweisen darauf erhalten, daß die Westmächte den sowjetischen Einfluß in der von ihr beanspruchten osteuropäischen Sicherheitssphäre hinnehmen würden, wenn es ihr gelang, diese Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Diese Ausgangssituation trug zweifellos dazu bei, daß die Sowjetregierung in Rumänien, Bulgarien und Polen mit rigorosen Mitteln Regierungen an die Macht brachte, die ihr genehm waren. Dagegen nahm sie in politischen Fragen, die Gebiete außerhalb dieser Sphäre betrafen, gegenüber ihren westlichen Kriegspartnern eine Haltung ein, die von Mißtrauen, aber auch von machtpolitischer Zurückhaltung geprägt war. Aus ideologischen Gründen wie auch auf Grund konkreter Erfahrungen erwartete sie, daß die Westmächte ihrerseits energisch für ihre jeweiligen machtpolitischen und ökonomischen Interessen eintreten würden. Darauf, daß sie eine sowjetische Vorherrschaft in Deutschland oder auch nur in einem Teil des Reiches ohne weiteres hinnehmen würden, dürfte in Moskau niemand vertraut haben

Es gab verschiedene Methoden, Deutschlands Macht zu reduzieren, und es spricht wenig dafür, daß die Sowjetregierung anders als die amerikanische und die britische bereits einseitig auf ein ganz bestimmtes Programm festgelegt war. Zu den Sicherheitsvorkehrungen, die man in Moskau für besonders wirkungsvoll hielt, gehörte aber zweifellos die Zerstükkelung. Nach allen Informationen, welche die bisherigen Kontakte mit den Alliierten der Sowjetregierung vermittelt hatten, glaubte man dort offensichtlich, auch die Westmächte würden sich letztlich für eine Teilung Deutschlands entscheiden.

In der Teilungsfrage traten Stalin und Molotow in Jalta — ganz anders als vierzehn Monate vorher in Teheran — jedenfalls mit bemerkenswerter Entschiedenheit auf. Sie selbst eröffneten die politischen Verhandlungen, die in der zweiten Plenarsitzung begannen, mit diesem Thema. Stalin fragte eindringlich, ob nicht in Anbetracht der Tatsache, daß sich alle drei Regierungen in Teheran und bei späteren Gelegenheiten für eine Zerstückelung Deutschlands ausgesprochen hätten, nunmehr der Zeitpunkt gekommen sei, eine definitive Entscheidung zu treffen. Noch deutlicher machte es Molotow in der nächsten Sitzung der Außenminister, daß der sowjetischen Regierung außerordentlich daran lag, einen Beschluß der drei Regierungen herbeizuführen, Deutschland zu teilen. Beide Politiker drängten außerdem hartnäkkig darauf, nachträglich eine entsprechende Aussage in die bereits vereinbarten Kapitulationsbestimmungen für Deutschland aufzunehmen und dadurch die Teilungsabsicht für alle drei Mächte verbindlich festzuschreiben

Diese Absicht war allerdings an eine Bedingung geknüpft: Der Teilungsbeschluß mußte durch das eindeutige und unumstößlich festgestellte Einverständnis der westlichen Mächte besiegelt sein. Diese Bedingung hatte Molotow im Auge, als er in Jalta wieder und wieder forderte, die Teilung solle als obligatorische Verpflichtung in die Kapitulationsbestimmungen aufgenommen werden. Dadurch sollte diese Maßnahme sowohl gegenüber den Deutschen als auch gegen spätere westliche Revisionswünsche vor der Öffentlichkeit unwiderruflich gemacht werden.

Während der Verhandlungen zeigten sich die sowjetischen Vertreter bereit, auf jede der beiden Methoden einzugehen, die sich anboten, um zu einer definitiven Abmachung über die Teilung zu kommen: Die Regierungschefs konnten nach Vorbereitung durch die Außenminister und Berater an Ort und Stelle selbst eine detaillierte Regelung vereinbaren, oder sie konnten sich grundsätzlich für die Teilung entscheiden und es ihren Experten überlassen, anschließend Einzelheiten auszuarbeiten. Mit einiger Ausdauer focht Molotow gegen den Vorschlag, das Teilungsproblem lediglich zur weiteren Beratung an ein Gremium von Diplomaten zu überweisen. Daß die Sowjetregierung ihm schließlich doch zustimmte, ging auf die entschiedene Haltung Edens und Churchills zurück, die in Jalta nicht immer im gleichen Takt handelten, aber doch in die gleiche Richtung steuerten. Roosevelt und Stettinius nahmen in dieser Auseinandersetzung eine wenig aktive vermittelnde Stellung ein.

Man wird Edens Haltung allerdings kaum so direkt als eine Vorsichtsmaßnahme gegen eine sowjetische Machtausweitung in Europa verstehen können, wie er selbst sie in seinen Memoiren aus der Rückschau interpretiert hat Er hatte den Befürwortern der Teilung immer nähergestanden als ihren Gegnern, und so galt sein Widerstand in Jalta auch nicht der Zerstückelung an sich. Eden opponierte vielmehr gegen ein kurzschlüssiges Verfahren, weil es zu Belastungen für die Zusammenarbeit der Alliierten führen mußte, wenn eine so weitreichende Entscheidung ohne hinreichende sachliche und politische Absicherung getroffen wurde.

Bei den vielschichtigen Auswirkungen einer Teilung, die in der regierungsinternen Diskussion in London aufgezeigt worden waren und die zum Teil auch in der Reparationsdebatte in Jalta eine Rolle spielten, konnte es in der Tat kaum ratsam sein, einen solchen Beschluß allein auf die vage Übereinstimmung der Regierungschefs zu gründen. Damit wären den Regierungen die Hände gebunden worden, noch bevor die Probleme in den westlichen Hauptstädten verantwortlich entschieden worden waren. Denn Roosevelt und Churchill operierten in dieser Frage ja noch immer auf eigene Faust, der Präsident gegen das Anraten seines Außenministeriums, Churchill zumindest ohne ausdrückliche Zustimmung des Kriegskabinetts

Die ausweichende Haltung der Briten und das nur halbherzige Bekenntnis der Amerikaner zur Zerstückelung führten Stalin und Molotow offensichtlich zu der Einsicht, daß sie bei ihrem Vorstoß zu Beginn der Konferenz die Entschlossenheit der westlichen Verbündeten, Deutschland zu teilen, zu hoch eingeschätzt hatten. Die Bedingung der Eindeutigkeit und der Unumstößlichkeit war nicht erfüllt. Deshalb schien es zweckmäßiger zu sein, bei den weiteren Bemühungen um Sicherheit vor Deutschland und um die Mitbestimmung über Deutschlands Zukunft von einem — nach Abtrennung der Ostgebiete — einheitlichen Deutschland auszugehen. Der Positionswechsel, der vor allem in Molotows Verhalten seit dem 6. Februar zutage trat, spricht dafür, daß die Sowjetregierung sich schon am 5. /6. Februar dafür entschieden haben dürfte, den Teilungsgedanken unter den gegebenen Umständen nicht weiterzuverfolgen

Die Zerschlagung des deutschen Einheitsstaates bildete nur eines der beiden Elemente der sowjetischen Deutschlandkonzeption, wie sie in der sowjetischen Verhandlungstaktik in Jalta zutage trat. Sie sollte durch die Verminderung der deutschen Schwerindustrie um etwa 80% ihres Vorkriegsumfangs zu einer politisch-wirtschaftlichen Doppelsicherung ergänzt werden, die ihre Wirksamkeit für mehrere Jahrzehnte behielt. Mit dieser Erweiterung würde zugleich auch die Gefahr eingedämmt, daß sich die Teilung im Falle eines Konflikts mit den Westmächten zuungunsten der Sowjetunion auswirkte. Die Zerstückelung allein würde zwar den möglichen Zukunftsgegner Deutschland für beträchtliche Zeit schwächen, sie schützte aber nicht dagegen, daß ein westdeutscher Separatstaat — oder auch mehrere — mit den Industriezentren Ruhr und Saar in einen westeuropäischen Block einbezogen wurde und dessen militärisches Gewicht erheblich verstärkte. Auch aus diesem Grunde mußte das deutsche Industriepotential weitgehend beseitigt werden. Die für die Sowjetunion vorteilhafteste und naheliegendste Methode war eine Reparationsregelung, durch die ihr ein großer Teil der deutschen Industrieanlagen als Wiedergutmachung überlassen würde. Um eine solche Regelung feilschten die sowjetischen Ver-treter in Jalta noch weit hartnäckiger als um die Vereinbarung über die Teilung.

Unter der Voraussetzung, daß die Sowjetunion einen großen Teil der deutschen Reparationen erhalten würde, ließ sich die wirtschaftliche Schwächung Deutschlands direkt für den Wiederaufbau des eigenen Landes nutzbar machen, das nach den unermeßlichen Zerstörungen durch die deutsche Besetzung einen gewaltigen Bedarf an Wirtschaftsgütern aller Art hatte. Aus sowjetischer Sicht ergänzten sich Sicherheits-und Wiederaufbauziel in idealer Weise: Je mehr man aus Deutschland herausholte, desto länger würde Deutschland schwach bleiben In diesem Zusammenhang hatten Reparationen aus Deutschland noch einen weiteren Vorzug. Der Wiederaufbau ihres Landes erforderte so enorme Mittel, daß die Sowjetregierung sich seit Anfang Januar 1945 auch um einen langfristigen amerikanischen Kredit in Höhe von sechs Milliarden Dollar bemühte, um den sie auch in Jalta warb Eine solche Anleihe konnte sie freilich dem Zwang aussetzen, daß ihr politische Zugeständnisse abverlangt würden, so daß es sich empfahl, die Mittel zum Wiederaufbau möglichst unter ideologisch und sicherheitspolitisch weniger riskanten Bedingungen zu suchen

Die Absicht, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in ganz Deutschland grundlegend umzugestalten, scheint in der sowjetischen Deutschlandkonzeption zur Zeit der Konferenz von Jalta und auch noch in den anschließenden Monaten nur eine ergänzende Rolle gespielt zu haben. Die Sicherheit vor Deutschland und der Wiederaufbau im eigenen Lande — nach Möglichkeit, wie gesagt, im Einvernehmen mit den Westmächten — waren aktuellere und gewichtigere Ziele; Versuche einer forcierten Neuordnung ohne Abstimmung mit den «anderen Besatzungsmächten besaßen ohnehin wenig Aussicht auf Erfolg, solange diese fast zwei Drittel Deutschlands besetzt hielten. Die Beschränkung des Neuaufbaus nach eigenen politisch-gesellschaftlichen Vorstellungen auf die so-wjetische Zone und ihre Entwicklung zu einem Separatstaat zog die Sowjetregierung 1945 wohl kaum ernsthaft in Erwägung; dafür waren ihr Interesse an der politischen und wirtschaftlichen Kontrolle ganz Deutschlands zu groß und die Differenzen mit den Westmächten andererseits nicht groß genug Die Verfolgung ihrer deutschlandpolitischen Hauptziele in ihrem eigenen Besatzungsgebiet konnte allerdings zur Folge haben, daß dort die materiellen Voraussetzungen für eine gleichartige Entwicklung in ganz Deutschland eines Tages nicht mehr gegeben sein würden.

Mit ihrem Plan für eine umfassende Deindustrialisierung und Ausbeutung Deutschlands zu Sicherheits-und Reparationszwekken drängte die sowjetische Regierung auf eine Entscheidung, bevor die drei Mächte überhaupt begonnen hatten, miteinander über die generelle Zielsetzung der Einschränkung des deutschen Industriepotentials zu beraten. Dabei zeigte sie sich von Anfang an fest entschlossen, ihre Forderungen gegen die westlichen Verbündeten mit Härte zu vertreten. Letztere waren auf diese Herausforderung schlecht vorbereitet; keiner von ihnen hatte die regierungsinterne Willensbildung abgeschlossen und verfügte bei Kriegsende — geschweige denn zum Zeitpunkt der Krim-konferenz — über ein geschlossenes und detailliertes Programm für die Behandlung der deutschen Wirtschaft, mit dem er in interalliierte Verhandlungen hätte eintreten können. Für die Beziehungen der drei großen Mächte zueinander waren die Divergenzen, die sich über die Behandlung der deutschen Wirtschaft abzeichneten, besonders deshalb gefährlich, weil es sich dabei aus der Sicht der Westmächte um eines der Zentralprobleme der Nachkriegsentwicklung in Europa handelte. Bei ihren Reparationsforderungen, die praktisch ein wirtschaftliches Grundsatzprogramm darstellten, schob die Sowjetregierung alle anderen Gesichtspunkte beiseite, die aus britisch-amerikanischer Sicht bei Beratungen über eine gemeinsame Deutschlandpolitik eine Rolle spielen mußten. Anders als die westlichen Mächte — Morgenthau und seine Parteigänger ausgenommen — glaubte sie, das besetzte Deutschland als einen in ökonomischer Hinsicht isolierbaren Raum ansehen zu können, den man später bis auf die sicherheitspolitische Überwachung sich selbst überlassen konnte. Die Unterscheidung zwischen den tendenziell gegensätzlichen Zielen Reparationen und wirtschaftliche Sicherheit, die man in London für außerordentlich wichtig hielt und an der sich auch das State Department orientierte, machte sie sich nicht zu eigen. Aus ihrer Perspektive stellte die künftige wirtschaftliche und politische Stabilität Westund Mitteleuropas kein Ziel dar, dem sie bei ihren Reparationsforderungen Beachtung schenken mußte — ganz abgesehen davon, daß noch andere Motive machtpolitischer und ideologischer Natur ihre Einstellung zur Behandlung der deutschen Wirtschaft mitbestimmt haben dürften, ohne daß sie nach außen sichtbar wurden. So hätte etwa eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse in Mittel-und Westeuropa nicht nur den Abstand zum Lebensstandard in der Sowjetunion verringert, sondern sie hätte auch die Voraussetzungen für eine politische Umwälzung in diesen Ländern verbessern können. Wenn der sowjetische Plan wirksam wurde, mußte das kurzfristig Tendenz und Durchführung der Besatzungspolitik aufs stärkste beeinflussen, und auf längere Sicht stand die Zukunft des bisherigen industriellen Exportlandes Deutschland überhaupt auf dem Spiel. Das mußte erhebliche ökonomische Auswirkungen auf die kleineren europäischen Länder, aber auch auf die Wirtschaft und die Haushalte der Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich und USA haben.

Für die Einheit Deutschlands aber stellten die tiefen Gegensätze in der Reparationsfrage eine weitere schwere Vorbelastung neben dem Abkommen über den Alliierten Kontrollrat dar, das die EAC am 14. November 1944 verabschiedet hatte Damals hatten die Briten gegen den Widerspruch der Amerikaner und der Sowjets nicht durchsetzen können, daß die gemeinschaftliche Verantwortlichkeit des aus den vier Oberbefehlshabern der Besatzungsmächte gebildeten Kontrollrats für Deutschland als Ganzes eindeutig höheren Rang besaß als die alleinige Entscheidungsbefugnis jedes einzelnen Oberbefehlshabers in seiner Zone. Auch die schwächste der Besatzungsmächte verfügte damit über die Möglichkeit, in der Verfolgung eigener Interessen gemeinsame Beschlüsse zu blockieren. Das wiederum konnte zur Folge haben — und führte in der Praxis der Jahre 1945— 1947 auch tatsächlich dazu —, daß vorhandene An-satzpunkte für gemeinsame Lösungen nicht wirksam zum Tragen kamen oder Chancen dazu wenigstens ausgelotet wurden. Unter den gegebenen Bedingungen entwickelten vielmehr die Politik der einzelnen Mächte in ihren Zonen und die von der Verschärfung des Ost-West-Konflikts ausgehenden Impulse eine eigene Dynamik, die schließlich zur Teilung Deutschlands entlang der Demarkationslinie führte, die ursprünglich als bloße Demarkationslinie zwischen Gebieten unter vorübergehender militärischer Verwaltung gedacht gewesen war.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Foreign Relations of the United States. Diplomatie Paper. [= FRUSj. The Conferences at Washington, 1941 — 1942, and Casablanca 1943, Washington 1968, S. 727.

  2. G. Moltmann, Die Genesis der Unconditional-Surrender-Forderung, in: A. Hillgruber (Hrsg.), Probleme des Zweiten Weltkrieges, Köln — Berlin 1967, S. 171 ff.; M. Balfour, Propaganda in War, 1939— 1945, London — Boston 1979, S. 312 ff.

  3. A Eden, Freedom and Order. Selected Speeches 1939— 1946, London 1947, S. 181,

  4. H. -A. Jacobsen, Zur Konzeption einer Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939— 1945, Frankfurt a. M. 1964. S. 36.

  5. So besonders A. Armstrong, Bedingungslose Kapitulation. Die teuerste Fehlentscheidung der Neuzeit, Wien — München 1965.

  6. J. W. Stalin, über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Moskau 19463, S. 111.

  7. M. Balfour, Another Look at . Unconditional Surrender', in: International Affairs (London), 46 (1970), S. 721 ff.

  8. War Cabinet Minutes [= WM] 120 (41) 5 v. 27. 11. 1941, Confidential Annex (Public Record Office, London [= PRO], Cab 65/25).

  9. Siehe z. B. D. Dilks (Ed.), The Diaries of Sir Alexander Cadogan, O. M., 1938— 1945, London 1971, S. 551, S. 683; J. P. Glennon, „This Time Germany is a Defeated Nation": The Doctrine of Unconditional Surrender and Some Unsuccessful Attempts to Alter it, 1943— 1944, in: G. N. Grob (Ed.), Statesmen and Statecraft of the Modern West, Barre (Mass.) 1967, S. 123 ff.

  10. L. Kettenacker, Die britische Haltung zum deutschen Widerstand während des Zweiten Weltkriegs, in: ders. (Hrsg.), Das . Andere Deutschland" im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1977, S. 59 ff.

  11. Eden, Freedom (Anm. 3), S. 159.

  12. P. Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat, Frankfurt a. M. — Berlin 19742, S. 328 ff., S. 342ff.

  13. Post-War Settlement Committee Paper (43) 2 v. 8. 8. 1943: The Future of Germany. Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs (PRO, Cab 87/65).

  14. „Wir sollten eine drakonische Politik gegen ausgewählte Bereiche der deutschen Produktion einschlagen, und uns gegen eine Zukunftssituation

  15. Report of the Interdepartmental Committee on Reparation and Economic Security, 31. 8. 1943 [= Malkin Report] (PRO, FO 371 — 35 305).

  16. Cabinet Paper (45) 16 v. 5. 6. 1945: Reparations. Memorandum by the Chancellor of the Exchequer (PRO, Cab 66/66).

  17. Siehe dazu vorläufig A Tyrell, Die Entstehung des Bezugsrahmens für die britische Europa-und Deutschlandplanung 1941/42, in: Karl Rohe/Gustav Schmidt (Hrsg.), Referate und Diskussionsbeiträge der 1. Jahrestagung des Arbeitskreises Deutsche England-Forschung, Bochum—Essen 1982, S. 198 ff.

  18. Die lediglich durch die amerikanischen Joint Chiefs of Staff gebilligte Direktive galt deshalb zumindest vorläufig nur für US-Truppen; sie trug bereits die Seriennummer JCS 1067, die durch die gleich näher bezeichnete Endfassung vom 10. 5. 1945 Berühmtheit erlangte.

  19. FRUS 1945, vol. III, Washington 1968, S. 471 ff., S. 480.

  20. Ebd., S. 433 f.

  21. Ebd„ Anm. 43.

  22. Morgenthau Diary (Germany), vol. II, Washington 1967, S. 1029.

  23. Ebd„ S. 1070 ff., S. 1115 ff.

  24. Ebd„ S. 1120.

  25. Ebd., S. 1065.

  26. FRUS 1945 III, S. 506 f.

  27. Morgenthau Diary (Germany), S. 1119.

  28. Ebd., S. 1120.

  29. Ebd., S. 1081 f„ S. 1083.

  30. Ch.de Gaulle, Discours et messages. Pendant la guerre, Juin 1940—Janvier 1946, Paris 19702, S. 349 (25. 11. 1943); s. auch W. Lipgens, Bedingungen und Etappen der Außenpolitik de Gaulles 1944— 1946, in; Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 21 (1973), S. 64 ff.

  31. Ch.de Gaulle, Mömoires de guerre: L'appel, 1940— 1942, Paris 1954, S. 502.

  32. Ebd., S. 478.

  33. Ch.de Gaulle, Mmoires de guerre: Lünit 6, 1942— 1944, Paris 1956, S. 618.

  34. Conversations with M. Massigli, 22. 8. 1944, 25. 8. 1944 (PRO, FO 371 — 40 706; 40 707).

  35. W. Lipgens (Anm. 33), S. 85.

  36. Aufzeichnung G. Jebb (Foreign Office) über ein Gespräch mit Massigli, 1. 12. 1944 (PRO, FO 371 — 40 724); Bidault, 21. 12. 1944, in: Archiv der Gegenwart, 14 [1944], S. 6639.

  37. Rhenania, Foreign Office Memorandum, 23. 1. 1945; Vermerk O. Harvey (Foreign Office), 15. 2. 1945 (PRO, FO 371 — 46 720).

  38. Lipgens (Anm. 33), S. 83; Telegramm des kanadischen Botschafters in Paris, G. P. Vanier, an das kanadische Außenministerium, 16. 3. 1945 (PRO, FO 371 — 46 720).

  39. Siehe dazu auch G. Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943— 1955, München 1967, S. 64 ff., besonders S. 66; ferner A Sywottek, Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption der KPD 1935— 1946, Düsseldorf 1971, S. 159.

  40. Siehe dazu auch Wettig (Anm. 42), S. 67; A. Fischer, Sowjetische Deutschlandpolitik im Zweiten Weltkrieg 1941— 1945, Stuttgart 1975, S. 134.

  41. War Cabinet Paper [= WP] (45) 157 v. 12. 3. 1945: Record of the Political Proceedings of the . Argonaut" Conference held at Malta and in the Crimea from Ist February to llth February 1945, S. 10,

  42. WP (45) 157, S. 12f„ 21; FRUS Malta/Yalta 1945, S. 656, S. 657 f.

  43. So ausdrücklich Stalin in der Plenarsitzung vom 5. 2. 1945 (WP [45] 157, S. 13; FRUS Malta/Yalta 1945, S. 615, S. 627).

  44. The Eden Memoirs: The Reckoning, London 1965, S. 516.

  45. Siehe z. B. Churchills Äußerungen in der Plenarsitzung vom 6. 2. 1945 (WP [45] 157, S. 23; FRUS Malta/Yalta 1945, S. 660).

  46. Der Zeitpunkt, zu dem „das Abrücken des Kreml von der noch in Jalta mit großem Nachdruck verfolgten Zerstückelungsabsicht erfolgte", schien bisher „präzise nicht zu ermitteln" (W. v. Buttlar, Ziele und Zielkonflikte der sowjetischen Deutschlandpolitik 1945— 1947, Stuttgart 1980, S. 29). Man vermutete ihn in der Zeit zwischen dem Ende der Konferenz und Stalins öffentlicher Distanzierung von dem Gedanken am 9. 5. 1945; s. z. B. Sywottek (Anm. 42), S. 159 f.; E. Nolte, Deutschland und der Kalte Krieg, München — Zürich 1974, S. 185; Fischer (Anm. 43), S. 134. Die Auffassung, daß die Sowjetregierung sich schon in Jalta dafür entschied, den Teilungsgedanken zumindest vorerst nicht weiterzuverfolgen, wird auch durch eine Äußerung Stalins gestützt. Er sagte am 28. 5. 1945 auf eine Frage des Roosevelt-und Truman-Beraters Harry Hopkins, ob die Sowjetregierung ihre diesbezügliche Haltung seit Jalta geändert habe, nachfolgende Ereignisse hätten gezeigt, der Plan, Deutschland zu zerstückeln, sei „in Wirklichkeit auf der Krim-Konferenz verworfen worden" (FRUS, The Conference of Berlin [The Potsdam Conference] 1945, vol. I, Washington 1960, S. 50).

  47. Zu den Einzelheiten des sowjetischen Reparationsplans s. WP (45) 157, S. 16 ff., S. 36 ff.; FRUS Malta/Yalta 1945, S. 606, S. 620f., S. 702 ff.; Fischer (Anm. 44), S. 115 ff.

  48. Siehe z. B. die Äußerungen des sowjetischen Reparationsexperten Maiski vom 20. 1. und 20. 7. 1945, (FRUS Malta/Yalta 1945, S. 177; FRUS Potsdam 1945, vol. II, S. 141 f.).

  49. WP (45) 157, S. 10; FRUS Malta/Yalta 1945, S. 310 ff., S. 610; T. G. Paterson, Soviet-American Confrontation. Postwar Reconstruction and the Origins of the Cold War, Baltimore — London 1973, S. 33 ff.

  50. Siehe dazu auch A Werth, Rußland im Krieg, 1941— 1945, Bd. 2, München 1967, S. 683.

  51. Siehe dazu auch Fischer (Anm. 43), S. 130, 134 f.; ders. in: Der Weg nach Pankow. Zur Gründungsgeschichte der DDR, München — Wien 1980, S. 15 f.; W. Leonhard in: ebd., S. 32ff.; Buttlar (Anm. 49), S. 46 ff., S. 159 ff.

  52. FRUS Malta/Yalta 1945, S. 124.

Weitere Inhalte

Albrecht Tyrell, Dr. phil., geb. 1941; 1974— 1980 Hilfsreferent im Gesamtdeutschen Institut, Bonn; seit 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Führer befiehl... Selbstzeugnisse aus der „Kampfzeit" der NSDAP, Düsseldorf 1969; Vom . Trommler'zum . Führer'. Der Wandel von Hitlers Selbstverständnis zwischen 1919 und 1924 und die Entwicklung der NSDAP, München 1975; (Hrsg. zus. mit K. D. Bracher und H. -A Jacobsen) Bibliographie zur Politik in Theorie und Praxis. Vollst. Neubearbeitung, Düsseldorf 1982; Voraussetzungen und Strukturelemente des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, in: F. Ronneberger u. a., Politische Herrschaft und politische Ordnung, Mainz 1983, S. 137— 204; Großbritannien und die Deutschlandplanung der Alliierten 1941— 1945, Frankfurt a. M. 1985 (im Erscheinen).