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ökologische und soziale Folgekosten der Produktion. Zum Problem der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit der industriegesellschaftlichen Produktionsweise | APuZ 19/1984 | bpb.de

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APuZ 19/1984 Brauchen wir Wachstum? Wir brauchen Wachstum ökologische und soziale Folgekosten der Produktion. Zum Problem der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit der industriegesellschaftlichen Produktionsweise

ökologische und soziale Folgekosten der Produktion. Zum Problem der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit der industriegesellschaftlichen Produktionsweise

Christian Leipert

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit der Theorie und Empirie ökologischer, sozialer und ökonomischer Folgekosten der industriegesellschaftlichen Produktion. Im ersten Teil wird auf die Hauptursachen des rapiden Wachstums von Folgekosten der Produktion und des Konsums eingegangen: auf den kräftigen und langandauernden Wachstumsprozeß, der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte und — sichtbar seit Ende der sechziger Jahre — massive Umweltschäden verursachte, und den gleichzeitig ablaufenden Prozeß der räumlichen Zentralisierung und Konzentration der Produktion. Der zweite Teil liefert eine nähere empirische Bestimmung einer zentralen Kategorie der Folgekosten — der defensiven Ausgaben, die einen Ausgleich von Schäden, Beeinträchtigungen und Erschwernissen erstreben, die erst durch den Wirtschaftsprozeß erzeugt worden sind. Diese defensiven Ausgaben werden im Bruttosozialprodukt — dem in der Öffentlichkeit immer noch als Erfolgsgröße hochbewerteten wichtigsten Indikator der gesamtwirtschaftlichen Leistung — als Erträge des Wirtschaftens fehlregistriert. Ihr Charakter als zusätzliche Kosten der Produktion erschließt sich erst in einer systemischmehrschichtigen und gesamtgesellschaftlichen Analyse. Eine Neubilanzierung von Kosten und Erträgen der industriegesellschaftlichen Produktion liefert damit auch ökonomische Gründe für den dringend notwendigen Übergang zu einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik.

I. Ist das ökologisch Gebotene auch ökonomisch vernünftig?

Tabelle 1: Umweltschutzinvestitionen und laufende Umweltschutzaufwendungen im Produzierenden Gewerbe, 1971— 1980, in Mrd. DM, ausgewählte Jahre 1971 1974 1977 1979 1980 2, 0 2, 5 2, 3 2, 1 2, 7 3, 6 4, 9 4, 0 3, 1 3, 5 2, 1 3, 4 4, 7 5, 4 5, 9 4, 1 5, 9 7, 0 7, 5 8, 6 1, 1 1, 4 2, 0 2, 6 2, 2 Umweltschutzinvestitionen (1) (2) a) laufende Umweltschutzauf-wendungen b) (3) (l) /(3) (3) /(l) vielfache

Für einen Übergang der bisherigen rein ökonomischen Wirtschaftspolitik zu einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik sprechen nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Gründe. Diese Feststellung ist nur scheinbar paradox, wie im folgenden gezeigt werden soll.

Tabelle 3: Immissionsbedingte Materialschäden und volkswirtschaftliche Zusatzbelastungen in der Bundesrepublik Deutschland Quelle: J. Heinz, a. a. O (Anm. 12).

Wichtige Prinzipien einer zukünftigen ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik sind unter anderem:

Tabelle 4: Krankheitskosten in der Bundesrepublik Deutschland 1970— 1981, in Mrd. DM, laufende Preise Quelle: Statistisches Bundesamt, diverse Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland.

— die Orientierung am Grundsatz der Nachhaltigkeit (d. h. die Nutzung der erneuerbaren Ressourcen nur bis zum Grad ihrer Reproduzierbarkeit); — das Leitbild einer ökologischen Kreislauf-wirtschaft; — die zunehmende Bedeutung, die Bestands-größen (wie Rohstoff-und Energievorräte, Natur) gegenüber Strömungsgrößen (Verbrauch von Energie und Rohstoffen, Einkommen) gewinnen; — vielschichtiges, systemisches und vernetztes Denken;

Tabelle 5: Pendlerquote in den Schweizer Großstädten a) Zürich Basel Genf Bern Lausanne 30, 5 29, 3 33, 1 34, 0 28, 7 42, 4 39, 5 44, 6 47, 3 37, 2 Städte 1970 in % 1980 in %

— Denken in langfristigen ökologischen Zeiträumen und nicht in den bisher üblichen kurzen Zeithorizonten;

Tabelle 5: Pendlerquote in den Schweizer Großstädten Quelle: H. -C. Bächtold, a. a. O. (Anm. 24), S. 7.

— eine Wirtschaftsweise mit reduzierten sozialen und ökologischen Folgekosten.

Tabelle 6: Monatseinkommen in der Industrie und Baulandpreise in den siedlungsstrukturellen Regions-und Kreistypen 1970 und 1981 I II III Regionen mit großen Verdichtungsräumen — Kernstädte — Hochverdichtetes Umland — Sonstiges Umland Regionen mit — Kernstädte — Umland Ländlich geprägte Regionen Bundesgebiet Verdichtungsansätzen 1 294 1 356 1 243 1 137 1 144 1 258 1 103 1 046 1 223 3 149 3 289 3 034 2 765 2 782 3 024 2 702 2 599 2 971 + 143 + 143 + 146 + 143 + 143 + 140 + 145 + 149 + 143 43 89 43 21 24 67 2끘ޖ?

Die praktische Umsetzung dieser ökologischen Prinzipien wäre auch ökonomisch vernünftig. Diese Einschätzung beruht freilich auf einem Wirtschaftlichkeitsbegriff, in den sämtliche (primäre und sekundäre) Kosten und Nutzen ökonomischer Maßnahmen — in welchen Bereichen und/oder wann sie auch auftreten — eingehen, was bei dem in der Wirtschaftswissenschaft üblichen Kostenbegriff nicht der Fall ist. So gehen soziale und ökologische Folgekosten der Produktion und des Konsums nur dann in den betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff ein, wenn sie durch ein entsprechendes institutionelles Arrangement den Verursachern angelastet und damit von ihnen getragen werden.

Tabelle 6: Monatseinkommen in der Industrie und Baulandpreise in den siedlungsstrukturellen Regions-und Kreistypen 1970 und 1981 Quelle: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Baulandbericht, a. a. O. (Anm. 22), S. 30.

Divergierenden Auffassungen darüber, ob eine Maßnahme oder eine Entwicklung ökonomisch vernünftig sind, liegen unterschiedliche Kostenkonzepte zugrunde.

“) Tabelle 7: Quadratmetermiete in Städten der Bundesrepublik Deutschland, 1983 (in DM) Trier Ludwigshafen Augsburg Kaiserslautern Köln Stuttgart Düsseldorf München Hamburg 7, — 7, 50 7, 50 7, — 10, 50 10, — 12, 50 12, 50 12, — 7, 70 7, 70 8, 50 8, 50 12, — 13, — 14, 20 15, — 15, — Baujahr nach 1948 Baujahr 1983 Guter Wohnwerta) Wohnungen mit Bad, Dusche, WC, Zentralheizung, teilweise Fahrstuhl in reinen Wohngebieten Stadtrand oder in der City, in verkehrs-armen Anliegerstraßen mit Grünflächen.

Der Ste끘ޖ?

Der übliche betriebswirtschaftliche Kostenbegriff ist demgegenüber enger. Er enthält nur Aufwandsgrößen, die gegen monetäres Entgelt erworben worden sind. Das Kosten-Ertrags-Verhältnis wird in der Regel lediglich für Einzelprojekte (Investitionsvorhaben, Infrastrukturprojekte usw.) ermittelt. Dagegen liegt der folgenden Betrachtung ein weiterer Kostenbegriff zugrunde, der auch den systemischen Folgewirkungen ökonomischer Maßnahmen bei Mensch, Gesellschaft und Natur sowie den Rückkopplungen auf das ökonomische Subsystem nachgeht. In diesem Sinne sind dann z. B. auch die zusätzlichen Belastungen des Gesundheitswesens und der Rentenversicherung durch gesundheitsbeeinträchtigende Umweltschäden ein Teil der Produktionskosten der Industrie. Auf der Basis eines solchen systemischen Kostenbegriffs kann dann eine gesamtgesellschaftliche Bewertung der „Wirtschaftlichkeit" der industriegesellschaftlichen Produktionsweise mit gegenüber dem betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen grundlegend bereinigten Kosten-und Ertragsgrößen erfolgen.

II. Systemische Verknüpfung von Nebenfolgen der Produktion, schadensregulierenden Ausgaben und Wachstum des Bruttosozialprodukts

Tabelle 1: Umweltschutzinvestitionen und laufende Umweltschutzaufwendungen im Produzierenden Gewerbe, 1971— 1980, in Mrd. DM, ausgewählte Jahre Quellen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 19: Umweltschutz, Reihe 3: Investitionen für Umweltschutz im Produzierenden Gewerbe 1980, Mainz 1983, und Umweltbundesamt, Jahresbericht 1982, a. a. O. (Anm. 4).

Eine gesamtgesellschaftliche Bewertung der wirtschaftlichen Rationalität der industriegesellschaftlichen Produktion kann nicht an-hand der gängigen ökonomischen Indikatoren der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfolgen. Dies würde voraussetzen, daß die Entwicklung des Bruttosozialprodukts eindeutig interpretierbar wäre, was nicht mehr der Fall ist. Das Bruttosozialprodukt ist nicht eine gesamtwirtschaftliche Aggregat-größe ausschließlich nur erwünschter Güter und Dienstleistungen, sondern besteht aus einem Gemisch aus erwünschten, primäre Bedürfnisse befriedigenden Gütern und Dienstleistungen und eigentlich unerwünschten Gütern, deren Konsum den einzelnen durch die Entwicklung der Umwelt-und Lebensbedingungen aufgezwungen wird

Worauf beruht diese Mischung von „erwünschten" und „eigentlich unerwünschten" Gütern und Dienstleistungen im Bruttosozialprodukt? Eine wichtige Ursache dieser Entwicklung ist die veränderte Qualität der industriegesellschaftlichen Produktion in der Phase ausgeprägten Produktionswachstums nach dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Phase war die Produktion von Gütern und Dienstleistungen mit einer rapiden Zunahme negativer Folgewirkungen auf die natürliche und soziale Umwelt der Menschen verbunden.

Dieser Anstieg negativer ökologischer und sozialer Folgewirkungen war einerseits Ausdruck der Tatsache, daß die Expansion der Produktion zunehmend an Grenzen der Belastbarkeit der natürlichen Umwelt stieß; sie war andererseits Folge einer zunehmenden Komplizierung des Geflechts ökonomischer Beziehungen und der sozialen Lebensverhältnisse in den Ballungsregionen. Die dadurch ausgelöste Verschlechterung der sozialen und umweltspezifischen Lebensverhältnisse führte nun auf allen Ebenen (private Haushalte, Staat und Unternehmenssektor) zu Gegenreaktionen: es galt, den negativen Folgewirkungen des Produktionsprozesses auszuweichen, bestimmte Nachteile und Schäden zu neutralisieren oder eine weitere Verschärfung destruktiver Wirkungen des Produktionsprozesses zu vermeiden. Damit sind Ausgaben verbunden, die man als kompensatorisch oder defensiv bezeichnen kann.

Diese Ausgaben gehen ebenso wie andere „autonome" Ausgaben in die statistische Berechnung des Bruttosozialprodukts ein. Für die Interpretierbarkeit dieser wichtigen makroökonomischen Größe hat dies verhängnisvolle Konsequenzen: Nunmehr steigt das Bruttosozialprodukt einmal im Zuge einer Produktion, die auf Umweltbelange keine Rücksicht nimmt, und es steigt wiederum, wenn die eingetretenen Umweltschäden mit ökonomischen Aktivitäten eingedämmt werden. Die Zersiedlung des Umlands von Ballungszentren, verbunden mit der räumlichen Entflechtung der Funktionen in diesen Gebieten, hatte sowohl einen rapiden Anstieg der Zahl der Pendler als auch der Länge der Arbeitswege zur Folge. Diese steigenden Pendlerkosten erhöhen das Bruttosozialprodukt. Unfälle in den Betrieben und im Pkw-Verkehr ziehen hohe Folgeausgaben nach sich, insbesondere im Gesundheitswesen, im Kraftfahrzeugbereich und im Autohandel. Das Bruttosozialprodukt steigt. Die Komplizierung der Informations-, Koordinations-und Entscheidungsabläufe durch die weitgefächerte innerbetriebliche Arbeitsteilung in den Großunternehmen, zwischen Unternehmen, Verbänden, staatlichen Stellen und anderen Organisationen hat einen Anstieg der Verwaltungsausgaben im Unternehmens-und im staatlichen Bereich zur Folge. Das Bruttosozialprodukt steigt.

Allen diesen bisher genannten Beispielen ist gemeinsam, daß das Bruttosozialprodukt genau entgegengesetzt zu dem reagiert, wie man es von einem Wohlfahrtsindikator erwarten würde. Wegen der mangelnden Trennung von „defensiven" und „autonomen" Ausgaben bei der Berechnung des Bruttosozialprodukts wird nicht erkannt, daß hinter ausgewiesenem Wirtschaftswachstum auch ein Wachstum bzw. ein Anstieg des relativen Anteils defensiver Ausgaben stehen kann. Dies bedeutet, daß ein (immer größerer) Teil der im Bruttosozialprodukt erfaßten Produktion lediglich eine Reaktion auf den zunehmend problemträchtigen und schadensverursachenden Charakter der „primären" industriegesellschaftlichen Produktion ist. Trifft dies zu, dann erhält das Industriesystem — nachdem sich die originären Wachstumsquellen der Nachkriegszeit erschöpft haben — eine neue „Chance" zu einem Wachstumsschub von den ökonomischen Folgeprozessen seiner destruktiven Auswirkungen auf Mensch, Gesellschaft und Natur.

III. Wirtschaftswachstum, Umweltschäden und kostenträchtige Ex-post-Sanierung

Tabelle 2: Umweltschutzinvestitionen der öffentlichen Hand a), 1971— 1980, in Mrd. DM Umweltschutz-investitionen b) 3, 8 4, 83 4, 95 5, 93 6, 94 8, 01 a) b) 1971 1975 1977 1978 1979 1980 Bund, Lastenausgleichsfonds, ERP-Sondervermögen, Länder (einschl. Stadtstaaten), Gemeinden, Gemeindeverbände und Zweckverbände.

Abwasser-und Abfallbeseitigung, Straßenreinigung, Naturschutz und Landschaftspflege, Förderung von Umweltschutzmaßnahmen, -einrichtungen und -forschung. Quelle: R. -U. Sprenger/G. Knödgen, a. 끘ޖ?

Ursache des Anstiegs ökologischer und sozialer Folgekosten des Wirtschaftsprozesses (und der davon ausgelösten defensiven Ausgaben) sind vor allem zwei miteinander verflochtene Entwicklungen der Industriegesellschaft: der allgemeine Prozeß des Wirtschaftswachstums und der gleichzeitig ablaufende Prozeß der räumlichen Zentralisierung und Konzentration der Produktion.

Die Entstehung von Umweltschäden war die Folge eines kräftigen, langandauernden Wachstumsprozesses, der zudem noch in den Bahnen einer sich räumlich konzentrierenden Produktion verlief, — in einer ökonomischen Welt, in der die Nutzung begrenzter Naturpotentiale nahezu kostenlos war. Der ganze Aufbau der industriegesellschaftlichen Produktion, die räumliche Ballung, die Entwicklung zu immer größeren Betriebseinheiten, die Bevorzugung von zur Massenproduktion geeigneten Großtechnologien haben eine ausgeprägt umweltfeindliche Wirtschaftsstruktur hervorgebracht, die heute angesichts des Standes von Umweltschäden unter Aufbringung erheblicher ökonomischer Ressourcen kurzfristig unter Umweltgesichtspunkten entschärft, langfristig umweltfreundlich umgewandelt werden muß.

Hierbei kann eine Situation entstehen, in der ein weiteres Wirtschaftswachstum unter Wohlfahrtsgesichtspunkten sinnlos wird, weil die erreichbaren Produktionszuwächse nicht oder gerade ausreichen, um die zusätzlichen Schäden zu kompensieren bzw. eine weitere Verschlimmerung der Schadenssituation zu vermeiden Diese Gefahr besteht besonders dann, wenn eine sogenannte Ex-post-Sanierung von Umweltbelastungen unter Einsatz von nachgeschalteten „end-of-the-pipe" -Technologien betrieben wird, die heute im Umweltschutz noch vorherrschend ist. Ansetzend an der vorhandenen umweltschädlichen Technologie der Wirtschaft soll eine Verbreitung der anfallenden Schad-und Abfallstoffe in die Umwelt bis zu einem bestimmten Grade vermieden werden. Durch den Einbau von Entsorgungstechnologien am Ende des Produktionsprozesses werden potentielle

Emissionen im Unternehmen zurückgehalten und in konzentrierter Form gesammelt. Mit zunehmendem Reinigungsgrad steigen jedoch die Reinigungskosten überproportional Bei nur wenig veränderter Produktions-und Technologiestruktur ruft ein fortgesetztes Wachstum der Produktion dann überproportional steigende Umweltschutzaufwendungen hervor, wenn das absolute Niveau der insgesamt erlaubten Emissionen unverändert bleiben soll.

Abgesehen von dem damit vorprogrammierten raschen Anstieg „eigentlich" unerwünschter defensiver Ausgaben zeigt diese Strategie des Umweltschutzes auch in ökologischer Hinsicht problematische Züge. Die Ex-post-Sanierung impliziert den Einsatz von Bauten und Anlagen zur Umweltentsorgung. Diese müssen jedoch erst einmal produziert werden. Ihre Herstellung setzt den Einsatz von Energie und Rohstoffen voraus und ist zwangsläufig auch mit der Abgabe von Schad-und Abfallstoffen — also mit Umweltverschmutzung — verbunden. Energie und Materialien müssen wiederum aufgewendet werden, wenn diese Einrichtungen in den Umweltschutz betreibenden Wirtschaftszweigen genutzt und gewartet werden. Im Durchschnitt der Jahre 1971 bis 1980 sind nach einer Schätzung des Umweltbundesamtes jährlich im Produzierenden Gewerbe Umweltschutzbetriebskosten in Höhe von ca. Mrd. DM aufgetreten 4). Davon entfielen 27% — also über 1 Mrd. DM jährlich — auf Energiekosten. Der Einsatz von Energie bringt wiederum Umweltbelastungen mit sich, ebenso wie die Ausbeutung von Energiequellen, ihr Transport und die Umwandlung in höhere Energieformen.

Weder unter ökonomischen noch unter ökologischen Gesichtspunkten ist mithin die Ex-post-Sanierung von Umweltbelastungen eine langfristig sinnvolle Lösung. Ökonomisch droht ein Leerlauf des Wachstumsprozesses, in dem steigende Anteile des Sozialprodukts durch die schadensregulierenden defensiven Aktivitäten „aufgefressen" werden, ökologisch ist bedenklich, daß die Produktion und der Betrieb von Umweltschutzanlagen knappe Rohstoffe und Energie verbrauchen und selbst wiederum umweltbelastend sind.

IV. ökologische und soziale Folgekosten der räumlichen Konzentration der Produktion

Tabelle 2: Umweltschutzinvestitionen der öffentlichen Hand a), 1971— 1980, in Mrd. DM Quelle: R. -U. Sprenger/G. Knödgen, a. a. O. (Anm. 8), S. 65.

Die sozialen und ökologischen Nebenkosten der räumlichen Konzentration und Zentralisierung der Produktion haben ihren Ursprung im wesentlichen in drei miteinander verknüpften Prozessen: erstens in der Verkomplizierung ökonomischer und sozialer Informations-, Koordinations-und Entscheidungsabläufe in einer immer stärker verdichteten und immer weniger überschaubaren urbanen Umgebung, zweitens in der ballungsbedingten Überlastung von Ressourcen und Einrichtungen und drittens in der Zersiedlung des Umlandes von großen Agglomerationen (Anhäufungen/Zusammenballungen), die mit einer Entflechtung der städtischen Funktionen und mit einer Vorrangstellung für den Individualverkehr einhergeht.

Diese Entwicklungen haben zur Folge, daß die Erreichung von Einkommens-, Konsum-und Produktionszielen in städtischen Agglomerationen immer aufwendiger wird. Die Realisierung von Einkommenszielen wird teurer durch rasch wachsende Ausgabenbelastungen für immer längere Arbeitswege von immer mehr Menschen, die in das Umland von Verdichtungsgebieten ziehen (müssen). Sie wird aufgrund — knappheitsbedingt — rasch wachsender Mieten, Wohnkosten und Bodenpreise aufwendiger auch für diejenigen, die in den Kerngebieten der Ballungszentren bleiben.

Das allgemeine Wachstum der Produktion, der Trend zu einer verstärkten Konzentration der Produktion in Großunternehmen und die räumliche Verdichtung eines Großteils der volkswirtschaftlichen Produktion, der staatlichen Institutionen, des Handels, der Dienstleistungseinrichtungen etc. hatten ein rapides Wachstum der privatwirtschaftlichen und staatlichen Verwaltungsbürokratien zur Folge. Diese sind ein Indiz für die stark angestiegenen Informationssammlungs-und Verarbeitungserfordernisse, für angewachsene Koordinations-und Entscheidungsaufgaben in Unternehmen und staatlichen Institutionen, in denen die Abstimmungs-und Entscheidungsprozesse immer unüberschaubarer geworden sind.

Hazel Henderson vertritt seit langem die These, daß die Industriegesellschaft den Punkt schon überschritten hat, in dem die Effizienzsteigerungen aus der immer weiter getriebenen innerbetrieblichen Arbeitsteilung, der Spezialisierung und Kapitalintensivierung im Produktionsprozeß durch steigende „Transaktionskosten" der Kommunikation, der Koordination und Regulierung der ökonomischen, sozialen und umweltbezogenen Infrastruktur aufgebraucht werden

Für sie ist dieser Prozeß des bürokratischen Wachstums Ausdruck eines Zustands steigender sozialer Entropie, in den die Industrie-gesellschaften eingetreten sind. Der mikroökonomisch gesteuerte Prozeß der Spezialisierung, des Betriebs-und Technologiegrößenwachstums und der räumlichen Konzentration bringt wachsende „Unordnung" mit sich, die durch überproportional schnell wachsende Bürokratien unter Kontrolle gebracht werden muß. Der Nettowohlfahrtseffekt eines weiteren Produktionswachstums sinkt aufgrund der gestiegenen „Transaktionskosten"

V. Defensive Ausgaben

Tabelle 3: Immissionsbedingte Materialschäden und volkswirtschaftliche Zusatzbelastungen in der Bundesrepublik Deutschland I. Verkürzung der Lebensdauer Fassadenanstriche Fensteranstriche sonstige Außenanstriche Dachrinnen (Zinkblech) Autobahn-und Eisenbahnbrücken Fahrleitungs-und Hochspannungsmaste Korrosionsschäden insgesamt: durch Luftverunreinigungen II. Zusätzlicher Reinigungsaufwand Schadenskategorie Fensterreinigung Textilreinigung 740 300 190 290 20 14 1— 2 Mrd. DM/Jahr vorzeitig notwendig werdende 끘ޖ?

Im folgenden wird der Versuch einer näheren — soweit möglich auch zahlenmäßigen — Bestimmung der wichtigsten Kategorien defensiver Ausgaben für die Bundesrepublik Deutschland unternommen. Hauptziel einer derartigen umfassenden Darstellung von Kategorien defensiver Ausgaben ist die Über-prüfung der These, wonach der Anteil defensiver Ausgaben am Bruttosozialprodukt in den Industriegesellschaften zumindest seit Anfang der siebziger Jahre ansteigt. Eine Klärung dieser Frage ist wirtschaftspolitisch außerordentlich bedeutsam. Selbst die Untersuchung und empirische Durchleuchtung vorerst nur einzelner Kategorien defensiver Ausgaben wäre für die Wirtschaftspolitik von großem Interesse. Einer weiteren Orientierung am globalen Maßstab des Bruttosozialprodukts wohnt die Gefahr inne, daß der Wirtschaftspolitik der Produktionsprozeß unter Wohlfahrtsgesichtspunkten immer stärker „aus dem Ruder läuft". Es besteht die Gefahr, daß sie hinter der Summe möglicher zukünftiger mikro-ökonomischer Unternehmenswachstumserfolge, die sich im Bruttosozialprodukt mit positiven Raten niederschlagen würden, nicht die steigende soziale Unproduktivität des ganzen Prozesses der industriegesellschaftlichen Produktionsweise erkennt Ferner besteht die Gefahr, daß eine sich streng ökonomisch verstehende Wirtschaftspolitik ein gesamtwirtschaftliches Ergebnis mitherbeiführen hilft, das — gemessen an dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität und der Erhaltung und Qualifizierung menschlicher und natürlicher Ressourcen — ökonomisch als äußerst ungünstig zu beurteilen wäre. 1. Was sind defensive Ausgaben?

Defensive Ausgaben entstehen als eine Reaktion auf negative soziale und ökologische Folgewirkungen von Produktion und Konsum Sie sind eine Reaktion auf Umweltschäden, auf eine Verschlechterung der Arbeitserreichbarkeitsverhältnisse, auf eine ballungsbedingte Verknappung von Boden und Wohnraum sowie auf eine Komplizierung ökonomischer und sozialer Abstimmungsprozesse im Gefolge des Wachstumsprozesses. Sie sind mithin ein Folgeprodukt des Wirtschaftsprozesses, das lediglich den Zweck verfolgt, Schäden, Verschlechterungen der Umwelt-und Lebensbedingungen und eingetretene Nachteile beim Einkommenserwerb zu kompensieren, zu beseitigen oder vorbeugend zu vermeiden. Es handelt sich um zusätzliche Kosten der Lebenssicherung, die unter Lebensqualitäts-(Wohlfahrts-) gesichts-punkten auf der Aufwandsseite und nicht auf der Ertragsseite zu buchen sind. Es sind ferner Ausgaben, die den Betroffenen durch den Lauf der Verhältnisse, genauer: durch die Entwicklung einer umweltfeindlichen und hochzentralisierten Wirtschaftsstruktur auferlegt werden — wenn sie nicht eine reale Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen in Kauf nehmen wollen.

Defensive Ausgaben sind als durch die Wirtschafts-und Umweltentwicklung aufgezwungene Ausgaben von anderen „autonomen" Ausgaben zu unterscheiden. Dabei soll hier gar nicht behauptet werden, daß „autonome" Ausgaben nicht u. U. auch einer sozialpsychologischen Beeinflussung unterliegen, doch das ist nicht der Punkt. Hier geht es um Ausgaben, die wirtschafts-und sozialstrukturell den verschiedenen Akteuren innerhalb der Volkswirtschaft durch eine bestimmte (umweltfeindliche) Wachstums-und Siedlungsstruktur auferlegt werden. 2. Vier Kategorien von ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgekosten der Produktion

Folgekosten von Produktion und Konsum können in vier Kategorien unterteilt werden: — Defensive Ausgaben, die darauf abzielen, ökologische, soziale und ökonomische Schäden, Verluste und Erschwernisse zu beseitigen, auszugleichen, zu vermindern oder vorbeugend zu vermeiden;

— Folgebelastungen durch zusätzliche Einkommens-, Renten-und Krankengeldzahlungen der Versicherungsträger;

— Produktions-, Einkommens-und Vermögensverluste; — reale Schädigungen der menschlichen Gesundheit, der Tier-und Pflanzenwelt, der ökologischen Systeme im weitesten Sinne, von Bauten, Produktionsanlagen, Materialien und Kunstwerken.

Von diesen Kategorien von Folgekosten sind im Prinzip die ersten drei ökonomisch bewertbar. Die defensiven Ausgaben sind Ausdruck (defensiver) ökonomischer Aktivitäten von privaten Haushalten, Unternehmen und staatlichen Instanzen, die im Bruttosozialprodukt enthalten sind. Hier besteht die Aufgabe ihrer Definition, ihrer Operationalisierung und schließlich ihrer empirischen Identifizierung in den einzelnen Aggregaten des Bruttosozialprodukts. Bei der zweiten Kategorie handelt es sich einerseits um Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und Krankengeldzahlungen für jene, die im Gefolge ökologischer Schäden und/oder gesundheitsschädigender Arbeitsbedingungen erkrankt sind bzw. einen Unfall erlitten haben, und andererseits um Zahlungen der Renten-, Unfall-und Invaliditätsversicherungen an jene, die aufgrund von Unfällen, arbeitsbedingten Erkrankungen und gesundheitsschädlichen Umwelteinwirkungen vor-37 zeitig aus dem Produktionsprozeß ausgeschieden sind. Eine quantitative Abschätzung von Umfang und zeitlicher Entwicklung dieser Zahlungen ist im Prinzip möglich. Sie sind in den entsprechenden Ausgabeposten der Sozial-und Krankenversicherungsträger enthalten. Im dritten Bereich — den Produktions-, Einkommens-und Vermögensverlusten — geht es um — Einkommensverluste aufgrund umwelt-und arbeitsbedingter Erkrankungen, — Produktionsverluste aufgrund von umwelt-und arbeitsbedingten Erkrankungen, Unfällen, vorzeitigen Verrentungen und vorzeitigen Todesfällen, — Produktions-und Einkommensverluste aufgrund von Umweltschäden, z. B. in der Fischerei-, Forst-und Landwirtschaft und im Fremdenverkehrsgewerbe, sowie um — Vermögensverluste aufgrund von Umwelt-schäden, z. B. in der Forst-und Fischereiwirtschaft, durch Schädigungen von Gebäuden, Produktionsanlagen, Brücken, Masten etc., durch Gebäude-und Bodenwertverluste in stark verschmutzten Gebieten.

Da hier Anknüpfungspunkte zu Marktprozessen existieren, sind auch in diesem Bereich ökonomische Bewertungen möglich; allerdings sind diese ungleich schwieriger als bei den zuvor genannten Kategorien.

Der vierte Bereich umfaßt sämtliche realen Schädigungen und Erschwernisse, soweit sie von den ersten drei Kategorien noch nicht abgedeckt sind. Es handelt sich um jene ökologischen und sozialen Folgekosten, die nicht durch entsprechende konterkarierende Aktivitäten beseitigt bzw. vermieden worden sind. Diese dürfen bei einer Bilanzierung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgekosten des industrialistischen Wirtschaftsprozesses auf keinen Fall außer Ansatz bleiben.

Bedenkt man beispielsweise, wie spät und mit welch unzureichenden Mitteln der Kampf gegen Umweltverschmutzung, ungesteuertes Städtewachstum und Umlandzersiedlung aufgenommen worden ist und daß wirkungsvollere Maßnahmen meist erst dann ergriffen wurden, nachdem schwerste Schädigungen offenkundig geworden waren (letztes Beispiel: die ökologische Dimension der Wald-schäden), so spricht vieles dafür, daß dieser Kategorie in einer Gesamtbilanzierung entscheidende Bedeutung zukommt.

Aussagen über den Umfang und das Entwicklungstempo von realen Schadenspositionen in den verschiedenen Bereichen (menschliche Gesundheit, Pflanzen-und Tierwelt, ökologische Systeme, gebaute Umwelt, Produktionsapparat etc.) sind heute mit einem großen Un-sicherheitsgrad behaftet. Hauptgrund hierfür ist der unbefriedigende Forschungsstand auf diesem Grenzgebiet zwischen Natur-, Human-, Wirtschafts-und Sozialwissenschaften. Diese Leerstelle im Ergebnistableau der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften ist nicht zuletzt Ausfluß der Marktzentriertheit und der damit verbundenen Ausblendung des Sozialkostenphänomens in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung.

Inzwischen liegt eine Fülle von Einzelergebnissen zu Kategorien ökologischer und sozialer Schadenspositionen vor. Ihnen fehlt jedoch eine Einbindung in ein umfassenderes Projekt einer systematischen Bilanzierung der realen Schadenseffekte industriegesellschaftlicher Produktion und Konsumtion.

Hier liegt für die Zukunft ein Forschungsgebiet, das dringend koordinierter und langfristig angelegter wissenschaftlicher Arbeit bedarf. Die Sozialkostenkategorie der defensiven Ausgaben erhält ihre besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Kritik am Sozialprodukt und dem theoretischen und empirischen Nachweis kontraproduktiver Wachstums-und Strukturbildungsprozesse hinter der „Nebelwand" von als Erfolg gepriesenen globalen Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts. Ihren Komponenten wendet sich diese Arbeit im folgenden ausschließlich zu, wobei die Arbeit an der konzeptionellen Fundierung und empirischen Darstellung von Kategorien defensiver Ausgaben als ein erster wichtiger Schritt im Zusammenhang mit der umfassenderen Aufgabe der Neubilanzierung von Kosten und Nutzen der industriegesellschaftlichen Produktionsweise in den siebziger und frühen achtziger Jahren dieses Jahrhunderts verstanden wird.

3. Umweltschutzausgaben und Ausgaben zur Kompensation von Schadens-Wirkungen von Umweltbelastungen Die umweltspezifischen defensiven Ausgaben können unterteilt werden in:

— Ausgaben, mit denen eine sonst verstärkt eintretende Umweltverschmutzung verhindert wird (Umweltschutzausgaben), und in — Ausgaben, die auf durch Umwelteinwirkungen ausgelöste Schäden reagieren und ei-B nen Ausgleich der Schäden intendieren (Folgeausgaben von Umweltschäden). a) Umweltschutzausgaben Die Umweltschutzausgaben setzen sich aus den Umweltschutzinvestitionen und den Umweltschutzbetriebskosten des Produzierenden Gewerbes und der öffentlichen Hände sowie den Kontrollkosten und den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) im Umweltschutzbereich zusammen.

Für die Umweltschutzinvestitionen des Produzierenden Gewerbes liegen vom Statistischen Bundesamt publizierte Daten für die Periode von 1975 bis 1980 und Schätzwerte für den Zeitraum von 1971 bis 1974 vor. Für die Umweltschutzbetriebskosten, die von Jahr zu Jahr absolut und relativ bezogen auf die Umweltschutzinvestitionen immer wichtiger werden, liegen keine offiziellen Daten vor. Das Umweltstatistikgesetz schreibt dem Statistischen Bundesamt lediglich die Erhebung von Daten zu den Umweltschutzinvestitionen im Produzierenden Gewerbe vor. Es liegen jedoch Schätzungen der privatwirtschaftlichen und der öffentlichen Betriebskosten des Umweltschutzes vor Die neueste Schätzung zur Höhe und zur zeitlichen Ent-Wicklung der Umweltschutzbetriebskosten bezieht sich lediglich auf das Produzierende Gewerbe (vgl. hierzu Tabelle 1).

Absolut schwankten die Umweltschutzinvestitionen des Produzierenden Gewerbes zwischen 1971 und 1980 zwischen 2, 0 und knapp 2, 7 Mrd. DM jährlich. Bezogen auf die Gesamtinvestitionen des Produzierenden Gewerbes belief sich der Anteil der Umweltschutzinvestitionen 1974 auf 4, 9%. Dieser Anteilswert sank dann bis 1979 kontinuierlich auf 3, 1 % ab. 1980 war wieder ein leichter Anstieg auf 3, 5% zu verzeichnen.

Während die Umweltschutzinvestitionen in dem Zehn-Jahres-Zeitraum von 1970 bis 1980 zwischen 2, 0 und 2, 7 Mrd. DM jährlich schwankten, stiegen die laufenden Umweltschutzaufwendungen kontinuierlich an. Ihre Höhe ist abhängig von Umweltkapitalstock und nicht von den jährlichen Investitionen. Zwischen 1971 und 1980 hat sich ihr Wert fast verdreifacht. Betrug die Relation zwischen Betriebskosten und Investitionen 1970 1, 1 : 1, so hatte sie sich 1980 auf einen Wert von 2, 2 : 1 zugunsten der Umweltschutzbetriebskosten verschoben. In manchen Branchen ist diese Relation noch höher. In der chemischen Industrie belief sie sich 1981 auf 4, 4 : 1 und 1982 auf 4, 2 : 1

Tabelle 2 vermittelt einen Überblick über die Entwicklung der Umweltschutzinvestitionen der öffentlichen Hand. Sie liegen deutlich hö-her als die des Produzierenden Gewerbes. Die Relation zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Investitionen hat sich ständig zugunsten der staatlichen erhöht. Lag sie 1971 noch bei 1, 8 : 1 und 1975 bei 1, 9 : 1, so stieg sie Ende der siebziger Jahre (1979 und 1980) auf über 3: 1. Die gesamten öffentlichen Umweltschutzausgaben (einschließlich der laufenden Betriebskosten) lagen 1971 bei knapp 6 Mrd. DM, stiegen 1975 auf ca. 8 Mrd. DM und nahmen bis 1980 weiterhin relativ kontinuierlich auf ca. 15 Mrd. DM zu. b) Folgeausgaben von Umweltschäden Nichtverhinderte Schadstoffemissionen haben Umweltschäden zur Folge, die teilweise ökonomische Gegenreaktionen auslösen. Diese sollen im folgenden grob quantitativ abgeschätzt werden. Defensive ökonomische Aktivitäten finden sich in folgenden Bereichen: — Gesundheitsschäden — Schäden an Gebäuden und Materialien — Schäden an Textilien — Schäden an Baudenkmälern und Kunstwerken sowie — Schäden an der Vegetation.

Gesundheitsschäden gehen nicht nur von ökologischen, sondern auch von arbeitsplatz-bedingten Produktionsprozessen aus (vgl. auch die ökonomischen Konsequenzen des Gesamtbildes von Gesundheitsschäden in Abschnitt V. 3. C.).

Schätzungen des Gesamtschadens von Umweltbelastungen sind rar. Häufig zitiert wird die Schätzung, die von der OECD anläßlich der Tagung der Umweltminister im Mai 1979 vorgestellt worden ist. Danach belaufen sich die Gesamtschäden durch Luftverschmutzung (einschließlich der Folgekosten im Gesundheitswesen) in den Mitgliedsländern auf etwa 3 bis 5% des Bruttosozialprodukts Aufgrund der unzulänglichen Datensituation ist der Unsicherheitsbereich sehr groß. Allgemein wird immer wieder der unzureichende Forschungs-und Erkenntnisstand in diesem Bereich beklagt. Während für die Vereinigten Staaten schon eine Reihe von Studien vorliegen, befindet sich die Schadensforschung und Schadensbewertung in der Bundesrepublik noch ganz am Anfang.

Besonders politikrelevant sind Untersuchungen, die den direkten Kosten umweltschützender Maßnahmen (z. B.der Luftreinhaltung) die Minderbelastungen (weniger Folgeausgaben und weniger Schäden) in den von Umweltbelastungen betroffenen Bereichen gegenüberstellen. Vielfach werden in der politischen Auseinandersetzung nur die Kosten von Umweltschutzmaßnahmen und nicht die i. d. R. viel höheren Kosten eines unterlassenen Umweltschutzes herausgestellt. Eine Kostenbewertung emmissionsmindernder Maßnahmen sieht ganz anders aus, wenn in sie auch die durch die Maßnahmen verhinderten Folgeschäden und -ausgaben einbezogen werden. So wurde für die Bundesrepublik im Rahmen einer OECD-Untersuchung festgestellt, daß einer SO, -Emissionsminderung um 37% mit einem Kostenaufwand von 516 Mill. Dollar eine Schadensverringerung allein an verzinkten und beschichteten Stahlkonstruktionen (andere Materialien wurden nicht untersucht) in Höhe von 320 Mill, Dollar gegenübersteht Schäden an Materialien, Gebäuden und Textilien Schäden an Materialien durch Luftverunreinigungen führen zu erhöhten finanziellen Aufwendungen für Wartungs-und Sanierungsmaßnahmen. Augenfällige Schadensbeispiele sind das Anlaufen von Metallen und vor allem deren Korrosion, die beschleunigte Verwitterung von Gebäudefassaden und bei organischen Materialien die Verfärbung, Erweichung bzw. Versprödung und andere Oberflächeneffekte. Ein methodischer Ansatz zur Erfassung der Kosten immissionsbedingter Materialschäden ist die vergleichende Betrachtung von Schäden bzw. Zusatzaufwendungen in Belastungsgebieten verglichen mit ländlichen Gebieten, wobei erhöhte Aufwendungen in Belastungsgebieten auf Luftverunreinigungen zurückgeführt werden. Diese Berechnung gibt Aufschluß über die Wirkung aller Luftverunreinigungen. Die nachfolgende Zusammenstellung (Tabelle 3), die auf eine Studie des INFU-Instituts der Universität Dortmund zurückgeht, gibt einen Überblick über die Höhe der für die Bundesrepublik ermittelten volkswirtschaftlichen Zusatzbelastungen durch umweltbedingte Material-, Gebäude-und Textilienschäden. Legt man für die Korrosionsschäden den mittleren Wert von 1, 5 Mrd. DM zugrunde, so belaufen sich die zusätzlichen immissionsbedingten Kosten im Sachgüterbereich auf ca. 4 Mrd. DM pro Jahr. Da in der Untersuchung verschiedene Bereiche nicht berücksichtigt wurden, ist davon auszugehen, daß die insgesamt anfallenden Zusatzbelastungen durch Immissionsschäden noch weitaus höher liegen. Schäden an Baudenkmälern und Kunstwerken Auch die bei Kunstwerken und Denkmälern auftretenden immissionsbedingten Schäden, die in einigen Fällen bereits zum Totalverlust kulturhistorisch bedeutender Objekte geführt haben, verursachen hohe volkswirtschaftliche Verluste, wobei zusätzlich der monetär nicht bewertbare ideelle Verlust durch die Zerstörung der Kunstobjekte zu berücksichtigen ist.

Eine umfassende Abschätzung immissionsbedingter Mehraufwendungen an Kunstgütern und Baudenkmälern ist nicht möglich. Bedingt durch die Verschiedenartigkeit dieser Objekte können keine für eine Hochrechnung erforderlichen Durchschnittskosten angenommen werden. Unbestritten ist, daß die Kosten für die Erhaltung wertvoller Kulturgüter und Baudenkmäler ständig steigen. Zur Vermeidung von Schäden an Kunstgütern in Museen müssen heute für Klimaanlage und Luftreinhaltung im allgemeinen 15% der Bausumme ausgegeben werden

Schäden an der Vegetation Durch Vegetationsschäden induzierte Zusatz-aufwendungen sind zweifellos nicht die wichtigste Kategorie der hier interessierenden Schadenseffekte. Quantitativ bedeutsamer sind sicher schon die durch Vegetationsschäden bedingten Produktions-, Einkommens-und Vermögensverluste. Von überragender Bedeutung in diesem Bereich sind jedoch die langfristigen ökologischen Risiken von lang andauernden Schadstoffeinwirkungen auf die Natur.

Die ökonomischen Folgen von immissionsbedingten Vegetationsschäden äußern sich in: — Ertragsverlusten, — Steigerungen des Aufwands, — Entschädigungszahlungen und — in Vermögensverlusten.

Umfassende Untersuchungen zu diesen Kategorien liegen bisher nicht vor. Erst im Gefolge der rapiden Zunahme der Waldschäden sind insbesondere von der Betroffenenseite die ökonomischen Konsequenzen von Vegetationsschäden — hier der Waldschäden — zum ersten Mal gründlicher untersucht worden. So hat die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) aufbauend auf der Hypothese, daß rd. 20 % der Wald-fläche geschädigt sind, eine Modellkalkulation entwickelt Danach belaufen sich die Ertragsverluste in Höhe von 20% für die gesamte Forstwirtschaft auf jährlich 1, 4 Mrd. DM. Sie ergeben sich aus der Minderung der jährlichen Nutzholzmenge durch Zuwachs-verluste, der Minderung des Anteils hochwertiger Holzsortimente, der Minderung der Preisgebote durch erhöhten Schadholzanteil u. a. Geht man bei den Aufwandssteigerungen von einer 10%igen Zunahme infolge der Waldschäden aus, dann ergibt dies für die gesamte Waldfläche der Bundesrepublik den Jahresbetrag von rd. 300 Mio. DM. Ertragsverluste und Aufwandssteigerungen ergeben nach dieser Rechnung somit eine Mehrbelastung der Forstwirtschaft von 1, 7 Mrd. DM pro Jahr.

Die Vermögensverluste errechnet die AGDW aus der Summe der jährlichen Belastungen eines zurückliegenden Zeitraums von zehn bis 20 Jahren der latenten Schädigung. Das Gesamtausmaß der durch die Waldschäden bisher erlittenen Vermögensverluste wird anhand der Modellkalkulation grob mit zehn bis 20 Mrd. DM veranschlagt. Die Tendenz ist progressiv steigend. Andere Schätzungen liegen teils höher, teils niedriger als die der AGDW. Der ökonomische Wert der Wälder in der Bundesrepublik wird auf 150 bis 200 Mrd. DM geschätzt. Eine 10%ige Schädigung der Wälder bedeutet einen direkten ökonomischen Verlust von 15 bis 20 Mrd. DM. Der gesamtökologische Schaden ist natürlich höher. Nach Angaben des Deutschen Forstvereins fallen ca. 550 000 ha Wald völlig aus, wenn die Luftverschmutzung nicht entscheidend vermindert wird. Dies entspräche einem forstwirtschaftlichen Verlust von ca. 10 Mrd. DM c) Folgekosten von Gesundheitsschäden Nach amerikanischen Untersuchungen haben die Folgebelastungen des Gesundheitswesens durch schadstoffbedingte Erkrankungen den größten Anteil an den Schadenskosten nicht-vermiedener Umweltbelastungen Die amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) berichtet von einer Untersuchung, die über einen Zeitraum von neun Jahren gelaufen ist and eine Stichprobe von 5 000 Haushalten umfaßt hat. Es wurden die durch Luftverschmutzung bedingten Krankheiten und die dadurch entstehenden Arbeitsausfälle und Einkommensverluste ermittelt. Den Ergebnissen dieser Studie zufolge könnten durch eine Reduzierung der Luftverschmutzung um 60% gegenüber dem Stand von 1970 über eine Verminderung immissionsbedingter akuter und chronischer Krankheiten jährliche finanzielle Belastungen von über 40 Mrd. Dollar vermieden werden. Da infolge des Clean Air Act die Luftverschmutzung 1977 um ca. 12% niedriger lag als 1970, wurden hierdurch Folgekosten von 8 Mrd. Dollar vermieden.

Teile der Gesundheitsaufwendungen sind Schadenskosten eines defizitären Umweltschutzes. Die empirische Evidenz für die Gültigkeit dieser These ist erdrückend. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, daß 60 bis 90% aller Krebserkrankungen auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind, wobei der hier verwendete Umweltbegriff allerdings Einflüsse wie das Rauchen miteinschließt. Das UN-Umweltprogramm führt 90% aller Krebsfälle auf Zivilisationsschäden zurück. Nach . Angabe des Bonner Gesundheitsministeriums bestimmten Zivilisationskrankheiten, deren Zunahme das Gesundheitswesen seine rapide Expansion verdankt, im Jahre 1976 bereits rd. 35% der Todesursachen

Es ist bisher nicht möglich, die Expansion der Ausgaben des Gesundheitswesens exakt einzelnen Krankheitsbildern und spezifischen Verursachungsmechanismen zuzuordnen. Bei den heute am weitesten verbreiteten Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Herz-und Kreislaufkrankheiten handelt es sich um Krankheiten, deren Entstehung durch das Zusammenwirken komplexer Faktoren bedingt ist. Dabei spielen zweifellos Grundcharakteristika unserer industriegesellschaftlichen Zivilisation eine zentrale Rolle. Zu ihnen gehören die Vergiftung unserer Umwelt, gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, streßintensiver Lebens-und Arbeitsstil, gesundheitsschädliche Verhaltensmuster wie zuviel Rauchen, zuviel Alkohol, schlechte Ernährung und unzureichende Bewegung.

Die Entwicklung der Krankheitskosten zwischen 1970 und 1981 zeigt Tabelle 4. Innerhalb einer Dekade haben sich die Kosten des Gesundheitswesens nahezu verdreifacht. In den Werten sind auch die Ausgaben für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Krankengeld und Renten bei krankheitsbedingt vorzeitiger Verrentung enthalten. Sie machen 1980 (56, 5 Mrd. DM) und 1981 (63 Mrd. DM) gut ein Viertel des Gesamtbetrages aus. Die restlichen drei Viertel der Krankheitskosten, die auf Gesundheitsleistungen beruhen, gehen in das Bruttosozialprodukt ein. Es ist in gewisser Weise willkürlich, den Teil der Krankheitskosten zu schätzen, der lediglich Folgewirkung von verschlechterten Umwelt-, Arbeits-und Lebensbedingungen ist. Dennoch sind grobe quantitative Anhaltspunkte bei diesem zentralen Problem besser als gar nichts. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Schätzungen möglicher Einsparungen im Gesundheitswesen bei gesundheitsgerechterer Lebensweise und besseren Umweltbedingungen vorgenommen worden, die man zur Gewinnung einer vorläufigen Vorstellung von Größenordnungen kompensatorischer Krankheitskosten verwenden kann.

So liegen nach Angaben des Parlamentarischen Staatssekretärs Gallus die Folgekosten für ernährungsbedingte Krankheiten derzeit bei rd. 20 Mrd. DM. Dem Bremer Gesundheitssenator Brückner zufolge gehen 80% der Kosten der Krankheitsbehandlung auf Krankheiten zurück, die präventiv beeinflußbar sind. Nach seinen Angaben könnten mit großer Wahrscheinlichkeit 50 bis 60 Mrd. DM allein durch eine gesundheitsgerechte Lebensweise und auf die Erhaltung der Gesund-43 heit ausgerichtete Arbeits-und Sozialbedingungen eingespart werden. Die gesundheitlichen Folgeschäden des Zigarettenkonsums belasteten das Gesundheitsbudget der Bundesrepublik allein mit 20 Mrd. DM Durch Fehlernährung entstünden Ausgaben von 17 Mrd. DM und durch alkoholbedingte Autounfälle ebenf Mrd. DM 17). Durch Fehlernährung entstünden Ausgaben von 17 Mrd. DM und durch alkoholbedingte Autounfälle ebenfalls Kosten in Höhe von 20 Mrd. DM pro Jahr. Die Kosten, die durch den Bewegungsmangel vieler Menschen entstehen, werden auf 10 Mrd. DM geschätzt 18). Durch Unfall-und Berufskrankheiten entstehen nach Berechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Arbeitssicherheit jährlich volkswirtschaftliche Verluste von etwa 35 Mrd. DM 19). d) Agglomerationsbedingte Mehrbelastungen In der Bundesrepublik lebten 1982 nach Angaben des Statistischen Jahrbuches insgesamt 61 640 000 Menschen, davon gut ein Drittel in Städten über 100 000 Einwohnern und gut ein Sechstel in Städten über 500 000 Einwohnern 20). Der Urbanisierungsgrad eines Landes wird international mittels des Anteils der Bevölkerung in Gemeinden mit 20 000 und mehr Einwohnern an der Gesamtbevölkerung gemessen. Zwischen 1965 und 1975 ist er in der Bundesrepublik von 49% auf 60% angestiegen Gemäß den nach raumstrukturellen Kriterien aufbereiteten Daten lebten 1979 in der Bundesrepublik 56% der Bevölkerung in Regionen mit großen Verdichtungsräumen, 28% in Regionen mit Verdichtungsansätzen und 16% in ländlich geprägten Regionen

Hauptformen spezifischer Mehrbelastungen in Ballungsregionen sind die Arbeitswegekosten, die Miet-und Wohnungskosten sowie die privaten und staatlichen Kosten zur Bekämpfung der vergleichsweise höheren Kriminalität. Das vorhandene Zahlenmaterial für diese Ausgaben bereiche ist besonders lükkenhaft. Dennoch soll hier kurz darauf eingegangen werden. — Arbeitswegekosten Die Vermutung relativ weiterer Arbeitswege und längerer Pendelzeiten in Ballungsregionen wird durch alle bekannten Erhebungen bestätigt über die Entwicklung der Anzahl der Zupendler und der Pendlerquote der Großstädte in den siebziger Jahren liegt nur eine Schweizer Studie vor Man kann jedoch davon ausgehen, daß die Entwicklung in der Bundesrepublik nicht wesentlich anders verlaufen ist. Tabelle 5 zeigt, daß die Pendlerquote in den Schweizer Großstädten in den siebziger Jahren sprunghaft angestiegen ist. Bei Fortsetzung dieses Trends wird vermutlich bald jeder zweite städtische Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitsgemeinde wohnen.

In der Bundesrepublik erreichen nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (Berlin) aus dem Jahre 1981 knapp 50% der Berufstätigen (12, 3 Mio.) ihren Arbeitsplatz mit ihrem privaten Kraftfahrzeug, 9 Mio. zu Fuß oder mit dem Fahrrad sowie 4, 3 Mio. mit Bahn oder Bus Von den Kraftfahrzeugfahrern haben 39% einen Weg zum Arbeitsplatz von bis zu 5 km, 27 % einen Weg von 5 bis 10 km, 21% einen Weg von 10 bis 20 km und 13% einen Weg zum Arbeitsplatz von über 20 km.

4, 2 Mio. Berufstätige legen mit dem Auto einen Weg zum Arbeitsplatz von mehr als 10 km zurück. Bei ihnen kann wo % einen Weg von 5 bis 10 km, 21% einen Weg von 10 bis 20 km und 13% einen Weg zum Arbeitsplatz von über 20 km.

4, 2 Mio. Berufstätige legen mit dem Auto einen Weg zum Arbeitsplatz von mehr als 10 km zurück. Bei ihnen kann wohl mit großer Sicherheit davon ausgegangen werden, daß sie ihr Kraftfahrzeug aus beruflichen Gründen brauchen, m. a. W.: daß für sie die Frage der Anschaffung und des Besitzes eines Autos keine freie Wahlentscheidung mehr ist. Ob sie es bewußt so wahrnehmen oder nicht: Der Kauf eines Autos wird ihnen durch die räumliche Strukturierung — die wachsende Entfernung von Wohnsiedlungen und Arbeitsplätzen — aufgezwungen.

Ein privater Haushalt 26) gab 1981 im Durchschnitt 10% seiner Konsumausgaben für laufende Aufwendungen für das Kraftfahrzeug und 4, 4% für Kraftfahrzeugkäufe aus. Dieser Posten ist von allen Ausgabengruppen der privaten Haushalte zwischen 1970 und 1981 am stärksten gestiegen, und zwar um fast 4 Prozentpunkte von 10, 9 % auf 14, 7 %. Eine Abschätzung der aboluten finanziellen Belastung derjenigen Haushalte, die aus raum-strukturellen Gründen ein Auto zur Existenzsicherung brauchen, ist derzeit nicht möglich.

Möglich ist lediglich ein Hinweis auf die Größenordnung, die hier im Spiel ist. Geht man davon aus, daß ein Sechstel aller Haushalte [4, 2 Mio.) einen Wagen zum Einkommenserwerb braucht und ca. 50% der mit der Kraftfahrzeugnutzung verbundenen Ausgaben als Arbeitswegekosten anzusetzen wären, dann ergibt sich eine Belastung von 11, 4 Mrd.

DM 27). Dieser Schätzwert kann nur als absoluter Minimalansatz der tatsächlichen ökonomischen Belastung der Haushalte und der Volkswirtschaft durch die wachsende Entfernung zwischen Arbeitsplätzen und Wohnsiedlungen angesehen werden.

Neben der direkten ökonomischen Belastung der privaten Haushalte gehen von den Pendlerfahrten weitere indirekte Belastungen auf Haushalte, Volkswirtschaft und Natur aus. Diese haben ihre Ursachen u. a.

— in Straßenverkehrsunfällen auf dem Arbeitsweg (Krankenhauskosten, Einkommens-und Produktionsverluste, Steuermindereinnahmen, Invaliditäts-und Witwenrenten, etc.), — in Umweltschäden, die auf dem Umweg über umweltpolitische Reaktionen auch zu steigenden finanziellen Belastungen der Kraftfahrzeuginhaber führen können (z. B. ab 1986 Pflicht zum Einbau eines Abgaskatalysators in neue Autos, dessen Kosten nach Schätzungen des Umweltbundesamtes bei ca. 650 DM liegen sollen), sowie — in Zeitverlusten durch wachsende Pendel-zeiten. — Miet-und Wohnkosten Die Belastungen der privaten Haushalte durch Mieten und Wohnkosten sind in Ballungszentren und in deren Peripherie relativ höher als in Klein-und Mittelstädten und auf dem Land. Sie sind ein knappheitsbedingter Preis für das Leben in großen Agglomerationen, die eine Reihe von Annehmlichkeiten und Vorteilen bieten, nicht zuletzt die Chance zum Erwerb eines relativ höheren Einkommens. Haupteinflußfaktor der relativ höheren Mieten und Wohnkosten in Agglomerationsgebieten ist der starke Anstieg der Bodenpreise, der sich in den sechziger und siebziger Jahren vollzogen hat. Die Grundstückspreise in Großstadtregionen sind in den letzten 25 Jahren doppelt so schnell gestiegen wie die Baupreise. Der Anteil der reinen Baukosten am Hauserwerb hat sich in den letzten Jahren ständig verringert und beträgt heute nur noch 50%. In Großstädten sind Grundstücke inzwischen häufig doppelt so teuer wie die Wohnung selbst

Die Steigerungsrate der Preise für Bauland war im Zeitraum von 1963 bis 1982 im Bundesgebiet dreimal so hoch wie die der Lebenshaltungskosten Die jeweils größten absoluten und relativen Preiszuwächse verzeichneten die Regionen mit großen Verdichtungsräumen. Es folgen mit deutlichem Abstand die Regionen mit Verdichtungsansätzen vor den ländlich geprägten Regionen (vgl. Tabelle 6). Die regionalen Preisunterschiede beeinflussen erheblich die Möglichkeit, Grundeigentum zu erwerben. So mußte ein Industriebeschäftigter mit durchschnittlichem Einkommen 1981 für ein 500 m 2 großes Grundstück in ländlich geprägten Regionen durchschnittlich 12, 3 Monatsgehälter aufbringen. In Regionen mit großen Verdichtungsräumen waren zum Erwerb eines solchen Grundstücks bereits 25, 4 Monatsgehälter erforderlich, in den Kernstädten sogar 43 Monatsgehälter (Tabelle 6)

In seinen Untersuchungen über Lebens-und Beschäftigungsbedingungen hat Bairoch in großen Städten einen direkten Zusammenhang zwischen der Stadtgröße und Miethöhe (bei gegebenem Wohnkomfort) gefunden -In einigen Industrieländern wie z. B. Frankreich können die Ausgaben für Mieten in großen Städten bei gleichem Wohnkomfort zwei-bis dreimal so hoch sein wie in Kleinstädten. In anderen Ländern ist die Differenz geringer. In den USA z. B. steigen die relativen Mieten erst in Städten von 500 000 und mehr Einwohnern. Einen weiteren Sprung nach oben zeigen sie in Städten von 5 Mio. und mehr Einwohnern. In diesen Metropolen ist die durchschnittliche Miete etwa 20 bis 25% höher als in Städten mit 100 000 bis 200 000 Einwohnern. Auch in der Bundesrepublik Deutschland steigen die Mieten mit zunehmender Stadt-größe (vgl. Tabelle 7). Einer neueren Untersuchung des Rings Deutscher Makler zufolge liegen die Differenzen zwischen Mittelstädten (100 000 bis 250 000 Einwohner) und Großstädten (500 000 Einwohner und mehr) für Wohnungen mit gleichem Komfort bei 3 bis 5 DM (Baujahr nach 1948) bzw. bei 4 bis 7 DM (Baujahr 1983) pro qm. — Ausgaben für innere Sicherheit Die Ausgaben für innere Sicherheit steigen in den Industrieländern überproportional zum Sozialprodukt Dies ist ein Reflex auf die Tatsache, daß die Kriminalität im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung ständig zugenommen hat

Zahlreiche Anzeichen belegen, daß bestimmte Delikte in Ballungsregionen erheblich häufiger auftreten als in den übrigen Gebieten. Entsprechend beabsichtigt der Verband der Hausratsversicherer, daraus für seine zukünftige Prämiengestaltung Konsequenzen zu ziehen und will die Bundesrepublik in drei Gefahrenzonen einteilen. In den schadensgefährdeteren Ballungsgebieten wie Hamburg, Frankfurt und Rhein-Ruhr-Gebiet werden die Prämien am höchsten sein

Rechnet man zu den Ausgaben für öffentliche Sicherheit und Ordnung noch den Wach-, Werk-und Begleitschutz, der heute in der Bundesrepublik bereits etwa die Hälfte der staatlich für innere Sicherheit Beschäftigten aufweist, und die Produzenten von Sicherheitstechnologien aller Art sowie die Angestellten der Einbruchs-und Diebstahlsversicherungen hinzu, so wurden „vorsichtig geschätzt ... 1977 rund zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für dieses Problem ausgegeben" Ein wesentlicher Teil davon sind defensive Ausgaben, die der Zentralisierungsund Ballungstendenz des Industriesystems geschuldet sind. e) Resümee Der bisher gegebene Überblick über wesentliche Bereiche defensiver Ausgaben ist gewiß nicht erschöpfend. Auf zwei weitere Bereiche von Problemvermarktungen, die sehr eng mit dem Sicherheitsbedürfnis, für dessen Erfüllung im komplizierter und risikoreicher werdenden Industriesystem immer mehr ausgegeben wird, Zusammenhängen, weist M. Jänicke hin Einmal ist es das starke Wachstum des Versicherungswesens, das zugleich Ausdruck eines gesellschaftlichen Dilemmas ist. Weil Diebstahl und Einbrüche zunehmen, weil die Transportrisiken und die Risiken industrieller Großanlagen zunehmen, wächst auch der Umsatz dieser Branche. Insbesondere gilt dies auch für das Rückversicherungswesen — ein Indikator großtechnischer Risiken. Der zweite Bereich ist der Katastrophenschutz und der gesamte Bereich der technischen Sicherheit und Risikominderung. Gefährliche und gefährdete Großtechnologien erhöhen die Nachfrage nach Schutzeinrichtungen von der technischen und polizeilichen Sicherheit bis zum Versicherungs-und Katastrophenschutz.

Es ist gegenwärtig verfrüht, einen Gesamtindikator defensiver Ausgaben in der Industriegesellschaft zu bilden. Hierfür sind sowohl die theoretischen und methodischen Konzepte als auch die empirischen Grundlagen noch nicht genügend ausgereift. Die Bildung eines Gesamtindikators ökonomischer Folgebelastungen des industrialistischen Produktionsprozesses ist zwar wissenschaftlich und politisch wichtig, aus politischer Sicht ist freilich schon die Kenntnis von Einzelfaktoren von Bedeutung, da diese Anknüpfungspunkte von strukturellen Maßnahmen zur Überflüssigmachung „aufgezwungener" defensiver Ausgaben sind. Ziel des Überblicks, der hier gegeben wurde, war es, einen ersten Eindruck von den Größenordnungen, die bei den vielfältigen defensiven ökonomischen Aktivitäten im Spiel sind, zu verschaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dies ist keine neue Beobachtung. Seit Anfang der siebziger Jahre wird auf die mangelnde Aussagefähigkeit des Sozialprodukts als gesellschaftlicher Wohlfahrtsindikator immer wieder hingewiesen. Auffallend hierbei ist jedoch, daß daraus bisher weder konzeptionelle Konsequenzen im Hinblick auf eine Revision der Zielindikatoren noch wirtschaftspolitische Konsequenzen gezogen worden sind.

  2. Zu dieser These eines möglicherweise eintretenden „Leerlaufs" des Wirtschaftswachstums vgl. H. C. Binswanger /H. Frisch /H. G. Nutzinger u. a., Arbeit ohne Umweltzerstörung. Strategien für eine neue Wirtschaftspolitik, Frankfurt/M. 1983, insbes. S. 71 ff. und S. 329 ff.

  3. Die empirische Evidenz für diese Aussage ist in allen Bereichen des Umweltschutzes überwältigend. ,

  4. Vgl.den Jahresbericht 1982 des Umweltbundesamtes, Berlin 1983, S. 23.

  5. Vgl. H. Henderson, Dissecting the Declining „Productivity" Flap, in: Technological Forecasting and Social Change, (1980) 18.

  6. Vergleichbar wäre dies mit dem sinkenden Nettonutzen an niedriger Entropie bei den Abbau von immer schwerer erreichbaren Rohstoffen und Energiequellen.

  7. Vgl. hierzu auch C. Leipert, Bruttosozialprodukt, defensive Ausgaben und Nettowohlfahrts-Messung, I 1UG, dp 82-6, Wissenschaftszentrum Berlin 1982, S. 35 ff.

  8. L. Lichtwer, Schätzung der monetären Aufwendungen für Umweltschutzmaßnahmen in den Jahren 1977 bis 1981. Ein Bericht des Battelle-Instituts, Berlin 1979; R. -U. Sprenger /G. Knödgen, Struktur und Entwicklung der Umweltschutzindustrie in der Bundesrepublik Deutschland, Forschungsbericht 9/83 i. A.des Umweltbundesamtes, Berlin 1983; Umweltbundesamt, Jahresbericht 1982, Berlin 1983.

  9. Tagesspiegel Berlin, Wirtschaftsteil Dezember 1982 und 1983.

  10. OECD, The State of the Environment in OECD Member Countries, Paris 1979, S. 33.

  11. OECD, The Costs and Benefits of Sulphur Oxide Control, Paris 1981.

  12. Die Studie von J. Heinz enthält Kostenschätzungen für ausgewählte Beispiele immissionsbedingter Reinigung, Restaurierung und Konservierung von Kulturgütern (städtische Bronzedenkmäler und -Skulpturen, Metallskulpturen im Museumsbesitz unter freiem Himmel, mittelalterliche Glasgemälde und Fassaden von Baudenkmälern). Vgl. J. Heinz, ökonomische Bewertung der Wirkungen von Luftverunreinigungen. Ein Forschungsbericht im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin 1979.

  13. Vgl. Handelsblatt Nr. 197 vom 12. 10. 1983.

  14. Vgl. Bundesinnenministerium (Hrsg.), Umwelt Nr. 95.

  15. Vgl. hierzu B. Unger, Umweltschutz: Europa könnte Milliarden sparen, in: Wirtschaft und Umwelt, Heft 4, S. 20 f.

  16. Vgl. M. Jänicke, Versorgung und Entsorgung im superindustriellen System, in: J. Matthes (Hrsg.), Verhandlungen des Deutschen Soziologentags 1980, Frankfurt — New York 1981, S. 148.

  17. Nach Angaben der Bundesvereinigung für Gesundheitserziehung könnten 25 Mrd. DM eingespart werden, wenn die allein durch den Tabak-konsum verursachten Krankheitskosten entfielen. Vgl. zu den finanziellen Auswirkungen raucherbedingter Gesundheitsstörungen und Todesfälle für die gesetzliche und private Krankenversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung für und für das Bruttosozialprodukt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, die die Auswirkungen des Zigarettenrauchens betraf: Drucksache 7/2070 vom 10. 5. 1974.

  18. Statistisches Jahrbuch 1983 für die Bundesrepublik Deutschland, a. a. O., S. 58 f.

  19. OECD, a. a. O. (Anm. 10), Annex 11. Die entsprechenden Werte für den gesamten OECD-Raum belaufen sich auf 59% und 64%.

  20. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Baulandbericht, Bonn-Bad Godesberg 1983, S. 29.

  21. Vgl. Tabelle 6 in C. Leipert, a. a. O. (Anm. 7), S. 66.

  22. H. -C. Bächtold, Die Entwicklung der schweizerischen Großstädte 1970 bis 1980. Versuch einiger Kausalbestimmungen, in: DISP, Okt. 1983, S. 5ff.

  23. I. Kloas /H. Kuhfeld, Statistik des gesamten Personalverkehrs in der BRD im Jahre 1975. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin 1982.

  24. Die gesamten Ausgaben für Verkehrszwecke und Nachrichtenübermittlung beliefen sich 1981 auf 136 Mrd. DM. Ein Sechstel hiervon sind 22, 7 Mrd., 50% hiervon belaufen sich auf 11, 4 Mrd. DM.

  25. Vgl. hierzu den Artikel „Bauen in der Bundesrepublik zu teuer", in: VWD Finanz-und Wirtschaftsspiegel vom 3. 11. 1982.

  26. Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Baulandbericht, a. a. O. (Anm. 22), S. 17.

  27. Ebd.

  28. P. Bairoch, Employment and Large Cities: Problems and Outlook, in: International Labour Review, 121 (198) 5, S. 526.

  29. Vgl. hierzu M. Jänicke, Wie das Industriesystem von seinen Mißständen profitiert, Opladen 1979, S. 88 ff., und C. Leipert, a. a. O. (Anm. 7), S. 67 f.

  30. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. 2. 1984, S. 11.

  31. M. Jänicke, Zur Theorie des Staatsversagens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/80 vom 5. 4. 1980, S. 31.

  32. Ebd.

Weitere Inhalte

Christian Leipert, Dr. rer. pol., geb. 1944; Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und der Freien Universität Berlin; gegenwärtig Projektmitarbeiter am Internationalen Institut für Umwelt und Gesellschaft/Wissenschaftszentrum Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Gesellschaftliche Berichterstattung. Eine Einführung in Theorie und Praxis sozialer Indikatoren, Berlin u. a. 1978; (als Hrsg.) Konzepte einer humanen Wirtschaftslehre, Frankfurt 1982; Kritik an der Wachstumsgesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/81 vom 20. 6. 1981; Revision des Sozialproduktkonzeptes und Nettowohlfahrtsmessung, in: U. -P. Reich/C. Stahmer (Hrsg.), Gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsmessung und Umweltqualität, Frankfurt — New York 1983.