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Rechtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland Liberalität und Rechtsstaat | APuZ 27/1982 | bpb.de

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APuZ 27/1982 Justiz nach Weimar und Hitler Entwicklungen und Tendenzen in der Bundesrepublik Rechtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland Liberalität und Rechtsstaat Bürger und Justiz Verwaltungsskandale

Rechtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland Liberalität und Rechtsstaat

Hans Hege

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Zusammenfassung

Der Rechtsstaat ist nicht denkbar ohne die Bereitschaft zu Reformen, um neuen Bedrohungen der Freiheit zu begegnen und um die Freiheitsgarantien der Verfassung zu verwirklichen. Der Rechtsstaat bewährt sich an Grenzfragen und Herausforderungen; Freiheitsbedrohungen muß bereits in ihren Anfängen begegnet werden; daher ist der Schutz der Minderheiten ein besonderes Anliegen der Rechtspolitik. Die seit dem Ende der sechziger Jahre verwirklichten Reformen sind die Grundlage der heutigen Rechtspolitik. Ihre Bestandsaufnahme ergibt eine größere Übereinstimmung zwischen den Parteien, als es in der tagespolitischen Auseinandersetzung scheint. Nur vereinzelt werden Korrekturen gefordert. Unnötige Kosten wurden nicht verursacht. Kennzeichnend für die Herausforderungen des Rechtsstaates ist die Überschätzung seiner Bedrohung mit der Folge der Überreaktion, die dann selbst zur eigentlichen Gefahr für den Rechtsstaat wird. Die Regelanfrage reduzierte die Verfassungstreue auf das Fehlen extremistischer Berührungspunkte; Mißstände in der Praxis und das Mißverhältnis zwischen Aufwand und Erfolg führten zu ihrer Abschaffung. In der noch zu führenden Diskussion um die Differenzierung der Anforderungen an die Verfassungstreue stehen Argumente praktischer Vernunft gegen die an der Tradition des Beamtenrechts orientierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die rechtsstaatliche Reformpolitik muß fortgeführt werden. Gerade in einer Zeit sparsamer Haushaltsführung ist sie ein Feld, auf dem sich Reformfähigkeit und Veränderungsbereitschaft erweisen können und müssen. An Themen fehlt es nicht.

I. Der Rechtsstaat zwischen Kontinuität und Wandel

1. Der Weg zum sozialen Rechtsstaat Es ist die geschichtliche Leistung des frühen Liberalismus, die Forderung nach dem Rechtsstaat entwickelt zu haben: die Ablösung unumschränkter Fürstenherrschaft durch eine Verfassung: die Gewährleistung von individuellen Grund-und Freiheitsrechten; die Begrenzung staatlicher Macht durch den Vorbehalt des Gesetzes und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; die Teilung und gegenseitige Kontrolle der Gewalten; die Unabhängigkeit der Gerichte und ihre Bindung allein an das Gesetz; den Schutz der Minderheit gegen die Herrschaft der Mehrheit; den Schutz der persönlichen Lebensgestaltung gegen die Bevormundung durch Staat, Kirche und gesellschaftliche Kräfte.

In der Bundesrepublik Deutschland ist der freiheitliche Rechtsstaat heute weitergehend verwirklicht, als es sich die Demokraten des 19. Jahrhunderts hätten vorstellen können: Die Grundrechte gelten unmittelbar und binden alle staatliche Gewalt; diese unterliegt umfassender gerichtlicher Kontrolle. Das Grundgesetz bricht mit der verhängnisvollen deutschen Tradition, Rechtsstaat und Demokratie zu trennen. Der Rechtsstaat ist mehr als der nur berechenbare und begrenzte Staat. Er lebt von der Beteiligung seiner Bürger an der politischen Willensbildung, nicht nur durch das Wahlrecht, sondern in vielfältigen Formen der Bürgerinitiative. Umgekehrt ist der Rechtsstaat Voraussetzung der Demokratie: Die Herrschaft der Mehrheit muß begrenzt sein; der Minderheit muß die Chance gewährleistet werden, zur Mehrheit zu werden. Der Rechtsstaat bejaht und ermutigt kritisches Engagement, er sucht das Vertrauen auch der Minderheiten zu gewinnen. Die Beteiligung der Bürger begrenzt die staatliche Macht und sichert die Freiheit des politischen Prozesses. Das klassische Ziel des Rechtsstaats, den persönlichen Freiheitsraum zu sichern und zu erweitern, ist unverändert aktuell. Die Mittel der Freiheitssicherung aber konnten von den Veränderungen in Staat und Gesellschaft nicht unberührt bleiben. Wenn sich die Bedrohungen der Freiheit ändern, wenn sich die Bedingungen wandeln, unter denen persönliche Selbstbestimmung möglich ist, muß dies Rückwirkungen auf das Verständnis des Rechts-staats haben.

Der Aufbau des Sozialstaates prägte die Nachkriegspolitik — vom Ausgleich der Kriegsfolgelasten bis zur Knüpfung des „sozialen Netzes". Die soziale Gerechtigkeit wurde über alle Unterschiede hinweg gemeinsames Ziel aller politischen Parteien. So umstritten die Folgerungen sind, besteht doch Einigkeit darin, daß die Freiheit des Bürgers sich nicht auf formale Garantien des Bürgers gegenüber dem Staat beschränken darf, sondern daß sie zur sozialen Chance in der alltäglichen Wirklichkeit der Gesellschaft werden muß, und daß staatliche Förderung und Leistung ihren freiheitsmehrenden Beitrag dazu zu erbringen hat.

Bei dem Bemühen um die Erfüllung der Freiheitsrechte darf allerdings nicht aus den Augen verloren werden, daß der Staat nach wie vor auch Freiheit bedroht —in herkömmlicher Weise durch Einschränkung der Freiheitsrechte und durch Machtmißbrauch, aber auch durch die wachsende Abhängigkeit von an sich freiheitsfördernden staatlichen Leistungen. Die Kontrolle des Staates und mächtiger gesellschaftlicher Gruppen bleibt daher nach wie vor zentrales Anliegen. Soziale Sicherheit verwirklicht die Freiheit und ist kein Gegensatz zu ihr. Es bleibt aber auch die Aufgabe, diese Sicherheit so zu gewährleisten, daß die Eigenständigkeit des Individuums erhalten wird. Die totale Versorgung ist keine Erfüllung der Freiheit. Auch die Gestaltung von Leistungen kann die Freiheit bedrohen. Der soziale Rechtsstaat ist kein Staat der Sozialbürokratie. Der Sozialstaat soll den Freiheitsraum vergrößern, nicht ihn durch bevormundende Versorgung einschränken. Er soll Eigeninitiative ermöglichen, nicht sie ausschließen. Der Staat bleibt ein Mittel zur Si13 cherung und Erweiterung der Freiheit, nicht ein Anspruchsgegner, von dem die Lösung aller Probleme erwartet werden kann. 2. Rechtsstaat und Reform Der Rechtsstaat ist nicht denkbar ohne die Bereitschaft zur Reform. Reformen dienen der Sicherung des Rechtsstaates: Die Verweigerung der Reform ist die Wurzel gewaltsamer Veränderungen. Reformen sind nicht Veränderungen um ihrer selbst willen. Das Recht braucht Kontinuität, um es verläßlich und berechenbar zu machen. Zugleich aber muß das Recht zukunftsoffen, lernfähig und flexibel sein. Statisches Recht führt zur Verfestigung bestehender Verhältnisse und Lösungen; Rechte pervertieren zu Privilegien, neue Bedrohungen der Freiheit bleiben ohne Antwort. Moderne Rechtspolitik kann nur eine dynamische Rechtspolitik sein.

Das folgt bereits aus der Notwendigkeit, das Recht an gewandelte Verhältnisse anzupassen und neuen Bedrohungen der Freiheit zu begegnen. So wurde der Umweltschutz zur Notwendigkeit, als das Wachstum an die Grenzen der natürlichen Ressourcen stieß. Die Entwicklung der Datentechnik brachte große Fortschritte und Erleichterungen, aber zugleich wurde die Privatsphäre bedroht: der „gläserne Mensch" ist technisch möglich geworden. Der Datenschutz ist daher heute eine zentrale Forderung zur Sicherheit der persönlichen Freiheit.

Über die Bekämpfung neuer Freiheitsgefährdungen hinaus fordert der Rechtsstaat eine Politik zur Mehrung der Freiheit. Das Recht ist Instrument des gesellschaftlichen Wandels auf die inhaltliche Erfüllung der Freiheitsgarantien und der Chancengleichheit hin. Recht ist mehr als der Schutz und die Festschreibung des Bestehenden; es zielt auf gerechte Lösungen.

Bestes Beispiel für diese aus konservativer Sicht häufig bestrittene Funktion des Rechts sind die rechtsstaatlichen Verfassungen: Nicht nur die Verfassung der Paulskirche war ihrer Zeit voraus; auch das Grundgesetz enthält Wertentscheidungen, die der Umsetzung durch eine aktive Rechtspolitik bedürfen. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist nur das herausragendste Beispiel: Immer wieder mußte das Bundesverfassungsgericht an den Gesetzgeber appellieren, die Aufträge des Grundgesetzes zu verwirklichen. Das vor über 30 Jahren vom Grundgesetz gesetzte Ziel ist noch immer nicht erreicht und bleibt ein Schwerpunkt praktischer Politik. 3. Grenzfragen und Minderheitenschutz als Aufgaben der Rechtspolilik Die Rechtspolitik hat sich an den Grenzfragen und Herausforderungen des Rechtsstaates zu bewähren. Hier zeigt sich der Stand der Liberalität— nicht so sehr an den Alltagsproblemen der Rechtspolitik, so wichtig das Bemühen um die Verbesserung des Rechts auch in den Bereichen des bürgerlichen, des Wirtschaftsrechts und anderer „normaler" Gebiete ist, so unumgänglich der Einsatz für die Verbesserung der Qualität des Rechtsschutzes sein mag. In der rechtspolitischen Diskussion nehmen die Grenzfragen des Straf-und Strafprozeßrechts, des Strafvollzuges, des Extremistenbeschlusses, der Antiterrorismusgesetzgebung einen breiten Raum ein, obwohl sie zunächst nur wenige praktisch betreffen. Die Verteidigung des Rechtsstaates fordert, Freiheitsbedrohung schon in ihren Anfängen entgegenzuwirken, nicht erst dann, wenn eine Mehrheit davon betroffen wird. Liberty dies by inches — die Freiheit stirbt zentimeterweise: dort, wo es der breiten Mehrheit gleichgültig ist. Der Rechtsstaat bewährt sich in der Krise, wenn seine Sicherungen unbequem sind. Wie es um den Rechtsstaat steht, zeigt sich auch am Umgang mit Minderheiten. Bedroht ist zunächst immer die Freiheit von Minderheiten. Daß die Mehrheit des deutschen Volkes die nationalsozialistische Diktatur vor dem Krieg nicht als bedrückend empfunden hat, ist nur ein besonders krasses Beispiel. „Jede politische und gesellschaftliche Fortentwicklung beginnt als Abweichung von der herrschenden Lehre ... Wer Minderheiten und ihre Rechte einschränkt, zwängt die Gesellschaft in Formen der Erstarrung. Geistige Freiheit und Minderheitenschutz sind daher für die Gesellschaft unverzichtbar." So umschreibt Karl-Hermann Flach die Aufgabe der Minderheiten

Auch wo eine Minderheit nicht die Chance hat, zur Mehrheit zu werden, entspricht es freiheitlichen Grundsätzen, ihr ein Leben nach der selbst gewählten, besonderen Art zu ermöglichen. Die Glaubwürdigkeit der Rechts-politik zeigt sich darin, daß sie nicht der Sicherung von Privilegien und Besitzständen dient, sondern der Sicherung der Freiheit, wo immer diese bedroht sein mag, auch wenn es um für das Wahlergebnis irrelevante Randgruppen wie Ausländer, Strafgefangene, Drogenabhängige oder Obdachlose geht.

Der Einsatz für Minderheiten ist unbequem. Er stößt auf Vorurteile, muß aber dennoch um Mehrheiten werben, denn nur die Mehrheit kann neues Recht setzen. Eine realistische Rechtspolitik kann sich nicht auf die Entwicklung neuer Ideen und Anstöße beschränken, sie muß eine beharrliche, auf die Kraft rationaler Argumentation gestützte, von Kompromissen und Rückschlägen nicht zu entmutigende Politik ständigen Drängens sein.

II. Rechtspolitische Reformen — Versuch einer Bilanz

Die erste Phase der Rechtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland stand im Zeichen des Wiederaufbaus des Rechtsstaates und der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die bürgerliche Koalition schuf Gesetzeswerke, die in ihren Grundzügen bis in die heutige Zeit Bestand haben: die Verfahrensordnungen für die Verwaltungs-, Finanz-und Sozialgerichte, das Aktien-, Kartell-und Wettbewerbsrecht 2). Auf anderen Bereichen, etwa in der Strafrechtsreform, kamen die Reformen nicht voran. Erst das Ende der sechzige Auf anderen Bereichen, etwa in der Strafrechtsreform, kamen die Reformen nicht voran. Erst das Ende der sechziger Jahre markierte die Wende zu einer umfassend reformorientierten Rechtspolitik, mit Anfängen in der Großen, mit Schwerpunkt in der sozialliberalen Koalition. Die Ergebnisse dieser Reformpolitik sind die Grundlage der heutigen Diskussion; eine nüchterne Bestandsaufnahme ist Voraussetzung für die Fortsetzung wie für die Korrektur der Reformen.

Nicht überall wird der Versuchung widerstanden, auf der Welle der Reformmüdigkeit pauschale Urteile zu fällen. So sieht die „Karlsruher Erklärung" der CDU/CSU zur Rechtspolitik von 1980 in der sozialliberalen Rechtspolitik ein „Instrument zur Durchsetzung von Ideologien" 2a). Einer Nachprüfung halten solche Vorwürfe nicht stand. Zwar hat es auch im Bereich der Rechtspolitik übertriebene Hoffnungen und unerfüllte Erwartungen gegeben; aus liberaler Sicht ist aber umgekehrt eher der Vorwurf zu erheben, daß die Reformen nicht weit genug gegangen sind. Eine Rückkehr zum Zustand vor der Reform wird auch von der CDU/CSU nur vereinzelt (etwa beim Demonstrationsstrafrecht) vorgeschlagen; einen großen Teil der Reformen hat die Opposition mit-getragen. „über die Verhältnisse gelebt" wurde in der Rechtspolitik nicht; die einzige kostenintensive Reform, die des Strafvollzuges, nahm nur einen Bruchteil der Mittel in Anspruch, die im Sozial-und Bildungsbereich ausgegeben worden sind. 1. Reform des Strafrechts Das Strafrecht soll kein Instrument symbolischer moralischer Verurteilung sein und nicht moralische Konformität erzwingen, sondern nur äußeres Verhalten erfassen und nur gravierende sozialschädliche Verhaltensweisen unter Strafe stellen. Das Strafrecht ist ein äußerstes Mittel sozialer Kontrolle, das nur dann eingesetzt werden darf, wenn andere Mittel nichts mehr ausrichten können. Dieser Position des Alternativentwurfs liberaler Strafrechtsprofessoren für einen Allgemeinen Teil des StGB gelang es Ende der sechziger Jahre, die bis dahin halbherzigen und festgefahrenen Bemühungen um die Strafrechtsreform zu beleben. Der Alternativentwurf hatte einen wesentlichen Einfluß auf das noch unter der Großen Koalition verabschiedete Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts 3): Das Zuchthaus wurde abgeschafft, die Einheitsfreiheitsstrafe eingeführt. Die kurzen Freiheitsstrafen wurden zugunsten der Geldstrafe zurückgedrängt. Die Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung wurden erweitert. Bei der Geldstrafe wurde das Tagessatzsystem eingeführt. Erst 1981 wurde eine weitere Reformforderung Gesetz: die Möglichkeit, auch die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen 4).

Die Durchsetzung von Reformen im Allgemeinen Teil war aber nur der erste Schritt der Strafrechtsreform. Bewähren muß sich das Bekenntnis zur begrenzten Funktion des Strafrechts im Besonderen Teil, in dem in einzelnen Straftatbeständen die Verhaltensweisen aufgeführt sind, die strafbar sein sollen. Hier muß sich zeigen, ob wirklich die Sozialschädlichkeit und nicht doch moralische Wertungen und unüberprüfte Vorurteile die Strafbarkeit begründen. Das erste strafrechtliche Reformwerk der siebziger Jahre galt dem Demonstrationsstrafrecht5). Proteste und Demonstrationen der Studentenbewegung und der außerparlamentarischen Opposition hatten deutlich gemacht, daß das hergebrachte Demonstrationsstrafrecht dem Geist des Grundgesetzes nicht entsprach. Die Justiz wandte ein Strafrecht an, das seine Herkunft aus dem Obrigkeitsstaat nicht verleugnen konnte. Schon die Begriffe wie „zusammenrotten", „Aufforderung durch die Obrigkeit", „Haufen" zeigen, wie ablehnend-mißtrauisch das Strafrecht jeder Versammlung von Bürgern gegenüberstand, erst recht einer zu Protestzwecken. Die Strafbestimmungen waren sehr weit gefaßt; insbesondere der des Landfriedensbruchs (§ 125) mit seinen empfindlichen Strafdrohungen erfaßte nicht nur denjenigen, dem selber Gewalttaten bei einer Versammlung oder Demonstration nachzuweisen waren, sondern jeden Teilnemer an einer gewalttätig verlaufenden Versammlung, auch den friedlichen Demonstranten, den neugierigen Passanten, den zufällig Anwesenden. Wer an einer Demonstration teilnahm oder auch nur in ihre Nähe kam, hatte bei gewalttätigem Verlauf praktisch seine Unschuld nachzuweisen; auf jeden Fall ging er das Risiko ein, strafrechtlich verfolgt zu werden.

So war es eine überfällige Reform, daß das Demonstrationsstrafrecht wesentlich eingeschränkt wurde. Der Tatbestand des Landfriedensbruchs beschränkt sich nunmehr auf Täterschaft und Teilnahme an Gewalttätigkeiten und Bedrohungen, die aus einer Menge heraus begangen werden. Passive Teilnehmer brauchen (bei korrekter Rechtsanwendung) mit einer Strafverfolgung nicht mehr zu rechnen.

Das Demonstrationsstrafrecht ist bis auf den heutigen Tag ein Schwerpunkt rechtspolitischer Auseinandersetzung geblieben. Gewalttätige Demonstrationen von Kernkraftgegnern und Hausbesetzern dienen als aktuelle Anlässe, die Forderung nach Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts durch die Ausdehnung der Strafbarkeit auf die Nichtbeachtung administrativer Verbote und auf das Vorfeld von Gewalttätigkeiten (etwa die Vermummung) zu erneuern. Dabei zeigen die Nürnberger Massenverhaftungen von 1981, wie dehnbar und mißbrauchbar bereits das geltende Recht ist. Die Vorverlegung das Strafrechts-schutzes durch den Verzicht auf den Nachweis von Gewalttätigkeiten, verbunden mit der Einführung unbestimmter Begriffe wie dem der „Vermummung", die zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten führen, würde das Risiko der Strafbarkeit so ausweiten, daß das Demonstrationsrecht getroffen würde. Einschüchterung und Verzicht auch auf legalen Druck wären die Folge.

Die Beschränkung der Strafverfolgung auf Gewalttäter ist unbequem: In der Masse der Demonstranten sind sie schwer auszumachen, noch schwerer festzunehmen. Das rechtfertigt es aber nicht, den Kreis der verfolgbaren Teilnehmer zu erweitern, um ihrer leichter habhaft werden zu können; erst recht nicht, herausgegriffene Teilnehmer exemplarisch zu bestrafen. Es bleibt eine bedauerliche, aber kaum zu ändernde Situation, daß Straftaten anläßlich von Demonstrationen (übrigens auch die Vorwürfe gegen Polizeibeamte) nur zu einem kleinen Teil aufgeklärt werden können. Kaum mehr umstritten ist die Reform des Sexualstrafrechts6). Die erbitterten Diskussionen um die Strafbarkeit der Pornografie (die Reform verzichtete auf die Strafbarkeit der „einfachen" Pornografie ohne Darstellung von Gewalttätigkeiten oder des Mißbrauchs von Kindern) gehören der Vergangenheit an. Zu den alten Tatbeständen des Ehebruchs, der Kuppelei und der Sodomie möchte niemand mehr zurückkehren. Allerdings kann auch heute noch nicht festgestellt werden, daß sich das Sexualstrafrecht auf den Schutz vor gravierenden sozialschädlichen Verhaltensweisen beschränkt. Reste moralischer Unwerturteile zeigen sich vor allem bei der Strafbarkeit der Homosexualität (§ 175 StGB): zwar wurde die Strafbarkeit der Homosexualität zwischen Erwachsenen abgeschafft; homosexuelle Handlungen mit Minderjährigen werden aber nicht nur bis zur sonst üblichen Altersgrenze von 14 Jahren (und in besonderen Betreuungsverhältnissen) mit Strafe bedroht, sondern bis zum Schutzalter von 18 Jahren, obwohl die dahinterstehende Befürchtung einer „Verführung" zur Homosexualität einer kritischen Nachprüfung nicht standhält, da die wesentlichen Prägungen des sexuellen Verhaltens bereits vor dem 14. Lebensjahr stattfinden.

Die Reform des § 218 StGB stand wie kein anderes Thema der Strafrechtsreform im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung. Nach der früher geltenden Regelung war jede Unterbrechung einer Schwangerschaft straf-bar; die Rechtsprechung ließ aus Gründen des übergesetzlichen Notstandes Ausnahmen nur zu, wenn eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren anders nicht abzuwenden war. Der Schutz des ungeborenen Lebens wurde dadurch nicht gewährleistet. Wenigen Verurteilungen standen Hunderttausende illegaler Schwangerschaftsabbrüche im Jahr gegenüber. Den vielfältigen Notlagen der Schwangeren konnte mit dem früheren Recht nicht Rechnung getragen werden. Die Frauen wurden in die Illegalität und damit in die Isolation gedrängt; schwere Gefährdungen für Gesundheit und Leben waren die Folge.

Die Notwendigkeit einer Reform wurde kaum bestritten, kontrovers war ihr Inhalt. Es gab zwei Ansätze: Die „Indikationslösung" normierte die Fälle, in denen die Gründe füs die Schwangerschaftsunterbrechung so schwerwiegend sind, daß auf Strafe verzichtet wird; allerdings lassen sich diese Gründe kaum vollständig und hinreichend klar umschreiben; die Indikationsfeststellung belastet die Schwangere wie den Gutachter. Diese Schwierigkeiten werden von der „Fristenlösung" vermieden, nach der bis zum Ablauf des dritten Monats auf den strafrechtlichen Schutz des werdenden Lebens verzichtet wird, wenn die Schwangere sich hat beraten lassen. Die zuerst im Alternativentwurf der Strafrechtsprofessoren vertretene Fristenlösung wurde vom Bundestag beschlossen in dieser Fassung aber vom Bundesverfassungsgericht für teilweise nicht vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Die die Entscheidung tragende Mehrheit des Gerichtes verlangte, auch das äußerste Mittel des Strafrechts zum Schutz des werdenden Lebens einzusetzen, während die Minderheitsvoten der Fristenlösung bescheinigten, sie verzichte auf eine weitgehend wirkungslose und sogar schädliche Strafdrohung zugunsten angemessenerer Mittel und entspreche damit dem Geist der Verfassung mehr als die Forderung nach Strafe und Mißbilligung.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschloß der Bundestag eine weitgefaßte Indikationslösung Sie führte zwar zu einem Rückgang der Zahl illegaler Schwangerschaftsabbrüche; wegen des komplizierten Verfahrens und der Unsicherheit der Indikationsfeststellung weichen viele Frauen aber immer noch auf illegale Abbrüche aus. Nach weiterer Auswertung der Erfahrungen im In-und Ausland wird die Reform des § 218 StGB erneut auf der Tagesordnung stehen.

Daß die Strafrechtsreform nicht mit dem Abbau von Strafrechtsbestimmungen gleichzusetzen ist, zeigt sich bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Ihre Verfolgung ist ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit des Strafrechts im sozialen Rechtsstaat: Verfolgt es den angepaßten, sozial meist angesehenen und nach außen in den Formen des Wirtschaftsverkehrs handelnden, aber das ihm entgegengebrachte Vertrauen mißbrauchenden Wirtschaftsstraftäter ebenso wie den meist der Unterschicht entstammenden, auch sonst zu abweichendem Verhalten neigenden und den Instanzen sozialer Kontrolle viel leichter auffallenden typischen Straftäter der Klein-und Gewaltkriminalität?

Wirtschaftskriminalität ist die Form des Verbrechens, die den größten sozialen und materiellen Schaden verursacht. Sie führt nicht nur zu gewaltigen finanziellen Einbußen, sondern auch zum Verlust von Arbeitsplätzen und zur Fehlleitung von Steuergeldern. Sie erschüttert das Vertrauen in die Marktwirtschaft, die nur Bestand haben kann, wenn sie sich gegen die in ihr angelegten Mißbrauchsmöglichkeiten zur Wehr setzt.

D^e Verfolgung der Wirtschaftskriminalität stößt auf besondere Schwierigkeiten. Die kriminelle Handlung ist nicht ohne weiteres erkennbar, erschließt sich oft erst aus Tausenden von Buchungsvorgängen, und dies auch nur dem, dem komplizierte wirtschaftliche Vorgänge vertraut sind. Die auf einfache wirtschaftliche Vorgänge zugeschnittene Kette Täuschungshandlung — Irrtumserregung — Vermögensverfügung — Vermögensschaden läßt sich bei komplizierten wirtschaftlichen Vorgängen nicht mehr vollständig nachweisen, auch wenn der Unrechtsgehalt und der volkswirtschaftliche Schaden offensichtlich sind.

Daher ist das Wirtschaftsstrafrecht im Ersten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch die neuen Tatbestände des Subventions-und des Kreditbetruges ergänzt worden; weitere Tatbestände soll ein Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in der laufenden Legislaturperiode bringen. Über die Ergänzung der Straftatbestände hinaus muß das Strafprozeßrecht eine zügige Abwicklung der Strafverfahren in Wirtschaftssachen ermöglichen. 2. Reform des Strafverfahrensrechts Auf keinem anderen Gebiet sind rechtsstaatliche Garantien so ausgeformt und entwickelt wie auf dem des Strafprozeßrechts. Die Trennung von Staatsanwaltschaft und Gericht; die Garantie des unabhängigen und gesetzlichen, d. h. nicht für den Einzelfall bestimmten Richters; die Beteiligung der Bürger an der Rechtsprechung; die Öffentlichkeit und Unmittelbarkeit des Strafprozesses; die richterliche Kontrolle strafprozessualer Eingriffe: all dies sind Errungenschaften des Rechtsstaates.

In einigen Bereichen sind rechtsstaatliche Grundsätze so ausgeprägt, daß es manchem bereits als übertrieben erscheint: So muß ein ganzer Prozeß wiederholt werden, wenn es ein Versehen bei der Auswahl auch nur eines Laienrichters gegeben hat. Auf anderen Gebieten, die wie das der Verteidigung mit formalen Kriterien nicht in gleicher Weise erfaßt werden können, sind die hergebrachten Garantien allerdings weit weniger entwickelt. Die „Kleine Strafprozeßreform" von 1964 stärkte die Rechtsstellung des Beschuldigten und seines Verteidigers. Zu der beabsichtigten „großen" Reform ist es bis heute nicht gekommen. Im Vordergrund der Strafprozeßreform standen die Bemühungen um die Verkürzung der Strafverfahren^ 10). Die Forderung nach Beschleunigung gründet sich nicht nur darauf, daß eine schnell ausgesprochene Sanktion kriminalpädagogisch wirksamer ist und daß lange Strafverfahren Personal-und Sachmittel der Justiz binden; auch der Beschuldigte hat einen Anspruch darauf, daß der gegen ihn gerichtete Verdacht in angemessener Zeit aufgeklärt wird. Andererseits verlängern natürlich rechtsstaatliche Garantien den Strafprozeß. So ist immer wieder abzuwägen, welche Maßnahmen zur Beschleunigung eingeführt werden können, ohne wesentliche rechtsstaatliche Garantien aufzugeben.

Ein zweiter, zunehmend in den Vordergrund tretender Komplex von Änderungen des Strafprozeßrechts hatte zum Ziel, dem Mißbrauch von Verteidigerrechten entgegenzuwirken und zu verhindern, daß die Verwirklichung des dem Strafprozeß gesteckten Ziels einer Entscheidung über Schuld oder Unschuld hintertrieben wird -Anlaß zu diesen Neurege-lungen waren im wesentlichen Prozesse wegen des Vorwurfs terroristischer Straftaten. überfällig war die Reform des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten^ Noch immer besteht allerdings eine Lücke: Das Zeugnisverweigerungsrecht (und Beschlagnahme-verbot) erstreckt sich nicht auf das vom Journalisten selbst erarbeitete Material. Das von der FDP geforderte Zeugnisverweigerungsrecht für Psychologen, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen wurde bisher nur für die Mitarbeiter der Beratungsstellen nach § 218 b StGB verwirklicht; dringend notwendig ist der Schutz des Vertrauensverhältnisses nach wie vor im Drogenberatungsbereich.

In den Zusammenhang der Strafverfahrensreform gehört die Verbesserung der Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen; noch immer wird allerdings der Tag Freiheitsentzug mit zehn DM abgegolten! Die Entschädigung für die Opfer von Gewalttaten schloß eine schmerzhaft empfundene Lücke im sozialen Netz. 3. Reform des Strafvollzuges Die Strafrechtsreform wäre ein Torso geblieben ohne die Reform der einschneidendsten Sanktion, des Vollzuges der Freiheitsstrafe. Das Anliegen einer präzisen, rationalen Bestimmung der Funktion des Strafrechts mußte seine Fortsetzung in einer gesetzlichen Bestimmung der Aufgaben des Vollzuges der Freiheitsstrafe finden. An die Stelle des herkömmlichen Verwahrvollzuges, der sich auf die Isolation beschränkte, mußte ein Vollzug treten, der den Gefangenen in die Lage versetzt, in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen und der dadurch die Gesellschaft vor neuen Straftaten schützt. Durch zunehmende Kontakte zur Außenwelt und durch wachsende Übernahme von Verantwortung muß der Gefangene auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes muß auch im Strafvollzug gelten: die Rechtsstellung des Gefangenen muß gesetzlich bestimmt sein.

Das 1977 in Kraft getretene, von allen Parteien getragene Strafvollzugsgesetz entsprach im wesentlichen diesen Forderungen. Wichtige Bestandteile der Reform blieben allerdings suspendiert, vor allem das Arbeitsentgelt und die Einbeziehung in die Sozialversicherung. 4. Gleichberechtigung und Mündigkeit: Reform des Ehe-und Familienrechts Während die Reform des Eherechts (Namens-recht, gleichberechtigte Vereinbarung der Arbeitsteilung) heute nicht mehr umstritten ist, gilt die Scheidungsreform nach wie vor als Beispiel einer mißglückten Reform Dabei bestand weitgehende Einigkeit über ihre wesentlichen Inhalte: die Anknüpfung der Scheidung an die (objektive) Zerrüttung der Ehe statt an ein schuldhaftes Verhalten, die Konzentration der mit der Scheidung zusammenhängenden Entscheidungen beim Familiengericht und die Einführung des Versorgungsausgleichs als Beitrag zur Gleichberechtigung und zur eigenständigen sozialen Sicherung der Frau. Die Verfassungsmäßigkeit der Reform wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt: Es forderte allerdings Randkorrekturen, um den Besonderheiten des Einzelfalles besser gerecht werden zu können, wie sie auch die CDU/CSU gefordert hatte. Zum schlechten Ansehen der Reform hat sicherlich beigetragen, daß das neue Recht in seiner Verknüpfung mit dem kaum mehr überschaubaren Recht der Altersvorsorge dem Bürger nicht mehr verständlich gemacht werden konnte, und daß für die vielfältigen Formen ehelichen Zusammenlebens eine in jedem Einzelfall als gerecht empfundene Lösung nicht gefunden wurde (und nicht gefunden werden kann).

Einzelne Verbesserungen der Reform sind möglich und notwendig: So kann auf die einjährige Trennungsfrist bei einverständlicher Scheidung verzichtet werden, wenn die Zerrüttung anders nachgewiesen wird; zu schematisch ist auch die Regelung, nach der das Sorgerecht für die Kinder nicht beiden geschiedenen Ehegatten übertragen werden kann. Zu den Grundzügen der Reform gibt es allerdings auch heute keine Alternative.

Bei der Reform des elterlichen Sorgerechts setzte die Koalition eine wachsende Beteiligung des Kindes an den es betreffenden Entscheidungen (etwa der Berufswahl) durch, während die Opposition das Elternrecht stärker betont sehen wollte. Unumstritten war die Herabsetzung des Wahlalters und der Volljährigkeitsgrenze

Datenschutz Der durch die Entwicklung der Datentechnik neu entstehenden Gefahr für die Privatsphäre galt die besondere Aufmerksamkeit der Rechtspolitik. Das 1977 verabschiedete Bundesdatenschutzgesetz war ein erster Schritt, dem — darin stimmen alle Parteien überein — weitere folgen müssen: Verbesserungen durch einen verschuldensunabhängigen Schadens-ersatzanspruch, durch den Anspruch auf unentgeltliche Auskunft und durch die Stärkung der Datenschutzbeauftragten stehen an. Die Einführung eines Grundrechts auf Datenschutz muß diskutiert werden.

Wirksamer Datenschutz erfordert neben den allgemeinen Regelungen bereichsspezifische Ergänzungen, die auf die Besonderheiten des jeweiligen Bereichs zugeschnitten sind. Mit dem Melderechtsrahmengesetz, dem Personalausweisgesetz und dem „Sozialgeheimnis" wurden solche Regelungen geschaffen; im Sicherheitsbereich, der vom Datenschutz zunächst praktisch ausgenommen war, wurde die Sammlung und Weitergabe von Daten transparent gemacht und eingeschränkt. 6. Umweltschutz und Umweltrecht Zum Schutz und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen hat auch die Rechtspolitik beizutragen. Seit 1971 wurde ein umfassendes Gesetzgebungsprogramm verwirklicht: Gesetze befassen sich mit dem Immissionsschutz, der Abfallbeseitigung, dem Fluglärm, der Reduzierung des Bleigehalts im Benzin, der Abwasserbeseitigung; die Liste ist nicht vollständig. In vielen Umweltgesetzen wurde das Vorsorgeprinzip verankert, um bereits die Entstehung von Schäden zu verhindern.

Auch das Strafrecht hat seinen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Mit dem herkömmlichen Strafrecht waren die ökologisch wichtigen Güter wie Wasser, Luft und Boden nur unzulänglich zu schützen, denn es knüpft an die Verletzung individueller Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum an; bei Umweltschädigungen, die häufig als Folge eines Kumulationseffektes eintreten, ist die Verletzungswirkung der einzelnen umweltschädigenden Handlung häufig nicht mit Sicherheit nachzuweisen. Ein besonderes Umweltstrafrecht hat auch den schwerwiegenden Charakter umweltschädlicher Handlungen ins Bewußtsein der Allgemeinheit zu rücken. Wie je-des Strafrecht ist es allerdings ultima ratio und kann andere Maßnahmen nur ergänzen.

Erst 1980 wurde durch das achtzehnte Strafrechtsänderungsgesetz ein neuer Abschnitt „Straftaten gegen die Umwelt" in das StGB eingefügt, der Straftatbestände gegen die Verunreinigung eines Gewässers, gegen Luftverunreinigung und Lärm, gegen umweltgefährdende Abfallbeseitigung und gegen die Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete enthält. Als schwere Umweltgefährdung wird die Herbeiführung einer konkreten Lebens-oder Gesundheitsgefahr bestraft. Bisher nur auf Landesebene eingeführt wurde die Verbandsklage, die einen wirksameren Schutz der häufig nicht einem Individuum zuzuordnenden Güter der Umwelt gewährleistet. Insbesondere im Bereich des Naturschutzes besteht hier ein Defizit. 7. Justizreform Im sozialen Rechtsstaat soll kein Bürger aus finanziellen Gründen darauf verzichten müssen, seine Rechte wahrzunehmen und notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Die Ablösung des Armenrechts durch die Prozeßkostenhil. fe und ihre Ergänzung durch die außergerichtliche Beratungshilfe erleichtern dem Bürger den Zugang zum Recht. Durch das neue Staatshaftungsgesetz wird die Haftung des Staates gegenüber dem Bürger erweitert In der Juristenausbildung wurde durch die so-genannte Experimentierklausel die Möglichkeit von Modellversuchen einer einphasigen, Theorie und Praxis stärker verzahnenden Ausbildung eröffnet. Die Ergebnisse dieser Versuche müssen in eine neue einheitliche Ausbildung eingehen.

Vielfältige Bemühungen galten der Verfahrensbeschleunigung. Durch die Straffung des Verfahrensablaufs konnte immerhin ein weiterer Anstieg der Verfahrensdauern verhindert werden. Wesentliche Verbesserungen der Gerichtsorganisation wurden nicht erreicht. Angesichts knapper Ressourcen stellt sich immer dringender die Aufgabe, das Rechtsschutzsystem zu überprüfen. Der Rechtsstaat fordert nicht die Erhaltung jedes Rechtsmittels, wohl aber einen effektiven und der Bedeutung des jeweiligen Rechtsgutes angemessenen Rechtsschutz.

III. Herausforderungen an den Rechtsstaat

So eng die Verbindung von Rechtsstaat und Reform ist, Bewährungsprobe des Rechtsstaates ist seine Verteidigung gegen Emotionen und Unverständnis. Der wahre Stand der Liberalität zeigt sich in der Krise, wenn eine emotionalisierte Öffentlichkeit „kurzen Prozeß" fordert, wenn die rechtsstaatlichen Sicherungen vielen als zu umständlich erscheinen, um mit einer Bedrohung fertig zu werden.

Der Bundesrepublik blieben bisher Krisen wie die erspart, an denen die Weimarer Republik zugrunde ging. Der Rechtsstaat ist in seinem Bestand nie ernsthaft bedroht worden. Kennzeichnend für die Geschichte der Bundesrepublik ist im Gegenteil die Überschätzung einer Bedrohung mit der Folge der Überreaktion, die dann selbst zur eigentlichen Gefahr für den Rechtsstaat wird: Das Recht wird durch den Ausnahmezustand bestimmt, die streitbare Demokratie kehrt sich gegen sich selbst.

Ein historisches Beispiel ist die Auseinandersetzung mit den Kommunisten zur Zeit des Kalten Krieges; das politische Strafrecht dieser Zeit ist ein Beispiel rechtsstaatlicher Verirrung. Nach wie vor aktuell sind zwei andere Herausforderungen: die der Extremisten im öffentlichen Dienst und die des Terrorismus. Dabei geht es nicht nur um das Verhältnis des Rechtsstaates zu seinen Gegnern. In den Verdacht mangelnder Verfassungstreue kamen viele zu Unrecht; als Wegbereiter des Terrorismus wurde auch Heinrich Böll bezeichnet. Der Umgang mit Minderheiten am Rande des Rechtsstaates prägt eine politische Kultur, auch in der neuen Herausforderung zunehmender Gewalttätigkeit in der Jugend. 1. Verfassungstreue und öffentlicher Dienst Als zu Beginn der siebziger Jahre der „Marsch durch die Institutionen" zu drohen schien, suchten die Regierungschefs von Bund und Landern nach einer einheitlichen Antwort. Der „Extremistenbeschluß" von 1972 interpretierte das geltende Beamtenrecht, brachte aber keine präzisen Maßstäbe für die Beurteilung der Verfassungstreue. Praktisch bedeutsamste Folge (wenn auch nicht Inhalt) des „Extremistenbeschlusses" war die Einführung der Routineanfrage, der regelmäßigen Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden, ob Erkenntnisse über einen Bewerber vorliegen, die Zweifel an seiner Verfassungstreue begründen können.

Die Praxis der Routineanfrage schädigte durch ihre Auswüchse das Ansehen des Rechtsstaates im In-und Ausland. In einer Vielzahl von Fällen führten belanglose Erkenntnisse über lang zurückliegende Ereignisse zu einer Ablehnung oder lösten doch eine peinliche Untersuchung aus: die Teilnahme an genehmigten Demonstrationen, der Besuch von Veranstaltungen extremistischer Organisationen (sogar das Abstellen des Autos in deren Nähe), das Wohnen in einer Wohngemeinschaft und der private Kontakt mit als Extremisten eingestuften Personen, die Unterzeichnung von Aufrufen — die Liste solcher „Erkenntnisse" ließe sich verlängern. Die Gesinnung wurde in Verhören erforscht, Rechtsbeistand dabei nicht zugelassen.

Diese Exzesse waren dankbares Material für Kampagnen gegen die „Berufsverbote" und führten über die Betroffenen hinaus zu Einschüchterung und Selbstzensur. Manche Angst, das selbstverständliche Recht der Kritik wahrzunehmen und mit extremistischen Positionen auch nur in Berührung zu kommen, war übertrieben, oft fehlte die notwendige Selbstsicherheit des Staatsbürgers. Doch gab es eine reale Grundlage für solche Ängste.

Wenig hilfreich war hier der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1975 der die politische Treuepflicht des Beamten als verfassungsrechtlich geforderte Voraussetzung für jedes Beamtenverhältnis bezeichnete, das bei jeder Einstellung geprüft werden müsse. Zur Art der Prüfung enthält der Beschluß Formulierungen, die in verschiedener Richtung ausgedeutet werden können; die Routinefrage wird weder positiv noch negativ erwähnt. Um die Mißstände bei der Regelanfrage zu beseitigen, wurde 1975/76 in den sozialliberal regierten Ländern und im Bund ein rechtsstaatlich geordnetes Verfahren zur Überprüfung der Verfassungstreue bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst eingeführt. Die Anfrage beim Verfassungsschutz erfolgte danach erst, wenn die Einstellung tatsächlich beabsichtigt und die Verfassungstreue letzte Einstellungsvoraussetzung war. Mitgeteilt wurden nur gerichtsverwertbare Tatsachen, die geeignet waren, Zweifel an der Verfassungstreue zu begründen, vor allem nicht Jugendsünden oder lange zurückliegende Erkenntnisse. Der Bewerber erhielt das Recht auf schriftliche und mündliche Anhörung sowie auf einen Rechtsbeistand. Für eine Ablehnung wurde der politisch verantwortliche Minister zuständig.

Die Kritik an der Routinefrage verstummte trotzdem nicht. Das Instrument der Regel-anfrage war zu einem Symbol staatlichen Mißtrauens geworden; seine Abschaffung wurde daher zum Zeichen der Vernunft und Verständigungsbereitschaft. Hinzu kam das Mißverhältnis zwischen den Hunderttausenden von Überprüfungen und den wenigen Ablehnungen; der Schaden stand in keinem Verhältnis zum Nutzen. Das Ansehen der Verfassungsschutzbehörden hatte durch die Massenüberprüfungen gelitten; sie sollten sich wieder mehr um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern können.

Analyse eines Irrtums Die Abschaffung der Routineanfrage löst allerdings nicht das Problem der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst. Die Analyse der dabei gemachten Fehler erleichtert es aber, eine Antwort auf die bleibenden Probleme zu finden. Die Forderung nach Verfassungstreue der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist für jeden Demokraten selbstverständlich. Das Volk muß sich darauf verlassen können, daß die grundlegenden Prinzipien von den Bediensteten anerkannt und auch in Krisenzeiten engagiert verteidigt werden. Verfassungstreue heißt aber nicht Treue gegenüber der herrschenden politischen Richtung. Obwohl im Grundsatz allgemein anerkannt wird, daß die Verfassungstreue Kritik und das Bestreben nach grundlegenden Änderungen im Rahmen der Verfassung nicht ausschließt, bestand immer wieder Anlaß, darauf hinzuweisen, daß ein freiheitlicher Staat keine absoluten Wahrheiten kennt, sondern vom Wettbewerb der Ideen und politischen Auffassungen und damit vom kritischen Engagement seiner Bürger lebt. Verfassungstreue ist Treue gegenüber den die freiheitliche Ordnung konstituierenden Inhalten des Grundgesetzes: Volkssouveränität, Mehrparteienprinzip, Recht auf Opposition, Grundrechtsverbürgungen, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Gerichte. Sie ist Treue gegenüber dem Staat, aber nur weil und solange er diese Prinzipien verwirklicht. Verfassungstreue ist damit mehr als loyaler Staatsdienst.

Der Tradition des deutschen Beamtentums entspricht es, der jeweils herrschenden Ordnung zu dienen, wenn diese hinreichend gefestigt erscheint. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungstreue zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt kann es sich allenfalls auf die kurze Zeit der Weimarer Republik stützen, in der die Verfassungstreue mehr Forderung als Realität war. Das Gericht setzt sich nicht scharf genug von den unheilvollen deutschen Traditionen der Anpassung ab, die es vielen Beamten nicht schwer gemacht haben, vom Kaiser bis zur Bundesrepublik vier Herren „treu" zu dienen. Daß die „Gewährbieteklausel" des Beamtenrechts vom NS-Beamten-recht eingeführte Formulierungen übernimmt, leistet der irrigen Vorstellung Vorschub, als seien die Inhalte der Treuepflicht austauschbar. Diese spezifisch deutsche Verkürzung der Verfassungstreue wirkte fort, als man das Problem der Verfassungstreue auf das der Extremisten reduzierte. Merkwürdig ist schon, daß die Diskussion um die (meist linken) Extremisten wesentlich intensiver war als die um die Übernahme einer viel größeren Zahl ehemaliger nationalsozialistischer Beamter. Dabei zeigt gerade das Weimarer Beispiel, daß das Problem der Verfassungstreue nicht nur eines ist, das die Extremisten betrifft. Die Republik von Weimar ging nicht an den Extremisten im öffentlichen Dienst zugrunde, sondern an den der Republik gleichgültig oder ablehnend gegenüberstehenden Bediensteten. Nur wenige Beamte und Richter erfüllten die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht heute an die Verfassungstreue stellt.

Mit einem Extremistenbeschluß allerdings wäre kaum einer der Staatsdiener, die später die nationalsozialistische Herrschaft zu festigen halfen, aus dem Staatsdienst fernzuhalten gewesen. Die Routineanfrage entspringt nämlieh ebenfalls einer Verkürzung der Sicherung der Verfassungstreue auf die Abwehr von Extremisten. Gefragt wird dabei, ob jemand im Zusammenhang mit extremistischen Aktivitäten aufgefallen ist. Das positive Ergebnis lautet: keine Erkenntnisse. Daraus kann aber nicht auf die Verfassungstreue geschlossen werden. Nach unseren heutigen Überprüfungsverfahren wären fast alle Beamten von Weimar verfassungstreu gewesen: Die wenigsten traten vor der „Machtergreifung" als Nazis in Erscheinung. Auch heute kann die Routineanfrage die Verfassungstreue allenfalls in Randbereichen sichern. Die Routineanfrage nach extremistischen Erkenntnissen läßt nicht nur Extremisten auffallen. Auch wer verfassungstreu und kritisch ist, sich aber mit extremistischen Meinungen auseinandersetzt, fällt auf. Die Routineanfrage führt dann dazu, daß die Überprüfung der Verfassungstreue „einäugig" wird. Sie geht nach „links" weiter als nach „rechts". Sie erfaßt nicht diejenigen, die den höchsten Wert in Ruhe und Ordnung sehen, auch wenn dabei rechtsstaatliche Garantien verletzt werden, wohl aber die, die mit extremistischen Positionen in Berührung, darüber aber gerade zum Engagement für den freiheitlichen Rechtsstaat kommen.

Die Stärke eines Rechtsstaates liegt nicht darin, daß er möglichst viel über seine Bürger weiß, daß er alle verfügbaren Informationen verwertet, um Extremisten möglichst wirkungsvoll bekämpfen zu können. Sicher könnte der Staatsschutz verstärkt werden, wenn auf Datenschutz und auf rechtsstaatliche Sicherungen verzichtet würde; wenn Telefone unbeschränkt abgehört und Lauschangriffe unternommen werden könnten, wenn alle verfügbaren Daten über die Bürger zentral erfaßt würden, blieben weniger Extremisten unerkannt, auch weniger Straftäter unbestraft. Der Rechtsstaat aber gäbe sich damit auf. Er begrenzt die Überwachung und Über-prüfung seiner Bürger als Mittel des Staats-schutzes auf das unabdingbar Notwendige. Er setzt auf den Verfassungsschutz durch das Engagement seiner Bürger, das frei sein muß von Überwachung und Angst. Der Rechtsstaat erkennt das Recht auf Schutz der Persönlichkeit gegen die Weitergabe von Daten an. Informationen über die politische Betätigung dürfen nur in engem Umfang gesammelt und noch begrenzter weitergegeben werden. Die massenhafte Weitergabe durch die Routineanfrage verstößt gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zukunftsaufgabe: Differenzierung derAnforderungen an die Verfassungstreue Auch nach Abschaffung der Routineanfrage bleibt die Frage zu beantworten, welche Anforderungen an die Verfassungstreue zu stellen sind. Sie stellt sich vor allem bei Beamten, die bereits im öffentlichen Dienst sind. Der der DKP angehörende Lokfahrer oder Briefträger ist ein oft diskutiertes Beispiel; ein anderes sind Lehrer, die sich im Dienst als vorbildliche Pädagogen zeigen, außerhalb des Dienstes jedoch aktiv für eine als verfassungsfeindlich eingeschätzte Organisation tätig sind. Diese Falle werfen die Frage auf, ob nicht in den Anforderungen an die Verfassungstreue zwischen dem dienstlichen und dem außerdienstlichen Verhalten unterschieden werden kann, so daß bei weniger wichtigen Funktionen geringere Anforderungen an die Verfassungstreue gestellt und disziplinarrechtliche Entlassungen vermieden werden können.

Unbestritten ist, daß innerhalb des Dienstes kein Kampf gegen die Verfassung geführt werden darf, weder durch die dienstliche Tätigkeit selbst noch unter Ausnützung der dadurch gegebenen Möglichkeiten. In den Problemfällen verhält sich der Bedienstete innerhalb des Dienstes korrekt, die Bedenken richten sich gegen sein außerdienstliches Verhalten. Auch dieses kann nicht außer Betracht bleiben, wenn es auf die Erfüllung der Dienstgeschäfte zurückwirkt. Ein Richter, der außerhalb des Dienstes die Unabhängigkeit der Gerichte angreift, kann dem rechtssuchenden Bürger nicht zugemutet werden. Der Verfassungsschützer kann nicht außerdienstlich die Verfassung bekämpfen. Kann dies aber in gleicher Weise gelten, wenn Beamte im öffentlichen Dienst Funktionen wahrnehmen, die denen der Privatwirtschaft gleichen (für Angestellte wird schließlich eine gewisse Differenzierung der Anforderungen an die Verfassungstreue zugestanden — ein Arzt wird wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue nicht ohne weiteres entlassen)? Ist es nicht sinnvoll, das Maß der geforderten Verfassungstreue nach der Bedeutung der Aufgaben zu differenzieren? Kommt es nicht darauf an, wie sehr der Beamte im Dienst für die Verfassung einzutreten hat?

Man kann sich die Antwort einfach machen: Das Bundesverfassungsgericht hat, wie es der Wortlaut der beamtenrechtlichen Bestimmungen nahelegt, ausgeführt, die politische Treue-pflicht gelte für jedes Beamtenverhältnis und sei einer Differenzierung nach Art der dienst-23 liehen Obliegenheiten nicht zugänglich Eine ausführliche Begründung fehlt; stützen läßt sie sich auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums.

Für einen nachdenklichen Bürger reicht dies als Antwort nicht aus. Auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind keine letzte Wahrheit, die weitere Überlegungen erspart. Nachdenklich muß bereits stimmen, daß sich andere Staaten, deren Rechtsstaatlichkeit nicht hinter unserer zurückbleibt, in den geschilderten Konfliktfällen mehr Toleranz erlauben können. Auch entspricht es den Geboten praktischer Vernunft, den Briefträger anders zu behandeln als den Abteilungsleiter im Innenministerium. Sie unterscheiden sich auch sonst in vielen Rechten und Pflichten. Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und die Mobilität ihrer Bediensteten stehen einer Differenzierung nicht entgegen: Die allseitige Verwendbarkeit des Beamten, die der Verzicht auf eine Differenzierung sichern soll, ist eine Fiktion; auch bei anderen Eigenschaften als bei denen der Verfassungstreue gibt es Unterschiede, aufgrund derer nicht jeder Beamte für jedes Amt seiner Laufbahn geeignet ist. Eignung und Befähigung sind nach der jeweils zu erfüllenden Aufgabe zu bestimmen; den Beamten an der richtigen Stelle einzusetzen, ist Aufgabe der Personalführung. Eine der Differenzierung nach der Verfassungstreue vergleichbare Unterscheidung gibt es bereits heute bei der Sicherheitsüberprüfung; die Verwendung eines Beamten in sicherheitsempfindlichen Aufgaben setzt eine Überprüfung voraus, deren Maßstäbe sich an der zu übernehmenden Aufgabe orientieren. Unter anderem werden besonders strenge Anforderungen an die Verfassungstreue gestellt. Dieses Instrumentarium reicht aus.

Die Differenzierung nach Funktionen entspricht zwar nicht den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, doch sind diese nach dem Grundgesetz nur zu „berücksichtigen"; sie können keinen Vorrang vor den Grundrechten genießen, die auch dem Beamten zustehen. Einschränkungen für sein außer-dienstliches Verhalten, die über die auch anderen Bürgern gezogenen Grenzen hinausgehen, bedürfen einer besonderen Begründung. Die Differenzierung nach Funktionen ist eine Ausprägung des für die Einschränkung von Grundrechten maßgeblichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Sie sichert die Geltungskraft der Grundrechte, ohne darüber den Schutz der Verfassung und des Staates zu vernachlässigen. 2. Gesetzgebung gegen den Terrorismus Der Terrorismus war und ist die größte Herausforderung an den Rechtsstaat. Sein Ziel ist die Verunsicherung von Staat und Gesellschaft; der Rechtsstaat soll als Fassade eines Unterdrückungsstaates entlarvt werden. Die Gefahr der Reaktion auf den Terrorismus besteht darin, daß der Staat zu den von den Terroristen gewünschten Maßnahmen greift, um sich entsprechend den Erwartungen einer emotionalisierten Öffentlichkeit als „starker" Staat zu zeigen; schärfere Gesetze, d. h. die Einschränkung von Freiheitsrechten, sind leichter und schneller geschaffen, als Fahndungserfolge erzielt werden; sie sind bequemer als die Auseinandersetzung mit den Ursachen des Terrorismus. 1977, auf dem Höhepunkt der terroristischen Herausforderung, gehörte daher durchaus Mut dazu den Satz zu formulieren: „Die politische Antwort auf den Terrorismus darf nicht in der Einschränkung unserer Freiheitlichkeit und unserer Offenheit liegen, sondern im Gegenteil im weiteren Ausbau unserer Freiheit und in der Toleranz, auch unbequeme Meinungen und Ansichten zu ertragen." Die Bekämpfung des Terrorismus durch das Festhalten an den Prinzipien des Rechtsstaates wurde zu einer Bewährungsprobe der Demokratie. Daß sie bestanden wurde, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die meisten der Vorschläge zur Verschärfung des Straf-und Strafprozeßrechts nicht verwirklicht wurden. So wurde weder die mündliche Überwachung des Verteidiger-verkehrs Gesetz noch die Einführung der Sicherungsverwahrung bereits für Ersttäter, die weitere Verschärfung des Haftrechts, die Einschränkung der Strafaussetzung zu Bewährung, die Erhöhung der Strafrahmen oder die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs in erster und letzter Instanz. Terroristische Straftaten wären dadurch eher gefördert worden, hätten diese Vorschläge doch jede Möglichkeit der Umkehr ausgeschlossen.

Mit dem Ziel einer wirksameren Bekämpfung des Terrorismus wurden einige Änderungen des Straf-und Strafprozeßrechts von allen Bundestagsfraktionen beschlossen: Maßnahmen gegen den Mißbrauch von Verteidigungsund Verfahrensrechten, erweiterte strafprozessuale Eingriffsbefugnisse, Straftatbestände gegen das Randfeld des Terrorismus sowie das Kontaktsperregesetz. Durch den Verzicht auf die vorgeschlagenen, weitergehenden Verschärfungen und durch die bisherigen Revisionen der Gesetzgebung wurde der Terrorismus nicht gefördert, wie manche es befürchtet hatten. Im Gegenteil: Gerade wo sich der Staat nicht zu harten Reaktionen hat provozieren lassen, wo er entschieden und doch strikt rechtsstaatlich aufgetreten ist, hat er dazu beigetragen, daß die Sinnlosigkeit terroristischer Aktionen erkannt worden ist. Nicht besondere Bestimmungen gegen terroristische Täter haben deren Umkehr und Verzicht auf weitere Gewalthandlungen erleichtert, sondern der Versuch, auf eine Sonderbehandlung so weit wie möglich zu verzichten.

Hier ist nicht der Raum, die Gesetzgebung gegen den Terrorismus im einzelnen darzustellen und zu würdigen. Nur ein Bereich soll wegen seiner über den Bereich der Terrorismus-bekämpfung hinausreichenden Aktualität herausgegriffen werden: die Gesetzgebung gegen das Randfeld des Terrorismus. Das herkömmliche Strafrecht enthält Tatbestände gegen alle Formen terroristischer Anschläge, auch gegen klassische Unterstützungshandlungen wie das Bereitstellen von Kraftfahrzeugen und Ausweispapieren. Der Gesetzgeber meinte nun aber, auch das Randfeld des Terrorismus, die „Sympathisanten", durch Tatbestände gegen extremistische Meinungsäußerungen verfolgen zu müssen, um ein „Klima der Gewalt“ zu verhindern. § 88 a StGB, der die Befürwortung von Straftaten unter Strafe stellte, war das erste Beispiel. Er enthielt zwar einschränkende Sicherungen gegen eine ausufernde Anwendung; besonders in der Anfangsphase kam es dennoch zu Mißgriffen, insbesondere bei der Durchsuchung linkerBuchläden. Verurteilungen folgten nur wenige; § 88 a war dennoch zum Symbol des strafrechtlichen Vorgehens gegen die „Sympathisanten" geworden, er führte zu einer Verunsicherung des kulturellen Lebens. Daher war es konsequent, ihn als erste Bestimmung der Antiterrorismusgesetzgebung wieder abzuschaffen; dies fiel um so leichter, als die darunter fallenden Äußerungen fast durchweg nach anderen Strafbestimmungen verfolgt werden können.

Dazu gehören die §§ 90 a und 90 b StGB, die sich gegen die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole sowie von Verfassungsorganen richten. Beide Bestimmungen sind älter als die Antiterrorismus-Gesetzgebung; größere praktische Bedeutung gewannen sie aber erst bei der Bekämpfung der Randfelder des Terrorismus, insbesondere im Zusammenhang mit dem „Buback-Nachruf". § 129 a stellt nicht nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung unter Strafe, sondern auch die Werbung und Unterstützung. Nach der herrschenden Rechtsprechung reichen hierfür Sympathiewerbung und Propaganda aus. Der Verdacht einer Straftat nach § 129 a, auch der der bloßen Werbung, erlaubt zahlreiche, sonst nicht zugelassene strafprozessuale Eingriffe: von erweiterten Durchsuchungsmöglichkeiten und Kontrollstellen über die Überwachung des schriftlichen Verteidigerverkehrs bis hin zur Kontaktsperre und dem sonst nur bei Kapitalverbrechen zugelassenen Verzicht auf einen Haftgrund (Flucht-oder Verdunkelungsgefahr). Die genannten Bestimmungen richten sich nicht gegen Gewalttaten, sondern gegen extreme Formen politischer Auseinandersetzung. Die zu schützenden Rechtsgüter sind unbestimmt: Verhinderung eines „Klimas der Gewalt", das . Ansehen des Staates". Die Strafe beruht auf unsicheren Grundlagen: Ob die Bereitschaft zur Gewalt durch extremistische Äußerungen wirklich beeinflußt wird, ist ebenso zweifelhaft wie die Schädigung des Ansehens des Staates durch vereinzelte, nur von den Strafverfolgungsbehörden ernstgenommene Verunglimpfungen.

Der Personenkreis, gegen den sich die Straftatbestände richten, kann nicht genau abgegrenzt werden. Betroffen sind nicht terroristische Gewalttäter und ihre unmittelbaren Helfer — sie werden nach anderen Straftatbeständen bestraft —, sondern der politische Extremismus, die „Sympathisanten" des Terrorismus. Zwar kann und soll nicht jede extremistische Meinungsäußerung bestraft werden. Aber wie sollen bei der Unbestimmtheit der zu schützenden Rechtsgüter diejenigen herausgefunden werden, die den Boden der Gewalt bereiten und das Ansehen des Staates schädigen? Wie soll verhindert werden, daß nicht die falschen getroffen werden.

Eine befriedigende Abgrenzung des strafbaren Verhaltens wurde weder bei § 88 a erreicht („befürworten", „bestimmt und geeignet", die Bereitschaft zu Gewalttaten zu „fördern" — diese Begriffe mögen jeweils für sich genommen hinnehmbar sein, in ihrer Gesamtheit führen sie zu einer bedenklichen Unsicherheit), noch bei §§ 90 a und 90 b: „Beschimpfen", .. böswillig verächtlich machen" und „verunglimpfen" sind Begriffe, die einen weiten Auslegungsspielraum lassen, wie die unterschiedliche Praxis im Zusammenhang mit dem Buback-Nachruf gezeigt hat. Geradezu Muster einer unbestimmten Strafbestimmung ist § 129 a: Die Sympathiewerbung braucht nicht in der Befürwortung von Gewalttaten zu bestehen (diese reicht jedoch aus, wenn sie sich auf eine terroristische Vereinigung bezieht); die Verwendung von Symbolen und die Verbreitung von Hungerstreikforderungen genügt. Damit kommt in die Nähe der Strafbarkeit, wer um Verständnis für die Beweggründe der Terroristen „wirbt", sie gegenüber Angriffen in Schutz nimmt. Wer als Verteidiger das politische Selbstverständnis einer terroristischen Vereinigung darstellt, ist in Gefahr, in Konflikt mit dem Strafrecht zu kommen, wenn dies nicht mehr als zulässige Verteidigung, sondern als Werbung und Stärkung des Zusammenhalts der Gruppe ausgelegt wird.

Folge dieser unbestimmten Begriffe ist, daß die Grenzen der Strafbarkeit verschwimmen und daß sich zurückhalten muß, wer nicht in die Gefahr der Strafverfolgung kommen will. §§ 90 a und 90 b, aber auch §§ 88 a und 129 a berühren wie keine anderen Strafbestimmungen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, das auch radikale und ungerechte Kritik einschließt. Das Strafrecht ist die schärfste Form der Zensur. Die Furcht vor dem Strafrecht führt zu Selbstzensur, Einschüchterung und zum Verzicht auch auf Meinungsäußerungen, die eindeutig vom Grundrecht gedeckt sind. Ein freiheitliches Klima politischer Auseinandersetzung setzt voraus, daß das Staatsschutzstrafrecht nicht jede „verfassungsfeindliche" Bestrebung unter Strafe stellt.

Für den Verzicht auf den Einsatz des Strafrechts im Bereich der Meinungsäußerungen spricht auch seine Erfolglosigkeit. Mit Strafdrohungen kann man Meinungen nicht ändern, auch nicht die, daß Gewalt ein notwendiges Mittel des politischen Kampfes sei. Man schafft aber „Märtyrer", die solche Meinungen verbreiten. Es gibt kein Anzeichen dafür, daß das Strafrecht die Bereitschaft zu Gewalttaten gemindert und das Ansehen des Staates gestärkt hätte. Man findet keine Äußerungen aus dem Bereich des Terrorismus und seiner Randfelder, die sich durch die hier behandelten Strafbestimmungen beeindruckt gezeigt hätten; im Gegenteil, viele fühlten sich in ihrer negativen Einstellung gegenüber dem Staat bestätigt. Dies sollte man nicht den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zum Vor-25 wurf machen; sie haben Zwang anzuwenden und nach Normen zu urteilen, nicht zu argumentieren.

Die Abschaffung des § 88 a bleibt unvollständig ohne eine Abschaffung auch der §§ 90 a und 90 b sowie des § 129 a. Letzterer sollte bereits deshalb entfallen, weil er einen Sonderstatus für Verfahren mit terroristischem Einschlag schafft. Strafprozessuale Sonderregelungen müssen an die Gefährlichkeit einer Straftat anknüpfen, nicht an ihre politische Motivation. Diesen Anforderungen entspricht § 129 a nicht: Er erfaßt zwar das Sprühen von RAF-Parolen auf Autobahnbrücken, nicht aber den internationalen Drogenhandel. Durch einschränkende Tatbestandsmerkmale beim Auffangtatbestand des § 129 (kriminelle Vereinigung) muß sichergestellt werden, daß Meinungsäußerungen und ihre Verbreitung nicht als Werbung oder Unterstützung verfolgt werden.

Zur Klarstellung sei hinzugefügt, daß diese Einschränkung des Strafrechts auch den rechten Extremismus betrifft. Auch für diesen Extremismus gilt der Vorrang der politischen Auseinandersetzung. Alles andere wäre nicht nur unglaubwürdig, sondern wegen der vielfältigen Übereinstimmungen zwischen linkem und rechtem Extremismus auch unpraktikabel. 3. Jugend und Gewalt — neue Herausforderung an den Rechtsstaat Der Terrorismus ist nur eine und nicht die praktisch wichtigste Form des „Aussteigens", der bewußten Abwendung von der Gesellschaft. Das Aussteigen in Subkulturen der Hausbesetzer und andere Alternativszenen mit allenfalls begrenzter Gewaltanwendung, aber doch negativer Einstellung gegenüber dem Staat (und „klammheimlicher Freude" über seine Niederlagen), die Flucht in die Drogensubkultur oder in die Jugendsekten mit völliger Gleichgültigkeit gegenüber dem Rest der Gesellschaft sind andere, weiter verbreitete Formen. Beachtliche Minderheiten, mit einem großen Potential an Kreativität, sind nicht mehr bereit, sich für den Staat zu engagieren. Das ist ein Schwächezeichen, dessen Ursachen erforscht und bekämpft werden müssen. Ein demokratischer Staat braucht das Vertrauen und das Engagement seiner Bürger. Seine Stärke liegt nicht in der Zahl der Verbote und Strafbestimmungen. Der demokratische Rechtsstaat lebt nicht allein vom Vertrauen der Mehrheit. Der Rechtsstaat muß auch ein Staat der Minderheiten sein. Er mß sich bemühen, auch Randgruppen zu integrieren. Der Minderheit muß es möglich sein, Entscheidungen der Mehrheit zu akzeptieren. Sie muß einen Sinn darin sehen, am politischen Prozeß teilzunehmen und um Mehrheiten zu werben.

Der demokratische Staat wird gefährdet, wenn Minderheiten aus der politischen Auseinandersetzung hinausgedrängt werden, auch wenn dies mit dem Beifall der überwältigenden Mehrheit geschieht. Minderheiten haben die Aufgabe, Unzufriedenheit und Kritik gegenüber Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit der Mehrheit zur Geltung zu bringen, Ungerechtigkeiten und Unvollkommenheiten anzuprangern und Änderungen zu fordern. Verzichtet man auf die politische Auseinandersetzung mit ihnen, verschärfen sich unausgetragene Konflikte; die Neigung zur Gewalt steigt.

Während die Herausforderung des Terrorismus in den Hintergrund getreten ist, nehmen Gewalttätigkeiten und Aktionen meist Jugendlicher zu, die sich an Konflikten wie dem Bau von Kernkraftwerken und Mißständen in der Wohnungspolitik entzünden. Die Gewalt beschränkt sich auf kleinere, spontane Aktionen-, es fehlt die gezielte Herausforderung des Staates wie bei terroristischen Anschlägen. Sachschäden stehen im Vordergrund. Die Zahl der Aktionen und der daran Beteiligten führt dennoch zur Beunruhigung. Fehler, die gegenüber dem Randfeld des Terrorismus gemacht worden sind, werden wiederholt; wieder kommt es zu Überreaktionen. Die Justiz zeigt Härte: Haftverschonungen werden auch bei festem Wohnsitz nicht gewährt, Freiheitsstrafen werden auch bei nicht Vorbestraften nicht zu Bewährung ausgesetzt. Begründet wird diese Abweichung von der bei „normaler" Kriminalität üblichen Praxis mit der „Bewährung der Rechtsordnung“ und der „Sicherung der Rechtstreue der Bevölkerung". Durchsuchungsaktionen wegen des Verdachts von Bagatelldelikten werden mit einem Aufwand durchgeführt, der der Aufklärung manchen Kapitalverbrechens förderlicher wäre; manches erscheint mehr als Demonstration staatlicher Macht und weniger als geeignete und erforderliche Strafverfolgungsmaßnahme.

Durch-eine harte Bestrafung wird der in letzter Zeit so oft geforderte Rechtsfrieden nicht hergestellt. Gewalt ist die Folge der Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, der fehlenden Bereit-B schäft, auf die Probleme der Jugend einzugehen, ihre andersartigen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Mit Gewalt lassen sich diese nur in einer Diktatur unterdrücken. Rechtsfrieden kehrt nur dann ein, wenn Gewalt nicht der Regelfall der Rechtsdurchsetzung wird — auch nicht staatliche Gewalt — und wenn auch die Interessen von Minderheiten berücksichtigt werden.

Gegenüber den Forderungen nach einem Rechtsfrieden, die sich auf die Erhaltung der äußeren Ruhe und die Einhaltung des geltenden (oft reformbedürftigen) Rechts beschränken, muß die Verknüpfung des Rechtsstaates mit der Bereitschaft zur Reform, zur öffentlichen Austragung und rationalen Lösung von Konflikten und mit dem Vorrang der politischen Auseinandersetzung vor dem Strafrecht betont werden. Diese Einsicht scheint in allen Parteien zu gewinnen, zumindest bei denjenigen, die sich um das Gespräch mit der Jugend bemühen.

IV. Fortführung der Reform — Schwerpunkte künftiger Rechtspolitik

Die Abwehr des Terrorismus und die Auseinandersetzung um die entsprechende Gesetzgebung führten zeitweise zu einem Erlahmen der Reformpolitik. Ein Bedürfnis nach Reformen bestand und besteht allerdings nach wie vor; oben wurde gezeigt, daß kaum eine Reform „zu weit“ ging, aber vieles unvollkommen und unvollständig reformiert wurde.

Die Rechtspolitik ist gerade in einer Zeit sparsamer Haushaltsführung ein Feld, auf dem sich Reformfähigkeit und Veränderungsbereitschaft erweisen können und müssen. Starres Festhalten an alten Lösungen fördert die Tendenz zur Resignation und zum „Aussteigen"; ist die Politik unfähig, als ungerecht empfundene Zustände zu ändern, steigt — wie das Beispiel der Hausbesetzungen zeigt — die Bereitschaft zur Gewalt. Der Zwang zum Sparen ist kein Alibi für das Unterlassen rechtspolitischer Reformen. Schon die Reformen der Vergangenheit konnten zum größten Teil ohne zusätzliche Kosten durchgeführt werden. Verschwendung und Zweckentfremdung sind anders als bei anderen Leistungen nicht bekanntgeworden. Von den neuen Reformvorhaben führen einige sogar zu Ersparnissen (wie die Einschränkung von Strafbestimmungen und der Vollstrekkung der Freiheitsstrafe), andere (die Verbesserung des Datenschutzes, der Rechtsstellung der Ausländer, der Gleichberechtigung) erfordern kaum zusätzliche Ausgaben. Bei der Fort-entwicklung des Strafvollzuges und der Verwirklichung des Grundsatzes „Therapie statt Strafe" müssen langfristige Ersparnisse mittelfristigen Ausgaben gegenübergestellt werden. Die Reform des Strafrechts ist eine Daueraufgabe. Sie muß sich immer noch auf die dringendsten Änderungen konzentrieren. Die Ab-

Schaffung des § 175 StGB wurde bereits erwähnt. Verbessert werden muß der Rechtsschutz gegen Körperverletzungen und Beleidigungen. Den Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts, der Zeit des Entstehens entsprechend, schützt das StGB Eigentum und Vermögen besser als Ehre und körperliche Unversehrtheit. Während jeder Ladendiebstahl von Amts wegen verfolgt werden muß (d. h.: Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln und vertreten die Anklage vor Gericht), wird der von einer Körperverletzung oder Beleidigung Betroffene, auch wenn er sich wegen seiner körperlichen oder sozialen Unterlegenheit nicht wehren konnte, auf den Weg der Privat-klage verwiesen; die Staatsanwaltschaft betreibt das Verfahren nur bei Vorliegen eines besonderen „öffentlichen Interesses". Praktisch bedeutet das die Verweigerung des Rechtsschutzes: Den meisten Verletzten fehlen Gewandtheit und Mittel für das Privatklageverfahren; überdies ist dieses so ausgestaltet, daß es kaum je zu einer Verurteilung kommt.

Mehr geschützt werden muß der Bürger gegen rechtsstaatlich fragwürdige Formen der Betriebs-und Warenhausjustiz. Weder darf ganz auf staatliche Sanktionen verzichtet werden — dies führt zum Ausbau der Selbstjustiz der Geschädigten — noch darf die Strafe schädlicher sein als das Vergehen. Zu entwickeln sind dem Bagatellcharakter angemessene Sanktionen.

Im Strafverfahrensrecht, dessen Reform bisher über Anfänge nicht hinausgekommen ist, muß die Diskussion wieder aufgenommen werden. Schwerpunkte müssen die Stärkung der Verteidigung (auch durch Überprüfung der Einschränkungen der Antiterrorismus-Gesetzgebung) und die Verbesserung des bisher lükB kenhaften Rechtsschutzes gegenüber strafprozessualen Grundrechtseingriffen (Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen usw.) sein; die oft einzig mögliche nachträgliche Kontrolle muß im selben Umfang zulässig sein wie bei verwaltungsrechtlichen Eingriffen. Zu diskutieren sind auch die Vorschläge des Alternativentwurfs für ein nichtöffentliches Verfahren bei geständigen Beschuldigten und der Plan der Einführung eines „Schuldinterlokuts", der Zweiteilung der Hauptverhandlung im Interesse der Unschuldsvermutung. Ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz muß die mangelhafte bisherige Ausgestaltung der Untersuchungshaft (durch einen meist fiktiven Verweis auf die Untersuchungshaftvollzugsordnung, eine Verwaltungsvorschrift) ablösen.

Die Reform des Strafvollzuges durch Verbesserung der Behandlung und Betreuung im Vollzug und die Entwicklung von Alternativen zum Strafvollzug bedingen einander: Je weniger Freiheitsstrafen vollstreckt werden, um so besser kann der verbleibende Rest betreut werden, auch ohne daß zusätzliche Mittel für den Strafvollzug bereitgestellt werden. Schon lange überfällig ist die Erweiterung der Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung (bisher ist sie in der Regel selbst bei guter Prognose nur bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr zulässig) und der Aussetzung der Strafvollstreckung (vorzeitige Entlassung, bisher auch bei guter Prognose nicht vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zugelassen). Anwendungsbereich und Wirksamkeit der Strafaussetzung können dadurch erweitert und verbessert werden, daß sie mit zusätzlichen Behandlungs-und Sanktionsmaßnahmen außerhalb des Vollzuges verbunden werden. Therapieformen außerhalb des Vollzuges sind zu nutzen, um den Ursachen der Straffälligkeit entgegenzuwirken. Im Bereich der Drogenkriminalität sind erste, noch unvollkommene Schritte zu einer Verwirklichung des Prinzips „Therapie statt Strafe" unternommen worden. Ähnliche Therapieformen müssen auch für Alkoholabhängige entwickelt werden. Manche Freiheitsstrafe könnte vermieden werden, wenn die Leistung gemeinnütziger Arbeit als Sanktion auch bei Erwachsenen möglich wäre.

Um die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern, muß ein Anti-Diskriminierungsgesetz geschaffen werden, das im Arbeitsbereich die Lücken schließt, die das EG-Anpassungsgesetz mit seinem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot noch gelassen hat, und das sich auch auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erstreckt. Kernstück sollte nach angelsächsischem Vorbild eine Kommission sein, die die Einhaltung der Diskriminierungsverbote überwacht, den Benachteiligten bei der Durchsetzung ihrer Rechte Hilfe leistet und die öffentliche Diskussion über die Gleichberechtigung anregt.

Die Fortentwicklung des Datenschutzes wurde oben bereits gestreift. Vordringlich ist eine gesetzliche Regelung der Amtshilfe zwischen den Polizeibehörden und den Nachrichtendiensten. Um das Unbehagen an der Verwaltung abzubauen, sollte nach dem Vorbild der Regelungen in Schweden und den USA das Recht des Bürgers auf Information und Akteneinsicht, seine eigene Person betreffend, erweitert werden.

Im Ausländerrecht muß der Rechtsstatus der Ausländer, die längerfristig im Bundesgebiet bleiben wollen, stufenweise verfestigt werden; im Interesse der Eingliederung ist der Erwerb der Staatsangehörigkeit mit Rechten und Pflichten zu erleichtern. Um die Ausländer stärker in die politische Willensbildung einzubeziehen und zugleich eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen zu erreichen, sollte für sie das kommunale Wahlrecht eingeführt werden.

Die Rechtspolitik steht zur Zeit im Schatten der Auseinandersetzungen um die Erhaltung des Friedens und die Sicherung der Arbeitsplätze. Sie hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Die Reformpolitik hat im Bereich des Rechtsstaates ihre beachtlichsten Leistungen erbracht. Daran muß angeknüpft werden, um einen neuen Reformstau zu vermeiden. Aus den Herausforderungen des Rechtsstaates müssen Lehren gezogen werden. Der Rechtsstaat ist kein Besitz. Er muß immer wieder aufs neue erworben werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In: Noch eine Chance für die Liberalen, 1977, S. 13.

  2. Vgl. Vogel, ZRP 1976, S. 214, und Erhard, ZRP 1980, S. 25.

  3. Fünftes Gesetz des Strafrechts, BGBl. I, 1974, S. 1297

  4. 15. Strafrechtsänderungsgesetz, BGBl. I, 1976, S. 1213.

  5. BGBI. I, 1976, S. 2034.

  6. BGBl. I, 1976, S. 2181 und 1978 I, S. 497.

  7. BGBl. I, 1975, S. 1973.

  8. BGBl. I, 1976, S. 581.

  9. Erstes Gesetz zur Reform des Ehe und Familien-rechts, BGBl. I, 1976, S. 1421.

  10. BGBl. I, 1980, S. 1503.

  11. BGB 1. I, 1974, S. 1713.

  12. BGBl. I, 1977, S. 201.

  13. BGB 1. I, S. 373.

  14. BGBl. I, 1980, S. 677.

  15. BGBl. I, 1980, S. 689.

  16. BGBl. I, 1981, S. 553.

  17. § 5b des Deutschen Richtergesetzes (BGBl. I. 1971, S. 1557).

  18. BVerfGE 39, 334.

  19. BVerfGE 39. 334, 346 ff.

  20. BVerfGE 39. 334, 355.

  21. Hans-Dietrich Genscher am 6. 11. 1977 auf dem Parteitag der FDP in Kiel.

Weitere Inhalte

Hans Hege, Dr. jur., geb. 1946; Studium der Rechtswissenschaft in Tübingen und Berlin; 1976— 1977 Assistent im Abgeordnetenhaus von Berlin, danach beim Senator für Justiz in Berlin u. a. mit aktuellen rechtspolitischen Fragestellungen befaßt. Veröffentlichungen: Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Sozialstaat, 1977; Aufsätze zum Melderecht (1978) und zur Reform des Betäubungsmittelrechts (1981).