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Die wissenschaftliche Beratung der Bundesministerien | APuZ 38/1979 | bpb.de

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APuZ 38/1979 Bürgerschaftliches Aufbegehren Elitenherrschaft in einer pluralistischen Demokratie? Die wissenschaftliche Beratung der Bundesministerien

Die wissenschaftliche Beratung der Bundesministerien

Klaus Mayer /Roswitha Görgen

/ 19 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Effiziente Politik kann heute nicht mehr ohne die Inanspruchnahme wissenschaftlich-technischer Informationen betrieben werden. Die wissenschaftliche Beratung der deutschen Bundesministerien erfolgt in vielfältiger Weise. Die Ministerialbürokratie beschafft sich ihre wissenschaftlichen Informationen aus Beiräten, Kommissionen, staatlichen Forschungsinstituten, kommerziellen Forschungsinstituten, Universitätsinstituten, Projektgruppen, Gutachten, Modellversuchen und auch aus Forschungseinrichtungen der Industrie. Aus der Sicht der Ministerialbeamten sind insbesondere jene wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen effizient, die sich durch Schnelligkeit der Informationsbeschaffung auszeichnen, die sich leicht organisieren lassen und die außerdem einen hohen Grad an Politikrelevanz aufweisen. Ad-hoc-Gruppen und Netze informeller Gespräche sind nach Ansicht der Ministerialbeamten hoch effizient. Gute Effizienz erbringen Projektgruppen, Gutachten, die Zusammenarbeit mit der Industrieforschung, kommerzielle Forschungsinstitute, staatliche Forschungsinstitute und Modellversuche. Zu den Schlußlichtern der Effizienzskala zählen in der vorliegenden Umfrage die längerfristigen Kommissionen, die Universitätsinstitute und die Beiräte. Selbstverständlich hängt es jeweils von der Themenstellung ab, welche Beratungsform im Einzelfall gewählt wird. Nicht jede Beratungsform ist für jede Themenstellung geeignet. Wissenschaftler und Praktiker leben in unterschiedlichen Bezugssystemen. Wissenschaftler befassen sich — wenigstens tendenziell — mit der Darstellung der „objektiven Wahrheit“ einer Thematik. Politische Praktiker haben hingegen zumeist mit „subjektiven" Interessenlagen zu tun. Ihre Aufgabe ist das Management von Interessen. Die politischen Praktiker transformieren deshalb wissenschaftliche Ergebnisse zu Argumenten, die Interessenlagen unterstützen sollen. Diese Argumente sollen helfen, erwünschte Entwicklungen anzuregen und zu fördern oder unerwünschte Entwicklungen zu bremsen oder abzuwehren. Wissenschaftliche Beratung erhöht im allgemeinen die Sicherheit der Entscheidenden und hilft ihnen, bessere Entscheidungen zu treffen. Aber nicht nur die politisch Entscheidenden ziehen einen Gewinn aus ihrer Kooperation mit der Wissenschaft. Auch die Wissenschaftler lernen im Rahmen dieser Kooperation. Sie lernen aktuelle Forschungsthemen zu definieren und praxisnahe Empfehlungen zu geben. Durch solche Übung werden auch sie effizienter.

Wissenschaftliche Beratung ist heute in den Bundesministerien zu einer unverzichtbaren Einrichtung geworden. Sie dient der Aufbereitung entscheidungsrelevanter Informationen und bildet eine wichtige Voraussetzung für die Erarbeitung politischer Ziele und Programme. Die Organisationsformen der wissenschaftlichen Beratung können allerdings sehr unterschiedlich sein. So erfolgt wissenschaftliche Beratung beispielsweise in Form eines kurzen informellen Gespräches zwischen einem wissenschaftlichen Experten und einem Ministerialbeamten, , sie kann aber auch in Form dauerhafter beratender Gremien oder komplexer Forschungsaufträge erfolgen. Im vorliegenden Text werden die verschiedenen Organisationsformen wissenschaftlicher Beratung analysiert.

Im arbeitsteiligen politischen System der Bundesrepublik übernimmt die Ministerialbürokratie im wesentlichen die Funktion der Vorbereitung politischer Entscheidungen und politischer Programme. Im Rahmen dieser Funktion kann wissenschaftliche Beratung als Dienstleistung aufgefaßt werden. Wissenschaftliche Beratung ist zwar eine notwendige, jedoch keine ausreichende Bedingung für die Durchsetzung politischer Entscheidungen. Die politische Beratung ist für ein Ministerium zumindest ebenso wichtig wie die wissenschaftliche Beratung. Aus diesem Grunde institutionalisierte die Ministerialbürokratie neben dem System der wissenschaftlichen Beratung auch ein umfassendes System der politischen Beratung in Form von Konsultationen mit den Verbänden und den politischen Parteien.

Die Grundlage des vorliegenden Textes bilden 53 Gespräche mit Fachreferenten und Leitern der Planungsabteilungen der Bonner Ministerien. Es ging dabei primär um die Definition der möglichen Organisationsformen der wissenschaftlichen Beratung sowie um die Bestimmung der Vor-und Nachteile dieser Formen. Die eher als Nebenprodukt angefallenen Erkenntnisse über die Struktur der politischen Beratung sollen am Schluß dieses Textes dargestellt werden.

Beiräte

Die meisten Ressorts verfügen über Beiräte. Diese sind auf Dauer eingerichtete Organisationen, die ein Ministerium über einen komplexen und umfassenden Themenkreis beraten sollen. Die Größe der Beiräte wurde von den Beamten auf durchschnittlich 16 Mitglieder geschätzt. Die Beratungstätigkeit erfolgt ehrenamtlich. Nur Fahrtkosten werden vergütet und Tage-und Übernachtungsgeld bzw. Sitzungsgelder bezahlt. Auf diese Weise ermöglichen Beiräte die Nutzung externen Sachverstandes zu relativ geringen Kosten.

Beiräte schaffen einen nach außen abgeschirmten Bereich, in dem „vorläufig Gedachtes" kontrovers diskutiert und auf seine Stichhaltigkeit geprüft werden kann. Beirats-mitglieder können in diesem Sinne für die Beamten als „Sparring-Partner" fungieren. Als weitere wichtige Vorteile der Beiräte wurden die breite, übergreifende Problem-sicht sowie die Unabhängigkeit und Neutralität ihrer Stellungnahmen genannt.

Einige Beamte verwiesen darauf, daß offizielle Stellungnahmen der Beiräte in der Öffentlichkeit großes Gewicht hätten. Damit erfüllen Beiräte nicht nur eine fachlich-beratende, sondern auch eine politische Funktion: „Ein Beirat erregt einen hohen Aufmerksamkeitsgrad in der Öffentlichkeit und den Anschein wissenschaftlicher Autorität. Er kann Dinge sagen und in Bewegung setzen, die der Politik auf die Sprünge helfen."

Beiräte haben weitgehende Autonomie. Diese erlaubt es ihnen auch, aus eigenem Antrieb Fragen aufzugreifen, die aus der Sicht der Beamten bisweilen irrelevant sind. Beiratsmitglieder sind oft über die politischen Rahmenbedingungen einer Thematik nicht ausreichend informiert. Ihre Empfehlungen sind daher häufig bei den gegebenen politischen Kräfte-konstellationen nicht durchsetzbar. Verzögerungen der Beratung treten insbesondere dadurch auf, daß Beiräte relativ selten tagen, zum Teil nur zweimal jährlich, wobei Anträge jeweils bis zur nächsten Sitzung unerledigt liegen bleiben. Gelegentlich entwickeln Beiräte auch die Tendenz, umfangreiche wissenschaftliche „Enzyklopädien" abzufassen. Die Fähigkeit, knappe, politisch relevante Empfehlungen zu geben — so schien es einigen Beamten —, ist in den Beiräten wenig entwickelt.

Kommissionen

Kommissionen können definiert werden als beratende Gremien von beschränkter Dauer zur Lösung komplexer Aufgaben.

Die Einrichtung • von Kommissionen ist für Ministerien deshalb vorteilhaft, weil diese direkter beeinflußt und gesteuert werden können als Beiräte und weil sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe aufgelöst werden können, so daß sich späterhin für ein Ministerium keine weiteren Verpflichtungen ergeben. A. Faude und R. Mayntz empfehlen deshalb, für die Beratung komplexer Sachfragen eher Kommissionen zu installieren und auf die Einrichtung von Beiräten möglichst zu verzichten.

Die Tatsache, daß einige Kommissionen über einen relativ langen Zeitraum tätig sind, während andere „ad hoc" gebildet und nach kurzer Tätigkeit wieder aufgelöst werden, rechtfertigt die Unterscheidung von längerfristigen Kommissionen und Ad-hoc-Kommissionen. Längeriristige Kommissionen sind eine relativ selten benutzte Beratungsform. Nur ein Teil der angesprochenen Beamten konnte auf Erfahrungen mit derartigen Kommissionen hinweisen. Der wichtigste Vorteil der längerfristigen Kommissionen wird darin gesehen, daß dort fundierte Sachauseinandersetzungen über komplexe Themen stattfinden, wobei tragfähige Lösungsvorschläge innerhalb einer begrenzten Zeit erarbeitet werden können.

Ein Beispiel dafür, daß längerfristige Kommissionen neben der rein fachlichen Beratung auch der politischen Beratung dienen können, bietet die folgende Aussage: „Die Kommission, die wir hatten, war politisch zusammengesetzt. Es waren etwa 50 Leute. Vertreten waren der Kleinhandel, der Großhandel, die Bauernvertreter, die politischen Parteien und die Verbraucherorganisationen."

Politische Wirkung haben Kommissionen auch gegenüber der Öffentlichkeit: „Wichtig ist die Publizitätswirkung in der Offentlichkeit. Die öffentliche Diskussion wird weitergebracht. Kommissionen haben eine institutionalisierte Anregungsfunktion, sie haben einen Ankündigungseffekt in der Öffentlichkeit.“

Zu den Nachteilen längerfristiger Kommissionen zählen insbesondere ihre Langsamkeit und Schwerfälligkeit. Kritik findet bisweilen die mangelnde Umsetzbarkeit der Kommissionsempfehlungen in die politische Praxis. Die Ursache für diesen Mangel wird darin gesehen, daß die Kommissionsmitglieder zu sehr von ihrem engen Fachbereich ausgehen und die übergreifenden Gesamtzusammenhänge zu wenig berücksichtigen.

Häufig in Ministerien werden den Ad-hoc-Kommissionen gebildet. Der Vorteil der Adhoc-Kommissionen ist, daß Experten aus den Ressorts und von außen kurzfristig zusammengezogen werden können. Sie ermöglichen damit einen kurzfristigen Zugriff auf den gewünschten Sachverstand: „Man setzt sich für zwei Tage zusammen, so gewinnt man schnell den Sachverstand aus der Bundesrepublik und auch aus dem Ausland." „Wir machen technische Vorausschau. Zum Beispiel: Wie gut ist ein Radargerät in zehn Jahren? Wir ziehen die Leute zusammen aus den Instituten, aus der Industrie und hier aus dem Hause. Zehn Leute für die Dauer von acht Tagen."

Die gezielte Themenbearbeitung, die Offenheit und Ungezwungenheit des Gesprächs sowie die große Flexibilität der Gremien wurden gleichfalls als sehr positive Eigenschaften von Ad-hoc-Kommissionen hervorgehoben. Bemängelt wurde an den Ad-hoc-Kommissionen, daß sie im allgemeinen nicht in der Lage sind, ein Thema vollständig auszuschöpfen und übergreifende Zusammenhänge ausreichend zu berücksichtigen. Weiterhin wurden der organisatorische Aufwand und die zeitliche Beanspruchung, die sich mit der Tätigkeit in Ad-hoc-Kommissionen verbindet, kritisiert. Die Interpretation des Begriffs der Ad-hoc-Kommissionen erfolgte nicht ganz einheitlich. Verschiedene Beamte verbanden mit diesem Begriff unterschiedliche Vorstellungen:

— Ad-hoc-Kommissionen können zur Über-prüfung vorläufiger, noch nicht zu Ende ge dachtet Überlegungen dienen. — Bei komplexen Aufgaben können Ad-hoc-Kommissionen zur Bearbeitung von Detailfragen gebildet werden;

— Ad-hoc-Kommissionen sollen in ihrer Zusammensetzung politische Kräftekonstellationen repräsentieren: „Man kann gewissermaßen ein vorparlamentarisches Verfahren durchführen durch die Beteiligung der politischen Kräfte in diesen Gruppen.“

— Krisenstäbe sind stets Ad-hoc-Kommissionen: „Die Schwerfälligkeit der Struktur wird ausgeschaltet, eine direkte Entscheidung wird getroffen. Es liegt ein größerer Ermessensspielraum vor, verschiedene Bereiche werden zusammengefaßt und es besteht ein direkter Draht zur Leitung."

Staatliche Forschungsinstitute

Die meisten Ministerien gewinnen auch Informationen aus der Zusammenarbeit mit staatlichen Forschungsinstituten.

Diese können sowohl reine Bundesforschungsinstitute als auch privatrechtlich ausgewiesene Formen staatlicher Forschungsinstitute sein, die mindestens teilweise von einem Ministerium finanziert werden. Beispiele sind: die Deutsche Forschungsanstalt für Luft-und Raumfahrt, die Max-Planck-Institute, die Fraunhofer-Gesellschaft oder die Bundesforschungsanstalt für Raumordnung und Wohnungswesen.

Staatliche Forschungsinstitute sind Teil der staatlichen Hierarchie und stehen somit im direkten Zugriff und gelegentlich auch unter der Weisungsbefugnis der Ministerien. Die allgemein große Forschungskapazität dieser Einrichtungen wird von den Beamten als wichtiger Vorteil hervorgehoben. Bisweilen existiert in den staatlichen Forschungsinstituten die Möglichkeit, bereits aufbereitetes und gespeichertes Wissen unmittelbar abzurufen. Als Folge der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den Ministerien haben diese Institute eine enge Vertrautheit mit den verwaltungstechnischen und politischen Bedarfslagen entwickelt. Sie sind eingespielt auf die Anliegen der Ministerien und außerdem merklich billiger als andere Forschungseinrichtungen.

Der überwiegende Teil der Kritik an den staatlichen Forschungsinstituten bezog sich auf deren Tendenz zur Bürokratisierung und (erselbständigung. Die Tatsache, daß staatlic e Forschungsinstitute ein Teil der staatlichen Bürokratie sind, bewirkt, daß deren Forschungsergebnisse bisweilen in der politischen Argumentation ungerechtfertigt ein geringeres Gewicht haben als die Ergebnisse aus alternativen Quellen: „Wenn wir uns auf diese Ergebnisse berufen, dann wird uns oft nicht ganz geglaubt, nach dem 'bekannten Wort: , Wes Brot ich eß, des Lied ich sing! ’ Es existieren da Vorurteile. Man meint, wir holen uns in den staatlichen Forschungsinstituten einen Persilschein. Dies entspricht jedoch keinesfalls den Tatsachen. Wir stellen nur Fragen an diese Institute, und wir legen Wert darauf, sie nicht zu beeinflussen."

Kommerzielle Forschungsinstitute

An der wissenschaftlichen Beratung der Ministerien beteiligen sich auch kommerzielle Forschungsinstitute. Diese Institute sind darauf angelegt, Gewinn zu erwirtschaften. Aus diesem Grunde versuchen sie, sich optimal den Bedürfnissen ihrer Klienten anzupassen.

Die Schnelligkeit der Informationsbeschaffung und die Einhaltung der vereinbarten Termine zählen zu den wichtigsten Pluspunkten der kommerziellen Institute. Darüber hinaus findet die starke Praxisorientierung und die ausgeprägte Kooperationsfähigkeit dieser Institute Beachtung: „Sie betreiben Aquisitionsarbeit. Sie tauchen beim Beamten auf: . Darf ich mal fragen, mit welchen Sorgen Sie sich befassen? ’ Sie organisieren sich entsprechend." Auf Grund ihrer meist interdisziplinären personellen Ausstattung sind die kommerziellen Institute zumeist in der Lage, auch komplexe Themen zu bearbeiten.

Ein großer Beamten wies allerdings Teil der auf die hohen finanziellen Kosten dieser Institute Man müsse hierfür hin. jedoch Verständnis haben, da sie Profit erwirtschaften und ein breites Spektrum von Wissenschaftlern beschäftigen müßten, selbst dann, wenn diese nicht immer voll ausgelastet wären. Da kommerzielle Institute ihre personelle und materielle Ausstattung zumindest halten wollen, stehen sie unter dem Druck, Nachfolge-aufträge zu bekommen. Sie wollen sich den Auftraggeber „auf Teufel komm raus" erhalten. Eine in diesem Zusammenhang auftretende ausschließliche Orientierung an den Wünschen des Auftraggebers wird diesen Instituten gelegentlich angekreidet. Zusätzliche Kri-tik erregte die Überbetonung der . Aufmachung'der Forschungsberichte: „Die Schlagzeile ist oft wichtiger als die wissenschaftliche Ausführung. Sie sind etwas naßforsch. Hauptsache, es kommt 'ne tolle Sache raus. Die gucken auf den Verkaufswert dieser Geschichten."

Universitätsinstitute Der der überwiegende Teil Ministerien vergibt Forschungsaufträge auch -Universitätsinsti an tute. Die Zusammenarbeit -Universitätsin mit stituten wird dann als vorteilhaft betrachtet, wenn eng begrenzte Sachgebiete bearbeitet werden sollen, die eine hohe Spezialisierung voraussetzen. Die fachbezogene Arbeitsweise der Universitätsinstitute wird von vielen Beamten gleichwohl auch als Nachteil kritisiert, und zwar deshalb, weil die Bearbeitung enger Sachgebiete ohne Beachtung des politisch die Bezugsrahmens zu Ineffizienz häufig führt. Für die Objektivierung kontrovers diskutierter Sachfragen sind Universitätsinstitute jedoch gut geeignet. Interessenneutrale Empfehlungen können am ehesten hier erwartet werden. Einen weiteren Vorteil sahen die Beamten darin, daß Universitätsinstitute offensichtlich einen guten Überblick über die neuere Entwicklung ihres Wissensgebietes besitzen.

Die Beamten kritisierten hingegen die Praxisferne und die Theorielastigkeit der Universitätsinstitute. Dies bedeutet, daß Universitätsforscher häufig nicht unterscheiden, was im Sinne der Ministerien wichtig und was unwichtig ist. Weiterhin kommen Terminüberschreitungen häufig vor: „Sie überziehen die gesetzten Termine oft gewaltig. Häufig beantragen sie eine Verlängerung, die man dann zugestehen muß, weil man sonst eine Forschungsruine vor sich hat."

Häufige Terminüberschreitungen sind Ausdruck einer geringen Forschungskapazität. Dies und die einseitig fachspezifische Orientierung disqualifizieren Universitätsinstitute für die Bearbeitung komplexer Fragestellungen: „Die Teams sind im allgemeinen zu klein. Ein Mann mit seinen Assistenten kann nur schwer an eine komplexe Fragestellung herangehen. Die Dimensionen und die Komplexität unserer Fragestellungen sind kaum so klein zu zerhacken, daß wir auf genügend reibungslose Art mit den Universitätsinstituten zusammenarbeiten können."

Projektgruppen

Projektgruppen sind durch eine Querkoordination verschiedener hierarchischer Linien gekennzeichnet. Mehrere Varianten sind hier zu unterscheiden: Eine Variante betrifft die übergreifende Zusammenarbeit mehrerer Ressorts oder unterschiedlicher Referate ausschließlich auf Verwaltungsebene. Eine zweite Variante bezieht sich auf die Kooperation mit von Ministerialbeamten externen Experten. Eine dritte Variante bilden „steering committees , “ die die Funktion haben, komplexe Forschungsvorhaben vorzubereiten, zu koordinieren und zu betreuen. Im einzelnen können die Mitarbeiter für Projektgruppen entweder vollzeitlich abgestellt werden oder sie können diese Aufgaben zusätzlich neben ihrer üblichen Tätigkeit wahrnehmen. Die Größe von Projektgruppen wurde von den Beamten auf durchschnittlich neun Mitglieder geschätzt.

Projektgruppen sind gegenüber Ad-hoc-Kommissionen nicht eindeutig abzugrenzen; beide Formen überschneiden sich. Projektgruppen fassen jedoch deutlicher als Ad-hoc-Kommissionen formal getrennte Kompetenzen „quer zu den Linien" zusammen und arbeiten normalerweise nicht so sehr unter dem Druck der Verhältnisse wie Ad-hoc-Kommissionen. Projektgruppen arbeiten primär problemorientiert und weniger ressort-oder disziplin-orientiert. Ihre Elastizität gegenüber hierarchischen Positionen ist beachtlich: „Ich halte sehr viel von diesen nicht hierarchischen Projektgruppen. Da hat jeder das gleiche Stimm-und Rederecht. Es ist dabei völlig egal, welche Funktion er in der Hierarchie einnimmt. Derjenige, der dort etwas durchsetzen will, kann das nur, wenn er gute Argumente hat. Der Vorteil fürs Politikmanagement ist vielleicht noch größer: Die Leitung kann Informationen auf mehreren hierarchischen Ebenen abfragen und darüber hinaus auch von außerhalb der Hierarchie." Neben den Vorteilen, die aus der Überlagerung der formal getrennten Funktionen gewonnen werden, haben Projektgruppen auch den Vorteil der Schnelligkeit.

Die Tatsache, daß Projektgruppen formal getrennte Organisationsteile zu gezielten gemeinsamen Aktionen verbinden, impliziert gleichzeitig auch den Nachteil, daß sie zuweilen mit gegebenen Kompetenzen in Konflikt kommen: „Man muß darauf achten, daß Projektgruppen nicht in Konkurrenz geraten mit der Aufbauorganisation. Der formal Zu-ständige muß mit in die Projektgruppen . eingebaut werden. In der Regel macht es ja die Projektgruppe viel besser als der direkt Zuständige." Die Mitglieder der Projektgruppen halten die Zeitbeanspruchung insbesondere dann für hoch, wenn sie neben dem Engagement in der Projektgruppe ihre normale Arbeit voll erfüllen müssen.

Projektgruppen mit den Aufgaben von „steering committees" wurden in einem Ministerium als „projektbegleitende Arbeitsgruppen" bezeichnet. In einem konkreten Fall hatte eine solche Arbeitsgruppe folgende Zusammensetzung: — das mit dem Projekt befaßte Forscherteam, — fünf Referenten des Ministeriums, — ein Referent aus einem anderen Ministerium, — zwei Vertreter des Landes, — ein Wissenschaftler aus einer Bundesforschungsanstalt. Die Forscher selbst waren hier Mitglieder des „steering committees". Während der Durchführung des Forschungsprojektes trat die Arbeitsgruppe in regelmäßigen Abständen zusammen. Dabei wurden die Zwischenergebnisse vorgelegt und im einzelnen diskutiert. Nach Ansicht eines Beamten waren die Wissenschaftler von dieser Einrichtung sehr angetan. Sie betonten, daß sie von dieser Einrichtung viel profitierten und Fehlentwicklungen ihrer Arbeit rechtzeitig erkennen und vermeiden konnten.

Gutachten

Gutachten werden dann als Beratungsform gewählt, wenn ein bereits vorhandener und kurzfristig abrufbarer Wissensstand eines oder mehrerer Experten benötigt wird. Die meisten Ressorts benutzen diese Beratungsform. Die Gutachter werden insbesondere nach ihrem Renommee ausgewählt, da dieses Renommee in den politischen Auseinandersetzungen eine wichtige Argumentationshilfe darstellt.

Für Gutachten kommen solche Themen in Frage, die vom Umfang her dafür geeignet sind, von einem oder mehreren Wissenschaftlern kurzfristig bearbeitet zu werden. In erster Linie liefern sie den Beamten eine Exploration über ein enges, spezifisches und un-strukturiertes Problemfeld. Gutachten sind relativ einfach mit den Ressortaufgaben zu koordinieren. Der gesamte Ablauf ist leicht steuerbar. Ein abweichender Fall, der möglicherweise eine innovatorische Komponente enthält, ergibt sich aus folgender Bemerkung: „Man kann auch Pilotstudien als Gutachten anfertigen. Es ist möglich, das Forschungsdesign für einen späteren Forschungsauftrag in dieser Form zu erstellen. Wenn dieses Design nicht hält, was es verspricht, dann kann man die Sache wieder fallenlassen.“

Gutachten liefern allerdings Einzelmeinungen. Die Komplexität der Themen wird zumeist nicht ausgeschöpft. Interdisziplinäre Themenstellungen können mit dieser Beratungsform nicht erfaßt werden: „Der Nachteil von Gutachten besteht darin, daß kein positiver und kontrollierender Effekt besteht, der sonst durch Gruppendynamik erreicht wird. Man erhält notwendigerweise ein begrenztes Wissen." Einige Beamte kritisierten ferner die Tatsache, daß Gutachten bisweilen das verfehlen und Problem sich zu wenig an den Zielvorgaben orientieren. Schwierigkeiten entstehen auch dann, wenn Gutachter die politischen Implikationen ihrer Themenstellung nicht genügend berücksichtigen.

Modellversuche

Modellversuche sind Vorschaltmechanismen einer generellen Verwirklichung neuer Konzepte: Man erprobt ein neues Konzept an einem Einzelfall. Die Ergebnisse und Erfahrungen werden wissenschaftlich ausgewertet und dienen als Grundlage für weitere Entscheidungen. Modellversuche können rechtzeitig Informationen über Schwachstellen, über Folgeprobleme oder über Korrekturmöglichkeiten liefern. Dieses Verfahren reduziert die Risiken der Einführung neuer Konzepte in erheblichem Maße.

Modellversuche haben experimentellen Charakter. Sie sind ein Gelenkstück zwischen Theorie und Praxis: Man läßt neue theoretische Konzepte unter Kontrolle in der Realität ablaufen. Ein positives Ergebnis spricht für die Beibehaltung des neuen Konzeptes und verstärkt in der politischen Diskussion die Argumente für dessen generelle Nutzung. Ein negatives Ergebnis ermöglicht die Korrektur der Theorie, ohne daß zuvor schwerwiegender Schaden durch die generelle Anwendung entstand.

Einige Beamte betonten, daß Modellversuche den Bundesministerien die Möglichkeit ein-räumen, Innovationen zu fördern oder anzuregen, ohne dabei durch Länderkompetenzen eingeschränkt zu sein.

Unter Zeitdruck können Modellversuche jedoch nicht durchgeführt werden. Es dauert zu lange, bis die Ergebnisse vorliegen. Ein weiteres Hindernis für den häufigen Einsatz von Modellversuchen bildet der große organisatorische und finanzielle Aufwand: Je teurer Modellversuche sind, um so weniger wird experimentiert. Probleme sahen einige Beamte auch bei der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf größere Einheiten: „Zwischen den geographischen Regionen gibt es Unterschiede. Man kann nicht immer von den Ergebnissen einer Region auf die Auswirkungen in anderen Regionen schließen."

Trotz dieser Nachteile zählen Modellversuche zu den wissenschaftlich und technisch exaktesten Beratungsverfahren. Sie werden in unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt: Methanoltreibstoff für Kraftfahrzeuge, das Sonnenhaus, neue Waffensysteme, Schulversuche, die überbetriebliche Ausbildung im Agrarbereich, die Bekämpfung von Ackerunkräutern, die Folgenutzung von Baggerseen, die Zusammenlegung der Busdienste von Bahn und Post, Schwangerenberatung, Drogen-und Alkoholberatung, Rehabilitationseinrichtungen für Schwerbehinderte, Tages-mütter zur Kleinstkindererziehung, etc.

Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen der Industrie

Die Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit den Forschungseinrichtungen der Industrie hat heute wohl das größte Gewicht in Forschung, Entwicklung und Beratung. Die staatlichen Stellen betreiben auf diese Weise Innovationsförderung in Bereichen wie der Atomtechnik, der Luft-und Raumfahrt, der Elektronik, der Waffenentwicklung und der Meeresforschung. Die wichtigsten Kooperationsstellen zwischen Staat und Industrie sind das Bundesministerium für Forschung und Technologie und das Bundesministerium für Verteidigung. Die Zusammenarbeit geschieht insbesondere in Form von Beiräten, Projekt-gruppen, Modellversuchen oder der Entwicklung von Prototypen:

— „Die Personen in den Beiräten sind im allgemeinen leitende Herren der Industrie. Die Beiräte besitzen absolute Autonomie. Wir wollen dort erfahren, welche technischen Entwicklungen z. B. bei AEG erwartet werden können. Andererseits wollen wir die Vertreter der Industrie über unsere Bedarfslagen informieren.“ — „Wir nennen das Prototypen oder Demonstrationsobjekte. Das wird häufig gemacht, fast alles geht über Pilotprojekte. Das Atomkraftwerk Kalkar z. B. kann als Pilotprojekt betrachtet werden. Man kann an diesem Projekt die Wirtschaftlichkeit dieser Technologie nachweisen."

— „Projektgruppen übernehmen die Projekt-führung bei der Entwicklung neuer Waffensysteme. Der Begriff des Projektes bedeutet bei uns grundsätzlich ein Waffensystem."

Im Rahmen dieser Innovationspolitik übernimmt der Staat häufig das mit den Innovationen verbundene Risiko, das ansonsten eventuell von der Industrie getragen werden müßte. Einige Großprojekte haben allerdings auch durch stärkste staatliche Förderung nicht vermarktet werden können. Ein Beispiel hierfür ist das Flugzeug VFW 614. Ein Beamter formulierte eine beliebte Strategie, staatliche Mittel zur Förderung von Zukunftstechnologien flüssig zu machen: „Dies ist das , Cosi-fan-tutte-Argument': Die Amerikaner machen's, die Russen machens, wir müssen's auch machen. Dieses Spiel wird weltweit gespielt."

Informelle Gespräche

Eine weitere Informationsquelle für die Beamten bilden iniormelle Gespräche mit Experten. Gelegenheiten für diese Gespräche bieten Arbeitsessen, Tagungen, Kongresse, Symposien oder auch Kontakte, die sich im Zusammenhang mit Forschungsprojekten ergeben. Interesse an informellen Gesprächen existiert sowohl bei Beamten als auch bei Wissenschaftlern: „Entweder treten die Leute an uns heran oder wir gehen auf manche zu. Letzteres geschieht überwiegend.“ Informelle Gespräche mit Experten können die Transparenz von Themen schnell erhöhen: „Wir rufen die Leute an und sagen, daß sie herkommen sollen. Dann beraten wir einen halben Tag." Ein besonderer Vorteil der informellen Gespräche liegt nach Ansicht der Beamten in der Spontaneität, in der hohen Auskunftsbereitschaft der Gesprächspartner und in der Offenheit der Argumentation. Auch der geringe Zeitaufwand, der für diese Art der Informationsgewinnung typisch ist wurde positiv hervorgehoben. Als Nachteile der informellen Gespräche gelten die Zufallshäufigkeit, die Unvollständigkeit und die Einseitigkeit der Informationen: „Bei politisch heißen Fragen muß man auf jeden Fall auch die Gegenseite hören. Auf der Basis informeller Gespräche könnte man den Minister blauäugig in eine negative Debatte laufen lassen.“

Eine abweichende Variante informeller Gespräche, die ein innovatorisches Potential enthält, bildet die gezielte Aktivierung der Kritikfunktion dieser Gespräche: „Wir müssen was tun, um nicht in der praktischen Routine zu erstarren. Für die notwendige Kritik am Praktiker ist ein Wissenschaftler recht gut geeignet. Ich hole mir einen solchen Mann, wir gehen zusammen essen, wir diskutieren über die Problematik, wobei ich Kritik an meinen Vorstellungen erwarte."

Als wichtige weitere Informationsquellen außer den eben analysierten Beratungsformen nannten die Beamten Seminare und Kolloquien auf nationaler und internationaler Ebene, sowie Kontakte zur EG oder zur OECD.

Die bisherigen Ausführungen über die einzelnen Beratungsformen der deutschen Bundesministerien bedürfen der Ergänzung durch die

Bestimmung ihrer relativen Effizienz: Geschätzte durchschnittliche Effizienz der Beratungsform 3) durchschnittliches Gewicht 1. Ad-hoc-Gruppen 2. 3 2. Informelle Gespräche 2. 2 Projektgruppen 3. 2. 1 4. Gutachten 2. 1 5. Zusammenarbeit mit Industrieforschung 2. 1 4)

6. Kommerzielle Forschungsinstitute 2. 0 7. Staatliche Forschungsinstitute 2. 0 8. Modellversuche 2. 0 9. Längerfristige Kommissionen 1. 9 10. Universitätsinstitute 1. 8 11. Beiräte 1. 6 3) Die Kriterien dieser Einschätzung lauteten: sehr effizient (Gewicht 3) effizient (Gewicht 2) weniger effizient (Gewicht 1) nicht effizient (Gewicht 0)

4) Diese Kategorie wurde in den Gesprächen nicht benutzt. Entsprechende Hinweise der Beamten (n = 9) ermöglichten jedoch die Bestimmung des angeführten Schätzwertes.

Ein höheres durchschnittliches Gewicht in dieser Tabelle bedeutet eine höher eingeschätzte Effizienz einer Beratungsform. Die Differenzen zwischen den einzelnen Gewichten sind eher klein; sie reichen allerdings aus, um eine deutliche Rangordnung der einzelnen Beratungsformen herzustellen. Ad-hoc-Gruppen und informelle Gespräche gelten den Miniserialbeamten als die effizientesten Beratungsformen. Aber auch Projektgruppen, Gutachten, die Zusammenarbeit mit der Industrieforschung, kommerzielle Forschungsinstitute, staatliche Forschungsinstitute und Modellversuche werden als effizient eingeschätzt. Etwas unterhalb der Effizienzschwelle liegen die längerfristigen Kommissionen, die Universitätsinstitute und die Beiräte.

Kriterien, die zu einer besonders positiven Bewertung beitragen, sind offensichtlich die Schnelligkeit der Informationsgewinnung, die Praxis-und Politikrelevanz der Ergebnisse und eine relativ leichte Organisierbarkeit des Beratungsvorgangs.

Aus der Sicht der Beamten vollzieht sich wissenschaftliche Beratung innerhalb des Bezugsrahmens der politischen Zielsetzungen und Programme. Die politische Rahmenstruktur liefert entweder Impulse für wissenschaftlich-technische Fragestellungen oder die wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten bewirken ein Engagement der politischen Kräfte. Die Tatsache, daß die praktische Umsetzung wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse nur im Rahmen politischer Kräftekonstellationen möglich ist, führt dazu, daß in den Bundesministerien neben der wissenschaftlichen Beratung auch die politische Beratung erhebliche Bedeutung hat. Insgesamt besteht die Aufgabe der Ministerialbürokratie wohl auch darin, zwischen den wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten und den politischen Bedürfnissen Synthesen und Kompromisse herzustellen. Mit steigender hierarchischer Ebene in der Ministerialbürokratie wird in immer stärkerem Maße versucht, die wichtigsten Elemente spezifischen Fachwissens mit den gegebenen politischen Kräftekonstellationen in Einklang zu bringen.

Jeder Beamte, der sich mit einem wissenschaftlich-technischen Thema befaßt, versucht von Anfang an, die wahrscheinlichen Reaktionen der relevanten politischen Kräfte aufzuspüren: In welchem politischen Kontext sind wissenschaftlich-technische Möglichkeiten nutzbar? Wer muß überzeugt werden, welche politischen Gruppen müssen gewon-nen werden, um eine wissenschaftlich-technische Möglichkeit zu realisieren?

Je nach der Thematik und nach der hierarchischen Position des Beamten müssen etwa folgende Personen oder Gruppen bei der Aktivierung eines Programms »mitziehen“: der Abteilungsleiter, die Leiter anderer Abteilungen, der Staatssekretär, der parlamentarische Staatssekretär, andere Ressorts, der Minister, der Sachverständige einer Fraktion, die gesamte Fraktion, die Beamten der Länder, die Politiker der Länder, der Bundesrat, spezifische Interessengruppen, die Vertreter der öffentlichen Meinung.

Um politische Beratung bereits in der Früh-phase von Programmen zu erhalten, versuchen die Ministerialbeamten, relevante Stellungnahmen der organisierten Interessen anzuregen. Kontaktiert werden dabei beispielsweise Wirtschafts-und Industrieverbände, Berufsverbände, Gewerkschaften, Umweltverbände, Bürgerinitiativen, Jugend-und Familienverbände, Wissenschaftsorganisationen, Industriekonzerne, Verbraucherverbände, kommunale Spitzenverbände. Der überwiegende Teil der politischen Beratung der Ministerialbürokratie bezieht sich auf die Artikulation von Wirtschaftsinteressen. Politische Beratung und interessengebundene Einflußnahme sind hier im wesentlichen identisch. Politische Beratung vollzieht sich, im Gegensatz zur wissenschaftlichen Beratung, häufig nicht ohne Konflikte oder Ausübung von Druck.

Die Verbände nehmen auf die Ministerialbürokratie direkten Einfluß. Dabei werden insbesondere die höheren Ränge durch Briefe und persönliche Vorsprachen mit den Anliegen der Verbände konfrontiert.

Auch in indirekter Weise üben Verbände Einfluß auf die Ministerialbürokratie: „Dies geschieht über Abgeordnete des Bundestages, die sich für bestimmte Interessen verwenden. Das ist wohl der effizienteste Einfluß. Der Abgeordnete schreibt einen Brief, die Vorlage wird im Bundestag verzögert, man setzt sich im Ausschuß für Änderungen ein. Beispielsweise beim Arzneimittelrecht, da wurde geschossen aus allen Rohren." Auch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung gehört zum Inventar der Verbände, Einfluß auf die Ministerien zu nehmen.

Die häufigste Reaktion der Ministerialbürokratie auf unerwünschte Beratungs-oder Beeinflussungsversuche ist die sachlich-rationa-le Argumentation. Wissenschaftlich-neutrale Ergebnisse sind dabei wichtige Hilfen. Die Möglichkeit, Bündnispartner für die Unterstützung der eigenen Argumente zu aktivieren, haben auch die Beamten. Der Beamte versichert sich der Unterstützung des Vorgesetzten, des Ministers, der Abgeordneten oder geeigneter organisierter Gegenkräfte. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit oder Hinweise auf unzumutbare Kosten alternativer Lösungen können gleichfalls der Abwehr unerwünschter Einflußnahmen dienen.

Ein Beispiel für eine solche . abgestufte Verteidigung'lieferte ein Beamter ganz spontan: „Erstens: Sachargumente dagegenhalten. Zweitens: Finanzargumente anführen. Drittens: Neutralisierung durch übergeordnete Gesichtspunkte." Ein Beamter, der das Sachgebiet der industriellen Umweltverschmutzung betreute, verwies auf die überraschende Möglichkeit, eine Gegenmacht gegen mächtige Umweltverschmutzer zu initiieren: „Man organisiert Umweltverbände. Wir arbeiten dann mit diesen zusammen. Wir regen die Mitglieder dieser Verbände an, Briefe an uns zu schreiben, dann haben wir brauchbare Argumente." Effiziente Politik kann optimal nicht ohne den Rückgriff auf wissenschaftlich-technische Informationen betrieben werden. Die Situationen häufen sich, in denen politische Entscheidungen erst nach intensiven Auseinandersetzungen der Entscheidungsträger mit wissenschaftlichen Expertisen getroffen werden können. Wissenschaftliche Beratung — wenn sie richtig gemacht wird — erhöht die Sicherheit der Entscheidenden und hilft ihnen, bessere Entscheidungen zu treffen. Aber nicht nur die politisch Entscheidenden ziehen einen Gewinn aus der Kooperation der staatlichen Stellen mit der Wissenschaft. Auch die Wissenschaftler lernen im Rahmen dieser Kooperation. Sie lernen aktuelle Forschungsthemen zu definieren und praxisnahe Empfehlungen zu liefern. Nur eine anwendungsbezogene Wissenschaft ist aus politischer oder wirtschaftlicher Sicht effizient und nur die systematische Auseinandersetzung mit den Problemen der praktischen Umsetzung des Wissens kann die politische und wirtschaftliche Effizienz der Wissenschaft erhöhen. Beide, die politisch Entscheidenden und die Wissenschaftler, können aus ihrer Kooperation gewinnen. Mit welchen Kooperationsformen dies möglich ist, sollte dieser Text aufzeigen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Zitate dieses Textes sind jeweils ausgewählte Statements der Ministerialbeamten.

  2. Vgl. A. Faude und R. Mayntz, Das Beratungswesen im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. Untersuchungsbericht und Referentenvorschläge, Bonn 1975, S. 33.

Weitere Inhalte

Roswitha Görgen, stud. phil., geb.'1947, Staatsprüfung für das Lehramt an der Grund-und Hauptschule 1972; seit 1974 Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Germanistik an der Universität Bonn.