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Was heißt hier eigentlich kommunistische Unterwanderung? Ein Beitrag über selektive Wahrnehmungen und objektive Tatbestände an der Universität Oldenburg | APuZ 6/1982 | bpb.de

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APuZ 6/1982 Artikel 1 Arbeitsplatz Hochschule: Frauen in Forschung und Lehre Was heißt hier eigentlich kommunistische Unterwanderung? Ein Beitrag über selektive Wahrnehmungen und objektive Tatbestände an der Universität Oldenburg Rauch — aber kein Feuer? Zu kommunistischen Einflußstrategien an der Universität Oldenburg. Eine Antwort auf den Beitrag von Horst Zilleßen

Was heißt hier eigentlich kommunistische Unterwanderung? Ein Beitrag über selektive Wahrnehmungen und objektive Tatbestände an der Universität Oldenburg

Horst Zilleßen

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der Auseinandersetzung mit der These von Vilmar/Rudzio, die Universität Oldenburg sei aufgrund der politischen Apathie ihrer Mitglieder kommunistisch unterwandert worden (vgl. Beilage B 46/81), wird diese These als unhaltbar zurückgewiesen. Die Autoren gehen zum einen von falschen theoretischen Voraussetzungen aus, indem sie den Maßstab der politischen Apathie ungeprüft auf den Hochschulbereich anwenden. Sie übergehen zum anderen völlig die tatsächliche und anhand der Ergebnisse der in zweijährigem Rhythmus stattfindenden Gremienwahlen auch nachprüfbare politische Entwicklung der Universität Oldenburg. Diese Entwicklung zeigt in zweifacher Hinsicht das Gegenteil dessen, was Vilmar/Rudzio zu diagnostizieren versuchten: sie ist statt durch politische Apathie durch ein hohes Maß an politischer Beteiligung gekennzeichnet, und sie belegt daher zugleich, daß kommunistische Einflußversuche auf politischem Wege erfolgreich abgewehrt werden können.

I. Kommunistische Unterwanderung: ein deutsches Problem

Dieser Beitrag setzt sich mit den Ausführungen von Fritz Vilmar und Wolfgang Rudzio über „Politische Apathie und Kaderpolitik" auseinander (vgl. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/81, S. 13 ff.). Um die Darlegungen auf die Grundthesen der Autoren zu konzentrieren, werden die falschen oder polemisch verzerrten Deutungen einzelner Fakten oder des Verhaltens einzelner Personen nur in begrenztem Umfang aufgegriffen.

Wer heute in der Bundesrepublik das Thema „kommunistische Unterwanderung" behandelt und dabei auch noch den Anschein erweckt, sich auf empirische Untersuchungen berufen zu können, wird sich einer ungewöhnlichen öffentlichen Aufmerksamkeit erfreuen können. Was in anderen westeuropäischen Demokratien mit eher nachlässigem Interesse zur Kenntnis genommen würde, kann in unserem Land — so die Redaktion der Beilage — „Grundlage für eine wünschenswerte und notwendige, auch kontroverse Auseinandersetzung sein

Selbst wenn dafür im allgemeinen wie auch im vorliegenden besonderen Fall bestimmte Gründe angeführt werden können, sollte doch sowohl unter politischen wie unter politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten das Außergewöhnliche dieses Vorgangs nicht unerwähnt bleiben. Es kann in der politischen Bewertung zu einer Relativierung der Aufgeregtheit führen, die mit diesem Thema üblicherweise verbunden ist; es lenkt in der politikwissenschaftlichen Betrachtung das Augenmerk auf das methodische Vorgehen sowie auf die Stringenz der Schlußfolgerungen, mit welchen eine kommunistische Unterwanderung im aktuellen Fall zu belegen versucht wird.

Daß das Thema „kommunistische Unterwanderung" überhaupt in diesem außergewöhnli-eben Maße Gegenstand nicht nur von politischen, sondern auch von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu werden vermag, dafür gibt es mehrere, für die deutsche Situation spezifische Gründe. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit oder auch auf eine vergleichende Gewichtung bei der Nennung solcher Gründe erheben zu wollen, kann zunächst darauf verwiesen werden, daß die Furcht vor einer kommunistischen Unterwanderung in Deutschland bereits eine Tradition besitzt. Diese Furcht hat ihren Grund in einer Besonderheit unserer politischen Kultur, die weder in der Weimarer Republik noch offenbar in der Bundesrepublik sich soweit entwickelt hat, daß die Abwehr von offenkundigen oder vermuteten Gegnern der Demokratie auf dem Wege der politischen Auseinandersetzung als gewährleistet erschien. Der Wirksamkeit rechtlicher oder bürokratischer Abwehrmechanismen wurde und wird weithin mehr Vertrauen entgegengebracht als der Stabilität und den „Selbstheilungskräften" einer demokratischen Ordnung.

Angesichts der bekannten Geburtsfehler der Weimarer Demokratie erscheint eine solche Einstellung im nachhinein zumindest verständlich. Für die demokratische Ordnung der Bundesrepublik ist sie aber im Grunde nicht nachvollziehbar: Einerseits hat der Verfassungsgeber sich bewußt für eine „streitbare Demokratie" entschieden, indem er in Artikel 79 GG absolute Werte der Staatsgestaltung festgestellt und besondere Verfahren zur Abwehr von Angriffen auf die verfassungsmäßige Ordnung vorgesehen hat. Andererseits hat die bisherige Entwicklung der Bundesrepublik deutlich gezeigt, daß diese — auch im internationalen Vergleich — ein Maß an demokratischer Stabilität erreicht hat, das eine ängstliche administrative Fürsorge bei der politischen Abwehr ihrer inneren Gegner als überflüssig erscheinen läßt. In gewissem Maße erklärbar ist die aktuelle Furcht vor einer kommunistischen Unterwanderung nur im Zusammenhang der Teilung Deutschlands und der Errichtung eines kommunistischen Herrschaftssystems auf deutschem Boden. Die besondere Lage von Bundesrepublik und DDR gleichsam als die empfindlichste Nahtstelle zweier weltpolitischer Blöcke läßt für viele eine besondere Vorsicht angebracht erscheinen, weil sich nach ihrer Überzeugung über die besonderen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten kommunistische Einflußstrategien in der Bundesrepublik leichter und „unauffälliger" geltend machen können als in anderen Staaten. Auch diejenigen unter ihnen, die die DKP nicht schlicht als „bundesrepublikanischen Wurmfortsatz“ der SED ansehen halten es daher für unabweisbar notwendig, der besonderen Situation der Bundesrepublik in bezug auf die Möglichkeiten kommunistischer Unterwanderung durch besondere Maßnahmen Rechnung zu tragen.

Damit tritt ein weiterer Grund für die politische und wissenschaftliche Diskussion der Unterwanderungsproblematik in das Blickfeld. Sie steht nämlich in unmittelbarem Zusammenhang mit jenen besonderen Maßnahmen, die die Regierungschefs der Länder und der Bundeskanzler am 28. Januar 1972 vereinbarten, um Extremisten aus dem öffentlichen Dienst fernhalten zu können Die Unterwanderungsdiskussion ist Teil einer breiten politischen Auseinandersetzung über den Extremistenbeschluß, und sie erhält von dorther ihren besonderen Akzent in der deutschen Politik.

Auch dieser Zusammenhang stellt eine besondere deutsche Variante der Diskussion um den Einfluß des Kommunismus in den westlichen Demokratien dar, was für manchen politischen Beobachter die Bedeutung der hier gestellten Thematik weiter relativieren mag. Aber der Extremistenbeschluß, der einerseits wohl ein konsequentes Produkt der politischen Kultur in der Bundesrepublik darstellt, hat andererseits so nachhaltige Auswirkungen auf eben diese Kultur daß die Auseinandersetzung um die ihm zugrunde liegende Furcht vor einer kommunistischen Unterwanderung nicht nur als eine Merkwürdigkeit der deutschen Politik abgetan werden kann. Sie muß vielmehr auch und gerade dort ernst genommen werden, wo sie die Gestalt wissenschaftlich fundierter Analyse angenommen hat.

II. Politische Apathie: ein ungeprüfter Maßstab

Angesichts der schwerwiegenden Folgen solcher Analyse einerseits für das politische Klima in der Bundesrepublik insgesamt, aber auch für die jeweils untersuchte Institution, die als kommunistisch unterwandert öffentlich gebrandmarkt wird, muß die Analyse einer Überprüfung des methodischen Vorgehens wie der zugrunde gelegten Fakten zweifelsfrei standhalten können, wenn sie als wissenschaftlich seriös anerkannt werden will. Notwendige Voraussetzung für eine derartige Überprüfung ist zumindest ein bestimmtes Maß an Detail-und Faktenkenntnis, das durch eigene Erfahrung in der jeweiligen Institution und/oder durch gründliche Recherchen in derselben erworben worden ist. Eine entsprechende Kompetenz kann hier nur für eine der von Vilmar und Rudzio untersuchten Institutionen beansprucht werden. Daher beschränkt sich die nachfolgende Auseinandersetzung mit den Ausführungen über „Politische Apathie und Kaderpolitik" auf die Darstellung kommunistischer Einflußstrategien am Beispiel der Universität Oldenburg.

Diese Darstellung läßt sich in ihrem Kern so zusammenfassen: Aufgrund der politischen Apathie der überwiegenden Mehrheit der Universitätsmitglieder hat eine kleine DKP-orientierte Gruppe von politisch und sozial Aktiven die verschiedenen Statusgruppen unterwandert und auf diese Weise dominierenden Einfluß in den universitären Entscheidungsinstanzen, d. h. in den Selbstverwaltungsgremien, erlangt.

Was zunächst die Grundfrage der politischen Apathie angeht, so muß es als ein Mangel der von Vilmar und Rudzio vorgelegten Analyse angesehen werden, daß diese die breite Diskussion über politische Apathie im staatlichen Bereich an keiner Stelle aufgenommen und die in diesem Zusammenhang erörterten Fragestellungen auf den gesellschaftlichen Teilbereich Hochschule übertragen hat Aufgrund dieser Unterlassung entfällt nämlich für die Autoren die Frage, was im Hochschulbereich politische Apathie konkret bedeutet und wie sie sich im universitären Entscheidungsprozeß tatsächlich auswirkt. (Der Verdacht, daß eine ungeklärte theoretische Basis zu fragwürdigen, wenn nicht falschen Schlußfolgerungen führt, liegt dabei nahe.)

In der politikwissenschaftlichen Diskussion ist dann von politischer Apathie die Rede, wenn der Bürger in einer Demokratie über den mehr formalen Akt der Wahl hinaus keine der vorhandenen Beteiligungsformen wahrnimmt, um auf politische Entscheidungen inhaltlich und im Sinne von Selbstbestimmung Einfluß zu nehmen Politische Aktivität wird demgegenüber dadurch definiert, daß der Bürger mit Absicht und Bewußtsein auf den politischen Willensbildungsprozeß einzuwirken versucht, um an der Entscheidung über die Prioritäten und die Verwirklichung bestimmter Ziel-und Ordnungsvorstellungen teilzunehmen

Für den staatlichen Bereich wird sicher zu Recht die Beschränkung politischer Aktivität auf den Wahlakt als Ausdruck politischer Apathie gewertet. Denn über den Wahlakt kann unter den gegebenen Bedingungen eine inhaltliche Beeinflussung der politischen Willensbildung oder gar eine Beteiligung an konkreten politischen Entscheidungen nicht erreicht werden. Zwar soll sich der Einfluß des Bürgers nach dem geltenden Demokratieverständnis über die Mandatsträger geltend machen. Aber der „Entmachtungsprozeß", dem Abgeordnete und Parlamente unterliegen, ist zu oft beschrieben worden — nicht zuletzt durch eine Enquete-Kommission des Bundestages —, als daß es hier noch einer Begründung für die Widerlegung der demokratischen Theorie durch die politische Wirklichkeit bedürfe. Zwar bleiben die einzelnen Politiker von der Zustimmung der Wähler abhängig. Der damit gegebene Einfluß des Wählers kann aber inhaltlich nicht oder kaum wirksam werden, denn die dominierende Rolle der Exekutive und des Staatsapparates begrenzt den politischen Stellenwert der Wahl, da deren Ausgang wesentliche Machtpositionen überhaupt nicht berührt und schon gar nicht konkrete Entscheidungen nennenswert beeinflußt. Die Mediatisierung des politischen Prozesses durch das Zusammenspiel von Parteien, Verwaltung und Verbänden nimmt dem Wahlakt einen Großteil seiner politischen Substanz. Diese Mediatisierung des politischen Prozesses hat im Bereich der Hochschulen nicht oder nur in vernachlässigbar geringem Umfang stattgefunden. Zwar ist der Bedeutungsverlust der Selbstverwaltungsgremien und damit auch der Einflußverlust der Vertreter der (hochschul-) politischen Gruppen mindestens so groß wie im politischen Bereich, weil der „bürokratische Imperialismus“ von der viel-beschworenen Hochschulautonomie nur kümmerliche Reste übriggelassen hat Soweit aber die Hochschulen politisch handlungsfähig geblieben sind, gelten für ihren Bereich bei dem Problem der politischen Apathie andere Kriterien als im Bereich des Staates. Diese Feststellung läßt sich mit der Tatsache begründen, daß aufgrund der Überschaubarkeit des Politikbereiches einer Hochschule ein Maß an Rückkoppelung zwischen Wählern und Gewählten stattfinden kann, daß hier — anders als durch die Repräsentation im parlamentarischen System — den Repräsentierten noch Beteiligung im Sinne inhaltlicher Einflußnahme auf die politische Willensbildung oder die Entscheidung selbst möglich ist.

Zur Verdeutlichung soll hier kurz dargestellt werden, wie die Vertretung der Statusgruppen in den wichtigsten Selbstverwaltungsgremien der Universität Oldenburg aussieht.

Im Sommersemester 1981 war die Gruppe der insgesamt 189 Professoren entsprechend den im Niedersächsischen Hochschulgesetz (NHG) festgelegten Paritäten durch 49 Mitglieder im Konzil, dem höchsten Entscheidungsgremium in Grundsatzangelegenheiten, vertreten. Die 210 wissenschaftlichen Mitarbeiter entsandten ebenso wie die 469 Mitarbeiter im nichtwissenschaftlichen Dienst sowie die 5 685 Studenten je 14 Vertreter in das Konzil. Aufgrund der Zuständigkeitsregelungen nach dem NHG und der Tatsache, daß das Konzil in der Regel nur einmal im Semester zusammentritt, fallen die für die Entwicklung der Universität wesentlichen Entscheidungen im Senat sowie in den vier Fachbereichsräten. Alle fünf Gremien sind jeweils mit sieben Vertretern der Professoren und mit je zwei Vertretern der Wissenschaftlichen Mitarbeiter, der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter und der Studenten besetzt

Angesichts der hier geschilderten Größenordnungen dürfte einleuchten, daß den gewählten Repräsentanten der Statusgruppen eine unmittelbare Interessenvertretung in den Selbstverwaltungsgremien möglich ist. (Dies gilt nicht in gleichem Maße für die Gruppe der Studenten; auf die in diesem Zusammenhang gestellten Fragen wird weiter unten einzugehen sein.) In regelmäßigen Zusammenkünften im Kreis der hochschulpolitischen Gruppierungen findet darüber hinaus eine intensive direkte Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten statt, abgesehen von zahllosen informellen Kontakten zwischen ihnen.

Die Beteiligung an den Wahlen zu den Selbstverwaltungsgremien der Universität ist daher — anders als im staatlichen Bereich — ein durchaus verläßlicher Indikator für den Grad an politischer Apathie, weil die Wahl hier unmittelbar Einfluß auf hochschulpolitische Zielsetzungen und Entwicklungen gewährt. Zum anderen kann aus einer Wahlbeteiligung hier auch geschlossen werden, ob über den Wahlakt hinaus der direkte Einfluß des Repräsentierten auf den Repräsentanten gesucht wird. Die Beteiligungsforschung hat nachgewiesen, daß in der Bundesrepublik die einer regelmäßig hohen Wahlbeteiligung entgegenstehende politische Apathie vor allem strukturelle Ursachen hat. Wo — wie im universitären Bereich — die eigene Betroffenheit durch bestimmte Entscheidungen sowie die Möglichkeit der Beeinflussung derselben wahrgenommen werden kann, dort werden außer der Wahl in größerem Umfang auch andere Beteiligungsformen in Anspruch genommen

III. Zur politischen Entwicklung der Universität Oldenburg: die Fakten

Legt man nun die auf die besondere Situation einer Hochschule bezogenen Maßstäbe für politische Apathie auf die Universität Oldenburg an und überprüft dann die von Vilmar und Rudzio aufgestellte These der kommunistischen Unterwanderung der Universität aufgrund der politischen Apathie ihrer Mitglieder, so gelangt man zu völlig anderen Schlußfolgerungen: Politische Apathie ist — außer in der Studentenschaft — nicht nachweisbar und eine kommunistische Unterwanderung im unterstellten Sinne hat nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Der politische Einfluß der von Vilmar und Rudzio mit einer sowjetkommunistisehen Orientierung identifizierten Gruppen ist nachhaltig und nachweisbar zurückgegangen. Der Begriff „kommunistische Unterwanderung“ wird hier so übernommen, wie ihn Vil-mar/Rudzio Verwenden. Daß er eine fragwürdige Strategie zur Abwehr kommunistischen Einflusses . einschließt, bleibt dabei außer Betracht, ebenso die Tatsache, daß die Darstellung der „kommunistischen Unterwanderung“ der Universität Oldenburg anhand der Aktivitäten des „antimonopolistischen Bündnisses" von MSB (Marxistischer Bund Spartakus), SHB (Sozialistischer Hochschulbund), BdWi (Bund demokratischer Wissenschaftler) und DKP-Hochschulgruppe der eigenen Begriffsbestimmung der Autoren widerspricht. Denn wenn „kommunistische Unterwanderung" dadurch definiert sein soll, daß eine von außen gesteuerte Minorität,“ ohne ihre politische Identität offenzulegen, nur mit Hilfe dieses Unerkanntbleibens Machtpositionen erobert", dann kann dieser Begriff auf die belegten Aktivitäten von als kommunistisch identifizierten Gruppen eigentlich nicht angewendet werden

Bevor dies im folgenden belegt wird, muß an dieser Stelle, an welcher die Entwicklung der Universität Oldenburg angesprochen worden ist, ein entscheidender Einwand gegen die Methode der beiden Autoren vorgebracht werden. Sie stützen ihre Aussagen zum überwiegenden Teil auf Belege aus den Jahren 1972— 1979; insgesamt 38 von 58 die Universität direkt betreffenden Zitate bzw. Nachweise stammen aus dieser Zeit. Diese Methode, mit Vorfällen und Daten der Vergangenheit die Gegenwart zutreffend beschreiben zu wollen, hat noch nie zu stichhaltigen Ergebnissen geführt. Sie ist bei einer Universität mit der bekannt hohen Fluktuation im Personalbereich besonders fragwürdig — und erst recht bei einer Neugründung wie die der Universität Oldenburg. Hier kommt zu der üblichen Fluktuation, die allein das Bild einer Universität nicht unwesentlich zu verändern vermag, eine erhebliche Ausweitung des Stellenplans hinzu. So ist z. B. allein die Anzahl der wissenschaftlichen Stellen an der Universität Oldenburg in den Jahren 1974 bis 1981 von 272 auf 399 gestiegen, bezogen auf die Ausgangsbasis im Jahr 1974 also um fast 50 Prozent Eine Analyse, die ernst genommen werden soll, kann derartige Veränderungen in einem entscheidenden Untersuchungsbereich nicht schlicht ignorieren

Aus diesem grundsätzlichen Einwand sollte nun freilich nicht geschlossen werden, daß das von den beiden Autoren gemalte Bild der Universität Oldenburg in früheren Jahren zutreffend gewesen wäre. Ihre grundlegende Voraussetzung der politischen Apathie läßt sich für den in den Selbstverwaltungsgremien am besten repräsentierten und daher auch hochschulpolitisch entscheidenden Bereich der Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern zu keiner Zeit nachweisen. Seit die Universität im Sommersemester 1974 ihren Lehrbetrieb aufgenommen hat, haben im Zwei-Jahres-Rhythmus vier Wahlen zu den zentralen Gremien der Universität stattgefunden. Die Wahlbeteiligung der Professoren schwankte dabei zwischen 94, 4% im Jahr 1975 als niedrigstem und 97, 4% im Jahre 1977 als höchstem Wert; die wissenschaftlichen Mitarbeiter verzeichneten die geringste Wahlbeteiligung mit 77, 4% im Jahr 1979 und die größte mit 87, 3% im Jahr 1975. Bei diesem Maß an politischer Beteiligung konnte eine kommunistische Unterwanderung aufgrund politischer Apathie nicht stattfinden, und die beiden Autoren ver-meiden es denn auch, anhand der vorliegenden Ergebnisse der Wahlen zu den entscheidenden Gremien der Universität (Konzil und Senat) oder aber anhand der konkreten Berufungspolitik dieser Gremien die realen politischen Gewichtsverhältnisse zu beschreiben. Die Wahlergebnisse zeigen sowohl bei der Gruppe der Professoren wie bei der der wissenschaftlichen Mitarbeiter, daß der Stimmen-anteil des sogenannten „antimonopolistischen Bündnisses" seit 1975 kontinuierlich zurückgegangen ist. Bei der Gruppe der Hochschullehrer erzielte der Bund demokratischer Wissenschaftler (BdWi) im Jahr 1975 17, 6% der abgegebenen Stimmen. Er wird von Vilmar/Rudzio ohne Einschränkung dem sowjet-kommunistischen Block zugerechnet, obwohl dies für das Jahr 1975, d. h. vor der auch von Vilmar/Rudzio erwähnten Spaltung, eindeutig falsch ist und auch für die Gegenwart sicher nur mit großen Einschränkungen stimmt. Im Jahr 1977 erreichte der BdWi 13, 0% der Hochschullehrerstimmen, 1979 waren es 8, 4% und 1981 nur noch 5, 6%. Die gleiche Entwicklung vollzog sich im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter, wo der Stimmenanteil des BdWi von 32, 3% im Jahr 1975 über 26, 2% im Jahr 1977 und 23, 3% im Jahr 1979 auf 15, 7% im Jahr 1981 zurückgegangen ist. Es muß hinzugefügt werden, daß ein Hochschullehrer oder wissenschaftlicher Mitarbeiter, der Mitglied der DKP ist oder ihr politisch nahesteht, ab 1977 sicher BdWi gewählt hat. Aber ebenso sicher ist, daß nicht jeder, der den BdWi gewählt hat, deshalb als DKP-orientiert anzusehen oder dem „antimonopolistischen Bündnis“ zuzurechnen ist, wie die allzu stark vereinfachende Beweisführung der beiden Autoren glauben machen möchte. • Den Rückgang der BdWi-Stimmen führen auch die Autoren an, aber sie lassen sich in ihrer politischen Analyse dadurch nicht beeindrucken. Sie erwähnen auch nicht, daß bei den Hochschullehrern die politisch offene Gruppierung „Demokratische Hochschule“, der Rudzio selbst angehört, in allen Wahlen beachtliche Wahlerfolge erzielen konnte. Sie erhielt im Jahr 1975 58% der Hochschullehrer-Stimmen, wobei dieses Wahlergebnis im Vergleich zu den folgenden als ein Sonderfall gelten muß, da sie in dem von ihr abgedeckten hochschulpolitischen Spektrum ohne Konkurrenz antrat. Im Jahr 1977 nahm der als sozialdemokratisch einzustufende „Hochschulpolitische Arbeitskreis Oldenburg" der Gruppe „Demokratische Hochschule", die 47% der Stim-men auf sich vereinigte, 11 Prozentpunkte ab und erreichte 14% der Stimmen; doch schon bei der nächsten Wahl im Jahr 1979 erlangte , die „Demokratische Hochschule" mit 52, 45% wieder die absolute Mehrheit der Hochschullehrerstimmen, die sie im Jahr 1981 auf 55, 5% ausbauen konnte. Auch der Hochschulpolitische Arbeitskreis, nun umbenannt in „Arbeitskreis Hochschulpolitik" (AKH), verzeichnete wachsende Stimmenanteile — nämlich 15, 4% im Jahr 1979 und 17, 3% im Jahr 1981

Bei der Statusgruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter ist der Einfluß des BdWi sicher größer als unter den Hochschullehrern. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß der BdWi sich gezielt für die Interessen dieser Statusgruppe engagiert und zudem die politische Gruppierung „Demokratische Hochschule"

bewußt darauf verzichtet hat, eine politische Vertretung der wissenschaftlichen Mitarbeiter aufzubauen. Aber auch hier zeigt nicht nur die Tatsache, daß der Stimmenanteil des BdWi sich von 1975 bis 1981 mehr als halbiert hat, die Unhaltbarkeit der Unterwanderungsthese.

Auf der einen Seite haben nach der Spaltung des BdWi die beiden als insgesamt sozialliberal einzustufenden Gruppierungen AKH und „Liste Büttemeyer" zusammengerechnet jeweils 44, 8% (1977), 44, 03% (1979) und 37, 4% (1981) der Stimmen der wissenschaftlichen Mitarbeiter erreicht. Auf der anderen Seite kann auch der Wahlerfolg der „Linken Liste“, deren Stimmenanteil von 38, 6% im Jahr 1975 über 29, 0% im Jahr 1977 und 32, 7% im Jahr 1979 auf 46, 9% im Jahr 1981 gestiegen ist, nicht als Beleg für die Argumentation der beiden Autoren dienen. Die „Linke Liste“, ein relativ lockerer Zusammenschluß von politisch links stehenden Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern, grenzt sich in ihrer Grund-position bewußt und entschieden gegenüber der DKP ab. Daß sie in Einzelfällen gelegentlich politische Argumente vertritt, denen sich auch DKP-Vertreter anschließen können, macht sie deshalb nicht dem „antimonopolistischen Bündnis" zurechenbar.

Die hier aufgezeigte politische Entwicklung in der Universität Oldenburg muß vor allem dann als Widerlegung der Unterwanderungsthese verstanden werden, wenn dabei die Ausgangsbedingungen dieser Entwicklung berücksichtigt werden. Ohne Zweifel ist die Universität seit ihrer Gründung ein bevorzugtes 16 Ziel kommunistischer Einflußversuche gewesen. Solche Versuche sind im Dienstleistungsbereich, obwohl die OTV-Betriebsgruppe sich aktiv mit kommunistischen Positionen auseinandergesetzt hat, wie vor allem im Hinblick auf die verfaßte Studentenschaft, nicht ohne Erfolg geblieben Trotz dieser Ausgangsbedingungen hat sich etwa bei den Berufungen von Hochschullehrern das „antimonopolistische Bündnis" von MSB/SHB/BdWi/DKP keineswegs durchsetzen können — und zwar nicht, weil der zuständige Minister eine gegen die Universität gerichtete Berufungspolitik betrieben hätte. Die Zahl der Fälle, bei denen man vermuten kann, daß Berufungsvorschläge der Universität aufgrund von DKP-Zugehörigkeit oder -Orientierung der Bewerber zurückgewiesen worden sind, läßt sich — bei nahezu 100 Berufungen — an einer Hand aufzählen. Dabei sind — vor allem in der Gründungsphase der Universität — durchaus auch marxistisch orientierte Wissenschaftler in Vorschlag gebracht worden, um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der marxistischen Theorie zu fördern. Jedenfalls hätte auch ohne die wenigen ministeriellen Eingriffe eine kommunistische Unterwanderung des Lehrkörpers nicht stattfinden können. Die zitierten Wahlergebnisse zeigen vielmehr, daß genau das Gegenteil der behaupteten Entwicklung eingetreten ist.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß die Autoren nur ein einziges Mal einen Beschluß des Senats, des entscheidenden Organs der Universität, anführen Auch was das häufig zitierte Konzil anbetrifft, kann ihre Argumentation nicht überzeugen. Sie vernachlässigt im Hinblick auf die behauptete „manipulative Bewußtseinsbildung" im Zusammenhang der „Berufsverbote" und auf die zitierten Beschlüsse des Konzils aus den Jahren 1975— 1977 völlig das Maß an Kritik, das Begründung und Praxis des Extremistenbeschlusses in einer breiten Öffentlichkeit gefunden hatten. Das Konzil hat wesentliche Argumente vorgebracht, die in der politischen Diskussion z. B. auch von angesehenen Verfassungsrechtlern angeführt worden sind Aus der Wahl von bestimmten Formulierungen durch das Konzil auf dessen kommunistische Unterwanderung zu schließen, erscheint unter den dargelegten Bedingungen zumindest als abwegig.

IV. Das politische Verhalten der Studenten: politische Apathie und bewußte Verweigerung

Die These von Vilmar/Rudzio, daß an der Universität Oldenburg politische Apathie zu einer kommunistischen Unterwanderung geführt hat, kann nur für den Bereich der verfaßten Studentenschaft eine gewisse Plausibilität beanspruchen. Freilich wäre zumindest ein Hinweis auf die Vergleichbarkeit der Situation an der Universität Oldenburg mit der an anderen Hochschulen angebracht gewesen. Denn wenn eine solche Analyse nicht nur in böswilliger Absicht verfaßt wird, sondern mit dem erkenntnisleitenden Interesse, eine als negativ bewertete Entwicklung in ihren Ursachen zu ergründen, um Möglichkeiten der Gegen-Steuerung zu erkunden, dann hätte die Fragestellung auf die Tatsache der weitverbreiteten politischen Apathie unter den Studenten und auf deren Gründe ausgedehnt werden müssen. Dies kann an dieser Stelle nicht nachgeholt werden, aber es sollen doch einige erläuternde Fakten und begründende Argumente angefügt werden, die die Situation genauer charakterisieren als die von Vilmar/Rudzio vorgestellte „Flugblatt-Wirklichkeit" der Universität Oldenburg. Wenn man in dem Maße, wie Vil-mar/Rudzio dies für möglich halten, eine Situationsbeschreibung auf die Analyse von Flugblättern stützt, kann das Ergebnis nur einen Ausschnitt aus der Gesamtwirklichkeit erfassen.

Bei der Darstellung der „stolzen Wahlergebnisse" von SHB und MSB unterlassen es die Autoren, auf die Wahlbeteiligung einzugehen, die diesen Ergebnissen zugrundeliegt. Die Beteiligung der Studenten an den jährlichen Wahlen zum Studentenparlament, das den Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) wählt, ist von 50, 3% im Jahr 1974 nahezu stetig — mit einer Ausnahme im Jahr 1977 — auf 9% im Jahr 1981 zurückgegangen 21) -An den vier Wahlen zu den zentralen Gremien der Universität, in die die Studentenschaft 14 (Konzil) bzw. zwei (Senat) Vertreter entsendet, haben die Studenten in noch geringerem Umfang teilgenommen. Außer im Jahr 1977, als 27, 3% der Studenten wählten, lag die Wahlbeteiligung immer unter 17%.

Fragt man nach den Gründen für diese auffallend geringe Wahlbeteiligung im allgemeinen und für die Entwicklung an der Universität Oldenburg im besonderen, dann kann für eine generelle Erklärung auf Ergebnisse der Parti-, zipationsforschung zurückgegriffen werden. Sie hat nachgewiesen, daß das Maß an politischer Beteiligung in einer positiven Wechselbeziehung steht u. a. mit der Überschaubarkeit des jeweiligen Politikbereichs, mit der Kenntnis der entscheidungsrelevanten Personen sowie mit den tatsächlich gegebenen Einfluß-

möglichkeiten

Daher kann die geringe Wahlbeteiligung der Studenten bei den Wahlen zu den zentralen Gremien der Hochschulen nicht überraschen. Auf die Zahl der Studenten bezogen ist deren Repräsentanz in diesen Gremien im Vergleich zu der der Professoren oder wissenschaftlichen Mitarbeiter so gering, daß konkrete Einflußmöglichkeiten für den einzelnen Wähler kaum vorhanden sind — zumal auch bei den für die Studentenschaft wesentlichen Fragen der Studien-und Prüfungsordnungen die Entscheidungskompetenz der universitären Gremien durch zunehmende staatliche Eingriffe erheblich eingeschränkt worden ist.

Daß neben den subjektiven Faktoren der politischen Sozialisation die strukturellen Voraussetzungen im Hinblick auf politische Beteiligung oder politische Apathie eine entscheidende Rolle spielen, läßt sich an der Entwicklung der Universität Oldenburg gut belegen. Je mehr die Zahl ihrer Mitglieder, insbesondere der Studenten, antieg (1974: 2969 Studenten, 1981: 5685 Studenten), je weniger überschaubar sie also für den einzelnen Studenten wurde, um so geringer war in der Regel die Beteiligung an den Wahlen zum Studentenparlament Ein weiteres strukturelles Element, das den Ausstieg der Studenten aus der Hochschulpolitik förderte, stellt die Novellierung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes dar, durch welche im Jahr 1978 die Beteiligungsrechte der Studenten weiter beschnitten worden sind. Vor dem Inkrafttreten der Novelle lag die Wahlbeteiligung der Oldenburger Studenten bei fünf vorausgegangenen Wahlen zum Studentenparlament bei durchschnittlich 46%; bei den folgenden drei Wahlen erreichte sie im Durchschnitt nur noch 26, 7%.

Wenn heute auch von Politikern häufig die politische Apathie eines überwiegenden Teils der Studentenschaft beklagt wird, dann kann ihnen der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie selbst für das mitverantwortlich sind, was sie der Studentenschaft anlasten. Es kann hier nicht die Frage diskutiert werden, welche Paritäten der Statusgruppenvertretung in welchen Gremien der Hochschulen sachlich angemessen und politisch sinnvoll sind. Aber wenn von politischer Apathie der Studentenschaft die Rede ist, können die von der Beteiligungsforschung erhellten Zusammenhänge nicht außer acht gelassen werden. Sie machen verständlich, daß unter den gegebenen Bedingungen im wesentlichen nur diejenigen sich politisch engagieren, die bereits vorher eine politische Sozialisation erfahren haben, oder diejenigen, die durch das soziale und politische Umfeld, das sie in den Hochschulen antreffen, politisch motiviert werden.

Angesichts der Bedingungen, unter denen an der Universität Oldenburg z. B. im Sommersemester 1981 5685 Studenten auf knapp 3000 flächenbezogenen Studienplätzen studieren mußten, ist es kaum verwunderlich, daß „systemkritische" Gruppen wie SHB und MSB relativ großen Zulauf erhielten. Es ist sicher nicht zu widerlegen, daß SHB und MSB gezielt versuchen, Studienanfänger zu betreuen und zu beraten so wenig zu leugnen ist, daß dies nicht ohne politische Absichten geschieht. Aber was beide Gruppen im Sinn der Integration der Studienanfänger in die Universität leisten, kann nicht schlechthin als „Kaderpolitik" verdächtigt werden. Dafür ist das Problem der Anonymisierung und Vereinsamung auch an einer kleinen Hochschule zu gravierend und die Zunahme von Verunsicherung der Studenten aufgrund erheblich reduzierter Zukunftsaussichten zu signifikant — ganz abgesehen davon, daß der Hinweis auf das besondere Engagement von SHB und MSB Defizite auch im Verantwortungsbereich von Hochschullehrern anzeigt.

Für das politische Verhalten der Oldenburger Studenten ist insgesamt kennzeichnend, daß sie in ihrer Mehrheit — was auch Vilmar/Rudzio zugeben — „auf diesem Wege nicht zu erreichen (sind)" Ihre geringe Wahlbeteili-gung enthält auch ein bestimmtes Maß an politischer Verweigerung in dem Sinne, daß sie die angebotenen politischen Alternativen nicht akzeptieren. Eine solide Basis in der Studentenschaft haben SHB und MSB jedenfalls nicht, und sie können in der Regel nur dann etwas bewirken, wenn sie Interessen eines größeren Teils der Studentenschaft artikulieren. Wie unstabil ihre Position im Grunde ist, belegt die Wahl zum Studentenparlament im Jahr 1977, als in Gestalt einer Basisgruppe sowie einer Juso-Hochschulgruppe eine wirkliche Alternative zur SHB/MSB-Koalition auftrat. Die Wahlbeteiligung erreichte bei dieser Wahl entgegen dem Trend die höchste Marke der letzten acht Jahre; SHB und MSB verloren ihre Mehrheit. Eine unvoreingenommene politische Analyse kann dies nicht nur als „Betriebsunfall" in den Augen von SHB und MSB abtun Diese stellten zwar in den folgenden Jahren wieder den AStA, aber die Wahl von 1977 wie auch die gegenwärtige Entwicklung zeigen, daß auch im Bereich der Studentenschaft der Universität Oldenburg die These von einer kommunistischen Unterwanderung differenzierter gesehen werden muß, als es die beiden Autoren für nötig halten.

V. Schlußfolgerungen

Die voraufgegangene Auseinandersetzung mit den Ausführungen von Vilmar/Rudzio über die Universität Oldenburg sollte bewußt keine Gegendarstellung im presserechtlichen Sinne sein. Daher ist darauf verzichtet worden, auf alle Fehldeutungen, Unterstellungen oder Auslassungen näher einzugehen Es sollte ausschließlich die grundlegende These der kommunistischen Unterwanderung infolge politischer Apathie überprüft werden. Zwei Schlußfolgerungen können abschließend gezogen werden:

1. Die Ausführungen von Vilmar/Rudzio erwecken den Eindruck, daß eine erhebliche Voreingenommenheit über die wissenschaftliche Unbestechlichkeit gesiegt hat. Die Wirklichkeit der Universität ist vor allem anhand von Flugblättern ermittelt und dargestellt worden. Sicher sind auch sie Bestandteil der politischen Situation an der Universität — und gewiß nicht immer ein erfreulicher. Aber es kann rationalen Kriterien nicht standhalten, wenn auf diesem Hintergrund die politische Atmosphäre an der Universität Oldenburg als „Lagermentalität" gekennzeichnet wird, in welcher „die politisch-gesellschaftliche Umwelt vielfach als feindliche empfunden wird“ Ob dies in früheren Jahren einmal eine zutreffende Charakterisierung gewesen wäre, kann wohl bezweifelt werden; daß sie für die Gegenwart keinesfalls zutreffen kann, sollte die dargelegte politische Entwicklung an der Universität Oldenburg hinreichend deutlich gemacht haben.

2. Diese Entwicklung kann zum anderen als Beleg dafür gewertet werden, daß es besonderer rechtlicher oder administrativer Regelungen nicht bedarf, um einer kommunistischen Unterwanderung begegnen zu können. Obwohl die Universität Oldenburg ein bevorzugtes Objekt entsprechender Einflußversuche gewesen ist, ist ihnen aufgrund der gegebenen politischen Struktur mit wachsendem Erfolg Widerstand geleistet worden. Gerade weil entscheidende Bereiche der Universität nicht durch politische Apathie, sondern durch ein hohes politisches Engagement gekennzeichnet waren und sind, konnte der Versuch einer „Kaderpolitik" je länger je weniger gelingen. Die demokratischen Strukturen einer „Reformuniversität“ haben ein politisches Verhalten geprägt, das auf kommunistische Aktivitäten mit Gelassenheit, aber auch mit der gebotenen demokratischen Selbstsicherheit reagiert hat. Die Entwicklung an der Universität Oldenburg kann beispielhaft dafür sein, daß dann, wenn Politik und Justiz der Selbstheilungskraft der Demokratie und damit auch der politischen Kultur der Bundesrepublik neue Chancen geben, zuverlässige politische Lösungen gefunden werden in der notwendigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Fritz Vilmar/Wolfgang Rudzio, Politische Apathie und Kaderpolitik, a. a. O., S. 13, Vorwort der Redaktion.

  2. So Franz Barsig, Moskautreu und verfassungstreu?, in: Deutsche Zeitung Nr. 4 vom 19. Januar 1979, S. 3.

  3. Zu dem sogenannten Extremistenbeschluß vgl. Bulletin vom 22. September 1973, Nr. 116, S. 1149-, letzte Neufassung am 17. Januar 1979 durch das Bundeskabinett, vgl. Bulletin vom 19. Januar 1979, Nr. 6, S. 45— 47.

  4. Die negativen Auswirkungen des Extremisten-beschlusses auf das politische Klima in der Bundesrepublik betont auch — bei grundsätzlicher Zustimmung zu diesem Beschluß — eine Stellungnahme der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für öffentliche Verantwortung zur Frage der Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst Vorsitzender der Kammer war der Staatsrechtslehrer und damalige Kultusminister von Baden-Württemberg, Roman Herzog, CDU. Vgl. dazu epd-Dokumentation, Nr. 34, Frankfurt 1978, S. 2ff.

  5. Auch die in diesem Zusammenhang stets auftauchende Frage nach der Legitimation einer stärkeren politischen Beteiligung, d. h. letztlich einer Demokratisierung gesellschaftlicher Teilbereiche, wird nicht berührt. Immerhin lassen die Autoren gleichsam zwischen den Zeilen erkennen — worin ihnen hier ausdrücklich zugestimmt werden kann —, daß sie ein bestimmtes Maß an politischer Beteiligung als ein notwendiges, weil konstitutives Element einer demokratischen Entwicklung auch im gesellschaftlichen Teilbereich der Hochschulen ansehen. Diese Auffassung wird hier mit der Maßgabe befürwortet, daß im Hinblick auf die Modalitäten der Demokratisierung von Entscheidungsprozessen unterschiedlichen Funktionserfordernissen Rechnung getragen werden muß. Gerade auch in der Demokratisierungsdiskussion muß mit G. Lukacs unterschieden werden zwischen „running after protest movements" und „a general theory of society". Vgl. dazu George K. Romoser, Democratization Theories and Cultural Crisis. A Question of Priorities, vervielf. Manuskript World Congress of the International Political Science Association, Edinburgh 1976, S. 8.

  6. Die Bewertung politischer Apathie ist dabei durchaus unterschiedlich. Die stärker behavioristisch ausgerichtete amerikanische Demokratie-theorie hält gar ein bestimmtes Maß an politischer Apathie für notwendig zur Erhaltung des System-gleichgewichts sowie der Rationalität politischer Entscheidungen. Vgl. dazu Gisela Zimpel, Der beschäftigte Mensch. Beiträge zur sozialen und politisehen Partizipation, München 1970, S. 31, sowie die dort dokumentierten Texte.

  7. So Michael J. Buse und Wilfried Nelles, Formen und Bedingungen der Partizipation im politisch/administrativen Bereich, in: Ulrich von Alemann (Hrsg.), Partizipation - Demokratisierung - Mitbestimmung, Opladen 1975, S. 41 f.

  8. Vgl. Beratungen und Empfehlungen zur Verfassungsreform. Schlußbericht der Entquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages I, Bonn 1976, S. 190. Ein Hinweis sei an dieser Stelle hinzugefügt: Auf die angesprochene Problematik hat der Verfasser in der Vergangenheit mehrfach hingewiesen (vgl. z. B. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/74 sowie B 27/77). Er erlebt jetzt in unmittelbarer Anschauung als Universitätspräsident, daß die Bedeutungslosigkeit der Parlamentarier im Vergleich zur Exekutive und zur Ministerialbürokratie noch sehr viel größer ist, als er aufgrund wissenschaftlicher Analysen erwartet hatte.

  9. So Helmut Schmidt, Mitbestimmung des Bürgers als Garant freiheitlicher Ordnung, in: Bulletin Nr. 114. Bonn 1977.

  10. vgl. dazu Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1977 S. 240 ff.

  11. Bis zum Sommersemester 1981 war die Universi-

  12. Vgl. dazu u. a. die empirisch abgestützte Untersuchung von Michael Buse, Wilfried Nelles, Reinhard Oppermann, Determinanten politischer Partizipation, Meisenheim am Glahn 1978.

  13. Vilmar/Rudzio, a. a. O., S. 14.

  14. Besonders fragwürdig wird diese Methode dort, wo längst überholte Daten des Jahres 1977 herangezogen werden, um eine bestimmte Personalsituation im Wintersemester 1980/81 zu problematisieren. So wird der Hinweis, daß 32 Prozent der Oldenburger Studenten als Nichtabiturienten in die Universität kommen, mit der Information verknüpft daß diese Studenten durch den Vorsitzenden des MSB/SHB-AStA und eine „MSB-Studentenparlamentskandidatin" beraten und betreut werden. Per Hinweis auf die Prozentzahl bezieht sich auf die Situation im Jahr 1977, die Information über die Betreuer auf das Wintersemester 1980/81, als sich der Prozentsatz bereits mehr als halbiert hatte (14, 0 " Vgl. Vilmar/Rudzio, a. a. O., S. 23.

  15. Vgl. Vilmar/Rudzio, a. a. O., S. 21.

  16. Vgl. dazu und zu den folgenden Wahlergebnissen Uni-Info 5/75, 4/77, 3/79, 11/81.

  17. In bezug auf die Studentenschaft unterscheidet sich die Universität Oldenburg durchaus nicht von vielen anderen deutschen Hochschulen. Das politische Bündnis des SHB mit dem MSB bestimmt an mindestens 13 von 60 Hochschulen (u. a. an den Universitäten Bonn, Hohenheim, Hamburg und Mainz) die Politik der Allgemeinen Studentenausschüsse. Vgl. Westdeutsche Rektorenkonferenz, Übersicht über die Ergebnisse der Wahlen zu den Studenten-vertretungen im Sommersemester 1981, Dokumentation Nr. 33, Bonn, 15. September 1981.

  18. Am Rande sei erwähnt, daß die beiden Autoren z. B. in der Darstellung der Auseinandersetzung um die Namensfrage gegen ihre Argumentation sprechende Senatsbeschlüsse vom 5. 3. 1980 und 9. 9. 1981 übergehen.

  19. Dies gilt auch für die von Vilmar/Rudzio dem Konzil vorgeworfene Redeweise von den „verfassungswidrigen Berufsverboten"; vgl. dazu Erhard Denninger (Hrsg.), Freiheitlich Demokratische Grundordnung, 2. Bde„ Frankfurt 1977. In seinem Sondervotum zur Radikalenentscheidung vom 22. 5 1975 hat Bundesverfassungsrichter Dr. Rupp betont, daß nach seiner Auffassung das Urteil gegen das Parteienprivileg nach Art 21 Abs. 2 GG verstoße; vgl. a. a. O„ Bd. II, S. 548 ff.

  20. Vilmar/Rudzio, a. a. O., S. 21.

  21. Die Wahlbeteiligung lag damit geringfügig unterhalb des Durchschnitts der Beteiligung an den Studentenparlamentswahlen an anderen deutschen Universitäten und Hochschulen im Jahr 1981. Vgl. dazu Westdeutsche Rektorenkonferenz, a. a. O.

  22. Vgl. dazu Michael Buse, Reinhard Oppermann, Sozialpsychologische und soziostrukturelle Deter-minanten politischer Partizipation, Referat zum 18. Deutschen Soziologentag 1976 in Bielefeld, Manuskript, S. 12; Jürg Steiner, Bürger und Politik, Meisenheim am Glahn 1969, S. 85ff. Auch die Er-Kenntnis, daß die Partizipationsbereitschaft vom so-^' ökonomischen Status abhängt, wird durch die dargelegte unterschiedlich hohe Beteiligung der yerschiedenen Statusgruppen an den Gremienwah-

  23. Vgl. Vilmar/Rudzio, a. a. O., S. 23.

  24. Ebd.

  25. So Vilmar/Rudzio, a. a. O., S. 21.

  26. Der Einflußverlust des AStA ist seit längerem Gegenstand von studentischen Publikationen; vgl. dazu jüngst Eigensinn, Zeitung der Gruppe S. I. N. N. (Studenten der SozialWissenschaften), Nr. 1, Oldenburg 1981, S. 1.

  27. Es kann aber nicht unerwähnt bleiben, daß die Autoren gelegentlich auch mit Erschleichungen arbeiten. Beispiel 1: Der Universitätsrektor der Jahre 1974— 1979 wird als Objekt erfolgreicher kommunistischer Einflußversuche vorgestellt, weil er — obwohl ursprünglich gegen die Stimmen von MSB/SHB/BdWi/DKP gewählt — bei seiner Wiederwahl deren Stimmen erhalten hat. Das wird von den Autoren mit seinem politischen Wohlverhalten gegenüber diesen Gruppen erklärt (a. a. O. S. 22). Verschwiegen wird dagegen, daß der breite Konsens bei dieser Wiederwahl hauptsächlich auf erhebliche Außenkonflikte der Universität mit der Folge einer internen Solidarisierung zurückzuführen ist. Beispiel 2: Die Autoren verweisen auf „das dramatische Ansteigen des DKP-Stimmenanteils in Oldenburg auf nun 7, 9% (Kommunalwahl 1981)“ (a. a. O., S. 26) und erwecken dabei den Eindruck, als ob dafür die gegenwärtige Situation an der Universität mitverantwortlich sei. Die DKP erhielt bei dieser Wahl ca. 16 000 Stimmen, eine Zahl also, die bei dem nach-

  28. So Vilmar/Rudzio, a. a. O„ S. 26.

Weitere Inhalte

Horst Zilleßen, Dr. rer. pol., geb. 1938; Studium der Politischen Wissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Geschichte in Köln; von 1963 bis 1969 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sozialethischen Ausschuß der Evangelischen Kirche im Rheinland, Velbert; von 1970 bis 1980 Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirchen in Deutschland, Bochum; Präsident der Universität Oldenburg.