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Berufliche Vollzeitschulen in der bildungspolitischen Diskussion | APuZ 48/1979 | bpb.de

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APuZ 48/1979 Plädoyer für den Beruf Berufswahltheorien Ansätze zu einem emanzipatorischen Modell Berufliche Vollzeitschulen in der bildungspolitischen Diskussion

Berufliche Vollzeitschulen in der bildungspolitischen Diskussion

Lothar Beinke

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Ansprüche an das Bildungssystem sind nicht unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen in einem Lande. In Zeiten der Arbeitslosigkeit wird auch von den Schulen erwartet, daß sie einen Beitrag leisten, um insbesondere die Arbeitslosigkeit Jugendlicher mildern zu helfen. Dabei spielen zwei Ziele eine wichtige Rolle: Einmal kann man den Arbeitsmarkt entlasten, indem die Aufenthaltszeit der Jugendlichen im Schulsystem verlängert wird. Darüber hinaus ist ein besserer qualifizierter Jugendlicher eher in der Lage, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Nicht immer aber werden solche Pläne zur Milderung von Jugendarbeitslosigkeit auch daraufhin überprüft, ob sie einer gesamtorientierten Bildungskonzeption gerecht werden. Da das berufsbildende Schulwesen zumeist einer der ersten Adressaten für Hilfsmaßnahmen zur Abwendung von Jugendarbeitslosigkeit ist, muß gefragt werden, ob die Reformansätze in den berufsbildenden Schulen auch bei der Erfüllung solcher Absicherungen noch ihr eigentliches Ziel erreichen können. Eine Verbesserung der beruflichen Bildung wird häufig durch sogenannte Vollzeitschulen erwartet. Da die Berufsfachschulen nicht nur eine solche Vollzeitausbildung anbieten, sondern darüber hinaus auch die Formalqualifikation der Mittleren Reife vermitteln, gilt ihnen diese Untersuchung. Dabei wird versucht, das vielfältige Spektrum in der Bildungslandschaft der Bundesrepublik aufzuzeigen. Aus den Stellungnahmen der verschiedenen Kultusministerien, der Verbände und Parteien wird deutlich, daß eine einheitliche Einschätzung dieses Schultyps in der Bundesrepublik nicht vorliegt. Aufgrund ihrer spezifischen Aufgaben sollte die Berufsfachschule nicht einer kurzfristigen Bildungspolitik ausgesetzt werden, die ihre besonderen Qualitäten gefährden würde. Sie ist eine derjenigen Schulen, die sich schon sehr früh und kontinuierlich für den Abbau von Bildungsbarrieren eingesetzt haben. Die Berufsfachschule wird sicherlich kurzfristige Sonderaufgaben, wie die zusätzliche Betreuung arbeitsloser Jugendlicher, übernehmen können. Ihre Hauptaufgabe aber liegt weiterhin in den von ihr vermittelten Chancen zum Bildungsaufstieg über berufliche Schulen.

Seit Jahren werden von den verschiedensten politischen Lagern und gesellschaftlichen Gruppierungen aus mit immer neuen Modell-vorschlägen Anstöße zur Behebung der Arbeitslosigkeit gegeben. Die vorgelegten Modelle und Ratschläge lassen sich jeweils zwei Typen zuordnen: Entweder soll mit den vorhandenen oder neu zu findenden wirtschaftspolitischen Instrumentarien versucht werden, neue Arbeitsplätze zu schaffen, oder die vorhandene Menge Arbeit soll auf mehr Arbeitende und Arbeitssuchende verteilt werden. Zum letzten Typus zählen die Vorschläge, die dem Schulsystem die Funktion zuweisen, durch Absorption von potentiellen Arbeitssuchenden den Arbeitsmarkt zu entlasten. Die Verlängerung der Schulzeit wird mit dieser Funktionsübertragung in eine Reihe gestellt mit den Vorschlägen, das Rentenalter herabzusetzen, die wöchentlichen Arbeitszeiten zu kürzen und die Jahresurlaubszeiten zu verlängern.

Abgesehen davon, daß mit der sozialpolitischen Komponente das Schulwesen überfordert wird, erscheint auch noch die Schwierigkeit, daß alle diese Maßnahmen undifferenziert wirken und deshalb gerade den strukturellen Komponenten der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit nicht gerecht zu werden vermögen. Eine Lückenbüßerfunktion wäre von dem Schulwesen dann konstruktiv abweisbar, wenn es mit der Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Jugendlicher eine Forderung verknüpfte, die den betreffenden Jugendlichen eine höhere Qualifizierungsmöglichkeit für die berufliche Zukunft anbieten könnte. Eine solche Chance hat das Bildungssystem im Bereich der beruflichen Schulen. Wenn diese Möglichkeit — und nicht so sehr der Wartesaalcharakter — herausgestellt würde, dann könnte auch vermieden werden, was sonst mit Sicherheit eintreten dürfte: daß gerade diejenigen die Nutznießer — aber ohne die Wahrnehmungsfähigkeit dieser Chance — von Bildungsangeboten sind, die wegen fehlender Qualifizierung zunächst keine Ausbildungsplätze oder Arbeitsplätze zu erringen vermochten. Es mag zwar beklagenswert sein, daß eine solche negative Einschätzung befürchtet werden muß, es ist aber an der Tatsache nicht vorbeizukommen, daß jede nur additive oder zeitlich gestreckte Bildungsmaßnahme nicht zugleich schon eine höher qualifizierende Maßnahme ist. Als höher qualifizierend wird eine zusätzliche Beanspruchung des Bildungssystems nur dann interpretiert, wenn auch höhere Formalqualifikationen damit erreicht werden können. Es hieße also gerade diejenigen von der Attraktivität der Bildungsangebote zu überzeugen, die in der Lage sein könnten, im weiteren Verlauf oder schon zu Beginn ihrer Berufskarriere attraktivere Positionen einnehmen zu können. Es liegt auf der Hand, daß damit eine Entlastung auch für diejenigen erreicht würde, die um weniger attraktive Ausbildungs-und Arbeitsplätze konkurrieren. Eine solche Umschichtung löst nicht das quantitative Problem, vermag aber qualitative Akzente zu setzen.

Bei den Versuchen, die Prognosen für die kommenden Jahrgänge im Bereich der beruflichen Bildung zu erstellen, hatte das Kuratorium der deutschen Wirtschaft für Berufsbildung unter anderem einen quantitativ orientierten Vorschlag zum Ausbau der beruflichen Vollzeitschulen vorgelegt, der auch von der Bund-Länder-Kommission in ihrem Beschluß vom 15. November 1976 behandelt worden ist. Während das Kuratorium von einer Lücke am Arbeitsmarkt von 1, 5 Millionen ausgeht, die auf 670 000 zusätzliche Ausbildungsplätze der Wirtschaft, 390 000 Ausbildungsplätze in beruflichen Vollzeitschulen und 440 000 Studienplätze verteilt werden, meint die Bund-Länder-Kommission mit 790 000 Ausbildungsplätzen in beruflichen Vollzeitschulen das Problem lösen zu können. In beiden Fällen geht man davon aus, daß ein erheblicher Teil der Auszubildenden von dem berufsbildenden Teil unseres Schulwesens aufgenommen werden soll.

Funktionen der Schule

Uber die Funktion der Schule insgesamt wird heute in hohem Maße gerade dort nachgedacht, wo Reformen diskutiert werden. Die Funktionsbestimmung des Bildungswesens — mag sie nun auf eine neue gesellschaftliche Realität oder auf Anpassung an gegenwärtige gesellschaftlich-ökonomische Probleme zielen — hat dazu geführt, daß offenbar die Schule (sicherlich unter wechselnden Schwerpunkten) mehrere Funktionen gleichzeitig oder nacheinander zu übernehmen gezwungen wird. Offe hat einen Katalog von fünf Funktionen für die heutige Schule aufgeführt: die Qualifizierungsfunktion, die sozialpolitische Sicherungsfunktion, die Absorptionsfunktion, 4. die Integrationsfunktion und 5. die Legitimationsfunktion 1)Unter Qualifizierungsfunktion ist die Herstellung der Befähigung zu verstehen, die ein Auszubildender braucht, wenn er einen Arbeitsplatz im Beschäftigungssystem übernehmen will. Die sozialpoliüsche Sicherungsfunktion soll nach Offe die Arbeitskräfte möglichst dauerhaft in die Lage versetzen, Veränderungen in der quantitati-ven und qualitativen Beschäftigungsstruktur zu überstehen und dadurch ein kontinuierliches Arbeitseinkommen zu erzielen 2). Franzke sieht diese Funktion allerdings lediglich als einen besonderen Teil der Qualifizierungsfunktion 3). Mit der Absorptionsfunktion ist gemeint, daß das Bildungssystem den Arbeitsmarkt von . überflüssigen'Arbeitskräften für eine bestimmte Zeit befreien könnte. Das soll dadurch erreicht werden, daß Absolventen des Bildungssystems, die normalerweise bereits als Nachfrage auf dem Ausbildungsstellen-und Arbeitsmarkt auftreten, noch innerhalb des Schulsystems gehalten werden, teilweise durch Verlängerung der Schulzeit oder durch eine Umstrukturierung des Schulsystems, z. B. durch Einführung des Berufsgrundbildungsjahres im System der beruflichen Bildung als Vollzeitschuljahr ebenso wie durch die Einrichtung von arbeits-und berufsvorbereitenden Maßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Befragungen zur Planung beruflicher Weiterbildung

Welche Reaktionen zeigen hierzu die Kultusverwaltungen und andere Institutionen, die sich mit Bildungsorganisation und Bildungsreform beschäftigen, aber auch die betroffenen Parteien und Verbände? Ferner: Wie reagieren die Absolventen dieser Schulen und die aufnehmenden Betriebe auf diese neue Situation?

Um die bestehende Situation und die vorgesehenen Maßnahmen feststellen zu können, wurden zunächst die Kultusminister der Bundesländer angeschrieben. Außerdem wurde die Bund-Länder-Kommission befragt und allgemeine statistische Unterlagen herangezogen. Darüber hinaus wurden folgende Institutionen befragt: Zentralverband des Handwerks, CSU-Geschäftsstelle, Bundesanstalt für Arbeit, Deutscher Städtetag, Deutscher Industrie-und Handelstag, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundesverband der Lehrer an Wirtschaftsschulen, CDU, SPD, FDP.

Von den Kultusministerien antworteten die Länder Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Niedersachsen, Berlin, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Aus Nordrhein-Westfalen kam eine ausweichende Auskunft, nämlich die Informationen aus den veröffentlichten Statistiken herauszusuchen, ohne daß diese Quellen exakt genannt wurden. Aus Bremen kam eine eindeutige Absage; die Arbeitsüberlastung sei so groß, daß an eine zusätzliche Übernahme von Befragungen nicht gedacht werden könne.

Baden-Württemberg

Im Rahmen der bildungspolitischen Maßnahmen unter dem Stichwort „Erhöhung der Ausbildungskapazitäten im Sekundarbereich II" wird der Ausbau der zweijährigen Berufsfachschulen neben den allgemeinen Ausbildungskapazitätserweiterungen im Sekundarbereich II genannt. Die Begründung dazu lautet: „Da künftig nicht nur im Hochschulbereich, sondern auch im betrieblichen Bereich des dualen Systems besondere Engpässe zu überwinden sind, kommt dem Ausbau der berufli-eben Vollzeitschulen eine wichtige Entlastungsfunktion zu. Dabei können einjährige Berufsfachschulen, das Berufskolleg und das Berufsgrundbildungsjahr auch gezielt dort eingerichtet werden, wo auf Grund der Wirtschaftsstruktur nur wenige oder keine betrieblichen Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen bzw. die duale Ausbildung sehr einseitig strukturiert ist. Damit erhalten die beruflichen Vollzeitschulen eine erhebliche Struktur-und regionalpolitische Bedeutung.“

Im Hinblick auf die Vorstellungen der Schüler zur Nachfrage nach Ausbildungsstellen ergänzt das Kultusministerium Baden-Württemberg, daß gerade die Entlaßschüler der Berufsfachschulen und des Berufsgrundbildungsjahres relativ am stärksten in den Ausbildungsbereich strebten. Hier scheint eine Argumentation gestützt zu werden, die davon ausgeht, daß der Besuch der Berufsfachschulen noch eine qualifizierende Funktion hat. Damit würde zumindest die Absorptionsfunktion nicht in voller Breite gesehen. Demgegenüber ist das Ergebnis festzuhalten, daß Franzke zusammenfassend dargestellt hat, wonach auch im Bereich der Ausgebildeten, die das duale System durchlaufen haben, noch ein erhebliches Qualifizierungspotential vorhanden ist, das nur deshalb nicht genutzt werden kann und wahrscheinlich auch in seiner vollen Breite nicht in Zukunft benutzbar wird, weil nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind. Dem steht gegenüber, daß das Land Baden-Württemberg von 1975 auf 1980 bis 1985 eine Expansion der qualifizierten Berufsfachschulabsolventen von 9 auf 13, 5 % anstrebt, also eine 50 %ige Aufstockung, während die anderen Schulen mit mittlerer Qualifikation maximal (bei den Realschulen) um 33 % expandieren sollen. Die Tabellen lassen deutlich erkennen, daß in Baden-Württemberg die zweijährigen Berufsfachschulen in besonders hohem Maße Hauptschulabsolventen eine Chance zur mittleren Qualifizierungsebene bieten. Damit ist sicherlich auch ein bildungspolitischer Anspruch zum Chancenausgleich angemeldet.

Hessen

Der hessische Kultusminister teilte eine Statistik mit, in der die Daten vom Schuljahr 1974/75 an bis auf das Jahr 1985/86 als Plandaten fortgeführt werden. Danach sollen die zweijährigen Berufsfachschulen hinsichtlich ihres Umfanges zurückgestellt werden. Vom Schuljahr 1979/80 an werden sie in der Statistik nur noch mit dem expandierenden Bereich des Berufsgrundbildüngsjahres genannt. Während 1974/75 noch knapp über 25 000 Berufsfachschüler ermittelt wurden, sinkt die Zahl für das Schuljahr 1978/79 auf 21 200. Die Daten für 1976/77 lagen mit 21 985 aber bereits darunter. Weitere Daten und Begründungen waren vom hessischen Kultusminister nicht zu erfahren.

Berlin

Der Senator für das Schulwesen schreibt, daß eine Expansion nur im Bereich der beruflichen Vollzeitschulen, bei den einjährigen berufsbefähigenden Lehrgängen vorgesehen sei. Nach den mitgelieferten Statistiken stieg die Schülerzahl in den Berufsfachschulen (einschl.der Sonderfachschulen) von 1972 = 2 620 kontinuierlich bis 1976 auf 3 815. Offenbar gibt es zwar keine intendierte dynamische Entwicklung der Berufsfachschulen, dennoch werden in Berlin auch im Bereich der privaten Berufsfachschulen höhere Anmeldungen entsprechend berücksicht.

Niedersachsen

In Niedersachsen expandierte der Bereich der Lehrgänge zur Förderung der Berufsreife zur Verbesserung der Eingliederungsmöglichkeiten. Die zweijährigen Berufsfachschulen, sofern sie einen Hauptabschluß voraussetzen, gingen von 1975 auf 1976 in Niedersachsen leicht zurück. Dagegen expandierten die einjährigen Berufsfachschulen, die den Hauptschulabschluß voraussetzen. Das Land plant insgesamt für die Berufsfachschulen (alle Typen zusammengefaßt), bis 1985 einen steigenden Ausbau von 32 000 auf 36 000 Plätze. Danach soll die Kapazität der Berufsfachschulen im Jahre 1990 auf 31 000 wieder zurückgehen. Eine ausführliche Begründung wurde vom niedersächsischen Kultusminister nicht mitgeteilt. Es läßt sich aber aus den Daten schließen, daß die Berufsfachschulen in einem hohen Maße als Absorptionsinstitution dienen sollen.

Rheinland-Pfalz

Der Kultusminister teilt mit, daß eine Erweiterung der Kapazität beruflicher Vollzeitschulen in den kommenden Jahren vorgesehen ist, besonders bei Bildungsgängen, die geeignet sind, zur Entlastung des Ausbildungsplatzmarktes beizutragen. Dieser höhere Andrang wird aus den kommenden starken Schülerjahrgängen abgeleitet. Ausdrücklich wird das Berufsgrundschuljahr und werden die Berufsfachschulen als Lösungsmechanismen für diese Funktion genannt. Dem entspricht auch, daß langfristig die Zahl der Schüler in beruflichen Vollzeitschulen wieder sinken wird, zum anderen wird aber auf eine weiter steigende anteilsmäßige Berücksichtigung der Berufsfachschüler aufmerksam gemacht, so daß in Rheinland-Pfalz wahrscheinlich auch weiterhin die Qualifizierungsfunktion bei den Berufsfachschulen im Vordergrund steht.

Bayern

Der bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus sieht die Kapazität der beruflichen Vollzeitschulen im vollen Maße zur Deckung des Ausbildungsplatzdefizites eingesetzt. Im Schuljahr 1976/77 waren in Berufsfachschulen 22113 Schüler angemeldet. Darüber hinaus bestehen keine Kapazitätsreserven. Die Aufnahmefähigkeit der Berufsfachschulen sei erschöpft. Eine Kapazitätserweiterung wird lediglich für den Bereich des Berufsgrundschuljahres vorgesehen. Es scheint in Bayern der Absorptionseffekt lediglich dem Berufsgrundbildungsjahr zugewiesen zu werden, während die Berufsfachschulen — und zwar ohne die drei-und vierstufige Wirtschaftschule und ohne die Schulen des Gesundheitswesens — entweder für diesen Effekt zu aufwendig gehalten werden oder als zu wenig geeignet erscheinen. Damit dürfte der Qualifizierungseffekt für gehobene Positionen für dieses Schulsystem besonders unterstrichen werden.

Schleswig-Holstein

Das System der Berufsfachschulen hat im Jahre 1976/77 eine Kapazität von 6 870 Schülern gehabt. Diese Kapazität wird für nicht ausreichend gehalten. Sie soll insgesamt für alle beruflichen Vollzeitschulen um 2 800 erhöhtwerden. Dabei soll das gegenwärtige Verhältnis von betrieblicher zu vollschulischer Ausbildung von 80% zu 20% erhalten bleiben. Eine solche Konstante des Verhältnisses geht eigentlich nur in geringem Maße von einer erweiterten Absorptionsfunktion der Berufsfachschulen aus. Für das Berufsfachschulsystem oder die beruflichen Vollzeitschulen scheint die Qualifizierungsfunktion für gehobene Ausbildungsplätze ausschlaggebend zu sein.

Saarland

Von 1976 auf 1977 sank die Frequenz der Berufsfachschulen in diesem Bundesland von 1 247 auf 1219 ohne Sozialpflegeschulen. Dem standen 1976 1 900 und 1977 2 080 Ausbildungsplätze gegenüber. Für den gemeldeten Bereich kann also auf ein Ansteigen der Ausbildungskapazität im Berufsfachschulbereich geschlossen werden. Für die Begründung können daraus keine Schlüsse gezogen werden und es wurden auch keine weiteren Angaben gemacht.

Hamburg

Aus Hamburg wurde lediglich der Stand des Jahres 1977 (Schuljahr 1976/77) mitgeteilt. Danach gibt es im Stadtstaat Hamburg knapp 5 000 Berufsfachschüler ohne die höhere Berufsfachschule (Höhere Handelsschule). Absichten über Aufgaben, tatsächliche Entwicklungen und Trendmeldungen liegen nicht vor.

Bund-Länder-Kommission

Die Bund-Länder-Kommission nannte in ihrem Programm zur Durchführung vordringlicher Maßnahmen zur Minderung der Beschäftigungsrisiken von Jugendlichen, das am 15. November 1976 verabschiedet wurde, Rahmenbedingungen. Der Sachverhalt, daß die Planung zwischen dem Ausbau von Kapazitäten für den langfristigen Bedarf und Maßnahmen zur Überbrückung eines zeitweiligen Spitzenbedarfs erforderlich sind, läßt keine Schlüsse zu, ob der Ausbau auch eine Absorptionsfunktion übernehmen solle. Allerdings kann man aus dem folgenden schließen, daß die Absorptionsfunktion innerhalb dieses Programms eine nicht unbedeutende Rolle spielt: „So führt ein zusätzliches Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu erhöhter Nachfrage nach Berufsschulplätzen, während ein ungenügendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen eine zusätzliche Nachfrage nach Berufsfachschulplätzen bewirkt" (S. 2). Diese unterstellte Reaktion auf den Ausbildungsstellenmarkt bedeutet, daß das Berufsfachschulwesen nach Meinung der BLK in hohem Maße Absorptionsfunktion übernehmen wird und mit der Bereitschaft, auf diese Forderung des Marktes einzugehen, auch übernehmen soll.

Die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen beziehen sich auch auf den Ausbau der Berufsfachschulen: „Die Plätze in Berufsfachschulen sind von insgesamt 300 000 im Jahre 1975 ... auf 373 000 im Jahre 1979 (Spitzenbedarf) zu erhöhen" (S. 10). Außerdem wird gefordert, daß für den Spitzenbedarf zusätzlich 40 000 Plätze im Jahre 1981 bereitgestellt werden müssen, „wenn nicht alle Jugendlichen, die einen betrieblichen Ausbildungsplatz anstreben, versorgt werden können". Dieses als Eventualprogramm vorgesehene Ausbauvolumen der Berufsfachschulen deutet in starkem Maße auf die Absorptionsfunktion hin. Es ist dabei kaum an eine andere Funktion der Berufsfachschulen gedacht; zumindest ist nicht daran gedacht, die anderen Funktionen der Berufsfachschulen bei dem Ausbau zu berücksichtigen. Dazu hat das Land Bayern ein Sondervotum eingebracht: Die Absorptionsfunktion, die von Bayern nicht zurückgewiesen wird, soll stärker innerhalb der jetzigen Kapazitäten aufgefangen werden, und zwar durch die Inkaufnahme einer höheren Schüler-Lehrer-Relation.

Zentralverband des Deutschen Handwerks

Die Stellungnahme des Handwerks wurde ausdrücklich als vorläufige charakterisiert, da eine abschließende Diskussion noch nicht geführt worden ist und deshalb die Bewertungen noch nicht den endgültigen Stand der Meinungsbildung wiedergeben. Grundsätzlich wird die Berufsausbildung in Vollzeitschulen als problematisch angesehen, besonders wegen der fehlenden Berufserfahrung, wegen der mangelnden Praxisnähe und wegen des fehlenden Bezuges zum Arbeitsmarkt. Gleichzeitig wird geprüft, ob es sinnvoll sein könne, Modellversuche für die Berufsausbildung in Vollzeitschulen einzurichten. Das Handwerk geht dabei in besonderem Maße von Berufsfachschulen aus, die als Ersatz für eine Berufsausbildung dienen und deshalb in Konkurrenz zum dualen System und dessen betrieblichen Ausbildungsteil treten. Die nicht vollständige Auskunft durch den ZDH läßt erkennen, daß er die Vollzeitberufsschulen nicht im Sinne einer Absorptionsfunktion sieht, sondern sie im Zusammenhang mit der beruflichen Qualifizierung betrachtet. Ganz vorsichtig könnte man prognostizieren, daß eine Ausweitung der Qualifizierungsfunktion der Berufsfachschulen als möglich erachtet wird, wenn sie auch lediglich in geringerem Umfang befürwortet werden dürfte.

Christlich-Demokratische Partei

Die CDU führt ihre Diskussion um den Ausbau der vollzeitlichen Berufsschulen — der Berufsfachschulen — unter dem Stichwort „berufliche Wahlschulen". Sie sollen zu schu. lischen und beruflichen Abschlüssen führen. Sie werden offenbar gefördert, um die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu sichern und um doppelt profilierte Bildungsabschlüsse einzuführen. Die CDU fordert die Weiterentwicklung dieser Schulen; was darunter verstanden wird, wird allerdings nicht ganz deutlich. Es könnte sowohl der quantitative Ausbau als auch die qualitative Reform gemeint sein, ohne daß . dazu Konkreteres gesagt wurde. Grundsätzlich bleibt die CDU bei dem dualen System. Inhalte und Struktur der Bildungsgänge müssen ihrer Ansicht nach von den Möglichkeiten der Lernorte her entwickelt und aufeinander bezogen werden. Im kulturpolitischen Programm von 1976 heißt es zu den beruflichen Vollzeitschulen, ihnen käme besondere Bedeutung zu. Die Zugangsmöglichkeit zu weiterführenden Bildungsgängen wird unterstrichen und die Gleichzeitigkeit einer Berufsqualifikation gefordert. Eine Absorptionfunktion ist aus diesen Äußerungen kaum zu erkennen, es sei denn, daß die Möglichkeit zu weiterführenden Bildungsgängen als solche gesehen wird.

Freie Demokratische Partei

In den Kieler Thesen fordert die F. D. P.den Ausbau der beruflichen Vollzeitschulen neben denen der beruflichen Teilzeitschulen. Zur Beiseitigung der Jugendarbeitslosigkeit wird der Zusammenhang zwischen Bildungs-und Beschäftigungsmöglichkeiten herausgestellt Das Lernen im Vollzeitunterricht wird ausdrücklich für Jugendliche ohne Ausbildungsverhältnis gefordert, womit die Absorptionsfunktion hier herausgestellt wird.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Zunächst wird von der Wirtschaft die Ausweitung des Angebotes qualifizierter Ausbildungsplätze gefordert. Die SPD sieht dann eine weitere Möglichkeit durch zusätzliche Vollzeitausbildungseinrichtungen. Diese Vollzeiteinrichtungen werden als Alternative zum dualen System gesehen. Sie sind also nicht identisch mit dem Berufsfachschulsystem herkömmlicher Art. Sie sollen wohl auch einer Ablösung des dualen Systems dienen. Damit wird die Qualifikationsfunktion in besonderem Maße angesprochen.

Deutscher Industrie-und Handelstag

In der Äußerung des DIHT werden die Plan-zahlen der Bund-Länder-Kommission genannt und daraus der Schluß gezogen, eine bildungs-politische Kontroverse der Länder sei nicht zu erkennen; auf die Sondervoten und die von den Länderkultusministern unterschiedlich geplanten Expansionsansätze wird jedoch nicht eingegangen. Der DIHT vertritt die These, daß ein Vollzeitschuljahr kaum zur Beseitigung von Ausbildungsengpässen geeignet sei. Die Vermittlung einer höheren Formalqualifikation wird vom DIHT nicht angesprochen, so daß lediglich die Möglichkeiten der Vollausbildung in Berufsfachschulen behandelt werden. Der DIHT verweist auf seine Planung zum Ausbau von zusätzlichen Ausbildungsplätzen für Jugendliche; hier sieht er die einzige Chance für eine sinnvolle Hilfe zur Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit.

Verband der Lehrer an Wirtschaftsschulen

Der Verband hat einen Ausbau von Berufsfachschulen gefordert, um die betriebliche Ausbildung ganz oder teilweise zu ersetzen. Es müsse geprüft werden, inwieweit Ausbildungsgänge der Berufsfachschulen mit der Abschlußprüfung in einem anerkannten Ausbildungsberuf beendet werden können. Der Verband sieht eine solche Möglichkeit für Berufe, die in reiner schulischer Ausbildung sinnvoll vermittelt werden können. Es wird insbesondere der Beruf der Bürogehilfin genannt. Unter diesem Gesichtspunkt soll geprüft werden, ob bei einer Neuordnung der Bürowirtschafts-und der Verwaltungsberufe schulische Abschlüsse als Berufsausbildungsabschlüsse anerkannt werden könnten. Auch die Notwendigkeit der Neubestimmung betrieblicher und schulischer Ausbildung, sowohl inhaltlicher als auch zeitlicher Art, wird gesehen. Ein Hinweis auf die Absorptionsfunktion ist nicht erkennbar.

Verband der Lehrer beruflicher Schulen (Gewerbelehrer BLbS)

Dieser Lehrerverband fordert verstärkt den Ausbau der dreijährigen Berufsfachschulen zu einer anerkannten ersten Berufsqualifikation. Die Organisations-und Lehrplanstruktur weist darauf hin, daß hier eine Parallelausbildung zur schulischen Ausbildung angestrebt wird, die nicht identisch ist mit den bisher vorhandenen Berufsfachschulen — abgesehen von einigen Ausnahmen. Diese Schulen sollen — wie auch in anderen europäischen Schulen — eine Pufferfunktion zwischen dem dualen System übernehmen. Die rein schulischen Berufsausbildungen sollen also keine Konkurrenz zum dualen System sein, sondern eine Ergänzung zu ihm. Durch diese Ergänzungsfunktion könnte eine flexible Anpassung an zukünftige Entwicklungen erfolgen, die durch den Wandel der Berufsstrukturen, durch technologischen Fortschritt usw. bedingt sind.

Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände

Für Sozialberufe und für den hauswirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Bereich hat die Bundesvereinigung die stärkere Ausnutzung beruflicher Vollzeitschulen für einen berufsqualifizierenden Abschluß befürwortet. Insbesondere werden hier Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen gesehen, die damit verbessert werden können (insbesondere für Realschülerinnen). Demgegenüber wird für den gewerblichen und auch für den kaufmännischen Bereich von den Berufsschulen nur eine bedingte Entlastung des Ausbildungsstellenmarktes erwartet: „Berufsfachschulen dienen hier in den meisten Fällen der Berufsvorbereitung. Die Mehrzahl ihrer Absolventen strebt deshalb eine anschließende Fachbildung im Betrieb an. Nach unserer Auffassung kann die Fachbildung auch nur in ganz begrenztem Rahmen außerhalb der Betriebe erfolgen. Das gilt auch, wenn es darum geht, eine strukturell bedingte, regionale Unterversorgung mit betrieblichen Ausbildungsplätzen zu beheben." Eine Voraussetzung dafür sei die Errichtung von Berufsfachschulen in diesen Gebieten nur nach Abstimmung mit Wirtschaftsförderungsmaßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur. Vor der Schaffung von „Bildungsruinen“ wird gewarnt. Diese würden bei einem expansiven Ausbau entstehen, da die Zahlen der Schulabgänger nach 1982 wieder rückläufig sind. Außerdem: „In diesem Jahr hat sich klar gezeigt, daß die Jugendlichen betriebliche Angebote solche schulischer Art — insbesondere im gewerblichen Bereich — eindeutig vorziehen."

Die Antwort ist knapp, doch differenziert: Es wird nach Bereichen, nach Berufen und nach Funktionen getrennt. Deutlich wird, daß die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände das Ausbildungssystem auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet sehen will. Deswegen werden sowohl vorübergehend notwendig werdende Absorptionsfunktionen als auch Qualifizierungsfunktionen einfacher und gehobener Art wie auch die Ansprüche der betreffenden Jugendlichen als Kriterien akzeptiert. Durch einen Ausbau der beruflichen Vollzeitschulen, die einen berufs-qualifizierenden Abschluß vermitteln, wird insbesondere eine quantitative Verbesserung gesehen, die in bestimmten Bereichen notwendig erscheint.

Die Berufsfachschulen

Nach diesen Absichtserklärungen und Plänen, die keineswegs eine übereinstimmende Konzeption erkennen lassen, dürfte es wichtig sein, die Vollzeitberufsbildung in ihren verschiedenen institutioneilen Verankerungen darzustellen. Dabei soll zunächst einmal das System der Berufsfachschulen dargestellt werden. Da dieses System nach größeren Berufsgruppen oder Berufsfeldern geordnet ist, ist es notwendig, nach einem allgemeinen Teil auf die spezifischen organisatorischen Ausformungen einzugehen, wie sie mit den Berufsfachschultypen der Richtung Wirtschaft, Technik, Hauswirtschaft und Landwirtschaft vorliegen.

Eine Reihe von Untersuchungen in jüngster Zeit über die Entwicklung der Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Berufstätigen scheinen darauf hinzuweisen, daß es für Absolventen des Systems der betrieblichen Ausbildung in ständig sich verringerndem Maße gelingt, beruflichen und damit sozialen Aufstieg zu realisieren. Es ist aus diesem Grunde sehr verständlich, wenn daher in steigendem Maße versucht wird, die Blockade für einen höheren beruflichen Einstieg zu überwinden. Das gelingt unter den genannten Bedingungen hauptsächlich dann, wenn ein höherer Formalabschluß nachgewiesen wird. Der zunehmende Andrang zum zehnten Hauptschuljahr, zu den Realschulen und den Gymnasien hat sicherlich hier seine Ursache.

Auch das System der beruflichen Bildung hat adäquate schulische Aufstiegsformen quasi als Ersatz für verlorengegangene Aufstiegs-wege gefunden und angeboten. Dazu gehört das Berufsgrundbildungsjahr ebenso wie die Berufsaufbauschule, die ehemals der Unterbau des zweiten Bildungsweges sein sollten, sowie die Fachschulen, die nach der beruflichen Ausbildung für nachträgliche Qualifizierungsmöglichkeiten formaler Art wirken. Auch die beruflichen Gymnasien und ganz neue Formen wie Berufsoberschulen sind in diesem Katalog aufzuführen.

Die Schule mit der weitreichendsten Tradition ist die Berufsfachschule, die sich am Modell der alten Handelsschule jetzt über alle Berufs-bereiche erstreckt. Die Berufsfachschulen expandierten in der Bundesrepublik von 1960 = 139 000 auf 1975 = 300 000 Schüler Dabei zeichnet sich die Berufsfachschule der traditionellen Art meist in kombinierter Form dadurch aus, daß sie sowohl eine berufsbezogene Bildung entweder kaufmännischer, gewerblicher, hauswirtschaftlicher oder landwirtschaftlicher Art anbietet, als auch dadurch, daß sie die Formalqualifikation der Mittleren Reife vermittelt. Die berufliche Ausrichtung erfolgt teilweise als unmittelbares Pendant zur betrieblichen Ausbildung, d. h. mit dem Ziel der vollen beruflichen Qualifizierung, als auch berufsorientierender Art. Wenn das letztere überwiegt, richtet sich das Schwergewicht dieser Schulen auf die Formalqualifizierung wie der Mittleren Reife Die Berufsfachschüler verzichten nur dann auf den Anschluß einer dualen Ausbildung, wenn mit ihrem Zeugnis ausdrücklich eine Berufsqualifizierung bescheinigt wird. Eine Verknüpfung zwischen beiden — wie sie auch von einigen Verbänden und Parteien gefordert wird — ist noch nicht die Regel, erscheint aber auch nicht undurchführbar. Gerade darin scheint der Grund für die Beurteilung von Reisse zu liegen Er sieht es im Rahmen der bildungspolitischen Diskussion bei diesem Schultyp als gelungen an, daß die allgemeine und berufliche Bildung in einer Schulform integriert wurde. Selbst wenn die Erweiterung des Schultyps „Berufsfachschule''in besonderem Maße in der gegenwärtigen Situation der gestiegenen Jugendarbeitslosigkeit auf die Erfüllung der Absorptionsfunktion zielt, liegt hierin eine bildungspolitische Maßnahme, die anderen gegenüber einen Vorteil signalisieren könnte, z. B dem ad hoc eingerichteten 10. Schuljahr, für das noch kein spezifisches Curriculum vorliegt und das organisatorisch eher disharmonisch in das Gefüge des Bildungssystems eingeordnet erscheint. Es wird also kaum im erforderlichen Maße bildungsmotivierend wirken Die Berufsfachschulen hatten ihren steilen Erfolg trotz Öffnung der Bildungschancen im allgemeinbildenden Schulwesen nach dem 4. Schuljahr nicht nur ihrem Aufbaucharakter zu verdanken, der besonders bildungsfernen Schichten chancenreich erschien, son-dem eben auch ihrem spezifisch beruflich orientierten Fächerkanon mit den fachlichen Inhalten, die im Bewußtsein der potentiellen Bewerber als bildungsrelevant anerkannt und akzeptiert wurden. So gelang es gerade auf diese Weise, in steigendem Maße Bildungsvorstellungen und -ziele dort zu realisieren, wo sich die Initiative im Bereich der traditionellen Bildungsinstitutionen nicht harmonisch zu entwickeln vermochte. Um das Erreichte hier jedoch zu sichern, darf nicht nur daran festgehalten werden, was sich gegenwärtig in der Organisation und inhaltlich anbietet; es gilt vielmehr, dort weiterzuentwikkein und fortzufahren, wo die Förderung zu beruflicher Mobilität anzusiedeln ist.

Die Berufsfachbildung hat ihren Besuchern die Chancen anzubieten, berufsrelevante Kompetenzen zu erwerben. Dazu ist erforderlich, daß in der Schule diejenigen Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden, die zwar für die Tätigkeit im Beruf nutzbar gemacht werden können (ohne damit auf diese Disponibilität abstellen zu wollen; vielmehr solle Qualifikation, Chancengleichheit und Emanzipation als Gestaltungsprinzipien gemeinsam verstanden werden die aber wegen des gestiegenen Theorieanteils und der Notwendigkeit der Produktionsdistanz von der Schule übernommen werden müssen. Das berufsbildende Schulwesen hat in der jüngsten Zeit über die Entwicklung neuer ganzzeitlicher Abteilungen auch im Bereich der Berufsschule im dualen System Reformansätze entwickelt und zu realisieren versucht. In der Teilzeitberufsschule ist in diesem Zusammenhang auch das Berufsgrundbildungsjahr (Berufsgrundschuljahr) entwickelt worden, das in seiner Konzeption zunächst noch nicht einheitlich strukturiert erscheint, das aber zumindest in einem sehr beachtenswerten Ansatz auch die Möglichkeit einschließt, Unterstufe der zweijährigen Berufsfachschule zu sein oder zu werden.

In dieser Entwicklung des Berufsgrundbildungsjahres war konsequenterweise eine Änderung der Berufsfachschule zumindest in ihrer Unterstufe angelegt. Neben der Auseinandersetzung von fachpraktischen Anteilen des Lehrplanes und von sachdidaktischen Bezügen in den Lehrinhalten mit den stärker auf die theoretisch-fachliche Durchdringung ausgerichteten Bildungsbemühungen, die auf den Formalabschluß gerichtet waren, war damit die Berufsfachschule verwiesen auf ihre angelegten berufsbildenden Inhalte in Form beruflicher Vor-oder Ausbildung als Eingangsstufe in Vollzeitform.

In der Kombination: funktionelle Anbindung der Berufsgrundschule an die zweijährige Berufsfachschule mit ihrer Berufsorientierung und Berufsberatungsfunktion sowie zumindest teilweise eingefügter fachpraktischer Orientierung, mußte die zweijährige Berufsfachschule in der gegenwärtigen Situation der diskutierten Berufsbildungsreform in zeitlicher Parallelentwicklung mit der Verknappung des Lehrstellenangebotes in der Wirtschaft fast notwendigerweise konfrontiert werden mit den Ansprüchen sowohl des Staates, der Wirtschaft wie auch der Absolventen Hauptschule.der Mit dem Anspruch innerhalb der Berufsfachschulen, dem Ausbildungsdilemma des dualen Systems zu entgehen, war sie auch in ein bildungspolitisches Dilemma gestellt, das durchaus in der Lage sein kann, diesen Schultyp existentiell zu treffen: Einerseits bietet die allgemeinere Orientierung der zweijährigen Berufsfachschulen den Absolventen der Hauptschulen ein attraktiveres Feld, als es Ausbildungsplätze der Wirtschaft vermögen, die weniger qualitativ ausgestattet sind oder von der Berufsstruktur her nicht angemessen erscheinen. (Falsche Berufswahl wird nicht vorweggenommen. Im Gegenteil: Es wird in nicht zu unterschätzendem Maße eine beachtliche Beratungs-und Orientierungsfunktion auf den endgültigen Berufseintritt hin geleistet.) Andererseits bietet die Berufsfachschule diesen Bewerbern aber noch nicht die konkrete Hinwendung zu einem Beruf. So werden die fachtheoretischen und besonders die allgemeinbildenden Fächer von diesen Interessenten wohl eher widerwillig in Kauf genommen, als daß mit ihnen eine besondere qualifizierende Bildungschance wahrzunehmen versucht würde.

Lösungsmöglichkeit durch die Berufsfachschule

Der Berufsfachschule ist aufgegeben, dieses Dilemma zu lösen. Nicht etwa, indem sie Bildungsinteressenten abweist, sondern viel-mehr dadurch, daß sie ein differenziertes Angebot vorlegt, mit dem sie auch denjenigen hilft, die keinen geeigneten Ausbildungsplatz finden konnten, die also eine geeignete Vorbereitung auf unmittelbare berufliche — und das ist auch berufsbildende — Verwertbarkeit anstreben. Gleichzeitig aber wird die Berufsfachschule sich gerade hier bemühen müssen, diejenige Bildungsmotivation zu wecken, die auch diese Gruppe dann in die Lage versetzt, weiterführende Bildungsabschlüsse mit Erfolg anzustreben. Der sorgfältig aufgebaute und entwickelte Anspruch dieses Aufbausystems mit qualifizierenden Möglichkeiten und neuerlich auch weiterführenden Qualifikationsansätzen im berufsbildenden System könnte jedoch durch diese unterschiedlichen Zielsetzungen nicht unerheblich gefährdet werden. Es wäre daher ob berufsbildende überlegen, das Schulwesen nicht so flexibel gehalten werden kann, daß zwischen den verschiedenen Bewerbern differenziert und den verschiedenen Gruppen ein unterschiedliches Lehrangebot unterbreitet wird. Das Problem Selektion ist damit der funktionsbezogen gestellt, wenn selbstverständlich auch noch Es nicht gelöst. dürfte aber eher möglich sein, entsprechende Auswahlmechanismen einzuführen, als nicht differenzierend an den Interessen Bewerber vorbeizugehen. scheint, Mir gerade hier ist eine Chance zu sehen, die Forderung nach Chancengleichheit realisieren zu helfen. Denn Chancengleichheit als formale Maßnahme zur Verwirklichung der Grundrechte reicht nicht hin. Dieser formalen Orientierung muß die materielle Gestaltung an die Seite Lempert/Franzke fordern, die treten vorhandenen Differenzen zwischen den Schülern abzubauen, „ehe sie auch in der beruflichen Ausbildung selbst realisiert werden kön-nen" Die Berufsfachschulen sind dafür ein besonders geeigneter Ort, da sie gerade auch in der oben geschilderten Situation Schichtendeterminanten zu korrigieren vermögen. Die Anregung zum Besuch einer Berufsfachschule setzt strukturelle Überlegungen für diesen Schulzweig voraus, die gestatten, daß eine vordergründige, lediglich als Pufferfunktion gemeinte Bemühung dennoch in die Lage versetzt, über fachorientierte Bildungsmotivation zu weiterqualifizierenden Kenntnissen und Fertigkeiten zu gelangen. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Feststellung und Sicherung des Stellenwertes dieser Bildungseinrichtung, und sofern sie noch nicht deutlich genug artikuliert und strukturiert wurde, auch dieses: Da die Berufsfachschulen die Berufsbildung vorbereiten, muß sich eine Phase Berufsbildung in bezug auf den spezifischen je Beruf an den Besuch der Berufsfachschulen anschließen. Bei der Realisierung einer so vorgeschlagenen Kombination von Bildungsmaßnahmen ist aber eine inhaltlich gestufte Bestimmung der aufeinander bezogenen Abschnitte notwendig. Eine lediglich zeitliche Aneinanderreihung inhaltlich nicht differenzierter oder gar unzusammenhängender Teile erscheint zeitvergeudend und damit unsinnig. Eine Stufung ergibt sich pragmatisch aus der konjunkturell und strukturell gegebenen Situation am Arbeitsmarkt. Ausbildungsplätze für Absolventen mit Hauptschulniveau sind nicht vorhanden. Wenn eine sachadäquate Struktur daraus bestimmt werden soll, dann wird es auch notwendig, die Reihenfolge dieser Stufung pädagogisch zu begründen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. C. Offe, Bildungssystem, Beschäftigungssystem und Bildungspolitik. Ansätze zu einer gesamtgesellschaftlichen Funktionsbestimmung des Bildungssystems, in: H. Roth/D. Friedrich (Hrsg), Bildungsforschung — Probleme — Perspektiven — Prioritäten, neil 1, Stuttgart 1975 (Gutachten und Studien der Blldungskommission Bd. 50), S. 217— 253.

  2. Ebenda, S. 234.

  3. Reinhard Franzke, Berufsausbildung und Arbeitsmarkt — Studien und Berichte, Bd. 39, Berlin 1978.

  4. Chancen der jungen Generation in Ausbildung und Beruf — Perspektiven und Maßnahmen, herausgegeben von der Landesregierung Baden-Württemberg im März 1977.

  5. Vgl. Sabine Gerbaulet, Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. vom Bundesinstitut für Berufsbildung, 2. überarbeitete Auflage 1978,

  6. Vgl. Lothar Beinke, Die Handelsschule, Düsseldorf 1971.

  7. Wilfried Reisse, Laufbahnentscheidungen und Erfolgsprognosen in der Berufsfachschule, Diss. Frankfurt 1976, S. 13 ff.

  8. Vgl. Lothar Beinke, Die Zweijährige Berufsfachschule als Lenkstelle bei konjunkturellen und strukturellen Ausbildungsschwierigkeiten, in: Erziehungswissenschaft und Beruf, Heft 1/1977, S. 48.

  9. Vgl. Wolfgang Lempert/Reinhard Franzke, Die Berufserziehung, München 1976, S. 17.

  10. Vgl. Lempert/Franzke, a. a. O., S. 22.

  11. Ebenda, S. 23.

Weitere Inhalte

Lothar Beinke, Dr. sc. pol., geb. 1931 in Osnabrück; nach einer Industriekaufmannslehre Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg; Studium der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften; Diplomhandelslehrer; jetzt Professor für Berufs-Und Wirtschaftspädagogik an der Gesamthochschule Kassel. Veröffentlichungen u. a.: Die Handelsschule. Eine bildungssoziologische Analyse, Düsseldorf 1971; Das Betriebspraktikum. Darstellung und Kritik eines pädagogischen Konzepts zur Berufswahlhilfe, Bad Heilbrunn, 19782; Von der Erstausbildung zur Erwachsenenbildung, Rinteln 1977; (zus. mit Rainer Frey) Kommunale Finanz-und Wirtschaftspolitik, in: Kommunale Demokratie, hrsg. von Rainer Frey, Bonn 1976; (zus. mit F. Stuber) Fachhochschule und Weiterstudium, Bad Honnef 1979; Wirksamkeit der Berufswahlvorbereitung, in: Polytechnik und Arbeit, hrsg. von Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1979.