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Kommentar und Replik | APuZ 7-8/1985 | bpb.de

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APuZ 7-8/1985 Aspekte der deutschen Außen-und Sicherheitspolitik im Rahmen der Ost-West-Beziehungen Ostpolitik auf der Waage Rahmenbedingungen deutscher Nahostpolitik Kommentar und Replik

Kommentar und Replik

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„AirLand-Battle“ -Konzept

Zum Beitrag von K. -Peter Stratmann, „AirLand Battle“ — Zerrbild und Wirklichkeit, in: B 48/84, S. 19— 30

K. -Peter Stratmann versucht in seinem Beitrag die auch von mir vertretene Auffassung zu widerlegen, die AirLand Battle (ALB) -Doktrin sei mit der NATO-Strategie der flexiblen Reaktion in einigen Punkten unvereinbar (vgl. meinen Aufsatz „AirLand Battle und Rogers-Plan", in: Die Neue Gesellschaft 4/84). Bevor ich auf seine Argumente eingehe, möchte ich begründen, worin diese Unvereinbarkeit liegt: 1. Die NATO betont, daß sie im Unterschied zum Warschauer Pakt (WP) im Konfliktfall nicht bestrebt ist, die Kampfhandlungen durch raumgreifende Offensivoperationen auf das Territorium des Gegners zu tragen. Vorneverteidigung bedeutet laut Weißbuch 1983 „grenznahe, zusammenhängende Verteidigung, mit dem Ziel, kein Gebiet preiszugeben und Schäden zu begrenzen“ (S. 146). „Örtliche Gegenangriffe“ werden zwar nicht ausgeschlossen, aber — so Generalinspekteur Altenburg — es gibt „keinerlei Planung der NATO, über die Grenzen hinweg zu reagieren“ (FAZ v. 12. 3. 1983, S. 4). Diese politisch-strategische Selbstbeschränkung der NATO gilt für die Operationsführung ihrer Landstreitkräfte, nicht jedoch für das Einwirken mit Waffengewalt, d. h. die NATO behält sich vor, Ziele auf feindlichem Territorium mit Flugzeugen, Raketen und Artillerie zu zerstören.

Die ALB-Doktrin sieht demgegenüber nach Aussage des NATO-Oberfehlshabers, General Rogers, den „massiven Angriff mit Bodentruppen über die Grenze“ vor (STERN-Interview, Nr. 33 v. 9. 8. 1984, S. 6). Im Field Manual (FM) 100— 5 manifestiert sich diese Intention u. a. durch die Hervorhebung von Offensivoperationen als „entscheidende Kriegsform“ (S. 8— 1: Herv. von mir), die dem Ziel einer „Vernichtung der gegnerischen Streit-macht“ und dem „Sieg über den Feind“ (S. 2— 1) dienen sollen.

Dementsprechend heißt es z. B. in einem Aufsatz eines US-Heeresoffiziers, dem ein Vorwort des früheren Leiters der mit der Ausarbeitung der ALB-Doktrin befaßten Heeresbehörde und des jetzigen Oberbefehshabers der US-Landstreitkräfte in Europa, General Otis, vorangestellt ist, daß „das offensive Wesen dieses Konzepts Beweglichkeit ganz und gar als Angriff versteht und nicht mit Gegenangriffen oder beweglicher Verteidigung verwechselt werden darf“ (John S. Doerfei, The Operational Art of the AirLand Battle, in: Military Review, Mai 1982, S. 6). Im gleichen Sinne sprechen zwei andere Heeresoffiziere, die an der Abfassung von FM 100— 5 beteiligt waren, von „opportunistischen örtlichen Gegenangriffen“ als einer Durchgangsstation zur Aufnahme von Offensivoperationen (Huba Wass de Czege/L. D. Holder, The new FM 100— 5, in: Military Review, Juli 1982, S. 64).

Das zweite Indiz für die in der ALB-Doktrin angelegte Abkehr von einer „Verteidigung von vorne“ hin zu einer „Verteidigung nach vorwärts“ (diese begriffliche Unterscheidung macht der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Ulrich de Mai-ziere, in seinem Buch „Führen — im Frieden“, München 1974, S. 194) liegt in dem Gewicht, das im FM 100— 5 auf das „maneuver“ -Prinzip gelegt wird („maneuver“ könnte man mit „beweglicher Operationsführung“ übersetzen). Dort heißt es, daß „feindliche Streitkräfte in ihrer ganzen Tiefe mit Feuerkraft und . maneuver'angegriffen“ werden sollten (S. 1— 5; Herv. von mir). Mit anderen Worten: Der Kampf soll nicht nur — wie es die herrschende NATO-Doktrin will — durch Waffen-einwirkung in das gegnerische Hinterland getragen werden, sondern auch — wie General Rogers es genannt hat — durch den „massiven Angriff mit Bodentruppen“. Ganz unverblümt spricht denn auch ein hoher militärischer Vertreter des Pentagon davon, daß der „Angriff in die Tiefe“, wie ihn die ALB-Doktrin vorsehe, auch durch Landstreitkräfte „Dutzende von Kilometern in das Gebiet des WP hinein“ durchgeführt werden könne (Generalmajor William E. Odom, Assistant Chief of Staff for Intelligence, Department of the Army, in: Adelphi Papers, No. 191, S. 23). 2. Wegen des in der ALB-Doktrin angelegten und von einigen militärischen Interpreten offen propagierten Übergangs zu einer offensiv ausgerichteten Verteidigung gerät das Konzept in Konflikt mit dem defensiven Kriegsziel der NATO, Schaden zu begrenzen, den Krieg rasch zu beenden und sich darauf zu beschränken, die Integrität des ei-genen Territoriums zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Ein massiver operativ-taktischer Einsatz von Truppen über die innerdeutsche Grenze hinweg könnte aus sowjetischer Sicht sehr schnell zu einem strategischen Vorstoß der NATO werden, weil er — ob gewollt oder nicht — die sowjetische Fähigkeit zur Kontrolle ihres osteuropäischen Vorfeldes bedrohen würde. Dies könnte eskalatorische Reaktionen seitens der Sowjetunion hervorrufen, die die von der NATO angestrebte Rückkehr zum Status quo ante bellum durchkreuzten.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die defensive Zielsetzung der NATO in dem auch von Stratmann berücksichtigten TRADOC-Pamphlet offen in Frage gestellt wird: „Auf dem Gebiet der NATO, im Mittleren Osten und in Korea muß unsere defensive Strategie darüber hinausgehen, der anderen Seite nur den Sieg zu verwehren, und statt dessen einen definierbaren, deutlich erkennbaren (wenngleich möglicherweise begrenzten) Sieg für den Verteidiger anstreben. Dem Gegner muß klar sein, daß es im Falle seines Angriffs keine Rückkehr zum Status quo ante bellum — etwas, das wiederhergestellt werden soll — geben wird, sondern daß die Lage, die er selbst geschaffen hat, eine ist, die zu neuen Bedingungen entschieden wird.“ (TRADOC Pamphlet No. 525— 5, 25 March 1981, S. 5.).

3. Die NATO will Nuklearwaffen als erste nur in politisch kontrollierter, selektiver Form einsetzen (vgl. Weißbuch 1983, S. 148). Verteidigungsminister Wörner und Generalinspekteur Altenburg haben in der Nachrüstungs-Diskussion wiederholt betont, daß sich mit Nuklearwaffen kein Krieg führen lasse und sie allenfalls als politische Mittel zur Kriegsbeendigung dienen könnten.

Demgegenüber werden im FM 100— 5 Nuklearwaffen nicht in erster Linie als politische Kriegsverhütungs-und Kriegsbeendigungsmittel, sondern als militärische Kriegsführungsinstrumente behandelt. Von dieser Entpolitisierung, die im FM 100— 5 unter dem Stichwort „integriertes Gefechtsfeld“ enthalten ist, zeugen u. a. folgende Passagen: „Durch die Ausdehnung des Gefechts-feldes und die Integration von konventionellen, nuklearen, chemischen und elektronischen Mitteln können die Streitkräfte Verwundbarkeiten des Gegners überall ausnutzen“ (S. 1— 5); „Nuklearwaffen sind besonders wirksam zur Bekämpfung von nachfolgenden Truppen oder von Truppen in der Tiefe ..." (S. 7— 15); „nukleare und chemische Waffen erweitern auf dramatische Weise die Möglichkeiten für plötzliche Veränderungen auf dem Gefechtsfeld, die für Angriffe genutzt werden könnten“ (S. 8— 6).

Aus der Sicht militärischer Planer mag es legitim erscheinen, alle vorhandenen Einsatzmittel allein unter dem Einsatz ihres militärischen Gebrauchswerts zu bewerten und in Operationsvorkehrungen einzubauen. (In der Tat stellt sich hier ja auch die Frage, wozu denn die NATO mehrere Tausend nukleare Gefechtsköpfe in Westeuropa lagert, wenn man andererseits erklärt, mit ihnen keine Kriege führen zu wollen. Insofern sind einige ALB-Strategen nur konsequent, wenn sie Überlegungen anstellen, wie das bestehende Potential militärisch sinnvoll gebraucht werden könnte.)

Die tendenzielle Konventionalisierung von Nuklearwaffen im FM 100— 5 hat aus europäischer Sicht vor allem zwei beunruhigende Aspekte: Erstens läuft sie quer zu den Bemühungen der NATO um eine Anhebung der nuklearen Schwelle, und zweitens fördert sie im amerikanischen Heer Einstellungen und Erwartungen, auf die frühzeitige Freigabe von Nuklearwaffen zu drängen. So wird z. B. von dem an der Entwicklung der ALB-Doktrin beteiligten General Starry ein Szenario entworfen, in dem der „frühzeitige Einsatz von taktisch-nuklearen und chemischen Waffen auf dem Gebiet des Gegners“ als „vorteilhaft“ bezeichnet wird (Donn A. Starry, Extending the Batt-lefield, in: Military Review, März 1981, S. 39), und die „Washington Post“ berichtete am 21. 7. 1982, Sprecher des US-Heeres hätten sich während vertraulicher „Briefings“ über die ALB-Doktrin im Repräsentantenhaus für eine „Vorab-Freigabeerlaubnis“ für taktische Nuklearwaffen ausgesprochen. 4. Mit diesen Hinweisen darauf, daß die ALB-Doktrin und die NATO-Strategie in einigen Punkten nicht in Einklang zu bringen sind, soll nicht behauptet werden, die USA seien zielstrebig dabei, die NATO-Strategie auf eine offensive Kriegführungsdoktrin umzustellen. Ich bin wie Stratmann der Meinung, daß ein solches Vorhaben angesichts der gegenwärtigen und zu erwartenden militärischen Kräfteverhältnisse in Europa von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Trotzdem bleibt Kritik am ALB-Konzept notwendig. Wenn sich das US-Heer an Ausbildungs-und Einsatzgrundsätzen orientiert, die mit der Defensivstrategie der NATO in einigen wesentlichen Punkten unvereinbar sind, beeinträchtigt dies sowohl die innere wie auch die äußere Glaubwürdigkeit der westlichen Sicherheitspolitik: In und zwischen den NATO-Staaten erschwert die ALB-Doktrin die Wiedergewinnung des durch die Nachrüstungs-Kontroverse angeschlagenen sicherheitspolitischen Konsens, und im Verhältnis zur Sowjetunion führt sie zu einer weiteren Verhärtung und damit Verminderung der Chancen von Rüstungskontrolle und Entspannung.

Es ist deshalb um so bedauerlicher, daß Stratmann die militärstrategischen und politischen Implikationen der ALB-Doktrin herunterspielt. Zwar räumt er ein, daß sie „durchaus Aussagen, Einschätzungen und Empfehlungen (enthält), die mit kritischen Vorbehalten gesehen werden müssen“ (S. 29); einer Diskussion dieser kritikwürdigen Aspekte weicht er jedoch weitgehend aus, da er Bedenken lediglich hinsichtlich des „Konzepts des , integrated battlefield"" anmeldet, und das auch nur in seiner „Formulierung“ (S. 25). Ansonsten aber bescheinigt er — ähnlich wie Staatssekretär Ruehl vom Bundesverteidigungsministerium (vgl. Frankfurter Rundschau v. 30. 10. 1984, S. 14) — den ALB-Kritikern „Unfähigkeit, den fundamentalen Unterschied zwischen einer militärstrategisehen Doktrin und der Formulierung von operativ-taktischen für die Gefechtsführung

von Korps und Divisionen zu erkennen oder seine Bedeutung zu begreifen“ (S. 23).

Ein eindimensionaler Rückschluß von Gefechtsführungsvorschriften auf politisch-strategische Ziele wäre gewiß unzulässig; andererseits jedoch müssen sich gerade wegen des von Stratmann beanspruchten Primats der Strategie ihre zentralen Prinzipien auch in operativ-taktischen Richtlinien niederschlagen. Wesentliche Elemente der NATO-Strategie wie das Prinzip der defensiven Vorneverteidigung und der politischen Rolle von Nuklearwaffen werden jedoch von der ALB-Doktrin nicht umgesetzt.

Stratmann erwähnt z. B. die im TRADOC-Pamphlet enthaltene Aussage, daß es keine Wiederherstellung des Status quo ante bellum geben dürfe. Wie sich dieser Anspruch mit dem Ziel der NATO, die Integrität ihres Territoriums zu bewahren bzw. wiederherzustellen, auf einen Nenner bringen läßt, erklärt er nicht. Vielmehr entzieht er sich dieser Frage durch den Rückzug auf die Gefechtsfeldebene von ALB. Dabei begeht er den gleichen Fehler, den er den Kritikern vorwirft, indem er von der Formulierung operativ-taktischer Grundsätze auf militärstrategische Doktrinen schließt. Denn anstatt sich mit der Verträglichkeit der eindeutigen politisch-strategischen Vorgabe des TRADOC-Dokuments mit der NATO-Strategie auseinander-zusetzen, weicht er auf die „Begrenztheit“ der operativ-taktischen Ebene aus und suggeriert dadurch eine defensive Ausrichtung der übergeordneten militärstrategischen und politischen Doktrin.

Auch sein Versuch, das Konzept des „erweiterten Gefechtsfeldes“ mit dem Vorneverteidigungsprinzip der NATO zu harmonisieren, überzeugt nicht. Zunächst hätte man Belege für seine Behauptung erwarten können, daß „klar erkennbar ist, daß nach der AirLand-Battle-Doktrin im rückwärtigen Teil dieses Raumes (von 100 bis 150 km Tiefe auf gegnerischem Gebiet; E. L.) vor allem die eigenen Luftstreitkräfte mit Feuer wirken sollen (Gefechtsfeldabriegelung), während sich die Rolle der Landstreitkräfte dort auf Kommandounternehmen kleinerer Sondereinheiten, Luftlandeeinheiten und dergleichen beschränkt“ (S. 24). Die von mir oben zitierten Passagen aus dem FM 100— 5 sowie die wiedergegebenen Interpretationen amerikanischer Heeresoffiziere weisen jedenfalls in eine andere Richtung. Darüber hinaus jedoch läßt die zitierte Aussage des NATO-Oberbefehlshabers an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Einer Fehleinschätzung unterliegt Stratmann schließlich hinsichtlich der Rolle von Nuklearwaffen in der ALB-Doktrin und der NATO-Strategie. Er erkennt zwar „eine Tendenz“ von ALB-Texten an, „in technisch verengter Perspektive nukleare und chemische Waffen wegen ihrer unter Umständen erheblich stärkeren militärischen Wirkung als bevorzugte Kampfmittel erscheinen zu lassen“

(S. 25), weist aber diesbezügliche Kritik mit dem Hinweis auf „das unveränderte leitende Interesse der amerikanischen Politik, durch die Verstärkung konventioneller Streitkräfte die Abhängigkeit vom möglichen Einsatz nuklearer Waffen zu verringern“ (ebd.), zurück. Ein solches Interesse soll hier nicht bestritten werden; gleichwohl ist angesichts der oben angeführten Evidenz (vgl. Punkt 3) festzustellen, daß die von Stratmann unterstrichene „kategoriale Unterscheidung nicht-nuklearer und nuklearer Waffen in der amerikanischen Militär-strategie“ (ebd.) von der ALB-Doktrin nicht widergespiegelt wird.

Was die NATO-Strategie betrifft, wendet sich Stratmann gegen „die übermäßig vereinfachende Einordnung atomarer Waffen als angeblich nur . politische Waffen'der Abschreckung“ (S. 29). Der politische Charakter von Nuklearwaffen und damit die Stabilität nuklearer Abschreckung beruhen jedoch darauf, daß sich mit ihnen Kriege im Sinne einer rationalen Ziel-Mittel-Beziehung nicht mehr führen lassen. Jeder Versuch, Nuklearwaffen als einsetzbare Kriegsführungsinstrumente mit militärisch-operativer Zielsetzung einzuplanen, schwächt daher die Abschreckung vor dem Krieg ebenso wie ihre Wiederherstellung im Krieg, die die NATO durch einen evtl, politisch kontrollierten, selektiven Gebrauch von Nuklearwaffen erreichen möchte. Stratmanns Beitrag leidet vor diesem Hintergrund daran, daß er sich — offenbar in dem Bestreben, eine entsprechende Einschätzung von ALB-Kritikern zu widerlegen — der Gefahr aussetzt, einer entpolitisierten Vorstellung über die Funktion von Nuklearwaffen innerhalb der NATO-Strategie das Wort zu reden.

Eckhard Lübkemeier (Studiengruppe Sicherheit und Abrüstung im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung)

K. -Peter Stratmann beansprucht, die besonders seitens der Friedensbewegung geäußerte Kritik an der „AirLand Battle“ -Doktrin des US-Heeres Punkt für Punkt zu widerlegen und als völlig ungerechtfertigt auch hinsichtlich der angeführten poten-tionellen politischen wie militärischen Konsequenzen für Strategie und Doktrin der NATO hinzustellen. Dabei interpretiert und bewertet er die neue US-Heeresdoktrin in einer Weise, die ich für politisch äußerst verharmlosend und sehr bedenklich halte. Eine Kritik an Stratmanns Argumentation Aussage für Aussage ist hier leider nicht möglich. Ich beschränke mich auf einige wesentliche Punkte.

Im Vorwort des Field Manual (FM) 100— 5, in dem die AirLand Battle (ALB) -Doktrin niedergelegt ist, wird die volle Übereinstimmung der Führungsund Einsatzgrundsätze dieser US-Heeresdienstvorschrift mit der gültigen NATO-Strategie und Doktrin betont. Dies mag aus amerikanischer Sicht zutreffen. Denn die ALB-Doktrin bringt ein altes, mit der Strategie der „Flexiblen Reaktion“ verbundenes Dilemma wieder verschärft zum Vorschein: die Strategie ist ein Kompromiß zwischen fundamentalen Interessensunterschieden der Bündnis-vormacht USA und den westeuropäischen Alliierten.

Für die USA bedeutet die Strategie der „Flexiblen Reaktion“ in Europa vor allem die Schaffung wirksamer, militärisch weit aufgefächerter Kriegführungsoptionen unterhalb der strategischen Ebene. So soll auf möglichst vielen Konfliktebenen eine angemessene Reaktion ermöglicht werden, ohne zugleich eine schnelle Eskalation zum Allgemeinen Nuklearkrieg zu riskieren, welcher die Existenz der USA gefährdet.

Dagegen heben die Westeuropäer und besonders die Bundesrepublik aufgrund ihrer besonderen Lage vorrangig den Aspekt der Kriegsverhinderung durch Abschreckung sowie der schnellen Konfliktbeendigung zur Schadensbegrenzung hervor — und nicht die Kriegführungsoptionen. Für sie steht die Eskalationsandrohung der „Flexiblen Reaktion“ im Vordergrund, um die Anbindung an die strategische Ebene sicherzustellen und so Krieg durch die Androhung unbegrenzten Schadens überhaupt abzuschrecken. Denn jeder militärische Konflikt in Europa, auch ein konventionell begrenzter, würde die Existenzgrundlagen sowohl der west-als auch der osteuropäischen Staaten gefährden.

Vor diesem Hintergrund ist das ALB-Konzept aus dem Blickwinkel der USA eine konsequente militärisch-operative Ausgestaltung und damit Verbesserung der NATO-Strategie der „Flexiblen Reaktion“: die militärischen Handlungsmöglichkeiten in einem begrenzten (konventionellen und nuklearen) Konflikt werden erweitert. Dabei wird allerdings'das Schwergewicht klar von der Reaktion auf die (militärische) Aktion verlegt, mit der Betonung von Offensive und Ergreifen der Initiative (vgl. TRADOC-Pamphlet 525— 5, in: Die „AirLand Battle“ -Doktrin, Militärpolitik Dokumentation, Nr. 34/35, S. 16).

Für die westeuropäischen NATO-Mitgliedstaaten wirft die ALB-Doktrin mit der in ihr enthaltenen Möglichkeit eines begrenzten Nuklearkrieges dagegen verschärft das Problem auf, ob die für die eigene Sicherheit als grundlegend angesehene Ankoppelung an das strategische Nuklearwaffen-potential der USA garantiert ist. Die neue US-Heeresdoktrin könnte in der Sicht der Westeuropäer eine solche Abkopplung eher erleichtern. Sie birgt zudem die Gefahr einer Senkung der Nuklear-schwelle durch das Sub-Konzept des „integrierten Gefechtsfeldes“. Die von Bundesverteidigungsminister Wörner offiziell geäußerte Ablehnung der Gültigkeit des FM 100— 5 für die NATO sowie für die amerikanischen Einheiten im NATO-Bereich Europa ist ganz offensichtlich Ausdruck dieser Befürchtungen (vgl. Woche im bundestag (wib), Nr. 9/1983, S. 25).

Stratmanns Gesamtbewertung der ALB-Doktrin läuft dagegen auf eine Unterstützung der amerikanischen Interpretation des Zusammenhangs zwischen der „Flexiblen Reaktion“ und der ALB-Doktrin hinaus. Er versteht ALB als den Versuch, „bisherige Schwächen der NATO-Vorneverteidigung auszuräumen, ohne die Grundlagen dieses Konzepts und der NATO-Strategie der . flexible response’ in Frage zu stellen (S. 29).

Daß sich die ALB-Doktrin keineswegs so bruchlos in die politischen und militärischen „Rahmenbedingungen“ der Strategie und Doktrin der NATO einfügt, wie es die Einschätzung von Stratmann unterstellt, belegen jüngste Äußerungen des Obersten Alliierten Befehlshabers Europa (SACEUR) der NATO, General Rogers. Die von Kritikern gegenüber der ALB-Doktrin vorgebrachten und begründeten Einwände, die Stratmann pauschal als „sachliche Irrtümer und fundamentale Fehlurteile“ abkanzelt und nur als „desinformierende Propaganda“ aus der Friedensbewegung verstanden wissen will, werden von Rogers offiziell bestätigt. Wesentliche Kernelemente der ALB-Doktrin werden von Rogers wie schon von den Kritikern als nicht mit der geltenden Strategie und Doktrin der NATO vereinbar beurteilt: die im Konzept des „extended battlefield" angelegten präemptiven Offensivoperationen, der offensive „deep attack“ mit Landstreitkräften sowie das Konzept des „integrated battlefield“ (vgl. Wehr-technik, Nr. 1/1985, S. 14, und Amerika-Dienst vom 19. 12. 1984, S. 10). Fundamentale Fehlurteile des NATO-Oberbefehlshabers?

Stratmann müht sich mit einer erstaunlichen militärischen wie politischen argumentativen Akrobatik ab, um der Öffentlichkeit einen Interpretationsrahmen aufzudrücken, der die operativen Kernelemente der neuen US-Heeresdoktrin ausschließlich als eine Verbesserung des Elements der Vorneverteidigung innerhalb der Strategie der „Flexiblen Reaktion“ erscheinen lassen soll. Sein zentrales Rechtfertigungsargument ist, daß die ALB-Doktrin nur ein operativ-taktisches Konzept sei und keine Militärstrategie formuliere. Stratmann übersieht, wohl — angesichts seiner sonstigen Veröffentlichungen — wider besseres Wissen, daß die ALB-Doktrin als militärisches Operationskonzept keineswegs im politisch luftleeren Raum steht und sozusagen strategie-neutral ist, wie er es zu suggerieren versucht. Vielmehr muß diese neue US-Heeresdienstvorschrift in dem grundlegenden Beziehungszusammenhang zwischen Politik und Militärstrategie und der faktischen Ausgestaltung dieses Verhältnisses durch entsprechende militärische Operationskonzepte gesehen und interpretiert werden.

Die Entwicklung und Formulierung des ALB-Konzepts ist rückgebunden an den durch politische Zielvorgaben vorbestimmten Inhalt der nationalen amerikanischen Militärstrategie. Dieser Kontext erzeugt die politische Brisanz der ALB-Doktrin für die NATO: Seit Ende der siebziger Jahre wurden in der amerikanischen Militärstrategie signifikante Änderungen mit zunehmend offensiver Tendenz vollzogen, vor allem unter der Reagan-Administration. Die Änderungen betonen konsequent das Prinzip der militärischen Überlegenheit und des militärischen Sieges, der Offensive gegenüber der Defensive, der Kriegführung gegenüber der Abschreckung (vgl. Michael T. Klare, The Reagan Doctrine, in: Inquiry, March/April 1984, S. 18— 22, und Leslie H. Gelb, ls The Nuclear Threat Manageable?, in: The New York Times Magazine, March 4, 1984, S. 26— 36, 65, 92). Die Folge einer solchen Orientierung ist die Entwicklung entsprechend offensiv orientierter militärischer operativer Doktrinen, wie z. B.der ALB-Doktrin (vgl. John L. Romjue, The Evolution of the Air-Land Battle Concept, in: Air University Review, May-June 1984, bes. S. 11). Da aber die nationale Militärstrategie der USA und daraus abgeleitete Operationskonzepte für ihre Landstreitkräfte nicht zwangsläufig identisch mit Doktrin und Strategie der NATO sind, enthält die offensiv ausgerichtete ALB-Doktrin sowohl taktische, operative als auch strategische Implikationen, die für die deklaratorisch defensiv ausgerichteten politischen wie militärischen Zielsetzungen der westlichen Allianz grundsätzlich problematisch sind.

Zwar formuliert das FM 100— 5 keine Militärstrategie, worauf Stratmann richtig hinweist, aber einige Formulierungen dieser US-Heeresdienstvorschrift weisen durchaus strategische Bezüge auf („Eine einfache Formel für das Gewinnen von Kriegen gibt es nicht“, S. 1— 1; „Das Ziel aller Kampfhandlungen ist die Vernichtung der gegnerischen Streitmacht“, S. 2— 1). Stratmann versucht, diese Bezüge durch den Hinweis herunterzuspielen, das FM 100— 5 konzentriere sich „nur“ auf das Gewinnen von Feldzügen und Schlachten oder Gefechten, die aber in dem FM 100— 5 selber in den übergeordneten Kontext des Gewinnens von Kriegen gestellt werden. Diese Betonung deckt sich auch mit dem dem FM 100— 5 übergeordneten FM 100— 1, auf das Stratmann ja eindringlich verweist. Demgegenüber ist in der Doktrin und Strategie der NATO bislang weder von dem Gewinnen von Kriegern noch von der völligen Zerstörung der gegnerischen Streitmacht die Rede. Ihrem deklaratorischem Selbstverständnis nach strebt die NATO keinen militärischen Sieg über die UdSSR/WO an, sondern die Bewahrung oder Wiederherstellung der Integrität und Sicherheit ihres Territoriums. Die ALB-Doktrin reflektiert Kriegsziele, die sich von denen der NATO deutlich unterschieden (vgl. dazu TRADOC-Pamphlet 525— 5, in: Militärpolitik Dokumentation Nr. 34/35, S. 16).

Stratmann kann das FM 100— 5 für die NATO als politisch unproblematisch nur hinstellen, indem er diese Vorschrift aus ihrem eigentlichen politisch-strategischen Zusammenhang löst und als „nur" -operativ-taktisches Konzept künstlich zu isolieren versucht. Aber auch als „operational concept" enthält das FM 100— 5 der US Army äußerst problematische militärische Konsequenzen für die Operationsführung von Landstreitkräften der NATO mit signifikanten politischen Folgewirkungen. Die ALB-Doktrin ist keineswegs nur eine „spezifische Taktik der Vorneverteidigung“ der NATO, wie Stratmann behauptet. Die Führungs-und Einsatzgrundsätze dieser Doktrin beziehen sich auf die taktsiche und operative Ebene von Kriegführung. Auf der operativen Ebene, die ein Bindeglied zwischen dem taktischen und strategischen Bereich darstellt, geht es darum, durch Bewegungen größerer Heeresverbände (Korps, Armeen) strategische Ziele auf einem Kriegsschauplatz zu erreichen. Stratmann muß selber zugestehen, daß durch den über den Bereich der Taktik hinausreichenden Anspruch der ALB-Doktrin Probleme für den taktischen Rahmen des NATO-Konzepts der Vorneverteidigung entstehen. Er versucht das Problem durch die Behauptung herunterzuspielen, das FM 100— 5 würde den von der Doktrin gesetzten Anspruch nur für den operativ-taktischen Bereich einlösen, und wirft den Kritikern ernsthaft vor, sie würden den weitergehenden Anspruch der ALB-Doktrin ernst nehmen. Der Anspruch des FM 100— 5 reicht per definitionem auch nur bis auf die operativ-taktische Ebene, wo es um den Einsatz von Divisionen unter Führung eines Korps geht. Aber die US Army ist dabei, den in ihrer Doktrin erhobenen Anspruch für die operative Ebene von Kriegführung einzulösen. Entsprechende Führungs-und Einsatzgrundsätze werden in gesonderten „Field Manuals“ entwickelt, die in Kürze veröffentlicht werden dürften: FM 100— 15, Corps Operations und FM 100— 16, Echelons Above Corps, wobei letztere Vorschrift auch operativ-strategische Aspekte berührt. Für die NATO wäre die Übernahme einer „Deep Attack“ -Doktrin für den taktischen und operativen Bereich nach ALB-Muster. bei der ein wesentliches Element ein offensiv orientiertes „Maneuver Warfare“ -Konzept ist, mit nachhaltigen Konsequenzen verbunden. Die ALB-Doktrin bedeutet implizit den Ruf nach Aufgabe des Prinzips der Vorneverteidigung, die per Definition primär eine auf Abnutzung des Feindes durch Feuerkraft orientierte Doktrin ist. Bei dem ALB-Konzept geht es nicht um eine Vorneverteidigung mit verstärkter Betonung auf Beweglichkeit (vgl. dazu John S. Doerfei, The Operational Art of the AirLand Battle, in: Military Review, May 1982, bes. S. 6). Vielmehr betont die neue US-Heeresdoktrin, Landstreitkräfte in taktischer und operativer Weise offensiv einzusetzen, was für die NATO den Übergang zu einer sehr offensiv geführten beweglichen Verteidigung oder zu einer Vorwärtsverteidigung nach WVO-Manier bedeuten würde, die hauptsächlich auf dem Territorium des Gegners stattfände. Dies wird auch von General Rogers als charakteristische Eigenart der ALB-Doktrin beschrieben. Ein derartiges militärisches Operationskonzept liefe auf einen grundlegenden Wandel in der Strategie des westlichen Bündnisses hinaus. Die politisch auferlegte defensive Strategie der Vorneverteidigung auf dem Kriegsschauplatz schließt für die NATO faktisch ein taktisch und operativ offensiv „Maneuver Warfare“ favorisierendes Konzept wie ALB aus, was Befürworter solcher Konzepte auch als Hinderungsgrund anführen (vgl. Edward N. Luttwak, The Operational Level of War, in: International Security, Nr. 3, Winter 1980/81, S. 79).

Im übrigen verfügt jede militärische Streitkraft, die in der Lage ist, eine taktische und operativ bewegliche Verteidigung wirksam auszuführen, zugleich über bedeutende offensive Fähigkeiten. Der Übergang zu einem taktischen und operativen „Maneuver Warfare" -Konzept würde für die NATO zwangsläufig den Ausbau der Fähigkeit zu Offensivoperationen bedeuten. Mit seiner Rechtfertigungsinterpretation der ALB-Doktrin redet Stratmann dem Aufbau einer eigenen Offensivkapazität des Bündnisses das Wort. Im Hearing „Alternative Strategien“ des Deutschen Bundestages hat Stratmann bereits indirekt den „Aufbau einer Fähigkeit zur frühzeitigen Gegenoffensive mit Landstreitkräften“ der NATO befürwortet (vgl.seine Vorlage zum Hearing vom 17. 11. 1983). Militärisch hätte eine derartig offensiv ausgerichtete Verteidigungsstrategie der NATO sehr negative Konsequenzen für die Krisenstabilität in Europa (vgl. dazu John J. Mearsheimer, Maneuver, Mobile Defense, and the NATO Central Front, in: International Security, Nr. 3, Winter 1981/82, S. 120). Politisch birgt eine solche Strategie die Gefahr in sich, daß sie auch zu politisch offensiven Zwecken gegenüber der WVO genutzt werden könnte, was der „Strategie-Professor“ Huntington in dankenswerter Deutlichkeit dargelegt hat (vgl. Samuel P. Huntington, Conventional Deterrence and Conventional Retaliation in Europe, in: International Security, Nr. 3, Winter 1983/84, S. 32— 56).

Auch Stratmanns Einwand zur Entkräftung der ALB-Doktrin, die NATO habe ja schon längst eine „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“, überzeugt nicht und geht an den Realitäten vorbei. So ist die Bundeswehr nach dem Urteil etlicher militärischer Fachleute aufgrund ihrer Ausbildung, Streitkräftestruktur und Bewaffnung durchaus in der Lage, offensiven „Maneuver Warfare“ ä la ALB durchzuführen. Und die US Army ist dabei, die von ihrer Doktrin geforderten militärischen Fähigkeiten aufzubauen (Army/Corps/Division 86-Konzepte). Diese beiden Armeen stellen den größten Teil der militärischen Schlagkraft der NATO bei den Land-streitkräften in Mitteleuropa dar.

Auch wenn der Übergang der NATO zu einer offensiv orientierten Verteidigungsstrategie nach Aussagen von Politikern und Militärs bedeutete, daß dies gänzlich defensiv gemeint sei, bleibt doch zu bedenken, daß auch die WVO-Staaten ihre Offensivkapazität defensiv begründen. Wenn Stratmann in Einklang mit der NATO-offiziellen Auffassung der WVO unterstellt, sie könne ihr militärisches Offensivpotential auch zu politisch wie militärisch offensiven Zwecken nutzen, dann hätte eine entsprechende Bedrohungsperzeption der WVO gegenüber einer offensivfähigen NATO auch ihre Berechtigung. Stratmanns Methode, die ALB-Doktrin unter Aussparung ihrer militärischen und vor allem politischen Konsequenzen abzuhandeln und zu rechtfertigen, ist meiner Ansicht nach daher schlicht politisch unverantwortlich. Ich halte es deshalb für politisch angebrachter, darüber nachzudenken, wie die NATO ihre defensiv orientierte Strategie mit einer entsprechenden Streitkräftestruktur und Bewaffnung in Einklang bringen kann, so daß eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit tatsächlich eingelöst wird. Dadurch würde die besonders für Europa wichtige Entspannungspolitik, Rüstungskontrolle und Abrüstung viel besser gefördert. Doktrinen wie ALB wirken hier kontraproduktiv.

Randolph Nikutta (Berliner Projektverbund Berghof-Stiftung für Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Politische Wissenschaften)

Es fällt mir schwer, auf die beiden Kommentare von Eckhard Lübkemeier und Randolph Nikutta gänzlich unpolemisch zu antworten. Zu sehr sind sie bemüht, an der Argumentation meines Aufsatzes vorbeizuschreiben. Wie dessen Text zu entnehmen ist, wurde er in der Absicht verfaßt, dem sich im Sommer vergangenen Jahres abzeichnenden systematischen politischen Mißbrauchtes AirLand Battle-Themas für die Agitationskampagnen des „Heißen Herbstes“ und darüber hinaus entgegenzuwirken. Mein Interesse war, den von den Strategen der „Friedensbewegung“ nach Kräften verbreiteten Eindruck zu korrigieren, „als versuche die amerikanische Regierung, im westlichen Bündnis eine neue, friedensgefährdende Militärstrategie durchzusetzen, eine . offensive Kriegführungsdoktrin für das Schlachtfeld Europa*“ Es sollte gezeigt werden, daß „dieser Eindruck im wesentlichen auf Mißverständnissen, Unkenntnis und Irreführung“ beruhte. Die Absicht lag also „nur darin, die Haltlosigkeit jener Mißdeutungen und jener im wahrsten Sinne des Wortes maßlosen Kritik zu erweisen, die in der Bundesrepublik einmal mehr die Strategiedebatte verzerrt und die mehr über deren eigene Misere aussagt als über den kritisierten Gegenstand“

Indessen wurde mit dieser politisch motivierten Kritik der Kritik (die, nebenbei bemerkt, nicht „pauschal“, sondern sehr spezifisch argumentierte) nicht bezweckt, „die AirLand Battle-Doktrin und die auf ihr beruhende Führungsvorschrift der US-Army von Kritik auszunehmen” Der Text stellt im Gegenteil klar: „Dafür gibt es keinen Grund, denn sie enthalten durchaus Aussagen, Einschätzungen und Empfehlungen, die mit kritischen Vorbehalten gesehen werden müssen.“ Meine eigene Reserve habe ich am Beispiel der Darstellung des „integrated battlefield“ -Konzepts im FM 100-5 verdeutlicht und außerdem generell darauf hingewiesen, „daß die AirLand Battle-Doktrin wegen ihrer globalen Perspektiven naturgemäß auch Vorstellungen und operative Varianten beschreibt, die im NATO-Kontext aus verschiedenen Gründen nicht anwendbar oder realisierbar sind. Darauf ist von General Rogers, dem Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, und auch von offizieller deutscher Seite öffentlich hingewiesen worden“

Mir ist unerfindlich, wie R. Nikutta trotz dieser Aussagen den Eindruck gewinnen konnte, als werde von mir „unterstellt“, „die“ ALB-Doktrin füge sich „bruchlos“ in die NATO-Strategie ein.

Er mutmaßt sogar eine „Rechtfertigungsinterpretation“ dieser Doktrin, eine „Auftragsarbeit“

für das Verteidigungsministerium, die „die Rechtfertigungsmuster für eine Einführung der . AirLand Battle’-Doktrin" liefere. In diesem Zusammenhang hält er der Bundeszentrale für politische Bildung vor, sie habe die Arbeit in der vorliegenden Zeitschrift „sogar“ „einer sehr breiten Öffentlichkeit (!) kostenlos (!) zugänglich gemacht“

Auch E. Lübkemeier verkennt anscheinend, daß es erklärtermaßen überhaupt nicht meine Absicht war, eine umfassende, abgewogene Bewertung der ALB-Doktrin im Hinblick auf eine hypothetische uneingeschränkte Übertragung auf NATO und Bundeswehr zu verfertigen. Vielmehr habe ich — allerdings wohl mit mäßigem Erfolg — zu begründen versucht, weshalb sich diese Frage in Wirklichkeit in dieser Form gar nicht stellt, die genannten Kritiker folglich gleichsam durch offene Türen gegen Windmühlenflügel anrennen.

Dabei kommt es auf folgende Punkte an: 1. Die NATO verfügt über eine gemeinsame Bündnisstrategie, die in Form von politischen Richtlinien, Verfahren, Operationskonzepten und zahlreichen Plänen konkretisiert worden ist. Die Gültigkeit dieser Strategie (und der Form ihrer praktischen Umsetzung) wird von keiner NATO-Regierung (und auch nicht von Seiten der US-Army) in Frage gestellt.

2. Die ALB-Doktrin der US-Army formuliert in der Vorschrift FM 100-5 nationale Crundsätze für Ausbildung und Einsatz amerikanischer Heeresverbände, und zwar im Hinblick auf alle vorstellbaren Konflikte, d. h. für alle Weltgegenden und unter allen Kriegsbedingungen. Daraus folgt, daß diese Vorschrift nicht ausschließlich auf die spezifischen Bedingungen der NATO in Europa abheben kann.

3. Das FM 100-5 formuliert keine nationale amerikanische Militärstrategie, sondern beschränkt sich auf den operativ-taktischen Kontext des Einsatzes von Truppen auf Korps-Ebene und darunter. Seine Aussagen sind folglich grundsätzlich ungeeignet, um Behauptungen über angebliche Charakteristika einer solchen Strategie zu beweisen. Vielmehr müßten derartige Behauptungen mit hierarchisch angemessenen Quellen, Materialien und Analysen untermauert werden anstatt mit einer indiskutablen Methode der Erschleichung unzutreffender Begriffsinhalte aus einer Heeresdienstvorschrift für die mittlere Befehlsebene. Es sollte doch eigentlich einleuchten, daß den Wörtern „Sieg“, „Vernichtung“, „Entscheidung“, „Angriff“, „Tiefe“, „gegnerische Streitmacht“ etc. im operativ-taktischen Zusammenhang des Gefechts von Divi-sionen und Korps — auf den das FM 100-5 ausschließlich abhebt — eine grundsätzlich andere Bedeutung eignet als im politisch-strategischen Zusammenhang. Und dieser klare Sachverhalt sollte nicht dadurch verwischt werden, daß vage politisch-strategische „Implikationen" und „Konsequenzen“ bemüht werden, ohne sie stichhaltig abzuleiten.

Um es — gegen Lübkemeier, Nikutta und andere — knapp und deutlich zu wiederholen: Die Aussage des FM 100-5, daß es die Aufgabe des Kommandierenden Generals des Korps (bzw.seiner Untergebenen [the commander]) sei, durch Angriff (the offense) und die vollständige Zerstörung des von ihm bekämpften feindlichen Großverbands (ah enemy force, the enemy force, the opposing force) den Feind zu schlagen (defeat the'enemy), kann als Aufforderung gelesen werden, durch offensive Besetzung Osteuropas und der Sowjetunion sowie durch vollständige Vernichtung der Streitkräfte der UdSSR diese zu besiegen! 4. Sofern operative Varianten und Prinzipien, die das FM 100-5 enthält und befürwortet, mit der gültigen Strategie und Planung der NATO unvereinbar sind, haben letztere eindeutig den Vorrang. Dies geht aus der Vorschrift selbst hervor und ist innerhalb der Allianz gänzlich unbestritten. General Rogers und Sprecher der Bundesregierung haben wiederholt dargestellt, wo derartige Divergenzen bestehen:

— Die NATO hat sich darauf festgelegt, daß der „erste Schuß“ in keinem Fall von der eigenen Seite abgefeuert würde. Man würde erst reagieren, nachdem der Angriff der Gegenseite eindeutig begonnen hätte. Im Unterschied hierzu läßt die nationale ALB-Doktrin der USA die Möglichkeit zu, zuerst anzugreifen.

— Die NATO-Landstreitkräfte würden sich ausschließlich auf eigenem Territorium verteidigen. Vorstöße auf das Gebiet des Warschauer Pakts sind ihren Kommandeuren untersagt. Diese schwerwiegende Einschränkung enthält die ALB-Doktrin nicht. Sie erlaubt offensive Operationen gegen gegnerisches Gebiet.

— Die NATO hat Richtlinien und Konzepte für den Einsatz nuklearer Waffen entwickelt, die auf strikte politische Kontrolle abheben, den Erfordernissen „vorbedachter Eskalation“ Rechnung tragen und folglich der Vorstellung einer durch militärische Zwänge dominierten „nuklearen Feldschlacht“ keinen Raum geben. Hingegen läßt die ALB-Doktrin die Möglichkeit zu, nukleare und chemische Waffen nach deren politischer Freigabe nach ausschließlich taktischen Kriterien einzusetzen.

Der entscheidende Irrtum maßgeblicher Kritiker der ALB-Doktrin liegt darin, daß sie diese abwei chenden Möglichkeiten fälschlich als in jedem Fall gültige, zwingende Forderungen der ALB-Vorschrift ausgeben. Auf diese Weise erwecken sie den Eindruck, als gäbe es zwischen NATO-Strategie und FM 100-5 einen fundamentalen, nicht überbrückbaren Gegensatz. Diese Darstellung verbindet sich mit der bereits erwähnten Behauptung, die inkriminierten angeblichen Prämissen der ALB-Doktrin bezeichneten das Wesen einer „neuen amerikanischen Strategie“, die nach dem Willen der USA die NATO-Strategie ersetzen solle. Keine dieser Behauptungen trifft zu.

5. Um das konstruierte strategische Dilemma zu relativieren, habe ich nachzuweisen versucht, daß alle „konkreten, spezifischen Aussagen“ des FM 100-5 zur Operationsführung durchaus NATO-konform ausgelegt und angewendet werden können. Das Konzept des „erweiterten Gefechtsfelds“ entspricht in vielen Zügen gültigen Einsatzvorstellungen der NATO für das Gefecht auf Divisions-und Korpsebene. Und auch wesentliche Charakteristika des „integrierten Gefechtsfeldes“ finden sich bereits in Richtlinien und Planung der NATO verwirklicht

6. Diese Elemente der Übereinstimmung werden von vielen Kritikern des FM 100-5, so auch von Nikutta und Lübkemeier, verkannt, weil von einer unzutreffenden Vorstellung der NATO-Strategie ausgegangen wird: Nikuttas These, die Vorneverteidigung der NATO sei „per Definition (!) primär eine auf Abnutzung des Feindes durch Feuerkraft orientierte Doktrin“, ist noch nicht einmal eine Halbwahrheit. Und die Ausführungen beider über die nukleare Strategie der NATO sind relativ konfus und vom üblichen Informationsstand und Problembewußtsein entmutigend weit entfernt.

So stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Nikutta dafür plädiert, die NATO-Strategie auf die Option einer „schnelle(n) Eskalation zum Allgemeinen Nuklearkrieg“ zu reduzieren. Hält er eine solche Drohung bei bestehendem nuklearen Kräfteverhältnis für glaubwürdig? Und glaubt er nicht auch, daß bei Versagen kriegsverhindern-der Abschreckung die Verwirklichung dieser Drohung, d. h. die schnelle Auslösung des Weltuntergangs, dem Überlebensinteresse der Bundesrepublik ebensowenig entspräche wie dem der USA? Was also bezweckt der von ihm in dieser Frage konstruierte Interessengegensatz zwischen beiden Ländern? Insgesamt bleibt unklar, wieso Nikutta die NATO-Strategie zu verteidigen vorgibt, wenn er ihre Grundlogik, die Verfügung über angemessene Reaktionsmöglichkeiten, für besonders gefährlich erachtet.

Und schließlich: Warum macht Nikutta für die problematische Höhe der „Nuklearschwelle“ und den prekären Zustand der Kopplung des amerikanischen strategischen Potentials an die Verteidigung Europas die ALB-Doktrin verantwortlich, nicht jedoch die stetige nukleare und konventionelle Rüstungsanstrengung der UdSSR und deren offensive strategische Instrumentierung gegenüber dem westlichen Bündnis? Hätte er diesem Faktor nicht zumindest einen kleinen Hinweis widmen können?

Lübkemeiers Ausführungen über die nukleare Doktrin der NATO leiden daran, daß er einen absoluten Gegensatz zwischen dem „politischen“ und dem „militärischen“ Einsatz atomarer Waffen postuliert. Hingegen geht die Strategie der NATO davon aus, daß die politische Zielsetzung möglicher eigener atomarer Einsätze, die in jedem Falle unter politischer Kontrolle und Beschränkung erfolgen sollen, unter Umständen nur bei hinreichender militärischer Wirkung erreicht werden könnte. Die nuklearen Waffen der NATO in Europa sind seit sehr langer Zeit sogar ausschließlich gegen Ziele von militärischer Bedeutung eingeplant. Diese bekannte — aber für Lübkemeier wohl unannehmbare — Tatsache steht jedoch keineswegs im Widerspruch zu der richtigen Aussage, daß in der NATO-Strategie Nuklearwaffen als Mittel zum politischen Zweck der Kriegsverhinderung, -beschränkung und -beendigung begriffen werden und insofern als „politische Waffen“ So gerechtfertigt Lübkemeiers Kritik an der Tendenz des FM 100-5 ist, mit dem Konzept des „integrierten Gefechtsfeldes“ Nuklearwaffen zu „entpolitisieren“ und zu „konventionalisieren“ — so irrt er jedoch, wenn er annimmt, die NATO habe bisher keine Überlegungen darüber angestellt, „wie das bestehende Potential militärisch sinnvoll gebraucht werden könnte“.

Aus dieser kurzen Wiederholung meiner Haupt-argumente ist hoffentlich deutlich geworden, daß diese „Kritik der Kritik“ an der ALB-Doktrin kein Plädoyer für eine Änderung der NATO-Strategie bedeutet. Vielmehr halte ich diese Strategie nach Lage der Dinge für sicherheitspolitisch und auch militärisch optimal. Nicht anders als Lübkemeier habe ich seit langem die Auffassung vertreten, daß Forderungen nach einer „Gegenoffensivstrategie“ der NATO nach sowjetischem Vorbild äußerst unklug und unrealistisch sind und daß perfektionistischen Entwürfen einer „nuclear warfighting capability“ entschieden entgegenzutreten ist. Allerdings enthebt uns diese Haltung nicht der Aufgabe, die militärische Realisierbarkeit von „Vorneverteidigung" und „Vorbedachter Eskalation“ gegen die wachsenden militärischen Fähigkeiten des Warschauer Pakts im konventionellen und nuklearen Bereich zu behaupten. In diesem Zusammenhang liefert auch die ALB-Doktrin wichtige Anstöße.

An den Stellungnahmen Lübkemeiers und Nikuttas fällt auf, daß sie sich mit der Aufzählung von Postulaten zufriedengeben, denen die NATO-Verteidigung entsprechen sollte: Sie muß erfolgreich abschrecken, ohne als Bedrohung wahrgenommen (oder dargestellt?) werden zu können, in einer Krise stabilisierend wirken, bei Versagen der Abschreckung erfolgreich die Integrität des eigenen Territoriums bewahren oder wiederherstellen, dies auf nicht-eskalatorische Weise und mit Schadensminimierung sowie bei schneller Beendigung des Krieges. Ob und wie diese höchst anspruchsvollen (und nicht gänzlich widerspruchsfreien) Postulate angesichts der Entwicklung des gegnerischen Militärpotentials, der militär-strategischen Zielsetzung der UdSSR für den Fall eines Krieges in Europa und der sich entwickelnden WP-Offensivoptionen neuer Art von der NATO materiell realisiert werden können, ist demgegenüber offenbar von geringem Belang. In erster Linie geht es — gut deutsch — um Prinzipien, und zwar vor allem um politische. Von dieser hohen Warte aus nehmen sich sogar zentrale Probleme der westlichen Militärstrategie und Einsatzplanung — das militärische Substrat von Sicherheitspolitik — als „militärtechnisch" und Sorge minderer Geister aus. Die Dimension der destabilisierenden Herausforderung durch die sowjetische Rüstung in Europa schrumpft in dieser Mentalität allenfalls zur moralisierenden Ermahnung an amerikanische „AirLand Battle-Strategen“, nicht dem „schlechten Beispiel“ des sowjetischen Offensivdenkens zu folgen (da andernfalls das Porzellan mit den geschätzten Teekannensprüchen abgeklärter deutscher Sicherheitspolitik häßliche Sprünge bekäme).

Lübkemeiers Kritik, mein Aufsatz weise den Fehler auf, von den operativ-taktischen Aussagen der ALB-Doktrin auf eine defensive Orientierung der amerikanischen Militärstrategie zu schließen, trifft meine Argumentation nicht. Ich habe mich lediglich gegen die Behauptung deutscher Kritiker gewandt, die ALB-Doktrin sei oder charakterisiere „die" amerikanische Strategie, und die teilweise Nicht-Identität dieser Doktrin mit den Grundsätzen der NATO belege die politische Absicht der USA, der NATO diese vermeintliche Strategie aufzudfücken. Hingegen habe ich mich einer Bewertung der eigentlichen Militärstrategie der USA enthalten. Eine solche Bewertung ist ausgesprochen schwierig, weil es bisher statt einer kohärenten Strategie lediglich eine sehr kontrovers debattierte Entwicklung strategischer Vorstellungen gibt. Und ich hielte es für nicht erforderlich, für die Kritik der dokumentierten Verzerrungen in der deutschen Auseinandersetzung um „AirLand Battle“ diesen Prozeß mit einzubeziehen. Wollte man ihn analysieren und seinen Verlauf einschätzen, müßte eine Fülle von Material gesichtet werden: politische Grundsatzerklärungen des Präsidenten und seiner Berater, bestimmende Bedrohungsvorstellungen, Planungsleitlinien, Rüstungsprogramme, militärische Einsatzkonzepte und anderes mehr. Dabei müßten so gut wie möglich Substanz und politische Rhetorik, Programmatik und tatsächliche Fähigkeiten unterschieden, Friktionen und die verschiedenen Motive, Interessen und Ziele der am politischen Prozeß Beteiligten herauspräpariert werden. Statt dessen unternehmen beide erneut den untauglichen Versuch, den angeblichen Charakter der amerikanischen Militärstrategie so gut wie ausschließlich aus TRADOC-„pamphlets“, dem Wortlaut des FM 100-5 und durch Exegese der Artikel der mit ihm befaßten Obristen und Oberstleutnants abzuleiten. Es ist eine problematische Illusion, auf diese Weise ein „politisch-strategisches Vakuum“ ausfüllen zu können.

Allerdings kennt Nikutta ein solches Vakuum wohl ohnehin nicht. Sein Bild der amerikanischen Politik gründet fest im Vorurteil und ist durch Differenzierung nicht belastet. Er nimmt Änderungen dieser strategischen Politik wahr, die „konsequent das Prinzip der militärischen Überlegenheit und des militärischen Sieges, der Offensive gegenüber der Defensive, der Krieg-führung gegenüber der Abschreckung“ betonen. In noch klarerer Sprache: „Das Militär in Verbindung mit einer offensiv militärischen Siegstrategie soll vorrangiges Instrument zur Verfolgung der außenpolitischen Interessen der USA werden, um vor allem den . Erzfeind'UdSSR weltweit zurückzudrängen und um ihn auch im Falle eines strategisch-nuklearen Konflikts zu besiegen und als Gewinner hervorzugehen ...

Der . Kult der Offensive'und die Betonung des militärischen Sieges durch die völlige Vernichtung des Gegners als „AirLand Battle" -Philosophie gewinnen hier so über das Operativ-Taktische hinausgehend ihren gefährlichen politischen Inhalt, da sie auch allgemeine aggressive strategische Zielsetzungen widerspiegeln.“

Es soll hier nicht weiter über eine Parteilichkeit nachgesonnen werden, die der amerikanischen Politik eine Präferenz für die Führung von Kriegen gegenüber deren Verhinderung zuschreibt und die Entwicklung zu einer stärker offensiv akzentuierten Militärstrategie der USA mit aggressiven politischen Absichten gleichsetzt.

Diese Deutungen sind nicht selten und werden in jedem Fall durch den „Minimalkonsens“ der Koordinatoren der deutschen „Friedensbewegung“ gedeckt. Delikat ist allerdings, daß in der gleichgesinnten Studie der GRÜNEN über Air-Land Battle und Rogers Plan derartige Gleichsetzungen im Hinblick auf die Offensivstrategie der UdSSR kategorisch als unzulässig zurückgewiesen werden (ja sogar eine Darstellung dieser Strategie als Faktor für die Sicherheitspolitik der NATO mit dem Argument unterlassen wird, daß dies sehr schwierig sei und die Arbeit noch umfangreicher machen würde!)

So schließt sich der Kreis. Wie zu Beginn dieser Stellungnahme erwähnt, gab (und gibt es noch immer) den orchestrierten Versuch, das AirLand Battle-Thema als Ersatz und Ergänzung für das Raketen-Thema als Instrument zu nutzen, um in der Bundesrepublik bestimmte Zielgruppen der Bevölkerung gegen die westliche Sicherheitspolitik aufzubringen. Mit welcher organisatorischen Kompetenz und politischen Skrupellosigkeit dabei vorgegangen wird, illustrieren die Festmeter an stereotypem Agitationsschund zu „AirLand Battle“ und den „neuen amerikanischen Strategien“, die sich im vergangenen Herbst über das „Fulda gap“ und andere Gegenden dieser Republik ergossen haben Der Anspruch der „Friedensbewegung“, auf diese Weise „Bewußtsein zu bilden“, kann nur beunruhigen. K. -Peter Stratmann (Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen)

Fussnoten

Fußnoten

  1. „AirLand Battle“ — Zerrbild und Wirklichkeit, B 48/84 v. 1. 12. 1984, S. 19— 30.

  2. Anm. 1, S. 19.

  3. Ebenda.

  4. Anm. 1, S. 29.

  5. Ebenda.

  6. Ebenda.

  7. Anm. 1, S. 25.

  8. Anm. 1, S. 23.

  9. Randolph Nikutta, Wer dagegen ist, hat was am Kopf. Eine neue Rechtfertigungsstrategie für „AirLand Battle“, in: taz Magazin v. 10. 12. 1984, S. 10— 11. Der Titel spricht wohl für sich.

  10. Siehe hierzu die einschlägigen Aussagen in der NATO-Führungsvorschrift „Land Force Tactical Doctrine“ (ATP-35) vom April 1978, z. B. in § 503: „The employment of nuclear weapons on the battlefield is one of NATO’s options. These weapons will be used as politically directed, either in response to enemy use or through deliberate escalation. Their use will have to be militarily effective in Order to achieve NATO’s political objectives. The nature and scale or employment will depend upon the specific Situation.“ § 508: „In general, forces facing an enemy with a nuclear capability should be organized and deployed to fight in a conventional or a nuclear invironment with a minimum period of transition.“ § 509: „Nuclear weapons alone will not necessarily be decisive on the battle-field. Conventional fire and manoeuvre must be integrated with nuclear operations.“

  11. Siehe ausführlicher zu sdiveser verwickelten Problematik und als Einführung in die Literatur K. -Peter Stratmann, NATO-Strategie in der Krise?, Baden-Baden 1981; ders., Modernisierung und Dislozierung nuklearer Waffen in Europa: Mögliche Funktionen vereinbarter Beschränkungen bei der Stabilisierung der Abschreckung (SWP — AP 2337), Ebenhausen, Sept. 1982 (gekürzt abgedr. in: Uwe Nerlich (Hrsg.), Die Einhegung sowjetischer Macht, Baden-Baden 1982, S. 421— 453); ders., Zur politischen Bewertung des nuklearen Kräfteverhältnisses, in: Erhard Forndran/Gert Krell (Hrsg.), Kernwaffen im Ost-West-Vergleich, Baden-Baden 1984, S. 299— 337.

  12. Nikutta. Wer dagegen ist... (Anm. 9), S. 10.

  13. DIE GRÜNEN im Bundestag (Hrsg.), Angriff als Verteidigung, Bonn-Hamburg 1984, S. A 85, A 17.

  14. Ich bin dabei, hierzu für eine Buchveröffentlichung über die ALB-Kontroverse eine repräsentative Dokumentation zusammenzustellen. Für Hinweise aus dem Kreis der Leser auf entsprechendes Material wäre ich deswegen sehr dankbar.

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