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Ziele und Grenzen sowjetischer Interessenpolitik in Nah-und Mittelost | APuZ 49/1983 | bpb.de

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APuZ 49/1983 Artikel 1 Chancen und Risiken der Nah-und Mittelost-Politik der USA Ziele und Grenzen sowjetischer Interessenpolitik in Nah-und Mittelost Die PLO im regionalen Dreieckskonflikt Ein zweiter Iran im Nahen Osten? Ägypten und die krisenhafte Entwicklung seiner Binnenstrukturen

Ziele und Grenzen sowjetischer Interessenpolitik in Nah-und Mittelost

Gerd Linde

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Anfänge einer aktiven sowjetischen Nah-und Mittelostpolitik fallen mit der Nach-Stalin-Ära, der Beendigung des Kolonialzeitalters, dem britischen Rückzug „east of Suez“ insbesondere, und der wachsenden amerikanisch-sowjetischen Rivalität zusammen. Die UdSSR konnte darauf verweisen, daß sie nicht als Kolonialmacht vorbelastet ist. Die willkürlich gezogenen, aber nahezu überall beibehaltenen kolonialen Grenzen programmierten für die jungen Staaten Konflikte, deren Nutzung — nicht Schaffung — der Sowjetunion zusätzlichen Einfluß verschaffte. Fast überall in der Region, von Algerien bis Afghanistan, hat Moskau seinen Einfluß durch Waffenlieferungen und militärischen Beistand aufgebaut. Zivile Entwicklungshilfe folgte meist später. In diese Zeit fällt auch die Parteinahme für die Araber im arabisch-israelischen Konflikt, die vorher, im Gegensatz zum im Kampf gegen die britische Mandatsmacht entstandenen jüdischen Staat, als bloße Marionetten des europäischen Imperialismus betrachtet wurden. Wo es galt, Positionen aufzubauen, war man seit Chruschtschow weitgehend bereit, über ideologische Differenzen hinwegzusehen, und später bemühte man sich auch um das Wohlwollen der konservativen arabischen Staaten. Dagegen ist die sowjetische Parteinahme für die PLO verhältnismäßig jungen Datums; sie begann Ende der sechziger Jahre. Der sowjetischen Nah-und Mittelostpolitik sind — zum Teil selbstverschuldete — Rückschläge nicht erspart geblieben. Die Intervention in Afghanistan und der Partnerwechsel von Somalia zu Äthiopien haben wesentlich dazu beigetragen, daß der sowjetische Einfluß, der sich noch 1972 in einer ununterbrochenen Kette von Algerien in den Irak erstreckte, zehn Jahre später auf Syrien, Libyen und den Südjemen reduziert ist.

I. Die Region und ihre Probleme

Achsen und Allianzen am Horn von Afrika Land Ländergruppe Organisation UNO OAU WESTEN USA-) Großbritannien *) Frankreich *) SOZIALIST. STAATEN VR China"") Jugoslawien Kuba-) UdSSR • u. DDR, CSSR, Bulgarien ARAB. RAUM MIT ISRAEL Israel (bis 19. 2. 78) --) Südjemen-) Libyen -) Irak--) Syrien--) Ägypten--) Nordjemen ‘-) Saudi-Arabien ’') Vereinigte Emirate • ’) PLO--) Haltung neutral neutral mit Sympathien für Äthiopien neutral mit Sympathien für Somalia Neutral mit Sympathien Äthiopien offene UnterStützung ÄתּA

Die Konflikte, die den Mittleren Osten und darüber hinaus weite Teile der übrigen Dritten Welt erschüttern, sind kein Ergebnis sowjetischer Politik. Sie sind ganz überwiegend darauf zurückzuführen, daß die in die Unabhängigkeit entlassenen Kolonien nolens volens an Grenzen festhalten mußten, die von den Kolonialmächten ohne Rücksicht auf ethnische Trennungslinien gezogen worden sind, sondern zumeist auf den insbesondere strategischen Interessen der Mutterländer beruhen. Ihre Revision hätte indes ungleich destabilisierender gewirkt.

Auch diese Methode, bereits bestehende Konflikte für die eigene Politik zu nutzen, ist keine sowjetische Erfindung. Ganze Kolonial-reiche sind so entstanden.

Mittelost als Region dauerhafter Konflikte und unstabiler Bündnisse bot sich als Experimentierfeld für eine solche Politik an. Hier waren nicht nur seit Jahrtausenden bestehende nationale Aspirationen — z. B.der Armenier und der Kurden — nicht gelöst, hier traten die bei jeder Entkolonialisierung unvermeidlichen Konflikte auf, die Gegensätze sind auf Dauer angelegt

— reiche, meist schwache Ölförderländer gegen arme, meist hochgerüstete „Habenichtse", — konservative Monarchien gegen „fortschrittliche" (und meist von Militärs regierte) „Republiken“, — Sunniten gegen Schiiten; wobei nicht außer acht gelassen werden darf, daß auch mehrere Dutzend christlicher Bekenntnisse und weitere Konfessionen wie Drusen, Bahai, Zoroaster-Anhänger u. v. a. in der Region anzutreffen sind

Die oft beschworene, aber nie wirklich existierende arabische Einheit bestand eigentlich nur in einem Punkt: der Feindschaft gegenüber Israel. Und die besteht nun seit dem November 1977 auch nicht mehr, als Anwar al-Sadat als Präsident des größten arabischen Landes seine historische Reise nach Jerusalem antrat.

II. Kurzer Abriß der sowjetischen Nah-und Mittelostpolitik

Land Ländergruppe Organisation Jordanien Marokko "") Mauretanien ’') Tunesien ”) Algerien'*) Djibouti ’*) Arabische Liga ANDERE STAATEN Iran ") Sudan Kenia ") Haltung keine Stellungnahme • pro-somalisch streng neutral neutral mit Sympathien für Somalia keine Stellungnahme offene politische und materielle Unterstützung für Somalia unbestimmt pro-äthiopisch ') = Haltungswechsel seit 1977 ”) = konstante Haltung Motive/Interessen panarabische u. panislamische Solidarität; Antikommunismus; Unveränderlichkeit derתּA

Während schon das Zarenreich gegenüber der Türkei eine expansive Politik verfolgte, fällt eine ausgesprochene sowjetische Interessenpolitik im arabischen Raum etwa mit der Ablösung des britischen durch den amerikanischen Einfluß zusammen. Großbritannien war vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Suez-Intervention 1956 die bestimmende Macht gewesen. Das amerikanische Interesse setzte kurz vor dem Weltkrieg ein. Wenig später machte der sowjetische Außenminister \jaöeslav Molotov in seinen Verhandlungen das sowjetische Interesse an der Region deutlich.

Für die Sowjetunion sprach, daß sie sich nicht an der imperialen Expansion im arabischen Raum beteiligt hatte, andererseits war sie dort wegen ihrer anfänglichen Unterstützung Israels suspekt. Darüber hinaus — war ihre Politik in der Spätphase Stalins ideologisch verhärtet, so daß sie selbst pragmatische Bündnisse mit „nationalen Befreiungsbewegungen" ablehnte, — verfügte die UdSSR über keine wirkliche Hochseeflotte — und war sie auch keine Nuklearmacht.

Stalins Tod fiel zusammen mit dem Amtsantritt der Eisenhower-Administration, die sich um den Aufbau antisowjetischer Paktsysteme bemühte, und Stalins Nachfolger leiteten eine neue, risikofreudigere Politik ein, um dieser Drohung zu begegnen. Eine erste Gelegenheit zur Fühlungnahme mit der Dritten Welt bot die Konferenz von Bandung.

Der „Staat der nationalen Demokratie“ wurde als Bundesgenosse akzeptabel, in ihm selbst wurden neue Klassenstrukturen erkannt, z. B. die „Militärintelligenz" als potentielle Träger einer „fortschrittlichen", d. h. pro-sowjetischen Politik

Daneben ging der Aufbau der sowjetischen Hochseeflotte unter Admiral S. Gorkov voran, dies freilich in voller Stärke erst seit Chruevs Sturz.

Militärische, politische, wirtschaftliche und auch ideologische Überlegungen bestimmen die Mittelostpolitik der UdSSR. Es kommt darauf an, — die südlichen und südöstlichen Grenzen zu sichern, — mit Marine und Luftwaffe als Gegengewicht zur NATO im Mittelmeer präsent zu sein, — den westlichen — speziell den amerikanischen — Einfluß in der Region zu neutralisieren oder zu zerstören.

Ferner gilt es, den Mittelostraum, das Mittelmeer und den Suez-Kanal als Bindeglied zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean zu nutzen, wie auch — von hier den sowjetischen Einfluß nach Afrika zu projizieren, — Einfluß auf die Politik der ölproduzierenden arabischen Länder zu gewinnen, auch als Druckmittel gegenüber dem Westen, — „fortschrittliche", d. h. willfährige Regime als Vorbedingung zur weiteren Durchsetzung sowjetischer Politik zu unterstützen und — antisowjetische Bündnisse zu verhindern. War zunächst den amerikanischen Paktsystemen (CENTO, SEATO) entgegenzuwirken, so ließ seit Anfang der sechziger Jahre der Konflikt mit China die Staaten der Dritten Welt als potentielle Verbündete wertvoll erscheinen

III. Aufbau sowjetischer Positionen durch Nutzung regionaler Konflikte

Siedlungen Staat PLO Plan Grenzen Palästina-Araber Jerusalem Sicherheit Fahd-Plan 7. 8. 1981 Rückzug Israels aus allen 1967 besetzten Gebieten einschließlich Jerusalems Beseitigung aller seit 1967 errichteten Siedlungen Recht auf Rückkehr, Entschädigungen Unabhängiger Staat, Hauptstadt Jerusalem Keine Erwähnung Sicherheit für alle Staaten. UN-Kontrolle Friedenspläne für Mittelost Fez-Plan 15. 9. 1982 Selbstbestimmung unter der PLO Wie Fahd-Plan. In der Übergangszeit UN-Kontrolle Legitime Vertreterin Hauptst劸ٱ

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die UdSSR Israel unterstützt, weil sie sich davon eine Schwächung des britischen Einflusses in der Region versprach. Ihre grundsätzliche Gegnerschaft zum Zionismus als reaktionär-nationalistischer jüdischer Ideologie hat sie indes beibehalten.

Von Kuba bis Indonesien hat die Sowjetunion ihren Einfluß zunächst mit Militärhilfe aufgebaut. Die eigentliche Entwicklungshilfe folgte — wenn überhaupt — erst später. Mit der Militärhilfe sind eine Reihe von Zielsetzungen verbunden:

— Durch einseitige Abhängigkeit vom sowjetischen Nachschub wird ein Klientelverhältnis geschaffen.

— Durch die damit verbundene Übernahme sowjetischer Dienstvorschriften und die Entsendung von sowjetischen Beratern bietet sich die Möglichkeit zur Indoktrinierung der jeweiligen Armee, wie auch durch die Ausbildung arabischer Offiziere in der UdSSR.

— Es bietet sich ferner die Möglichkeit, neue Waffen unter speziellen Kriegsbedingungen (Wüste) zu testen. — Waffentransfers üben darüber hinaus eine psychologische Wirkung aus. Nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973 gab es im Westen Kommentare, die angesichts der Erfolge der sowjetischen Panzerabwehr-Flugkörper das Ende des Panzers voraussagten.

Die psychologische Wirkung kann freilich auch konterproduktiv sein, etwa wenn der Soldat merkt, daß ein Waffensystem nicht hält, was es verspricht, wenn etwa der über ein Jahrzehnt gehegte Glaube an die Überlegenheit sowjetischer Raketenschnellboote im ersten Raketengefecht der Seekriegsgeschichte (6. Oktober 1973 vor Latakia) buchstäblich ins Wasser fällt. Psychologische Wirkung üben gewisse Waffensysteme auch auf den Gegner aus. Je mehr sowjetische Raketen in Syrien installiert werden, um so geringer wird Israels Neigung, im Golan-Gebiet territoriale Kompromisse zu schließen. Die Entsendung von Beratern und Waffen ist in der Regel die Vorstufe dazu, eigene Basen in dem jeweiligen Land in die Hand zu bekommen. Dies war für die UdSSR im Mittelmeerraum besonders wichtig, solange ihre III. Eskadara dort über keinen integralen Luftschirm verfügte, sondern auf land-gestützte Seefliegerverbände angewiesen war.

Die relativ klar verlaufenden Frontlinien — Israel mit den USA und in geringem Maße Westeuropa, die Mehrheit der arabischen Staaten mit der Sowjetunion als Bundesgenossen — haben sich erst allmählich herausgebildet. Als der Nahostkonflikt 1947/48 mit der Entstehung Israels in seine akute Phase trat, verfügten beide Großmächte über wenig Einfluß in der Region. Dagegen war die Position Großbritanniens noch immer stark, besonders in Ägypten, Transjordanien, Kuwait, Jemen und im Irak. Alle Staaten waren mehr oder weniger konservative Monarchien, von denen die Sowjetunion wenig Sympathien zu erwarten hatte. Lediglich in Saudi-Arabien, das 1939 die erste Ölkonzession an eine amerikanische Ölgesellschaft erteilt hatte, war amerikanischer Einfluß spürbar.

Moskau hat Israel nahezu gleichzeitig mit den USA anerkannt, und möglicherweise hat die anfängliche Unterstützung durch die Sowjetunion zum überleben des jüdischen Staates beigetragen. Doch blieb das — im Gegensatz zum immer beibehaltenen Kampf gegen den Zionismus — eine kurze Episode. Zunächst einmal wandelten sich die „arabischen Puppen des britischen und französischen Imperialismus“ in nationale Befreiungsbewegungen, die Unterstützung verdienten. Je länger die Länder des Nahen Ostens und Afrikas um ihre Unabhängigkeit kämpfen mußten, um so stärker wurde hier der sowjetische Einfluß. Es ist bis heute sowjetische Taktik geblieben, nur solche Bewegungen zu unterstützen, die Aussicht auf Erfolg haben. Spielen sie dagegen keine nennenswerte Rolle, werden sie in den sowjetischen Medien nicht einmal erwähnt. Auf ideologische Gemeinsamkeiten wurde im Laufe der Zeit zusehends weniger Wert gelegt. Als der Nahostkonflikt zu einer rein arabisch-israelischen Sache wurde, erwiesen sich die Araber als die wertvolleren Verbündeten. Sie übertrafen die Israelis nicht nur zahlenmäßig bei weitem, sie hatten — außer öl — auch strategisch wichtige Positionen zu bieten, wie den Suez-Kanal, Aden, Bab-el-Mandeb. Gute Beziehungen zu Syrien, zum Irak und zum Iran boten die Möglichkeit, die Süd-flanke der NATO, die Türkei, zu umgehen.

Zunächst wurden die Beziehungen zu den «Staaten der nationalen Demokratie" intensiviert — zu Nassers Ägypten, zum Syrien der Baath-Partei, nach dem Sturz der Monarchie 1956 zum Irak. Einige Staaten, etwa Südjemen oder Somalia, wo das Experiment aber kein halbes Jahrzehnt alt wurde, konnten zum Marxismus bekehrt werden. Nach dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 umwarb man auch die konservativen Monarchien wie Jordanien, Kuwait und Saudi-Arabien. Hier hoffte man vor allem, durch die amerikanische Unterstützung Israels latente anti-amerikanische Ressentiments zu nutzen

Gewisse Termini in der sowjetischen Propaganda — Anti-Imperialismus, Anti-Kolonialismus, Anti-Rassismus, auch Anti-Zionismus — sind durchaus geeignet, bei ehemaligen Kolonialvölkern Emotionen freizusetzen. Der nächste Schritt ist dann, Solidarität mit sowjetischen Wert-und Zielvorstellungen zu erzeugen. Das Problem ist, daß die VR China die gleichen Termini in ihrer Propaganda benutzt und sie auch auf die UdSSR anwendet, die überdies noch als „Hegemonist" angegriffen wird.

Die Parteinahme gegen Israel brachte Moskau nicht nur Pluspunkte in der arabischen Welt, sondern auch in den übrigen Moslem-staaten mit Ausnahme des Iran und der Türkei. So vor allem in Indien, das wegen seiner bedeutenden Moslem-Minderheit stets eine dezidiert proarabische Haltung eingenommen hat.

Es ist festzuhalten, daß die UdSSR das — zumindest verbale — Maximalziel der Araber, die Vernichtung Israels, zu keinem Zeitpunkt unterstützt hat. Sie hat mit ihren Rüstungslieferungen zwar mehrere Kriege ermöglicht, aber dabei wohl in Rechnung gestellt, daß die Konfrontationsstaaten zwar stets die militärische Option hatten, aber kaum die Option des militärischen Sieges.

Einen ihrer zur Stunde treuesten Freunde — wenn man schon den beiderseitigen Verlautbarungen glauben will —, nämlich Yassir Arafats Palestine Liberation Organization (PLO), hat sie relativ spät entdeckt. Vielleicht war es anfänglich in Moskau nicht ganz unbekannt, daß diese Organsiation die Nachfolge von Haj Amin al-Husseinis Terrorbanden angetreten hatte, des „Großmufti" von Jerusalem und treuem Gefolgsmann Adolf Hitlers — Arafats Onkel war er übrigens, auch Die PLO ist schon 1964 von China anerkannt worden, als die Sowjetunion noch ihre „abenteuerliche und ultrarevolutionäre Politik“ kritisierte. Der Wandel kam erst vier Jahre später, als sie als Hebel interessant wurde, um in Moskau mißliebige Lösungen zu blockieren, etwa einen Separatfrieden zwischen Israel und Jordanien.

Bis heute ist das Bündnis nicht von einer Gemeinsamkeit der Interessen getragen. Die PLO hat sich nie eindeutig von ihrem „Palästinensischen Manifest“ distanziert, das 1964 verabschiedet wurde, also geraume Zeit vor der Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens durch Israel. Es fordert eindeutig die Bildung eines palästinensischen Staates auf dem Boden ganz Palästinas, also auch des heutigen Israels.

Hier muß darauf hingewiesen werden, daß es einen Staat „Palästina" so wenig gegeben hat wie ein Volk, das diesen Namen trug. Die alten Philister, von denen der Name hergeleitet wird, haben mit der heutigen arabischen Bevölkerung nichts zu tun. Rom nannte seine Provinz so, um die jüdische Tradition zu zerstören, und Jahrhunderte später übernahm Großbritannien den Namen für sein Mandat. Dieses Palästina umfaßte die heutigen Staaten Israel und Jordanien. Die Trennung in Palästina und — damals — Transjordanien erfolgte 1922. Wer die Forderung nach einem palästinensischen Staat stellt, behauptet also, daß diese administrative Maßnahme in etwa einem halben Jahrhundert zwei Völker habe entstehen lassen. Tatsächlich dachte man damals noch in Stammes-und Familienkategorien und stand solchen europäischen Erfindungen wie Grenzen mit weitgehendem Unverständnis gegenüber.

Die UdSSR hat dieses Maximalziel der Vernichtung Israels nie mitgetragen, sie hat sich auch nur langsam mit der Idee eines Palästinenser-Teilstaates befreunden können. Die ersten Kontakte kamen über inoffizielle Gremien wie das Afro-Asiatische Solidaritätskomitee (AAPSO) oder den Weltstudentenbund zustande. Beim AAPSO war zunächst auch die 1973 in Moskau eröffente PLO-Vertretung akkreditiert, nicht etwa beim Ministerrat. Erst 1974, ein knappes Jahr nach dem Yom-Kippur-Krieg, sprach der damalige sowjetische Staatspräsident, N. Podgornyj, erstmals von einem palästinensischen Volk, das das Recht auf einen eigenen Staat habe. Vorher war in sowjetischen Verlautbarungen — im Einklang mit den UNO-Resolutionen — stets von den Interessen der Paläsüna-FlüchtJinge die Rede gewesen. Der erste PLO-Vertreter nahm erst 1976 seine Arbeit in Moskau auf.

Obwohl die Unterstützung seit dieser Zeit spürbar zugenommen hat, war man sich in Moskau durchaus darüber im klaren, daß die aus zahlreichen Gruppen bestehende PLO unter sich zerstritten ist und daß ihre gegen jede Vernunft ständig geäußerte Absicht, Israel militärisch besiegen zu wollen, realitätsfremd war. Die ideologisch am meisten auf Moskau fixierten Gruppen um Najif Hawatmeh und Georges Habbash sind zahlenmäßig schwach, u. a. auch deshalb, weil ihre Führer christlichen Familien entstammen. Hawatmeh ist darüber hinaus kein Palästina-Araber, sondern transjordanischer Beduine.

Die Ineffektivität der PLO-Politik lag nicht nur darin begründet, daß man die militärische Lösung wollte, ohne zu kämpfen, oder die politische, ohne zu verhandeln, sondern auch darin, daß fast jeder arabische Staat „seine“ Gruppe in der PLO hatte, durch die er der Gesamtorganisation seine Politik zu oktroyieren versuchte.

Dies wird deutlich vor dem Hintergrund der Krise im Libanon, diesem Mikrokosmos der zerstrittenen arabischen Welt. Der libanesische Bürgerkrieg ist nicht nur ein Krieg zwischen „linken Moslems und rechten Christen", wie man oft hört. Er ist gleichzeitig ein Krieg zwischen arm und reich, zwischen libanesischen Nationalisten (die allerdings vorwiegend der christlichen Gemeinschaft zuzurechnen sind, weil im Islam der Begriff der Nation eine untergeordnete Rolle spielt) und nichtlibanesischen Palästina-Arabern. Er ist auch ein Stellvertreterkrieg rivalisierender arabischer Staaten und Ideologien auf libanesischem Boden. Nicht zuletzt ist er ein Teil der Konfrontation zwischen Israelis und Arabern Herausragender Führer der „Linken" war z. B.der drusische Feudalherr Kamal Junbalat, der sich freilich als Sozialist verstand.

Der Libanon-Krieg läßt sich grob in fünf Etappen einteilen:

1. Zwischen April und Dezember 1975 versucht die Regierung die Kämpfe zu beenden. 2. Zwischen Januar 1976 und März 1976 geht die Mehrheit der palästina-arabischen Kampforganisationen — nachdem ihre Lager angegriffen worden sind — auf die Seite der „Lin-ken" über. Die „Rechte" gerät in ernste Bedrängnis. 3. Zwischen April und Mai 1976 greift Syrien offen ein und bekämpft „Linke" und Palästina-Araber. 4. Zwischen Juni und September 1976 erleidet die „Linke" eine Niederlage.

5. Ab Oktober 1976 wird die syrische Friedenstruppe durch Entsendung von Kontingenten aus anderen Staaten „arabisiert".

Die Entwicklung im Libanon stellt die Sowjetunion vor ernste Probleme, waren es doch hier drei ihrer Klienten — Syrien, die PLO und der Irak —, die sich feindlich gegenüberstanden. Moskau vermied zwar offene Kritik an Syrien, doch mußte es Damaskus klar sein, daß die syrische Politik allenfalls toleriert wurde; denn die vorbehaltlose publizistische Unterstützung der Fedayeen und der konsequent als „national-patriotischen Kräfte" bezeichneten libanesischen Linksgruppen ging weiter.

Just am Tage der Ankunft des sowjetischen Ministerpräsidenten A. Kossygin in Damaskus stießen drei syrische Panzerkolonnen in den Libanon vor (31. Mai 1976). Ob Kossygin während seines Aufenthaltes die syrische Politik kritisiert hat, ist nie bekannt geworden. Nach seiner Rückkehr freilich forderte die sowjetische Presse das Ende der syrischen Intervention und beschuldigte Syrien, an der Eskalation der Spannungen im Libanon mitgewirkt zu haben. Als der libanesische Botschafter in Moskau, Antoine Jabre, dort nachdrücklich die syrische Intervention verteidigte und die PLO beschuldigte, das Gast-recht im Libanon mißbraucht zu haben, gab es auch in der Sowjetpresse Kritik an „ultralinken" Libanesen und Palästina-Arabern, ohne daß freilich Namen genannt wurden, aber so plaziert, daß man davon ausgehen kann, daß sie mit höchster Billigung verfaßt worden ist

Auf mehreren arabischen Gipfelkonferenzen versuchte man mit einigem Erfolg, den Libanon-Konflikt als innerarabisches Problem einer Lösung näherzubringen. Da die Sowjetunion ihren Einfluß bedroht sah, richtete sie scharfe Angriffe auf Saudi-Arabien. So Brenev auf dem Oktoberplenum des Zentralkomitees der KPdSU 1976. Syrien wurde beschuldigt, durch sein Eingreifen jede Hoffnung auf eine politische Lösung des Konfliktes zunichte gemacht zu haben. Gleichzeitig intensivierte die Sowjetunion beträchtlich ihre Propaganda für die Einberufung einer internationalen Nahostkonferenz.

Der syrische Präsident Hafiz el-Assad hat freilich den offenen Bruch mit Moskau vermieden und einiges dafür getan, daß sich das durch die Intervention getrübte Verhältnis wieder entkrampfte. Darüber hinaus hat er wieder die Partei der PLO und der libanesischen „Linken" ergriffen. Diese Konstellation ist bis heute bestehen geblieben, wodurch die PLO ihren Freiraum im Südlibanon zurückerhielt; ihre von dort gegen Israel gerichteten Aktionen führten zu den israelischen Gegen-schlägen von 1978 — der am Litanifluß endete — und 1982 — der bis Beirut führte und das militärische „Aus" für die PLO bedeutete.

Um diese Zeit verlor die UdSSR besonders in Ägypten politischen Boden, so daß Syrien als Partner fast unverzichtbar wurde. Syrien selbst, in der arabischen Welt weitgehend isoliert und von inneren Unruhen geschüttelt, war ebenfalls an einem mächtigen Patron gelegen. Am 8. Oktober 1980 erlebten die sowjetisch-syrischen Beziehungen mit dem Abschluß eines Kooperationsvertrages einen vorläufigen Höhepunkt.

IV. Ägypten: Verlust der Hauptbastion

Kernstück sowjetischer Nahostpolitik war zu Lebzeiten des Präsidenten Nasser und in den ersten Jahren seines Nachfolgers Sadat Ägypten als Herr über den Suez-Kanal, der als Verbindung zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean in der sowjetischen maritimen Planung eine Rolle spielt.

Flottenpräsenz im Indischen Ozean ist eines der lang angestrebten Ziele der sowjetischen Marinepolitik, einmal zur Zernierung der Volksrepublik China (die UdSSR bemüht sich ähnlich wie in den fünfziger Jahren die USA, einen Kordon um das feindliche Peking zu ziehen) und zum anderen um eine Kontrolle der Tankerrouten aus dem Persischen Golf zu erreichen. Dies wird um so dringlicher, als auch die USA signalisiert haben, daß sie ihre Präsenz im Indischen Ozean („Rapid Deployment Force") ausbauen wollen. Als Sadat seine Macht konsolidiert hatte, versuchte er mit aller Kraft, die Abhängigkeit von der Sowjetunion zu beenden. Im Mai 1971 entmachtete er die Gruppe um den Vizepräsidenten Ali Sabry, der als Vertrauensmann des Kreml galt. Danach erst, am 27. Mai 1971, unterzeichneten der sowjetische Staatspräsident Podgornyj und Sadat einen Kooperationsvertrag — unter starkem sowjetischen Druck, wie Sadat später erklärte. Zu dieser Zeit unterhielt Ägypten enge Beziehungen zu Libyen, dessen 1969 an die Macht gekommener Herrscher, Oberst Muammar al-Gadhafi, sich damals als extremer Sowjetfeind gebärdete. Gadhafi half z. B. aktiv bei der Niederschlagung eines kommunistischen Putschversuchs im Sudan im Sommer 1971, und auch Sadat gewährte dem sudanesischen Präsidenten, General Ja-faar an-Numeiri, ägyptische Unterstützung.

Wieder einmal zeigte es sich, daß ideologische Differenzen die Zusammenarbeit nicht unbedingt stören müssen: Der sowjetische Ausbau der ägyptischen Position ging weiter: 1972 waren 20 000 Sowjetsoldaten, darunter 200 Piloten, in Ägypten, sieben Flugabwehr-Raketenbasen waren von ihnen bemannt, sechs Flughäfen und fünf Häfen standen ihnen zur Verfügung.

Zu jener Zeit liefen die Planungen für den Oktoberkrieg 1973. Sadat rechnete mit massiver sowjetischer Rüstungshilfe, die er jedoch nicht im gewünschten Umfang erhielt, weil die Sowjetunion 1971 stark mit der Unterstützung Indiens im Krieg gegen Pakistan um Bangladesh beansprucht war. Spannungen zwischen Ägyptern und Sowjets traten bereits früh auf; so wurde z. B. ägyptischen Generälen der Zutritt zu den von sowjetischen Fliegern genutzten Luftbasen verwehrt.

Am 19. Juli 1972 erklärte Sadat die Tätigkeit der sowjetischen Militärberater mit sofortiger Wirkung für beendet. Die Sowjetunion kam diesem Ersuchen augenblicklich nach, aber oberflächlich änderte sich an den guten Beziehungen zwischen Moskau und Kairo nichts: Der Oktoberkrieg 1973 wurde mit sowjetischen Waffen geführt, und sowjetische Drohgebärden trugen einiges dazu bei, daß der Waffenstillstand so rechtzeitig geschlossen werden konnte, daß die arabische Seite von einem Sieg über Israel sprechen konnte. Das mußte sein: Ein — wenn auch begrenzter — Erfolg war notwendig, um verhandeln zu können.

Danach aber schwand der sowjetische Einfluß auf Ägypten rapide: Anders als die Sowjetunion hatten die USA in Nahost nie eindeutig Partei für eine Seite ergriffen. Bei aller Unterstützung Israels pflegten sie auch die Beziehungen zu einer Reihe gemeinhin „konservativ“ genannter arabischen Staaten, wie Saudi-Arabien, Jordanien, Tunesien oder Marokko. Ferner nahmen die USA bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die 1967 abgebrochenen Beziehungen zu Ägypten, Syrien und Algerien wieder auf. Hier liegt der Schlüssel für die Erfolge der amerikanischen Vermittlungspolitik, besonders durch Außenminister Henry Kissinger in den Jahren 1974— 1976. Seine — von der UdSSR stets heftig kritisierte — Politik der „kleinen Schritte", die zunächst zu Truppenentflechtungsabkommen im Sinai und im Golan führten, war möglich, weil die USA in beiden Lagern Hebel ansetzen und nötigenfalls Druck ausüben konnten. Die Sowjetunion hatte gegenüber Israel lediglich einen Hebel einzusetzen: die Zahl der Ausreisevisa für sowjetische Juden. Eine Maßnahme der Araber, die zu einem ganz anderen Zweck ergriffen worden war, trug ebenfalls zur Stärkung des westlichen Einflusses in der arabischen Welt bei: das Erdölembargo von 1973. Als Sanktion für die Unterstützung Israels erlassen, ist es tatsächlich nie durchgehalten worden. Aber es bewirkte enorme Steigerungen des Ölpreises, und für die Araber, die sich plötzlich im Besitz bedeutender Devisenvorräte — „Petrodollars" — sahen, wurden die westlichen Märkte, insbesondere für Industrieanlagen und zivile Technologie, zusehends interessanter. Das Ölembargo war ursprünglich in der UdSSR als eine weitere Verschärfung der permanenten Krise des Kapitalismus begrüßt worden. Später hat man dann eingesehen, daß die Schwächung der westlichen Industriekapazität für den Ostblock nicht unbedingt ein Segen war. Präsident Sadats Politik der kleinen Schritte, sein offenkundiger Wunsch, Ägypten aus der fortgesetzten Konfrontation und damit aus der fortgesetzten wirtschaftlichen Misere herauszuführen, wurde nicht nur in Moskau, sondern auch in einer Reihe arabischer Staaten mit Mißtrauen beobachtet. Hier ist ein recht ausgeprägter Zynismus unverkennbar: Die Saudis z. B. waren stets die ersten, zum Heiligen Krieg („Jihad") aufzurufen. Sie haben es bisher sorgfältig vermieden, sich auch an ihm zu beteiligen, und zogen es vor, Milliarden an ihren Ölexporten zu verdienen, von denen dann einige auch ihren Weg in die Konfrontationsstaaten fanden, um die Kriegsschäden zu beseitigen. Man kann solche Finanzhilfe als brüderliche Hilfe deklarieren, aber Finanzhilfe ist stets auch ein Mittel, Einfluß auf den Hilfsbedürftigen auszuüben. Das Instrument wird jedoch stumpf, wenn z. B. Ägypten von Ölimporten unabhängig wird, indem es die inzwischen von den Israelis ausgebauten Sinai-Ölquellen am Verhandlungstisch zurückerhält. Zwischen Kairo und Moskau wurde das Klima inzwischen eisig. Ägypten klagte über mangelhafte oder schleppende Versorgung mit Rüstungsgütern, und die Sowjetunion kritisierte nicht nur die Politik der kleinen Schritte, sondern auch Sadats enger werdendes Verhältnis zu den USA und seine Wirtschaftspolitik, die dem privaten Sektor mehr Spielraum einräumte, als das unter seinem Vorgänger der Fall war. Als Sadat am 13. März 1976 die Kündigung des Kooperationsvertrages mit Moskau bekanntgab, war das kaum noch eine Sensation.

Die kam anderthalb Jahre später: Am 1. Oktober 1977 erschien eine von den Außenministern Vance (USA) und Gromyko (UdSSR) unterzeichnete Note, die insofern einen Kompromiß darstellte:

— Die USA fanden sich zum ersten Male bereit, von den „Legitimen Rechten des palästinensischen Volkes" zu sprechen, nachdem sie bisher allenfalls bereit gewesen waren, von „legitimen Interessen" zu sprechen.

— Die UdSSR verzichtete auf die Erwähnung der PLO als einziger legitimen Vertreterin des palästinensischen Volkes.

— Die Sowjetunion forderte auch nicht die Schaffung eines Palästinenserstaates.

— Sie stimmte ferner der amerikanischen (und israelischen) Konzeption zu, der Friedensschluß müsse normale friedliche Beziehungen auf der Basis gegenseitiger Anerkennung der Souveränität, territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit aller Beteiligten umfassen. Bisher hatte Moskau eher der arabischen Auffassung zugeneigt, zunächst nur eine Beendigung des Kriegszustandes zu erreichen.

— Die Sowjetunion verzichtete auf die Forderung des israelischen Rückzuges aus allen besetzten Gebieten.

— Beide Seiten verzichteten auf die Erwähnung der Resolutionen 242 und 338 des UN-Sicherheitsrates, in denen das Existenzrecht aller Staaten der Region garantiert wird. Allerdings wird ihr Inhalt in der vorliegenden Note klar zum Ausdruck gebracht

Während in Israel die gemeinsame Note quer durch alle Parteien mit spürbarer Mißbilligung aufgenommen wurde, verlautete aus dem arabischen Lager vorsichtiger Optimismus, der nur von den radikaleren palästina-arabischen Kampforganisationen nicht geteilt wurde. Die Verfolgung dieses Kurses hätte die Rückkehr der Sowjetunion als aktiven Teilnehmer an den Verhandlungstisch bedeutet, nachdem sie zeitweise zu einem — meist grämlichen — Kommentator der Nahostpolitik degradiert worden war.

Aber diese Rolle blieb der Sowjetunion erhalten: Am 19. November 1977 traf Sadat auf dem Flughafen Lod bei Tel Aviv ein. Erst später wurde bekannt, daß der israelische Außenminister Moshe Dayan (t 1982) schon im August und September 1977 Fühlung mit der arabischen Seite aufgenommen hatte und daß Ministerpräsident Begin selbst im August und Sadat im Oktober und der ägyptische Generalstabschef Fahmy im November in Rumänien das Treffen vorbereitet hatten.

Sadat spielte ein riskantes Spiel, als er drei bisher von den Arabern tabuisierte Worte gebrauchte: Israel, Jerusalem, Knesset. Innerhalb von Stunden traten zwei ägyptische Außenminister zurück. Libyen brach die diplomatischen Beziehungen zu Ägypten ab. Syrien, mit dessen Präsident Sadat noch unmittelbar vor der Reise konferiert hatte, rief einen nationalen Trauertag aus. Ähnlich reagierte der Irak. Aus Saudi-Arabien, Jordanien und den Golf-Emiraten klang etwas gemäßigtere Kritik. Positiv reagierten nur die beiden Monarchien in Osten und Westen der arabischen Länder, Oman und Marokko. Die allgemeine Mißbilligung ist um so schwerer verständlich, als Sadat keine arabischen Positionen aufgab Sadat hatte einen Sieg errungen. Nicht über Begin oder den Staat Israel, sondern über den Geist Gamal Abd-el-Nassers. Realismus siegte über Rhetorik, nationales Interesse über panarabische Propaganda. Er hat, Israel und das Westjordanland zusammengenommen, auf ein Sechstel Prozent des von Arabern bewohnten Landes „verzichtet".

Das sowjetische Echo war negativ. Sadat wurden die Kapitulation vor Israel, die Spaltung des arabischen Lagers und die Isolation der PLO angesichts neuer israelischer Aggressionen im Südlibanon vorgeworfen. Am 6. Dezember 1977 schoß der führende „Pravda" -Kommentator Jurij Kornilov eine Breitseite gegen Sadat ab, in der er ihn mit Hitler und die von ihm angeblich den Israelis als Verhandlungspartner präsentierten Bewohner des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens mit Quislingen verglich. In der Tat fühlen sich diese von der PLO nicht repräsentiert, schon allein deshalb nicht, weil kein führender PLO-Vertreter aus der Westbank stammt. Auf der Westbank ist die Annahme weit verbreitet, daß die PLO keine Verhandlungslösung will; die anhaltende Errichtung neuer israelischer Siedlungen schränke aber den Verhandlungsspielraum nahezu täglich weiter ein.

Nahezu sechzehn Monate langwieriger Verhandlungen brauchte es, bis die Verhandlungen von Camp David am 26. März 1979 mit dem von den USA geförderten Friedensschluß zwischen Ägypten und Israel endeten. Damit war der sowjetische Einfluß in Ägypten auf dem Nullpunkt angelangt.

V. Die Position auf der arabischen Halbinsel und am Horn von Afrika

Die Veränderungen in Ägypten erforderten, nun die Klientelverhältnisse der Sowjetunion zu reformieren. Von den Marxisten Abdel Fattah Ismail in Südjemen, Nur Mohammed Taraki in Afghanistan und Mengistu Haile Mariam in Äthiopien über die nationalen Baath-Sozialisten Hafiz al-Assad in Syrien und Saddam Hussein Takriti im Irak bis hin zu islamischen Fundamentalisten wie Moammar al-Gadhafi in Libyen und Ruhollah Khomeini im Iran einigte all diejenigen, die von Moskau mit wechselndem Erfolg umworben wurden, das gemeinsame Band des Antizionismus; oft war das die einzige Gemeinsamkeit. Es spricht einiges dafür, daß Moskau diese Gemeinsamkeit auch gegenüber der streng antikommunistischen Wahhabiten-Dynastie in Saudi-Arabien zu nutzen gedachte. Der Anreiz ist groß: Hier fließt das ÖL Von hier läßt sich Druck auf die Energieversorgung des Westens ausüben. Hier läßt sich auch der Verteidigungsperimeter der UdSSR ausweiten

Zunächst gab es indes einen weiteren Rückschlag, den Moskau überwiegend selbst verschuldet hat: 1974 stürzte der Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, und hinterließ eine Situation, die der der Donaumonarchie nach dem Sturz der Habsburger nicht unähnlich war. Ein Vielvölkerstaat strebte auseinander, und bisherige Minderheiten verlangten nach Unabhängigkeit bzw. Vereinigung mit den Nachbarn, denen sie sich ethnisch verbunden fühlten.

Haile Selassie war ein Verbündeter der USA. Er konnte sich als eine der führenden Persönlichkeiten in der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) sicher sein, Zustimmung zu finden, wenn er auf der Unverletzlichkeit der ehemaligen Kolonialgrenzen beharrte, da sonst die Grenzkonflikte auf dem ganzen Kontinent unkontrollierbar geworden wären. Somalia wies auf der anderen Seite nicht zu Unrecht darauf hin, daß Äthiopien gegen Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine europäischen Vorbildern sehr ähnliche Kolonialpolitik betrieben habe. Ein Teil des heutigen Somalia ist von Italien kolonisiert worden, dem europäischen Staat, der seine koloniale Expansion nahezu unmittelbar an seine nationale Einigung anschloß. Daher sind irredentistische Ideen im heutigen Somalia besonders virulent. Es war nur folgerichtig, daß es sich den Gegnern des prowestlichen Äthiopien zuwandte. Seit 1961 erhielt es sowjetische Wirtschaftshilfe, seit 1963 Militärhilfe, 1973 wurde es — obwohl ethnisch wie linguistisch nicht dort angesiedelt — in die arabische Liga aufgenommen. Unter General-Präsident Mohammed Siad Barre wurde es im Oktober 1970 zum sozialistischen Staat erklärt. Während der siebziger Jahre erhielt die UdSSR Basisrechte in Berbera, Mogadishu und Kisimayu. Berbera wurde mit sowjetischer Hilfe zum Tiefwasserhafen ausgebaut. Im Juli 1974 wurde ein Kooperationsvertrag unterzeichnet, der erste, den die Sowjetunion mit einem Staat Schwarzafrikas schloß. Nur wenige Monate später stürzte Haile Selassie. Solange er regierte, haben die UdSSR und mehrere arabische Staaten den Freiheitskampf der zwangsweise nach Äthiopien ein-gegliederten Küstenprovinz Eritrea unterstützt Ein sowjetischer Kurswechsel deutete sich im Frühjahr 1977 an, als Präsident Pod-gornyj auf einer Afrikareise erklärte, die Befreiung Eritreas könne nur im Rahmen eines sozialistischen und föderativen Äthiopien geschehen. Im Klartext hieß das, Äthiopien wäre ohne seine Küstenprovinz ein reines Binnenland und den globalstrategischen Ambitionen der Sowjetunion wenig dienlich. Die enger werdenden sowjetischen Bindungen an die äthiopische Militärjunta unter Oberstleutnant Mengistu Haile Mariam wurden in Somalia mit Mißbilligung verfolgt, zumal sie zeigten, daß hier eine rein pragmati-sche — um nicht zu sagen opportunistische — Machtpolitik mit dem Ziel verfolgt wurde, zusammen mit dem gegenüberliegenden sowjetischen Brückenkopf Südjemen den Süd-ausgang des Roten Meeres unter Kontrolle zu bekommen. So wurde z. B.der Chef der sowjetischen Militärberater in Somalia im Juli 1977 zum neuen sowjetischen Botschafter in Äthiopien ernannt! Trotzdem bemühte sich Siad Barre im August 1977 in Moskau, die bestehenden Differenzen auszuräumen. Die auffallend wortkarge Kommentierung des Besuchs in der sowjetischen Presse ließ auf schwere Auseinandersetzungen schließen. Im November 1977 wurde der Freundschaftsvertrag gekündigt. Zur gleichen Zeit begann die somalische Unterstützung für Sadats Friedenspolitik. Der sowjetische Kurswechsel auf die äthiopische Seite (ein von christlichen Amharen beherrschtes und über den Sturz der Monarchie hinaus mit Israel befreundetes Land) hat in der arabischen Welt wenig Verständnis gefunden. Die saudi-arabische, irakische und syrische Unterstützung für Somalia und für die Aufständischen in Eritrea ging weiter

VI. Moskau und die „Konservativen"

Die Sowjetunion suchte ferner die ägyptisch-israelische Annäherung und den damit verbundenen Bruch zwischen Ägypten und der Mehrzahl der übrigen arabischen Länder für ihre Zwecke zu nutzen.

Da war einmal die „Ablehnungsfront", die sich später in „Front der Standhaftigkeit" umbenannte: Algerien, der Irak, Libyen, Südjemen, die PLO und Syrien. Hier verfügte Moskau ohnehin über Einfluß. Jetzt ergab sich zusätzlich die Möglichkeit, in Saudi-Arabien, Jordanien und den Golfstaaten Einfluß zu gewinnen.

Camp David bildete freilich nur einen vorläufigen Höhepunkt in einer Entwicklung, die zu einer gewissen Entfremdung zwischen den USA und ihren arabischen Freunden geführt hatte. Nicht erst seit dem Amtsantritt Jimmy Carters war für diese Länder — aber auch der Iran und die Türkei — die amerikanische Politik zusehends schwerer zu berechnen als die sowjetische.

„Watergate" ist das Stichwort für eine tiefgehende Krise in der amerikanischen Führungsspitze. Man erinnert sich, daß Vizepräsident Agnew kurz vor dem Oktoberkrieg seinen Hut nehmen mußte. Und als Kissinger zur Friedensmission nach Moskau aufbrach, fiel das mit dem „Saturday Night Massacre" zusammen, in dessen Verlauf Justizminister Richardson und Chef-Ankläger Cox zurücktraten. Die Manövrierfähigkeit der US-Administration war also stark eingeschränkt. Präsident Ford hat dann die Nah-und Mittelost-Politik weitgehend Kissinger überlassen, und als er Jimmy Carter weichen mußte, zeigte sich recht bald, daß dessen Mannschaft keine klare Konzeption hatte, wie man die Doppel-rolle als Verbündeter Israels und Mittler im Konflikt spielen sollte. Im Mai 1977 brachte der Machtwechsel in Israel von Rabins Arbeiterblock zu Begins Likud-Block zusätzliche Probleme.

über Jahrzehnte haben die Saudis die amerikanische Bindung an Israel hingenommen. Die Weigerung, den Kurswechsel Somalias, der mit saudischer Unterstützung zustande-gekommen war, zu unterstützen, die Unfähigkeit (oder mangelnde Bereitschaft?), die Pahlevi-Dynastie im Iran zu retten, lediglich verbale Proteste bei der sowjetischen Intervention in Afghanistan und schließlich die Unterstützung von Sadats „Verrat an der arabischen Sache" führte zu einem Verlust amerikanischer Glaubwürdigkeit, der sich in politischen Schlappen niederschlug.

Zwar ist das streng antikommunistische Wahhabitenreich in der Sowjetunion lange als Hort der arabischen Reaktion und Lakai des amerikanischen Imperialismus verteufelt worden Seit Anfang 1979 wurden die Töne aus Moskau jedoch erheblich verbindlicher. Man hob lobend das saudische Eintreten für palästina-arabische Belange hervor, auch die beharrliche Weigerung, den USA Stützpunkt-rechte einzuräumen, wurde positiv bewertet. Die Komplimente wurden von saudischer Seite zurückgegeben, indem man darauf hinwies, daß der Zionismus für die Region viel gefährlicher als der Kommunismus und die Weltmacht UdSSR ein zuverlässiger Anwalt arabischer Interessen sei. Der Austausch verbindlicher Botschaften hält an. Im Herbst 1982 besuchte Außenminister Saud al-Faisal als Mitglied einer von Hussein von Jordanien geleiteten Delegation der Arabischen Liga Moskau. Dies war aber wohl ein Akt der Höflichkeit, da er auch vorher in Washington und London dabei gewesen war und von Moskau weiter nach Peking flog: Eine unnötige Brüskierung Moskaus sollte vermieden werden. Zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen ist es bisher nicht gekommen. Als inoffizieller Botschafter in Moskau dient das Emirat Kuwait, der Staat auf der arabischen Halbinsel, in dem die Palästina-Araber den größten Einfluß haben. Kuwait unterhielt stets Beziehungen zur UdSSR, die auch auf der Höhe der Afghanistan-Krise nur zeitweilig unterbrochen wurden.

Jordanien geht auf der anderen Seite davon aus, daß es seinen Interessen wenig förderlich ist, den Einfluß in Moskau völlig den arabischen Rivalen zu überlassen. Die Moskaubesuche Husseins fanden stets auf dem Höhepunkt von Krisen statt: Im Oktober 1967 nach dem Junikrieg, im Juni 1976 auf dem Höhepunkt des libanesischen Bürgerkrieges, und im Mai 1981, wieder vor einer explosiven Situation im Libanon.

Jordanische Politik ist stets von der Überlegung bestimmt worden, wie die Position des Landes in der arabischen Umwelt verbessert werden kann, weniger von der Intransigenz oder Flexibilität Israels. Dazu brauchte es die USA als Verbündeten, und das war unter Carter nicht der Fall. Zwar war anfänglich mit der Zustimmung Husseins zur arabisch-israelischen Friedenspolitik gerechnet worden, doch war ihm im eigentlichen Friedensprozeß keine Rolle zugedacht. Daher lehnte er Separatverhandlungen ab und trat weiterhin für die auch von der UdSSR propagierte Genfer Friedenskonferenz ein.

Parallel mit der Vertiefung der Beziehungen zu Moskau gelang es Hussein aber auch, sein Verhältnis zu den USA aus dem Tief der Carter-Ära herauszuführen. Daß er sich um die gleiche Zeit um mobile sowjetische Fla-Raketen bemühte, hängt unmittelbar damit zusammen, daß der US-Senat für Jordanien nur Raketen auf festen Rampen bewilligen wollte, die das an mehreren Grenzen bedrohte Jordanien nicht für ausreichend hält.

Die guten Dienste, die Hussein anbot, um den Palästina-Arabern den Weg nach Washington zu öffnen, scheiterten an der Hartnäckigkeit von PLO-Chef Arafat, der wiederum unter dem Druck des syrisch beherrschten Flügels der PLO stand. Auch der sowjetische Parteichef Andropow soll Hussein gegenüber angedeutet haben, Jordanien geriete in ernste Schwierigkeiten, wenn es sich für den Reagan-Plan stark mache.

VII. Rückschläge: Afghanistan, Iran und der Krieg am Golf

Drei Ereignisse erwiesen sich als ernste Rückschläge für die sowjetische Mittelostpolitik: — der Putsch vom April 1978 in Afghanistan und die sowjetische Intervention um die Jahreswende 1979/80, — der Sturz von Schah Mohammed Reza Pahlevi im Iran und in dessen Gefolge — der iranisch-irakische Krieg. Afghanistan war über Jahrzehnte, gerade auch in der Sowjetunion selbst, als Parade-beispiel friedlicher Koexistenzpolitik dargestellt worden. Der Sturz des dem Königshaus entstammenden Präsidenten Sardar Mohammed Daud Khan durch linksgerichtete Offiziere im April 1978 und die sich daran anschließenden Aufstände, Machtkämpfe und Putschversuche führten zur sowjetischen Intervention, der es nicht gelang, die Aufständischen zu besiegen oder eine stabile Regie-rung einzusetzen, so daß bis heute starke sowjetische Truppenverbände in Afghanistan gebunden sind.

Das Echo in der Dritten Welt auf diesen sowjetischen Schritt war vernichtend. Nie zuvor hatte die Sowjetunion gerade mit den Stimmen der Blockfreien derartige Abstimmungsniederlagen in den UN hinnehmen müssen. Zwar stimmten Äthiopien, Südjemen und Afghanistan selbst gegen die UNO-Resolution, die den Abzug der UdSSR aus Afghanistan forderte, aber selbst „blockfreie Satelliten" wie Syrien und Algerien enthielten sich der Stimme. Von den 21 Staaten der Arabischen Liga stimmten 15 gegen die UdSSR, von den 42 Mitgliedstaaten der Islamischen Konferenz stimmten 28 der Resolution zu. Ende Januar 1980 forderte die Islamische Außenministerkonferenz, an der 36 von 43 Mitgliedern teilnahmen, darunter auch die PLO, den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen und einen Boykott der Olympischen Spiele. Afghanistan wurde als sowjetischer Satellit von der Konferenz suspendiert Auf der nächsten Sitzung, im Mai 1980, waren die Fronten weniger eindeutig. Inzwischen war die amerikanische Aktion zur Befreiung der Geiseln in Teheran fehlgeschlagen, der Gegensatz zu Ägypten hatte sich verschärft, seit der Schah dort Asyl gefunden hatte, und Moskau versuchte mit Hilfe seiner Satelliten Libyen, Syrien, Südjemen und PLO, das Problem Jerusalem/Westjordanland in den Mittelpunkt der Beratungen zu rücken. Zwei Tage vor Konferenzbeginn unterbreitete Kabul — wohl mit Moskauer Billigung — einen erstaunlichen Vorschlag: Es bot Verhandlungen mit Iran und Pakistan an, die sich aber verpflichten sollten, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen. Dies sollte von der UdSSR und den USA garantiert werden, und die USA (nur sie) sollten sich verpflichten, keine subversiven Handlungen gegen Afghanistan zu unternehmen. Das hätte die Anerkennung des Regimes Babrak Karmal bedeutet, das dann allein über die Dauer der Sowjetpräsenz bestimmen könnte, und es hätte selbstverständlich die sowjetische Präsenz in Afghanistan legitimiert. Zwar wurde die Forderung nach Abzug der Sowjettruppen wiederholt, aber konkrete Maßnahmen wurden nicht beschlossen.

Der Iran war ein weiteres Beispiel pragmatischer sowjetischer Interessenpolitik: Trotz weitgehender ideologischer Differenzen, trotz gewaltsamer Unterdrückung der Kommunistischen Partei („Tudeh") achtete man die gegenseitige Souveränität und unterhielt mit der Monarchie normale Beziehungen. Moskau hat erst gegen den Schah Partei ergriffen, als dieser das Land verlassen hatte. Diese Linie versuchte man unter der Herrschaft der Ayatollahs beizubehalten. Doch deren messianischer Fanatismus ließ selbst auf dem Gipfel der Konfrontation mit den USA kein pragmatisches Bündnis zu. Noch unter Khomeinis erstem Ministerpräsidenten Bazargan kündigte Teheran die „Interventionsartikel" (Nr. 4 und 5) des sowjetisch-iranischen Beistandspaktes von 1921. Khomeini selbst, der damalige Ministerpräsident Bani Sadr und der inzwischen ermordete Außenminister Ghobtzadeh erklärten wiederholt, beide Supermächte seien gleich übel, beide planten die Vernichtung der kleinen Völker, und der Islam liege mit dem Weltkommunismus im permanenten Krieg. Konkret wurden die Beziehungen von der Intervention in Afghanistan, von den Autonomiewünschen der iranischen Kurden (für die Moskau eine gewisse Sympathie aufgebracht hatte) und von Moskaus engen Beziehungen zum Irak belastet. Außerdem erinnerte man sich in Teheran sehr genau, daß der Schah, solange er regierte, immer mit vollendeter Höflichkeit behandelt worden war.

Zu einer Bedrohung für den mächtigen Nachbarn im Norden konnte der neue Iran kaum werden, zumal die neue Regierung sich alle Mühe gab, die kaiserlich-iranische Armee, die der Schah zu einer formidablen Kampfmaschine modelliert hatte, durch Säuberungen zu paralysieren.

Es gelang Khomeini indes, die mittelöstlichen Achsen und Allianzen erheblich zu verändern: Seine Konfrontationspolitik gegenüber dem Irak führte dazu, daß der engste Verbündete des irakischen Revolutionspolitikers Saddam Hussein heute König Hussein von Jordanien ist, dessen Vetter Faisal II. durch die irakische Revolution von 1958 Krone und Leben verlor. Die schiitische Revolution wird von den überwiegend sunnitischen Staaten Syrien und Libyen unterstützt. Die antimonarchistische Komponente der iranisch-schiitischen Revolution des klerikalen Obskurantismus hat den revolutionär-republikanischen Irak zum logischen Verbündeten der erzkonservativen Wahhabiten-Dynastie in Saudi-Arabien gemacht.

Ein grundlegender Wechsel in der iranischen Politik war, daß Khomeini den Kampf gegen den Zionismus für eine vordringliche Aufgabe der iranischen Revolution erklärte. Es bleibt — zumindest in diesem Punkt — sein Geheimnis, warum er seine Truppen gegen den Irak, einen der entschiedensten Gegner Israels und Klienten der Sowjetunion, marschieren läßt.

Die sowjetisch-irakische Freundschaft hatte inzwischen einige ernste Belastungsproben zu bestehen. Wie oben angedeutet, mißbilligte der Irak das sowjetische Vorgehen am Horn von Afrika wie in Afghanistan. 1979/80 kam es darüber hinaus zu blutigen Kommunisten-Verfolgungen im Irak, und das Verhältnis zum UdSSR-Klienten Südjemen war von offener Feindschaft gekennzeichnet.

Im Golfkrieg — vom Irak begonnen, aber vom Iran provoziert — wahrte die Sowjetunion strikte Neutralität. Anders als bei bisherigen Mittelostkrisen war die Parteinahme nicht vorgegeben, sie konnte sowjetischen Interessen im Gegenteil schaden. Eine gewisse Distanzierung von Bagdad ließ sich freilich dar-33 aus schließen, daß die „Pravda" die Rede des Generalsekretärs der Irakischen KP, Aziz Mohammed, auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU im Wortlaut abdruckte in der dieser vernichtende Kritik an der Politik Saddam Husseins geübt hatte. Ferner fiel das Fehlen einer Delegation der Baath-Partei auf dem Parteitag auf. Der Krieg wurde jedoch für eine heftige antiamerikanische Propaganda-Kampagne genutzt, in der die USA beschuldigt wurden, durch ihre verstärkte Militär-und Flottenpräsenz die Krisen in Nah-und Mittelost sowie im Indischen Ozean zu eskalieren und die Kriegsgefahr zu erhöhen.

VIII. Friedenspläne

Obwohl die antiamerikanische Propaganda unter den Arabern nicht ganz wirkungslos war, zeigte sich doch, daß es die USA waren, die etwas (freilich wenig genug) bewegen konnten. Da war Camp David, das von der Mehrheit der Araber abgelehnt wurde. Da war aber auch der zwischen den USA Libanon und Israel ausgehandelte Abzug der PLO aus Beirut, der freilich das Stigma hat, daß die bewaffneten Verbände mit US-Hilfe evakuiert wurden, während die Wehrlosen zurückblieben — die Opfer von Sabra und Chatila. Da war ferner der — allerdings fruchtlose — Versuch, über Jordanien mit der PLO mittelbar ins Gespräch zu kommen.

Und es gab Anzeichen, als sei auch die arabische Seite der Einsicht nicht mehr unzugänglich, daß die Nahostkrise mit aussichtslosen Kriegen nicht zu lösen sei. Der Friedensplan des heutigen Königs von Saudi-Arabien, Fahd, (7. August 1981) sah die Errichtung eines Staates Palästina im Westjordanland und im Gaza-Streifen vor und implizierte die Anerkennung Israels, indem er Sicherheit für alle Staaten der Region forderte. Zu fragen bleibt freilich, ob Saudi-Arabien Israel als Staat anerkennt. Hier wurde die PLO nicht erwähnt. Der Plan scheiterte am Widerstand der radikalen Araber-Staaten, besonders Syriens — Arafat hatte ihm durchaus positive Seiten abgewonnen. Der nächste Vorschlag kam von US-Präsident Reagan: Dieser wollte den Palästina-Arabern Selbstbestimmung über Land und Volk gewähren, einen israelischen Siedlungsstopp erreichen, sah freilich keinen unabhängigen Staat vor, sondern eine Assoziation mit Jordanien. Auch er erwähnte die PLO nicht.

Wenig später verabschiedete der Araber-Gipfel in Fez einen weiteren Plan, der weitgehend mit dem Fahd-Plan identisch ist. Nur wurde hier der PLO eine führende Rolle zugeteilt, und statt der Kontrolle durch die UN sollte die Kontrolle durch den Sicherheitsrat erfolgen, was der UdSSR stärkeren Einfluß verschafft hätte.

Zwischen diesen Plänen und den Vorstellungen der oppositionellen israelischen Arbeiterpartei gab es Gemeinsamkeiten. Daher legte der inzwischen verstorbene Generalsekretär Brenew Mitte September 1982 ebenfalls einen Friedensplan vor, der den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten und die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat vorsah, sowie die Schaffung eines unabhängigen Staates Palästina mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Auffällig ist, daß auch er die PLO nicht erwähnt und auch keine Aufgabe der israelischen Siedlungen fordert. Der Brenew-Plan ist in der arabischen Welt weitgehend ignoriert worden.

Die Auffassung, bei jeder denkbaren Nahost-Lösung müsse die UdSSR eine Rolle spielen, ist weitverbreitet. Zu fragen bleibt, ob sie über die Mittel verfügt, ihre Klienten von Aktionen abzuhalten, die diese als vorteilhaft für sich selbst ansehen, sowie ferner, ob sie eigene Interessen verfolgt, die von denen ihrer Klienten unabhängig sind, und schließlich, ob sie geneigt ist, eigene Interessen gegenüber ihren Klienten durchzusetzen.

Die erste Frage ist zu verneinen. Die Unfähigkeit, wirkliche Kontrolle auszuüben, ist ein Haupthindernis für die sowjetische Politik in der Region. Die Frage nach sowjetischen Interessen ist kurz beantwortet: Positionen bewahren und ausbauen. Dabei muß Moskau auf innerarabische Empfindlichkeiten ebenso Rücksicht nehmen, wie auf das politische Geschehen außerhalb der Region, d. h. es darf die Entspannungspolitik allgemein nicht durch allzu harte Konfrontationen gefährden.

Die Lösung kann nur in einem Kompromiß zwischen den territorialen Forderungen der Araber und Israels Sicherheitsinteressen bestehen, für die auch Moskau implizit eintritt. Ägypten, Somalia, aber auch Syrien in der Libanonkrise oder der Irak im Golfkrieg sind Beispiele dafür, daß Moskau kaum in der Lage ist, seine Wünsche gegen die seiner Klienten durchzusetzen. Die Androhung von Gewalt verbietet sich zur Stunde. Überredung, wirtschaftlicher Druck, auch Subversion stehen dagegen zur Verfügung.

Drei Lager zeichnen sich heute in der arabischen Welt ab: Das westliche mit dem Zentrum Kairo und den Monarchien Marokko und Oman als westlichem und östlichem Vorposten. Saudi-Arabien, die Golf-Emirate, Jordanien und zunehmend Irak bilden eine weitere Gruppe, die Äquidistanz zu den Supermächten anstrebt. Die dritte Gruppe — Libyen, Syrien, Südjemen, Algerien und die PLO — ist auf Moskau fixiert und Kompromissen im Konflikt am stärksten abgeneigt. Außer ihrer sowjetischen Orientierung und ihrer kompomißlosen Haltung hat sie keine gemeinsame Bindungen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. M. Ayoob, The Middle East in World Politics, London 1981.

  2. C. v. Imhoff (Hrsg.), Krisenquadrat Mittelost, Bad Honnef 1978; G. Linde, Fragmentation in the Middle East: A Problem of Soviet Foreign Policy, Pretoria (ZA.) 1982.

  3. F. Halliday, Soviet Policy in the Arc of Crisis, Washington 1981.

  4. I. J. Lederer/V. Vucinich (Eds.), The Soviet Union and the Middle East, Stanford (Cal.) 1974.

  5. C. C. Schweitzer/M. Nemit (Hrsg.), Krisenherd Nahost, Köln 1973.

  6. J. Harkabi, Das palästinensische Manifest, Stuttgart 1979.

  7. D. C. Gordon, Lebanon, the Fragmented Nation. London 1980; A. Yodfat, PLO Strategy and Tactics, London 1979.

  8. Pravda vom 8. 9. 1976.

  9. Zum Wortlaut siehe Times (London) vom 2. 10. 1977.

  10. M. Siad Ahmed, After the Guns fall Silent, London 1976.

  11. A. Yodfat, The Soviet Union and the Arabian Peninsula, London 1983.

  12. M. Ottaway, Soviet and American Influence in the Horn of Africa, New York 1982.

  13. H. Shaked/I. Rabinovitch (Eds.), The Middle East and the United States. Perceptions and Policies, London 1980.

  14. Pravda vom 2. 3. 1981.

Weitere Inhalte

Gerd Linde, Dr. phil., geb. 1933; Referent im Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BI Ost). Veröffentlichungen u. a.: Bangla Desh. Indien und die Großmächte im pakistanischen Konflikt, Stuttgart 1972; Burma 1943/44, Freiburg i. Br. 1972; Beiträge in: D. Geyer (Hrsg.), Osteuropa-Handbuch, Sowjetunion Außenpolitik, Band I, Köln-Wien 1972, Band II, Köln-Wien 1976; D. Mahncke/H. P. Schwarz (Hrsg.), Seemacht und Außenpolitik, Frankfurt a. M. 1976; C. v. Imhoff (Hrsg.), Krisenquadrat Mittelost, Bad Honnef 1978; H. Vogel (Hrsg.), Die sowjetische Intervention in Afghanistan, Baden-Baden 1980; Deutsches Orient-Institut (Hrsg.), Afghanistan seit dem Sturz der Monarchie, Hamburg 1981; zahlreiche Veröffentlichungen in den Reihen des BI Ost.