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Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung | APuZ 42/1977 | bpb.de

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APuZ 42/1977 Das Unbehagen an der Justiz und wie man ihm beikommen kann Zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste. Zugleich eine Stellungnahme zu H. Borgs-Maciejewski: Parlament und Nachrichtendienste Die unzulängliche Kontrolle der geheimen Nachrichtendienste (B 6/77) Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung

Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung

Hermann Borgs-Maciejewski

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Zusammenfassung

Hermann Borgs-Maciejewski: Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung. Erwiderung auf den Beitrag von D. Hörnig Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42 77, S. 33— 38

Erwiderung auf den Beitrag von D. Hömig

Zu meinem vorausgegangenen Beitrag über die Nachrichtendienste hat D. Hömig in dieser Ausgabe eine klare Gegenposition bezogen. Der von mir erhobenen Forderung nach zusätzlicher parlamentarischer Kontrolle setzt er eine Apologie des Bestehenden entgegen. Auf dem Niveau und im Stile einer staatsrechtlichen Fachzeitschrift legt er dar, daß an der geltenden Rechtslage im wesentlichen nichts zu kritisieren sei. Die beiden kontroversen Artikel spiegeln zum Teil sicherlich den unterschiedlichen dienstlichen Standort der Autoren wider. (Hömig ist Referent für Verfassungsrecht im Bundesinnenministerium.) Ein Regierungsbeamter wird natürlich in geringerem Maße dazu neigen, schwächliche Einflußmöglichkeiten des Parlaments auf exekutive Einrichtungen für anstößig zu halten als ein-Parlamentsbeamter. Hömig geht an seine Untersuchung auch mit einer etwas anderen Zielrichtung heran: Er beschränkt sich im wesentlichen darauf, seine Ansicht zu begründen, daß die vorhandene Normgebung und Kontrolle das rechtsstaatlich gebotene Minimum wahren. ging es mir Demgegenüber in meinem Artikel nicht nur um die Beschreibung des juristisch Unerläßlichen, sondern auch um die des verfassungspolitisch Erwünschten.

Im Gegensatz zu Hömig bin ich der Überzeugung, daß durch den „Fall Traube" die Unzulänglichkeit der parlamentarischen Kontrolle wie auch der Gesetzgebung schonungslos offengelegt worden ist. Die Veröffentlichung der Lauschmitteloperation des BfV gegen den Atomwissenschaftler Dr. Traube erschütterte Regierung und Koalition in nachhaltiger Weise. Der Verbleib des verantwortlichen Bundesinnenministers im Kabinett erschien lange Zeit fraglich. Solche außergewöhnlichen Turbulenzen lassen sich nur schwer mit der Auffassung in Einklang bringen, im Verhältnis der Nachrichtendienste zu Parlament und Regierung sei strukturell alles in Ordnung. Hö-mig verweist u. a. auf die Sitzungen des Innenausschusses, bei denen der Minister ausführlich über alle Aspekte dieses Falles berichtet habe. Zugegeben, aber hätte es auch eine parlamentarische Kontrolle ohne die Publikation im SPIEGEL gegeben? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Die Ausübung des parlamentarischen Kontrollrechts kann aber doch nicht von — womöglich strafbaren — Indiskretionen der Presse abhängig gemacht werden. Für das Ansehen des Parlaments ist es in hohem Maße abträglich, wenn die Abgeordneten in der Informationsgewinnung über die ihrer Kontrolle unterliegenden Gegenstände überwiegend auf die Medien angewiesen sind oder wenn gar bei Skandalaffären ä la Traube der Sitzungsrhythmus kontrollierender Ausschüsse mit dem Erscheinungsdatum des SPIEGEL zusammenhängt.

Hömig bezweifelt ob meine Abhandlung dazu beigetragen hat, das Vertrauen in die Nachrichtendienste zu stärken. Nach meiner Überzeugung wird dieses Vertrauen vor allem dadurch aufs Spiel gesetzt, daß man die Nachrichtendienste in rechtlichen Grauzonen operieren läßt und ihnen angemessene Gesetze und Kontrollmechanismen vorenthält. Nur deshalb ist es doch für die Presse so leicht, ihr zugespielte Kenntnisse über nachrichtendienstliche Operationen zu einem öffentlichen Skandal aufzubauschen, weil zumeist einigermaßen plausibel behauptet werden kann, diese Aktionen seien weder durch Rechtsgrundlagen gedeckt, noch seien parlamentarische Gremien über sie informiert. Das Skandalöse liegt oft gerade in der Ahnungslosigkeit des Parlaments, das dementsprechend hilflos auf solche Veröffentlichungen zu reagieren pflegt. Der nächste Geheimdienstskandal kommt bestimmt. Wer die Dienste weiterhin rechtlich so wenig abgesichert ihren Angreifern aussetzen will, erweist ihnen einen schlech-ten Dienst. Die von mir angestellte Schwachstellendiagnose würde sich als hilfreich erweisen, wenn man der angedeuteten Therapie näher träte. Ich bin davon überzeugt, daß z. B.der „Fall Traube" als viel weniger spektakulär empfunden worden wäre, wenn der Minister darauf hätte verweisen können, daß er das zuständige Parlamentsgremium unverzüglich nach Durchführung der Operation umfassend unterrichtet habe, ohne daß von irgendeiner Seite Kritik an seiner Entscheidung geäußert worden sei. Beschäftigt sich das Parlament erst nach längerem Zeitablauf mit einer bekannt gewordenen ND-Aktion, so besteht stets die Gefahr, daß zur Beurteilung der Recht-und Zweckmäßigkeit nicht der damalige, sondern der gegenwärtige Wissensstand herangezogen wird. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die bisher bekannt gewordenen Fälle einer Post-oder Telefonüberwachung ein vergleichsweise geringes Echo in der Öffentlichkeit gefunden haben. Da die rechtlichen Voraussetzungen hierfür genauestens definiert sind und jede Anordnung unverzüglich — meistens sogar vor ihrem Vollzug — von einer unabhängigen Kommission überprüft wird, bleibt wenig Raum für sensationelle Enthüllungen. Der Bürger wird auf Indiskretionen stets gelassener reagieren, wenn ihm das Bewußtsein vermittelt werden kann, daß die von ihm gewählte Volksvertretung eine wirksame Kontrolle der Nachrichtendienste vornehmen läßt. Vor allem die Tatsache, daß in solchen Kontrollgremien Abgeordnete aller im Parlament vertretenen Parteien mitwirken, wird ihm Gewähr dafür sein, daß zumindest die einstimmig gutgeheißenen Maßnahmen unumgänglich waren.

Hörnig stützt sich in seiner Erwiderung zum Teil auf lehrbuchhaft-theoretische Aussagen, die mit der Wirklichkeit der Nachrichtendienste und ihrer Kontrolle wenig gemeinsam ha-ben. Typisch hierfür erscheint mir seine These, daß „die stets wirksame Verantwortlichkeit des zuständigen Ressortministers gegenüber dem Parlament auch und gerade im Betätigungsfeld der Nachrichtendienste von zentraler Bedeutung" 3) sei. In der Realität ist sei. In der Realität ist diese Verantwortlichkeit nicht „stets", sondern meist nur dann wirksam, wenn entsprechende Informationen in die Presse gesickert sind. Das Parlament kann keinen Minister zur Rechenschaft ziehen, soweit es von dessen Anordnungen nicht unterrichtet ist. Von einer gewissen Realitätsfeme zeugt auch sein Vorwurf, ich hätte dem Petitionsrecht zu wenig Beachtung geschenkt. Die Ausübung des Petitionsrechts setzt ebenso wie die Anrufung der Gerichte die Kenntnis von belastenden Maßnahmen gegen den Rechtsinhaber voraus. Daran fehlt es in aller Regel beim Tätigwerden der Nachrichtendienste. Diesen Mangel habe ich hinsichtlich der gerichtlichen Kontrolle ausgiebig beleuchtet, so daß klargestellt war, daß jede die Initiative des Betroffenen voraussetzende Form der Individualkontrolle gegenüber den Nachrichtendiensten leerläuft. Darüber hinaus empfand und empfinde ich als Kenner beider Bereiche die Vorstellung vom Petitionsausschuß als wirksamer Kon. trollinstanz gegenüber den Nachrichtendiensten als etwas abwegig, so daß ich seine besondere Erwähnung für entbehrlich hielt. Gegen die von mir geforderte systematische Kontrolle macht Hörnig verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Er sieht darin die Gefahr eines Eingriffs in den Kernbereich der Regierungsgewalt. Hierzu ist anzumerken: Hörnig beruft sich zur Abwehr weitergehender Parlamentskontrolle vor allem auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bremischen Personalvertretungsgesetz. Dort tritt das Gericht in der Tat entschieden für die Wahrung der selbständigen politischen Entscheidungsgewalt der Regierung und gegen-eine Einschränkung ihrer Verantwortlichkeit ein. Trotzdem gibt diese Entscheidung für Hörnigs Thesen kaum etwas her, weil es dort gar nicht um das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung ging. Das Problem lag vielmehr darin, „ob wesentliche Kompetenzen der Regierung entzogen und innerhalb der Exekutive auf unabhängige . . . Einigungsstellen ... übertragen werden dürfen“ 4). Aus der Verneinung dieser Frage durch das Verfassungsgericht läßt sich jedenfalls nichts ge-gen die Zulässigkeit eines parlamentarischen Kontrollausschusses herleiten. Etwas anderes könnte allerdings hinsichtlich des von mir ebenfalls als mögliche Lösung des Kontroll-Problems angedeuteten „G-10-Modells" gel-ten. Bei der G-10-Kommission handelt es sich um eine solche von Parlament und Regierung unabhängige Stelle, der nach den Ausführungen in dem erwähnten Verfassungsgerichtsurteil die Entscheidung wichtiger Regierungsangelegenheiten nicht übertragen werden darf. Zwar steht die Verfassungsmäßigkeit der G-10-Kommission und ihrer Tätigkeit aufgrund des Artikels 10 Abs. 2 GG, des hierzu ergan-genen Ausführungsgesetzes und der zu diesem Komplex gefällten speziellen Verfassungsgerichtsentscheidung außer Frage. Es wäre aber zweifelhaft, ob dieser oder einer ähnlichen Kommission die Kontrolle über andere nachrichtendienstliche Maßnahmen in der Weise übertragen werden dürfte, daß entweder bestimmte Maßnahmen nur nach vorheriger Zustimmung der Kommission vollzogen werden dürften oder daß laufende Maßnahmen unverzüglich der Kommission gemeldet und auf ihre Weisung hin eingestellt werden müßten. Derart weitreichende Entscheidungsrechte dürften wohl auch einem Parlamentsausschuß nicht zugelegt werden. Soweit Hörnigs Bedenken gegen eine begleitende Kontrolle sich hierauf beziehen, stimme ich ihm zu. Die nachträgliche Parlamentskontrolle, die frühestens mit dem Abschluß der exekutiven Maßnahme einsetzt wahrt am ehesten sowohl den Eigenbereich der Regierung als das Kontrollrecht des Parlaments, ohne die Grenzen beider Bereiche zu verwischen. Hingegen vermag ich eine Gefahr, daß durch zunehmende verfassungsgesetzliche Statuierung von Aktenvorlage-, Aus-kunftsund Zutrittsgewährungspflichten der Exekutive gegenüber dem Parlament und seinen Ausschüssen das Prinzip der Gewaltenteilung allmählich ausgehöhlt werde, nicht zu erkennen. Wer Kontrolle auszuüben hat, muß die Möglichkeit haben, sich umfassend zu informieren — notfalls gegen den Willen des Kontrollierten. Umfang und Gegenstand der Kontrolle dürfen letztlich nicht von dem zu Kontrollierenden bestimmt werden. Die Tätigkeit der Verfassungsund Verwaltungsgerichte bei der Erforschung des ihnen zur Entscheidung vorgetragenen Sachverhalts wäre ohne Anerkennung dieses Prinzips kaum vorstellbar. Auch durch noch so scharfe Kontrollrechte wird die Eigenverantwortlichkeit der Regierung und das Gewaltentrennungssystem m. E. nicht berührt, sofern sich die Kontrolle nicht auch auf bevorstehende oder noch laufende Regierungsanordnungen erstreckt. Zwar dürfen die Gerichte sogar in bevorstehende und laufende Exekutivmaßnahmen eingreifen. Dieses Vorrecht hängt aber mit ihrem Monopol auf verbindliche Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns zusammen. Maßnahmen der Exekutive dürfen wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in jedem Stadium unterbunden werden, wenn ihre Rechtswidrigkeit feststeht. Da parlamentarische Kontrollorgane keine letztverbindlichen Feststellungen zur Rechtslage treffen können, noch auf die rechtliche Beurteilung des zu kontrollierenden Bereichs beschränkt sind, ist es gerechtfertigt, ihrer Kontrolle nur abgeschlossene Sachverhalte zu unterwerfen. Damit sind aber die dem parlamentarischen Kontrollrecht gezogenen Schranken bereits erschöpft.

Im übrigen hat Hörnig meine Forderung nach systematischer Kontrolle exzessiv interpretiert. Ich habe weder eine „stets präsente", ggf. „vor Ort" tätig werdende, mit „unbeschränkten Durchgriffsrechten" versehene Kontrolle, noch eine Überwachung „bis ins letzte Detail" gefordert. Im Gegenteil habe ich vor entsprechenden Tendenzen im hamburgischen Gesetzentwurf über den Verfassungsschutz gewarnt. Die systematische Kontrolle bezweckt zunächst, die derzeitige faktische Abhängigkeit der Kontrolle von Indiskretionen zu beseitigen. Nachrichtendienstliche Maßnahmen vom Schweregrad des Lauschangriffs gegen Dr. Traube darf das parlamentarische Kontrollorgan nicht erst — wenn überhaupt — aus der Presse erfahren. Die Kontrolle wäre bereits dann „systematisch", wenn das Gremium die Regierung darum ersuchen würde, ihm unaufgefordert alle nachrichtendienstlichen Operationen, die eine näher zu definierende Schwelle überschreiten, nach Abschluß vorzutragen. Als Schwellen-wert kämen etwa die der Post-und Telefon-kontrolle vergleichbaren Eingriffe in Betracht. Dazu würde ferner gehören, daß sich das Kontrollorgan mit den unterhalb dieser Schwelle liegenden Maßnahmen wenigstens in allgemeiner Form befaßt, also losgelöst von Einzelfällen z. B. mit den tatbestandlichen Voraussetzungen für Observationen oder für die Weitergabe von Daten an nicht-staatliche Stellen. Die Kontrollinstanz könnte auch etwa den Katalog der zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes erklärten Organisationen überprüfen. Systematische Kontrolle bedeutet also vor allem die Möglichkeit, sich mit all jenen Aspekten der Nachrichtendienste abstrakt oder in concreto befassen zu können, von denen nach Ansicht des Kontrollorgans Gefährdungen für die Rechtssphäre des Bürgers ausgehen. Die Einräumung von Informationserzwingungsrechten halte ich für entbehrlich, wenn auch für zulässig. Dabei gehe ich allerdings davon aus, daß eine durch Ge35 setz oder Verfassung berufene Instanz zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste ohne weiteres das Recht hat, von der Regierung uneingeschränkt Auskunft über den ihrer Kontrolle unterliegenden Bereich zu verlangen. Dieses Auskunftsrecht steht dem Kollegium insgesamt zu, so daß im Konfliktfall die Mehrheit der Kontrolleure über die Zulässigkeit eines Auskunftsbegehrens zu entscheiden hätte. Dem Recht, unbeschränkt Auskunft zu verlangen, entspricht die Pflicht der Regierung, in gleichem Umfang Auskunft zu erteilen. Hörnig befürchtet, daß dadurch die bisher gute Zusammenarbeit der deutschen Nachrichtendienste mit befreundeten ausländischen Diensten gefährdet würde. Die wichtigsten Partner unserer Nachrichtendienste sind sicherlich die der USA. Die amerikanischen Dienste unterliegen u. a.der Aufsicht durch einen Geheimdienstausschuß des Senats (Select Intelligence Committee). In seiner Pressekonferenz vom 9. März 1977 hat Präsident Carter diesem Ausschuß vollständigen Einblick in alle Geheimdienstoperationen zugesagt Hat die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit darunter gelitten?

Zur Begründung seiner Schlußfolgerung, daß die vorhandenen Ko März 1977 hat Präsident Carter diesem Ausschuß vollständigen Einblick in alle Geheimdienstoperationen zugesagt 5). Hat die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit darunter gelitten?

Zur Begründung seiner Schlußfolgerung, daß die vorhandenen Kontrollen ausreichend seien, verweist Hörnig zunächst auf die Fach-und Dienstaufsicht sowie auf die innerbehördliche Kontrolle. Ich bleibe dabei, daß diese inner-exekutiven Kontrollen, so intensiv sie auch sein mögen, der Forderung nach parlamentarischer Kontrolle nicht entgegengehalten werden können. Es käme auch niemand auf die Idee, die gerichtliche Überprüfung einer Verwaltungsmaßnahme für entbehrlich zu halten, weil sie von der vorgesetzten Behörde im Rahmen der Dienstund Fachaufsicht gebilligt worden ist. Die korrekte Ausübung der Fach-und Dienstaufsicht über die Nachrichtendienste kann vielmehr selbst Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle sein. Im „Fall Traube" hat sich dieses Instrument übrigens gerade nicht als über jeden Zweifel erhaben erwiesen. Hörnig führt ferner ins Feld, daß eine parlamentarische Kontrolle, die nur dann tätig wird, wenn hierzu konkreter Anlaß besteht (Untersuchungsausschuß), dem Verhältnis von Parlament und Regierung angemessener sei als ein permanentes Kontrollgremium.

Das ist im Prinzip richtig, soweit es sich um transparente Kontrollgegenstände handelt. Es kann aber nicht gelten gegenüber den systematisch abgeschotteten Nachrichtendiensten, bei denen das Parlament normalerweise gar nicht bemerken kann, daß ein „konkreter An*laß zur parlamentarischen Kontrolle gegeben ist. Schließlich verteidigt Hörnig die Legitimation des Parlamentarischen Vertrauensmännergremiums (PVMG) als parlamentarisches Kontrollorgan. Zur realen Einschätzung des PVMG dürfte es von Bedeutung sein, daß langjährige Mitglieder des Gremiums ihre eigene Tätigkeit mit erheblicher Skepsis betrachten. Kann der Bürger persönliches Vertrauen in eine Einrichtung haben, von der etwa der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner öffentlich erklärt hat, daß sie „mehr schlecht als recht“ 6) funktioniere oder die der CDU-Abgeordnete Friedrich Vogel als „Scheinkontrolle" und „untaugliches Mittel parlamentarischer Kontrolle" 7) bezeichnet? Hömig hält es für unerheblich, daß das PVMG nicht auf eine Rechtsnorm zurückgeführt werden könne und verweist statt dessen auf das Selbstorganisationsrecht des Parlaments und der Fraktionen. Auch ich habe selbstverständlich die Bildung und das Wirken des PVMG für rechtlich zulässig gehalten, wenngleich Hörnigs Darstellung den gegenteiligen Eindruck erweckt. Aber die Zulässigkeit seiner Existenz besagt noch nichts über die Relevanz seines Wirkens. Rechtliche Bedeutung kommt dem PVMG deshalb nicht zu, weil eine dem Gesamtparlament obliegende Aufgabe wie die Kontrolle der Nachrichtendienste nicht ohne ausdrücklichen Beschluß des Inhabers des Kontrollrechts von einem anderen Gremium wahrgenommen werden kann. Interfraktionelle Abmachungen sind kein Ersatz für Parlamentsbeschlüsse. Hörnigs Einwurf, daß auch die Mitglieder der Parlamentsausschüsse von den Fraktionen, nicht vom Plenum, nominiert werden, führt nicht weiter, weil jedenfalls die Ausschüsse als Institutionen des Parlaments auf das Grundgesetz, die Geschäftsordnung und förmliche Parlamentsbeschlüsse zurückgehen. Die Ausschüsse sind „Organe des Bundestages" 8) und werden von ihm „eingesetzt" 9); weder das eine noch das andere trifft auf das PVMG ZU. Auch kann sich das PVMG nicht wie ein Ausschuß mit Berichten und Anträgen an das Plenum wenden. Die beliebige Unverbindlichkeit des PVMG erweist sich auch darin, daß es seit dem Ende der 7. Wahlperiode noch nicht wieder zur Bildung dieses Gremiums gekommen ist.

Auf eine gefährliche — weil abschüssige — Bahn begibt sich m. E. Hörnig seinem Versuch, die Notwendigkeit einer förmlichen Ermächtigung für nachrichtendienstliche Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht wegzudiskutieren. Zur Rechtfertigung solcher Eingriffe soll es ausreichen, daß „verfassungsrechtliche Prinzipien im Einzelfall Beachtung verlangen“ Schon diese unscharfe Wortwahl ist bei dem sonst so subtil unterscheidenden Autor bemerkenswert, zumal es um eine These von großer Tragweite geht. „Verfassungsrechtliche Prinzipien“ gibt es in großer Zahl. Es läßt sich kaum eine staatliche Maßnahme denken, für die nicht irgendein verfassungsrechtliches Prinzip angeführt werden könnte. Ist etwa die Strafprozeßordnung mit ihren Vorschriften über die von den Beschuldigten hinzunehmenden Eingriffe und Beschränkungen deshalb entbehrlich, weil das Bundesverfassungsgericht die Aufklärung von Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens anerkannt hat? Wenn Hörnigs Deduktion akzeptiert würde, könnte man den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Grundgesetz streichen. Dieser Grundsatz erfordert, daß Akte der Exekutive entweder auf die Verfassung selbst oder auf ein Gesetz im formellen Sinne zurückgeführt werden können Zur Legitimierung staatlicher Eingriffe durch die Verfassung bedarf es hierauf gerichteter ausdrücklicher Verfassungsnormen; bloße Prinzipien reichen nicht aus. Nichts anderes besagt auch die von ihm zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 6. Band. Dabei bestreite ich keineswegs, daß es Verfassungsprinzipien und Rechtsgüter gibt, die dem Recht auf Schutz der Privatsphäre Schranken setzen Wenn es anders wäre, dürfte auch aufgrund eines Gesetzes nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingegriffen werden. Hörnigs . verfassungsrechtliche Prinzipien" spielen dort eine Rolle, wo es um die Prüfung der Ver-einbarkeit eines einfachen Gesetzes oder darauf gestützter Maßnahmen mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG geht Sie können richterlicher Beurteilungsmaßstab, nicht aber selbständige Eingriffsermächtigung für die Exekutive sein. Nach Hörnigs Theorie könnte auch das Verfassungsschutzgesetz des Bundes aufgehoben werden, ohne daß dies Auswirkungen auf die Tätigkeit des Bundesamtes hätte. Mit dieser Ansicht dürfte er im Schrifttum ziemlich allein stehen. Folgerichtig widerspricht er auch der Ansicht, die dem Verfassungsschutz gesetzlich übertragene Befugnis zur Anwendung „nachrichtendienstlicher Mittel" mit dem hinreichender Verfassungsgebot Bestimmtheit nur schwer zu vereinbaren. Ich bin andererseits mit Hörnig völlig darin einig, daß die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes — an Respektierung durch die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland ich keinen Zweifel habe — es ausschließen, daß unter den Begriff „nachrichtendienstliche Mittel" auch KGB-Me-thoden und kriminelle Mittel subsumiert werden können Das Erfordernis der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen wird jedoch durch die beiden von Hörnig genannten Grundsätze nicht verdrängt, vielmehr stehen die drei Verfassungsprinzipien gleichberechtigt nebeneinander. Wie sonst könnte das Bundesverfassungsgericht gesetzliche Eingriffsnormen wegen mangelnder Bestimmtheit aufgehoben haben, obwohl doch die vollziehende Gewalt auch in jenen Fällen an das übermaßverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden war?

Die von Hornig zur Beschränkung nachrichtendienstlicher Machtentfaltung für ausreichend erachtete Güterabwägung zwischen den Belangen des Staatsschutzes und dem Recht auf unbehinderte Entfaltung der Persönlichkeit trägt dem Rechsschutz des Bürgers vor allem dann nicht genügend Rechnung, solange dahinter keine ernstzunehmen-13 de Kontrollmöglichkeit steht. Daß eine mit Staatsschutzaufgaben betraute Behörde bei der von ihr selbst vorzunehmenden Abwägung dazu neigen wird, dem Staatsschutzinteresse im Zweifel Vorrang vor Individualinteressen einzuräumen, liegt auf der Hand. Zu welch gegensätzlichen Ergebnissen die Güter-abwägung führen kann, wenn die Eingriffsermächtigung unbestimmt ist, hat die Diskussion über den „Fall Traube" eindringlich gezeigt. An die Normgebung für die Nachrichtendienste privilegierte Maßstäbe anzulegen, weil die Dienste Einrichtungen „sui gene-ris" seien, halte ich so lange nicht für statthaft, als der Gesetzgeber die unterhalb der Grenze zur nachrichtendienstlichen Effizienzbeeinträchtigung liegenden Regelungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat. Dies ist mindestens bei BND und MAD der Fall.

Hörnig bestreitet schließlich meine These, daß die Unbestimmtheit einer Eingriffsermächtigung für die Nachrichtendienste durch eine verbesserte parlamentarische Kontrolle kompensiert werden könne. Ich verkenne nicht, daß meine Konstruktion angreifbar ist. Sie ist jedoch das Ergebnis einer von Hömig in anderem Zusammenhang vermißten „integrierten" Betrachtung der Rechtslage bei den Nachrichtendiensten unter Berücksichtigung der bei ihnen bestehenden Besonderheiten Hörnigs strikte Trennung zwischen der „Außenbeziehung des Staates zum Bürger'bei der Gesetzgebung und dem „ausschließlich staatsinternen Verhältnis zwischen Parlament und Regierung" bei der Kontrolle vermag ich nicht zu akzeptieren. Es ist doch nicht zu bezweifeln, daß etwa die Petitionsausschüsse und der Wehrbeauftragte parlamentarische Kontrollinstanzen vornehmlich im Dienste des Bürgers sind. Auch die in § 9 des Gesetzes zu Art. 10 GG den Betroffenen eingeräumte Beschwerde, durch die eine Post-oder Telefonüberwachung durch die unabhängige G-10-Kommission überprüft werden kann, betrifft keineswegs nur das staatsinterne Verhältnis zwischen Parlament und Regierung. Von daher ist eine u. a.den Grundrechtsschutz des Bürgers bezweckende spezielle Parlaments-kontrolle über die Nachrichtendienste zum Ausgleich notwendig unvollkommener Gesetzgebung durchaus nicht systemwidrig.

Fussnoten

Fußnoten

  1. S. 31 seines Beitrages in dieser Zeitschrift.

  2. BVerfGE 9, 268 (280 f.).

  3. So auch Stern bei seiner Anhörung zum Entwurf eines hbg. Verfassungsschutzgesetzes am 19. 4. 1977 vor dem Ausschuß für Verfassung, GO und Wahlprüfung, APr. 8/11 S. 45, 53, 96.

  4. „complete access to any Operation conducted by the Intelligence forces“, zit. bei Chr. Andrew, Whitehall, Washington and the Intelligence Services, in: International Affairs, Juli 1977, S. 390(404).

  5. § 61 Geschäftsordnung BTag.

  6. Hörnig, s. 24.

  7. Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum GG, Art. 20 RN 124.

  8. So auch Heuer, Die Zulässigkeit des Einsatzes staatlicher Gewalt in Ausnähmesituationen, S. 67; scholz, AöR 100 (1975) S. 270.

  9. Z. B. BVerfGE 26, 1 (9); 29, 221 (235).

  10. Ich bedauere, daß Hömig mir das Gegenteil unterstellt hat. Auf S. 18/19 hatte ich mich gegen die Ableitung der Eingriffsermächtigung aus der gesetzlichen Aufgabenübertragung gewandt. Dabei habe ich zugleich darauf hingewiesen, daß auch die Anhänger dieser von mir kritisierten Methode Maßnahmen im Stile des KGB ausschließen und hierfür auf allgemeine Grundsätze (wie die von Hömig genannten) zurückgreifen müssen. Auf S. 20 habe ich ausgeführt, daß Verbrechen bis hin zum politischen Mord „in manchen Ländern'— also gerade nicht bei uns — als nachrichtendienstliche Mittel gelten.

  11. Diesen „sui-generis" -Charakter des Verfassungsschutzes betont vor allem Stern (s. FN 4) S. 53 u. 96 f.

  12. S. 23.

  13. S. 28.

Weitere Inhalte

Hermann Borgs-Maciejewski, Dr. jur., geb. 1938 in Düsseldorf, Regierungsdirektor beim Deutschen Bundestag. Veröffentlichungen u. a.: Die Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche des Dienstherrn gegen Beamte, Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 74, Bonn 1967; Radikale im öffentlichen Dienst. Dokumente, Debatten, Urteile (Godesberger Taschenbuch) Bonn-Bad Godesberg 1973; Radikale im öffentlichen Dienst, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/73 und B 5/74; Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz (zusammen mit H. Meyer), Frankfurt 1976; Parlament und Nachrichtendienste, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/77.