Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Über Konservativismus *) | APuZ 1/1980 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 1/1980 Artikel 1 Über Konservativismus *) Von der Totalität der Politik Ein Beitrag zur politischen Ethik in der Demokratie

Über Konservativismus *)

Kurt Lenk

/ 41 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Konservative Strömungen entstanden bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Gleichwohl ist die Definition von „konservativ“ und „Konservatismus" bis heute umstritten geblieben. Die Problematik des Konservatismus ergibt sich bis heute vor allem daraus, tradierte „Werte" durch „Besinnung" retten zu wollen, vergessend, daß es mit deren Verbindlichkeit nicht mehr zum besten stand bzw. steht. Der Entscheidung für Werte und Tugenden wird damit etwas zugemutet, was kaum durch die Parolen vom „Hochhalten" und von „Wert-und Traditionspflege" zu leisten ist. Darin liegt das sog. Dilemma konservativen Denkens. In der Regel gilt, daß organisierter Konservatismus (ohnedies ein Widerspruch in sich) desto weniger von seinem „Wesen" bewahren kann, je verbissener er sich daran begibt, den Anfechtungen der gesellschaftlichen Entwicklung zu trotzen. Doch wäre es verfehlt, den heutigen Konservatismus einfach als eine rückwärtsgewandte Haltung zu kennzeichnen. Von dort bezieht er nur seine Argumentationsmuster und weltanschaulich gefärbten Topoi. Der heutige Konservatismus orientiert sich durchaus an sog. Sachzwängen, die vom „technischen Staat" diktiert werden. Er gibt sich, gerade im Blick auf technischen Fortschritt, „dynamisch" und offensiv. Die Postulate dieses „neuen", technikfreundlichen Konservatismus lauten etwa: — Entpolitisierung der Politik, — „Entideologisierung" des Bewußtseins der breiten Bevölkerung, — Neutralisierung der Interessenkonflikte in der Gesellschaft, — Stärkung der Autorität der Staatsgewalt, Sicherung und Ausbau der Elitenherrschaft als Stabilisatoren einer „Leistungsgesellschaft". In aller Politik herrsche — so wird behauptet — tendenziell allein der „Sachzwang" der technischen Mittel, der an die Stelle aller früheren Formen politischer Herrschaft (etwa solcher von Klassen) getreten sei.

I. Definitionsfragen und Ursprünge

I. II. III. IV. V. VI. VII. INHALT Definitionsfragen und Ursprünge Der Stammvater des europäischen Konservativismus „Politische Romantik" in Deutschland Konservatismus im Zeichen der „Realpolitik“ „Konservative Revolution" in der Weimarer Republik Technokratischer Konservatismus heute Staatsgewalt und Konservatismus

Obwohl konservative Gruppierungen mit theoretisch artikulierten Positionen bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts exi! stierten besteht hinsichtlich der Bestimmung des Konservatismus **) nach wie vor eine gewisse Unsicherheit. Sieht man von allen Besonderheiten der seitherigen Interpretationsversuche ab, so lassen sich drei Ansätze zu seiner begrifflichen Präzisierung unterscheiden: Erstens gilt er als Ideologie und Ausdruck einer historisch einmaligen Bewegung aristokratischer Schichten gegen die im Gefolge der Industrialisierung in Gang gekommene Emanzipation bürgerlicher Klassen.

Die Wendung feudaler, vorwiegend agrarisch bestimmter Stände gegen die Ereignisse der Französischen Revolution und die von ihnen lausgehende Bedrohung gelten hiernach als Symptom einer Rechtfertigungs-und Restaurationsideologie. Demzufolge stellt diese eine mit Feudalismus, ständestaatlicher Ordnung und Grundbesitz verbundene Form des Selbstverständnisses der Aristokratie während und nach der Französischen Revolution dar. Mit der soziologischen Zuordnung zum Selbstverständnis des Adels wird Konservatismus selbst zu einem einmaligen, unwiederholbaren Epochenphänomen. Wie Liberalismus und Bürgertum, Sozialismus und Proletariat, so ge-hören Konservatismus und Aristokratie zusammen. Es versteht sich, daß im Sinne dieser Definition mit dem Verschwinden des Adels auch nicht mehr von Konservatismus im eigentlichen Sinne gesprochen werden könnte.

Zweitens: Im Gegensatz zu dieser an eine bestimmte Epoche und Sozialschicht gebundenen Definition verfährt eine universalistische Interpretation, wonach es sich beim Konservatismus um eine durch die Geschichte hindurch immer wiederkehrende ewig-menschliche Haltung, eine Justierung nach allgemein gültigen Wertordnungen und Ideen handelt. Ein Konservativer der Weimarer Republik, Albrecht Erich Günther, hat im Sinne dieses Globalbegriffs Konservativ-Sein nicht als „ein Hängen an dem, was gestern war, sondern (als) ein Leben aus dem, was immer gilt“ bestimmt. Sekundärtugenden und absolutgesetzte „Werte" wie Disziplin und Gehorsam werden für einen solchermaßen zeit-und geschichtsübergreifenden Konservatismus reklamiert, zu dem sich grundsätzlich ein jeder, ungeachtet seiner sozialen Herkunft und Stellung, bekennen könne. Konservatismus wird hier zur Frage der Gesinnung und Haltung: Er ist identisch mit der Entscheidung für bestimmte menschliche Grundwerte. Als Sensibilität für Grundbedingungen menschlicher Existenz und der Wirklichkeit des Lebens wird Konservatismus zum Wesensmerkmal menschlichen Verhaltens und Denkens deklariert, das für alle historisch-politischen Situationen Gültigkeit besitze. Konservatismus wird damit identisch mit einem idealtypisch gefaßten, allgemein-menschlichen Grundmuster

Der dritte Interpretationsansatz geht von der Beobachtung aus, daß Konservatismus stets aktualisiert wird, sobald tradierte soziale Strukturen und Normen in Auflösung begriffen sind. Im Laufe der neueren Geschichte könne grundsätzlich jede Klasse oder Schicht in die Situation einer bedrohten — zumindest jedoch sich bedroht fühlenden — Gruppierung geraten, genötigt, sei es ihre soziale und politische Existenz, sei es die dieser zugrunde liegende jeweilige Sozialordnung zu verteidigen. Konservatismus meint so ein historisch flexibles Arsenal ideologischer Argumentationsmuster, deren sich „bedrohte" Gruppierungen in Krisenzeiten stets bedienen. Er wird damit an einen historischen Prozeß geknüpft: Immer dann, wenn Krisensituationen — wie etwa die weltweite ökonomische Rezession von 1973 — auftreten, werden erneut konservative Topoi artikuliert, und zwar keineswegs bloß von jenen, die als wie immer Privilegierte unmittelbar an der Fortexistenz bestehender Einrichtungen interessiert sein müssen, sondern auch von denen, die die Befriedigung ihrer alltäglichen, wenn auch „manipulierten" Bedürfnisse durch kritische Infragestellung bestehender Ordnungen und Institutionen gefährdet glauben

Aus dieser Interpretation folgt, daß konservative Richtungen im Laufe der Geschichte sich in verschiedensten Formationen immer dann rekrutieren, wenn der Konsens in einer sozialen und politischen Ordnung nachläßt. Aufkommender Konservatismus kann so als Indiz für ein krisenhaftes Bewußtsein von Veränderungen im zwischenmenschlichen Verhalten oder in den sozioökonomischen Strukturen gelten, die als Bedrohung empfunden werden. Eine solche Reaktionsweise liegt vor allem dann nahe, wenn Verhaltensgewohnheiten einer scheinbaren oder wirklichen Alternativlosigkeit konfrontiert sind.

Wie immer das, was Konservatismus sein soll bestimmt wird: im Gegensatz etwa zu Liberalismus oder Sozialismus liegt mit ihm kein bestimmtes, eindeutig formulierbares Programm vor. Von seinem Ursprung und seiner historischen Entstehung her ist konservatives Denken reaktiv und defensiv, d. h. es bildet sich stets als Antwort auf eine bestimmte Herausforderung, bleibt darum auch in programmatischer Hinsicht merkwürdig unbestimmt — eine Tatsache, die die von ihm ausgehende Integrationskraft durchaus verstärkt. Aufgrund dieses scheinbaren Mangels an konkret explizierbaren, positiven Inhalten erscheint konservatives Denken häufig eher als eine bestimmte Weitsicht oder „Weltanschauung", nicht aber als politische Theorie oder Ideologie im engeren Sinne, für die stets ein gewisses Maß an Rationalität und innerer Stringenz der Argumentation kennzeichnend ist Dies ist einer der Gründe, weshalb in der Literatur sich die unterschiedlichsten Definitionen von „konservativ" und „Konservatismus" finden. Vermutlich entspricht der mangelnden Präzision eine Unbestimmtheit des zu begreifenden Phänomens selber.

Schon in der Mitte der 20er Jahre hat Karl Mannheim einen entscheidenden Schritt zur wissenschaftlichen Klärung des konservativen Denkstils, seiner historischen Ursprünge und Motive getan. Obgleich er sich im wesentlichen auf die „Politische Romantik" im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts konzentriert, liefert er doch auch Einsichten in die Struktur späterer Ausformungen konservativer Ideologie.

Mannheim geht davon aus, daß jegliches konservative Denken reaktiv in dem Sinne genannt werden müsse, als es trotz der Rückwendung auf „goldene Zeiten" doch auf die Verteidigung der je bestehenden gesellschaftlichen Ordnungen verwiesen sei. Insofern liegt die Utopie heutiger Konservativer auch weniger in einer vergangenen Periode der Ge-schichte als vielmehr im — wie immer stilisierten — „Sein" der überkommenen Herrschaftsstrukturen selber verborgen, deren Wertstruktur es daher in immer neuer Hin-wendung zu entdecken gelte

So besteht seit einigen Jahrzehnten in vielen politischen Gruppierungen westlicher Industrieländer unübersehbar eine Tendenz, Natur, neue Gemeinschaftsformen, Innerlichkeit und die Welt des Kleinen („small is beautiful“)

als „neue" politische Themata einzubringen, womit der allerorts beklagte Verlust an Solidarität und Geborgenheit in einer von Sachzwängen erfüllten Anonymität technokratisch orientierter Wohlfahrtsbürokratien offenbar wettgemacht werden soll. Die mit dieser Sinn-und Glückssuche verbundene Absage an Kälte und Perfektion einer technisierten, allmählich kontraproduktiv werdenden „Fürsorge“ seitens staatlicher Organe führt offensichtlich dazu, erneut das Recht auf Subjektivität, Spontaneität und Kreativität — sei es in Gruppen, sei es individuell — einzuklagen, ein Vorgang, der von manchen Beobachtern als neue Chance für eine Renaissance der Aufklärung gewertet, von anderen jedoch als Regression in längst überwunden geglaubte Stufen vorzivilisiert-barbarischer Verhaltensmuster beklagt wird. Fest steht, daß heute Desorientierung, Unsicherheit und Zweifel, Anzeichen sozialer Desintegration, die Chance für eine Ak-I tualisierung subjektbezogener Sinnkategorien I möglich erscheinen lassen: „Die Desorientierung könnte sich als fruchtbar erweisen, 1 würde sie auf der Reformseite nicht nur zu po-I litikferner Resignation und in Neokonservatismus führen — oder auf der anderen dazu, daß sich die Antireformer im Gehäuse ihrer Orthodoxien verbarrikadieren. Vorläufig steht nur fest: es gibt all diese Zweifel an gel'tenden Erklärungsmustern, an der eigenen I Identität, an den alten Autoritäten, an dem, was . Fortschritt'und was . Rückschritt'heißen (soll."

'Mannheim kennzeichnet .den theoretisch noch nicht explizierten Vorläufer des Konservatismus als „Traditionalismus", den er als „Mentalität" oder als „formalpsychische Eigenschaft" wertet. Damit soll betont werden, daß auf dieser Stufe das Festhalten am Hergebrachten und die damit verbundene Unlust, sich auf Neuerungen einzulassen, primär ein bestimmtes Verhalten darstellt. „Traditionalismus" meint das Sich-Klammern an bestimmte Überlieferungen, Sitten und religiöse Über-zeugungen. Erst von dem Zeitpunkt an, wo diese traditionalistische Mentalität durch das Auftreten rationalistisch-aufklärerischer Tendenzen verunsichert und herausgefordert wird, geht das vordem noch traditionsgeleitete in konservatives Denken über. Diesem erst entspricht Konservatismus im engeren Sinne als ein eigener geistiger Strukturzusammenhang. In Anlehnung an die bekannten Worte Hegels stellt Mannheim fest: „Die Eule der Minerva beginnt beim konservativen Bewußtsein in der Tat nur bei der einbrechenden Dämmerung den Flug."

Einige der damit bezeichneten Merkmale konservativen Denkens können, wenngleich modifiziert, auch für das gegenwärtige konservative Denken gelten. So etwa — die Abneigung gegen die aller Aufklärung innewohnende gedankliche Antizipation eines besseren, weil gerechteren Zustandes in Gesellschaft und Politik („Antiutopismus");

— das Sichklammern ans unmittelbar Vorhandene und die Tendenz zur Bevorzugung des „Konkreten" („Konkretismus");

— Engagement und Parteinahme für die jeweils vorgegebene politische Realität gegen die normsetzenden Ansprüche geschriebener Verfassungen, ein Primat der Verfassungswirklichkeit gegenüber der als abstrakt perhorreszierten Verfassungsnormen („Realpolitik"). Die Problematik konservativen Denkens ergibt sich seit je aus der Fragwürdigkeit seines Anspruchs, tradierte Werte durch gedankliche Besinnung in einer gesellschaftlichen Lage „retten" zu wollen, in der die Verbindlichkeit solcher Werte bereits geschwunden war. Hier wird — so scheint es — dem Denken etwas zugemutet, was es von sich aus kaum leisten kann. Denn „Kulturgüter" werden in der Regel besonders dann „hochgehalten", wenn es um ihre Substanz nicht mehr zum Besten steht

Dieser Schwierigkeit sah konservatives Denken sich von Beginn an gegenüber, seitdem es sich nolens volens auf Theoriebildung einlassen mußte. Hier liegt auch das Dilemma aller konservativen Theoriebildung. Seine Entstehung deutet Mannheim so: „Das konservative Erleben rettet sich gleichsam dadurch, daß es immer mehr auf die Ebene der Reflexivität und der methodischen Beherrschtheit jene Einstellungen zur Welt erhebt, die für das originäre Erleben sonst verlorengegangen wären. Erst hier, auf der Stufe, wo das unmittelbare Erleben aus der Tradition heraus zu verschwinden begann, entdeckte man reflexiv das Wesen der Geschichte, und man bildete zugleich mit angespannter Intensität eine Methode des Denkens aus, die irgendwie die konservative Grundhaltung zur Welt und Umwelt retten sollte."

Die innere Schwierigkeit konservativen Denkens besteht darin, daß es gegen eine in Bewegung geratene, mobil gewordene Gesellschaft als „ewig" postulierte Ordnungen und Wesens-konstanten „des" Menschen verteidigen will.

Solche Defensive gegen Rationalität und Kritik kann sich auf die Dauer nur behaupten, wenn sie den Gegner auf seinem eigenen , Felde schlägt. Die Dialektik dieses Vorgangs mußte dazu führen, daß eine geistige Weltanschauung, die rationalem Denken im Grunde abgeneigt und statt dessen mehr der Fülle des unreflektiert gebliebenen Lebens zugetan war, sich zunehmend selbst mit jenen aufklärerischen Instrumenten zu versehen hatte, in deren Existenz sie gerade das „Gift" des Rationalismus erblickte. Je mehr der Konservatismus sich als theoretischer Ausdruck bestimmter Haltungen entwickelte, desto weniger blieb ihm von jenem „organisch-gewachsenen", unreflektierten Traditionalismus, in dem er seine Substanz erblickt. Daraus entstand das Paradoxon, daß der Konservatismus desto weniger von seinem „Wesen" bewahren konnte, je verbissener er sich daran begab, den Anfechtungen der gesellschaftlichen Realität zu begegnen

Daß eine solche Interpretation keine nur von außen angelegte ist, sondern auch von Konservativen selbst vorgebracht wird, zeigt etwa eine Aussage Georg Quabbes. Er notiert in „Tar a Ri, Variationen über ein konservatives Thema“: „Das Nachdenken über die Grundlage der eigenen Weltanschauung ist ihnen — und von ihrem psychologischen Standpunkte aus nicht ganz mit Unrecht — eine Art Profanisierung, sowie die Notwendigkeit der Beweisführung für die Existenz Gottes ein ästhetisches Ärgernis für jeden wirklich Gläubigen ist, die Zurückführung eines irrationalen Wertes auf das rationale Niveau, eine Entgötterung des Göttlichen, dem der Reiz des Unerklärlichen genommen wird."

Wird Konservatismus als säkulare Gegenbewegung zu Aufklärung, Rationalismus und „Revolution" (im weitesten Sinne) verstanden, so kann man seine Entstehung mit der im Gefolge der industriellen Revolution sich vollziehenden Auflösung der feudalen Ständegesellschaft und der Krise der für sie maßgeblichen agrarischen und handwerklichen Schichten zusammenbringen Die mit der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaftsform sich entwickelnden Produktivkräfte zerstören allmählich übernommene Strukturen einer relativ geschlossenen, ständisch-patriarchalisch geordneten Gesellschaft. Damit ist die typische Ausgangssituation für konservative Gegenbewegungen geschaffen, die sich nun, unter Rückgriff auf Geschichte, Autorität und Überlieferung, gegen die Umwälzung aller bestehenden Institutionen wenden. Ihren Höhepunkt erreicht dieser Jahrhunderte andauernde Umwälzungsprozeß in den Ereignissen der Französischen Revolution. Sie ist jenes Ereignis, von dem an auch politisch relevante konservative Grundströmungen datieren.

II. Der Stammvater des europäischen Konservativismus

Als eine frühe authentische Antwort auf die Ereignisse der Französischen Revolution können Edmund Burkes „Betrachtungen über die französische Revolution" aus dem Jahre 1790 gelten. In Deutschland bilden die Ära der Napoleonischen Kriege, die Zeit des Vormärz und besonders die Revolution von 1848/49 die entscheidende Ereigniskette, die zur Herausbildung konservativer Staats-und Gesellschaftskonzeptionen geführt hat.

Im Gegensatz zum englischen war der deutsche Konservatismus weit weniger „Theorie" im Sinne von Gesellschaftsanalyse und der Verteidigung in Frage gestellter Normen — wie etwa bei Edmund Burke, dem „Stammvater" des europäischen Konservatismus. Der historische Grund ist wohl darin zu suchen, daß es hier weder die Erfahrung des Staates als einer nationalen Einheit noch prinzipielle Konflikte zwischen Adel und Krone gab. Die deut-sehe Geschichte kennt zudem keine bürgerliche Revolution, als deren Widerpart sich konservative Theoreme hätten artikulieren können. Die Französische Revolution besaß für viele Zeitgenossen in den deutschen Ländern eine eher legendäre, bloß vermittelte Realität.

Ihr unterm Zeichen der Jakobinerherrschaft ! sichtbar gewordener Umschlag in „terreur“

trieb auch radikalere Geister zurück in autori‘ tär-konservative Bahnen.

Der grundbesitzende Adel bezog in England ieine Stellung, die ihn von der kontinentalen Feudalaristokratie erheblich abhob: Er war von Beginn an führend an der Entwicklung zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft beteiligt. Deshalb ist der englische Konservatismus (traditionell reformfreundlich. Burke weiß, daß ein Staat, der keine Wege zur Veränderung I kennt, im Bestand gefährdet ist. In seinen „Reden über die Versöhnung mit Amerika" heißt es: „Wir müssen alle dem großen Gesetz des Wandels gehorchen. Es ist das mächtigste Gesetz der Natur und vielleicht das Mittel ihrer Erhaltung. Alles, was wir tun können, ... ist, dafür Sorge zu tragen, daß der Wandel mit ganz unmerklichen Schritten vor sich geht.“

Diese auf Versöhnung des Erhaltungs-mit dem Verbesserungsprinzip abzielende Tendenz ist ein Grundzug des englischen Konservatismus geblieben. Deshalb sind starre Grenzen zwischen „liberal" und „konservativ" in der Geschichte Englands auch kaum zu ziehen:

Beide Richtungen gehen ineinander über. So konnte Burke von konservativen wie von liberalen Politikern seines Landes gleichermaßen (rezipiert werden.

Für Burkes Denken verliert der Gegensatz von „organisch Gewachsenem" und „künstlich Erzeugtem" an Bedeutung. Seine anthropologische Prämisse lautet: „Art is man's nature", d. h., die Natur des Menschen beruht auf ihrer Künstlichkeit Dies widerspricht scheinbar der konservativen Vorstellung von einer letztlich unwandelbaren Natur des Menschen und der Gesellschaft. In Wirklichkeit dient diese These von der natürlichen Künstlichkeit aller menschlichen Einrichtungen dazu, Geschichte und Erfahrung in die Bestimmung des Menschen hineinzunehmen, sie beide zur Grundlage der Kultur und staatlichen Ordnung zu erklären. Burkes Konservatismus lebt vom Versuch einer Vermittlung starrer Alternati -

ven im Medium der Geschichte. Bei allem Festhalten an unwandelbaren Prinzipien hält Burke es mit der Reform und dem allmählichen historischen Wandel

Es war nicht bloß die Befürchtung des Übergreifens der revolutionären Welle auf England, sondern Betroffenheit durch das gesellschaftliche Positionen und überkommene Formen des Selbstverständnisses in Frage stellende Ereignis der Französischen Revolution, welche die konservative Staatsauffassung Burkes zur Grundlage aller späteren Versuche werden ließ, den Staat einer radikalen kritischen Reflexion zu entziehen.

Burkes Kritik gilt vor allem der den natur-rechtlich fundierten Vertragslehren eigenen Prämisse, der Staat sei eine von Menschen geschaffene und damit grundsätzlich aufkündbare Einrichtung. Aus den liberalen Vertrags-lehren, wonach der Staat einem Zweckbündnis gleiche, folgt das Recht zum Widerstand gegen den despotischen Herrscher ebenso wie die prinzipielle Herleitung des Staates aus dem Willen der Menschen Gegen eine solche Legitimation des Staates wendet Burke sich mit der These, der Staat sei die auf Dauer angelegte Gemeinschaft der Lebenden mit allen früheren und kommenden Geschlechtern. Staat und Gesellschaft bilden ihm zufolge auch keine Gegensätze, vielmehr sind beide eine „Lebenseinheit", in die der einzelne hineingeboren wird. Der Staat ist Teil einer umfassenden, letztlich mit göttlicher Hilfe eingerichteten Ordnung. Er beruht in der über-und Unterordnung der Teile sowie in einem alles bestimmenden Gleichgewicht.

Daher kann Burke behaupten: „Es wäre frevelhaft, den Staatsverein wie eine alltägliche Kaufmannssozietät, wie einen unbedeutenden Gemeinhandel mit Pfeffer oder Kaffee zu betrachten, ...den man treibt, solange man Lust hat, und aufgibt, wenn man seinen Vorteil nicht mehr absieht. Ein Staat ist eine Verbindung von ganz anderer Art und von ganz anderer Wichtigkeit. Er ist nicht bloß eine Gemeinschaft in Dingen, deren die grobe tierische Existenz des vergänglichen Teils unseres Wesens bedarf, er ist eine Gemeinschaft in allem, was wissenswürdig, in allem, was schön, in allem, was schätzbar und gut und göttlich im Menschen ist... Jeder Grundvertrag einer abgesonderten Staatsgesellschaft ist nur eine Klausel in dem großen Urkontrakt, der von Ewigkeit her alle Weltwesen zusammenhält, die niedrigeren Naturen mit den höheren verbindet und die sichtbare Welt an die unsichtbare knüpft, alles unter der Sanktion eines unverletzlichen und unwandelbaren Gesetzes, vor dem nichts im physischen, nichts im moralischen Weltall seine angewiesene Stelle verlassen darf."

Der damit herangezogene Vergleich des Staates mit der Welt der Interessen soll demonstrieren, daß die Institution des Staates nicht als Ergebnis der vereinten Willen der auf Wahrung ihrer Eigentumsinteressen bedachten Bürger, nicht als Vertragsverhältnis, sondern nur als Stiftung und Institution für die Ewigkeit begriffen werden kann. Als solche stellt er eine Wirklichkeit jenseits menschlicher Willkür und planender Rationalität dar. Institutionen wie Staat und Familie beanspruchen den absoluten Primat gegenüber dem einzelnen, der, wie bei Hegel, als bloße Subjektivität erscheint. „Real sind nicht allgemeine Begriffe, sondern bestimmte Gefühle, nicht allgemeine Handlungszusammenhänge, sondern die Institutionen eines bestimmten Volkes, Verallgemeinerung des Menschen, nicht die sondern seine Realität als Mitglied bestimmter Stände, Schichten oder Klassen."

Für Burke gibt es konsequent auch keine vor-politischen Naturrechte. Er geht von der sozialen Natur des Menschen aus, die sich in das Vorgefundene kunstvoll einfügt. Grundmodell sozialen Lebens ist die patriarchalische Familie, die zum Urbild politischer Herrschaft schlechthin stilisiert wird. Deren Autoritätsstruktur wird Vorbild für alle Ordnungen der Menschen, vor allem der des Staates. Politische Freiheit ist Burke zufolge ein gegliedertes System von Privilegien und Freiheiten, die seit je zum Rechtsbestand bestimmter Stände, Klassen und Einzelpersonen gehören. Der Ablehnung aller abstrakten Gleichheitsforderungen entspricht das Plädoyer für Recht und Würde der geschichtlichen Überlieferung, des christlichen Mittelalters mit seinen ritterlichen Tugenden. Die Geschichte wird zu einer aparten Person, die sich die Menschen unterwirft. Burke wollte zwar die von den Revolutionären propagierten Prinzipien abwehren, doch tat er dies auf dem Hintergrund und zur Verteidigung einer Gesellschaftsordnung, in der eine „bürgerliche” Revolution bereits stattgefunden hatte — in den Jahren 1649 und 1688. Die politisch-soziale Ordnung, die Burke in England erhalten wollte, war — verglichen mit den zeitgenössischen deutschen Zuständen — eher gemäßigt liberal. Ein Repräsentativorgan wie das House of Commons, die Institution verantwortlicher Minister, die immer umkämpfte Freiheit der Presse, das Recht der Petitionen u. ä. kannten die absolutistisch regierten deutschen Kleinstaaten und Fürstentümer der damaligen Zeit noch längst nicht.

III. „Politische Romantik" in Deutschland

Es sind Schlüsselbegriffe wie „Organismus", „Staat" und „Geschichte", die seit der politischen Romantik in der deutschen Gesell-Schafts-und Staatstheorie eine entscheidende Rolle gespielt haben

„Staat" ist für die romantische Staatslehre ein Organismus mit einer Lebensgeschichte. Diese in der deutschen Tradition immer wiederkehrende Analogie gerinnt zu einer Aussage über ein „Sein", dem, wenngleich leerformelhaft, Prädikate zukommen sollen. Staat ist „sittlicher Organismus" oder auch „lebendiges Ganzes". Entgegen erklärter Absicht haben derartige Abstraktionen die Tendenz, für Wirklichkeit genommen zu werden. Aus dem Satz: Der Staat „gleicht" einem Organismus, wird der dogmatisch-konservative: Staat „ist“ ein Organismus. Ziel der darin apokryphen Polemik ist der „mechanistische", der aufgeklärt-absolutistische Staat, der sich von seinen Zwecken her bestimmt, die die Menschen mit ihm verfolgen, will sagen: die „Ideokratie" (H. Leo).

Dreierlei befaßt der Begriff des „Organismus" unter sich:

erstens eine Gliederungsstruktur (Differenzierung und Interdependenz seiner Teile);

zweitens die diesen Organismus regulierende, ihn belebende „Seele" (Religion, Freiheit, Sittlichkeit); drittens eine geschichtlich gewordene besondere Eigenart. „Organische Staatslehre" ist zuallererst Ordnungslehre. Ihr Gegenstand ist stets Einheit und Ordnung eines in sich gegliederten und in sich gesetzlich bestimmten Staates. Den Vertretern organischer Staatslehren ist die Methode eigen, Grundbegriffe als letzte, ontologische Gegebenheiten einzuführen und damit rationaler Bestimmung zu entziehen. Es entsteht eine Art „spiritualisierter Positivismus"

(T. W. Adorno).

Die Legitimität der monarchischen Gewalt und die Autorität intermediärer Gewalten ist das zentrale Thema konservativer Staatskonzeptionen. Als Teil der göttlichen Weltordnung regelt der Staat — mit den Worten Adam Müllers — die „Totalität der menschlichen Angelegenheiten". Der Monarch ist Symbol der Einheit innerhalb der Mannigfaltigkeit der Stände und lokalen Korporationen. „Jeder Vereinigungsakt zweier oder mehrerer einzelner kann nur als ein Unterwerfungsakt derselben unter ein gemeinsames Höheres gedacht werden. Das einende Prinzip wirkt somit von oben nach unten, folglich überall von innen heraus, und hebt die zu einenden Wesen zu sich und hiermit außer sich selbst hervor und > empor, indem es sie von der zerstreuenden Peripherie ins innere Centrum sammelt." Ein Kosmos von Pflichten und Rechten, wie der organisch gefaßte Staat ihn darstellt, ist durch-herrscht vom hierarchischen Prinzip: „Im gesunden einträchtigen, einmütigen Organisimus leben alle einzelnen Glieder von allen und für alle.“ Gesellschaftliche Arbeitstei-I ligkeit wird eingebettet in „Moralität" und „Verpflichtung" Die ökonomische Grundlage des konservativ-romantischen wie des ständischen Staates bilden Grund und Boden.

Adam Müller polemisiert gegen die „merkanitilische Sozietät" des Liberalen Adam Smith, Franz von Baader gegen Geld und Geldverkehr, gegen die „egoistisch-internationalen i Bestrebungen des Handel" sowie gegen eine „unbedingt freie Konkurrenz", den „Krieg aller gegen alle" Nicht Arbeitsteilung, sondern Verteilung der Arbeit, nicht Konkurrenz, sondern Wettstreit seien gefordert. Der „Purismus der Vernunft" und der „Purismus der Gesellschäft" bedingen einander: Durch sie werden „alle persönlichen Dienste und aller persönliche Verkehr zwischen Angehörigen und Grundherren, Dienstleuten und Dienstherren, Regierten und Regierenden, durch das allgemeine, unpersönliche und alles Persönliche tilgende Geld beseitigt". Dieser Purismus führt dazu, daß „der Mensch dem Menschen am Ende nichts mehr ist, weil er als solcher ihm nichts mehr gilt. So wie etwa der Esel, welcher Silber in die Münze trägt, lediglich nach der Valuta geschätzt wird, deren zeitlicher . Porteur'er ist!" Das Geld wird zum Inbegriff zwischenmenschlicher Beziehungen und zum Ausdruck individueller Geltung: Es wird „zur (spinozistischen) . Substanz'..., welches aus allem wird und in welches alles sich verwandelt"

Daß die hier paradigmatisch an Adam Müller und Franz von Baader abgelesene romantisierende Kapitalismuskritik noch in der Gründergeneration der deutschen Gesellschaftstheorie einen lebhaften Widerhall fand, der sich über die Konservative Revolution der Weimarer Zeit bis zur völkischen Weltanschauung fortpflanzt, zeigt der Berliner Soziologe Alfred Vierkandt: „Der Wahlspruch des Lebens lautet für die kapitalistische Gesinnung: erwirb durch deine Arbeit soviel du kannst von dem höchsten Gut des Lebens, durch das erst alle anderen ermöglicht werden, nämlich vom Geld. Der erforderliche Wandel der Gesinnung, durch den in Wahrheit erst zusammen mit äußeren Reformen der Kapitalismus entthront würde, kommt darauf hinaus, das Geld in der Lebensauffassung zu entthronen: das Geld muß aufhören, als das höchste Gut zu gelten. Der Umgang mit der Natur und die eigene Scholle, Kunst und Religion, Familie und Nation müssen für uns wieder zu höchsten Lebensgütern werden, die wir auch ohne die Hilfe des Geldes oder wenigstens eines größeren Besitzes genießen können. Wir müssen die Augen öffnen für die Fülle von Werten, die es neben dem Gelde und unabhängig von ihm gibt."

Der für die wissenschaftstheoretische Begründung der deutschen Soziologie und besonders durch seine an Gumplowicz und Oppenheimer anknüpfende Theorie des sozialen Wandels hervorgetretene Vierkandt darf hier als Repräsentant einer vorherrschenden Richtung in der deutschen Soziologie von Simmel bis Mannheim gelten. Gemeinsam ist diesen Autoren, die ihren Ausgang bei der Kantischen Erkenntnistheorie nehmen, ein neuromantisches Grundgefühl, das die von Marx ökonomisch bestimmte Entfremdung ins Metaphysische bzw. Psychologisch-Anthropologische wendet.

Ziel der Kritik sind die anarchischen Tendenzen der industriell fortschreitenden bürgerlichen Gesellschaft: die gegeneinander agierenden Egoisten sowie die nivellierenden Tendenzen des Geldverkehrs. Um so vehementer wird die Lebenseinheit von „Volk und Staat" beschworen. Die Fiktion der Staatstheorie der Aufklärung bestand in den Augen Konservativer darin, daß sie von einem Begriff außerhalb des politischen Gemeinwesens, von abstrakten Prinzipien her „Volksgemeinschaft" und „Staat“ gedanklich konstruieren wollte. Demgegenüber wird betont, daß der einzelne sich nirgends und zu keiner Zeit aus seinen sozialen Bindungen lösen könne. Romantik wie Konservatismus sehen im Menschen ein fragmentarisches Element eines größeren Ganzen, von dem her das Individuum in seiner „Eigentlichkeit" sich erst bestimmen könne: vom „Volk" oder vom „Staat" als einer organischen Totalität her.

Nicht ein Ensemble autonom entscheidender Individuen konstituiert den Staat, sondern die organische Vielfalt ständischer Lebenskreise. Die Erzeugung eines nationalen Willens vollzieht sich in der Wechselwirkung dieser Stände, die nicht als bloßes Organisationsgefüge, sondern als die soziale Explikation von geistigen Prinzipien, von Werten und natürlich-menschlichen Eigenschaften gelten. Ständische Ordnung bedeutet Angewiesensein des einzelnen auf ihn umfassende Gemeinschaftsformen, die durch Natur und Geschichte vorgegeben sind, in die er hineingeboren wird und die ihn lebenswierig prägen. So ist auch der Staat eine für die Individuen stets schon vorgefundene konkrete Ganzheit. Die Aussage, daß der Staat unter dem Aspekt seiner Geschichte gedeutet werden müsse, enthält zweierlei: Zum einen die Behauptung, daß in jeder Erscheinung der sozialen Sphäre die ganze Vergangenheit gegenwärtig sei. Die Berufung auf Herkommen und Dauer wird zur Legitimation des Bestehenden. Die Beschwörung des so und nicht anders Gewordenen soll den bedrohten gesellschaftlichen Zustand stabilisieren helfen. Die Berufung auf „Dauer" desavouiert alles Neue. Revolutionäre Veränderungen erscheinen als Abfall vom ewigen Gesetz der Geschlechterfolge. Zum andern wird die These vertreten, daß soziale Institutionen sich nur allmählich, stetig entwickeln können. Sie können weder gemacht noch ihrem inneren

Wesen nach verändert werden. Die Zeit selbst erscheint als schöpferische und heilende Macht. Revolution ist, aus dieser Perspektive, gar nicht Geschichte, sondern das Werk der Willkür einzelner, bloßer Schein, Verirrung und Spuk, die weichen oder zwangsläufig in Despotie bzw. Anarchie enden müssen. So schrieb Burke im Sinne dieser „Verschwörungstheorie" die Französische Revolution den „men of letters" und den „Philosophen" — den von Napoleon später so genannten Ideologen — zu, die das Volk verführt hätten. So werfen denn auch die Romantiker den Jakobinern das „Unhistorische" ihres Denkens und Tuns vor, ein Vorwurf, der den Romantikern mit gleicher Münze zurückgegeben werden konnte.

Staat und Gesellschaft können der organizistischen Staatslehre zufolge nicht — wie in den liberalen Vertragslehren — aus den daran beteiligten Einzelwillen konstruiert werden, sondern jene sind logisch und ontologisch früher als die einzelnen Ein solcher Staatsbegriff ist im Sinne einer „Resonanzideologie" (Peter Christian Ludz) Gegenthese gegen alle Bestrebungen, Gesellschaft nach vernünftigen Vorstellungen zu planen und zu verändern. Gesellschaftliches Leben gründet letztlich im Unbewußten und wächst naturhaft. Die organische Staatstheorie wendet sich gegen alle rationalen Gesellschaftsideale, gegen alle Überschätzung des Gleichmäßigen, Allgemeinmenschlichen und „Abstrakt-Egalitären". In ihr lebt die Überzeugung vom Recht der einzelnen Lebensformen und -kreise.

Die konservativ-organische Staatslehre richtet sich gegen Volkssouveränität, Vertrags-theorie und Gewaltenteilung aber auch gegen die Konzentration rechtlicher Gewalt und öffentlicher Macht in nur einer Hand. Tradiert wird ein Staatsdenken, das orientiert bleibt an der Einheit von Fürst und Volk. Der Begriff „Volk" leistet hierbei die ideologische Überhöhung ständischer Korporationen und monarchischer Autorität. Die mit dem bürgerlichen Individualismus aufgekommene Vorstellung von einer bürgerlichen Gesellschaft wurde im Konservatismus durch die Ideen des Volkes wie des Volksgeistes konterkariert.

IV. Konservatismus im Zeichen der „Realpolitik"

War es noch das Ziel des originären Konservatismus, die realen gesellschaftlichen Gegensätze von einem „über" den Klassen gelegenen Standort aus in einem organischen Staatsganzen aufgehen zu lassen, so stellt sich der Gedanke der Einheit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt unter den Bedingungen von nationaler Expansionspolitik und pazifizierender Innenpolitik in Preußen-Deutschland in den Dienst der „Realpolitik". Sie „bewegt sich nicht in einer nebelhaften Zukunft, sondern in dem Gesichtskreis der Gegenwart, sie findet ihre Aufgabe nicht in der Verwirklichung von Idealen, sondern in der Erreichung konkreter Zwecke, und sie weiß sich, unter allem Vorbehalt, mit halben Resultaten zu begnügen, wenn die ganzen nun einmal bis auf weiteres nicht zu haben sind. Endlich ist die Realpolitik eine abgesagte Feindin aller Selbsttäuschung. Es ist ihr eine Gewissenssache, die Menschen und die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und demgemäß nur das zu wollen, was sie kann."

„Herrschen heißt Macht üben, und Macht üben kann nur der, welcher Macht besitzt" — diese vielsagende Tautologie eint Liberale wie Konservative. Monarch, Heer und Beamtentum als die — nach Treitschke — regierenden Klassen stehen jenen Parteien gegenüber, die zu Störfaktoren im politischen Getriebe erklärt werden, sofern sie die politische Willensbildung beeinflussen wollen. Mit dem Primat der realen Machtverhältnisse und der Bindung von „Ideen" an Macht und Lebensinteressen ist die Einheit des Staates und die absolute Gehorsamspflicht der Untertanen gesetzt. Doch schließt ein derartiger machtpolitischer Immoralismus die Fürsorgepflicht des Staates für jene, die in das Mahlwerk der Industrialisierung zu geraten drohen, nicht aus. So konnte der Pseudokonstitutionalismus im Bismarckreich beträchtliche Ansätze einer Sozialpolitik entwickeln, die eindeutig als Gegenstrategie zu den Forderungen der Sozialdemokratie konzipiert waren

Die bis heute dominierende Stellung des Konservatismus in Deutschland ist nicht zuletzt Konsequenz der Wirtschafts-und Sozialgeschichte. Die überragende Funktion des Adels in den deutschen Kleinstaaten und Fürstentümern wie auch in Preußen läßt das Vorherrschen konservativer Staatsvorstellungen bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein verständlich erscheinen

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bestand in Deutschland ein politisches System, das in mehrfacher Hinsicht mit keinem der westlichen Industriestaaten vergleichbar ist. Im auffälligen Gegensatz zur englischen und französischen Entwicklung war das deutsche Bürgertum weder in der Lage noch willens, die politische Macht im Staat selbst zu übernehmen. Für die „Verspätung" (Plessner) auf dem Weg zur Nation war die territoriale und politische Zersplitterung des Reichs ein wesentlicher Faktor, der den Abbau feudaler Produktionsverhältnisse und die Herausbildung einer Bourgeoisie auf nationaler Ebene behinderte. Die zur Zeit der Französischen Revolution auch in Deutschland vorhandenen Ansätze aufklärerisch-liberaler und demokratischer Kultur wurden bald nach dem Aufkommen der Jakobinerherrschaft in Frankreich, spätestens seit der Invasion der napoleonischen Heere durch nationalistische Strömungen, verschüttet. Zwar kam es zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgrund der Folgen der Französischen Revolution zu einer Einschrän-kung der absoluten Monarchie, doch stärkte dies wiederum die Bürokratie, die in Preußen eine Art „Entwicklungsdiktatur" ausübte, wodurch die Entfaltung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse einen wesentlichen Anstoß erhielt. Die Tatsache, daß mit fortschreitender Industrialisierung immer breitere proletarische Schichten hervorgebracht wurden, war für Verlauf und Ausgang der bürgerlichen Revolution 1848/49 entscheidend: Um ihre sozialen Privilegien zu retten, verzichteten besonders die nationalliberalen Teile des Bürgertums auf die Durchsetzung ihrer politischen Interessen und Ansprüche. Man wandte seine Energien — unterm Schirm Bismarcks und später Wilhelms II. — fortan auf die Expansion von Handel und Industrie, beschränkte sich politisch im übrigen auf die Einhaltung formal-rechtsstaatlicher Grundsätze bei der öffentlichen Verwaltung Die Zentren der politischen Macht lagen besonders in Preußen bei Bürokratie und Armee, deren soziale Träger hauptsächlich Adlige oder in den Adelsstand aufgenommene Bürger waren. Ihre ungebrochen führende Stellung im Staatsapparat erlaubte es ihnen, sich der Entfeudalisierung zu entziehen. So etwa blieben die Gutsbezirke als politische Einheiten bis 1927 bestehen — bei gleichzeitiger Bewirtschaftung im Zeichen von Kapitalisierung und Lohnarbeit.

Bismarck als dem Repräsentanten der das Heer stützenden Klasse gelang es, durch seine „bonapartistische" Politik das Konfliktpotential zwischen Adel und Bürgertum weitgehend zu beseitigen. Verfassungspolitisch stellt das Zweite Reich ein Bündnis der Fürsten dar, repräsentiert durch einzelstaatliche Bürokratien. Die politische Schwäche des deutschen Liberalismus war die Stärke seiner Gegner. Sein Versäumnis war es, „die langfristigen Auswirkungen des industriellen Systems selbst zureichend zu reflektieren. Es kam hinzu, daß die politischen Gegner des Liberalismus, in erster Linie Bismarck selber, es verstanden, wesentliche Teile des ökonomischen und gesellschaftlichen Programms des Liberalismus gleichsam an diesem vorbei zu verwirklichen und ihn dergestalt der Früchte der eigenen Aktivität zu berauben." So blieb der deutsche Liberalismus im wesentlichen an den Verhältnissen und Bedürfnissen des Frühkapitalismus orientiert, stand dementsprechend auch den Prozessen der Monopolisierung und Konzentration des Kapitals hilflos gegenüber, überdies war er — seinem reformistischen Ansatz entsprechend — weitgehend „auf das Prinzip der . Vereinbarung’ mit den herrschenden Gewalten festgelegt"; um so entschiedener „perhorreszierte" er „das radikaldemokratische Prinzip der Volkssouveränität"

Während des Ersten Weltkrieges verlagerte sich schließlich das politische Machtzentrum im Kaiserreich zu einer kommissarischen Diktatur der Militärkreise um Ludendorff. Erst angesichts der Drohung des bevorstehenden Zusammenbruchs der militärischen Fronten eröffnete sich die Möglichkeit des Übergangs zu einer palamentarischen Regierungsform. Eine Koalition aus Mehrheitssozialdemokraten, Zentrum und Linksliberalen, die das spätere Bündnis von Weimar vorwegnahm, sollte auf Geheiß der militärischen Führung den sofortigen Abschluß eines Waffenstillstandes herbeiführen. Man überließ es in dieser prekären Situation wohlweislich der demokratischen Linken, mit den Ergebnissen einer obrigkeitsstaatlichen Politik fertig zu werden, so daß der Parlamentarismus von Beginn an mit dem Odium einer „Verzichtspolitik“ behaftet war.

V. „Konservative Revolution" in der Weimarer Republik

Spätestens die durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 heraufbeschworene Systemkrise der Weimarer Republik offenbarte, daß „zu viele Machtstrukturen einfach aus dem Kaiserreich übernommen worden waren und ihre Loyalität nicht der neuen Verfassung, sondern der alten Herrlichkeit zu-wandten, deren Wiederkehr sie herbeisehnten, weil es am Grundkonsens der politischen

Kräfte fehlte, weil es dem Staat von Weimar an sichtbaren Erfolgen mangelte und weil sich im Endstadium nur noch eine Minderheit rückhaltlos für die Republik und ihre Verfassung einsetzte"

Die Ursachen der von Beginn an krisenhaften Entwicklung der Weimarer Republik liegen nicht nur im Bereich der Währungs-und Wirtschaftskrisen. Ihr Scheitern folgt einer inne-ren Konsequenz. So dürfte kaum zu bestreiten sein, daß aufgrund der bekannten „Vorbelastungen" des deutschen Parlamentarismus und als Folge einer nationalen „Verspätung" Deutschland vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ein eigentümliches Zwittergebilde geblieben ist, an dem sich eine nie überwundene Diskrepanz zwischen demokratischem Verfassungsanspruch und autoritärer Verfassungswirklichkeit als die Konstante seiner sozialen und politischen Entwicklung ablesen läßt

Das damit bezeichnete schwelende Konfliktpotential haben bereits zeitgenössische Autoren wie z. B.der Nationalökonom und Soziologe Alfred Meusel beobachtet. In einem scharfsinnigen Beitrag „Zur Problematik der politischen und sozialen Demokratie" aus dem Jahre 1928 hat er die innere politische Situation der Weimarer Republik analysiert Er kommt zu dem Schluß, daß „die eigentlichen Errungenschaften der Revolution (nach 1918, Verf.) in der politischen Sphäre zu suchen sind" während im Bereich der sozialen und ökonomischen Strukturen nach wie vor die tradierten obrigkeitsstaatlichen Autoritätsverhältnisse vorherrschten. Dies mußte zu einer sich ständig verschärfenden Diskrepanz zwischen sozialer und politischer Demokratie in Krisenzeiten führen. Die wachsenden Widersprüche der einander widerstreitenden Forderungen an den republikanisch verfaßten Staat müßten dazu führen, daß — wenngleich aus völlig konträren Motiven — bürgerliche und proletarische Schichten sich gleichermaßen von der Demokratie zurückziehen, „und zwar die einen, weil sie ihnen zu sehr, die anderen, weil sie ihnen zu wenig im sozial-demokratischen Sinne arbeitet. Jeder wünscht der Demokratie einen anderen Inhalt zu geben, als er es vermag; jeder fürchtet, in eine dauernde Minorität gedrängt zu sein und infolgedessen nie mehr eine Identifikation seines Willens mit dem Nationalwillen erreichen zu können. Dann entsteht ein leerer Raum um die Demokratie, und es ist gewiß, daß sie in diesen über kurz oder lang hinabstürzen wird, wenngleich sie sich noch eine Zeitlang mit der Schwerkraft des einmal Daseienden zu erhalten vermag"

Das strukturelle Defizit der Weimarer Republik lag darin, daß sie sich sozial nicht etablieren konnte, weil die überkommenen Strukturen des Obrigkeitsstaates die Verfassungswirklichkeit so nachhaltig prägten, daß ein grundlegender Wandel fast unmöglich schien. Die konservativ-bürgerlichen Schichten tolerierten die republikanische Verfassungsform und den Parlamentarismus so lange, als dies für sie von Vorteil war und sie selbst sich nicht durch die politisch organisierten Arbeiter, ihre Parteien und Gewerkschaften in ihren Besitzinteressen bedroht fühlten. Man tolerierte die republikanische Verfassung nur unter der Bedingung, daß sie sich nicht zur sozialen Demokratie fortentwickelte. Andererseits konnte der republikanische Staat nicht mehr ohne weiteres reiner Interessenvertretungsstaat der Vermögenden und ökonomisch Privilegierten bleiben, weil dafür die Homogenität sowohl hinsichtlich der Klassenschichtung als auch der politischen Rekrutierung des Parlaments fehlte.

So befand die Weimarer Republik sich in einem Schwebezustand: politisch bereits eine republikanisch verfaßte Präsidialdemokratie, sozial hingegen eine Gesellschaft, in der sich die Privilegienpyramide über alle Erschütterungen hinweg relativ konsistent erhalten hatte. Dies führte dazu, daß die politische Demokratie, durch eine ständige Aushöhlung bedroht, schließlich durch Halbdiktaturen in der Phase ab 1930 in Frage gestellt und durch ein Bündnis von mittelständischen Gruppierungen, völkisch-nationalen und alldeutschen Vereinigungen mit der nationalsozialistischen Bewegung beseitigt werden konnte Ist die Annahme berechtigt, daß es sich bei der sog. Machtergreifung durch die Nationalsozialisten nicht um einen Betriebsunfall, sondern um einen stufenweisen Prozeß der Aushöhlung des Weimarer Verfassungsgefüges handelte, stellt die Krisenperiode von 1930— 1933 sich gleichsam nur als der Höhepunkt einer bereits bei Gründung der Republik angelegten Auflösungs-und Zerfallstendenz der versuchten politischen Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Wilheminismus dar. Vor diesem Hintergrund erscheint die oft beschriebene deutsche „Sonderentwicklung" als Inkubationsphase späterer Entwicklungen Im weiten Rahmen einer „Konservativen Revolution" hatten sich nach der Errichtung der Weimarer Republik neben dem seit 1891 bestehenden „Alldeutschen Verband (ADV)" so verschiedenartige Organisationen wie der „Stahlhelm", die „Deutsche Volkspartei (DVP)", die „Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP)" und die „Deutschnationale Volkspartei (DNVP)" zusammengefunden. Deren Avantgarde war von einem „heroischen Nihilismus" geprägt, der sich — besonders in bildungsbürgerlichen Kreisen — als kulturpolitische Bewegung empfahl und eine „Neuordnung" des geistigen Lebens forderte. Das Kriegserlebnis hatte in einer von Inflation und Wirtschaftskrisen gezeichneten Gesellschaft ein politisches für Klima erzeugt, dem aktivistische Strömungen nationalistischer Provenienz ein günstiger Boden war

Nach dem Ersten Weltkrieg fand Oswald Spenglers Formel vom „Untergang des Abendlandes" ein breites Echo. Der von Kulturmüdigkeit ergriffene Bürger konnte hier seine vielfältigen Krisen im Glanz der Abdankung des „faustischen" Menschen nacherleben. An die Stelle früheren konservativen Bewahren-wollens tritt die dezisionistische Setzung neuer Mythen. Gemeinsam ist den konservativen Revolutionären der Weimarer Zeit eine auffällige Suche nach Sicherheit, Geborgenheit und Sauberkeit, die man in nationalen oder staatlichen Übersubjekten — wie dem so-genannten Volkskörper — zu finden glaubte. Das Motto dieser Signale von rechts könnte lauten: „Der Ursprung ist das Ziel." Das alte Kaiserreich war dahin — eine künftige politische Gemeinschaft noch nicht in Sicht. So erschien die republikanisch-demokratische Gegenwart aus konservativer Optik als eine Zeit bloßen Übergangs, ja als drohender Verfall. Mangels Bereitschaft zur Identifizierung mit dem verachteten „System" von Weimar und unter dem Eindruck wachsenden Drucks auf das sozio-ökonomische Strukturgefüge vollzogen die Konservativen schließlich den Kopfsprung ins „Dritte Reich".

Zu den Schlüsselbegriffen Konservativen der Revolution gehören: „Volksgemeinschaft" — „Nation" — „Organismus" — „Entscheidung" und „deutscher Sozialismus". Allen neokonservativen Versuchen ist die Tendenz eigen, neue Ordnungsprinzipien aufzurichten, die an die Stelle des — schon nach F. J. Stahl — angeblich zur Anarchie drängenden Liberalismus gesetzt werden sollen. Gemeinsam ist diesen Autoren die Verachtung für das, was man als „weltfremde Humanität" denunziert. In ihrem Antiliberalismus tritt unverhüllt die Sehnsucht nach festen Autoritäten und großen „Tätern" zutage. Diese Sehnsucht nach einem Retter aus der Not konnte dadurch gesteigert werden, daß man alles, was seit dem Bestehen der Weimarer Republik an Neuansätzen versucht worden war, als innerlich hohl, als dem 19. Jahrhundert entstammend abtat. „Autorität" als politische Losung heißt hier: bedingungslose Hingabe des einzelnen an eine alles fordernde Gemeinschaft. Sie ist bis heute die Parole des Antirepublikanismus aller Schattierungen geblieben. „Die Weimarer Republik hatte sich von Anbeginn in einer latenten Autoritätskrise befunden; sie brach zusammen, als eine akute Krise einsetzte. Es hat nicht an Kräften und Strömungen gefehlt, die die demokratisch-freiheitliche Ordnung durch eine, wie sie sagten, autoritäre ersetzen wollten, sei es, weil sie an die Funktionsfähigkeit der demokratischen, vor allem in Krisenzeiten, nicht glaubten, sei es, weil sie sie um ihrer eigenen Interessen willen ablehnten. Die Anhänger dieser Tendenzen nannten sich . autoritär'. Das Wort ist schon im 19. Jahrhundert gebraucht worden, aber erhielt jetzt in der Demokratie eine neue Bedeutung. Immer lauter erscholl der Ruf nach einer über allen Parteien und Interessen stehenden Autorität, nach der Staatsgewalt, die unabhängig von Kräften und Strömungen der Gesellschaft im Hegelschen Sinn über der Gesellschaft stehen sollte."

Ihrer Beschwörung dient der Mythos vom „Dritten Reich", das, so Moeller van den Bruck, niemals Besitz, sondern immer Aufgabe sei. Dieser Reichsidee verband sich die Vorstellung einer besonderen Sendung des deutschen Volkes. Es geht um eine Form der Integration von rechts in die Einheit eines „neuen" Staates. Wie dieser Staat im einzelnen aufgebaut sein soll, darüber gibt es nur Andeutungen. Es ist das „Reich", in dem Elemente berufsständischhierarchischer Art mit solchen eines „deutschen Sozialismus" zu einer Synthese verbunden werden sollen, die jenseits aller liberalen und marxistischen Positionen angesiedelt wird.

Ob konservative Revolutionäre den „Untergang des Abendlandes" prophezeien, im Namen des Mythos vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gegen die Weimarer Republik zu Felde ziehen (Arthur Moeller van den Bruck), oder den Kampf als solchen heroisieren (Ernst Jünger, Spengler) — gemeinsam ist ihnen, daß sie latent vorhandene Untergangs-und Aufbruchsstimmungen der verunsicherten Zwischenschichten mit einem emotionalen „Komfort der Weltanschauung" (Georg Lukäcs) ideologisch aufbereiten. Carl Schmitt war einer der konsequentesten dieser Ideologen der „Konservativen Revolution". Er empfahl den Diktaturgedanken und das Konzept einer ihn dogmatisch überhöhenden „Politischen Theologie" — so der Titel seiner 1922 erschienenen Schrift.

Die doppelte Frontstellung der Konservativen gegen Großkapital und Industrieproletariat zeichnete sich vor allem in jenem um Hans Zehrer sich gruppierenden „Tatkreis" ab. Hier verbanden sich romantisierende Kapitalismuskritik mit einer schroffen Ablehnung des marxistischen Sozialismus. Man verwarf den Parlamentarismus zugunsten des autoritären Staates. Herrschaftliche Dezision und Akklamation des Volkes wurden zu Grundpfeilern einer besonderen Form der Demokratie, die nur als Elitenherrschaft vorstellbar war.

Ein als Folge von Inflationen und Wirtschaftskrisen eingetretener Deklassierungsprozeß begünstigt den Konservatismus: Denn die Renaissance konservativer Bewußtseinsformen und Haltungen in sozialen und ökonomischen Krisenzeiten ist in der Regel mit dem Ruf nach Festigung der Autorität, nach einer erneuten Stärkung des Staates verbunden, der „durchgreifen" und „Ordnung schaffen" soll. „Starker Staat" und „starke Armee“ hieß schon im vorigen Jahrhundert die Losung der konservativen Parteien, in deren Zeichen man äußeren wie inneren Bedrohungen entgegentreten zu sollen glaubte. Sozialpsychologische Faktoren spielen auch im deutschen Konservatismus eine beträchtliche Rolle. Konservative Aussagen offenbaren, welch zentrale Funktion die im Sinne einer Verschwörungstheorie organisierbare Angst vor Geheimbünden, umstürzlerischen Bewegungen, Revolutionen, vor Liberalen oder Sozialisten für die Konstituierung des konservativen Bewußtseins hat.

Ohne Zweifel spielen bei den immer wiederkehrenden Reaktivierungen konservativer Potentiale kollektive Angstsituationen eine erhebliche Rolle. Sie sind meist dann zu beobachten, wenn Schichten mit mittelstandsspezifischer Mentalitätsstruktur in ihrem Prestige oder gar in ihrer Existenz sich bedroht fühlen. Zumindest haben vermeintliche oder tatsächliche Deklassierungsprozesse das Aufkommen konservativer Reaktionen in der neueren Geschichte stets begünstigt Gleichwohl wird man diese Zusammenhänge nicht so verstehen dürfen, daß immer dort, wo Angst sich kollektiv ausbreitet, automatisch auch der Konservatismus ins Kraut schießt, zumal es ja auch andernorts sozial verursachte Angst gibt.

Wohl aber gehört ein schichtenspezifisches Reservoir konservativer Reaktionen zu den möglichen Spielformen der Angstabwehr.

VI. Technokratischer Konservatismus heute

Es wäre verfehlt, Konservatismus heute einfach als rückwärts gewandte Haltung zu bezeichnen. Denn von dort bezieht er nur seine Argumentationsmuster und weltanschaulich gefärbten Topoi. Der gegenwärtige Konservatismus orientiert sich durchaus an der Gegenwart. Das ihm eigene Sensorium für gesellschaftliche Veränderungen ist ein Moment seiner politischen und ideologischen Wirkung. Die Konservativen sehen sich gegenwärtig wieder weltweit als die „Partei der Sorge und Verantwortung", die nach einem Ausgleich von Effizienz und „Liberalität" sucht. Da freiwilliges Mitmachen und Verhaltenskontrolle jedes einzelnen Voraussetzung für das Funktionieren hochkomplexer Gesellschaften ist, erscheint aus der Optik des technokratischen Konservatismus die Aussöhnung mit der Technik als Überlebensfrage. Autorität und Ordnung gelten zwar nach wie vor als die zentralen Werte, doch haben sich die Mittel zu deren Sicherung radikal verändert. Aus dem konservativen Rückzug in die „heile Welt" ist inzwischen, so scheint es, modernes Management „gewachsen". Der „Gärtner-Konservatismus" von einst ist den dynamisch und offensiv auftretenden Konservativen obsolet geworden. Die Postulate dieses „neuen“, längst technik-freundlich gesonnenen Konservatismus lauten: — Entpolitisierung der Politik, die traditionell als moralisch (im Sinne der Orientierung an ..... ismen") und emotional gilt;

— Entideologisierung der Massen;

— Neutralisierung der Interessenkonflikte in der Gesellschaft;

— Stärkung der Autorität des „technischen Staates";

— Sicherung und Ausbau der Elitenherrschaft als Stabilisatoren einer „Leistungsgesellschaft". Seit Beginn der fünfziger Jahre haben etwa Raymond Aron, Daniel Bell, Helmut Schelsky, Arnold Gehlen u. a. das Konzept des „technischen Staates" entwickelt. In ihm herrsche — so wird behauptet — tendenziell allein der „Sachzwang" der technischen Mittel, der an die Stelle früherer Formen politischer Herrschaft getreten sei Damit werden Technokratie und Demokratie zu unvereinbaren Alternativen. So heißt es bei Schelsky: „Gegenüber dem Staat als einem universalen technischen Körper wird die klassische Auffassung der Demokratie als eines Gemeinwesens, dessen Politik vom Willen des Volkes abhängt, immer mehr zur Illusion." Die technischen und sozioökonomischen Strukturen werden von einer solchen Position in den Rang einer „zweiten Natur" gehoben. In einer technokratischen, „entideologisierten" Gesellschaft sollen den alten konservativen Tugenden des Dienstes und des Opfers zu erneuter Geltung verhülfen werden. Der Politiker im technisch gewordenen Staat wird als Analytiker, Planer, Konstrukteur vorgestellt. Er besitzt Takt und Augenmaß, ist also vor allem „Realpolitiker". Solchermaßen funktionsbezogene Herrschaft bedarf, so wird gefolgert, keiner besonderen Legitimation, solange sie funktioniert. Machteliten herrschen mit Hilfe der Technik einfach kraft Verfügung über die Medien via „inside-doping" Unter Berufung auf technische Sachzwänge können Forderungen wie die nach demokratischer Mitbestimmung bequem abgewehrt werden. Dies geschieht sowohl durch den Hinweis auf Effizienzgesichtspunkte als auch mit.dem rituellen Argument, daß es in jeder industriell fortgeschrittenen Gesellschaft nun einmal Eliten geben müsse, die aufgrund ihres Sachverstandes dazu berufen seien, im Sinne des Gemeinwohls ungestört zu fungieren. Sie bilden, so hört man, das einzig stabile Element. Die Hierarchie einer auf Technik, Industrie und Management basierenden „Leistungsge-Seilschaft" findet gegenwärtig bei Konservativen Beifall. Armin Mohler etwa beschwört und begrüßt den „Frontwechsel" zwischen links und rechts: „Die Linke hat ... mit den Konservativen die Rolle getauscht. Sie, die sich so lange im avantgardistischen Glanze sonnte, hat nun die Rolle der Maschinenstürmer und damit der . Nachzügler der Weltgeschichte’ übernommen. Die Konservativen aber hat ihr Widerstand gegen mutwilliges Zerstören unversehens auf die Seite der Indu-striegesellschaft gedrängt, der sie so lange mißtrauisch gegenübergestanden waren." Den Hintergrund solcher Auslassungen bilden die Pariser Mai-Ereignisse des Jahres 1968. Ihre Konsequenz besteht darin, daß dort, wo der Bestand einer Gesellschaftsstruktur gefährdet scheint, die Konservativen sich entschieden auf die Seite von Industrie, Technik und ökonomischem Wachstumsfortschritt schlagen.

VII Staatsgewalt und Konservatismus

Die Staatsgewalt ist, in der Tradition des Thomas Hobbes, für den Konservatismus nach wie vor höchster Wert, und zwar in mehrfacher Hinsicht:

Erstens: Hauptziel ist die Bewahrung der tradierten Autorität des Staates als einer schlagkräftigen Ordnungsmacht, um die Erhaltung gesellschaftlicher Machtstrukturen kraft der Legitimität der „Sachzwänge" zu garantieren.

Damit ist die Abneigung des originären Konservatismus gegen rationale Planung, gegen Technik und ihre „kultur-und seelenzerstörenden" Folgen ins Positive gewendet; der technokratische Konservatismus wird aktivistisch, er marschiert — konservativem Selbstverständnis gemäß — längst an der Spitze des „wahren" Fortschritts.

Zweitens: Dem Staat als „neutraler" Gewalt steht die in partikulare Interessen zerfallene Gesellschaft gegenüber, nicht im Sinne eines Nebeneinanders, sondern einer eindeutigen Hierarchie. Als „pouvoir neutre" — nach Gustav Radbruch schon in der Weimarer Republik die „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates" — steht der Staat über allen bloßen Parteien und Gruppeninteressen. Er erscheint als der Hüter des Allgemeinwohls

Drittens: Die Fundierung konservativer Staatslehre erfolgt primär anthropologisch.

Eine Staatsverfassung entspricht nur dann der „wahren" menschlichen Natur, wenn sie es vermag, die egoistischen Interessen der nicht mehr instinktgesicherten menschlichen Natur im Zaum zu halten. Denn einzige Alternative ; zum starken Staat mit straffer Führung wäre der Rückfall ins Chaos.

Viertens:, Gerade weil Staatlichkeit seit dem Hinschwinden ihrer einst unbefragten Autorität prekär bleibt (was schon aus ihrer Fundierung auf die labile menschliche Natur folgt), muß — zumindest seit Hobbes'Lehre vom Unterwerfungsvertrag — das Recht eines jeden beschnitten werden, damit jener Grundbestand des Freiheitsspielraumes aller Individuen gesichert werden kann, der zur persönlichen Freiheit der Bürger in der Gesellschaft unerläßlich ist. Die Ordnung des Staates wird gemessen an ihrer freiheitssichernden Garantie für die Herrschaftsunterworfenen, wobei „Freiheit" freilich private Freiheit bleibt. Öffentliche Freiheit hingegen, als im eigentlichen Sinne politische, kann es in diesem Modell nur von Gnaden des Staates geben, jederzeit widerrufbar. Bürgerliche Freiheit bleibt damit dem konservativen Grundwert der Ordnung nachgeordnet.

Fünftens: Konservative Staatslehre dient primär der Legitimation von Herrschaft. Nur wenn alle Bürger des Staates sich so verhalten, daß die Vermutung zu Recht besteht, sie hätten zugunsten der Aufrechterhaltung Ordnung im Staat auf alle ihre Sonderrechte (Parteien, Gruppen, Verbände) verzichtet, kann von Stabilität und „Regierungsfähigkeit" die Rede sein. Hierin eben bleibt die Staatsvertragslehre von Hobbes zumindest implizit Vorbild allen konservativen Staatsverständnisses: Ihr zentraler Gedanke gipfelt in der These, daß eine Staatsverfassung so konstruiert werden müsse, daß sie auch für eine Gesellschaft potentieller Rechtsbrecher Wirksamkeit erlangen könne. Die Schutzgarantie und die freiheitssichernde Funktion des Staates erhält heute jedoch nicht bloß in konservativer Politik den absoluten Primat vor allen anderen Funktionen, so etwa vor den sozialstaatlichen. Sechstens: Der entscheidende strategische Grundgedanke konservativer Staatskonzeption beruht auf der Zuspitzung einer scheinbar zwingenden Antithetik: Entweder die Bürger fügen sich dem Staat (der, wie gezähmt auch immer, doch latent Leviathan bleibt), so sehr sie auch im einzelnen dabei von ihren Bedürfnissen abstrahieren müssen — oder aber der Leviathan stirbt und an seine Stelle tritt der Bürgerkrieg, das Chaos, die nackte Anarchie. Alle konservativen politischen Theorien gehen von einer tendenziell korrupten Natur des Menschen aus. In dieser Einschätzung der menschlichen Natur stimmen Hobbes und der heutige Konservatismus durchaus überein. Das theologisch gespeiste Dogma von der Sündhaftigkeit der Welt mache starke Institutionen (Staaten und Staatsmänner) notwendig, um die nun einmal alles andere als friedfertigen Untertanen voreinander und nicht zuletzt auch vor sich selbst zu schützen. Von Hobbes bis Schelsky gibt es einen Grundzug konservativer Staatsauffassung, der in dem Motiv gipfelt, das hybrid-chaotische Wesen des Menschen durch feste politische Autoritäten in Schranken zu halten. Am besten geschieht dies heutzutage im Rahmen einer rechtsstaatlich verfaßten sanften Despotie, im Bund mit monopolisierten Medien fürs Interieur des politisch ohnedies recht apathischen Wahlvolks. Der Wertprimat institutioneller Sicherungen im Konservatismus resultiert letztlich aus der Festschreibung eines menschlichen „Wesens", was sich politisch in der Absolutsetzung staatlicher Obrigkeit niederschlägt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zur Entstehung erster konservativer Widerstände und Gruppierungen gegen aufgeklärten Absolutismus und „Ideokratie": Fritz Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770— 1815, München 1951; ders., Die Entstehung des europäischen Konservatismus, in: Hans Gerd Schumann (Hg.), Konservatismus, Köln 1974; ders., Geschichte der abendländischen Aufklärung, Wien—München 1961; Martin Greiffenhagen, Das (Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Mün-Ehen 1971; zum Begriff der „Ideokratie" bes. Heinrich Leo, Zu einer Naturlehre des Staates, Frankfurt/M. 1948.

  2. Zit. nach Greiffenhagen, a. a. O., S. 45.

  3. So etwa Jan Romein, über den Konservatismus als historischer Kategorie, in: Klaus Ziegler (Hg.), Wesen und Wirklichkeit des Menschen. Festschrift für Helmuth Plessner, Göttingen 1957, S. 215 ff., hier S. 217 ff.

  4. Zum aktuellen Problem des Mittel-und Unterschichtenkonservatismus vgl. Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Zürich 1935, bes. S. 23 ff., 35 ff.; Hans Gerd Schumann, Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, Frankfurt/M. 1958, bes. S. 9 ff., 53 ff.; Ernst Nolte (Hg.), Theorien über den Faschismus, Köln—Berlin 1967, S. 86 ff.; Seymour M. Lipset/Earl Raab, The Politics of Unreason, New York— Evanston—London 1970, S. 124 ff.; Annette Leppert-Fögen, Die deklassierte Klasse, Frankfurt/M. 1974, bes. S. 185 ff., 259 ff.; Heinz-G. Haupt, „Bourgeois und Volk zugleich“?, Frankfurt/M. —New York 1978.

  5. Zur Abgrenzung der Typen politischer Ideologien vgl. Kurt Lenk, „Volk und Staat“, Stuttgart—Berlin— Köln—Mainz 1971, S. 20 ff.; Plastisch hat Fritz Mauthner den Leerformelcharakter politischer Ideologien bezeichnet: „Das leerste Wort, das brauchbarste. Wie ein Kürbis zur Flasche wird, nachdem der natürliche Inhalt herausgenommen ist.“ In: Wörterbuch der Philosophie, München und Leipzig 1910, S. 323.

  6. Karl Mannheim, Wissenssoziologie, Berlin und Neuwied 1964, S. 408— 508; ders., Ideologie und Utopie, Frankfurt/M. 19523, S. 104 ff., 199 ff.

  7. Vgl. Carl Schmitt, Politische Romantik, München und Leipzig 19252; Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, Leipzig 1931, S. 40 ff.

  8. Vgl. Karl Mannheim, a. a. O., S. 201 ff.

  9. G. Hoffmann, in: DIE ZEIT, Nr. 33 (10. 8. 1979); Erhard Eppler hat in mehreren seiner Schriften den 'heute sog. „linken Konservatismus" als Wertkonser. vatismus — im Gegensatz zum Strukturkonservatismus — bezeichnet. Jener „will die Veränderung von ^Strukturen im Namen gefährdeter Werte", während dieser an den Strukturen um ihrer selbst willen festzuhalten geneigt ist. Vgl. Erhard Eppler, Das ^Schwerste ist Glaubwürdigkeit, Reinbek bei Ham(bürg 1979, S. 172.

  10. Zur Mentalitätskategorie vgl. Theodor Geiger, Die soziale Schichtung des deutschen Volkes, Stuttgart 1932; ders., Ideologie und Wahrheit, Stuttgart—

  11. Karl Mannheim, a. a. O., S. 200.

  12. Vgl. Alfred Seidel, Bewußtsein als Verhängnis, Bonn 1927; zum „Kulturgewolle" S. 179 ff.

  13. Karl Mannheim, a. a. O„ S. 445 f.

  14. Vgl. dazu Martin Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, München 1971, S. 62 ff.

  15. Georg Quabbe, Tar a Ri, Variationen über ein konservatives Thema, Berlin 1927, S. 7.

  16. Vgl. hierzu Helga Grebing, Konservative gegen die Demokratie, Frankfurt/M. 1971, S. 33.

  17. Edmund Burke, Selected Writings and Speeches, New York 1963.

  18. Vgl. Arnold Gehlen, Der Mensch, Berlin 1944, S. 142 f.

  19. Vgl. hierzu Hans-Gerd Schumann, Edmund Burkes vom Staat und Gleichgewicht in Staatensystem, Meisenheim am Glan 1964; ferner Manfred Henningsen, Edmund Burke, in: Vom Nationalstaat zum Empire, München 1970, S 43 ff.; Jürgen Jansen, Britische Konservative und Europa, Baden-Baden 1977, S. 48 ff.

  20. Allerdings ist das Widerstandsrecht bereits ein bei den calvinistischen Monarchomachen bekanntes Postulat, vgl. Jürgen Dennert (Hg.), Beza Brutus, Hotman, Köln und Opladen 1968; vgl. Fritz Bauer (Hg.), Widerstand gegen die Staatsgewalt, Frankfurt a. M. 1965, S. 100 ff.

  21. Edmund Burke, Betrachtungen über die französische Revolution, Frankfurt/M. 1967, S. 160

  22. Friedrich Jonas, Geschichte der Soziologie L, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 163.

  23. „Ideokratie" nennt Heinrich Leo etwa den aus dem „reinen, das konkrete Individuum nicht achtenden Gedanken" entsprungenen Jakobinerstaat Robespierres, vgl.ders., Naturlehre, a. a. O., S. 46.

  24. Das hier gemeinte Syndrom „Volk und Staat" hat Fritz Croner in seiner Studie über „Die deutsche Tradition", Opladen 1975, aus der souveränen Optik eines Emigranten eindringlich analysiert, vgl. S. 51 ff.

  25. Franz von Baader, Gedanken über Staat und Gesellschaft, Revolution und Reform, Darmstadt 1968, S. 11 f.

  26. Franz von Baader, ebd., S. 47.

  27. Franz von Baader, ebd., S. 11.

  28. Adam Müller, Die Elemente der Staatskunst, Berlin 1968, S. 27.

  29. Franz von Baader, a. a. O., S. 39/40.

  30. Ebd. S. 42; vgl. Adam Müller, a. a. O., S. 375 ff.

  31. Franz von Baader, a. a. O., S. 45.

  32. Alfred Vierkandt, Staat und Gesellschaft in der Gegenwart, Leipzig 19212, S. 111; vgl.ders., Kultur des neunzehnten Jahrhunderts und der Gegenwart, in: Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1959, S. 141 ff., S. 191 ff., 533 ff.; zur neuromantischen Kapitalismuskritik bei Simmel, Scheler und Alfred Weber vgl. Kurt Lenk, Marx in der Wissenssoziologie, Neuwied und Berlin 1972, S. 13 ff.

  33. Vgl. zum folgenden Hans Freyer, Die Romantiker, in: F. K. Mann (Hg), Gründer der Soziologie, Jena 1932, S. 79 ff., insbes. S. 83 ff.

  34. Vgl. Otto Hintze, Staat und Verfassung (Ges. Abhandlungen Bd. I), Göttingen 19703, S. 359 ff.; ferner Ernst Wolfgang Böckenförde. Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt/M. 1976, S. 112 ff.

  35. Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik, Frankfurt/M. —Berlin—Wien 1972, S. 208;

  36. Ludwig August von Rochau, ebd., S. 25.

  37. Vgl. Hans Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, Köln 19712, insbes. S. 15 ff. Bismarck, das „ewige" Idol der deutschen Konservativen, war in diesem Sinne Realpolitiker und Sozialpolitiker in einer Person. Ihm wurde nicht bloß in der Zeit von Weimar, sondern im gleichen Maße auch von den Bundesregierungen wortreich gehuldigt. Vgl. z. B. , „Gedenkfeier anläßlich des 150. Geburtstages des Reichskanzlers Otto von Bismarck im Bundeshaus i am 1. April 1965". Sonderdruck aus dem Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregiet rung Nr. 59/65 vom 2. April 1965 (es sprachen Bun

  38. Zur nach wie vor ungebrochenen Kontinuität deutscher Oberschichten und politischer Eliten vgl. Rolf Dahrendorf, Deutsche Richter. Ein Beitrag zur Soziologie der Oberschicht, in: ders., Gesellschaft und Freiheit, München 1961, S. 176 ff.; ders., Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 251 ff.; Wolfgang Zapf, Wandlungen der deutschen Elite, München 1965, bes. S. 41 ff., 56 ff.; Klaus von Beyme, Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland, München 1971, bes. S. 162 ff.

  39. Zum Formalismus der deutschen Staatsrechts-wissenschaft (Gerber, Laband) vgl. Peter von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus, Frankfurt/M. 1974, bes. S. 249 ff.; ferner Werner Maihofer (Hg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, Darmstadt 1962.

  40. Wolfgang J. Mommsen, Die liberale Idee in einer sich wandelnden Gesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 23/79, S. 6.

  41. Ebd.

  42. Hans-Jochen Vogel, Demokratie ohne Demokraten, in: Vorwärts Nr. 33, S. 29.

  43. Ernst Fraenkel, Deutschland, S. 23 ff.

  44. Vgl. hierzu Wilhelm Hoegner, Flucht vor Hitler, Frankfurt 1979; ferner Hans Mauch, Entstehung und Funktion der Freikorps in der Anfangsphase der Weimarer Republik 1918— 1920 (StaatsexamensarI beit, RWTH-Aachen 1978).

  45. Alfred Meusel, Zur Problematik der politischen r und sozialen Demokratie, in: Kölner Vierteljahres-I hefte für Soziologie, München und Leipzig 1928, Jg. VII, S. 141 ff.; vgl.ders., Die Abtrünningen, in:

  46. Meusel, Zur Problematik ..., a. a. O., S. 155.

  47. Ebd., S. 154.

  48. Zu den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik vgl. u. a. Arnold Brecht, Vorspiel zum Schweigen, Wien 1948; Hans-Gerd Schumann, Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, Hannover und Frankfurt/M. 1958-, Karl Dietrich Bracher, Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur, Bern—München—Wien 1964; Jürgen Kuczynski, Studien zur Geschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1918 bis 1945, Berlin 1965; Karl J. Newman, Zerstörung und Selbst-zerstörung der Demokratie. Europa 1918— 1938, Köln—Berlin 1965-, Wilhelm Hoegner, Der politische Radikalismus in Deutschland 1919— 1933, München—Wien 1966; Heinrich Hannover, Elisabeth Hannover-Drück, Politische Justiz 1918— 1933, Frankfurt/M. 1966; Wolfram Fischer, Deutsche Wirtschaftspolitik 1918— 1945, Opladen 19683; Karl-Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur, Köln—Berlin 1969; ders., Das deutsche Dilemma, München 1971; Theodor Eschenburg, Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik, Bd. III, München 1972; Manfred Clemenz, Gesellschaftliche Ursprünge des Faschis-

  49. Zur „deutschen Sonderentwicklung" vgl. u. a. Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Zürich 1935; Alfred Kämpf, Die Revolte der Instinkte, Berlin 1948; Georg Lukäcs, Die Zerstörung der Vernunft, Berlin 1954; ders., Von Nietzsche bis Hitler oder Der Irrationalismus in der deutschen Politik, Frankfurt/M. —Hamburg 1966; Helmuth Plessner, Die verspätete Nation, Stuttgart 1959; Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr, Bern—Stuttgart— Wien 1963; Wolfgang Heise, Aufbruch in die Illusion, Berlin 1964; Peter Viereck, Metapolitics, New York 1965; Hans-Ulrich Wehler, Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln—Berlin 19682; Helga Grebing, Aktuelle Theorien über Faschismus und Konservatismus, Stuttgart 1974.

  50. Vgl. dazu Alexander Mitscherlich, Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, München 1963, S. 223 ff.; zur sozialen Basis der nationalsozialistischen Massenbewegung vgl. Wolfgang Wippermann, Faschismustheorien, Darmstadt 1972, S. 56 ff.; Axel Kuhn, Das faschistische Herrschaftssystem und die moderne Gesellschaft, Hamburg 1973, S. 113 ff.; Alfred Sohn-Rethel, Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus, Frankfurt/M. 1973, S. 173 ff., 186 ff.; Richard Saage, Faschismustheorien, München 1976, S. 85 ff.; F. L. Carsten, Faschismus in Österreich, München 1977, S. 175 ff.; Reinhard Kühnl, Faschismustheorien, 2 Bde, Reinbek b. Hamburg 1974/79.

  51. Theodor Eschenburg, Über Autorität, Frankfurt/M. 1965, S. 156 f.

  52. Vgl. neuerdings: Klaus Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft: Das Beispiel des Tat-Kreises, Frankfurt/M. 1976.

  53. Zum Phänomen der Angst als Potential für Konservatismus vgl. u. a. Franz Neumann, Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt/M. 1967, S. 261 ff.; Klaus Horn, über den Zusammenhang zwischen Angst und politischer Apathie, in: Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft, Frankfurt/M. 1968, S. 59 ff.; August Nitschke, Die Bedrohung, Stuttgart 1972, S. 54 ff.; Walter von Baeyer, Wanda von Baeyer-Katte, Angst, Frankfurt/M. 1973, bes. S. 88 f.; Alexander Mitscherlich, Massenpsychologie ohne Ressentiment, Frankfurt/M. 19752, S. 80 ff.; Peter Brückner, Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären, Berlin 1978.

  54. Zur Ideologie des Sachzwangs vgl. Horst Baier (Hg.), Freiheit und Sachzwang, Opladen 1977; Wolfram Burisch, Ideologie und Sachzwang, Tübingen 19682, bes. S. 110 ff., 144 ff.

  55. Vgl. Helmut Schelsky, Mehr Demokratie oder mehr Freiheit?, in: ders., Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung, München 1973.

  56. Vgl. hierzu Mitscherlich, Massenpsychologie, a. a. O., S. 205 ff.

  57. Armin Mohler, Konservativ 1969, in: Formeln I deutscher Politik, München 1969, S. 110 f.

  58. Zum Syndrom Antiparteienaffekt und Antiplu( ralismus vgl. Ernst Forsthoff, Der Staat der Indu: striegesellschaft, München 19712; kritisch dazu Hans-Hermann Hartwich, Sozialstaatspostulat und j gesellschaftlicher Status quo, Köln und Opladen 1970.

Weitere Inhalte

Kurt Lenk, geb. 1929; Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Frankfurt am Main; 1966 bis 1972 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Erlangen/Nürnberg, seither an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Veröffentlichungen u. a.: Ideologie, Ideologiekritik und Wissenssoziologie, Darmstadt-Neuwied; Volk und Staat. Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart u. a. 1971; Marx in der Wissenssoziologie, Darmstadt-Neuwied 1972; Hrsg, mit F. Neumann: Theorie und Soziologie der politischen Parteien, 2 Bde, Darmstadt 1974; Theorien der Revolution, München 1973; Politische Wissenschaft. Ein Grundriß, Stuttgart u. a. 1975; Staatsgewalt und Gesellschaftstheorie, München 1980.