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Sicherheitspolitische Aspekte der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen I. Das sicherheitspolitische Problemfeld des Korbes II der KSZE | APuZ 37/1977 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 37/1977 Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Entspannung. Menschenrechte und Rüstungspolitik im Ost-West-Konflikt Schwächen der NATO-Verteidigung und Angriffs-Optionen des Warschauer Pakts. Kritische Anmerkungen zur derzeitigen „Strategiedebatte" Sicherheitspolitische Aspekte der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen I. Das sicherheitspolitische Problemfeld des Korbes II der KSZE

Sicherheitspolitische Aspekte der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen I. Das sicherheitspolitische Problemfeld des Korbes II der KSZE

Friedemann Müller

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Zusammenfassung

Die Frage nach der sicherheitspolitischen Bedeutung der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen ist zugleich die Frage, wie sie im Problemfeld des Korbes II des KSZE gestellt wird: Inwieweit kann Sicherheit durch Zusammenarbeit erreicht werden? Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist gewiß nicht per se friedensfördernd, aber sie könnte, wenn sie die strukturellen Voraussetzungen schafft, das Vakuum an kooperativer Kommunikation zwischen Ost und West anfüllen, wenn auch solchen Erwartungen aus Gründen des eher bescheidenen Handelsvolumens Grenzen gesetzt sind. Die Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen weisen in verschiedener Hinsicht Ungleichgewichte auf. Dies gilt für die recht einseitigen ordnungspolitischen Spielregeln wie für die ungleiche Bedeutung dieser Beziehungen in Ost und West; es gilt besonders auch für die unausgewogene Handelsstruktur wie für die unausgeglichene Handelsbilanz. Ungleichgewichte enthalten Spannungsrisiken. Dies ist besonders deutlich bei der komplementären Handelsstruktur und bei den Folgen der Handelsbilanzungleichgewichte, nämlich der wachsenden Verschuldung des Ostens, zu spüren. Ungleichgewichte bieten aber auch einen Anlaß, stabilere Strukturen anzustreben. Die genannten Ungleichgewichte weisen den Osten als den Abhängigeren und den Westen als den weniger Abhängigen aus. Dies bedeutet, daß der Westen die bessere Position hat, im Falle seiner Bereitschaft zur Stabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen die Rahmenbedingungen dieser Stabilisierung zu bestimmen. Einerseits gibt es (begrenzte) Möglichkeiten innerhalb des ökonomischen Bereichs, durch Abbau von Ungleichgewichten die Beziehungen zu stabilisieren. Hierfür gibt es viele Ansatzpunkte in einzelnen Formulierungen des Korbes II. Andererseits besteht die Möglichkeit, Abhängigkeit im wirtschaftlichen Bereich mit Abhängigkeiten in anderen Bereichen zu parallelisieren und dadurch zu neutralisieren, etwa durch die Festlegung einer Parallelität zwischen Entwicklungen im Bereich wirtschaftlicher Kommunikation und anderen Formen von Kommunikation. Auch hierfür bietet die KSZE durch den Unteilbarkeitscharakter der Schlußakte eine geeignete Grundlage. Der Westen sollte sein Stabilitätsinteresse an den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen eher mit transparenten Prinzipien verbinden, als es von tagespolitischen Junktimbildungen (z. B. Jackson-Amendment) abhängig zu machen.

Zur Frage der Sicherheit durch Zusammenarbeit

In der offiziellen Formulierung „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) ist wohl nicht wegen der alphabetischen Stellung in deutscher Sprache die Sicherheit vor der Zusammenarbeit genannt. Dieser Vorrang der Sicherheit ist in der Entstehungsgeschichte der KSZE zu suchen. Die „Zusammenarbeit" hat hier erst spät eine eigene Stellung innerhalb der „europäischen Sicherheitskonferenz“ gefunden und schließlich eine formale Gleichstellung errungen. Verschiedene Gründe haben dazu geführt, daß Ost und West an dieser Verbreiterung der Konferenzthematik interessiert waren. Einer der Gründe ist darin zu suchen, daß auch der Sicherheitsbegriff eine Erweiterung erfuhr und dabei insbesondere die internationalen Wirtschaftsbeziehungen als Integrationsinstrument einerseits, als politische Waffe andererseits unter sicherheitspolitischem Blickwinkel gesehen werden. Die Frage, ob Sicherheit durch Zusammenarbeit in den Ost-West-Beziehungen erreicht werden kann, umschreibt die Problematik der sicherheitspolitischen Bedeutung des Korbes II. Der Harvard-Wissenschaftler Daniel Yergin leitet die Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen (zwischen den USA und der Sowjetunion) für das sicherheitspolitische Klima daraus ab, daß „trade is the major non-military aspect of the relationship, and the most important cooperative venture that is available". ) Darauf gründet sich die Hoffnung, daß Wirtschaftsbeziehungen ein Vakuum an kooperativer Kommunikation anfüllen, um damit ein Gegengewicht zu dem ideologischen Konflikt und der gegenseitigen Bedrohung durch die Rüstungspotentiale, also zu der konfrontativen Kommunikation zu schaffen.

Die Frage, ob internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit sicherheitsstabilisierend oder konfliktfördernd ist hat schon seit Jahrhunderten nicht nur Wirtschaftsexperten, son-dem auch Philosophen zur Diskussion angeregt. Der Merkantilismus des 17. Jahrhunderts baute auf einseitige Sicherheit durch Machtausweitung, die sich aus den internationalen Wirtschaftsbeziehungen ergab, und zwar dadurch, daß versucht wurde, durch Exporte von technologisch hochwertigen Produkten bei strikter Geheimhaltung des Know-how andere Länder abhängig zu machen, und gleichzeitig durch eine Autarkiepolitik Unabhängigkeit von Importen zu erzielen. Die daraus erwachsenden Handelsüberschüsse mit der Fol-ge der Verschuldung der Handelspartner verstärkte das Abhängigkeitsgefälle. Montesquieu — im 18. Jahrhundert — vertrat leidenschaftlich die Idee von der friedenssichernden Auswirkung des Handels, da dieser die Länder gegenseitig voneinander abhängig mache. Schließlich vertrat der deutsche Philosoph Fichte die extrem entgegengesetzte Ansicht, daß internationaler Handel notwendigerweise zum Krieg führe, da sich der eine immer Vorteile auf Kosten des anderen verschaffen würde Erst im 20. Jahrhundert wurde eine gründliche Untersuchung des Konfliktcharakters der internationalen Wirtschaftsbeziehungen begonnen Fragen wie Macht, Abhängigkeit, Konflikthaftigkeit internationaler Wirtschaftsbeziehungen lassen sich jedoch ohne die Rahmenbedingungen bestimmter regionaler Beziehungen nur sehr allgemein behandeln. Analythische Methoden und Untersuchungen unter Berücksichtigung spezifischer regionaler Voraussetzungen wurden ganz überwiegend im Bereich der ungleichen Nord-Süd-Beziehungen erarbeitet Die hier gegebenen Voraussetzungen sind auf die Ost-West-Beziehungen nicht übertragbar, vielmehr sind zwischen Ost und West die Chancen, daß die Wirtschaftsbeziehungen ein stabilisierendes Gegengewicht zum ideologischen Konflikt darstellen, wesentlich günstiger, da es sich um zwei emanzipierte Blöcke handelt, die beide für sich außenwirtschaftliche Handlungsfreiheit beanspruchen und nur Beziehungen eingehen, die zu ihrem eigenen Vorteil beitragen. Die günstigeren Voraussetzungen für eine Stabilisierung der Beziehungen mit wirtschaftlichen Mitteln besagt nicht, daß nicht auch hier erhebliche Konfliktpotentiale enthalten sein können, wie sie in folgenden, auch von der Presse aufgegriffenen, Fragestellungen zum Ausdruck kommen:

— Entstehen durch Wirtschaftsbeziehungen einseitige Abhängigkeiten, die für politische Erpressungen genutzt werden können (Energielieferungen)? — Profitiert die östliche Rüstung von westlichen Technologie-Importen?

— Führt das Ungleichgewicht der Beziehun-gen, das in der östlichen Verschuldung zum Ausdruck kommt, zu Spannungen?

Zum Begriff der wirtschaftlichen Sicherheit

In Auswirkung der Energiekrise 1973/74 wurde der wirtschaftlichen Sicherheit ein eigenständiger und an Bedeutung gewachsener Stellenwert neben der militärischen Sicherheit eingeräumt Eine Trennung zwischen militärischer und wirtschaftlicher Sicherheit als unterschiedlichen Zielsetzungen ist jedoch analytisch nicht durchzuhalten. Vielmehr ist das Ziel der Sicherheit als Schutz bestimmter national zugeordneter Werte (überleben, kulturelle und sozioökonomische Entfaltung usw.) nicht teilbar Es gibt jedoch unterschiedliche Instrumente (militärische, wirtschaftliche, diplomatische usw.) die in unterschiedlicher Weise für das Sicherheitsziel eingesetzt werden können, und können dabei einzelne Instrumente bestimmten schutzwürdigen Werten mit mehr Gewicht zugerechnet werden als andere, wie z. B. internationale Wirtschaftsbeziehungen einen unmittelbaren Bezug zur Versorgungssicherung haben können. Weil nun gerade die Frage der Versorgungssicherung dadurch so hohe Bedeutung bekommen hat, daß die Abhängigkeit der westlichen Industriestaaten von Rohstoffen, insbesondere von Energie, und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Ausübung politischen und wirtschaftlichen Drucks offensichtlich wurde, hat sich das Problem der sicherheitspolitischen Bedeutung internationaler Wirtschaftsbeziehungen zu einseitig auf diese Frage beschränkt.

Die sicherheitspolitische Bedeutung von internationalen Wirtschaftsbeziehungen kann in zwei Kategorien eingeteilt werden, erstens Beziehungen, bei denen der Vorteil des einen zugleich einen Nachteil für den anderen bringt, und zweitens solche Beziehungen, bei denen eine bestimmte Kommunikation auf beiden Seiten gleichgerichtet entweder Vorteil oder Nachteil bringt.

Zur ersten Kategorie gehört die Macht-Abhängigkeits-Beziehung. Des einen Landes Macht (Vorteil), über die Versorgungssicherung eines anderen Landes zu entscheiden, ist zugleich des anderen Landes Abhängigkeit (Nachteil). Betrachtet man wirtschaftliche Macht als das einzige wirtschaftliche Instrument zur Herstellung von Sicherheit so bedeutet dies, daß man nur diese erste Kategorie als sicherheitsrelevant betrachtet und dabei in Kauf nimmt oder anstrebt, daß die Zunahme der Sicherheit der einen Seite verbunden ist mit einem Verlust an Sicherheit bei der anderen Seite.

Zur zweiten Kategorie der gleichgerichteten Vorteile und Nachteile gehören Formen der Zusammenarbeit, die zum beiderseitigen Nutzen aufgenommen werden und bei denen Macht und Abhängigkeitsprobleme von untergeordneter Bedeutung sind (z. B. Handel mit sicherheitspolitisch unempfindlichen Gütern wie die meisten Konsumgüter, Kooperation in Drittländern, Umweltschutz wie Reinhaltung der Ostsee). Die sicherheitspolitische Bedeutung solcher Formen von Zusammenarbeit liegen darin, daß sie die Beziehung zwischen den beiden Partnern stabilisieren. Die Stabilität wiederum hat darin ihren Ursprung, daß derjenige sich selbst schadet, der dem anderen einen Schaden zufügt. Der Nutzen aus der Vermeidung einer zerstörerischen Konfrontation steigt also je größer der gemeinsame Vorteil aus der Zusammenarbeit ist Als eine dritte Kategorie von sicherheitspolitisch relevanten Beziehungen könnten die „Nicht-Beziehungen" also die Autarkie bezeichnet werden. Eine totale Autarkie ist in den Ost-West-Beziehungen für beide Seiten nicht mehr denkbar, jedoch spielt der Autarkiegrad, also der Grad an Selbstversorgung oder an politisch sicherer Versorgung gegenüber den Importen aus der anderen Region . bei empfindlichen Gütern (Erdgas, Uran usw) eine sicherheitspolitisch bedeutsame Rolle, Diese Kategorie der „Nicht-Beziehungen“ ist aber insofern ein Grenzfall der ersten Kategorie, als hier die Macht-Abhängigkeits-Bezie-hungen gleich Null gesetzt werden. Aus diesem Grund soll sie der weiteren Diskussion nicht als eigenständige Kategorie zugeführt werden.

II. Zur Dimension des Ost-West-Handels

Als nächster Schritt zur Einordnung der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen in die sicherheitspolitischen Kategorien sollen zunächst einige quantitative Fakten angeführt werden, die notwendig sind, um die Bedeutung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums einschätzen zu können.

Das Volumen des Osthandels nimmt aus westlicher Sicht keineswegs eine Größenordnung ein, die seiner Publizität in der Presse und der politischen Diskussion entspricht. So nahm der Handel der Bundesrepublik mit den Ländern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW oder COMECON) im Jahre 1976 ein Volumen (Export + Import) von 26 Mrd. DM ein, was nicht einmal 6 v. H.des gesamten Außenhandelsvolumens der Bundesrepublik ausmacht. Allein mit den Niederlanden hat die Bundesrepublik ein mehr als doppelt so großes Handelsvolumen als mit dem gesamten RGW. Aus europäischer Sicht nimmt der Osthandel einen noch geringeren Stellenwert ein. Nur ca. 4 v. H.des Handels der EG-Länder wird mit dem RGW abgewik-kelt. Anders sieht es mit der Bedeutung des Ost-West-Handels allerdings von östlicher Seite aus. Da die RGW-Länder ein viel kleineres Außenhandelsvolumen als die westlichen Länder haben, nimmt der Ost-West-Handel einen höheren Stellenwert ein. Ungefähr ein Drittel des Außenhandels der RGW-Länder wird mit dem Westen abgewickelt (bei der Sowjetunion sind es 31v. H.). Unter den westlichen Ländern nimmt die Bundesrepublik eine herausragende Stellung ein. Für sämtliche RGW-Länder ist die Bundesrepublik der größte Westhandelspartner. Sie hat einen Anteil von ungefähr 25 v. H. am Westhandel des RGW, noch höher ist dieser Anteil vor al-lem beim Import technologieintensiver Güter

Der Ost-West-Handel hat, wenn auch sein Volumen in absoluten Zahlen nicht sehr umfangreich ist, in der ersten Hälfte der 70er Jahre ein starkes Wachstum zu verzeichnen gehabt. Parallel mit dem Entspannungsprozeß verlief eine Öffnung der osteuropäischen Länder, die ihre Autarkiepolitik der 50er und 60er Jahre erheblich auflockerten. So waren die Wachstumsraten des Handels mit den RGW-Ländern in diesem Zeitraum mehr als doppelt so hoch wie im innerwestlichen Außenhandel. Der Handel zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion, dem jeweils stärksten Handelspartner in Ost und West wuchs in diesen fünf Jahren um 429 v. H. (nach OECD-Statistik, bzw. 405 v. H. nach sowjetischer Statistik) Von großen Wachstumsraten darf man sich allerdings dann nicht beeindrucken lassen, wenn der Ausgangspunkt niedrig liegt. Ein Beispiel hierfür sind die Erdölexporte der Sowjetunion im Jahre 1976 gegenüber dem Vorjahr. In diesem Jahr stiegen die Erdölexporte in die Bundesrepublik um 30 v. H., nach Frankreich um 200 v. H. und nach England vervierzigfachten sie sich, ohne daß eines der drei Länder 1976 mehr als 3 v. H.seines Erdölbedarfs aus der Sowjetunion bezog

Betrachtet man die Struktur des Ost-West-Handels, so stellt sich heraus, daß im Gegensatz zum innerwestlichen Handel ganz andere Güterarten exportiert werden. Während z. B. die EG in den RGW zu über 90 v. H. verarbeitete Produkte liefert, bezieht sie von dort zu 60 v. H. Rohstoffe Noch extremer ist die Handelsstruktur in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem RGW und insbesondere mit der Sowjetunion.

III. Ungleichgewichte in den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen

Nachdem mit diesen Zahlen versucht wurde, einen groben Überblick über Dimensionen und Gewichte des Ost-West-Handels zu gehen, sollen nun — erster Schritt zu einer politischen Argumentation — die Ungleichgewichte in diesen Wirtschaftsbeziehungen dargestellt werden. Ungleichgewichte haben es an sich, daß sie einerseits ein Risiko, andererseits einen Ansatz zu Veränderungen in sich bergen, so daß sich aus den Ungleichgewichten mögliche Aspekte für den außen-und sicherheitspolitischen Spielraum der Wirtschaftsbeziehungen ergeben. Vier Ungleichgewichte erscheinen von besonderer Bedeutung: 1. Das ordnungspolitische Ungleichgewicht. Damit ist die ungleichgewichtige Einbindung der beiden verschiedenen Wirtschaftssysteme in den Ost-West-Handel gemeint.

2. Das Ungleichgewicht in der Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen für die beiden Seiten. Dieser Punkt wurde bereits mit Zahlen belegt. 3. Das Ungleichgewicht in der Handelsstruktur. Auch dieser Punkt wurde bereits von der statistischen Seite angesprochen.

4. Das Ungleichgewicht in der Handels-und Zahlungsbilanz mit der Auswirkung auf die Verschuldung.

Punkt 1: Das Ordnungspolitische Ungleichgewicht Dieses Ungleichgewicht liegt darin, daß sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West auf der Basis der westlichen Wettbewerbsordnung, westlicher Preisbildungsprinzipien und in westlicher Währung abspielt. Der Grund für diesen Systemvorteil des Westens liegt nicht etwa vorwiegend im machtpolitischen Bereich, sondern darin, daß das sowjetische Planungssystem bisher nicht in der Lage ist, eine ordnungspolitische Alternative für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen anzubieten. Schwache Ansätze hierzu* gibt es allerdings in Gestalt der Favorisierung von Kompensationsgeschäften durch die Sowjetunion. Diese Form der Wirtschaftsbeziehungen hat ihrem Wesen nach stärker planwirtschaftlichen und reduzierten markt-und geldorientierten Charakter. Dennoch überwiegen bei den Ost-West-Beziehungen die marktwirtschaftlichen Elemente, was einem zentralen Planungssystem naturgemäß zu schaffen macht.

Punkt 2: Ungleichgewichte in der Bedeutung der 'Wirtschaftsbeziehungen für die beiden Seiten

Die Tatsache, daß der Ost-West-Handel im Westen nur 4 bis 6 v. H.des Außenhandels ausmacht, dagegen für den RGW über 30 v. H., begründet eine viel höhere Empfindlichkeit im Osten. Es sind aber nicht nur die unterschiedlichen Außenhandelsrelationen, welche den Osten abhängiger machen, sondern auch die Qualität der Güter. Fast alle Produkte, die der Westen aus dem RGW-Bereich bezieht, sind auch auf Drittmärkten zu erhalten. Dagegen werden die technologieintensiven Güter, welche der RGW von den westlichen Industrieländern bezieht, nicht im eigenen Bereich oder in der Dritten Welt angeboten.

Punkt 3: Ungleichgewicht in der Handels-struktur

Während in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen westlichen Ländern in der Tendenz substitutiver Handel besteht, — d. h. es werden Rohstoffe, Nahrungsmittel, Halbfabrikate, Fertigprodukte sowohl ein-wie ausgeführt, z. B. führt die Bundesrepublik nach Frankreich Kraftfahrzeuge aus und bezieht von dort ebenfalls Kraftfahrzeuge — während hier also substitutiver Handel besteht, ist der Ost-West-Handel wie schon angedeutet, ausgesprochen komplementär strukturiert, d. h.

in die eine Richtung fließen vorwiegend Rohstoffe, in die andere vorwiegend technologisch anspruchsvolle Fertigprodukte.

Komplementärer Handel birgt aber Konfliktpotential und Instabilitäten in sich, und zwar aus drei Gründen: 1. Im komplementären Handel sind starke Veränderungen der terms of trade möglich

2. Komplementärer Handel schafft ungleichgewichtige Abhängigkeiten; so ist die Abhängigkeit von Rohstoffen für Lieferanten ein kurzfristig wirksames Instrument, wie die Erdölkrise 1973/74 demonstrierte, während die Abhängigkeit von Technologie dem Technologieexporteur ein nur langfristig wirksames Instrument in die Hand gibt. Je nach politischer Konstellation ist also das eine oder andere Instrument einsetzbar, nicht dagegen beide gleichzeitig, so daß auch nicht von einem Abhängigkeitsgleichgewicht gesprochen werden kann.

3. Der komplementäre Handel birgt die Tendenz in sich, Entwicklungsunterschiede zu fixieren. Wenn ein Land Technologie importiert, finanziert es damit die Forschung und Entwicklung des Exporteurs mit, und baut dabei selbst weniger Forschungs-und Entwick-lungskapzitäten auf.

Die terms of trade haben sich 1973/74 sprung-haft zugunsten der rohstoffexportierenden Länder, darunter der Sowjetunion verändert. Wie wenig aber terms-of-trade-Entwicklungen vorhersehbar sind, zeigt eine CIA-Studie, die im April 1975 erschienen ist und in der von der Annahme ausgegangen wurde, daß sich die terms of trade weiterhin zugunsten der Rohstoffexporteure entwickeln würden. Daraus leitete die Studie das Ergebnis ab, daß die Sowjetunion bis 1980 keine Kredite mehr aufnehmen müsse. Tatsache ist, daß sich die terms of trade für die Sowjetunion 1975 verschlechterten und daß die Verschuldungszunahme 1975 höher war als der gesamte bis dahin angehäufte Schuldenbestand Anstrengungen der Sowjetunion, von dem komplementären Handel zu einem mehr substitutiven Handel zu gelangen, führten bisher nicht zu einem nennenswerten Erfolg. Nack einer Statistik der UN Economic Comission for Europe (ECE) hat der Anteil technologieintensiver Produkte im Export der Sowjetunion zwischen 1965 und 1974 nur von 7v. H. auf 8 v. H. zugenommen Seit 1974 setzt die Sowjetunion wieder verstärkt auf Rohstoffexport, in der Hoffnung, daß langfristig die terms of trade zu ihren Gunsten ausfallen. Um Rohstoffe exportieren zu können, braucht sie jedoch westliche Hilfe an Kapital und Know-how zur Erschließung dieser Rohstoffe, denn die eigenen Anstrengungen einschließlich der Beiträge aus den anderen RGW-Ländern reichen nicht aus, um die Entwicklungsprogramme zur Rohstofferschließung durchzuführen.

Punkt 4: Das Ungleichgewicht der Handelsund Zahlungsbilanz

In der gleichen Zeit 1971— 1975, in welcher der Ost-West-Handel stark angestiegen ist, hat sich auch das Handelsbilanzdefizit der RGW-Länder von Jahr zu Jahr erhöht, was notwendigerweise zu einer wachsenden Schuldenakkumulierung führte. Die Verschuldung des RGW, die 1971 noch bei 7 Mrd. US S lag hat inzwischen ein Volumen von 48— 50 Mrd. US $erreicht Seit dem letzten Sommer, als nach dem hohen Handelsbilanzdefizit 1975 die ersten Schätzungen vorlagen, fand — begünstigt durch den Wahlkampf in der Bundesrepublik und den USA — die Verschuldung ein ungewöhnlich hohes öffentliches Interesse. Kissinger setzte im Juni 1976 die Diskussion in Gang mit der Bemerkung, daß die Verschuldung eine „plötzliche und auffallende Woge“ sei. Bundeskanzler Schmidt sprach von einem „Transfer realer Ressourcen" von West nach Ost was zwar unbestreitbar richtig ist, aber negative Assoziationen weckte. Wenn ein Hausbesitzer sein Haus vermietet, transferiert er zwar auch seinen Besitz an den Vermieter, aber niemand käme auf die Idee, von vornherein anzunehmen, daß er damit ein Verlustge-schäft erleidet. Rein ökonomisch betrachtet ist die Verschuldung des Ostens ein Geschäft für die westlichen Kreditgeber, denn die Zinsen und Rückzahlungen werden pünktlich erstattet. Für die Exportindustrie und unter Arbeitsplatzgesichtspunkten hat die östliche Verschuldung in der derzeitigen konjunkturellen Situation auch nur positive Seiten, denn es kann mehr exportiert und damit produziert werden, als wenn sich die RGW-Länder nur so viele Importe leisten könnten, wie sie auf Grund des eigenen Devisenbestandes bezahlen könnten.

Die Frage, die jenseits der reinen Ökonomie liegt, ist die, wer nun von wem abhängiger, ist, der östliche Schuldner vom westlichen Gläubiger oder umgekehrt. Um die Antwort vorwegzunehmen: Beide sind voneinander abhängig, aber mit unterschiedlichem Gewicht. Im Falle einer Rückzahlungsverweigerung durch den Osten — und damit hätte ja der Osten ein Instrument in der Hand — wäre der Schaden im Westen zwar nicht geringfügig, aber doch begrenzt. Die Kredite laufen größtenteils bis in die 80er Jahre so daß sich die negativen Auswirkungen über einen längeren Zeitraum erstrecken würden. Für die Bundesrepublik machen die Ostkredite in Höhe von 25 Mrd. DM ca. 6 v. H. ihrer Auslandsaktiva aus Diese Kredite sind zu ca. 2/3 durch staatliche Bürgschaften abgedeckt.

Dies bedeutet, daß im Falle einer Rückzahlungsverweigerung der Staat den Hauptverlust zu tragen hätte, und zwar müßten die Finanzmittel soweit sie staatlich verbürgt sind, den Gläubigern aus staatlichen Mitteln zugeführt werden. Diese Bereitstellung wäre von der Größenordnung und dem Effekt her vergleichbar mit einem Konjunkturprogramm, in dem etwa über Abschreibungssteuersenkung den Unternehmern Finanzierungsmittel zur Verfügung gestellt werden, die unter normalen Bedingungen dem Staat zugeführt werden müßten. In diesem Sinne wäre eine Rückzahlungsverweigerung des RGW in seinem Einfluß auf die westlichen Volkswirtschaften steuerbar.

Katastrophal wäre allerdings umgekehrt ein westlicher Kreditboykott für den Osten. Die großen Anstrengungen der RGW-Länder im Jahre 1976, ihr Handelsbilanzdefizit zu reduzieren, haben gezeigt, wie schwierig es für sie ist, auch nur das Wachstum der Verschuldung einzuschränken. Ein totales Kreditembargo würde trotz Goldreserven der Sowjetunion aller Wahrscheinlichkeit nach zur Zahlungsunfähigkeit aller RGW-Länder und damit weitgehend zum Zusammenbruch des Ost-West-Handels führen. Die Auswirkungen hiervon wären für den Osten wegen des viel größeren Gewichtes, den der Ost-West-Handel dort einnimmt, viel gravierender.

IV. Abwägung des Instrumentariums zur Stabilisierung der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen

Die Darstellung der Ungleichgewichte in den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen sollte aufzeigen, wie die politischen Gewichte zwischen Ost und West verteilt sind und wo Ansatzpunkte für Veränderungen gegeben sind. In dem folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, wo ein Einsatz wirtschaftspolitischer Instrumente im sicherheitspolitischen Sinn vorteilhaft sein kann.

Um ein Teilergebnis vorwegzunehmen: Es ist weitgehend unbestimmbar, wie weit der politische Vorteil den Nachteil überwiegt oder umgekehrt. Hierzu zwei Beispiele: 1. Der Vorteil, den der Osten aus dem Import an wachstumsintensiver Technologie aus dem Westen zieht, besteht u. a. in einer Stabilisierung des östlichen Systems und erhöht dessen Attraktivität nach außen. Dies kann aus westlicher Sicht als Nachteil angesehen werden. Umgekehrt kann der Westen nur dann hoffen, daß eine Öffnung des östlichen Systems für eine Kommunikation im Sinne von Korb III KSZE erfolgt, wenn die technologische Lücke zwischen Ost und West kleiner wird, also der Osten aufholt, denn das Selbstbewußtsein, das die Bereitschaft zu einer Kommunikation voraussetzt, ist im RGW durch ein Unterlegenheitsempfinden im Bereich der Technologie und der wirtschaftlichen Entwicklung reduziert. 2. Es ist unvermeidbar, daß der Technologie-import des Ostens auch Impulse für dessen Rüstungsbereich abgibt, so daß also ein gewisser Teil östlicher Rüstungsniveaus westlichen Technologielieferungen zu verdanken ist. Umgekehrt ist es realistisch anzunehmen, daß die Sowjetunion ihr Rüstungsniveau unter allen Umständen, d. h. auch ohne westliche Impulse anstreben würde, nur müßte sie es dann notfalls mit stalinistischen Methoden tun und würde damit zusätzliches Konfliktpotential in Europa schaffen.

Mit diesen Beispielen soll gezeigt werden, daß es unmöglich ist, bei einer wirtschaftlichen Maßnahme alle politischen Folgewirkungen nach Vor-und Nachteil aufzurechnen. Sinnvoller wäre es deshalb, Schwellen-werte aufzustellen, wie etwa diese: 1.der Westen importiert von einem sensiblen Rohstoff wie Erdöl oder Uran nicht mehr als einen Anteil am Gesamtverbrauch, auf den er notfalls verzichten kann, um nicht erpreßbar zu (werden; oder 2.der Westen exportiert keine Güter, die direkt in den sowjetischen Rüstungsbereich fließen können, stellt aber darüber hinaus keine Untersuchungen an, ob die Exporte ziviler Technologie in irgendeiner indirekten Form einen Impuls auch für den Rüstungsbereich abgeben könnten.

Hat man diese Schwellenwerte, die nicht überschritten werden dürfen, abgesteckt, so bleibt ein Feld für außen-und sicherheitspolitische Strategien, das insbesondere durch die genannten Ungleichgewichte in den Wirtschaftsbeziehungen vorgegeben ist. Ungleich-gewichte bedeuten politisch betrachtet in erster Linie Abhängigkeiten. Unter diesem Aspekt sollen ein paar Punkte, die bereits in anderem Zusammenhang genannt wurden, ergänzt werden:

Der RGW ist von dem Ost-West-Handel stärker abhängig als der Westen, 1. weil dieser Handel einen viel größeren Anteil am eigenen Außenhandel einnimmt, 2. weil seine Importe aus dem Westen nicht zu substituieren sind — im Gegensatz zu den westlichen Importen, 3. weil seine Importe wachstumsintensiv sind und er sich einen Wachstumsstillstand weniger leisten kann als der Westen, zumal die derzeitigen geringen Wachstumsraten der RGW-Länder bereits eine schwierige Situation herbeigeführt haben, die keinen Spielraum für zusätzliche Wachstumseinbußen zulassen; 4. weil er im Westen verschuldet ist und diese Verschuldung vorläufig nicht abbauen kann, sondern auf Dauer Vertrauen bei westlichen Kreditgebern braucht.

Im Falle der Sowjetunion kommt noch eine besondere Form von Abhängigkeit hinzu. Sie muß, um ihr Wirtschaftswachstum zu sichern sehr langfristige Erschließungsprojekte vor allem in Sibirien in Angriff nehmen, wofür sie langfristig die Mithilfe des Westens und auch dessen Bereitschaft zur späteren Abnahme eines Teiles der erschlossenen Rohstoffe im natürlichen oder verarbeiteten Zustand benötigt. Um diese langfristige Zusammenarbeit sicherzustellen, ist die Sowjetunion in ganz besonderem Maße davon abhängig, daß die Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen eine langfristige Stabilität aufweisen, d. h. sie ist davon abhängig, daß nicht tagespolitische Interessen solche Schwankungen in die Wirtschaftsbeziehungen hineintragen, daß sie nicht mehr langfristig planen kann.

Eine Verknüpfung von wirtschaftlicher Kooperation mit aktuellen politischen Bedingungen wie im Falle des Jackson-Amendments, bei dem die Gewährung der Meistbegünstigung durch die USA an die Ausreise von Juden aus der Sowjetunion gebunden war, oder die Verbindung von Vergünstigungen gegenüber der DDR durch den innerdeutschen Handel mit der Aufhebung des Schießbefehls sind von östlicher Seite deshalb nicht akzeptabel, weil der Osten nicht übersieht, wieviel weitere politische Bedingungen an den Ost-West-Handel geknüpft werden.

Eher hätte dagegen eine Strategie Aussicht auf Erfolg, nach der eine Parallelität zwischen Intensivierung und Stabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen und einer Intensivierung der Kommunikation hergestellt wird. Für die östliche Seite müßte dabei erkennbar sein, daß eine engere Verflechtung im wirtschaftlichen Bereich eine engere Verflechtung oder gegenseitige Öffnung in anderen Bereichen notwendig macht und daß diese Verflechtung oder Öffnung auch von der östlichen Seite steuerbar ist. Angesichts der zurückgehenden Wachstumsraten in Osteuropa und der verstärkten Notwendigkeit, auf die Konsumbe-dürfnisse der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, ist der Handlungsspielraum für die Planer kleiner und der Druck zur Kooperation mit dem Westen größer geworden, so daß ein nicht geringer Anreiz bestehen würde, sich langfristig stabile Kooperation im Rahmen einer verstärkten Verflechtung einschließlich des Kommunikationsbereichs zu erwerben.

V. Die Vereinbarungen des Korbes II der KSZE

Betrachtet man unter diesem Aspekt die Vereinbarungen des Korbes II in der Schlußakte der KSZE, so zeigt sich, daß der Schwerpunkt gerade auf dem Gebiet der Langfristigkeit und Stabilität und nicht im Bereich konkreter Kooperationsprojekte liegt. Hierfür sollen ein paar Beispiele aus dem Text der Schlußakte angeführt werden. Die Komponente der Langfristigkeit findet ihren Niederschlag etwa in dem recht ausführlichen Text zur Vereinheitlichung und Zugänglichkeit von Statistiken (S. 11) oder in der Anerkennung, daß die industrielle Kooperation zu fördern sei (S. 11 ff.), weil sie dauerhafte Bindungen schafft, insbesondere im Bereich der Rohstoff-erschließung und -nutzung oder in der Nennung einer gesamteuropäischen Infrastruktur „im Hinblick auf eine langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit" (S. 1 ).

Die Komponente der Stabilität kommt abgesehen davon, daß jede Langfristigkeit an sich schon stabilitätsfördernd ist, zusätzlich in der Absichtserklärung zum Ausdruck, „soweit als möglich abrupte Schwankungen in ihrem Warenverkehr (zu) vermeiden“ (S. 10), „den ausländischen Erzeugern gleichartiger oder unmittelbar konkurrierender Waren keine ernstliche Schädigung" (S. 10) zuzufügen (kein Dumping) und die Diversifizierung der Warenstruktur zu fördern (S. 10). Diese Liste von Beispielen könnte beliebig fortgesetzt werden.

Die allgemeinen „Leitlinien" und „Empfehlungen für konkrete Maßnahmen" des Korbes II der KSZE zielen also darauf ab, den Bereich des beiderseitigen Vorteils, der zugleich Langfristigkeit und Stabilität beinhaltet, anzureichern und nicht etwa die Beziehungen des gegenwärtigen Zuschnitts quantitativ auszudehnen. In diesem Sinne wäre eine Verwirklichung der Vereinbarungen ein Beitrag zur Stabilisierung der Ost-West-Beziehungen auch im sicherheitspolitischen Sinne. Allerdings deuten die Erfahrungen seit dem Abschluß der Konferenz von Helsinki wenig auf eine strukturelle Stabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen. Dies mag daran liegen, daß in der Praxis bei den Wirtschaftsbeziehungen ökonomische Determinanten eher den Ausschlag geben als politische Absichten. Andererseits ist auf westlicher Seite aber auch nicht eindeutig zu erkennen, inwieweit die Wirtschaftsbeziehungen in eine stabilitätspolitische Konzeption eingegliedert werden können.

VI. Ansatz zu einem Konzept stabiler Beziehungen

Eine Konzeption stabiler Beziehungen baut auf der Voraussetzung auf, daß ungleichgewichtige Beziehungen zu Abhängigkeiten führen und daß Abhängigkeiten, sofern sie sich nicht gegenseitig neutralisieren, zu instabilen Beziehungen führen, da in einem System, in dem der Vorteil des einen der Nachteil des anderen ist, jeder Veränderungen auf Kosten des anderen sucht. Stabilisierend auf die Wirtschaftsbeziehungen wirken demnach Maßnahmen zum Abbau der Ungleichgewichte und Maßnahmen zur gegenseitigen Neutralisierung von Abhängigkeiten. Betrachtet man die im Kapitel III herausgearbeiteten Un-gleichgewichte, so zeigt sich, daß die Möglichkeiten zu deren Abbau recht begrenzt sind. Für eine prinzipielle Veränderung der Ordnungspolitik, nach der die Beziehungen abgewickelt werden, zeichnet sich keine Möglichkeit ab. Ebenso läßt sich der unterschiedliche Stellenwert, den der Handel in 7 den beiden Blöcken einnimmt, nicht ausräumen. Dagegen liefern die Handelsstruktur und die Ungleichgewichte in der Handelsbilanz Ansatzmöglichkeiten für Veränderungen.

Bezüglich der Veränderungsmöglichkeit im Handel ist mit folgenden Bestimmungsfaktoren zu rechnen:

Erstens, die Technologieabhängigkeit in Osteuropa wird aufgrund der mangelnden Fähigkeit zur Absorption des technischen Fortschritts in Planwirtschaften auf absehbare Zeit erhalten bleiben und könnte sich noch verstärken, wenn der Trend zum Rückgang der Wachstumsraten im RGW-Bereich anhält.

Zweitens, die Sowjetunion ist aufgrund des eigenen Rohstoffbedarfs, aber auch des Devisenbedarfs, auf die Erschließung weiterer Rohstoffreserven angewiesen’ Sie verfügt aber nicht über hinreichendes Kapital und Know-how, um diese Erschließung aus eigener Kraft zu schaffen. Hieraus erwächst ein Bedarf nach langfristiger und stabiler Zusammenarbeit mit dem Westen, da wegen des ho-hen Erschließungsaufwandes eine Rentabilität nur langfristig erreicht werden kann.

Drittens, der Westen wird langfristig auf Rohstoffimporte angewiesen sein, die zum Teil im RGW-Bereich (vor allem in der Sowjetunion) verfügbar sind und angeboten werden Aus diesen Bestimmungsfaktoren kann abgeleitet werden, daß zwar insbesondere auf östlicher Seite ein hohes Interesse an einer Stabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen besteht, daß aber wenig Aussicht geboten wird, von der komplementären Struktur (Rohstoffe gegen Technologie) herunterzukommen. Immerhin könnten Bemühungen zum Abbau der instabilen Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie sich aus dem komplementären Handel ergeben, dazu führen, den substitutiven Bereich zu fördern, indem die westliche Seite mehr Bereitschaft zeigt, Güter mittlerer Technologie etwa im Konsumgüterbereich (Haushaltsgeräte) verstärkt aus Osteuropa zu beziehen. In diesem Bereich können nämlich kaum Abhängigkeitsbeziehungen entstehen

Interessanter als der Abbau der Komplementarität des Handels wäre jedoch eine Neutralisierung der Abhängigkeitsbeziehungen dadurch, daß die langfristige Abhängigkeit des Ostens von westlichem Kapital und westlicher Technologie durch eine langfristige Verknüpfung mit westlichen Interessen — etwa im Bereich der gegenseitigen Öffnung — ein Gegengewicht erhalten würde. Dabei wäre darauf zu achten, daß eine Entkoppelung der beiden Interessengebiete nicht laufend zur Diskussion gestellt wird, sondern daß auch die Verknüpfung von dauerhaftem Bestand ist.

Die östliche Seite braucht für ihre großen Entwicklungsprojekte die Sicherheit, daß die westliche Seite ihre Zusammenarbeit nicht von der politischen Konjunktur abhängig macht. Aus diesem Grund, so kann man annehmen versucht sie, den Westen in gesamteuropäische Infrastrukturmaßnahmen (Energie, Verkehr! wirtschaftlich einzubinden. Es ist aber Sache des Westens, darauf zu dringen, daß unter den wünschenswerten Maßnahmen zur Stabilisie rung der ökonomischen Zusammenarbeit auct westliche politische Interessen berücksichtig! werden.

Wie sehr der östlichen Seite an einer Vermin derung der Störanfälligkeit der Ost-West Wirtschaftsbeziehungen gelegen sein muß offenbart sich vor allem auch in dem vier ten dargestellten Ungleichgewicht, dem dei Handelsbilanz und der daraus erwachsen den Verschuldung. Für die nächsten Jahn wird es trotz großer Anstrengungen da RGW-Länder nicht zu verhindern sein, daf ihre Schulden gegenüber dem Westen be trächtlich anwachsen. Dabei ist allein zui Aufrechterhaltung des Schuldenstandes, alsc zur Erneuerung der auslaufenden Kredite eil stabiles Vertrauensklima notwendig. Diese: Problem wird zunehmend in der östlichen Pu blizistik aufgegriffen

Das Argument, daß in westlichen Ländern de Staat wenig Möglichkeiten hat, wirtschaftli ehe Geschäfte politisch zu beeinflussen, triff für den zur Diskussion stehenden regionaler Bereich kaum zu. Das Instrument der Kredit Bürgschaften, aber auch die staatlichen Koor dinationen bei Großgeschäften sowie dir Steuerungsfunktion der Gemischten Kommis sionen bieten neben den klassischen Instru menten (wie z. B. Liberalisierungsmaßnahmen erhebliche Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen Dies wird auch durch den Katalog von Leitli nien und Empfehlungen des Korbes II de: KSZE unterstrichen. Die KSZE-Körbe als eir nicht aufschnürbares Ganzes zu werten, biete den geeigneten Rahmen, um die erwünscht: Verknüpfung offenkundig zu machen. Es wär: aber zu wünschen, daß die Möglichkeiten fü stabilere Ost-West-Beziehungen, welche di: wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmer der Empfehlungen des Korbes II bietet, stärke genutzt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Daniel Yergin, Politics and Soviet-American Trade: The Three Questions, in: Foreign Affairs, April 1977, S. 520.

  2. Vgl. zur historischen Aufarbeitung dieser Problematik das einführende Kapitel zu Albert 0. Hirschmann, National Power and the Structure of Foreign Trade. Universify of California Press, Berkeley-Los Angeles 1969; und: Peter J. Wiles, Communist International Economics, Oxford 1968, Kapitel XVIII (Trade and Peace).

  3. Vgl.den Sammelband von der Jubiläumstagung des Vereins für Socialpolitik: Hans Schneider, Christian Watrin (Hrsg.), Macht und ökonomisches Gesetz, Berlin 1973.

  4. Vgl. z. B. Wolfgang Hager, Westeuropas wirtschaftliche Sicherheit, Bonn 1976, in: Arbeitspapiere zur internationalen Politik Nr. 6 des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

  5. Vgl. z. B. Joseph Nye, Kollektive wirtschaftliche Sicherheit, in: Europa Archiv, Vol 29, No. 19, (1974) S. 650— 664.

  6. Vgl. Joachim Hütter, Nationale Sicherheit als Politische Aufgabe der Politik, in: Politische Vierteljahreszeitschrift 1976, Heft 1 S. 73.

  7. Wie dies z. B.der Fall ist bei Thomas Wolf, US East-West Trade Policy. Economic Warfare versus Economic Welfare, Lexington Books Lexington Massachusettes 1973, S. 3.

  8. Daniel Yergin drückt dies in folgender Gedankenführung aus: „Expanded trade, in itself, will not create peace and a harmonious international Order. 1t is no guarantee against conflict... But... at a step below that level it can do a great deal. First of all, it... creates common interests ... provides incentives for stability, and lays the ground work for a cautious expansion of interaction." In: Daniel Yergin, a. a. O., S. 519.

  9. Selected Trade and Economic Data of the Cen-trally Planned Economics. US Department of Com merce. Bureau of East-West-Trade, Washington. September 1976.

  10. Quelle: OECD Statistics of Foreign Trade Serie A Juni 1971, Juni 1976, und Vnesnjaja Torgoyh ja SSSR za 1970 goda (za 1976 goda) Moskau 19/1 (1976). , , 1977

  11. Quelle: Petroleum Economist, Februar 19 1 S. 66.

  12. Eurostat, EC Trade by Commodity Classes and Main Countries, in: Supplement to the Monthly Externat Trade Bulletin 2/1977.

  13. Der Begriff der terms of trade soll, ohne differenzierte Probleme abzudecken, an folgendem Beispiel erläutert werden: Wenn die Bundesrepublik 1976 für 10 Tonnen Tomaten aus Ungarn als Gegenwert 100 Taschenrechner einer bestimmten Sorte liefern muß und wenn 1977 durch Preisveränderungen 10 Tonnen Tomaten 101 Taschenrechner entsprechen, so haben sich die terms of trade für Ungarn um 1 v. H. verbessert, für die Bundesrepublik um 1 v. H. verschlechtert, da Ungarn für dieselbe Exportmenge 1 v. H. mehr importieren kann, umgekehrt die Bundesrepublik mehr exportieren muß, um dieselbe Menge Tomaten zu importieren.

  14. Vgl. FAZ 7. 4. 1975, S. 13.

  15. Quelle: Economic Bulletin for Europe, Vol 28, ECE Genf, NY 1976, S. 77.

  16. Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW Wochenbericht 39/1976, v. 30. 9.

  17. Quelle: Economic Bulletin for Europe, Vol 28. ECE Genf NY 1976, S. 117.

  18. Vgl. H. Clement, Aufsätze zur Feststellung der Verschuldung Osteuropas, HWWA-Report Nr. 41 HWWA-Institut für Wirtschaftsforschungs-Haniburg 1977.

  19. Quelle: Friedrich Levcik, Jan Stankovsky, Kredite des Westens nach Österreich an Osteuropa und die UdSSR, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, Reprint Serie Nr. 2 Juni 1977.

  20. Zitiert nach Stefan Graf Bethlen (Hrsg.), °s'handel in der Krise, München/Wien, S. 249.

  21. Vollständige Daten über die Laufzeit von Krediten sind schwer zusammenzutragen. Vergleichsweise vorbildlich hat die ungarische Nationalbank für jedes Jahr bis 1980 die Volumen der auslaufenden Eurokredite publiziert. Demnach laufen mehr als 50% der am 31. 3. 1976 bestehenden Kredite nach 1980 aus. Quelle: Euromoney Januar 1977, s-17.

  22. Schätzung der Deutschen Bundesbank, vgl. Handelsblatt 15. 7. 1976, S. 1.

  23. Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Deutscher Bundestag, Drucksache 7/3867.

  24. Vgl. Jürgen Nötzold, Untersuchungen zur Durchsetzung des technischen Fortschritts in der sowjetischen Wirtschaft, SWP-S 207, Ebenhausen, Dezember 1972.

  25. Vgl. Alan B. Smith, Soviet Dependence on Siberian Resource Development in: Soviet Economy in a New Perspective. A Compendium of Papers Submitted to the Joint Economic Committe, Con-gress of the United States, Washington, 14. Oktober 1976.

  26. Vgl. J. Russow, Die Möglichkeiten des Bunt-metallhandels mit Westeuropa, in: Außenhandel UdSSR, Moskau 1976, Nr. 2, und Jochen Bethken-hagen, Das sowjetischen Welthandelspotential an Erdöl-und Erdgas, in: Jahrbuch der Wirtschaft Osteuropas. Bd. 6, 1975.

  27. Vgl. Friedemann Müller, Zur Frage der Abhängigkeit in den wirtschaftlichen Ost-West-Beziehungen, in: SWP-AP 2106, Ebenhausen bei München, Juli 1976.

  28. Vgl. z. B. A. Dostal', Vnesnjaja torgovlja i kre dit, Ekonomiceskaja Gazeta, Nr. 31, Juli 1977, S. 21 oder das Kapitel „Ungleichmäßige Entwicklungei in den Handelsbilanzen", in: Jürgen Nitz, Problem 1 der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Sozialismu und Kapitalismus, in: IPW-Forschungshefte 2/1971

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Friedemann Müller, geb. 1943, Dr. rer. pol.; Studium der Volkswirtschaftslehre in Karlsruhe und Freiburg. Studienjahr an der Moskauer Lomonossow-Universität; wissenschaftlicher Referent im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen bei München. Veröffentlichungen: Die Außenwirtschaftstheorie in der Planwirtschaft, Berlin 1975; Aufsätze zu wirtschaftlichen Abhängigkeitsbeziehungen und Verflechtungen zwischen Ost-und Westeuropa.