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Islamische Wirtschaftsordnung im Iran? Eine kritische Zwischenbilanz | APuZ 42/1984 | bpb.de

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APuZ 42/1984 Artikel 1 Der iranisch-irakische Krieg Islamische Wirtschaftsordnung im Iran? Eine kritische Zwischenbilanz Islam, Entwicklung und Entwicklungspolitik südlich der Sahara Ein Beitrag zur sozio-kulturellen Problematik der Sahelzone

Islamische Wirtschaftsordnung im Iran? Eine kritische Zwischenbilanz

Javad Kooroshy

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Führung des Irans hat fünf Jahre nach der Regierungsübernahme noch immer kein geschlossenes ökonomisches Konzept für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ausarbeiten können. Der versprochene Rückgang der Importe und die Verminderung der Abhängigkeit der Wirtschaft von den Erdöleinnahmen sind unterblieben. Eher ist das Gegenteil der Fall: das Importvolumen des Landes beträgt zur Zeit 23 Mrd. US-$im Jahr (1978, im Jahr vor der Revolution, waren es 14, 6 Mrd. US-$). Die technologische Abhängigkeit der Industrie vom Ausland hat sich weiter verstärkt. Nach Angaben des Industrieministers ist die iranische Industrie zu 95% auf die Einfuhr von Maschinen und Ersatzteilen sowie zu 75% auf die Einfuhr von Rohstoffen und Vorprodukten aus dem Ausland angewiesen. Die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft haben sich im Vergleich zu der Zeit vor der Revolution erheblich verstärkt. Der industrielle Teil des Privatsektors hat infolge der politischen Umwälzungen der letzten Jahre an Bedeutung verloren, und die Investitionen sind zurückgegangen. Demgegenüber haben die Bazaries und die Kaufleute einen bedeutenden Platz in der Wirtschaft und der Politik des Landes eingenommen. Die derzeitige Wirtschaftspolitik der „Islamischen Republik" besitzt wesentliche Elemente der Politik des früheren Regimes, mit dem Unterschied, daß die jetzige Staatsführung des Irans diese „im islamischen Gewand“ zu präsentieren versucht. Die iranische Führung und vor allem die Geistlichkeit haben ihre Popularität weitgehend verspielt. Die Verschlechterung der Lebens-und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung und die gewaltsame Unterdrückung jeglicher politischer Opposition haben zu Unzufriedenheit und Resignation geführt. Der Prozentsatz der Bevölkerung, der Ayatollah Khomeiny unterstützt, ist von anfänglich 90% auf weniger als 10% zurückgefallen.

I. Einleitung

Tabelle 1: Staatsverschuldung bei den Inlandsbanken in Mrd. Rial .Quelle: Jahresbericht der Iranischen Zentralbank, Jg. 1360 (1981/82) 1359 (1980/81) 2 944, 8 1360 (1981/82)

Im Iran ist die Auseinandersetzung über die zukünftige Wirtschaftsordnung in eine entscheidende Phase getreten. Die klerikalen Gruppen haben seit ihrer Machtübernahme im Februar 1979 keine Gelegenheit ausgelassen, die „islamische Wirtschaftsordnung“ als „dritten Weg“, als den Weg zur Befreiung der Menschen von „materiellen Werten, von denen der Kapitalismus und der Sozialismus geprägt sind", zu beschwören.

Durchgesetzt haben sich aber bisher weder die „göttliche Gerechtigkeit" noch die „islamische Brüderlichkeit". Ein Abgeordneter sagte vor dem Parlament: „Das wichtigste Hindernis im ökonomischen Bereich besteht darin, daß unser jetziges Wirtschaftssystem vom alten Regime geerbt worden ist. Abgesehen von einigen Änderungen im Oberbau hat keine grundlegende Umwälzung stattgefunden."

Zwar sind die Rechte der Frauen drastisch eingeschränkt und die Organe der Rechtsprechung umstrukturiert sowie das Vergeltungsund Blutgeldgesetz (Ghesas und Dieh) in Kraft gesetzt, ferner die Wettervorhersage als Einmischung in „Gottesangelegenheiten" eingestellt (1) und zahlreiche islamische Normen im kulturellen Bereich eingeführt worden, aber tiefergehende Änderungen sind unterblieben. Die Gesellschaftskrise, die den Sturz des alten Regimes herbeiführte, hat sich nicht nur nicht abgeschwächt, sondern weiter verschärft. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Geistlichkeit trotz der großen Opferbereitschaft der Volksmassen und der umfangreichen ökonomischen Ressourcen bei der erstrebten Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen der unteren Einkommensschichten versagt hat und damit „die historische Chance eines politischen Neuanfangs nach der Revolution ungenutzt blieb" Eine Bilanz des fünfjährigen Bestehens der „Islamischen Republik" weist auf, daß keine der ökonomisch-sozialen oder politischen Versprechungen eingelöst wurden. Es kann mit Sicherheit behauptet werden, daß nach diesem fünfjährigen Prozeß der iranischen Geschichte das Experiment der „Islamischen Republik" gescheitert ist. Daraus folgt die Überlegung, ob tatsächlich eine Wiederbelebung des Islams bevorsteht. Sicherlich sind die unterdrückten und ausgebeuteten Massen in den islamischen Ländern von der Ausstrahlungskraft der iranischen Volksbewegung beeindruckt. Sie werden auch weiterhin durch die propagandistische Politik der iranischen Geistlichen beeinflußt. Sie sind verfangen in den moralischen Ansprüchen des Islam, der Brüderlichkeit und soziale Gerechtigkeit verspricht und einen Weg zur Wiedererlangung nationaler und kultureller Identität anzubieten behauptet.

Die iranische Erfahrung zeigt, daß die Verwirklichung oder eine annähernde Realisierung dieser Ansprüche den Rahmen der Religion sprengt. Trotz des großen traditionellen Einflusses des Islam in diesen Ländern sind die Massen nicht bereit, auf Dauer den großen Versprechungen der Geistlichen zu folgen. Denn die religiösen Führer im Iran haben sich, wie kein politischer Gegner es vermocht hätte, bloßgestellt.

II. Die Machtkämpfe unter der iranischen Geistlichkeit

Investitionen des Privatsektors in Mio. Rial Tabelle 2: . Quelle: Jahresbericht der Iranischen Zentralbank, Jg.

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 1983 hat die Regierung versucht, durch die Vorlage mehrerer Gesetzesentwürfe sowie durch die Aufstellung des ersten Fünfjahresplanes der . Islamischen Republik" dem seit der Revolution bestehenden Wirrwarr in der Wirtschaft ein Ende zu setzen. Die Konturen der intendierten Wirtschaftspolitik des Landes sind sichtbarer geworden, obgleich der Weg bis zur vollständigen Formulierung und Durchsetzung dieser Politik noch lang ist. Parallel dazu haben die Streitigkeiten und der Zwiespalt innerhalb der islamischen Führung im Hinblick auf die Interpretation und Auslegung islamischer Vorschriften und ihrer Anwendung auf die anstehenden Probleme eine neue Qualität erreicht. Anders als in den früheren Machtauseinandersetzungen, die hauptsächlich zwischen Technokraten und oppositionellen Intellektuellen einerseits und den Geistlichen andererseits stattfanden, stehen sich heute zwei starke religiöse Lager der Geistlichkeit gegenüber, die mit eigenen Interpretationen und Definitionen unterschiedliche Positionen sowohl zu den Problemen des Alltags wie auch zu zukünftigen politisch-wirtschaftlichen Leitlinien des Landes einnehmen. Es geht dabei im wesentlichen um zwei unterschiedliche Vorstellungen und Interpretationen des Islam: Die eine Gruppe setzt sich für die Verstärkung der Rolle des Staates in der Wirtschaft, für verstärkte Kontrolle über den Außenhandel sowie für einige Reformen ein, die die Ansprüche des Islam — als eine im Dienste der „Entrechteten“ stehende Lehre — als durchführbar erscheinen lassen sollen, während die andere Gruppe an den ursprünglichen islamischen Lehren festhält und für unbegrenztes Eigentumsrecht, unbegrenzte Tätigkeit des privaten Sektors und einen unkontrollierten Außenhandel eintritt. Hinter der zweiten Gruppe stehen die Groß-und Mittelhändler des Bazars und die von ihnen beeinflußten geistlichen Persönlichkeiten. Der Ayatollah Khomeiny ist der zweiten Gruppe zuzurechnen, obwohl er gegenüber beiden Lagern eine taktisch motivierte Distanz übt.

Es kann hier im weitesten Sinne von einer reformerischen und einer konservativen Strömung die Rede sein. Die Repräsentanten der ersten Gruppe sind Ayatollah Montazery, Parlamentspräsident Rafsendschani sowie die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten, Freitagsprediger und Regierungsmitglieder, während der konservative Flügel durch die Mehrheit des „Wächterrates der Verfassung", die islamischen Gelehrten des theologischen Zentrums von Ghom und die beiden ranghohen Ayatollahs Golpayegany und Marashy vertreten ist. Diese Einteilung umfaßt alle Ebenen der religiösen und staatlichen Hierarchie. Das folgende Schema verdeutlicht die religiös-staatlichen Entscheidungskompetenzen:

III. Die Streitfragen

Geldeinlagen des Privatsektors in Mrd. Rial Tabelle 3: Jahr Geldeinlagen 400.Quelle: Jahresbericht der Iranischen Zentralbank, Jg. 1356 und 1360 (1977/78 und 1981/82)

Die wichtigsten Streitfragen sind folgende:

1. Die Rolle des Staates in der Wirtschaft — Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit des staatlichen Sektors.

2. Die Bestimmung der Grenzen für die Tätigkeit des privaten Sektors, wobei die Klärung der Eigentumsfrage aus der Sicht des Islam eine Schlüsselrolle spielt.

Der Außenhandel und die Rolle des Staates in diesem Bereich; dabei geht es darum, ob der Außenhandel verstaatlicht oder dem privaten Sektor wie in den Zeiten vor der islamischen Revolution überlassen werden sollte. Die Regierung hat eine Gesetzesvorlage für die Verstaatlichung des Außenhandels dem Parlament eingereicht, die sie allerdings unter dem Druck der Gegner zurückziehen mußte 3).

Die Rolle der Genossenschaften in der iranischen Wirtschaft.

5. Die Klärung des Steuerwesens gemäß den islamischen Regeln und der Frage, ob die Steuererhebung im Islam überhaupt zulässig ist. 6. Die Bodenverteilung und Lösung der Eigentumsfrage der landwirtschaftlich genutzten Flächen. (Das Gesetz über die Bodenverteilung wurde unmittelbar nach der Revolution durch den damaligen Revolutionsrat erlassen, jedoch später durch das Veto des sogenannten Wächterrats der Verfassung zu Fall gebracht.) 7. Das islamische Bankwesen und die Rolle des Geldes in der „islamischen Wirtschaftsordnung". Außerdem gibt es verschiedene Argumentationen zur Beendigung oder Fortsetzung des iran-irakischen Krieges sowie zum Rahmen der Kritikausübung an der Regierungstätigkeit. (Eine umfassende Behandlung der oben ausgeführten Fragen würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.)

Im folgenden sollen die drei Wirtschaftssektoren des Iran — der Staats-, der Genossenschafts-und der private Sektor — in ihrer Entwicklung seit dem Sturz des Schahs skizziert und die mit ihnen verbundenen Streitfragen erläutert werden.

IV. Versuche der Ausprägung einer islamischen Wirtschaftsordnung in verschiedenen Sektoren

Unmittelbar nach dem Sturz des Schah-Regimes wurde durch die neue Regierung eine Wirtschaftspolitik verkündet, die die Errichtung einer vom Ausland unabhängigen Wirtschaftsordnung realisieren sollte. Diese Politik bezog sich auf eine Wirtschaftsstrategie, die sich an den Grundbedürfnissen des Landes orientieren und eine Autarkie erreichen sollte. Als erster Schritt zu diesem Ziel wurde vom Revolutionsrat im Juni 1979 der Beschluß „für den Schutz und die Entwicklung der iranischen Industrie" gefaßt, in dem — die Anwendung islamischer Ordnung bezüglich der Arbeitsrechte, — die Loslösung der iranischen Wirtschaft von der Abhängigkeit vom Erdöl sowie die Erlangung der Unabhängigkeit durch die Produktion von Gütern zur Deckung des Landes-bedarfs zur Erreichung der Selbstversorgung und der Exportsteigerung, — die Schaffung der Voraussetzungen für Arbeit, Beschäftigung und Spezialisierung, — die Zurückdrängung der Einflüsse von'

absolutistischer Ausbeutern und Agenten Ordnung, — die Vermeidung der Staatlichkeit sowie der Schutz und die Ermutigung nichtstaatlicher Tätigkeit und Initiativen des privaten Sektors 4) festgelegt wurden.

Die Schwierigkeiten und Probleme der praktischen Umsetzung des nur allgemein formulierten Beschlusses schlagen sich in den Auseinandersetzungen nieder, die in den Jahren nach der Revolution unter den religiösen Führern und Staatsfunktionären entbrannt sind. Entgegen der oben angekündigten „Ver-meidung der Staatlichkeit" wurden als greifbares Mittel für'die Verwirklichung dieser Ziele die Verstaatlichung der metallverarbeitenden Industrie wie Stahl-, Kupfer-und Aluminiumwerke, die Verstaatlichung der Banken und Versicherungen sowie die Beschlagnahme des Eigentums der Schah-Familie und der Funktionäre des alten Regimes angeordnet. Später wurden im Artikel der iranischen Verfassung drei Wirtschaftssektoren festgelegt: der staatliche, der private und der genossenschaftliche. 1. Der Staatssektor Schon vor der Revolution nahm der Staats-sektor im Iran einen beachtlichen Platz in der Wirtschaft des Landes ein. Die staatliche Kontrolle umfaßte die Erdöl-, petro-chemische, Eisen-und Stahl-, Kohlebergbau-, Maschinenbau-und Elektrizitätsindustrie sowie Verkehr und Transport, Banken und Versicherungen. „Mit Beginn der Entwicklungen im Jahre 1357 (1978/79) und der Offenbarung der ersten Anzeichen der islamischen Revolution strömte das Finanzkapital zur Erreichung höherer Gewinne ins Ausland, wo sichere Wirtschaftsbedingungen herrschten." *)

Nach der Konstituierung der „Islamischen Republik" waren die meisten Eigentümer großer und mittlerer industrieller Produktionseinheiten aus dem Lande geflüchtet. Sie hatten vor ihrer Flucht hohe Kreditsummen bei den Banken aufgenommen und ins Ausland transferiert. Damit waren die meisten der zurückgelassenen Betriebe hochverschuldet. Das gleiche Schicksal erlitten solche Banken und Versicherungen, deren iranische Aktionäre sich ins Ausland abgesetzt hatten. Diese Unternehmen wurden jetzt vom Staat übernommen. Zusätzlich wurden Häuser, Grundstücke, Gärten, landwirtschaftliche Plantagen sowie Schlösser und sonstige Reichtümer der Schah-Familie beschlagnahmt.

Die Menge und der Wert der beschlagnahmten Betriebe und Güter sind nicht genau bekannt. Sie wurden aber hauptsächlich zwei neu gegründeten Institutionen zur Verwaltung übertragen. 2. Die Organisation der nationalen Industrie des Irans (ONII)

Die ONII wurde nach dem Beschluß des Revolutionsrates zum Schutz und zur Entwicklung der einheimischen Industrie ins Leben gerufen. Sie erhielt die Aufgabe, die verstaatlichten Betriebe zu verwalten und die Produktion in diesen Betrieben fortzusetzen. Nach dem Gesetz zum Schutz und zur Entwicklung der einheimischen Industrie wurde ein großer Teil der wichtigsten und größten Industriewerke des Landes der ONII unterstellt. Nach eigenen Angaben verwaltet die ONII 26 kleine Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten (etwa 4% der gesamten Zahl kleiner Betriebe) und zwischen 560 und 570 große Betriebe mit etwa 170 000 Beschäftigten (31% der gesamten Beschäftigten im Industriesektor).

Der Anteil der Arbeiter bei den Beschäftigten beträgt 84%, während die restlichen 16% aus Angestellten und sonstigem Verwaltungspersonal bestehen. Die ONII bezahlt 34% der gesamten Löhne und Gehälter aller Beschäftigten in den Industriebranchen. Ihr Anteil an Betrieben mit über 500 Beschäftigten beträgt 41%.

Diese Zahlen verdeutlichen zwar den Umfang der von der ONII verwalteten Betriebe und deren Bedeutung für die nationale Wirtschaft, sagen aber nichts über die wirtschaftliche Lage der verwalteten Betriebe aus. Nach den letzten Statistiken hat die ONII im Jahr 1980/81 60 Mrd. Rial und 1982 35 Mrd. Rial Bilanzverluste aufgewiesen, von denen je-19 weils 30 bzw. 35 Mrd. Rial Zinsverbindlichkeiten darstellen.

„Die meisten Betriebe, die von diesem Gesetz betroffen waren, sind mit öffentlichen Mitteln gegründet worden. Die Zinsen ihrer Kredit-verbindlichkeiten vor der Revolution betrugen 1360 (1981/82) insgesamt 60 Mrd. Rial (umgerechnet ca. 1, 5 Mrd. DM), ... so daß ihr Vermögen meistens nicht für die Zahlung der Verbindlichkeiten ausreichte." 7) Im letzten Jahr (1982/83) hat die ONII insgesamt 49 Mrd. Rial Gewinn erwirtschaftet, der nach Abzug von 42 Mrd. Rial Zinsverbindlichkeiten netto noch 7 Mrd. Rial beträgt. 3. Die Zukunftsperspektiven der ONII Die Funktion der ONII hat sich in den letzten fünf Jahren hauptsächlich darauf beschränkt, die Stillegung von Betrieben zu verhindern.

in Dies ist gelungen, weil die Organisation der Anfangsphase ihrer Arbeit finanziell und politisch durch die Regierung unterstützt wurde. Bis jetzt ist allerdings keine endgültige Lösung für die von ONII verwalteten Betriebe gefunden worden.

Die Anwendung des Gesetzes für den Schutz und die Entwicklung der Industrie ist mittlerweile auf Anweisung des „Wächterrates der Verfassung" eingestellt worden; dies hat zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Tätigkeit der ONII geführt.

Einige der von der ONII verwalteten Betriebe sind inzwischen dem Ministerium für Schwerindustrie und dem Ministerium für Bergbau und Metall unterstellt worden. Außerdem gibt es Eigentümer, die, nachdem sich das politische Klima zugunsten der Investoren bedeutend verbessert hat, zurückgekehrt sind und ihre Betriebe zurückverlangen.

Es gibt Anzeichen dafür, daß der Staat diesem Verlangen nachgeben wird. In den Kontroversen über die Rolle der staatlichen und privaten Sektoren betrachten die ONII-Manager ihre Organisation als einen Teil des privaten Sektors. Der Direktor der ONII sagte: „Wir werden von den Ministerien als privater Sektor behandelt. Die Organisation und die ihr unterstehenden Betriebe nehmen kein Staats-budget in Anspruch. Wir erwarten ferner, daß man uns als einen großen Teil des privaten Sektors betrachtet und auf keinen Fall als eine staatliche Einheit..." 8). Die Bedeutung dieser Stellungnahme ist darin zu sehen, daß seitens der Befürworter der uneingeschränkten Freizügigkeit des privaten Sektors den anderen die Verbreitung der sozialistischen Wirtschaft vorgeworfen wird. 4. Die Stiftung der Entrechteten (Bonyade Mostazafin)

Eine andere — ökonomisch bedeutende — staatliche Institution ist die „Stiftung der Entrechteten“. Sie wurde unmittelbar nach dem Sturz des Schah-Regimes gegründet Ursprünglich sollte sie die Reichtümer der Schah-Familie sowie die Vermögen der Spitzenfunktionäre des alten Regimes, die aus dem Lande geflüchtet waren, vor Mißbrauch und Übergriffen schützen. Unterdessen wird sie jedoch von Unterschlagungen und Korruption geplagt; fünf Jahre nach der Gründung liegt noch immer keine vollständige Liste über das Stiftungsvermögen vor. Unzählige Antiquitäten, kostbare Juwelen und Teppiche aus den Palästen sind entwendet kaiserlichen und auf dem Schwarzmarkt abgesetzt worden. Als Vermögenswerte werden von Stiftung der der Entrechteten verwaltet: 9 Fluggesellschaften; Hunderte von Bau-und Handelsgesellschaften; 140 Bau-und Lieferantenunternehmen; 200 Betriebe; 50 Bergbauminen; 250 Handelsgesellschaften; 5 000 Produktionseinheiten, darunter 120 große Industriewerke; 20 000 Häuser und Grundstücke.

Die Stiftung deckt 80% des gesamten Reisbedarfs des Landes. Insgesamt sind bis jetzt Gebäude und Grundstücke der Stiftung im Wert Mrd. verkauft 9 von 8, 3 Rial worden . 5. Banken und Versicherungen Ein weiterer wichtiger Teil des staatlichen Sektors besteht aus den Banken und Versicherungen, die nach dem Verstaatlichungsgesetz vom 7. Juni 1979 in Staatsbesitz übergegangen sind. Vor dem Umsturz existierten 36 Banken, von denen 26 im Handelsbereich tätig waren, sieben sich auf besondere Aufgaben (Investition in Industrie und Landwirtschaft) spezialisiert hatten und drei regional aktiv waren

Die Verstaatlichung der Banken erfolgte ohne die Beschlagnahme der Aktien; die aus-ländischen Aktionäre wurden zum Nominalwert entschädigt.

Heute sind neben der Zentralbank nur noch neun andere Inlandsbanken tätig, deren Rolle in der iranischen Wirtschaft unter den gege-Mit diesen Zahlen ist auch der Rückgang der Auslandsverschuldung Irans in den letzten Jahren zu erklären.

Die Banken sind zu einem Instrument des Staates geworden, mit dessen Hilfe die verhältnismäßig hohen Staatsausgaben und besonders die Kriegsausgaben finanziert werden können.

6. Andere staatliche Wirtschaftsorganisationen

Neben diesen drei Institutionen (ONII, Stiftung der Entrechteten, Banken, Versicherungen), die nunmehr unter direkter Regie des Staates stehen, sind Dutzende weitere Stiftungen und Komitees wie Pilze aus dem Boden geschossen, die sowohl direkt als auch indirekt die Staatskasse in Anspruch nehmen und hinter denen neben dem Ayatollah Khomeiny persönlich andere einflußreiche Geistliche stehen, zum Beispiel:

— das Hilfskomitee des Imam-Khomeiny;

— die Wohnungsbaustiftung der Islamischen Revolution;

— die Stiftung der Märtyrer;

— die Stiftung für die vom Krieg Betroffenen; — die Stiftung für die Angelegenheiten der Kriegsflüchtlinge;

— die Stiftung des 15. Khordads (5. Juni 1963, an diesem Tag wurde der Ayatollah Khomeiny ins Exil verbannt);

— die Mobilmachungsorganisation für den Aufbau (Basidsche sazandegi);

— die Organisation des heiligen Kampfes für den Aufbau (Sazamane Dschahade Sazandegi) — eine Organisation, die inzwischen in ein Ministerium umgewandelt wurde; benen Umständen wichtiger als vorher ist. Das gesamte Haushaltsdefizit des Staates wird durch diese Banken kompensiert. Die Staatsverschuldung an die Inlandsbanken hat in den letzten fünf Jahren stark zugenommen. — die Stiftung des Märtyrers Radschai-Plans. Einen maßgebenden Einfluß auf die Zunahme der Staatsrolle in der iranischen Wirtschaft übt der seit über drei Jahren andauernde Krieg gegen den Irak aus. Zahlen über die Kriegskosten nannte der Palamentspräsident Rafsandschani anläßlich eines Freitagsgebets: „Wir geben nahezu ein Drittel unseres Jahresetats für den Krieg aus. 500 Milliarden Rial haben wir den Kriegskosten gewidmet. Zusätzlich zu diesem Betrag kommen noch das Armee-und Revolutionswächterbudget sowie das Budget für den Wiederaufbau und für die Betreuung der Flüchtlinge ...

7. Der Privatsektor

Der Privatsektor spielt wie in den meisten Entwicklungsländern auch im Iran eine zweitrangige Rolle in der Wirtschaft. Seine Entwicklung steht in enger Verflechtung mit dem staatlichen Sektor, weil der ausgeprägte bürokratisch-absolutistische Charakter des Staates eine ausschlaggebende Bedeutung für jegliche wirtschaftliche Tätigkeit besitzt. Dementsprechend ist die Behandlung und Bewertung des privaten Sektors in den Entwicklungsländern differenzierter zu behandeln als in den Industrieländern.

Bis zum Sturz des Schah-Regimes bestand der Privatsektor im Iran aus zwei Hauptgruppen. Zur ersten Gruppe gehörten die Bazarhändler als mittlere Bourgeoisie. Ihre Tätigkeit konzentrierte sich überwiegend auf die traditionelle Binnenwirtschaft des Landes und umfaßte später, besonders nach der Erhöhung der Erdölpreise im Jahre 1973, auch andere I Geschäfte wie Landspekulation, Import-Export etc.

Bis zur Revolution belief sich die Anzahl der Fabrikanten auf einige Hundert. Zusammen mit der Familie des Schahs, höheren Militärs und einflußreichen Bürokraten bildeten sie die Basis der etablierten politisch-ökonomischen Machtstruktur des Irans, deren wirtschaftliche Funktion eng mit den ausländiDie Bazarhändler kontrollieren auch den Schwarzmarkt, der als Folge der schwierigen Versorgungslage, der Rationierung von Lebensmitteln und den Importeinschränkungen entstanden ist. Die verhältnismäßig hohen Gewinnraten im Wohnungsbau und Handel Die ständige Zunahme der Geldeinlagen des Privatsektors zusammen mit dem Rückgang der Investitionsbereitschaft in produktiven Wirtschaftszweigen bei steigendem Bargeld-anteil wirken sich inflationär auf die Wirtschaft des Landes aus. Alle Regierungsappelle zur Erhöhung der Investitionen sind ohne Resonanz geblieben, weil die Bazaries durch den Handel auf dem Schwarzmarkt eine Gewinn-rate von bis zu 400% erzielen. schen Konzernen verknüpft war. Bei Beginn der Revolution flüchteten sie ins Ausland; ihre Betriebe wurden verstaatlicht. An ihre Stelle traten jetzt die Bazarhändler und Kaufleute, die bis dahin unter wirtschaftlichen Einschränkungen gelitten hatten und nun die Gelegenheit ergriffen, sich zu „großen Kapitalisten" emporzuarbeiten. Die Bazarhändler investieren hauptsächlich in solche Branchen, die kurzfristig hohe Gewinne versprechen. sowie die fehlende Investitionsbereitschaft des Privatsektors haben dazu geführt, daß das Volumen der Geldeinlagen des privaten Sektors bei den Banken große Ausmaße erreicht hat. 8. Die politische und wirtschaftliche Basis des Bazars Aufgrund ihrer guten Beziehungen zu den Geistlichen haben die Bazarhändler ihre Machtpositionen in allen staatlichen Instanzen ausbauen können. Ihre Vertreter sitzen sowohl im Parlament als auch im Handelsministerium. Sie haben außer der Handelskammer mehrere Organisationen wie das Bazar Innungskomitee, die Gesellschaft islamischer Wirtschaftsorganisationen, die Distributionsgenossenschaftsgesellschaft und die Anstalt für zinslose Darlehen gegründet Die soge-nannte Einheit von Moschee und Bazar ist von einer solchen Qualität, daß die Beziehungen der Bazarhändler sogar bis zu Ayatollah Khomeiny reichen. Dies ist auch deshalb kaum verwunderlich, weil die Bazaries neben der gängigen Bestechungspraxis gegenüber der Geistlichkeit auch hohe Geldsummen für die Fortsetzung des Krieges aufbringen. „Beim Besuch der Vertreter der Händler-Innung beim Imam hat er (der Imam) einige Bemerkungen gemacht über die Ausgaben der Regierung und die Kriegskosten .., unmittelbar danach hat der Bazar von Ghom angekündigt, daß er 10 Mrd. Rial für den Krieg der Regierung zur Verfügung stellen wird.“

Der Einfluß der Bazarhändler beschränkt sich nicht nur auf das Parlament und den „Wächterrat der Verfassung“, sondern ihre Vertreter besitzen auch in den Sicherheitsorganen eine Machtbasis. Die Revolutionskomitees der Islamischen Revolution, ein dem Ayatollah Khomeiny nahestehendes paramilitärisches Polizeiorgan, sind vom Bazar maßgeblich beeinflußt. Die Bazaries tragen sogar einen großen Teil der Ausgaben des berüchtigten iranischen Gefängnisses Evin. An der Spitze der wichtigsten Stiftungen wie der Stiftung der Entrechteten und des Imam-Komitees stehen entweder die Bazarhändler selbst oder von ihnen beeinflußte Geistliche. 9. Das Acht-Punkte-Dekret Khomeinys Im Dezember 1982 legte die Regierung dem Parlament eine Gesetzesvorlage für die Festlegung der Grenzen für die Tätigkeit des privaten Sektor vor, über die noch nicht entschieden worden ist. Im selben Monat wurde das sogenannte Acht-Punkte-Dekret von Ayatollah Khomeiny erlassen. Das Ziel dieses Dekrets war es, Unsicherheiten auszuräumen und den privaten Sektor zu höheren Investitionen zu ermutigen. Der Ayatollah erklärte: •Wir sollen nicht mehr sagen, daß jetzt Revolutionszeit ist. Nein, nun ist die Zeit für Ruhe... Nun liegt es daran, daß die Leute sich sicher fühlen... und ihr Kapital einsetzen und um das Kapital keine Angst haben. Und niemand soll vor der Rückkehr in die Heimat Angst haben. Niemand soll Angst haben, daß sein Kapital weggenommen wird. Nein, wir haben nicht die Absicht, das Kapital der Leute wegzunehmen. Ihr Kapital gehört ihnen selbst. Sie sollen es einsetzen... und das Land regieren und verstärken. Die Regierung wird auch sie unterstützen.“ Auch andere iranische Staatsmänner sagten der privaten Wirtschaft ihre Unterstützung zu. So behauptete Ayatollah Montazery: „Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Regierung ohne die Hilfe des privaten Sektors und ohne seine Unterstützung nicht in der Lage ist, die materiellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Denn das Motiv und die Liebe des privaten Sektors zur Arbeit zusammen mit seiner Erfahrung wirken sich auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität und Qualitätsverbesserung außerordentlich günstig aus. Und wenn die Regierung eine schnellere und bessere Güterverteilung anstrebt, muß sie vom Privatsektor ... Gebrauch machen."

Ministerpräsident Musawi beteuerte: „Es sind bis jetzt 5 000 Anträge auf Privatinvestitionen prinzipiell bewilligt worden. Das ist ein Zeichen für praktische Unterstützung des privaten Sektors durch die Regierung." Und der Chef der staatlichen Wohnungsbaubehörde sprach sich für eine Beobachterrolle des Staates aus: „Der Staat hat nur die Aufgabe, die Investitionsfreude des Volkes zu vergrößern ... Die Erfahrung zeigt, daß das Volk der beste Unternehmer (ist)... und daß der Staat am besten nur beobachten und unterstützen kann."

Da Parlamentspräsident Rafsandschani das Feld nicht den anderen allein überlassen wollte, fügte auch er sich dem Ritual, die Khomeiny-Anweisungen so oft wie möglich zu wiederholen: „Der Privatsektor muß aktiviert werden, vorausgesetzt, daß er sich mit seinem Anteil zufrieden gibt. Er muß im Mittelpunkt stehen. Die Unternehmungsfreiheit ist einer unserer vorrangigsten Grundsätze." 10. Das Güterverteilungssystem Unter den Streitpunkten von Bedeutung zwischen der Regierung und den Bazarhändlern steht das Güterverteilungssystem an erster Stelle. Die Bazaries fordern sowohl ein unkontrolliertes Warenangebot als auch die freie Preisgestaltung auf dem Markt. Sie sehen in der Rationierung und Substitution der lebenswichtigen bzw. „strategischen" Waren — wie es amtlich heißt — eine Beschneidung ihrer Profite. Die Regierung kann diese Forderung nicht erfüllen, da sie ein großes politisches Risiko enthält. Denn gerade durch die Rationierung und Substitution der Grundnahrungsmittel hält die Regierung die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Grenzen. Die Regierungsstellen versuchen denn auch, den profitstrebenden Bazaries klarzumachen, daß ihr Handeln auch und gerade im eigenen Interesse der Bazaries liege. Staatspräsident Khamenei erklärte: „Wir bewegen uns nicht in der Richtung, die Güterverteilung zu verstaatlichen; uns ist wichtig, der Bevölkerung zu helfen und die Unzulänglichkeiten zu beheben.“

Ministerpräsident Musawi beschwor die guten Beziehungen zwischen der Regierung und dem Bazar: „Schon Ayatollah Montazery hatte die Regierung angewiesen, ihre Beziehung zu den religiösen Bazaries zu intensivieren. Wir sind dieser Anweisung gefolgt und haben unsere Beziehung zu den revolutionären Bazar-Moslems verstärkt und dabei tatsächlich gute Erfahrungen gemacht... Wir sind des Imams Getreue. Unser Prinzip ist, dem Islam zu folgen und unsere religiösen Pflichten zu erfüllen. ’

Die Auseinandersetzung über diese Problematik spiegelt sich auch in den Parlamentsdebatten wider, bei denen die unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Abgeordneten ans Licht treten. Trotz eines spürbar verbesserten zugunsten Privatinvestoren Klimas der und des Bazars ist das Parlament noch zu keinem Entschluß kommen. 11. Der Genossenschaftssektor Wie bereits erwähnt, ist im Artikel 44 der iranischen Verfassung der Genossenschaftssektor als Gegengewicht zum staatlichen und privaten Sektor vorgesehen. Dieser Sektor umfaßt alle ländlichen und städtischen Kooperationsgenossenschaften: Eine ganze Reihe dieser Genossenschaften ist bereits ohne gesetzliche gegründet Im November worden. letzten Jahres wurde das Gesetz über die Genossenschaften vom Parlament verabschiedet, zu ohne in Kraft können. Es bedarf noch der Zustimmung des „Wächterrats der Verfassung”. 12. Die ländlichen Kooperationsgenossenschaften Ländliche Kooperationsgenossenschaften gibt es bereits seit 1971, und bis November 1983 war ihre Zahl auf 3 072 gestiegen. Sie sind in einer zentralen Organisation zusammengeschlossen, die dem Landwirtschaftsministerium untersteht. Ihre Mitgliederzahl beläuft sich auf 2 698 087 Personen mit einem Gesamtkapital von 24, 7 Mrd. Rial Die Aufgabe dieser Genossenschaften besteht darin, die Bauern mit landwirtschaftlichen Maschinen, Saatgut, Düngemitteln, Krediten usw. zu versorgen. Außerdem sind sie für die Verteilung der Konsumgüter in den ländlichen Gebieten zuständig. Ferner kaufen sie die Überschüsse landwirtschaftlicher Produkte auf. 13. Die zentrale Vereinigung der Konsumgütergenossenschaften iranischer Arbeiter (EMKAN)

Die EMKAN ist die Dachorganisation aller Genossenschaften; ihre Aufgabe besteht in der Versorgung der Arbeiterschaft mit Konsumgütern und Wohnungen. Offiziell existieren schon 1 865 Konsumgütergenossenschaften mit 900 000 Mitgliedern (davon allein 360 000 in Teheran). Rechnet man die Familienangehörigen der Mitglieder dazu, so werden es 4, 5 Millionen Personen sein, die auf diese Genossenschaften angewiesen sind. Ihre Bedeutung muß im Zusammenhang mit der schwierigen Versorgungslage und der Lebensmittelrationierung werden. gesehen In dieser Dachorganisation sind 26 Produktionsgenossenschaften sowie 1 068 Kreditgenossenschaften eingeschlossen. Uber die Zahl der Wohnungsbaugenossenschaften liegen keine statistischen Angaben vor. 14. Die zentrale Organisation der Genossenschaften Diese Organisation umfaßt außer den Arbeitergenossenschaften sämtliche Genossen-13) schäften des Landes. Unter ihrer Obhut stehen 500 Stadtbezirks-Genossenschaften, die 600 000 Haushalte umfassen und diese mit Konsumgütern versorgen, 945 Angesteilten-Genossenschaften mit einer Mitgliederzahl von 1, 3 Millionen im öffentlichen Dienst beschäftigten Personen, 1 980 Wohnungsbaugenossenschaften, die Genossenschaften der Fahrer der zwischenstädtischen Reisebusse sowie die Genossenschaft der LKW-Halter. Es bestehen weitere unbedeutende Genossenschaften wie Nomaden-Genossenschaften, Grenzgebietsgenossenschaften u. ä., die in dieser Zentrale organisiert sind 15. Die Entwicklungszentrale für produktive Tätigkeiten Unmittelbar nach der Proklamierung der Islamischen Republik wurde diese Zentrale durch den Beschluß des Revolutionsrates gegründet, um arbeitslose Akademiker zu beschäftigen. Von ihr wurden die industriellen, landwirtschaftlichen und sonstigen produktiven Genossenschaftsprojekte gefördert. Bis März 1981 wurden 708 solcher Genossenschaften gegründet, vom Innenministerium verwaltet und durch staatliche Zuschüsse in Höhe von 11, 5 Mrd. Rial unterstützt.

Organisationsstruktur der Genossenschaften 16. Die gesetzliche Regelung der Genossenschaften die Genossenschaften mit 100%igem Eigenkapital der Mitglieder, die Genossenschaften dem vom Parlament verabschiedeten mit 51 % Eigenkapitalbeteiligung der Mitglieder werden die Genossenschaften aus sieben und 49 % Anteil des Staates bzw.

staatlicher Institutionen und die (in Ausnahmefällen schließlich fünf) Anteilseignern gebildet. Genossenschaften mit 100% Staatskapital.

„Bei der Gewinnverteilung sind die religiösen Im Hinblick auf die Kapitalbeteiligung sind Aspekte vollständig berücksichtigt worden." Arten von Genossenschaften vorgese- Der Gewinnanteil der Genossen-Schaftsmitglieder richtet sich nach ihrem Kapitalanteil. Die Bezahlung der Mitglieder erfolgt nach ihrer Qualifikation. Die Instanzen der Genossenschaften sind die Hauptversammlung, der geschäftsführende Vorstand, der Geschäftsführer und der Aufsichtsrat. 17. Die Haltung der Regierung gegenüber den Genossenschaften Zur grundsätzlichen Einschätzung der Genossenschaften ist festzuhalten, daß sie einen wichtigen Konfliktpunkt zwischen der Regierung und den Bazarhändlern darstellen.

Einerseits sind die Bazarhändler nicht bereit, ihr Monopol beim Warenhandel aufzugeben; sie sehen in den Genossenschaften Konkurrenzunternehmungen. Andererseits ist die Regierung trotz ihrer positiven Einstellung gegenüber dem Bazar gezwungen, eine minimale Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern zu gewährleisten. Die Genossenschaften sind ein geeignetes Mittel für die Realisierung dieser Politik. Eine plötzliche und totale Abkehr der Regierung von dieser zweigleisigen Strategie würde politisch unberechenbare Folgen haben.

Ein anderer Faktor ist der Widerstand eines Teils der Geistlichen, die hauptsächlich den unteren Teil der religiösen Hierarchie repräsentieren und tatsächlich an der vom Islam verkündeten „sozialen Gerechtigkeit" festhalten und sie zu verwirklichen versuchen. Chancen haben sie aber kaum. Der finanzkräftige Bazar zwingt die Anhänger der islamischen Utopie immer mehr zur Aufgabe ihrer Ideale. 18. Die Positionen der Befürworter und Gegner der Genossenschaften Einer der Befürworter der Genossenschaften soll der Ayatollah Beheshti gewesen sein, auf den die Verfechter des Genossenschaftsprinzips sich auch berufen. Er soll die theoretischen Grundlagen aus der Sicht des Islam ausgearbeitet und gesagt haben: „Wir denken, daß das Hauptproblem darin besteht, daß möglichst die Kapitalinhaber und die Besitzer der Arbeitskraft identisch sind. D. h., wenn jemand Arbeitskraft besitzt, soll er mindestens Arbeit haben. Er ist weder Lohnempfänger des Staates noch des privaten Sektors. Der einzige Weg dafür ist die Genossenschaft. Die Genossenschaften sind wie Aktiengesellschaften, mit dem Unterschied, daß in den Genossenschaften der Kapitalinhaber selbst arbeiten muß. Immer, wenn er nicht arbeiten will, gibt er seinen Platz an denjenigen ab, der arbeiten will. Zusammengefaßt besteht die Hauptaufgabe der Genossenschaft in der Sicherung eines wirkungsvollen Weges, der den Besitzern von Arbeitskraft notwendiges Kapital für ihre Arbeit besorgt. Damit wird die Ausbeutung durch den Staat und durch den privaten Sektor verhindert. Uns interessiert es nicht, ob solche Genossenschaften in anderen Ländern existieren, ob die sozialistisehen oder kapitalistischen Länder auch Genossenschaften haben. ... Wir haben ein Hauptziel, das ist die Vermeidung der Ausbeutung. Eines der Mittel der Ausbeutung der Arbeitskraft sind die Kapitaleigentümer. Wenn der Arbeitskraftbesitzende kein notwendiges Kapital besitzt, ist eine der Ausbeutungsvoraussetzungen gegeben. Wodurch sollen wir die Ausbeutung abschaffen? ... Durch die Genossenschaften."

Die Gegner der Genossenschaften argumentieren, daß dieses Gesetz gegen die islamischen Vorschriften verstoße. „Wir können nicht das Kapital der Nation und des Landes einigen bestimmten Personen zur Verfügung stellen.... Wenn unter Genossenschaften die Leistung der Menschen verstanden wird, dann sind sie nach islamischen Vorschriften ungültig. Und wenn damit die Investitionen gemeint sind, warum werden sie nicht Gesellschaft genannt? ... Dies widerspricht der Berufsfreiheit und der jetzigen Bedeutung vom Bazar.“

Ferner wird das Genossenschaftsgesetz als sozialistisch abgelehnt ökonomisch argumentieren die Gegner damit, daß die Genossenschaften eigentlich einen Teil des staatlichen Sektors sind. Und dies bedeutet die Vergrößerung der staatlichen Funktion in der Wirtschaft.

Die Befürworter argumentieren umgekehrt Sie meinen, durch die Genossenschaften werde die Staatlichkeit revidiert. Der Staat könne sich aus den kleinen Unternehmen zurückziehen und diese der Bevölkerung überlassen. Zusätzlich würde die Beschäftigungsquote erhöht.

Der Sprecher des zuständigen Ausschusses sagte bei der Verteidigung der Gesetzesvorla-ge: „Um die umherirrenden Gelder zu kontrollieren und sie in angemessene Produktion zu investieren, ist der einzige Weg die Bereitstellung von Investitionsmöglichkeiten. Wir achten auf den Privatsektor. Es muß für diejenigen, die Geld haben, Sicherheit gewährleistet sein.... Es muß ihnen versichert werden, daß sie investieren können, wenn sie legales Kapital besitzen. Niemand wird sie daran hindern können."

Handelsminister Dschafari meinte schließlich: „Solange zwischen dem Bazar, den Genossenschaften und der Verstaatlichung des Außenhandels keine Einigung erzielt worden ist, erwartet keine Gotteshilfe und keinen Erfolg ... Die Schaffung eines Götzenbildes von Genossenschaft ist falsch. Die Bevölkerung hat die Genossenschaft akzeptiert und sie beteiligt sich daran. Dies muß gefördert werden.

Man soll sich aber nicht dem privaten Sektor widersetzen." 19. Die Einschätzung der Zukunft der Genossenschaften Allen Redeschlachten zum Trotz haben die Genossenschaften langfristig gesehen keine Überlebenschancen. Sie sind nicht in der Lage, mit dem Bazar zu konkurrieren. Die Zuteilungen an Gütern für sie werden immer geringer und die Unternehmen liefern den für sie bestimmten Anteil oft nicht. Eine weitere Schwächung und sogar Abschaffung der Genossenschaften ist nicht auszuschließen. Denn die „Islamische Republik" ist zügig dabei, die Überreste der Gesetze und Beschlüsse des nach dem Umsturz entstandenen Revolutionsrates rückgängig zu machen. Ein Ausschuß zur Überprüfung bisheriger Beschlüsse und Gesetze ist bereits konstituiert worden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Etelaat (Iranische Tageszeitung) vom 7. 1. 1984.

  2. Ulrich Enke, in: Europa-Archiv, (1982) 1.

  3. Eine neue Gesetzesvorlage über die Verstaatlichung des Außenhandels wurde am 21. 5. 1984 durch das Parlament abgelehnt, nachdem der „Wächterrat der Verfassung“ dies als unvereinbar mit den islamischen Vorschriften erklärt hatte.

  4. Etelaat vom 7. 7. 1979.

  5. Grundsatz 44.

  6. Etelaat vom 29. 2. 1984.

  7. Jahresbericht der Iranischen Zentralbank, J§ 1358(1979/80).

  8. Etelaat vom 12. 2. 1984.

  9. Parlamentspräsident Rafsandschani in: Etelaat vom 27. 11, 1983, siehe auch Middle East, April 1983, S. 11: „Ayatollah Khomeinis remarks that gently reproached the rieh ... had such an impact onathe Qom bazaar that they immediately announedsthey would contribute lObillion riyals ($118 million) for three days expenses of the war. Qoms bazaar is less than one-tenth the size of Tehrans."

  10. Die Tageszeitung „Dschomhurye Islami" vom 20. 1. 1983.

  11. Etelaat vom 9. 11. 1983.

  12. Etelaat vom 2. 2. 1984.

  13. Zit. n. AIB (Antiimperialistisches Informationsbulletin), Nr. 48.

  14. Etelaat vom 29. 11. 1983.

  15. Etelaat vom 1. 11. 1983.

  16. Etelaat vom 29. 1. 1984.

  17. Etelaat vom 4. 1. 1984.

  18. Etelaat vom 14. 1. 1984.

  19. Etelaat vom 15. 1. 1984.

  20. Der Ausschußsprecher, zit. in: Etelaat vom 12. 1. 1984.

  21. Etelaat vom 12. 1. 1984.

  22. Etelaat vom 12. 1. 1984.

  23. Etelaat vom 12. 1. 1984.

  24. Keyhane Hawai vom 15. 10. 1983.

Weitere Inhalte

Javad Kooroshy, Dipl. -Volksw., geb. 1944 im Iran; Studium an der Freien Universität Berlin; u. a. fünf Jahre Tätigkeit im iranischen Finanzministerium.