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Zur Opposition von Intellektuellen in der Sowjetunion | APuZ 45/1974 | bpb.de

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APuZ 45/1974 Der Kreml und die Politik der Entspannung. Machtkonstellationen und Richtungskämpfe Zur Opposition von Intellektuellen in der Sowjetunion

Zur Opposition von Intellektuellen in der Sowjetunion

Abraham Brumberg

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die erste Phase der Opposition von Intellektuellen in der Sowjetunion nach Chruschtschows Sturz währte von 1967 bis 1969. Sie ist charakterisiert durch Namen wie Wladimir Bukowskij, Pawel Litwinow oder Alexander Ginsburg, deren offener Protest gegen mißbräuchliche Praktiken der Justiz zur Gründung der „Demokratischen Bewegung“ führten, einer losen Vereinigung, der hauptsächlich Vertreter der Intelligenz angehören. Durch zahlreiche Verhaftungen und andere Repressionen seitens der sowjetischen Behörden endete etwa Mitte 1969 diese Form des öffentlichen Dissenses ziemlich abrupt. Andererseits begann sich in der „Demokratischen Bewegung“ auch ein Differenzierungsprozeß abzuzeichnen. Manche Dissidenten, die als „Legalisten“ bekannt sind, beschränken sich in ihrer Opposition vor allem auf eine Kritik an der „sozialistischen Gesetzlichkeit“. Ihr bekanntester Vertreter ist das Akademiemitglied Andrej Sacharow, der 1970 zusammen mit zwei anderen Physikern, Andrej Twerdochlebow und Walerij Tschalidse, das Menschenrechtskomitee gründete, dessen Ziel es ist, für die Einhaltung der sowjetischen Gesetze zu kämpfen. Andere, die in ähnlicher Weise entschlossen sind, völlig innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu handeln, legen mehr Wert auf allmähliche wirtschaftliche, soziale und politische Reformen. Viele von ihnen — so der Historiker Roj Medwedew und sein Zwillingsbruder Shores (der sich wie Tschalidse jetzt im unfreiwilligen Exil im Westen befindet) — betrachten sich als treue Marxisten-Leninisten. Im Gegensatz zu diesen steht eine „konservative“ oder „slawophile“ Gruppe von Dissidenten, der auch Vertreter verschiedener Nationalitätenvereinigungen angehören. In der Zeit seit 1970 wurde jedoch auch die Strategie einer breiteren Publizität („Glasnost") entwickelt: Die Dissidenten nahmen Kontakt mit internationalen Organisationen (z. B. Amnesty International und der Internationalen Menschenrechtsliga) auf und erklärten ihre Anliegen als einen integralen Bestandteil und Gradmesser der west-östlichen Entspannungspolitik; insbesondere sind hier die Memoranden Sacharows zu nennen. In der Präge über den möglichen Erfolg eines etwaigen politischen Druckes von außen im Hinblick auf innenpolitische Reformen gibt es allerdings erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den sowjetischen Dissidenten. Das betrifft auch die publizistischen Einwirkungsmöglichkeiten von außen, wie sie gegenwärtig anläßlich der Schriften von Solschenizyn und der Gründung von Emigrantenzeitschriften diskutiert werden.

I.

Das erste Kapitel in der Geschichte des offenen politischen Dissenses im nach-chruschtschowschen (oder überhaupt nach-stalin-sehen) Rußland hat im Oktober 1967 begonnen. Damals warf der junge Physiker Pawel Litwinow (jetzt in den USA) — ein Enkel des ehemaligen sowjetischen Außenministers — den sowjetischen Behörden den Fehdehandschuh hin, indem er offen das Schlußwort verbreitete, das Wladimir Bukowskij in seinem Prozeß hinter verschlossenen Türen drei Monate zuvor abgegeben hatte — ein junger Dissident, der verhaftet und zu drei Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt worden war.

Bukowskij hatte im Januar des gleichen Jahres eine Demonstration gegen die Verhaftung einer Reihe von Dissidenten organisiert, die einem weiteren jungen Dissidenten, Alexander Ginsburg, geholfen hatten, ein Weißbuch über den Prozeß gegen die Schriftsteller Andrej Sinjawskij und Jurij Daniel im Februar 1966 zusammenzustellen. Sinjawskij und Daniel waren zu sieben bzw. fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, weil sie ihre Werke im Ausland hatten erscheinen lassen. Der unentrinnbare Ablauf von Verhaftung — Protest — Verhaftung war demnach schon zwei Jahre zuvor entstanden. Was Litwinows Aktion von den anderen unterschied, war, daß sein Protest zu Papier gebracht, unterzeichnet und an sowjetische ebenso wie an ausländische Journalisten verteilt wurde. Vielleicht kann Litwinow demnach auch als der Begründer einer neuen Art von Samisdat gelten, da alle früheren derartigen „Selbst-Publikationen" nur unter der Hand zirkulierten.

Mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber dem Juli-Heft 1974 der Vierteljahreszeitsdirift . Foreign-Affairs“, New York, entnommen. (Copyright: United Press International, Bonn). Übersetzung: Dr. Peter Hübner, Köln.

Im Januar 1968 wurden Alexander Ginsburg (der selbst im Februar 1967 verhaftet worden war) und drei seiner Genossen nach einem viertägigen Pseudoprozeß mit vielen Pseudobeweisen und falschen Zeugen, darunter zwei eindeutigen agents provocateurs, zu langen Gefängnis-und Lagerstrafen verurteilt. Die öffentliche Reaktion setzte sofort ein und war außergewöhnlich. Vielleicht durch das Beispiel Litwinows und Pjotr Grigorenkos (eines sowjetischen Generalmajors mit einem langen Vorleben bürgerlichen Ungehorsams) wie auch durch die sowjetische Propaganda ermutigt, die die Vorzüge der „sozialistischen Gesetzgebung" lobpreist, strömten hunderte von Sowjetbürgern in die Redaktionen sowjetischer Zeitungen und in die Büros ausländischer Pressedienste oder wandten sich an die Vertretungen verschiedener ausländischer kommunistischer Parteien; andere protestierten in Briefen gegen die jüngste Perversion der Justiz in ihrem Land und erhoben warnend ihre Stimme gegen das Gespenst des Stalinschen — oder Quasi-Stalinschen — Terrors.

Im folgenden Jahr waren offene Proteste gegen mißbräuchliche Praktiken der Justiz in Form von Briefen, Petitionen und Erklärungen das Hauptinstrument der russischen „Demokratischen Bewegung“, wie man den losen Zusammenschluß von vielleicht etwa 2000 Kritikern des Regimes allgemein nennt; die meisten sind der Intelligenz zuzuzählen und leben überwiegend in Moskau und Leningrad. Es war eine ungestüme Zeit. Einer der aktivsten Teilnehmer der Bewegung — jetzt in den USA — erinnert sich: „Der reine Idealismus, die vollkommen selbstlosen Einstellungen und Hoffnungen, die vorher nicht dagewesenen Hoffnungen ... es war die Zeit des Prager Frühlings, die besten Tage unseres Lebens.“ Es war die Zeit, die die Geburt der alle zwei Monate erscheinenden „Chronik der laufenden Ereignisse“ erlebte, eines aonym her-ausgegebenen Nachrichtenblattes, das genaue Informationen über den beginnenden Kampf für die Menschenrechte in der UdSSR wie auch über die Bemühungen der Behörden enthielt, diesen zu unterdrücken. Andere typische Ereignisse dieser Periode sind der wütende Kampf, den Alexander Solshenizyn mit der Unterstützung einiger Schriftstellerkollegen gegen die Unterdrückung seines Werkes und die Zensur überhaupt führte; die Bildung der sogenannten „Initiativgruppe für die Verteidigung der Menschenrechte in der UdSSR", die aus etwa 15 Mitgliedern und 60 aktiven Sympathisanten bestand; das plötzliche Auftauchen verschiedener Formen des nationalen und religiösen Dissenses, die der „Demokratischen Bewegung" zumindest eine potentielle Basis für eine Unterstützung durch die Massen verschafften; schließlich das erstaunliche Anwachsen und die Weiterentwicklung des Samisdat aus gelegentlichen Texten unorthodoxer Prosa und Lyrik zu etwas, das einer oppositionellen Presse ähnelte.

Diese erste Periode des politisch-publizistischen Dissenses endete Mitte 1969 ziemlich abrupt — ebenso zu einem gewissen Grad der frühere Eifer und Enthusiasmus. Die Regierung ergriff, obwohl sie die Aktivitäten der Dissidenten offensichtlich nicht als eine ernste Gefahr betrachtete, dennoch harte Maßnahmen, um sie zu unterdrücken: Verhaftungen, Prozesse (die formal zwar „öffentlich" tatsächlich aber hinter verschlossenen Türen ohne jegliche Publizität stattfanden), Haus-durchsuchungen, Verhöre, Entlassungen, Ausschlüsse aus der Partei und schließlich die abscheulichste Form der politischen Verfolgung: die Einsperrung in Nervenheilanstalten Doch der Enthusiasmus wich nicht, wie man eigentlich erwarten mußte, der Verzweiflung: Viele Dissidenten forderten die Verhaftung trotzig in der Hoffnung heraus, daß ihr Opfer anderen ein Beispiel sein möge und zugleich eine Herausforderung an die Weltöffentlichkeit sei, nicht passiv zu bleiben. Man hatte unterdessen jedoch auch erkannt, daß die alten Methoden nicht wirksam genug waren und das neue Formen der Opposition ersonnen werden mußten. Die Praxis, unterzeichnete Protestbriefe zu versenden, wurde zwar nicht eingestellt — sie existiert noch heute. Aber da die Repressionen andauerten, kamen einige Dissidenten zu dem Schluß, daß anonyme, in manchen Fällen sogar illegale und konspirative Methoden (wie politische Untergrundorganisationen) vorzuziehen seien. Andererseits veranlaßten die Repressionen viele Dissidenten aber auch zu mehr Selbstbesinnung und Reflexion, zur Vertiefung in die Vergangenheit des Landes, zu einer bewußteren Bestandsaufnahme und einer Suche nach ideologischen und praktischen Lösungen für die zahlreichen Probleme in der Sowjetunion.

II.

Während der folgenden drei Jahre nahm der sowjetische Dissens neue und faszinierende Formen an. Eine davon war der allmähliche Differenzierungsprozeß unter denen, die früher nicht nur in ihren letzten und vage definierten Zielsetzungen (die man vielleicht am besten als die Beseitigung des Stalinschen Er-bes der Lügen und Ungesetzlichkeit beschreiben kann) übereinstimmten, sondern auch in ihren Methoden. Nun begannen sich Unterschiede zu zeigen: Manche Dissidenten, die als „Legalisten" bekannt sind, scheuten sich vor jeder kritischen Bemerkung über die sowjetischen politischen Institutionen und beschränkten sich auf eine schlagkräftige, aber durchdachte Kritik an der „sozialistischen Gesetzlichkeit“. Ihr bekanntester Vertreter war ohne Zweifel das Akademiemit-glied Andrej Sacharow, der im Jahre 1970 zusammen mit zwei anderen Physikern, Andrej Twerdochlebow und Walerij Tschalidse, das Menschenrechtskomitee gründete, dessen Zweck es ist, für die Einhaltung der sowjetischen Gesetze zu kämpfen, und zwar strikt , in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Landes“. Andere, die in ähnlicher Weise entschlossen waren, völlig innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu handeln, haben den Akzent auf allmähliche wirtschaftliche, soziale und politische Reformen gelegt. Viele der Letzteren — am prominentesten der Historiker Roj Medwedew und sein Zwillingsbruder Shores (der sich wie Tschalidse jetzt im unfreiwilligen Exil im Westen befindet) — betrachten sich als treue Marxisten-Leninisten. Während die Mehrzahl derer, die man die „Demokratische Opposition“ nennt, offenbar jede Illusion über den Marxismus verloren hat, berichtete

die Chronik der laufenden Ereignisse (unsere

wertvollste Informationsquelle für diese Periode) gelegentlich über die Existenz — und Liquidierung — kleiner illegaler revolutionärer Gruppen, deren Programm eine Mischung aus merkwürdigem Sozialutopismus und militantem Trotzkismus darstellt.

Interessanter und bedeutsamer war das Auftauchen einer Art „rechten Flügels“ im Lager der Dissidenten — bedeutsam deshalb, weil dieser Vorgang auf „offizieller Ebene“ eine Entsprechung mit ähnlichen Tendenzen fand. Insbesondere gab es eine Wiederbelebung des „Slawophilentums", jener philosophischen Schule des 19. Jahrhunderts, die die Rettung Rußlands nur in den geschichtlichen und religiösen Traditionen sah und dabei verächtlich das zurückwies, was sie als verderblichen Einfluß des Westens betrachtete. Die Allrussische Gesellschaft für den Schutz von historischen Denkmälern, die unter offizieller Protektion im Juni 1966 gegründet worden war sowie Zeitschriften wie Molodaja gwardija (Junge Garde), die Monatszeitschrift des Kommunistischen Jugendverbandes, und Nasch sowremennik (Unser Zeitgenosse) waren alle Ausdruck des neuen russischen Patriotismus, der oft mit kaum verhüllten antisemitischen und allgemein xenophoben Ansichten vermischt war. Da aber das Slawophilentum — zumindest in der Theorie — in einem grundsätzlichen Gegensatz zu den Dogmen des Marxismus-Leninismus steht, gingen seine treuen Anhänger „in den Untergrund" und brachten ihre Ideen in Samisdat-Publikationen wie Wetsche (das Wort für Stadtversammlungen im mittelalterlichen Rußland), die bislang in acht umfangreichen Nummern erschienen ist, und in gelegentlichen Essays und Artikeln zum Ausdruck. 1971 erschien im Samisdat eine Broschüre mit dem Titel „Ein Wort an die Nation: Manifest der Russischen

Patrioten“. Es trat offen für rassistische, antisemitische, totalitäre und theokratische Ideen ein und ist vielleicht das Produkt der Wahnvorstellungen eines einzigen oder einer Gruppe. Aber es dürfte eine gewisse Einstellung recht gut widerspiegeln, die verbreiteter ist, als man gemeinhin annimmt — die weitverbreiteten anti-jüdischen Ressentiments, die von einer offiziellen „antizionistischen" Propaganda der primitivsten und abstoßendsten Art unterstützt und ermutigt werden, bezeugen das.

Wie im Falle des Slawophilentums, so haben auch andere Tendenzen, seien sie politisch oder anders geartet, ihre Heimat im Samisdat gefunden. In der Tat wurde der Samisdat zwischen 1969 und 1972 allmählich ein Vehikel für die Diskussion einer breiten Palette von Ansichten und sprach auf diese Weise Tausende von Lesern an, die sonst kein Interesse am politischen Konflikt hatten. Eigene Zeitschriften und Dokumente tauchten auf, die juristische Tatbestände behandelten, stalinistischen Verbrechen und ihrer Verheimlichung nachgingen, für die Bildung von politischen Untergrundorganisationen eintraten, echten Föderalismus in Verbindung mit parlamentarischer Demokratie forderten und theoretische und praktische Probleme erörterten, denen sich die „Demokratische Bewegung" gegen-übersah, wobei natürlich die Publikation von belletristischen Werken, russischen wie aus-ländischen, die von der Zensur verboten waren, weiterlief. Es muß in diesem Zusammenhang auch der „Ukrainische Bote" erwähnt werden, eine von ukrainischen Dissidenten herausgegebene Zeitschrift, die sich am Modell der Chronik der laufenden Ereignisse orientierte und vor kurzem verboten wurde sowie die Chronik der Litauischen Katholischen Kirche, die die Ansichten der Katholiken in einem Land wiedergibt, wo Opposition gegen die Sowjetherrschaft nationalen wie religiösen Charakter hat.

Die bemerkenswerte Vielfalt der Samisdat-Literatur darf natürlich nicht mit zahlenmäßiger Stärke verwechselt werden. Eine „Partei" kann durchaus nur aus wenigen Mitgliedern bestehen; ein „lautstarkes" Manifest ist vermutlich das Werk eines einzelnen; Parteiengezänk unter politischen Oppositionellen ist heute in Rußland ebenso verbreitet wie es um die Jahrhundertwende war. Auch ist das intellektuelle Niveau mancher dieser Dokumente nicht unbedingt beeindruckend. Manche sind in der Tat naiv, utopisch oder abstrus; insbesondere programmatische Schriften widmen sich offenkundig mehr vagen Verallgemeinerungen als der rigorosen Analyse. Trotzdem haben sie alle wenigstens von einem gewissen politischen Reifeprozeß Zeugnis gegeben, von den Anstrengungen einiger, sich nicht mit den Schlagworten zufriedenzugeben, die die Protestbewegung beflügelten, als sie sich zu Anfang eine Bahn in die Öffentlichkeit brach.

Schließlich war die Periode von 1969 bis 1972 (und zu einem erheblichen Maße auch die Gegenwart) durch ein bemerkenswertes Zunehmen der Verbindungen zwischen sowjetischen Dissidenten und der Außenwelt gekennzeichnet. Die sowjetische politische Opposition hörte plötzlich auf, eine innere Angelegenheit zu sein, und ihr Erfolg oder Mißgeschick besaß das mitfühlende Interesse eines großen Teils der Weltöffentlichkeit. Dies ist wahrscheinlich zu einem Teil den Erfolgen der jüdischen „Exodus-Bewegung" zuzuschreiben: Die eingeschüchterte jüdische Gemeinschaft — oder jedenfalls diejenigen ihrer Mitglieder, die unbedingt die UdSSR in Richtung Israel verlassen wollten — haben um eine beliebte sowjetische Phrase zu gebrauchen, alle anderen Dissidenten-Gruppen im Lande „eingeholt und überholt“, was die Bestimmtheit, mit denen sie ihre Ziele verfolgten, wie auch vielleicht ihre Erfolge betrifft. Die Zug um Zug sich vollziehende Emigration sowjetischer Juden wäre ohne die energische Hilfe jüdischer Gemeinden überall in der Welt, in erster Linie in Israel und den USA, unmöglich gewesen, aufgrund dieser Erfahrungen wurden Aufrufe um Unterstützung von außen eine Methode, die zunehmend auch von anderen Dissidenten übernommen wurde. Glasnost (Publizität) war übrigens stets ein prinzipielles Ziel der Dissidentenbewegung seit ihrem Beginn; aber erst um 1970/71 war dieses Ziel erreicht: Die Prozesse gegen sowjetische Dissidenten machten in amerikanischen und europäischen Zeitungen Schlagzeilen. Westliche Pressekorrespondenten schrieben viele Artikel und fungierten häufig als übermittler für Samisdat-Material. Verschiedene westliche Organisationen wie Amnesty International begannen, sich mit dem Schicksal von einzelnen Dissidenten zu befassen. Die Internationale Menschenrechtsliga in New York richtete eine formale organisatorische Verbindung mit Sacharows Menschenrechtskomitee ein; religiöse Gruppen (z. B. die Baptisten) publizierten die Appelle ihrer verfolgten Glaubensgenossen in der UdSSR. Mit der Zeit wurde das Telefon eines der wirksamsten Instrumente der glasnost, und zwar in einer Weise, daß man den Protest direkt an Journalisten in Großbritannien und in den USA übermittelte, so daß er die westliche Öffentlichkeit eher erreichte als die begrenzte Anzahl von schlechtreproduzierten Kopien des Samisdat den sowjetischen Leser. Rundfunk-sendungen, die von westlichen Sendern in die Sowjetunion ausgestrahlt wurden, taten ein übriges. Es war ein bizarres Schauspiel, ein einzigartiges Produkt unseres technischen Zeitalters, eine Quelle der Unterstützung für die verfolgten sowjetischen Dissidenten — aber auch ein weiterer Faktor, der die sowje-tischen Behörden die Überzeugung gewinnen ließ, daß diese Opposition nicht länger toleriert werden könne.

III.

Obwohl das KGB die sowjetischen Dissidenten beharrlich verfolgte und sich nicht gerade durch übermäßige Nachsicht bei der Auseinandersetzung mit jeglicher Manifestation von Opposition gegen das Regime hervortat, scheint es doch bei der Verwendung all der Waffen seines Arsenals gegen eine der provozierendsten Publikationen, der Chronik der lauienden Ereignisse, merkwürdig zurückhaltend gewesen zu sein. Die Gründe für diese offensichtliche Passivität war Gegenstand endloser Spekulationen von Sowjetspezialisten im Westen. Die plausibelsten der angebotenen Erklärungen waren: a) die sowjetische Sicherheitspolizei konnte die Chronik (und die hinter ihr stehende Gruppe) nur ausrotten, indem sie eine Serie von Verhaftungen vomahm, damit zugleich aber die Sowjet-intelligenz insgesamt wie auch die öffentliche Meinung im Ausland gegen sich aufbrachte — was sie nicht zu tun beabsichtigte; b) daß das KGB genau wußte, wer mit der Chronik in Verbindung stand, es aber vorzog, sie unter Beobachtung zu halten, um so schließlich so viele wie möglich zu verhaften. Aus der Retrospektive scheint die zweite Hypothese den Tatsadien näherzukommen als die erste.

Gegen Ende des Jahres 1971 waren die sowjetischen Behörden offenbar zu dem Schluß gekommen, daß ihnen die Situation entglitt und daß der „Demokratischen Bewegung" eine entscheidende Niederlage zugefügt werden müsse. Nach Informationen, die später den Westen erreichten, hatte das Politbüro selbst beschlossen, die Chronik zu liquidieren, und das KGB in diesem Sinn instruiert.

Aber das KGB ist heute nicht mehr das, was es zu Stalins Zeiten war. Obgleich manche seiner heutigen Methoden denen, die in der Vergangenheit angewandt wurden, durchaus ähnlich sind, so sind es doch nicht jene des Terrors und der Brutalität, sondern eher eine subtilere Mischung aus Drohungen, Einschüchterung, Versprechen — und Zwang. In der Angelegenheit, die als „Fall Nr. 24“ bekannt wurde, regte sich das KGB zunächst relativ langsam. Eine Anzahl von Verhaftungen fanden in der Ukraine statt, wo nationale Widerspenstigkeit in Intellektuellenkreisen kürzlich besonders stark zugenommen hatte. In Moskau und Leningrad wurden prominente Dissidenten „eingeladen“, in der Zentrale der Sicherheitspolizei zwecks Vernehmung zu erscheinen. Wohnungen wurden durchsucht, und „inkriminierendes“ Samisdat-Material (darunter solches völlig harmloser Natur) wurde konfisziert. Dem folgten Verhaftungen, die am 21. Juni 1972 mit der Festnahme von Pjotr Jakir ihren Höhepunkt erreichten. Für die Gemeinschaft der Dissidenten war dieser letzte Schritt in der Tat das Zeichen an der Wand.

Pjotr Jakir ist der Sohn eines hochdekorierten Bürgerkriegshelden, der zusammen mit anderen hohen Offizieren im Juni 1937 auf Grund willkürlicher Spionagebeschuldigungen erschossen wurde. Kurz darauf wurde Pjotr selbst, damals 14 Jahre alt, von der Polizei festgenommen und verbrachte 15 Jahre seines Lebens in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern. Sein Vater wurde, ebenso wie die anderen Offiziere, in den fünfziger Jahren „rehabilitiert"; Pjotr wurde unter Chruschtschows persönliche Obhut genommen und erhielt die Erlaubnis, über die Geschichte seines Vaters Vorlesungen abzuhalten und zu schreiben — dies geschah während des Höhepunktes des „Entstalinisierungs-Kurses". Mit Chruschtschows Absetzung im Oktober 1964 kam auch die „Entstalinisierung" zum Stillstand und Pjotr Jakir, der durch Vorgänge alarmiert war, die nach seiner Auffassung nicht nur erneutes Schweigen über den Stalinismus, sondern sogar dessen Wiederbelebung bedeuteten, beteiligte sich zunehmend — und öffentlich — an der Protestbewegung. In den Jahren 1968 und 1969 trat er als einer ihrer aktivsten Führer, als Autor und Mitunterzeichner zahlreicher „offener Briefe" und Petitionen in Erscheinung. Das KGB wußte natürlich von seinen Aktivitäten (er machte keine Anstrengungen, sie zu verbergen), aber man nahm allgemein an, daß Jakir in Ruhe gelassen würde, weil seine Verhaftung — nach den Worten eines seiner engen Freunde, der jetzt im Westen ist — nur als „endgültiges Anzeichen für die tatsächliche Restauration des Stalinismus in unserem Land" interpretiert werden konnte.

Jakirs Verhaftung im Juni 1972 hatte daher eine niederschmetternde Wirkung in sowjetischen Dissidentenkreisen. Die Stimmung der Verzagtheit und der Hoffnungslosigkeit wuchs, als man nach einigen Monaten hörte, Jakir habe sich entschieden, mit seinen Kerkermeistern zu kooperieren, sein ganzes Wissen zu offenbaren und (wie sich schließlich erwies) mehr als hundert Freunde und Gefährten mit hineinzuziehen. (Jakirs Neigung zum Alkohol war bekannt und es besteht zu Recht die Annahme, daß es diese besondere Schwäche war, die das KGB benutzte, um ihn zu brechen.)

Weitere Verhaftungen und Verhöre folgten und im September 1972 wurde Viktor Krassin, ein anderer prominenter Bürgerrechtler mit einem eindrucksvollen „Vorleben“ an Protesten und Gefängnisaufenthalten, inhaftiert. Wie man bald erfuhr, wurde auch er „überredet", mit den Behörden zu kooperieren. Nach einer Weile wurde deutlich, daß das KGB Krassin und Jakir für einen sorgfältig vorbereiteten „Schauprozeß“ präparierte, der eine Warnung an ihre Freunde sein sollte, von allen weiteren Aktivitäten gegen das Regime abzulassen. Während das KGB hier seine Zähne zeigte — und auch sein Vertrauen auf die verrufensten stalinisüschen Methoden —, bediente es sich auch einer neuen und bemerkenswert raffinierten Strategie, indem es verschiedenen bekannten Oppositionellen gestattete und sie sogar aufforderte, das Land als Teil des „Jüdischen Exodus', der zu der Zeit an Gewicht zunahm, nach Israel zu verlassen (was einer Vertreibung gleichkam). Manche der Dissidenten, die seit 1972 das Land verließen, waren in der Tat Juden, Halbjuden oder mit einem Juden verheiratet, andere aber hatten — was die Behörden natürlich wußten — keine Beziehungen zu der jüdischen Bewegung.

Die Nummer 27 der Chronik erschien im Oktober 1972. Da seit 18 Monaten keine weiteren Nummern herauskamen, schien es offensichtlich zu sein, daß die Zeitschrift nicht mehr erscheinen würde — wenigstens nicht unter dem (unbekannten) Schutz, unter dem sie regelmäßig seit April 1968 erschienen war. Der Beginn des Jahres 1973 setzte die „Demokratische Bewegung" (wenn auch nicht notwendigerweise alle anderen Dissidenten-gruppen) in einen Zustand der Verwirrung. „Moskau war", wie ein kürzlich in den Westen gekommener junger Russe dem Verfasser sagte, „der Schauplatz von herzzerreißenden Szenen: Dutzende von Dissidenten kamen aus Lagern, Gefängnissen und aus dem Exil zurück, wohin man sie in den Jahren 1968'69 — oder früher — verbannt hatte; sie begegneten ihren früheren Freunden, die nun von nichts anderem mehr sprachen als vom Verlassen des Landes." Im März 1973 erhielt das Akademiemitglied Sacharow einen von Jakir im Gefängnis geschriebenen Brief, in dem dieser zugab, in „antisowjetische Aktivitäten’ verwickelt gewesen zu sein, und den Wissenschaftler beschwor, „(ihn) richtig zu verstehen“ und ähnliche „Fehler und Verblendungen" zu meiden. Ende August 1973 wurden Jakir und Krassin vor Gericht gestellt. Ausländischen Pressekorrespondenten wurde der Zutritt verwehrt, aber sie hätten ebensogut zugegen sein können: beide Angeklagten gaben ihre „Schuld" in vollem Umfang zu (und zwar „antisowjetisches Material" in den We-sten geleitet und mit dem NTS kollaboriert zu haben, einer konservativen russischen Emigrantenorganisation mit dem Hauptsitz in der Bundesrepublik Deutschland, die jahrelang zahlreiche Samisdat-Dokumente publizierte, darunter auf russisch alle Nummern der

Chronik der laufenden Ereignisse). Auf einer

makabren „Pressekonferenz", die ein paar Tage später inszeniert wurde, wiederholten Krassin und Jakir ihre Geständnisse und nannten einige westliche Pressekorrespondenten als ihre Kontaktleute. Die Tragikomödie wurde bis zum Ende durchgespielt.

Nach dem Prozeß enthüllte Shores Medwedew, der sich damals schon im Exil in London befand, daß seine Dissidentenfreunde schon um 1970 entschieden hätten, Jakir könne man nicht mehr vertrauen. In dem langen Essay „Das Problem der Demokratisierung und das Problem der Entspannung“, das im Oktober im Samisdat zirkulierte beschuldigte Roj Medwedew Jakir und Krassin ausdrücklich der „provokatorischen Tätigkeit". Was immer der Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen sein mag, klar ist, daß das KGB seine Mission weithin mit Erfolg durchgeführt hatte und daß die kleine Gruppe der Bürgerrechtler, die in der Avantgarde der Dissidentenbewegung in den Jahren 1968— 1969 gestanden hatte, dezimiert worden war.

IV.

Wenn sich das Politbüro und die Sicherheitspolizei auch zu der gut geleisteten Arbeit beglückwünschen konnten, so unterlief ihnen doch eine Fehlkalkulation, wenn sie glaubten, daß der „Fall No. 24" den noch verbliebenen politischen Widerstand in ihrem Land ausgerottet hätte. Denn als die Verfolgung der Dissidenten verstärkt wurde, traten zwei Männer auf, die die Behörden in weitaus radikalerer und unversöhnlicherer Weise herausforderten, als das zuvor der Fall war. Wichtiger noch, die Fragen, die sie aufwarfen — und die lebhafte Debatte, die daraufhin einsetzte — berührten nicht mehr die nur für die Sowjetbürger relevanten Probleme, sondern bezogen das Verhalten des Westens gegenüber der UdSSR und damit manche sehr konkrete politische Fragen an westliche Regierungen mit ein, in erster Linie an die Vereinigten Staaten gerichtet. Während die sowjetischen Dissidenten in den Jahren 1969-1972 vor allem daran interessiert waren, glasnost im Ausland als ein Mittel zur Sicherung gegen Repressionen von Seiten der Regierung und als eine Quelle moralischer und politischer Unterstützung zu erlangen, wurde der Westen nun in einen Dialog hineingezogen, dessen Prämissen und Umfang von den einheimischen Kritikern des Sowjetregimes festgesetzt wurden. Die Themen waren: Ost-West-Beziehungen, das Jackson-Amendment, Entspannung sowie die Zukunft Rußlands; die beiden Männer waren Andrej Sacharow und Alexander Solschenizyn.

Sacharow hatte sich lange eingehend mit den Ost-West-Beziehungen befaßt, wie seine drei berühmten Memoranden zeigen, die 1968, 1970 und 1971 publiziert wurden. Doch während Sacharow in der Vergangenheit geglaubt zu haben scheint, daß seine Bemühung, die Sowjetführer (an die die Memoranden gerichtet waren) „rational anzusprechen", einen nützlichen Dialog zwischen dem Regime und seiner „loyalen Opposition" hervorbringen könne, und während er in der Vergangenheit dem Glauben an einen Sozialismus anhing, der schrittweise reformiert würde durch eine allmähliche „Konvergenz vom kapitalistischen und sozialistischen System, begleitet von einer Entmilitarisierung, einer Verstärkung des sozialen Schutzes und der Rechte des arbeitenden Volkes sowie der Schaffung einer Wirtschaft gemischten Typs” so hat er um 1973 deutlich seine Einstellung geändert. Infolge der massiven Anti-Dissidenten-Kampagne und dem Fehlschlägen seiner Bemühungen kam Sacharow zu zwei folgenschweren Schlüssen: erstens, daß das Sowjet-system keinerlei Ähnlichkeit zu dem habe, wovon er früher geglaubt hatte, daß es unabdingbare Charakterzüge einer sozialistischen Gesellschaft seien; zweitens, daß die notwendigen grundlegenden Reformen im sowjetischen Leben nur als Ergebnis einer entsprechenden Politik des Westens eintreten würden. Am 2. Juli 1973 wurde vom Schwedischen Rundfunk und Fernsehen ein Interview mit Sacharow ausgestrahlt, in dem er seiner tiefen Desillusionierung über das Sowjetsystem Ausdruck gab: „... unser Sozialismus ist einfach die Extremform jenes kapitalistischen Entwicklungsweges, wie er z. B. in den USA und in anderen westlichen Ländern vorhanden ist. Der Unterschied besteht allein in der extremen Monopolisierung. Wenn das so ist, so dürfen wir uns nicht wundern, daß bei uns die gleichen Probleme wie bei Ihnen auftreten. Das gleiche Problem der Kriminalität, das gleiche Problem der Entfremdung der Persönlichkeit wie in der kapitalistischen Welt. Nur ist unsere Gesellschaft ein Extremfall. Sie ist extrem unfrei, extrem gefesselt durch die Ideologie und außerdem — und das ist wohl das bezeichnendste — die prätentiöseste, d. h. sie erhebt den Anspruch, viel besser als die anderen zu sein.“

Das Interview rief, wie vorauszusehen war, einen wütenden Sturm von Attacken und Verleumdungen in den sowjetischen Medien hervor. Sacharow wurde beschuldigt, „vor dem kapitalistischen System zu kriechen” und — was Unheil ankündete — „die Sowjet-Union zu verleumden". Einige Wochen später wurde er zu einer Unterredung mit dem ersten stellvertretenden Staatsanwalt der UdSSR, Michail Maljarow, geladen, der Sacharow ermahnte, sich jeder weiteren „antisowjetischen Tätigkeit“ zu enthalten. Anstatt Maljarows Rat zu beachten, lud Sacharow eine Woche danach zehn westliche Presse-korrespondenten zu sich ein, übergab ihnen den Text seiner Unterredung mit dem sowjetischen Beamten und beantwortete Fragen zu einem weiten Kreis von Problemen. In diesem Interview formulierte Sacharow prägnant seine Ansichten zur Entspannung: „Wir sehen uns ganz konkreten Problemen gegenüber, nämlich, ob es während des Annäherungsprozesses eine Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft geben wird oder nicht ... Entspannung ohne Demokratisierung, eine Annäherung, bei der der Westen unsere Spielregeln akzeptiert ... würde sehr gefährlich sein und keines der Weltprobleme lösen ... Niemand sollte davon träumen, solch einen Nadibarn zu haben, insbesondere, wenn dieser Nachbar bis an die Zähne bewaffnet ist.“

Diese Ansichten führten Sacharow folgerichtig zu einer expliziten Unterstützung des Jackson Amendments, das jeder „nichtmarktwirtschaftlichen“ Nation, die ihren Bürgern das Emigrationsrecht verweigert, langfristige Kredite und den Meistbegünstigungs-Status vorenthalten soll. In diesem Sinne appellierte Sacharow in einem vom 14. September 1973 datierten „Offenen Brief an den Kongreß der Vereinigten Staaten" nachdrücklich, „das Jackson Amendment zu unterstützen, das nach meiner Ansicht und nach der Ansicht seiner Förderer einen Versuch darstellt, das Emigrationsrecht von Bürgern in denjenigen Ländern zu schützen, die in neue und freundschaftliche Beziehungen zu den Vereinigten Staaten eintreten.“

Das Jackson Amendment zielt natürlich in erster Linie und vor allen Dingen auf die So-wjetunion und betrifft, wenigstens im Augenblick, mehr die Juden als jede andere ethnische Gruppe in der UdSSR. Selbst wenn man einräumt, daß Sacharow fest der Idee verpflichtet ist, daß der Westen, wenn er engere kooperative Verbindungen mit der Sowjetunion herstellt, für ökonomische und technologische Hilfe gleichermaßen aus Prinzip wie aus praktischen Gründen gewisse Konzessionen von der UdSSR verlangen muß, so mag es doch verwunderlich sein, warum er die Frage der Emigration vor allen anderen auswählte.

Schon in seinem Brief an den Kongreß wie auch in einer Reihe anderer Stellungnahmen, die Sacharow im Laufe des letzten Jahres abgegeben hat, hat er seine Beweggründe klar dargestellt: Erstens, das Jackson Amendment dient als Symbol für die Art von Politik, von der Sacharow glaubt, daß der Westen sie in seinen Beziehungen mit der Sowjetunion befolgen müsse. Zweitens, Emigration ist ein universales Menschenrecht, das in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der UNO enthalten ist, die Moskau gutgeheißen hat. Drittens — so sein Brief an den US-Kongreß — . die Preisgabe einer Politik der Prinzipien wäre ein Verrat an Tausenden von Juden und Nichtjuden, die emigrieren wollen, an Hunderten derer, die in Lagern und Nervenheilanstalten sitzen, an den Opfern der Berliner Mauer.“ Viertens würde das uneingeschränkte Emigrationsrecht die Sowjetunion vielleicht zwingen, Maßnahmen zu ergreifen, die den Wunsch von Sowjetbürgern, das Land zu verlassen, überflüssig machen könnten, das heißt, das System in Richtung auf größere Freiheit und materiellen Wohlstand zu verändern. Wenn es dem Westen nicht gelingt, der Sowjetunion gegenüber diese Forderung zu stellen, würde dies sogar . zu schärferen Repressionen aus ideologischen Gründen füh-ren", zu katastrophalen Konsequenzen für •das internationale Vertrauen, die Entspannung und die gesamte Zukunft der Menschheit“. Während Sacharow diese Stellungnahmen abgab — inmitten einer hysterischen Kampagne in der Sowjetpresse („spontane" Protestversammlungen von „empörten“ sowjetischen Arbeitern etc.), entschloß sich auch Alexander Solschenizyn, seine Meinung zu sagen.

Mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, wie z. B. einer scharfen Stellungnahme über die Verwendung von psychiatrischen Kliniken, die er — mutatis mutandis — mit der Vernichtungspolitik in Nazi-Deutschland verglich, hatte sich Solschenizyn, anders als Sacharow, bis dahin nur auf eine nachdrückliche Verteidigung der Rede-und Glaubensfreiheit in der UdSSR beschränkt. Am 28. August, eine Woche nach Sacharows erster Pressekonferenz, lud Solschenizyn zwei westliche Korrespondenten zu einer eigenen Pressekonferenz ein. Vieles von dem, was er sagte war eine Wiederholung seiner früheren Erklärungen, insbesondere was die Verleumdungskampagne betraf, die die sowjetische Presse seit einigen Jahren gegen ihn führte. Doch identifizierte er sich zum ersten Mal nachdrücklich mit anderen sowjetischen Dissidenten, wobei er zahlreiche Einzelpersonen wie den General Grigorenko und Wladimir Bukowskij hervorhob, deren „unbezwinglichen" Mut und unmenschliches Leiden er bewunderte. Dabei geißelte er auch den Westen, weil dieser es unterlassen habe, das Möglichste zu tun, um ihre Freilassung zu erreichen. Während er mit Sacharow hinsichtlich der Notwendigkeit eines politischen Druckes der gleichen Meinung war, stimmte er dem Physiker implizit nicht zu, wenn dieser forderte, daß der Westen Kompromißlösungen mit dem Sowjetregime über alle Gegenstände von irgendwelcher prinzipieller Bedeutung ablehnen solle — eine Haltung, die in der Tat für eine tatsächliche Entspannung wenig Aussicht bieten würde. Zwei Wochen danach richtete Solschenizyn einen langen Brief an das Nobelpreiskomitee in Oslo, in dem er Andrej Sacharow für den Friedensnobelpreis vorschlug'. Er bekräftigte erneut seine Unterstützung der sowjetischen Dissidenten, vermied aber die von Andrej Sacharow angeschnittenen praktischen Fragen der Ost-West-Beziehungen. Er nahm (ironisch) Bezug auf die Entspannung: sie sei „vom Geist von München, dem Geist der Zugeständnisse und Kompromisse" beherrscht, und appellierte an die Weltöffentlichkeit, auf Gewalt — sei es im Innern oder nach außen, in den Beziehungen zwischen den Staaten und zwischen den Regierungen und ihren Völkern — zu verzichten; dies sei das einzige Mittel, einen dauerhaften Frieden zu sichern.

Die praktischen Vorschläge, die Sacharow vorgebracht hatte, wurden von Roj Medwedew in dem oben genannten Essay über Entspannung und Demokratisierung aufgegriffen. Medwedew stimmte jedoch mit seinem Freund und Kollegen hinsichtlich dessen Forderung nach einem Druck von außen als dem einzigen Mittel, eine Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft durchzusetzen, nicht überein. Er schrieb: „Es wäre eine starke Vereinfachung, anzunehmen, man könne nur mit Hilfe eines Druckes von außen und besonders durch einen Druck über die zwischenstaatlichen Beziehungen oder über den Handel irgendwelche wesentlichen Konzessionen von einem Land wie der Sowjetunion hinsichtlich seiner Innenpolitik erzielen. Druck von außen kann eine positive wie auch eine negative Rolle spielen, er kann unsere Machtorgane im einen Fall von diesen oder jenen Handlungen abhalten, aber in anderen Fällen umgekehrt gerade diese oder jene unerwünschte Handlungen provozieren und auf diese Weise den Demokratisierungsprozeß der sowjetischen Gesellschaft nur noch erschweren."

Eine Unterstützung des Jackson Amendment, so glaubte Medwedew, gehöre in diese letzte Kategorie. Als treuer „Marxist-Leninist" argumentierte er darüber hinaus, daß Hilfeappelle nicht an Gruppen oder Regierungen gerichtet werden sollten, die den Druck für ihre eigenen Ziele (etwa wirtschaftliche Gewinne) einsetzen, die aber nicht im geringsten an dem inneren Demokratisierungsprozeß interessiert vielmehr in Wirklichkeit gegen jede Art von Sozialismus eingestellt sind, sondern sie seien an diejenigen linken Gruppierungen zu richten, „die an der Errichtung einer echten sozialistischen Demokratie bei uns interessiert sind." Vertrauen auf spezifisch antisowjetische Organisationen würde nur Wasser auf die KGB-Mühlen sein — ein Gedanke, der auch von Rojs Bruder kurz danach in London vorgebracht wurde.

Welches auch immer die Fehler oder falschen Prognosen in Medwedews These sein mögen (z. B. kritisierte er Solschenizyn, dieser habe die Behandlung der Schwarzen in Südafrika mit der Behandlung der Dissidenten in der Sowjetunion verglichen — während Solschenizyn tatsächlich nur die mangelnde Reaktion der Weltöffentlichkeit im letzteren Fall im Vergleich zur Reaktion gegenüber Südafrika beklagt hatte) —, sein Essay war eine schlüssig begründete These, in der er die Punkte, in denen er mit Sacharows Standpunkt übereinstimmte und nicht übereinstimmte, zu formulieren versuchte. Doch die Resonanz in den sowjetischen Dissidentenkreisen war derart, daß sich Medwedew sofort von vielen seiner Kollegen attackiert sah. Manche von ihnen erhoben fast absurde Beschuldigungen gegen ihn (z. B., er habe seine „Hände gegen zwei grenzenlos mutige Männer unserer Zeit, gegen den moralischen Stolz Rußlands, gegen das Akademiemitglied Sacharow und gegen Alexander Solschenizyn erhoben")

Diese Kritik veranlaßte Medwedew, einen weiteren Essay über dieses Thema im April 1974 zu publizieren („Noch einmal zu Demokratisierung und Entspannung"), in dem er auf einige kritische Stellungnahmen antwortete und sich bemühte, so bündig wie möglich die Beziehung zwischen Druck von außen (an dessen Möglichkeit er durchaus glaubt) und den Veränderungen, die nur von innen heraus kommen können, zu formulieren, wie auch die Aussichten für Änderungen, die „von oben'veranlaßt werden (in seinem ersten Essay betrachtete er diese noch als die einzige Möglichkeit, tiefgreifende Reformen zu bewirken) und schließlich solchen, die „von unten" in Gang gesetzt werden können.

Im März dieses Jahres publizierte Solschenizyn, der sich schon im Ausland befand, seinen „Brief an die Führer der Sowjetunion“, der einen weiteren Wirbel von Kritik und Gegenkritik auslöste. Ohne den Versuch zu machen, Solschenizyn oder seinen Kritikern — in erster Linie Sacharow (ein Thema, das der Verfasser an anderem Ort extensiv behandelt hat) — volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, soll hier nur so viel gesagt werden, daß Solschenizyn in einer Weise, die eigenartig an die Idee der Slawophilen des frühen 19. Jahrhunderts erinnert, im wesentlichen vorschlug, Rußland solle seine Energien nach innen wenden, sich vom Marxismus-Leninismus lossagen, den er für alle Übel, die der sowjetischen Gesellschaft zugestoßen sind, verantwortlich machte. Es solle auch auf ein unbeschränktes technisches und wirtschaftliches Wachstum verzichten, das nicht nur „unnötig, sondern verderblich" sei. In seiner Erwiderung bekräftigte Sacharow seinen Glauben an die internationale Kooperation, Technologie und Entspannung als die einzigen Garantien für Demokratie und Fortschritt und wies Solschenizyns Ansichten über die Ideologie als zu „schematisch“ und ihrer tatsächlichen Rolle in der Sowjetunion nicht gerecht werdend zurück (d. h. als einer „bequemen Fassade" und Rechtfertigung für die Machtbehauptung der Partei). Er kritisierte die „Denkungsart“ seines Freundes als eine Art von „religiös-patriarchalischer Romantik".

Zugleich begrüßte Sacharow den „Brief" als einen wichtigen Beitrag zu der Diskussion über die wichtigen Fragen, die die Zukunft Rußlands und des Westens betreffen und würdigte den Schriftsteller als einen „Riesen im Kampf für die Würde des Menschen in unserer tragischen gegenwärtigen Welt“. Auch Roj Medwedew reagierte auf Solschenizyns Brief und kritisierte ihn, wenn auch bei weitem weniger intensiv, mit ähnlichen Formulierungen wie Sacharow. Mittlerweile hatte Sacharow auch eine Erwiderung an die beiden Brüder Medwedew veröffentlicht, während andere Samisdat-Autoren in der Sowjetunion verschiedene Stellungnahmen publizierten, die sich an alle vier — an die Brüder Medwedew, Solschenizyn und Sacharow, richteten. Und so dauert die Debatte an.

V.

Welche Schlußfolgerungen können auf dem Hintergrund der skizzierten Kontroversen hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünfti-gen Entwicklung der intellektuellen Opposition in der UdSSR und auch im Hinblick auf mögliche Konsequenzen für den Westen gezogen werden?

Die wichtigste Schlußfolgerung ist vielleicht nur die, daß endgültige Aussagen über die mögliche Zukunft einer politischen Opposition — und öffentlichen Meinung — in der Sowjetunion viel zu voreilig wären. Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß der vom KGB gegen die Dissidenten verfolgte Kurs einige Ergebnisse erbracht hat. Die kleine Gruppe von unerschrockenen Männern und Frauen, die den Kampf um die Menschenrech-te in den Jahren 1967— 1969 angeführt hatten, ist gebrochen worden, und zwar sowohl durch verschiedene repressive Maßnahmen wie durch die Tatsache, daß vielen von ihnen gestattet wurde, ihr Land zu verlassen. Falls die sowjetischen Behörden Erfolg haben sollten, alle jetzigen und potentiellen . Unruhestifter“ auszuweisen, so könnte das Land schließlich „Juden“ — wie auch „Intelligenzija-rein" werden; es hängt nur ab von skrupellosen Karrieremachern, reaktionären Pseudointellektuellen und einer eingeschüchterten und entmutigten Bevölkerung.

Diese Gefahr scheint jedoch wohl kaum zu bestehen. Die Beseitigung des offenen Terrors — die zur Folge hat, daß die Strafen für den politischen Nonkonformismus zwar immer noch abschreckend, aber doch nicht mehr so grausam sind wie zu Stalins Zeiten — sowie die Tatsache, daß die Unzufriedenheit der Bevölkerung, wenn auch nicht offen, so doch tief und nachhaltig ist, ermuntert das Anwachsen unorthodoxer Ideen und könnte durchaus zu organisierten Formen der Opposition gegen das Regime führen. Auch die Entspannung ermutigt trotz all ihrer Irrtümer und Mängel den Dissens (obwohl es im Interesse der sowjetischen Führer liegt, die Dissidenten während der Verbesserung der Beziehungen zum Westen zu unterdrücken), schon allein deshalb, weil Entspannung ohne die Meinung der Weltöffentlichkeit unmöglich ist; und die Meinung der Weltöffentlichkeit ist sicherlich auf der Seite der KGB-Opfer und nicht umgekehrt.

Allein die Existenz der oben beschriebenen Debatten zeigt, daß der Geist des freien Denkens in Rußland nicht ausgelöscht worden ist — eine Schlußfolgerung, die auch durch das kürzliche Wiedererscheinen der Chronik der laufenden Ereignisse bestätigt wird. In Zukunft wird die Suche nach Lösungen für Rußlands Probleme nicht allein innerhalb der Grenzen der Sowjetunion stattfinden, sondern zusammen mit westlichen Denkern und der ständig anwachsenden Gemeinschaft der Russen im Exil. Die sowjetischen Behörden rechnen andererseits damit, daß diejenigen Dissidenten allmählich das Interesse der Öffentlichkeit verlieren werden, die, solange sie noch in der UdSSR waren, als Märtyrer galten und dann nach ihrer Ankunft im Westen Objekte für Sensationsmeldungen waren. Zweifellos werden die Behörden bis zu einem gewissen Grad Recht behalten. Doch Solschenizyn, Medwedew, Tschalidse, Litwinow und all die anderen werden wahrscheinlich weiterhin beträchtlichen Einfluß auf ihre Kollegen in der Sowjetunion ausüben. Ihre Ideen (durch den Rundfunk und einen sich möglicherweise ausweitenden Tourismus) können durchaus die Sammlung neuer Kräfte bewirken — ebenso mutige und vielleicht sogar noch resolutere als die, die in der Vergangenheit ihre Stimme erhoben und nach ihren Überzeugungen gehandelt haben.

Es wäre vermessen, die Art dieses zukünftigen Gedankenaustauschs oder seine Ergebnisse vorherzusagen, aber vielleicht sollten doch ein paar Gedanken darüber vorgebracht werden: 1. Innerhalb der „Demokratischen Bewegung’ wird es sicherlich unterschiedliche Meinungen über Probleme der Strategie und Taktik geben, aber sie werden wohl nicht zu festen Fronten zwischen den verschiedenen Protagonisten führen. In diesem Zusammenhang soll-'te folgendes betont werden: Obwohl die Differenzen zwischen den Anschauungen von Männern wie Sacharow, Solschenizyn und den Brüdern Medwedew recht erheblich sind, sind sie doch nicht so tiefgehend, wie oft angenommen wird. Medwedew mag sich fest an seinen Glauben an den Marxismus klammern, doch in seinem Buch über die sozialistische Demokratie (das demnächst in englischer Sprache erscheint), entlarvt er in scharfer Form die totalitäre Natur der sowjetischen Gesellschaft seine praktischen Vorschläge gipfeln in einer Forderung nach einem Vielparteien-System in der UdSSR. Solschenizyn idealisiert das alte Rußland (kaum ein Modell des Fortschritts und der Demokratie), doch seine kompromißlose Forderung nach intellektueller Freiheit stellt eine machtvolle Anklage gegen das Sowjetsystem dar. Andererseits sind diese Män-

ner _ was immer ihre Differenzen sein möggen — dann solidarisch, wenn einer von ihnen vom Regime angegriffen wird.

2. Insgesamt scheinen sich die Ansichten der . Demokraten" zunehmend zu radikalisieren, wenn auch ihre Zahl abnimmt oder konstant bleibt. Die Beispiele Sacharow und Solschenizyn sind instruktiv. Sacharow hat sich in den letzten Jahren von einem zurückhaltenden zu einem unnachsichtigen Kritiker des Regimes gewandelt und auch Solschenizyn steigerte seine Forderungen und solidarisierte sich offen mit den Dissidenten — was zu tun er früher zurückgewiesen hatte. Auch stand in seinen früheren Werken (z. B. „Im ersten Kreis“

und . Krebsstation") das stalinistische Ruß-land im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Doch in seinem aufsehenerregenden Bericht „Archipel Gulag“, der Ende 1973 erschien, schreibt er die ideologischen und tatsächlichen Ursprünge des sowjetischen Terrors dem bislang sakrosankten Lenin zu. Die Tendenz, den Stalinismus nicht als eine Verirrung, sondern als integrierenden Bestandteil des von den Bolschewiki geformten Systems zu betrachten, war schon in den Schriften anderer Sa-

misdat-Autoren aufgetaucht. In dem Maß, wie dieser Trend anhält, wird auch der Glaube anhalten, daß das Sowjetsystem weder durch Teilreformen noch durch die strikte Beachtung der „Sozialistischen Gesetzlichkeit" geändert werden könne, sondern allein durch eine völlige Ablehnung der ideologischen, ökonomischen und politischen Grundlagen, auf denen es beruht.

3. Von der sich vertiefenden politischen Debatte unter den Dissidenten kann erwartet werden, daß sie sich auch Fragen zuwenden wird, die über die ursprünglichen Anliegen der Intelligenzija hinausgehen. Bisher haben die Dissidenten ihre Appelle nicht an die breite Bevölkerung gerichtet und ihre Kritik wenig den allgemeinen Problemen zugewandt, wie etwa der sozialen Ungleichheit, der Ausbeutung der Bauern, den wirtschaftlichen Entbehrungen, den Wohnbedingungen etc. Aber es gibt Anzeichen für ein wachsendes Bewußtsein dessen, daß die Dissens-Bewegung, wenn sie größere Ausmaße annehmen soll, sich auch diesen Fragen widmen muß.

4. Schließlich dürfte sich die Fortdauer der innenpolitischen Unzufriedenheit als fruchtbarer Boden für die Ausbreitung von politischem Dissens überhaupt erweisen. Wie schon erwähnt, haben die Animositäten verschiedener ethnischer Gruppen den „Demokraten" eine zumindest potentielle Basis für Massenunterstützung geliefert. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die nationalen Gefühle im Abnehmen sind, ganz im Gegenteil, sie wachsen an. Bei ihrer Suche nach einer gangbaren Strategie und Taktik können die politischen Dissidenten durchaus den Weg wählen, ihre Forderungen mit denen der demokratischen Nationalisten, etwa die der baltischen Länder, der Ukraine oder sogar Zentralasiens, zu verknüpfen und auch engere organisatorische Kontakte aufzunehmen.

All dies ist natürlich Spekulation, und es wäre schiere Torheit, sich über die Trends innerhalb der Dissidentenkreise mit Bestimmtheit zu äußern, und noch mehr, die Fähigkeit der sowjetischen Behörden zu ignorieren, sich mit ihnen zu messen, wenn sie je ernsthafte Ausmaße erreichen. Doch vorläufig sieht es noch immer so aus, als ob die politische Gärung und die Debatten andauern würden, und daß nichts außer einem vollständigen Zusammenbruch in den Ost-West-Beziehungen sie beenden und so das Rad der Geschichte zurückdrehen könnten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. General Grigorenko z. B. blieb trotz zahlreich« Bemühungen, seinen Gesundheitszustand als völlig normal nachzuweisen— darunter mit Hilfe eines Gutachtens sowjetischer Ärzte —, seit 1969 in einer psychiatrischen Klinik eingesperrt. (Er wurde erst im Juni 1974 freigelassen — eine liberale Geste im Zusammenhang mit dem Nixon-Besuch in Moskau. Anm. d. übers.)

  2. Erschien auch in „Die Zeit" und, allerdings sinn-entstellend gekürzt, in der New York Times.

  3. Index (London), Winter 1973, S. 30.

  4. Engi. Ubers. ebd, S. 13. Hier übersetzt nach dem russischen Originaltext in: A. Sacharov, V bor’be za mir. Frankfurt 1973, S. 113. (Deutsch in: A. Sacharow, Stellungnahme. Wien 1974, S. 44— 45).

  5. Ebd., S. 28. Text auch in A. Sacharow, Stellungnahme, S. 172— 173.

  6. Engi. Texte s. Index, a. a. O., S. 31— 45.

  7. Bukowskij wurde 1972 für seine fortgesetzten Aktivitäten, vor allem, weil er dem Westen zahlreiche Informationen über die Verwendung der Psychiatrie für politische Zwecke zugänglich gemacht hatte, zu insgesamt 12 Jahren Gefängnis, Lager und Verbannung verurteilt.

  8. Brief des Schriftstellers V. Maximow, in: A Chronicle of Human Rights in The U. S. S. R. (Ne* York), No 5— 6, S. 8. Maximow ist ein begabter Prosaiker, der vor kurzem die Sowjetunion verlassen durfte.

  9. In: The New Leader, 27. Mai 1974.

Weitere Inhalte

Abraham Brumberg ist Mitarbeiter bei der United States Information Agency und hat über längere Zeit die Schriftenreihe „Problems of Communism“ herausgegeben. Veröffentlichungen (als Herausgeber): „Russia under Khrushchev“ und „In Quest of Justice — Protest and Dissent in the Soviet Union Today“.