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Der Bundestag sollte einen Verbraucherbeauftragten haben | APuZ 24/1978 | bpb.de

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APuZ 24/1978 Artikel 1 Zusammenhänge von Arbeit und Konsum als Problem einer aktiven Verbraucherpolitik Privater Konsum als öffentliche Aufgabe. Das Theoriedefizit der Verbraucherpolitik und seine praktisch-politischen Folgen Der Bundestag sollte einen Verbraucherbeauftragten haben

Der Bundestag sollte einen Verbraucherbeauftragten haben

Hermann Hummel-Liljegren

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Artikel begründet, warum sich die Institution eines Verbraucherbeauftragten des Bundestages empfiehlt: Der Verbraucherbeauftragte würde die überparteiliche Gemeinsamkeit in Verbraucherfragen verstärken und den Verbraucherschutz allgemein durch eine von Interessen freie Instanz unterstützen. Er sollte für den Bundestag jährlich einen Bericht zum Stande des Verbraucherschutzes erstatten, dabei — auch im Vergleich zum internationalen Standard — auf Mängel und Defizite hinweisen, ferner: den Bundestag durch Anhörungen (Reports) und eigene Empfehlungen beraten sowie in Einzelfragen auch mit der anbietenden Wirtschaft verhandeln, mit der er als Neutraler ein konfliktfreies Verhältnis aufbauen kann. Bei der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (AGV) und anderen Institutionen kann er auf faire Partnerschaft stoßen, wenn er deren Aufgaben unberührt läßt und sich jeglicher Primus-inter-pares-Rolle enthält. Für das auszuschreibende Amt sollte kandidieren, wer auf einem Fachgebiet wissenschaftliche Qualifikationen oder besondere Erfahrungen besitzt; das kann auch ein Abgeordneter sein, wenn er aus dem Parteileben ausscheidet. Der Bundestag oder ein Ausschuß sollte den Bestgeeigneten mit Zwei-Drittel-Mehrheit wählen, damit er sein Amt unparteiisch wahrnehmen kann. Verfassungsorganisatorisch sollte der Verbraucherbeauftragte Hilfsorgan des Parlaments, ähnlich dem Amt des Wehrbeauftragten, sein. Ein Verwaltungsstab von je zwei Wissenschafts-, Verwaltungs-und Schreibkräften könnte ihm zur Seite stehen.

I. Begründung

INHALT I. II. III. IV. V. Begründung 1. Verstärkung der überparteilichen Gemeinsamkeit in Verbraucherfragen Institutioneile Verstärkung des Verbraucherschutzes Die Bundesrepublik hat keinen von Interessen freien Verbraucherbeauftragten 2. 3. Aufgabe, Bedeutung und Wirkung Neutralität und ideologiefreie Pragmatik Zusammenarbeit mit Verbraucherinstitutionen Bewerberkreis und Organisatorisches

Der Aufsatz soll den Vorschlag begründen, daß sich die Institution eines Verbraucherbeauftragten (Ombudsmann oder -frau) für den deutschen Bundestag empfiehlt. Verstärkung der überparteilichen Gemeinsamkeit in Verbraucheriragen Den vier Parteien des Bundestages ist —jedenfalls auf weiten Strecken — gemeinsam, daß sie die wirtschaftliche Teilhabe des Verbrauchers stärken wollen, daß sie, mitunter bis ins Detail identisch, zum heutigen Stand und Verbraucher des Verbraucherschutzes -rechts beigetragen haben und auch in Zukunft die Stellung des Verbrauchers bis zu einer für die anbietende Wirtschaft tragbaren Grenze verbessern wollen.

An der verbraucherpolitischen Leistungsbilanz wirkten alle politischen Seiten mit, wobei die Vorhut jeweils wechselte:

Für die CDU/CSU sind vor allem die Gesetzes-initiativen des Bundeslandes Bayern zu nennen 1). Zu erwähnen ist ferner die Gründungsinitiative für die Stiftung Warentest

Von der SPD/FDP-Koalition sind zahlreiche Verbraucher-Reformen unter Bundesjustizminister Vogel, dem Parlamentarischen Staatssekretär de With sowie unter Bundeswirtschaftsminister Friderichs in die Wege geleitet worden

Einmai war es die sozial-liberale Koalition, die die Preisbindung der zweiten Hand 1973 abgeschafft hat, was sich als verbraucher-freundlich erweisen sollte; dann wieder war es die CDU/CSU, die sich von Anfang an gegen die wohl kaum verbraucherschützende unverbindliche Preisempfehlung ausgesprochen hatte

Zuletzt ging von Bayern der Entwurf zur Verbesserung des Maschinenschutzgesetzes dem Bundestag zu der nach der Anhörung im Januar 1978 im zuständigen Ausschuß durch die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD, Dr. Martiny, mit weiteren Schutzklauseln ver-sehen wurde. Ein schönes Beispiel parlamentarischer Zusammenarbeit!

Wenn es somit zutrifft, daß die Parlamentarier in einer Reihe von Verbraucherfragen erfreulich Zusammenarbeiten, wäre es dann nicht an der Zeit, hierzu unterstützend einen Verbraucherbeauftragten des Bundestages zu bestellen, der für alle Abgeordneten Kontakt-stelle ist, von allen gewählt und akzeptiert wird und der zugleich von Parteien, Ministerien, Regierung und Gruppenvertretern (Verbraucher, anbietende Wirtschaft) unabhängig ist? 2. Institutioneile Verstärkung des Verbraucherschutzes Für die institutioneile Verstärkung des Verbraucherschutzes kommt auf absehbare Zeit weder ein Ministerium für Verbraucher (in Kanada seit 1967, in Norwegen und England seit 1972) noch ein Verbraucherschutzamt in Frage. Für letzteres besteht angesichts eines beeindruckenden Aufbaus der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (AGV), seiner angeschlossenen Mitgliedsverbände und Verbraucherzentralen sowie zahlreicher privater und amtlicher Stellen für Verbraucherschutz keine Notwendigkeit Hingegen zeigt das Fehlen eines Ministers für Verbraucher, daß diese im Kabinett gegenüber Wirtschaft und Landwirtschaft nach wie vor eine schwächere Stellung einnehmen auch wenn zahlreiche Ausschüsse, Beiräte und Referate anderer Ministerien den Verbrauchern zuarbeiten und bei Kabinettsvorlagen eine „Verbraucherklausel" zu erläutern hat, inwiefern Verbraucher tangiert werden

Besteht für die große Lösung — Bundesministerium für Verbraucher — derzeit keine Chance, so sollte die kleine Lösung — Parlamentsbeauftragter für Verbraucher — desto rascher diese Lücke ausgleichen. 3. Die Bundesrepublik hat keinen von Interessen freien Verbraucherbeauftragten AGV, Verbraucherzentrale, Verbraucherschutzverein und ähnliche Institutionen sind — ohne Vorwurf — Sachwalter der Verbraucherseite. Wirtschaftsund Landwirtschaftsministerien haben umgekehrt — ebenfalls zu Recht — die Interessen der Anbieterseite wahrzunehmen (in anderen Ministerien ist die Balance besser). Die neutrale Stiftung Warentest hat nur einen eingegrenzten Arbeitskreis. Die Berichte der Bundesrepublik zur Verbraucherpolitik einschließlich der Konzeption zur Verbraucherinformation und -beratung geben zwar einen guten Überblick über das Feld des Verbraucherschutzes, sie enthalten jedoch nicht das gesamte Spektrum der Auffassungen und Tendenzen zur Verbraucherarbeit (Opposition, einzelne Fraktionen des Bundestages, Bundesrat, Länderregierungen, Verbände), sondern sind Bilanz und Vorschau der Bundesregierung. Neutrale Stimmen gibt es zwar aus der Wissenschaft, sie können jedoch nicht das Gewicht und die Breitenwirkung eines Bundestagsbeauftragten für Verbraucher erlangen.

Ein überparteilicher Gesamtbericht des Verbraucherbeauftragten müßte allein schon vom internationalen Vergleich des Verbraucher-schutzes her gesehen kritischer als der Bericht der Bundesregierung ausfallen.

II. Aufgaben, Bedeutung und Wirkung

*) Vgl. die ausführliche Zusammenstellung bei B. Biervert/W. Fischer-Winkelmann/R. Rock, I. Grundlagen der Verbraucherpolitik, Reinbek 1977; II. (Hg.) Verbraucherpolitik in der Marktwirtschaft, Reinbek 1978, S. 239 ff. Wer befaßt sich in der Bundesrepublik mit Verbraucherschutz?

Arbeitsgemeinschaft für Verbraucher, AGV, Bonn (Dachverband mit über 30 angeschlossenen Verbänden und ca. 8 Mio. Mitgliedern)

Arbeitsgemeinschaft Hauswirtschaft, Bonn Arbeitsgemeinschaft Wohnberatung, Bonn Bundesausschuß fü

Der Verbraucherbeauftragte sollte für den Bundestag — jährlich einen Bericht zum Stande des Verbraucherschutzes erstatten;

— dabei auf Mängel und Defizite hinweisen; — schon vor einem Referentenentwurf objektive Untersuchungsberichte zu einzelnen möglichen gesetzlichen Vorhaben durch schriftliche oder mündliche Anhörung aller relevanten Gruppen als Reports den Abgeordneten zur Verfügung stellen. Damit erreicht man in Schweden eine langfristige — weniger erhitzte — Vorabklärung eines Problems —in Einzelfragen auch mit der anbietenden Wirtschaft verhandeln, mit der er als Neutraler ein konfliktfreies Verhältnis aufbauen kann — den Bundestag zu einzelnen verbraucher-gesetzlichen Vorhaben gutachterlich beraten; — eigene Empfehlungen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes abgeben.

Simitis und Wieken prophezeien einem deutschen Verbraucherbeauftragten im Gegensatz zu dem Verhandlungsgeschick des schwedischen Konsumenten-Ombudsmannes weitaus weniger Erfolg, und zwar wegen der geringeren Kompromißbereitschaft der Anbieter infolge ihrer starken Machtposition. Indessen gehen gerade in der Bundesrepublik nicht selten Unternehmer als Pioniere voran (Quelle, Neckermann, Albrecht, Discounter) und ziehen weitere Unternehmer in ihren Sog. Das Feindbild: Produzenten, Werbeunternehmen und Händler versus Verbraucher trifft nicht die Sache, denn es gibt in zunehmendem Maße Kooperationen in dem Sinne, daß Produzenten gerade wegen ihrer verbraucher-freundlichen Produktion und mit Hilfe eines lebhaften Preiswettbewerbs die höheren Gewinne erzielen, daß Werbeagenturen durch vergleichende Werbung den Verbraucher aufklären und daß der Handel durch neue Vertriebsmethoden Preisverbesserungen erzielt.

Um die Bedeutung und Wirksamkeit des Verbraucherbeauftragten zu erläutern, sei ein aktuelles Beispiel aufgegriffen. Verschiedene Hausfrauenverbände sind bestrebt, daß nach amerikanischem Vorbild auf Tiefkühlkost Farbetiketten aufgedruckt werden, die sich verfärben, wenn die Kühlung etwa beim Transport oder bei einer Zwischenlagerung unterbrochen wird. Aufgabe des Verbraucher-beauftragten könnte es sein, sich die Informationen zu beschaffen, in Verhandlungen mit der Industrie zu treten und anschließend dem Bundestag ein Gutachten mit oder ohne Gesetzesempfehlung vorzulegen.

Der Verbraucherbeauftragte könnte auch empfehlen, daß einem Gesetzesvorhaben noch weitere Prüfungszeit eingeräumt wird, damit die Beteiligten (Verbraucher und Wirtschaft) die Reform auf ihre Praktikabilität untersuchen und ggf. Bedenken und Verbesserungswünsche anmelden können Mit dem schwedischen Konsumenten-Om-budsmann besteht bei diesem Vorschlag wenig Gemeinsamkeit. Dort handelt es sich um ein Exekutivorgan, um unlautere Werbemethoden und unzulässige Vertragsbestimmungen zu kontrollieren. Der Verbraucher-Ombudsmann hat das Recht, bei Verstößen auf Abstellung zu drängen, notfalls ein Marktgericht anzurufen, das drittelparitätisch (Staat/Verbraucher/Unternehmer) zusammengesetzt ist und bestimmte Methoden verbieten kann. Schließlich hat er das Recht der öffentlichen Anprangerung Einzelbeschwerden, wie sie jährlich mit durchschnittlich 4 000 Fällen dem schwedischen Konsumenten-Ombuds-mann vorgelegt werden (bei 8 Mill. Einwohner), sollte der Verbraucherbeauftragte des Bundestages an die jeweils zuständige Verbraucherzentrale weitergeben.

III. Neutralität und ideologiefreie Pragmatik

Kann es einen interessen-und parteipolitisch neutralen Verbraucherbeauftragten geben? Kann irgendein Mensch, der sich in den Dienst einer Sache stellt, neutral im Sinne von sachlich gerecht, objektiv und über den Parteien und Verbänden stehend arbeiten? Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Geiger berichtete von einem Bundesrichter, der beim Unterschreiben der Urteile stets vor sich hinmurmelte „Allah weiß es besser".

Dennoch gibt es in der Praxis der Verbraucherarbeit Beispiele für ein hohes Maß an Neutralität. So wird der schwedische Verbraucher-Ombudsmann mit seinem unideologischen Pragmatismus von allen Seiten als ausgleichender Vermittler akzeptiert und gelobt. Dieses Lob gebührt auch z. B.der Stiftung Warentest, die in ihrer Arbeit wie in der Person ihres Leiters, soweit es menschenmöglich ist, als neutral anerkannt ist.

Neutralität setzt eine innere Haltung voraus, die aus verschiedenen Quellen entstehen kann: — aus Liebe zur Sache, zur Sachlichkeit, zur Sachgerechtigkeit} — aus Neigung zur Toleranz und Ausgewogenheit in der Darstellung der Gegensätze (audiatur et altera pars); — aus einem Bedürfnis nach wissenschaftlicher Unabhängigkeit und geistig-theoretischer Distanz gegenüber gesellschaftlichen Gruppen; — aus einem philosophischen Wert-Relativismus, wie ihn der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch vertreten hat und wie er auch heute beispielgebend sein kann, wenn man ihn seinerseits relativiert: Relativismus nur, so lange Ziele und Wege menschenwürdig sind

IV. Zusammenarbeit mit Verbraucherinstitutionen

Der Verbraucherbeauftragte des Bundestages dürfte keinerlei Aufgaben kontrollieren, geschweige denn an sich ziehen, denen bereits andere Institutionen, vor allem die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, die Verbraucherzentralen, der Verbraucherschutzverein, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Gewerbeaufsicht (alle mit zunehmendem Erfolg) nachgehen. Der Beauftragte ist also beispielsweise nicht zuständig für — Verbraucheraufklärung, -beratung und -Schulung (AGV und Verbraucherzentralen); — Verbraucherpolitische kollektive Interessenvertretung (AGV);

— Verbraucherrechtsschutz bei Reklamationen (Verbraucher-Zentralen und Schlichtungsstellen des Handels und Handwerks

— Bekämpfung unlauterer Werbung (Verbraucherschutzverein)

— Überwachung der Einhaltung von Vorschriften (Gewerbeaufsicht, Lebensmittelaufsicht)

Darüber hinaus kann der Vorschlag der Einsetzung eines Verbraucherbeauftragten bei den vorhandenen Institutionen nur dann auf Zustimmung und faire Partnerschaft stoßen, wenn auch nur der Anschein irgendeiner Lenkung oder Primus-inter-pares-Rolle unterbleibt

Die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher ergibt sich vor allem bei gesetzgeberischen Vorschlägen. Zwei Beispiele: Denkbar ist, daß die AGV zusammen mit dem Verbraucherbeauftragten im Bundes-justizministerium auf Bestrebungen hinwirken, — die außergerichtliche und gerichtliche Rechtshilfe sozialverträglicher und sozialstaatsgerechter als heute zu verwirklichen;

— zur AGB-Kontrolle für die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher und die Verbraucherzentralen ein Verbandsklagerecht zu schaffen

Denkbar ist allerdings auch, daß die AGV als Verbandsbeauftragte nur der Verbraucherseite bei einzelnen Forderungen maximale Wünsche anmeldet, während der Bundesbeauftragte eine behutsamere Gangart anschlägt. Wäre das schon ein Konflikt? Wohl kaum. Entscheidend ist, daß sich beide darin einig sind und zuarbeiten, daß der Schutz und die Freiheit der Verbraucher nur dann erweitert werden kann, wenn es gelingt, die Mindeststandards für Warenqualität, technische Sicherheit, Werbung und Preisvergleiche ständig zu verbessern. Hierin werden beide unterstützt durch Nahrungsmittelchemiker, Pharmazeuten, Ärzte, Ingenieure, Juristen, Volkswirte, Parlamentarier, Richter und zahlreiche Behörden.

Für die Hauptlast der Verbraucherarbeit bliebe nach wie vor die Verbraucherpolitik „unter einem Dach" wie es seit einem Vierteljahrhundert die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher als wissenschaftlich untermauerter Massenverband durch zunehmende Konzentration der Kräfte zum Nutzen der Verbraucher als Gegengewicht gegen den Markt-partner aufgebaut hat.

Drei letzte Einwände: Wäre der Verbraucher-beauftragte nicht überfordert? Geschieht nicht vieles schon ohne ihn? Gibt es nicht für alles eine Institution? Hierzu ist zu erwidern: Es genügt, wenn der Verbraucherbeauftragte an zentralen Weggabelungen der Verbraucherpolitik exemplarisch sein Gewicht mit in die Waagschale wirft, wobei allein seine Existenz die Bedeutung des Verbraucherschutzes in der Bundesrepublik stärken kann. Alles was bereits geschieht, soll der Verbraucher-beauftragte ohnehin nur dem Bundestag im Jahresbericht mitteilen. Gewiß fehlt es nicht an Organisationen, wohl aber an einer einzigen verbands-, ministerialund parteineutralen Verbraucherinstitution

V. Bewerberkreis und Organisatorisches

1. Der Bewerber für das Amt des Verbraucherbeauftragten muß auf einem Fachgebiet der Verbraucherarbeit Qualifikationen von wissenschaftlichem Rang oder besondere Erfahrungen besitzen. Hierfür kommen in der Bundesrepublik mehrere hundert Fachleute, z. B. aus Politik, Wissenschaft oder Ministe-rialbürokratie, in Frage. Unter ihnen sollte der Bundestag bzw. ein Bundestagsausschuß durch öffentliche Ausschreibung den bestgeeigneten Bewerber mit zwei Drittel Mehrheit (für fünf Jahre mit einmaliger unmittelbarer Wieder-wahlmöglichkeit) wählen, damit er sein Amt unparteiisch wahrnehmen kann. Auch ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete des Bundestages selbst, die über die Parteigrenzen hinaus respektiert wird und bereit ist, aus dem Parteileben auszuscheiden, ist für dieses Amt vorstellbar.

2. Verfassungsorganisatorisch ist an ein Hilfsorgan des Parlaments, ähnlich dem Amt des Wehrbeauftragten gedacht. So könnte ein Art. 45 d Grundgesetz lauten: „Zum Schutze der Verbraucher und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Verbraucher-gesetzgebung wird ein Verbraucherbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."

Der Verbraucherbeauftragte wäre folglich nicht Exekutivorgan (wie der schwedische Verbraucher-Ombudsmann sowie die deutschen Beauftragten für Zivildienst und Datenschutz), sondern Hilfsorgan der Legislative. Er bedürfte weder der Qualifizierung als Bundesoberbehörde nach Art. 87 Abs. 3 GG noch eigener Exekutivbefugnisse. Als Hilfsorgan des Parlaments ist seine Institutionalisierung verfassungsorganisatorisch problemlos

Dienstsitz, Dienstaufsicht und Haushaltseinordnung sollten beim Bundestag liegen Der Bundestag oder ein zuständiger Ausschuß sollte zu allgemeinen Richtlinien für die Arbeit des Verbraucherbeauftragten ermächtigt sein, aus denen hervorgeht, daß neben dem Jahresbericht Gutachten und Einzelberichte angefordert werden können. Im übrigen ist der Verbraucherbeauftragte unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Ein kleiner Verwaltungsstab von je zwei Wissenschafts-, Verwaltungs-und Schreibkräften sollte ihm zur Seite stehen. Zur Sicherung seiner Unabhängigkeit müßte die Unvereinbarkeit seines Amtes mit anderen Ämtern und Tätigkeiten sowie mit Mitgliedschaften in Wirtschafts-oder Verbraucherverbänden gesetzlich festgelegt werden

Dem Deutschen Bundestag ist zu wünschen, daß er im Bewußtsein einer überparteilichen Verbraucherverantwortung einen Verbraucherbeauftragten findet und einsetzt, der den Kampf um den Verbraucherschutz nicht scheut, wo er geboten ist, der ihn nicht anzettelt, wo er zu verwerfen ist, und der nicht vergißt, daß das Wettbewerbsprinzip, ja die Marktwirtschaft selbst erst dann voll funktionsfähig sein werden, wenn die Verbraucher und die anbietende Wirtschaft gleich starke Partner geworden sind. Er könnte damit an den Vorbedingungen dafür mitwirken, daß die Verbraucher durch überlegtere Wahl Zeit und Geld sparen und dadurch in ihrem persönlichen Bereich mit weniger Zwängen leben können. Ein echter Sozialstaatsauftrag!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. etwa die Entwürfe — unter Professor Löwe — zur AGB-Reform und zum Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften.

  2. Diese geht auf die Vorschläge der Professoren Otto Blume (AGV), Ludwig Erhard und Müller Ar-mack zurück (näheres bei L. Kurlbaum-Beyer, Zehn Jahre Stiftung Warentest, in: Stiftung Warentest, Jahresbericht 1974, S. 11 ff.

  3. Beispiele: Textilkennzeichnungsgesetz V. 25. 8. 72 (BGBl I 1145); Abzahlungsgesetz vom 15. 4. 74 (BGBl I 1169); Lebensmittel-und Bedarfsgegenständegesetz vom 15. 8. 74 (BGBl I 1945); Eichgesetz v. 20. 1. 76 (BGBl I 141); Arzneimittelgesetz v. 24. 8. 76 (BGBl I 2445); Fernunterrichts-schutzgesetz v. 24. 8. 76 (BGBl I 2525); AGB-Gesetz v. 9. 12. 76 (BGBl I 3317); vgl. ferner: Entwürfe zur Regelung des Reiseveranstaltungsvertrages und zur Verschärfung der Produzentenhaftung.

  4. Votum der CDU/CSU-Minderheit im wirtschaftspolitischen Ausschuß des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 7/765 v. 13. 6. 73 S. 12).

  5. Bundesratsdrucksache 133/77, Beschluß v. 3. 6. 77.

  6. E. Günther hat sich seit langem dafür ausgesprochen; vgl. Günther/Petry, Verbraucherpolitik — Ziele, Mittel und Träger, in: Marktwirtschaft 1973 S. 4.

  7. In Schweden gibt es ein Verbraucherschutzamt mit über 200 Mitarbeitern und einem Budget von (1976) 27 Mio. Kronen.

  8. Anderer Ansicht sind offenbar Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht, Göttingen 1976, S. 210.

  9. Vgl. dazu: „Die verbraucherpolitischen Kompetenzen innerhalb der Bundesregierung sind auf eine mit ausreichenden Vollmachten ausgestattete Stelle zu konzentrieren, um eine stärkere Durchsetzung der Verbraucherinteressen in den Ministerien zu erreichen." (Beschluß des SPD-Parteivorstandes v. 7. Mai 1976 zur Verbraucherpolitik, Ziff. 3. 5. 4.

  10. Denn was tendenziell vor-und nachgeht, hat unlängst der Referent für Verbraucherpolitik und Werbewirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium, G. Rambow, klargestellt: „Die Verbraucherpolitik ... kann nicht ein eigenständiges Konzept verwirklichen", stelle „keinen unabhängigen Politikbereich" dar, sondern werde „in ihrer wesentlichen Ausrichtung von der allgemeinen Wirtschaftspolitik und dann insbesondere der Ordnungspolitik bestimmt". In: Zeitschrift für Verbraucherpolitik 2/77, S. 152.

  11. Diese werden vom Verbraucherreferat des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt und erscheinen leider nur in vierjährigen Abständen (vgl. Erster Bericht vom 18. Okt. 1971, Bundestagsdrucksache IV/2727; Zweiter Bericht vom 20. Okt. 1975, Bundestagsdrucksache 7/4181).

  12. Seit Jahrzehnten gibt es in Schweden die Staatlichen öffentlichen Untersuchungen (SOU = Statens offentliga utredningar); die Parallele zu dem oben gemachten Vorschlag stimmt allerdings insofern nicht, als der schwedische Reichstag für ein Untersuchungsthema mehrere Personen in und außerhalb des Parlaments zusammenstellt, die — zum Teil erst nach zwei oder drei Jahren — nach Anhörung aller Gruppen eine Dokumentation des Für und Wider, einen eigenen Vorschlag und eventuell abweichende Meinungen innerhalb der Kommission herausbringen. Neuere Beispiele: SOU 1976/48, Reklam och Integrität; SOU 1976/63 Reklamen för alkohol och tobak; SOU 1977/32 konsumentskydd vid köp av begagnad personbil (Verbraucherschutz beim PKW-Gebrauchtwagenkauf). Das letzte Beispiel ist erwähnenswert, weil die Kommission den auch für uns diskutablen Vorschlag macht, man möge ein gesetzliches Rückgaberecht von acht Tagen vorsehen, wobei die Parteien jedoch Grundbetrag (Miete) und km-Preis für die Probetage frei vereinbaren können.

  13. Diese positive Erfahrung hat jedenfalls der schwedische Verbraucher-Ombudsmann in seinem 5-Jahresbericht Ett fall för KO 1971— 1975. Ein Fall für den Konsumenten-Ombudsmann, Stockholm, S. 18— 19) betont: Die Verbände waren häufig zu praktischen, den Verbraucherstandpunkt berücksichtigenden Lösungen bereit. An Regeln für Fairness bei Werbung, Vertrieb, Produktinformationen und Behandlung von Reklamationen ist auch in der Bundesrepublik die anbietende Wirtschaft zunehmend interessiert (z. B. Verlängerung der KFZ-Garantie auf ein Jahr, freiwillige Rückruf-aktionen).

  14. K. Simitis, Verbraucherschutz, Schlagwort oder Rechtsprinzip, Baden-Baden 1976, S. 301.

  15. K. Wieken, Die Organisation der Verbraucher-interessen im internationalen Vergleich, Göttingen 1976, S. 42.

  16. Vgl. E. Hemmer, Verbraucherschutz — Eine kritische Bestandsaufnahme, Beiträge zur Wirtschafts-und Sozialpolitik des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Köln 1976. „Beispielsweise stellte sich nach Inkrafttreten der Verordnung zum Maklergesetz’ heraus, daß die Banken und Versicherungen nicht in der Lage waren, für den Käu-

  17. Das Amt des Konsumenten-Ombudsmann wurde 1976 mit dem schwedischen Verbraucher-Amt zusammengelegt.

  18. Vgl. Jaumann, Vorwort, in: E. Dichtl (Hg.): I. Verbraucherschutz in der Marktwirtschaft, Berlin 1975; Verbraucherfragen stünden nicht selten im Dienst der Emotionen und Ideologien, es fehle bei der Erörterung die im Interesse des Gemeinwohles unabdingbare Objektivität.

  19. Wieken, a. a. O., S. 43.

  20. „Der Relativismus ist die gedankliche Voraussetzung der Demokratie: sie lehnt es ab, sich mit einer bestimmten politischen Auffassung zu identifizieren, ist vielmehr bereit, jeder politischen Auffassung, die sich Mehrheit verschaffen konnte, die Führung im Staate zu überlassen, weil sie ein eindeutiges Kriterium für die Richtigkeit politischer Anschauungen nicht kennt, die Möglichkeit eines Standpunktes über den Parteien nicht anerkennt. Der Relativismus mit seiner Lehre, daß keine politische Anschauung beweisbar, keine widerlegbar ist, ist geeignet, jener bei uns in politischen Kämpfen üblichen Selbstgerechtigkeit entgegenzuwirken, die beim Gegner nur Torheit und Böswilligkeit sehen will." (Aus dem Vorwort zur Rechtsphilosophie, 1932, S. 84).

  21. Anderer Ansicht ist W. Däubler, Konsumen-ten-Ombudsmann und Verbraucherselbsthilfe, in; K. u. A. Duden (Hg.), Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, Karlsruhe 1972, S. 57 ff.

  22. Gegen den Vorschlag, den Verbraucherbeauftragten analog dem schwedischen Beispiel mit UWGund AGB-Kontrollen zu beantragen, sprechen die vorhandenen Institutionen: Verbraucherzentralen, Verbraucherschutzverein und Gerichte sowie die Tatsache, daß die AGB-Entwicklung nach dem entschärfenden AGB-Gesetz v. 9. 12. 1976 erst einmal abgewartet werden kann. Freilich bleibt die Lücke der unbefriedigten Rechtshilfe für große Bevölkerungsschichten oberhalb des Armenrechtes nach wie vor zu schließen. Vgl. E. v. Hippel, Verbraucherschutz, Tübingen 1974, S. 82/83 und M. Rehbinder, Allgemeine Geschäftsbedingungen, in: M. Rehbinder, Recht im sozialen Rechtsstaat, Opladen 1973, S. 107 ff.

  23. Ebenso ablehnend: W. Brinkmann, Die Verbraucherorganisationen in der Bundesrepublik und ihre Tätigkeit bei der überbetrieblichen technischen Normung, Köln 1976, S. 169.

  24. Anders dagegen in § 19 Abs. 5 BDSG; „Der Bundesbeauftragte wirkt auf die Zusammenarbeit mit... hin."

  25. Dort wird seit Jahren das Problembewußtsein für ein neues Rechtsgebiet „Verbraucherrecht" sensibilisiert und durch Anhörungen aktualisiert; vgl. P. Macke, Bürgerliches Recht, in: de With, Deutsche Rechtspolitik, Karlsruhe 1976, S. 99, S. 127.

  26. Ein Vorschlag Brinkmanns, a. a. O., S. 170.

  27. Vgl. O. Blume, Verbraucherpolitik unter einem Dach, in: Im Dienste des Verbrauchers, agv, Köln 1975, S. 2f.

  28. Für einen Verbraucherbeauftragten, allerdings zum Teil mit zu weitgehendem Aufgabenkatalog, haben sich ausgesprochen: G. Carstens, Marktgerichtshof und Verbraucherombudsmann, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1973, S. 667 f.; Däubler, a. a. O., S. 57; Dichtl, II: Die Beweisnot der Verbraucherschützer, in: Wirtschaftsdienst 1975, S. 440; v. Hippel, a. a. O., S. 82, 83; Rehbinder, a. a. O., S. 122; J. Schmidt, Geplanter Verschleiß, in: Handbuch des Verbraucherschutzes, Neuwied 1976, Kap. 70; Simitis, a. a. O., S. 301. Noch nicht entschieden: G. Scherhorn, I. Gesucht: der mündige Verbraucher, Düsseldorf 1973, S. 94/106, II. Verbraucherinteresse und Verbraucherkritik, Göttingen 1975, S. 155; ablehnend: Brinkmann, a. a. O., S. 255; Reich/Tonner/Wegener, a. a. O., S. 255.

  29. Vgl. Art. 45 b Grundgesetz und Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. 6. 1957 BGBl I 652 (Sartorius S. 635). Demgegenüber unterstehen die Bundesbeauftragten für Zivildienst bzw. für Datenschutz nicht dem Bundestag, sondern dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bzw.dem Bundesinnenministerium (vgl. § 2 Abs. 2 des Zivildienstgesetzes vom 9. 8. 1973, BGBl I 1015 (Sartorius 625) bzw. § 17 Bundesdatenschutzgesetz v. 27. 1. 1977 BGBl I 201 (Sartorius S. 245).

  30. Ebenso M. Dietlein, Neues Kontrollverfahren für allgemeine Geschäftsbedingungen, in: Neue juristische Wochenschrift 1974, S. 1065 ff.

  31. Ebenso § 15 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten.

  32. Vgl. ebenso § 18 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz.

Weitere Inhalte

Hermann Hummel-Liljegren, Dr. jur., geb. 1934; Professor für Wirt-schaftsrecht an der Fachhochschule Wirtschaft, Berlin; Mitglied des wissenschaftlichen Beirates Sozialkunde des Deutschen Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen (DIFF); Referent der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Rechtsstaat — Sozialstaat — Sozialer Rechtsstaat, München 1976; Der gezielt tödliche Schuß ist geltendes Recht — wozu ihn „einführen"?, in: Die Polizei 12/1977; Soziale Sicherheit, in: Einführung in die Politische Wissenschaft, Freiburg 1977; Wirtschaftsverwaltungsrecht (Wettbewerbs-recht, Verbraucherrecht, Mitbestimmungsrecht, Subventionsrecht, Bodenrecht), Stuttgart 1977; Produktsicherheit und Maschinenschutzgesetz, in: Handbuch des Verbraucherrechts (HdVR), Kap. 60 a, Neuwied 1978.