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Ghana -seine Vorgeschichte und Geschichte | APuZ 3/1969 | bpb.de

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APuZ 3/1969 Ghana -seine Vorgeschichte und Geschichte

Ghana -seine Vorgeschichte und Geschichte

Imanuel Geiss

Nach dem Sturz Nkrumahs im Februar 1966 lenkte der Besuch des Vizekanzlers und Bundesaußenministers Willy Brandt in Ghana Anfang April 1968 die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit wiederum auf dieses westafrikanische Land. Da die moderne Geschichtsschreibung über Afrika in der Bundesrepublik erst in den Anfängen steckt, ist es verständlich, daß weite Kreise bei uns kaum mehr wissen, als was ihnen Zeitungsberichte über dramatische Ereignisse in Ghana berichten. Und doch lohnt sich die Kenntnis der ghanaischen Geschichte, weil manche der jüngsten Ereignisse sonst unverständlich bleiben. So stehen hinter dem Sturz Nkrumahs 300 Jahre Vergangenheit. Außerdem ist die Geschichte Ghanas besonders reich im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Staaten und auch schon relativ gut bekannt. Schließlich ist sie besonders reizvoll, da Ghana — bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1957 als „Goldküste" britische Kolonie — auf einen besonders langen und relativ intensiven Kontakt mit Europa zurückblicken kann und daher in seiner sozialen und politischen Entwicklung stets gegenüber anderen Gebieten Afrikas vorn lag. Daher ist es bei Kenntnis der Geschichte auch nicht verwunderlich, daß Ghana der erste schwarzafrikanische Staat südlich der Sahara war, der 1957 die nationale Unabhängigkeit erhielt, und daß Ghana bis zum Sturz Nkrumahs im Prozeß der nationalen Emanzipation Afrikas und für den Panafrikanismus einer überragende Rolle spielte.

Die Goldküste bzw. Ghana stand bzw. steht seit langem in einem komplizierten Verhältnis der Rivalität und Kooperation zu dem weiter östlich liegenden Nigeria, das ebenfalls aus einer britischen Kolonie hervorging. Nachdem an dieser Stelle bereits eine einführende Skizze über die Geschichte Nigerias erschienen ist, soll nun ein paralleler Überblick über die Geschichte und Vorgeschichte Ghanas folgen, ebenfalls unter Verwertung der modernen Literatur, die vor allem auf Englisch in England, den USA und neuerdings auch in Ghana selbst erschienen ist.

„Goldküste" und „Ghana"

Anmerkung 6 Anmerkung 8 Errata Die Anmerkungen 2, 6 und 8 in dem Beitrag von Wolfgang Heidelmeyer, Die Menschenrechte — Idee, Gestalt und Wirklichkeit, B 49/68 vom 7. Dezember 1968, müssen richtig lauten: Anmerkung 2 Laotse, Tao Te King, deutsch v. F. Fiedler, hrsg. v. Gustav Wyneken, 1922. Montesquieu, Lettres Persanes, Pierre Grimal, Paris 1961, Brief CIV. Die Erklärung 4. unveränderte Jellinek, 1927. hrsg. v. der Menschenrechte, 1895, Auflage, hrsg. von Walter

Bis zum 6. März 1957, dem Tag der Unabhängigkeit, war Ghana unter dem Namen „Goldküste" bekannt, der noch aus der frühen Entdeckungszeit stammt. Seitdem haben manche Autoren, vor allem ghanaische, rückwirkend das Land auch für die Periode vor 1957 mit dem neuen Namen bezeichnet. Ein solches Verfahren erscheint zumindest problematisch, zumal wenn mit „Ghana" eindeutig nur die „Goldküste" im engsten Sinn (also die Küstengebiete bis zu etwa 100 km Tiefe) in einer Zeit gemeint ist, als es die spätere koloniale Administrationseinheit gleichen Namens noch gar nicht gab.

Der Name „Ghana" wurde von dem mittelalterlichen Reich Ghana im westlichen Sudan übernommen, um damit demonstrativ zu unterstreichen, daß die Kolonialzeit vorüber sei. Der Vorschlag stammt von J. B. Danquah, dem bedeutendsten Politiker der Goldküste in den dreißiger und vierziger Jahren. Danquah vermutete, gestützt auf ältere europäische Autoren, eine direkte Verknüpfung zwischen dem alten Ghana und dem Hauptvolk der Goldküste, den Akan, mit den beiden wichtigsten Zweigvölkern, den Ashanti und Fanti. Aber dieser Zusammenhang ist heute in der Forschung mehr als umstritten. Jedenfalls ist die lapidare Behauptung völlig falsch: „Die Ashanti stellen die Erben des alten und mächtigen Reiches von Ghana dar." Berechtigter als mit Argumenten einer zweifelhaften historischen Kontinuität zwischen dem alten und neuen Ghana ließe sich die Wahl des neuen Namens damit begründen, daß das alte Ghana das erste Mittelalterliche Reich in Westafrika war, und daß das neue Ghana der erste moderne unabhängige Nationalstaat Schwarz-afrikas südlich der Sahara ist (abgesehen vom Sudan, der nur als Nebenprodukt der ägyptischen Revolution von 1952/53 bereits 1955 unabhängig wurde). Aber diese Begründung erscheint, soweit ich sehen kann, nirgends in der

Literatur und wurde wohl auch von keinem ghanaischen Politiker gebraucht, obwohl sie die einzig historisch sinnvolle und berechtigte wäre.

Angesichts des etwas undifferenzierten und ideologisierten Gebrauchs von „Ghana" durch manche Autoren erscheint es nötig, sorgfältig zwischen „Ghana" und „Goldküste" zu unterscheiden, je nachdem, um welche Periode es sich handelt. Wenn ganz pauschal von der Geschichte des Landes die Rede ist, so erscheint „Ghana“ berechtigt. Ist eine bestimmte Epoche gemeint, so wird im Folgenden für die Zeit vor der nationalen Unabhängigkeit stets „Goldküste" gebraucht, für die Zeit nach der Unabhängigkeit „Ghana". Dabei ist zu beachten, daß die „Goldküste" allmählich immer mehr Gebiete umfaßte, bis zum heutigen Ghana. Ursprünglich war die „Goldküste" nur der Küstenstrich etwa zwischen dem heutigen Accra im Osten und Axim im Westen. 1901 kamen durch Annexion Ashanti und die nördlichen Territorien hinzu, nach dem Ersten Weltkrieg der westliche Teil von Togo als Völkerbundsmandat (nach dem Zweiten Weltkrieg als UN-Treuhandgebiet). In der Hauptsache spielte sich das bedeutsamste wirtschaftliche, soziale und politische Geschehen des Landes auch im 20. Jahrhundert überwiegend an der ursprünglichen „Goldküste" ab, so daß diese feinere Nuancierung weitgehend akademisch bleibt.

I. Die Prä-Kolonialzeit

Die Kolonialperiode der Goldküste beginnt strenggenommen erst 1874 mit der Annexion durch England. Davor liegt aber eine lange Übergangsperiode. Seit der ersten Entdeckung durch die Portugiesen im Jahr 1471 stieg der Einfluß der Europäer an der Küste und von der Küste aus ständig, bis eben 1874 England ihre Kolonialherrschaft errichten konnte. 1. Die Zeit vor Ankunft der Europäer Von der Geschichte vor Ankunft der Europäer an der Goldküste wissen wir noch wenig. Es handelt sich um graue Vorgeschichte, vergleichbar der Germanenzeit vor dem Kontakt mit den Römern. Hier interessieren nur die Ergebnisse der Völkerbewegung für die darauf folgende Periode. Seit dem 11. Jahrhundert kamen in Wellen die Akan-Völker aus der Savanne im Norden und drangen in den dichten Regenwald vor. Erst im späten 14. Jahrhundert erreichten die südlichsten Gruppen, die Fanti, die Küste, wo sie noch heute leben, mit Schwerpunkt im Westen des heutigen Ghana. Die Völkerbewegung — es handelte sich dabei natürlich um relativ kleine Gruppen — steht möglicherweise in Zusammenhang mit der Niederlage des alten Ghana und seiner Eroberung durch die Almoraviden aus Marokko ab 1076. Denkbar wäre, daß sich die Akan oder ihre direkten Vorfahren der Herrschaft der Mohammedaner durch Ausweichen nach Süden entzogen oder daß sie, außerhalb des Ghana-Reichs lebend, von anderen Stämmen, die gen Süden auswichen, in die Regen-B wälder gedrängt wurden. Aber darüber ist noch zu wenig gesichert, um selbst auch nur einen indirekten Zusammenhang der Akan mit dem alten Ghana zu konstruieren. Immerhin lohnt es sich festzuhalten, daß die Fanti bei Ankunft der Europäer Ende des 15. Jahrhunderts nicht viel länger als ein Jahrhundert an der Goldküste saßen. Die vorhandene Urbevölkerung verschwand. Sie wurde entweder getötet, vertrieben oder absorbiert, möglicherweise zunächst über den Weg der Sklaverei. Auch hier bietet sich zum besseren Verständnis der Vorgänge die Ausbreitung der Germanen in der Vor-Römerzeit als Parallele an.

Vom Osten her kamen die Ga, ein insgesamt hellhäutigeres Volk als die Akan mit stärker profilierten Gesichtszügen. Die Ga ließen sich in der Gegend um das heutige Accra nieder. Ihnen schlossen sich weiter östlich die Ewe an, das Hauptvolk an der Küste Togos. Nördlich von den Ashanti, die das Zentrum des modernen Ghana einnehmen, hatten sich mehrere kleinere Königreiche gebildet, die aber mit dem Beginn des organisierten Sklavenhandels im großen Stil etwa seit dem 18. Jahrhundert von den Ashanti zertrümmert oder erheblich geschwächt wurden.

Die Verteilung der Völker und Stämme Ghanas blieb im Prinzip seit der Ankunft der Europäer unverändert. Der einzige Versuch, die Situation grundlegend zu verändern, der wiederholt unternommene Vorstoß der Ashanti zur Küste zwischen 1803 und 1873, wurde im wesentlichen von der britischen Macht vereitelt und hatte schwerwiegende Konsequenzen, die noch bis heute nachwirken. 2. Die Ankunft der Europäer und die Anfänge des transatlantischen Sklavenhandels Der erste einwandfrei gesicherte Kontakt der Goldküste mit Europa, der dauerhafte Konsequenzen hatte, wurde 1471 durch die Portugiesen hergestellt. Auf der Suche nach dem legendären Goldland „Waranga", das die Quelle für den Goldhandel quer durch die Sahara über maurische Mittelsmänner nach Europa bildete, hatten die Portugiesen im Westen an der Küste des heutigen Ghana tatsächlich eine der (im übrigen nur zweitrangigen) Goldgruben gefunden, die den mittelalterlichen Goldhandel speisten. 1481 beschlossen sie, an dieser Stelle eine Festung zu erbauen, ein Plan, den sie im nächsten Jahr auch mit Hilfe von mitgebrachtem Baumaterial verwirklichten. Die Portugiesen nannten die Festung nach dem, was sie zu bewachen hatte, die „Goldgrube", EI Mina. Elmina blieb auch später die mächtigste Festung entlang der Goldküste, als andere Mächte mit Niederlassungen und Forts folgten.

Bald nach der Entdeckung Amerikas durch Columbus, der auch einmal in Elmina weilte, kam zum ursprünglichen Goldhandel der transatlantische Sklavenhandel hinzu, der sich allmählich zum lukrativsten Zweig des Handels mit Westafrika entwickelte. Die Portugiesen vermochten ihr anfängliches Monopol nicht lange gegen nachdrängende andere europäische Mächte zu verteidigen. Nach ihnen kamen Engländer, Niederländer, Schweden, Dänen und Brandenburger, während sich die Franzosen an der Goldküste nicht niederließen, sondern hauptsächlich an der Mündung des Senegal.

Das erste englische Schilf an der Goldküste tauchte 1553 auf, 1595 das erste niederländische. 1637 eroberten die Niederländer im Anschluß an ihren siegreichen Unabhängigkeitskampf gegen Spanien das durch die spanisch-portugiesische Union von 1580 spanisch gewordene Elmina. Im gleichen Jahr gründeten die Engländer nicht weit von Elmina entfernt ihr erstes Fort, Kormantine. 1662/63 folgte die Gründung von Cape Coast Castle, nur wenige Kilometer östlich von Elmina. Cape Coast Castle wurde zum wichtigsten englischen Platz und Administrationszentrum der britischen Einflußgebiete. Als zweiter Brennpunkt des Sklavenhandels und der europäischen Niederlassung entwickelte sich das heutige Accra im Osten der Goldküste. Dort hatten die Schweden 1652 eine Niederlassung errichtet, die ihnen jedoch 1657 die Dänen abnahmen und als Christiansborg zu einem starken Fort ausbauten. Es blieb dänisch bis zum Jahr 1850, als die Dänen es den Engländern verkauften, wurde ab 1874 Sitz des britischen Gouverneurs und war nach 1957 einer der Amtssitze Nkrumahs. In der Nähe von Christiansborg errichteten die Engländer einen weiteren stark befestigten Stützpunkt, James Fort, später das wichtigste Staatsgefängnis der Goldküste bzw. Ghanas. Daneben gab es eine Reihe von kleineren Niederlassungen, befestigten und un-befestigten, entlang der Küste, in einer Dichte, wie nirgends sonst an der afrikanischen Küste. Sie dienten überwiegend als Depots und Umschlagplätze für den Sklavenhandel nach Amerika, übten aber zugleich als Ausstrahlungs-Zentren europäischen Einflusses eine bedeutende Wirkung auf die afrikanische Gesellschaft aus. 3. Die sozialgeschichtliche Bedeutung des Sklavenhandels und der europäischen Forts Ähnlich wie im späteren Nigeria lösten Ankunft und permanente Niederlassung der Europäer an der Goldküste weitreichende Veränderungen in der afrikanischen Gesellschaft aus. Bis dahin waren die Küsten, von einigen Fischerdörfern abgesehen, weithin unbewohnt, da ökonomisch uninteressant. Die Küste war eher verlorenes Hinterland zu den politischen Gebilden im Savannahgürtel weiter nördlich, der seinerseits weitgehend durch die Sahara hindurch nach dem Mittelmeer orientiert war. Die Ankunft der Europäer brachte eine Umpolung des Landes, namentlich durch den Sklavenhandel. Schwerpunkt der ökonomischen und sozialen Entwicklung wurden fortan die Küstengebiete, von denen aus allmählich und auf langwierigen Umwegen der Modernisierungsprozeß seinen Ausgang nahm. Eine solche Feststellung hat nichts mit europazentrischem Hochmut oder gar (neo-) kolonialistischer Gesinnung zu tun, sondern ergibt sich aus dem Studium der Fakten. Zudem bietet sie keinen Anlaß zu besonderem europäischen Stolz, da der Beginn der von den Europäern initiierten Modernisierung untrennbar mit dem Sklavenhandel verknüpft ist.

Der Sklavenhandel lag auf afrikanischem Boden ganz in afrikanischen Händen. Etwa seit dem 18. Jahrhundert wurden die Sklaven durch periodische Raubzüge einiger afrikanischer Stämme gegen Nachbarvölker im Innern besorgt und von ihnen an die Küste geliefert, wo afrikanische Zwischenhändler, an der Goldküste Fanti und Ga, sie an die europäischen Sklavenhändler weiterverkauften. Die weißen Sklavenhändler brachten sie dann auf europäischen oder amerikanischen Schiffen in die Neue Welt, entweder über die Westindischen Inseln, wo viele Sklaven blieben, oder direkt nach Nord-bzw. Südamerika.

Zur rationelleren Sicherstellung des Nachschubs an Sklaven bildeten sich in Westafrika — im Landesinnern, aber nicht zu weit von der Küste entfernt — einige Königreiche, deren Hauptzweck die Lieferung von Sklaven mit kriegerischen Mitteln war. Da der Sklaven-handel am frühesten und intensivsten an der Goldküste einsetzte, ist es nicht verwunderlich, daß hier auch seit 1700 das erste dieser neuartigen Gebilde entstand — Ashanti. Ashanti war ein Kriegerstaat, der sich durch Eroberungen und freiwilligen Anschluß unter Druck ausdehnte. Objekte der Kriegszüge zum Einfängen von Sklaven waren vor allem die Stämme nördlich von Ashanti, die praktisch zerrieben und in ihrer politischen Entwicklung zurückgeworfen wurden, ähnlich wie die meisten Stämme des sog. „Middle Belt" im heutigen Nigeria. Daneben war Ashanti auch reich an Gold.

Mindestens ebenso bedeutsam, wenn auch weniger dramatisch, waren die Veränderungen an der Küste selbst. Angezogen von den direkten und indirekten Verdienstmöglichkeiten, die der Sklavenhandel eröffnete (z. B. Verproviantierung von Forts und den Handeisschiffen, die vor Reede ankerten), entwikkelten sich um die europäischen Forts und Niederlassungen quasi-städtische Siedlungen der Küstenstämme. Allmählich entstand ein Netz eigenartiger Beziehungen zwischen Afrikanern und Europäern: Die Afrikaner räumten den Europäern Grund und Boden für ihre Forts und Niederlassungen ein, für die sie Pacht an die einheimischen Herrscher zahlten. Andererseits zogen sich die Afrikaner bei Streitigkeiten oft in den Schutz „ihrer" Europäer zurück. Konflikte zwischen beiden Elementen kamen gelegentlich vor, bildeten jedoch die Ausnahme, denn beide Seiten waren an der ungestörten Aufrechterhaltung des Sklavenhandels interessiert. Die Forts waren schon für die Versorgung von Lebensmitteln und Frischwasser auf den guten Willen der Afrikaner angewiesen, die die Europäer durch eine Blockade jederzeit in die Knie hätten zwingen können. Es entsprach nur der realen Machtsituation an der Goldküste im 17. und 18. Jahrhundert, daß die europäischen Kaufleute und Schiffskapitäne die sehr selbstbewußt auftretenden einheimischen Herrscher völlig als Gleichberechtigte behandelten.

Aus dem sich in und um den Forts bildenden Mulattenelement entstanden etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die großen einheimischen europäisierten Familien, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Träger eines Proto-Nationalismus, seit der Jahrhundertwende des modernen afrikanischen Nationalismus an der Goldküste wurden.

Wegen der hier skizzierten historischen Voraussetzungen lag die Goldküste gegenüber dem restlichen Afrika in diesem Entwicklungsprozeß stets in Führung, weil hier der Kontakt zu Europa am frühesten und intensivsten eingesetzt hatte. 4. Die christliche Mission War die ältere Geschichte der Goldküste weitgehend vom Sklavenhandel geprägt, so gingen entscheidende Impulse auch von der Gegenbewegung aus, dem Verbot des Sklaven-handels für britische Staatsangehörige durch England im Jahr 1807 und der Kampagne zur Unterdrückung der Sklaverei, zunächst im britischen Empire, anschließend auch in Afrika. Die unmittelbaren Folgen waren die christliche Mission und eine Serie von Ashantikriegen, die beide zusammen in die formale Errichtung der britischen Kolonialherrschaft an der Goldküste mündeten.

Ausgehend von zaghaften Missionierungsansätzen in den Handelsforts hatte die christliche Mission erst 1835 festen Fuß an der Goldküste gelaßt. Damals etablierten sich in Cape Coast die Methodisten-Mission und im Osten, nördlich von Accra in den Hügeln von Akropong, die Baseler Mission, deren erster Missionierungsversuch in Christiansborg seit 1828 am Klima gescheitert war, als innerhalb weniger Jahre alle Missionare bis auf einen an Malaria starben. Da die Basler Mission fast einen exklusiven Charakter in ihrer Missionstätigkeit annahm, geographisch nur auf sehr engem Raum arbeitete und hohe Ansprüche an ihre Täuflinge stellte, andererseits aber nur in der Landessprache unterrichtete, blieb ihr Anteil am Modernisierungsprozeß, den die Missionen auslösten, recht begrenzt. Viel bedeutender war dagegen die Auswirkung der Methodisten-Mission.

Die Vorgeschichte der Methodisten-Mission an der Goldküste reicht bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. 1751 entsandte eine Organisation der Anglikanischen Kirche, die „Society for the Propagation of the Gospel", einen englischen Theologen, Rev. Thomas Thompson, nach Cape Coast Castle als Festungskaplan, der erstmals auch außerhalb des Forts predigte, lehrte und taufte. Noch vor seiner Rückkehr nach England aus gesundheitlichen Gründen hatte Thompson einen begabten jungen Fanti, Philip Quaque, nach England zum Studium geschickt. Nach seiner Rückkehr an die Goldküste leitete Quaque von 1766 bis 1816 die Schule von Cape Coast Castle. Nach seinem Tod setzten seine letzten Schüler, teilweise im Selbststudium, die erlernte Bibelarbeit fort und ließen sich 1824 Bibeln aus England kommen. Als 1834 die Methodisten in London auf sie aufmerksam wurden, schickten sie sofort Missionare, die am 1. Januar 1835 in Cape Coast. landeten. Die „Bible Band" aus Quaques Schule wurde zum Kern der Methodisten-Mission und stellte erste Lehrer und Katecheten, später auch Missionare.

Der bedeutendste Methodisten-Missionar war Rev. T. B. Freeman, der fast ein halbes Jahrhundert lang, von 1838 bis 1886 (abgesehen von einer Unterbrechung zwischen 1857 und 1873), den Methodismus an der Goldküste zutiefst prägte. Freeman war der sehr hellhäutige Sohn einer englischen Mutter und eines (unbekannten) Vaters afrikanischer Herkunft, vermutlich eines in England freigewordenen Ex-Sklaven. Mit seinem Verständnis für afrikanische Sitten und afrikanische Mentalität verschaffte er sich eine geachtete Stellung unter Afrikanern wie Europäern. Im Gegensatz zur Basler Mission ließ Freeman nur auf Englisch unterrichten und missionieren und legte großen Wert auf die bewußte Übernahme europäischer Lebensformen durch die afrikanischen Christen. Vielleicht das wichtigste Mittel waren Schulen in möglichst vielen Dörfern und Städten. Seiner unermüdlichen Reise-und Missionstätigkeit ist es zu verdanken, daß die Methodisten rasch zur bedeutendsten Missionskirche an der Goldküste aufstiegen. Durch die bewußte Verbindung von Modernisierung und Christianisierung errangen die Methodisten die führende soziale und politische Stelle an der Goldküste unter den Afrikanern: Die moderne Elite des Landes war praktisch identisch mit den Methodisten und blieb es bis zum Aufstieg Nkrumahs. Alle bedeutenden Männer in der zweiten Hälfte des 19., fast alle in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Methodisten. Der Methodismus wurde geradezu zum Vorläufer des afrikanischen Nationalismus an der Goldküste. Erst im 20. Jahrhundert konnte die katholische Mission von den nördlichen Territorien hei rein zahlenmäßig die Methodisten überflügeln, ohne jedoch den gleichen sozialen und politischen Einfluß wie die Methodisten zu gewinnen.

Es ist verständlich, daß die afrikanischen Christen, die selbst weitgehend ein Produkt der neuen Welle der Europäisierung waren, ihrerseits zunächst die Ausbreitung der europäischen Zivilisation und des europäischen Einflusses begrüßten und förderten, denn bis 1874 gab es ja noch keine formale Kolonialherrschaft an der Goldküste. Außerdem gewährte die britische Kolonialverwaltung, weiln sie auch formal nur auf die Forts und die engste Umgebung begrenzt war, effektiv einen erheblichen Schutz für die Christen gegenüber dem traditionellen animistischen Element, vor allem aber auch gegen die Ashanti, die ab 1803 energisch zur Küste drängten. Daher war die moderne Elite des Goldküste gegen den Abzug der britischen Kolonial Verwaltung; und selbst in der ersten proto-nationalistischen Phase etwa ab 18G 6 traten ihre Vertreter stets für eine enge Anlehnung an England ein, etwa in der Form der Autonomie unter britischer Herrschaft. 5. Die Ashantikriege und der Beginn des afrikanischen Nationalismus an der Goldküste Die Küstenstämme wurden durch eine weitere Auswirkung der Entscheidung von 1807, den Sklavenhandel zu unterbinden, noch stärker an die Seite der Briten getrieben: durch die Ashantikriege. Das Verbot des Sklaven-handels mußte die ökonomische Grundlage des Ashanti-Reichs, den Sklavenhandel, zerstören. Deswegen ist es gewiß kein Zufall, daß die Ashanti ab 1803 an die Küste drängten, wenn auch der äußere Anlaß aus an sich unbedeutenden Streitigkeiten bestand. Ein Sieg der Ashanti hätte einerseits den Fanti und Ga den lukrativen Zwischenhandel entrissen, andererseits den Verkauf ihres wichtigsten Exportartikels, eben Sklaven, auch gegen die britische Opposition in Zukunft sichergestellt. Die Ashanti stießen mit ihren kampferprobten und wohlorganisierten Armeen auf die politisch zersplitterten Küsten-stämme, die sie mit Leichtigkeit vor sich her-trieben, aber auch auf das an der Goldküste besonders dichte Netz von Forts, in deren

Schutz sich nun vor allem die Fanti begaben.

Aus der neuen politischen Linie Englands, den Sklavenhandel zu unterbinden, und aus dem gewohnheitsrechtlichen Schutzverhältnis gegenüber den Fanti ergab sich die Konflikt-situation, aus der sich bis zum Ende des 19.

Jahrhunderts eine ganze Serie von Ashantikriegen entwickelte, auf deren wechselvollen Verlauf hier nicht näher einzugehen ist. Aber die Grundsituation blieb stets die gleiche: Die Ashanti versuchten, die Küstenstämme unter Berufung auf wirkliche oder fiktive Herrschaftstitel zu unterwerfen. Die Küsten-stämme, vor allem die mit den Ashanti verwandten Fanti, befürchteten nicht nur die politische Herrschaft der Ashanti und den Verlust der früheren (jetzt ebenfalls ohnehin bedrohten) Position als Mittelsmänner im Sklavenhandel, sondern auch die effektive Versklavung durch die Ashanti. Obwohl die Ashanti tunlichst bemüht waren, die britische Kolonialmacht als neutralen Faktor aus dem Spiel zu lassen, wurden die Engländer wegen der komplizierten Verhältnisse doch immer wieder früher oder später in die Kriege hineingezogen, so daß sie aktiv eingriffen, durchaus mit wechselndem Erfolg. Im Januar 1824 wurde im 4. Ashantikrieg der Gouverneur von Sierra Leone, MacCarthy, dem die Goldküste damals formal unterstellt war, in der Schlacht von Nsamankow (nordwestlich von Cape Coast) mit seinen Kolonialtruppen und afrikanischen Hilfstruppen von den Ashanti besiegt und fiel auf dem Schlachtfeld. Zwei Jahre später gab der Sieg der verbündeten Truppen von Dodowa (nördlich von Accra) über Ashanti die Initiative wieder an England zurück.

Wichtiger als das Auf und Ab der Ashantikriege im Detail ist ihr wesentliches Ergebnis: England schwankte je nach Stand der Dinge zwischen Verbleiben an der Goldküste und Preisgabe der bisherigen Positionen, die ihre ursprüngliche ökonomische Funktion — Aufrechterhaltung des Sklavenhandels — verloren hatten, nachdem der Sklavenhandel unterdrückt wurde. 1821 löste die britische Regierung die „African Company" auf, die bisher die Forts besessen und verwaltet hatte, und nahm 1822 die Forts direkt unter Verwaltung der Krone. Nach dem Debakel von Nsamankow (1824) wartete die britische Regierung nur noch den glücklichen Ausgang des 4. Ashantikriegs ab, um sich wieder der Last der Goldküste zu entziehen. Auf den Protest der britischen Kaufleute, die sich inzwischen auf „legitimate trade“, also auf gesetzlichen Handel (im Gegensatz zum verbotenen Skla-B venhandel), umgestellt hatten, erlaubte die britische Regierung 1828 einem Kaufmanns-Komitee die Übernahme und Verwaltung der Forts in eigener Verantwortung. Die Oberaufsicht behielt der Gouverneur von Sierra Leone. Die überragende Figur auf britischer Seite war damals George Maclean, der für das Kaufmanns-Komitee die britischen Forts von 1830 bis 1843 verwaltete. Aus praktischen Gründen brachte er, schon um den Handel wieder anzukurbeln, im April 1831 einen Frieden mit den Ashanti zustande. Die Fanti hatten unter dem Druck der Ashanti seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine lockere Form der Konföderation gefunden. Maclean bewog sie nunmehr, ihre internen Streitigkeiten vor britische Gerichte zu bringen, die wegen ihrer Neutralität und Fairness zunehmend auch Zulauf für zivilrechtliche Prozesse unter den Fanti erhielten und damit großes Ansehen gewannen. Indem Maclean entgegen der damals gültigen britischen Kolonialdoktrin gleichsam privat die britische Jurisdiktion schrittweise ausdehnte, allerdings ohne politische Hintergedanken, baute er allmählich entlang der Goldküste einen Bereich „informeller Herrschaft" für England auf, den die britische Regierung 1843 nach einem neuerlichen Kurswechsel wieder ungefährdet direkt übernahm.

Maclean knüpfte auch freundschaftliche Beziehungen zu Ashanti, an und ermöglichte dem Land eine Periode von über 30 Jahren ungebrochenen Friedens, so daß ihm an der Goldküste stets ein gutes Gedenken sicher blieb. Das wichtigste Ergebnis seiner Verwaltungszeit wurde der „Bond" vom 6. März 1844, mit dem eine Reihe von Fanti-Herrschern formell die britische Jurisdiktion (nicht die politische Herrschaft) freiwillig anerkannten und sich verpflichteten, „barbarische Gebräuche", vor allem Menschenopfer, in ihrem Bereich zu unterdrücken. Die spätere nationalistische Agitation hat die Bedeutung des „Bond" als angeblichen Beginn des afrikanischen Nationalismus derart hochgespielt, daß auf An-regung von George Padmore, dem bedeutenden Exponenten des Panafrikanismus und späteren politischen Berater Nkrumahs, der Tag der Unabhängigkeit des jungen Staats Ghana im Jahr 1957 bewußt auf den 6. März, den Jahrestag des „Bond", gelegt wurde.

Mit der Rückkehr der Goldküste zur direkten Regierungsverwaltung begann die relativ rasche, wenn auch nicht systematische Vorbereitung auf die formale Kolonialherrschaft. Zu Zeiten Macleans besaßen noch Dänen und Niederländer an der Goldküste ihre Forts aus der Epoche des Sklavenhandels — unprofitabel gewordene Relikte der Vergangenheit. 1850 verkauften die Dänen Christiansborg an die Engländer und zogen sich ganz von der Goldküste zurück. 1872 folgten die Niederländer. Diese Art der kolonialen Flurbereinigung, die England als einzige Kolonialmacht übrig ließ, hatte jedoch eine komplizierte Vorgeschichte, die weitreichende politische Rückwirkungen hatte, auf die noch näher einzugehen ist. Ursprünglich war nämlich 1867 nur ein Austausch von britischen und niederländischen Forts vorgesehen, die bei den sich gewohnheitsrechtlich herausgebildeten dazugehörigen Einflußsphären praktisch auf einen Gebiets-tausch hinausliefen, ohne daß die betroffenen Afrikaner vorher konsultiert worden wären.

Besonders erbittert waren die Stämme, die unter niederländische Herrschaft kommen sollten, vor allem die Stadt Kommenda, denn die Holländer unterhielten traditionell gute Beziehungen zu den verhaßten und gefürchteten Ashanti. Als sich die Einwohner von Kommenda weigerten, die niederländische Herrschaft zu akzeptieren, wurden sie von niederländischen Kriegsschiffen beschossen. Den Kommenda eilten Angehörige anderer Fanti-Stämme zur Hilfe, sehr zur Verlegenheit der Briten, die ihren Vertrag mit den Niederländern nicht gefährdet sehen wollten. Angesichts der politischen Komplikationen und der Erregung unter den Fanti resignierten die Niederländer und traten 1872 ihre nutzlos gewordenen Forts an die Engländer ab. 7. Die Anfänge des Nationalismus an der Goldküste: Die Fanti Konföderation (1868/71)

Aus der Erregung über den geplanten Gebietsaustausch zwischen England und den Nie-derlanden formierten sich die ersten organisierten Ansätze zu einer Nationalbewegung an der Goldküste, wenn auch zunächst auf das Gebiet der Fanti beschränkt. Die erste Stufe des Nationalismus lief also auf einen Stammes-„Nationalismus" der Fanti hinaus, in dem traditionelle und moderne Elemente erstmals ihre Zusammenarbeit zu institutionalisieren und auf breitere Basis zu stellen versuchten. Bereits 1866 war es zu einem lokalen Konflikt zwischen der britischen Kolonialverwaltung und dem Herrscher in Cape Coast, König Aggery, gekommen, der sich durch „educated natives" beraten ließ. Aggery unterlag und wurde nach Sierra Leone verbannt.

Als bedeutsamer erwies sich die Fanti Konföderation. Chiefs und Angehörige der neuen modernisierten Schicht schlossen sich zur Wahrung ihrer Interessen zusammen. Erstmals konnte der damals für die Goldküste zuständige Generalgouverneur von Sierra Leone von einem „starken nationalen Gefühl" sprechen, das die Fanti erfaßt habe. Die Fanti Konföderation war keineswegs anti-kolonialistisch im modernen Sinn. Ihre Hauptsorge galt der Furcht vor dem Abzug der britischen Verwaltung, wie sie 1865 ein Sonderausschuß des Unterhauses der britischen Regierung empfohlen hatte, denn in diesem Fall hätten sich die Fanti der Macht der Ashanti schutzlos ausgeliefert gesehen. Die Fanti Konföderation wünschte daher eine Modernisierung des Landes unter enger Anlehnung an England. 1871 gab sich die Konföderation eine förmliche Verfassung, mit Ministerium und einem Präsidenten. Als Ziel galt u. a. die Anlage „guter und fester Straßen", Schulbildung für „alle Kinder im Gebiet der Konföderation". Die Fanti Konföderation erwies sich jedoch als Fehlschlag, da der Vizegouverneur in Cape Coast im Dezember 1871 ihre führenden Vertreter sofort verhaften ließ, als sie ihm die Verfassung zur Billigung überreichen wollten. Der Generalgouverneur in Sierra Leone, Pope Hennessey, hob zwar die Verhaftung bald wieder auf, aber der Konföderation war jede weitere Wirksamkeit unmöglich geworden. Dieser instruktive Versuch der Fanti, zur internen Autonomie unter britischem Schutz und gleichzeitig zur Modernisierung aus eigenen Kräften zu gelangen, scheiterte 1872 endgültig. Zwei Jahre später annektierte England die Goldküste als Kronkolonie. Immerhin schuf die Fanti Konföderation die Grundlage zu einer Tradition, an der später die Nationalbewegung immer wieder anknüpfen konnte.

Die niederländisch-britische Tauschaktion, die am Anfang der Fanti Konföderation steht, führte noch zu weiteren Komplikationen, letzten Endes zur Errichtung der formalen britischen Kolonialherrschaft an der Goldküste. Da das bisher niederländische, traditionell eng mit den Ashanti verbündete Elmina in die britische Einflußzone kam, geriet nunmehr England in neuen Konflikt mit Ashanti. Aus den Spannungen entzündete sich 1873 der 6 Ashantikrieg, den England nach ersten Rückschlägen 1874 mit der ersten Eroberung von Kumasik, der Hauptstadt Ashantis, beendete. Anschließend setzte die britische Regierung dem bisherigen Schwanken endgültig ein Ende, als sie 1874 das bisherige informelle „Protektorat" der Goldküste durch Annexion in eine Kronkolonie umwandelte. Neue Hauptstadt der jetzt unter britischer Herrschaft geeinten Goldküste wurde Accra, jedoch blieb Cape Coast auf Jahrzehnte politischer und intellektueller Schwerpunkt der Goldküste. Ashanti blieb auch nach der vorübergehenden Besetzung Kumasis im Jahr 1874 unabhängig, war aber in seiner Macht schwer angeschlagen.

II. Die Kolonialzeit (1874— 1957)

1. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg Die Niederlage Ashantis und die Annexion der Goldküste schuf durch die Klärung und Beruhigung der Situation die Voraussetzungen zu einer neuen Phase der bewußten Modernisierung und Europäisierung. Träger dieser Bewegung waren die „educated natives" in den Küstenstädten, die nunmehr durch verstärkten Handel in einem befriedeten und relativ großen Markt teilweise zu beträchtlichem Wohlstand kamen. Eine neue Quelle des Reichtums wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts der Anbau von Kakao, namentlich im nördlichen Hügelland der Goldküste, später auch im Süden Ashantis. Äußere Anzeichen für die Verbreiterung der Basis für die neuen Schichten waren die Gründung der beiden ersten Oberschulen im Land, der „Wesleyan High School" (1876) und der „Wesley Girls'High School" (1884), beide in Cape Coast, ferner das Erscheinen zahlreicher, wenn auch meist recht kurzlebiger Zeitungen, zunächst alle in Cape Coast. Außerdem schloß sich die neue Schicht in zahlreichen Vereinen und Organisationen zusammen (anfangs unpolitischer Art)

und bemühte sich um eine bewußte äußere Angleichung an die Europäer. In dieser Zeit entstand eine deutliche Kluft zwischen den modernisierten und den. traditionellen Kreisen, so daß die neue Schicht die Notwendigkeit verspürte, wenigstens verbal eine Rückwendung zum traditionellen afrikanischen Milieu zu suchen. Aus solchen Impulsen entstand ab 1889 mit der Gründung einer quasi-politischen Organisation in Cape Coast, der „Mfantsi Amanbuhu Fekuw" (Fanti National Political Society), eine romantisierende Kultur-Renaissance, die sich u. a. in der Tendenz äußerte, die europäischen Kleider wieder abzulegen und Zum Tragen traditioneller afrikanischer Gewänder zurückzukehren, ferner die europäischen Familiennamen wieder ganz oder teilweise gegen afrikanische zu tauschen — ein Trend, der sich jedoch nie vollständig durchsetzte. Endlich bemühten sich die ersten modernen Rechtsanwälte an der Goldküste, Mensa Sarbah (gest. 1910) und Casely Hayford (gest. 1930), um eine Kodifizierung des traditionellen Fanti-Rechts.

In der Folgezeit ging der dialektische Prozeß der äußeren Europäisierung und Modernisierung einerseits, der kulturellen und ideologischen Re-Afrikanisierung andererseits weiter, aus dem der moderne afrikanische Nationalismus seine Substanz gewann. Politische Zielrichtung und eine steigende Aggressivität erhielt er durch die Reaktion auf den auch in das relativ liberale Britisch-Westafrika eindringenden europäischen Rassismus etwa seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Mit der Einführung der „Colour Bar", der Rassendiskriminierung, auf eigenem Boden verloren die europäisierten Afrikaner allmählich ihren früheren Glauben, sie könnten auf der Basis der Assimilation Modernisierung und Gleichberechtigung erreichen und wandten sich einem politischen Nationalismus zu, der zuletzt in einen entschiedenen Anti-Kolonialismus einmündete.

Aus der intellektuellen und politischen Gärung gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich 1897 die erste politische Organisation von Bedeutung, die „Gold Coast Aborigines Rights Protection Society" (ARPS), wiederum in Cape Coast, wiederum von Methodisten geführt. Die ARPS war die Reaktion auf eine von der Kolonialregierung geplante Landgesetzgebung, von der die Afrikaner fürchteten, sie würde zur Enteignung ihres Grund und Bodens führen. 1898 entsandte die ARPS eine Delegation nach London, um beim britischen Kolonialminister, Joseph Chamberlain, vor-stellig zu werden, mit dem Erfolg, daß die Kolonialregierung in Accra ihren umstrittenen Gesetzesentwurf wieder zurückzog. Von da an war die ARPS als fester Bestandteil des sich nun allmählich entfaltenden politischen Lebens akzeptiert.

Die Jahrhundertwende brachte die weitere Ausdehnung der Goldküste durch die Annexion der Nordterritorien und Ashantis. Mit dem „Scramble for Africa", d. h.der systematischen Aufteilung Afrikas durch die europäischen Mächte nach der Berliner Kolonialkonferenz von 1884/85, war die unabhängige Stellung Ashantis beim Wettlauf der Kolonialmächte von den Küsten ins Landesinnere auf die Dauer unhaltbar geworden, da es nun wie ein Sperriegel gegen den Norden wirkte. Die gewaltsame Einbeziehung Ashantis in die britische Kolonialherrschaft, damit aber auch in die Modernisierung, erfolgte unter der neuen (ab 1888 und noch heute regierenden) Herrscherdynastie, den Prempehs. Ihr Versuch, die niedergehende Macht Ashantis neu zu stärken, löste den entscheidenden bewaffneten Zusammenstoß mit England aus, den der Ashantehene (König von Ashanti) durch die Entsendung einer Botschaft nach London in den Jahren 1894/95 noch zu vermeiden hoffte. Die Engländer begünstigten jedoch separatistische Tendenzen und damit eine Auflösung des Ashanti-Reiches. Nach diplomatischen und politischen Vorbereitungen richteten die Engländer im Oktober 1895 ein Ultimatum an den Ashantehene. Auf eine ausweichende Antwort hin (weil der Ashantehene vorher noch den Erfolg seiner Botschaft in London abwarten wollte), wurde im Dezember 1895 eine bewaffnete Streitmacht nach Kumasi entsandt, die der Ashantehene im Januar 1896 zur Unterwerfung zwang. Da Prempeh I. die Zahlung von Gold in der geforderten Höhe als unmöglich bezeichnete, wurde er verhaftet, anschließend deportiert. Bis 1924 blieb Prempeh I. in der Verbannung.

Ashanti war durch die Ereignisse zunächst paralysiert und leistete kaum Widerstand. Als 1900 der britische Gouverneur Hodgson mit einer kleinen Streitmacht nach Kumasi zurückkehrte und ganz abrupt praktisch die Auslieferung des „Goldenen Stuhls", des geheiligten Symbols für die Einheit der Ashanti, forderte, erhoben sich die Ashanti zu einem letzten Verzweiflungskampf, der aber nur um so sicherer in die Niederlage führte. 1901 wurde Ashanti annektiert, im gleichen Jahr wie die Nord-Territorien, die sich die Engländer in Konkurrenz zu den Franzosen und Deutschen zu sichern verstanden.

Die neuen Annexionen von 1901 hatten den gleichen Effekt wie eine Generation zuvor die Annexion der Goldküste. Die politische Befriedung gab der bürgerlichen Schicht an der Küste noch größeren wirtschaftlichen Spielraum, weshalb sie dieAnnexion Ashantis keineswegs, wie man heute rückblickend hätte annehmen können, als Katastrophe empfand, sondern sie im Gegenteil begrüßte. Die von nun erscheinenden Zeitschriften hielten sich teilweise über zwei Jahrzehnte. Die älteste (und lange einzige) Oberschule des Landes, die „Wesleyan Boys’ High School" in Cape Coast wurde 1905 reorganisiert und mit dem noch heute gültigen Namen als „Mfantsipim School" wieder eröffnet. Eine erste Eisenbahnlinie wurde gebaut, und der Kakao brachte direkt oder indirekt so viel Wohlstand ins Land, daß sich bereits 1912 in Cape Coast ein Automobilclub für Afrikaner auftat und daß es (allerdings erst 1919, auf dem Höhepunkt der Kriegskonjunktur) an der Goldküste über 200 Autos gab, die im Besitz von Afrikanern waren. 2. Der neue Nationalismus zwischen den beiden Weltkriegen Die große Krise des Ersten Weltkrieges gab, ähnlich wie in anderen Teilen der Welt, auch an der Goldküste dem Nationalismus kräftigen Auftrieb. Die europäisierte Schicht hatte die deutsche Kolonialpolitik im benachbarten Togo von vornherein sehr kritisch beobachtet und ihre größere Härte im Vergleich zur großzügigen Praxis der britischen Kolonialherrschaft aufmerksam registriert. Schon allein deshalb stellte sich die Führungsschicht der Goldküste dem Britischen Empire gegen Deutschland zur Verfügung, weil sie für den Fall eines deutschen Sieges die Ausbreitung deutscher Kolonialmethoden befürchtete. Andererseits forderte sie, erst recht seit der Proklamation des Selbstbestimmungsrechts der Völker durch Lenin und Wilson, erweiterte politische Rechte. Ansätze zur politischen Zusammenarbeit mit.den anderen Kolonien Britisch-Westafrikas, also Gambia, Sierra Leone und Nigeria, die sich ab 1912 gezeigt hatten, ließen sich zwar im Krieg nicht weiterentwickeln, boten aber Anknüpfungspunkte für eine neue nationalistische Organisation. Im März 1920 gründeten Delegierte aus allen vier britischen Territorien in Westafrika den „National Congress of British West Africa". Die unbestrittene geistige Führung hatte Casely Hayford, der bis zu seinem Tod im Jahr 1930 der bedeutendste politische Führer der Goldküste war. Der „National Congress" scheiterte äußerlich mit einer Deputation, weil sie ohne vorherige Konsultation mit weiten Kreisen der traditionellen Führungsschichten (Chiefs) und den Kolonialgouverneuren nach London entsandt worden war. Indirekt hatte er jedoch trotzdem Er-folg, denn ab 1923 erhielten alle Kolonien Britisch-Westafrikas eine Erweiterung der politischen Rechte in Form von neuen Verfassungen, in denen erstmals für einige Städte auf Grund eines eingeschränkten Zensuswahlrechts afrikanische Abgeordnete zum Legislative Council gewählt wurden. Die Goldküste hatte den entscheidenden Schrittmacherdienst für die übrigen Kolonien geleistet, wenn sie auch zwei Jahre später als Sierra Leone und Nigeria von ihrer eigenen Initiative profitierte. Der politische Fortschritt war jedoch nicht ohne innere Konflikte zu erzielen. Gouverneur war von 1919 bis 1927 Sir Gordon Guggisberg, vielleicht der bedeutendste Gouverneur an der Goldküste überhaupt. Guggisberg trat den Afrikanern grundsätzlich mit großer Sympathie entgegen, verfocht in seiner Politik aber eher eine paternalistische Linie. Er bevorzugte die traditionellen Herrscher, die Chiefs, die in dem Paramount Chief von Akim Abuakwa (nördlich von Accra), Nana Ofori Atta (gest. 1934), ihren überragenden Sprecher fanden, gegenüber den modernen Eliten, verkörpert in Casely Hayford. Guggisberg verstärkte sogar noch die Stellung der Chiefs, indem er ihnen entgegen der bisherigen politischen Tradition gesetzgebende Befugnisse durch die Aufnahme in den Legislative Council und die Schaffung von Provincial Councils zuwies. Dadurch verschärfte Guggisberg aber nur die latenten Spannungen zwischen Chiefs und Intellektuellen, zwischen traditionellem und modernem Element, so daß in den zwanziger Jahren das politische Leben der Goldküste wesentlich durch die oft bittere Rivalität zwischen Ofori Atta und Casely Hayford, den Hauptsprechern der beiden Gruppen, gekennzeichnet war. Erst 1929, kurz vor Hayfords Tod, kam eine gewisse Versöhnung zwischen den beiden Kräften zustande, offensichtlich erleichtert durch die bedeutendste politische Figur nach Hayford, J. B. Danquah (gest. 1965), der schon in seiner Person beide Gruppen vereinigte: Er war ein jüngerer Stiefbruder von Ofori Atta und diente ihm als Sekretär, hatte andererseits in London Jura studiert und gehörte somit auch den modernen Kreisen an.

Eine vermittelnde Funktion übten auch die Vorarbeiten am Achimota College bei Accra aus, an denen sich die Kolonialregierung ebenso aktiv beteiligte wie alle wichtigen Gruppen der Goldküste. Obwohl das Achimota College überwiegend eine gute Presse hatte, ist seine historische Wirkung zumindest problematisch, denn durch die Verschmelzung von traditionellem und modernem Lehrstoff trug die Schule zur Verstärkung eines irrationalen, romantisierenden, eklektischen Nationalismus bei. Nicht zufällig war einer der ersten Schüler des Lehrerseminars, das zum Achimota College gehörte, Kwame Nkrumah, der sicherlich die eindrucksvollste und problematischste Verkörperung des afrikanischen Nationalismus darstellt.

Nach den Jahren der Konjunktur brachte die Weltwirtschaftskrise einen schweren wirtschaftlichen Rückschlag auch für die Goldküste. Der Ausbau der Infrastruktur und des Schulwesens, der bisher von den Erträgen des Kakaoanbaus finanziert worden war, geriet weitgehend ins Stocken. Der rapide Verfall des Kakaopreises übertrug den politischen Gärungsprozeß nunmehr auf die Kakaobauern. Die Unruhe griff sogar auf die Kakaobauern Ashantis über, das an sich seit der Wiedereinsetzung Prempehs I. als Kumasihene (1927) und der Restaurierung des Ashanti-Föderation (1935) zu einem Bollwerk des Konservativismus wurde. Die ökonomische Misere verschärfte den Ton der Auseinandersetzungen und erhöhte das Tempo der politischen Forderungen. Einflußreiches Organ eines erwachenden militanten Nationalismus war die Zeitung „African Morning Post", die Nnamdi Azikiwe, der spätere erste Staatspräsident Nigerias, 1934 in Accra redigierte, bis er 1937 wegen eines Artikels ausgewiesen wurde und nach Nigeria zurückkehrte. Vor allem Azikiwes Leitartikel wirkten damals auf die junge Generation an der Goldküste ein, auch auf den um sechs Jahre jüngeren Nkrumah. Dagegen waren die älteren politischen Organisationen in den dreißiger Jahren so gut wie völlig abgetreten. Als Vorläufer einer späteren politischen Partei war seit der Mitte der dreißiger Jahre die „Gold Coast Youth League" aktiv, in der Danquah eine führende Rolle spielte. Der Hauptakzent lag, wie der Name sagt, auf der Organisierung der jüngeren Generation. Aus ihr kamen tatsächlich die entscheidenden Impulse, die nur zwei Jahrzehnte später zur nationalen Unabhängigkeit der Goldküste als Ghana führten. 3. Nkrumah und der Sieg des ghanaischen Nationalismus (1945— 1951) Ähnlich wie der Erste Weltkrieg beschleunigte auch der Zweite Weltkrieg die Entfaltung des afrikanischen Nationalismus Krieg und Kriegskonjunktur gaben durch Afrikanisierung der Kolonialverwaltung, Dienst in der britischen Armee und die Anlage von Nachschub-basen, kurz durch den vielzitierten „war edort", der Modernisierung einen kräftigen Auftrieb und stärkten das Selbstbewußtsein der Afrikaner. 1946 brachte eine neue Verfassung unter Gouverneur Sir Alan Burns eine zusätzliche Erweiterung politischer Rechte.

Die moderne Führungsschicht bereitete sich von nun an langsam darauf vor, über die Stufe der Autonomie hinaus in absehbarer Zukunft die Macht in einem unabhängigen Staat, wenn auch im Rahmen des Commonwealth, zu übernehmen. Auch die britische Kolonialverwaltung förderte diesen Machtanspruch, zumal die modernen Eliten sich immer enger mit den traditionellen verbanden, wie die Gestalt eines Danquah demonstriert. 1947 gründeten diese Kräfte die erste nationalistische Partei, die „United Gold Coast Convention" (UGCC), die als Repräsentanz der traditionellen wie der modernen Führungsschichten die bis dahin politisch weitgehend apathischen Massen mobilisieren sollte, um mit ihrer Hilfe die nationale Unabhängigkeit zu erlangen. Als hauptamtlichen Generalsekretär und damit als ersten professionellen Politiker holten sich die Notabeln den an der Goldküste noch relativ unbekannten Kwame Nkrumah. Innerhalb von wenigen Jahren sollte er zwar durch seinen Elan einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, daß Ghana relativ rasch unabhängig wurde, aber er sollte auch das ganze Konzept der bisherigen Führungsschicht durcheinanderbringen.

Nkrumah stammte aus einem Dorf im äußersten Westen der Goldküste und war die erste bedeutende Persönlichkeit, die nicht aus dem Milieu der modernen, europäisierten, urbanisierten Eliten kam, sondern direkt aus dem „Busch", also aus der Provinz. Außerdem war er der erste, der nicht Methodist war; Nkrumah ist katholisch getauft und leistete als Junge häufig Dienst als Ministrant bei der Messe. Nkrumah besuchte katholische Missionsschulen und das Achimota College. Anschließend arbeitete er sich in katholischen Missionsschulen auf dem Land vom Lehrer bis zum Schulleiter hoch, zuletzt in Axim, der nächsten größeren Stadt in seiner Heimat, wo er auch seine erste Einführung in die politischen Verhältnisse erhielt. 1935 ging er, u. a. inspiriert durch Azikiwe, in die USA zum Studium an die Lincoln University in Pennsylvania, eine der bedeutendsten Neger-Universitäten in den USA. Während er ein breitgefächertes Studium absolvierte, nach seinen ersten Examina auch schon als Assistent arbeitete, schaute er sich in der Politik etwas um, die vor allem seit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg durch eine größere Aufgeschlossenheit für militante Ideen charakterisiert war, jedenfalls in Universitätskreisen und bei den Afro-Amerikanern. In dieser Zeit wurde Nkrumah endgültig zum militanten marxistisch geprägten Nationalisten (zumindest in seiner Terminologie). AIs modern gebildeter Afrikaner aus traditionellem Milieu fühlte er sich, zusammen mit afrikanischen Studenten, die einen ähnlichen sozialen Hintergrund hatten wie er, als der Repräsentant des „wahren", dem Fortschritt zugewandten Afrika, im Gegensatz zur europäisierten liberalen Notabein-Bourgeoisie und den konservativen Stammesherrschern. In einem Artikel, den er 1942 in Amerika veröffentlichte, forderte Nkrumah damals alle Macht für diese, von ihm repräsentierte Schicht.

Nkrumah nahm einen führenden Anteil an der Organisierung afrikanischer Studenten in den USA, eine Tätigkeit, die er in England fortsetzte, als er dort im Juni 1945 eintraf. Er wurde Vizepräsident des für die Ausbildung des afrikanischen Nationalismus so wichtigen Studentenverbandes in London, „West African Students’ Union" (WASU), und war als Sekretär des 5. Panafrikanischen Kongresses in Manchester vom Oktober 1945 eine Schlüsselfigur in der sich formierenden panafrikanischen Bewegung. Anschließend leitete er das „West African National Secretariat" in London, das trotz seinen kümmerlichen Mitteln eine nicht einflußlose Propagandatätigkeit entfaltete. Im Dezember 1947 kehrte Nkrumah zur Goldküste zurück, um den ihm angebotenen Posten des Generalsekretärs für die neugeschaffene UGCC zu übernehmen;

Die UGCC appellierte erstmals an die u. a. durch den Krieg in Bewegung geratenen Mas-B sen. Die Kriegsteilnehmer, Kakaobauern, die noch junge Gewerkschaftsbewegung und die Mehrheit der urbanisierten, aber überwiegend arbeitslosen jungen Generation, dazu die „Mammies", d. h. die besonders in Accra so wichtigen Marktfrauen, gaben der neuen Partei eine Massenbasis, die jedoch bald den Händen der Notabein-Bourgeoisie entglitt und eine quasi-revolutionäre Eigendynamik entwickelte. Besonders wichtig für diesen Prozeß waren die „Standard VI" (oder VII) „Boys", d. h. junge Afrikaner mit einem Schulabschluß, der formal etwa der Mittelschule entspricht, die aber keine ihrer Ausbildung adäquate Arbeit fanden. Da sie so arm waren, daß sie (angeblich oder wirklich) nachts auf den Verandas der Notabein-Bourgeoisie schlafen durften, wurden sie später verächtlich als „Veranda Boys“ bezeichnet, als sie in politischen Gegensatz zur bisher dominierenden Notabein-Bourgeoisie gerieten.

Die „Standard VI Boys" oder „Veranda Boys" gaben mit ihren sozialen Aspirationen den eigentlichen quasi-revolutionären Sprengsatz ab. Nkrumah wurde teils von der enttäuschten jungen Generation der urbanisierten Bevölkerung geschoben, teils benutzte er sie zu seinem eigenen Aufstieg.

Zunächst arbeiteten die heterogenen Elemente der Nationalbewegung noch in der neugegründeten UGCC zusammen. Bald aber kam es zur Polarisierung. Aus der privaten Boykottbewegung eines Unter-Chiefs von Accra gegen europäische Waren im Kampf um niedrigere Preise und aus einer Demonstration von Kriegsteilnehmern für bessere Versorgung entstanden in den letzten beiden Tagen des Februar 1948 ausgedehnte Unruhen, die von Accra aus ihren Ausgang nahmen und sich rasch auf andere Teile der Goldküste ausdehnten. Die britische Kolonial Verwaltung machte für die Unruhen die Führer der UGCC verantwortlich und verhaftete sechs von ihnen, darunter Danquah und Nkrumah, womit Nkrumahs Popularität gesichert war. Eine von der Regierung in London eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Unruhen veröffentlichte bereits im August 1948 ihren Bericht, nach ihrem Vorsitzenden Watson-Report genannt. Der Watson-Report kritisierte die Kolonialverwaltung wie die Führung der UGCC, vor allem Nkrumah, schlug aber auch vor, der Goldküste eine neue Verfassung zu geben, die den Afrikanern größere politische Rechte einräumen würde. Daraufhin setzte die Kolonialregierung eine ausschließlich von Afrikanern beschickte Kommission unter dem Vorsitz des bedeutenden einheimischen Juristen Coussey ein mit dem Auftrag, Vorschläge für eine neue Verfassung auszuarbeiten. Die Coussey-Kommission hatte insgesamt 40 Mitglieder, unter ihnen neun Chiefs; der Rest bestand überwiegend aus der modernen Notabein-Bourgeoisie. Nkrumah erhielt erst gar nicht eine Einladung, als Kommissionsmitglied tätig zu werden.

Die Februar-Unruhen und die Coussey-Kommission erwiesen sich als entscheidend für die weitere Entwicklung, denn beide setzten den konstitutionellen Prozeß in Gang, der innerhalb von drei Jahren zur inneren Autonomie der Goldküste als der unmittelbaren Vorstufe zur vollen Souveränität führte. Gleichzeitig ermöglichten beide Ereignisse den raschen Aufstieg Nkrumahs und die Eliminierung der traditionellen und modernen Führungsschichten, denn die junge, bisher organisatorisch einheitliche Nationalbewegung begann sich zu spalten. Die bisherigen Führungsschichten erkannten in der Coussey-Kommission und mit der durch sie praktisch in Aussicht gestellten neuen Verfassung die Möglichkeit, in absehbarer Zeit auf friedliche Weise an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen — die politische Macht in der Unabhängigkeit. Nkrumah dagegen und sein Anhang sahen in der Opposition zur Coussey-Kommission und der Forderung nach sofortiger Unabhängigkeit den Hebel zum Ausmanövrieren der alten Führungsschicht, die er durch eine revolutionäre Agitation zu verdrängen hoffte.

Vom Sommer 1948 an ergaben sich schrittweise immer größere Differenzen zwischen der politischen Führung der UGCC, dem sog. „Working Committee", in dem Danquah den größten Einfluß hatte, und dem Generalsekretär der Partei, Nkrumah, samt seinem sozial deklassierten Anhang. Aus ursprünglichen Differenzen über Taktik und Methoden entwickelte sich endlich ein Jahr später der grundsätzliche Bruch: Nach allerlei Schwanken traf Nkrumah unter dem Druck von unten, vor allem des oppositionellen „Committee on Youth Organization" (CYO) seine Entscheidung. Am 12. Juni 1948 gründete er seine eigene Partei, die „Convention People's Party" (CPP), nachdem die Gründung einer eigenen Zeitung, „Accra Evening News", mit ihrer heftigen Polemik gegen die offizielle Führung der UGCC und der praktische Ausschluß des CYO aus der UGCC die wachsende Entfremdung eingeleitet hatte.

Wesentlicher Punkt des CPP-Programms war die Forderung „Self-Government Now". Nkrumah brachte erstmals Methoden der Partei-organisation, die er in Amerika gesehen hatte, nach Afrika. Zur offiziellen Parteihymne avancierte das Methodisten-Kirchenlied „Lead, kindly light", das bei Parteiveranstaltungen gesungen wurde — ein faszinierender Reflex der traditionell starken Stellung, die die Methodisten-Mission seit einem Jahrhundert an der Goldküste eingenommen hatte. Bemerkenswert für diese Phase der politischen Entwicklung ist die Tatsache, daß nunmehr erstmals Ashanti in die Politik tatsächlich einbezogen wurde, einerseits die Opposition des Ashantehene und der unteren Chiefs gegen die als noch zu fortschrittlich geltende UGCC, andererseits durch die Opposition vor allem der jungen Generation gegen die konservativ-reaktionären Chiefs. Der bedeutendste CPP-Führer in Ashanti war Krobo Edusei, später u. a. Landwirtschaftsminister unter Nkrumah, weltberühmt geworden durch seine Frau, die sich in London ein goldenes Bett kaufte. Ferner spielten damals wie später K. A. Gbedemah und Kojo Botsio eine bedeutende Rolle; sie waren beide drei bzw.sechs Jahre jünger als Nkrumah.

Im August 1949 traf der letzte britische Kolonialgouverneur, Sir Charles Arden-Clarke, ein. Er war bereit zu verhandeln, notfalls aber auch hart durchzugreifen. Im Oktober erschien der Bericht der Coussey-Kommission mit den Empfehlungen für eine neue Verfassung, die eine beschränkte Autonomie unter erheblicher Beteiligung der Afrikaner vorsah. Nkrumah und die CPP verurteilten zwar den Coussey-Report, aber ihre eigenen Verfassungsvorschläge wichen nur unerheblich vom Vorschlag der Kommission ab.

Nkrumah warf in diesem Stadium der Entwicklung das Stichwort der „Positive Action", also des aktiven Boykotts und einer Ungehorsamkeitskampagne nach indischem Vorbild, in die Debatte. Gegenüber der Kolonialregierung war Nkrumah zwar offensichtlich bereit, die schon angekündigte Kampagne der „Positive Action" zurückzustellen, wurde aber von seinen militanteren Anhängern weiter geschoben, als ihm vielleicht selbst lieb war. Schließlich begann am 8. Januar 1950 die Kampagne, worauf die Regierung mit der Verhängung des Ausnahme-zustands und der Verhaftung der CPP-Führer, unter ihnen Nkrumah, reagierte. Die CPP, jetzt von Gbedemah im großen Stil organisiert, gewann erst recht Zulauf auf Kosten der UGCC und der traditionellen Chiefs, die von nun an immer stärker politisch zusammengingen, um sich gegen die quasi-revolutionäre Welle von unten zu schützen. Die Kolonialregierung hatte zwar eine unverhohlene Vorliebe für die beiden älteren Führungsschichten, war aber auch bereit, den friedlichen Sieg der CPP hinzunehmen. Als sich Arden-Clarke für das Prinzip der freien Wahl für die Goldküste entschied, nahm er also bewußt das Risiko eines CPP-Siegs auf sich.

Die Wahlen vom 8. Februar 1951 brachten tatsächlich einen überwältigenden Sieg für die CPP, obwohl ein kompliziertes Wahlsystem eher die konservativen Gruppen begünstigte. Sie gewann 34 Sitze, die UGCC nur drei, hinzu kam ein Unabhängiger. Nkrumah, noch immer im Gefängnis, wurde in Accra mit 20 780 Stimmen gewählt. Sein Gegenkandidat der UGCC war Ako Adjei, ein Studienkollege Nkrumahs aus Amerika und London, der Nkrumah einst der UGCC als Generalsekretär vorgeschlagen hatte, sich später der CPP anschloß, vorübergehend ghanischer Außenminister war und 1964 von Nkrumah wegen angeblicher Beteiligung an einem Komplott ins Gefängnis gebracht wurde. 1951 erhielt er nur 1451 Stimmen gegen Nkrumah. Bereits am 12. Februar zog der Gouverneur die Konsequenzen und entließ Nkrumah aus dem Gefängnis James Fort. Am nächsten Tag empfing er Nkrumah und übertrug ihm die Bildung der ersten autonomen Regierung. Nkrumah ernannte als Minister u. a.seine beiden Kampfgefährten Gbedemah und Kojo Botsio, aber auch Vertreter des militanten Flügels innerhalb der Notabein-Bourgeoisie, nämlich A. Casely Hayfort und T. Hutton-Mills. 4. Von der inneren Autonomie zur Unabhängigkeit (1951— 1957)

Die Goldküste war die erste afrikanische Kolonie überhaupt, die es aus eigener Kraft so weit gebracht hatte, und sie wurde für andere Kolonien beispielgebend. Auch in anderer Beziehung erwiesen sich die Ereignisse an der Gold-B küste für Afrika richtungsweisend: Ähnlich wie schon vorher in Indien erlebten nun auch afrikanische Nationalisten immer wieder den Wechsel von der Opposition in die Regierung, mit dem Gefängnis als der wichtigsten Zwischenstation. Schließlich sei noch auf die wichtige Funktion von lokalen Unruhen hingewiesen, die meistens erst den konstitutionellen Prozeß zur nationalen Unabhängigkeit in Bewegung setzten.

Seiner ursprünglichen Opposition gegen die Coussey-Verfassung zum Trotz stellte sich Nkrumah jetzt auf den Boden der Realitäten. Nkrumah betrieb energisch die Afrikanisierang der öffentlichen Verwaltung, schon um die eigenen Anhänger zufriedenzustellen. Gleichzeitig setzte er das Programm zur Modernisierung der Goldküste fort, das die Kolonialregierung bereits eingeleitet hatte — eine Aufgabe, die ihm das Ansteigen der Kakao-Preise, namentlich seit dem Koreakrieg, erheblich erleichterte.

Die Parole der CPP „Self-Government Now" aus der Oppositionsperiode vor den Wahlen blieb zwar offiziell in Kraft, aber Nkrumah war realistisch genug zu erkennen, daß die volle Unabhängigkeit noch einige Jahre würde warten müssen. Inzwischen bemühte er sich, die Stellung der CPP und seine eigene zu konsolidieren. Anfang März 1952 erhielt er von der britischen Regierung den Titel des „Prime Minister", anstelle der provisorischen Amtsbezeichnung „Leader of Government Business". Schon im November 1951 brachte die CPP ein Gesetz durch, das die Macht der traditionellen Herrscher auch auf lokaler Ebene zugunsten der herrschenden Regierungspartei erheblich beschnitt. Allen Bemühungen zum Trotz gelang es Nkrumah und der CPP jedoch nie, die Stammesherrscher völlig zu eliminieren. Was sie an direkter politischer Macht an die modernen Kräfte verloren hatten, behielten oder gewannen sie an gesellschaftlichem und damit auch indirektem politischen Einfluß.

Auf Drängen Nkrumahs erklärte sich die britische Regierung im Juni 1952 zur Einführung einer neuen Verfassung bereit, wenn sie aus Beratungen unter Beteiligung aller Bevölkerungskreise hervorgehen werde. Im Juni 1953 wurde der Verfassungsentwurf veröffentlicht, im April 1954 trat die Nkrumah/Arden-Clarke-Verfassung, wie Nkrumah sie später nannte, in Kraft. Sie sah ein Parlament von 104 Abgeordneten vor, das nur aus Afrikanern bestand (also keine ernannten, die Interessen der Weißen vertretende Abgeordnete mehr wie bisher aufwies) und ausschließlich aus direkten allgemeinen Wahlen hervorging. Außerdem bestand die Regierung jetzt nur noch aus Afrikanern. Die Goldküste hatte nun die volle Autonomie. Am 10. Juli 1953 beschloß das Parlament aut Antrag Nkrumahs, die britische Regierung um die baldige Gewährung der Unabhängigkeit zu bitten. Die neue Verfassung von 1954 und die von ihr vorgesehenen Wahlen vom 15. Juni 1954 sollten nur noch die letzten formalen Hindernisse auf dem Weg zur Unabhängigkeit beseitigen. In Wirklichkeit brachten die Wahlen einen schweren Rückschlag, der nachträglich die spätere Entwicklung verständlicher macht, die schließlich im Februar 1966 zum Sturz Nkrumahs führte.

Von vornherein hatte Nkrumah mit starker Opposition der beiden historischen Eliten zu rechnen, der traditionellen wie der modernen, da sie sich von der ungestümen Dynamik der radikalen CPP bald völlig an die Wand gespielt sahen. Die Opposition war zunächst zersplittert und desorganisiert, nützte aber alle unvermeidlichen wie vermeidlichen Anfangsschwierigkeiten der CPP und ihrer Regierung aus. Sie vertrat im wesentlichen lokale und regionale Interessen und setzte daher Nkrumahs Konzeption eines zentralisierten Einheitsstaates die Konzeption eines föderativen Staatsaufbaus entgegen. Hauptzentren der Opposition waren der ökonomisch und sozial am weitesten zurückgebliebene Norden, die traditionellen Herrscher in Ashanti, die Notabein-Bourgeoisie in den Küstenstädten und die Ewe-Region des früheren Togo.

Nachdem die UGCC durch die katastrophale Wahlniederlage von 1951 diskreditiert war, wurde am 4. Mai 1952 im wesentlichen von den gleichen, sie zuletzt noch tragenden Kräften in Accra eine neue Partei gegründet, die „Ghana Congress Party" (GCP). Ihr Führer war K. A. Busia, Soziologie-Dozent am neugegründeten University College, der, ähnlich wie Danquah, enge Beziehungen zu einem der traditionellen Herrscher mit moderner Bildung und politischen Bindungen zur gemäßigten Intelligenz kombinierte. Der GCP schlossen sich von der CPP abgesplitterte Kräfte an, im wesentlichen Intellektuelle, die sich von Nkrumahs immer selbstherrlicher werdenden Parteiführung abgestoßen fühlten. Trotzdem bedeutete die GCP keine ernsthafte Gefahr für die CPP, zumal sie sich praktisch auf die alte Kolonie der Goldküste, also den Küstenstreifen, beschränkte. Gefährlicher für die CPP und die politische Einheit des Landes dagegen wurde die Gründung der „Northern People's Party" (NPP) im April 1954, da sie an die strikte Loyalität der nördlichen Stammesangehörigen gegenüber ihren traditionellen Herrschern und an einen verschleierten Separatismus appellierte. Hinzu kam das Ressentiment gegenüber dem Süden, denn der arme und rückständige Norden wurde vom Süden fast in einer quasi-kolonialen Position gehalten, was sich u. a. in der Geringschätzung und Verachtung ausdrückte, mit der die Einwohner aus dem Norden im höher entwickelten Süden behandelt wurden. Ähnlich wie gleichzeitig im Norden Nigerias die herrschende Fulani-Aristokratie fürchteten die einheimischen Herrscher im Norden der Goldküste, im Zuge einer „überhasteten" Unabhängigkeit unter der Führung des Südens unwiederbringlich ins Hintertreffen zu geraten, weshalb sie sich vom CPP-Slogan „Self-Government Now" bereits 1949 energisch distanziert hatten.

Einen Verbündeten fanden GCP und NPP in der politischen Vertretung der mohammedanischen Minderheit in Kumasi und in den Küstenstädten. Einst die Intellekutellen am Hof des Ashantehene als Schreiber, Händler, Militärberater und Lehrer, waren sie im 19. Jahrhundert durch die Europäer und die afrikanischen Produkte der europäischen Mission verdrängt worden. Der CPP als der im Augenblick extremsten modernisierenden Kraft waren die älteren der Moslem-Führer feindlich gesonnen, während sich ein Teil der jüngeren Kräfte der CPP durchaus anschlo 3. Eine bereits 1932 gegründete „Gold Coast Muslim Association" wurde Anfang 1954 zur „Moslem Association Party" umgewandelt und agitierte im Süden und in Ashanti.

Eine weitere Minderheitsgruppe, die sich gegen die CPP wandte, war der 1949 gegründete „Togoland Congress". Er repräsentierte in der Hauptsache die Ewe-Bevölkerung des 1919 als Völkerbundsmandat zur Goldküste gekommenen westlichen Teils von Deutsch-Togo und trat für die Wiedervereinigung der britischen und französischen Zone zu einem unabhängigen Gesamt-Togo ein. Dagegen war die „Northern People's Party" aus historischen Gründen für die volle Integration der britischen Zone Togos in die Goldküste, denn 1919 waren zahlreiche traditionelle Stammesherrschaften wieder vereinigt worden, die 1886 durch das deutsch-britische Abkommen zur Festlegung der Grenze zwischen der Goldküste und Togo getrennt worden waren.

Ashanti, der mächtigste konservative Block, an dem Nkrumah später letzten Endes scheitern sollte, hatte sich vor den Wahlen von 1954 parteipolitisch noch nicht organisiert. Dafür kam es zu schweren internen Auseinandersetzungen innerhalb der CPP in Ashanti, die fast zu ihrer Spaltung führten. Zu Streitigkeiten um die Aufstellung von Parlamentskandidaten trat der heftige Konflikt mit der Parteizentrale in Accra um die Zuteilung von Mandaten für die einzelnen Regionen. Die Ashanti, innerhalb wie außerhalb der CPP, forderten 30 Mandate an Stelle von nur 21, die dem Gebiet aufgrund seiner Bevölkerungszahl zustanden. Hauptargument der Ashanti-Vertreter war das ökonomische Gewicht ihrer Heimat, die über die Hälfte des im Lande produzierten Kakaos stellte, einen erheblichen Teil des Goldes, des Holzes und des Bauxits (zur Aluminiumherstellung). Hinzu kam das historische Argument, daß Ashanti einst praktisch das gesamte Land beherrscht habe und zumindest nicht von den Fanti besiegt worden wäre. Die alten Gegensätze aus dem 19. Jahrhundert zwischen Ashanti und Fanti brachen jetzt am Vorabend der Unabhängigkeit wieder auf und drohten das Land zu zerreißen, ähnlich wie zur gleichen Zeit in Nigeria. So trugen die Wahlen von 1954, die eigentlich bereits den Weg zur baldigen nationalen Unabhängigkeit der Goldküste freigeben sollten, keineswegs zur politischen Konsolidierung des Landes bei, im Gegenteil. Sie enthüllten die internen Schwächen und die schweren Differenzen der verschiedenen Regionen aufgrund der unterschiedlichen historischen Entwicklung. In Opposition zu dem von Accra ausgehenden Zentralismus, zur bereits einsetzenden Propagierung eines ehrgeizigen panafrikanischen Programms und zur Stilisierung Nkrumahs als Afrikas „Man of Destiny" machten sich jetzt wieder regionale und lokale Interessen geltend, die bislang von der nationalistischen Agitation überdeckt worden waren.

In die Wahlen von 1954 trat die Goldküste zerrissener denn je ein, und das Ergebnis bestätigte nur diese politische Zerrissenheit. Die Opposition, in sich zerspalten und — in Ashanti — politisch noch unorganisiert, vermochte jedoch weder die innere Schwäche der CPP, das Auftauchen von CPP-Rebellen und Unabhängigen bei den Wahlen auszunützen noch ein Alternativprogramm zur CPP zu entwikkeln, das Aussicht gehabt hätte, die Mehrheit der Wähler zu gewinnen. So gelang es Nkrumah, die CPP doch noch einigermaßen geschlossen durch die Wahlen zu bringen und seine Gegner auszumanövrieren. Das Wahler-B gebnis selbst war für ihn jedoch eine Enttäuschung. Die CPP gewann zwar 72 von 104 Sitzen (davon drei „unopposed", d. h. ohne Gegenkandidaten), aber aufgrund des Mehrheitswahlrechts errang die Partei ihren eindrucksvollen Sieg mit nur 55, 4 0/0 aller abgegebenen Wählerstimmen. Es folgten Unabhängige mit 11 Sitzen und 22 °/o der Stimmen, die „Northern People’s Party" (NPP), die einzige Oppositionspartei mit einer soliden regionalen und sozialen Basis, mit 15 Sitzen und 9, 7 °/o, die „Muslem Association Party“ mit einem Sitz und 2, 9 °/o, die „Ghana Congress Party“ mit einem Sitz und 5%, der „Togoland Congress" mit drei Sitzen und 3, 5 % aller abgegebenen Stimmen.

Nkrumah konnte ungefährdet seine neue Regierung bilden, aber die Opposition zog die Lehre aus dem Debakel und schloß sich bereits zwei Monate später zusammen. Die Unzufriedenheit der Kakaobauern mit der Preispolitik der CPP-Regierung sowie CPP-Rebellen gaben den Anstoß zur Sammlung der bisher zersplitterten Opposition. Bereits im September 1954 wurde im Kumasi, der Hauptstadt Ashantis, die „National Liberation Movement" (NLM) gegründet. Sie war im wesentlichen die politische Repräsentanz des konservativen oppositionellen Ashanti, fand aber auch die Unterstützung der übrigen Oppositionsgruppen. Die „Ghana Congress Party" fusionierte wenig später mit der NLM. Im Oktober 1954 erklärten sich der Ashantehene und 50 Ashanti-Chiefs offiziell für die neue Partei und unterzeichneten eine Petition an die Königin von England um Einsetzung einer Untersuchungskommission, die sich mit dem Problem einer föderativen Verfassung befassen sollte. Aus der wachsenden Verbitterung zwischen Anhängern der CPP und NLM kam es in Ashanti zu ständigen blutigen Zusammenstößen, die sich fast zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen zuspitzten, so daß zeitweise weder Regierungsmitglieder noch offizielle CPP-Vertreter aus Accra nach Kumasi zu kommen wagten. Versuche der Regierung, den Konflikt um die Verfassung beizulegen, scheiterten am Boykott aller von ihr einberufenen Konferenzen durch die NLM, so daß die britische Regierung im Mai beschloß, vor der Entlassung in die Unabhängigkeit noch einmal eine Wahl anzusetzen.

Die vereinigte Opposition hoffte angesichts ihrer größeren organisatorischen Geschlossenheit diesmal auf einen knappen Sieg über die CPP, gestützt vor allem auf ihre beiden Hochburgen, den Norden und Ashanti, so daß nur noch fünf Sitze im Transvoltagebiet (Ex-Togo) und ein Dutzend in der ehemaligen Kolonie der Goldküste zu einer Mehrheit gereicht hätten. Zur großen Enttäuschung der Opposition änderte das Wahlergebnis jedoch kaum etwas an der Machtverteilung: Die CPP gewann wiederum 72 Mandate, diesmal sogar mit 57 °/o aller Stimmen. Die regionalen Erfolge der NLM in Ashanti und im Norden waren nicht ausschlaggebend, da die NLM im Süden kein einziges Mandat zu gewinnen vermochte.

Der Ursprung der NLM als Ashanti-Partei trieb die an sich oppositionell gesonnenen Kakaobauern des Südens doch wieder in das Lager der CPP, da sie die NLM als politische Neuauflage einer Invasion aus Ashanti mehr fürchteten als die CPP: auch dieses Detail ist ein Hinweis darauf, wie wichtig die Kenntnis der Geschichte zum richtigen Verständnis politischer Vorgänge sein kann.

III. Ghana seit der Unabhängigkeit (1957— 1968)

Nach dem neuerlichen Sieg der CPP war die nationale Unabhängigkeit der Goldküste nur noch eine Frage der Zeit. Sie wurde auf den 6. März 1957 festgesetzt, in Erinnerung an den „Bond" von 1844. Der neue Staat nahm den Namen Ghana an. Für einen Augenblick schienen die inneren Differenzen angesichts des stolzen Gefühls vergessen, als erste afrikanische Kolonie südlich der Sahara aus eigener Kraft die Unabhängigkeit gewonnen zu haben. Nkrumah proklamierte noch am 6. März abends bei der offiziellen Unabhängigkeitsfeier in Accra die Notwendigkeit, nunmehr die Selbständigkeit Ghanas durch die Unabhängigkeit ganz Afrikas zu sichern. In der Tat gab die Unabhängigkeit Ghanas der Nationalbewegung in Afrika großen Auftrieb, während die Weltöffentlichkeit eigentlich erst jetzt das Phänomen des afrikanischen Nationalismus richtig wahrnahm und ernst nahm. In den folgenden Jahren stürzte sich Nkrumah mit Ungestüm in die Verwirklichung seines panafrikanischen Programms und warf sich zum Sprecher für ganz Afrika auf. Die Priorität in der nationalen Unabhängigkeitsbewegung, die relative Wohlhabenheit des Landes und die relativ weite Entwicklung, zumindest des Südens, verliehen dem an sich kleinen Ghana für rund ein Jahrzehnt ein ungewöhnliches Gewicht, nicht nur auf der afrikanischen Ebene, sondern auch unter den neutralen Ländern der Dritten Welt und in der UNO. Der letzte Außenminister Nkrumahs, Alex Quaison-Sackey, avancierte 1963 sogar zum Präsidenten der UNO-Vollversammlung. So sehr der persönliche Ehrgeiz Nkrumahs ein wichtiger Faktor zur Erklärung dieser überproportionalen Bedeutung Ghanas in der Weltpolitik zwischen 1957 und 1966 ist, so wäre es doch ungerecht und oberflächlich, sich mit dieser Erklärung zufriedenzugeben, denn der traditionelle Vorsprung der Goldküste in der Modernisierung und politischen Entwicklung, der sich nach der Unabhängigkeit in eben diese vorübergehende Prominenz Ghanas umsetzte, erweist sich als sehr viel wesentlicher. Nkrumah verkörperte in diesem Punkt also tatsächlich die Energie des dynamischen Flügels in seinem Land. 1. Der Ausbau Nkrumahs Machtstellung und seine wachsende Selbstisolierung Aber Ghana vermochte nicht dem Dilemma des politischen Primus zu entrinnen, denn wie es vor der Unabhängigkeit beispielhaft für die politische und konstitutionelle Entwicklung wurde, so zeigte es auch nach der Unabhängigkeit dem übrigen Afrika den Weg in eine schwierige Zukunft: Vielleicht noch schneller als sonst in Afrika verflog in Ghana nach dem 6. März 1957 die allgemeine Euphorie über die errungene nationale Unabhängigkeit. Der graue politische Alltag demonstrierte, daß die Unabhängigkeit an sich noch kein Allheilmittel war, um die Situation der Bevölkerung über Nacht zu verbessern, wie es gelegentlich die nationalistische Propaganda suggeriert hatte. Die CPP war nicht in der Lage, die hochgespannten Erwartungen auch nur annähernd zu erfüllen, auch nicht durch die Stilisierung Nkrumahs zum charismatischen Führer Ghanas und Afrikas. Mehrere Faktoren kamen zusammen, die schließlich alle in den Sturz Nkrumahs mündeten.

Während Nkrumah die Modernisierung des Landes auf zahlreichen Gebieten energisch vorantrieb, vor allem durch eine erhebliche Ausweitung des Schulwesens auf allen Ebenen, und sich damit zweifellos große Verdienste um das Land erwarb, verlor er allmählich von seiner großen Popularität unter den Massen selbst in den Küstengebieten. Aus dem allen zugänglichen Volksführer der Kampfzeit wurde ein der Öffentlichkeit immer mehr entrückter scheinbar allmächtiger Gebieter, der sukzessive alle seine innenpolitischen Gegner auszuschalten vermochte. Bereits im August 1958 erging das „Preventive Dentention Act", das eine vorbeugende Inhaftierung auf fünf Jahre wegen politischer Gründe erlaubte. Einige Monate später, im November 1958, fand das neue Ausnahmegesetz seine erste Anwendung, als Nkrumah 38 Mitglieder der Opposition einsperren ließ.

Von da ab setzte die systematische Zerschlagung der Opposition ein, die sich vergeblich am 3. November 1957 in Accra durch die Fusionierung aller Oppositionsgruppen zur „United Party" dem Sog zum Einparteienstaat entgegenzustemmen suchte. Eine Serie von Niederlagen bei Nach-und Kommunalwahlen, das Uberwechseln von oppositionellen Abgeordneten zur CPP sowie die Verhaftung und Emigrierung führender Oppositionspolitiker demoralisierten die „United Party" derart, daß ihre Basis im Land immer stärker abbröckelte. Durch eine Kombination von Einschüchterungen und Versprechungen, von Propaganda und ökonomischen Verbesserungen gelang es der CPP, die Opposition immer weiter zurückzudrängen. Bei der Volksabstimmung über die Umwandlung zur Republik und der gleichzeitig stattfindenden Wahl eines Staatspräsidenten im April 1960 stellte sich die „United Party" zum ersten und letzten Mal zum offenen politischen Kampf. Sie forderte zur Ablehnung des vorgelegten Verfassungsentwurfes auf und nominierte als Präsidentschaftskandidaten Danquah gegen Nkrumah. Die Regierungspartei machte rücksichtslosen Gebrauch von allen ihren Propagandamöglichkeiten, so daß Danquah von vornherein auf verlorenem Posten stand. Die „United Party" litt unter vielfachen Beschränkungen, z. B. hatte Nkrumah das Monopol über den Rundfunk. Im Süden waren Wahlveranstaltungen der „United Party" teilweise verboten. Lediglich der „Ashanti Pioneer", das einzige Blatt der Opposition, konnte noch ungehindert erscheinen.

Das Ergebnis der Abstimmung vom April 1960 brachte für die CPP und Nkrumah einen hohen Sieg: Bei insgesamt niedriger Wahlbeteiligung 88, 5 °/o für den Verfassungsentwurf und 89, 1 °/o für Nkrumah, 11, 5 °/o gegen den Verfassungsentwurf und 10, 9 °/o für Danquah. Eine nähere Analyse der Einzelergebnisse gibt jedoch Veranlassung zum Verdacht, daß die Abstimmung und Wahl weitgehend verfälscht war, obwohl es fraglich ist, ob bei nachweisbar unverfälschB ten Wahlen ein Sieg für Danquah herausgekommen wäre. In Accra, wo sich die Parteien gegenseitig besser kontrollieren konnten und die Wahlen daher insgesamt fair verliefen, kam bei einer Wahlbeteiligung von nur 45 %> Danquah immerhin auf 35 0/0 der Stimmen, und das in der Hochburg der CPP. Umgekehrt sollen in den Hochburgen der „United Party", wo die Partei bzw. die NLM bei vorausgegangenen Wahlen oder Nachwahlen überzeugend gesiegt hatte, bei 90 °/oiger Wahlbeteiligung (für ghanaische Verhältnisse ohnehin ungewöhnlich hoch!) die CPP bzw. Nkrumah ein fast 100 °/oiges Ergebnis erzielt haben.

Wie auch immer, Ghana wurde 1960 Republik, Nkrumah ihr erster Präsident mit einer starken Stellung.

In den folgenden Jahren baute sie Nkrumah äußerlich noch weiter aus, zunächst durch einen exzessiven Personenkult — symbolisch war seine überlebensgroße Statue vor dem Parlamentsgebäude in Accra. Bei formaler Beibehaltung des Parlaments und des Kabinetts zog Nkrumah allmählich die wichtigsten Regierungsfunktionen an sich. Vor allem wurde das Kabinett durch häufige Umbildungen weiter entwertet, so daß die einzelnen Minister kaum mehr als Erfüllungsgehilfen des Präsidenten waren. Die Gewerkschaften waren schon bald nach der Unabhängigkeit unter die Kontrolle der Regierung geraten, wurden jetzt aber, ähnlich wie andere gesellschaftliche Organisationen, ganz in die CPP integriert. Im Januar 1964 ließ Nkrumah gar die CPP zur alleinigen Staatspartei durch Plebiszit bestimmen. Die Presse wurde gleichgeschaltet, der „Ashanti Pioneer" verboten, politische Opponenten wurden verhaftet, unter ihnen Danquah, der 1965 im Gefängnis starb. Nkrumah ließ sich zum lebenslänglichen Staatspräsidenten und Vorsitzenden der CPP ernennen, 1964 trat sogar der Ashantehene in die CPP ein und sicherte ihr seine Unterstützung zu.

Trotz aller äußeren Machtfülle verlor Nkrumah an Unterstützung im eigenen Land. Bereits um die Jahreswende 1964/65 konnte der aufmerksame Beobachter in Ghana den Eindruck gewinnen, daß, abgesehen von der unmittelbaren Umgebung Nkrumahs, nur noch die Armee und die Polizei seine Herrschaft stützten. Wenn auch diese beiden letzten Säulen wegfielen, so mußte das gesamte Gebäude einstürzen.

Die wichtigste Erklärung für den Sturz Nkrumahs ist bei Nkrumah selbst zu suchen. Sein Regierungsstil brachte zuletzt alle in der ghanaischen Gesellschaft gegen ihn auf: Den Konservativen und Liberalen war er zu radikal modern, gar noch mit der Einführung kommunistischer Organisationsformen, wie den „Ghana Young Pioneers", den „Workers'Brigades" und einem immer penetranter werdenden marxistischen Jargon. Hinzu kamen die immer freundschaftlicheren Beziehungen zu den kommunistischen Ländern. Den linkssozialistischen Kreisen mißfielen die Oberflächlichkeit seines Marxismus und Sozialismus, der Eklektizismus seiner politischen Theorie und Praxis und die Konzessionen an die traditionellen Stammesherrscher und die LISA, z. B. beim Voltadamm-Projekt. Ihnen galt Nkrumah zuletzt als verschleierter Faschist.

Alle sozialen Gruppierungen Ghanas, den Kreis der unmittelbaren Nutznießer des Nkrumahregimes ausgenommen, stießen sich zuletzt an der Art, wie sich Nkrumah und die höheren Parteichargen persönlich bereicherten, während die Wirtschaft Ghanas ab 1960 immer mehr in eine tiefe Krise geriet, u. a. durch das Absinken der Kakaopreise. Hinzu kam der ständige Ärger über zahlreiche kostspielige, häufig aber unökonomische Prestigeobjekte. Obwohl Nkrumah immer wieder gegen die Korruption in der Regierung wetterte und damit indirekt den ärgerlichen Tatbestand der Korruption nur noch bestätigte, weitete sich die Kluft zwischen sozialistischem Anspruch und korrupter Realität immer eklatanter aus. Partei und Regierungen wurden durch Intrigen und eine Welle von Säuberungen geschwächt, denen nacheinander zahlreiche Mitarbeiter Nkrumahs aus der früheren Zeit zum Opfer fielen, als einer der ersten Gbedemah, der den entscheidenden Wahlsieg vom Februar 1951 organisiert hatte, als Nkrumah im Gefängnis saß. Die äußerlich allmächtige CPP zerfiel in eine Reihe sich gegenseitig bekämpfender Flügel und hatte längst jeden Rückhalt im Volk verloren. Nkrumah dagegen war weniger der allmächtige Diktator, als den ihn die gegnerische Propaganda vor allem im Ausland hinstellte, als vielmehr der Anführer einer heterogenen Koalition, zwischen deren verschiedenen Flügeln er lavierte, die er aber auch gegeneinander ausspielte, was seine Macht im Endeffekt doch einschränken mußte.

Den Ausschlag für die weitverbreitete Mißstimmung gab jedoch vermutlich, wie so oft in der Geschichte, die wirtschaftliche Misere, in die Ghana etwa ab 1960 hineinschlitterte. Bereits im August und September 1961 brach eine schwere politische Krise aus, die von langwierigen Streiks der Hafen-und Eisenbahnarbei-ter, vor allem in der Takoradi-Sekondi-Region, also in der Nähe des alten Mittelpunkts der Goldküste bei Cape Coast, ausging. Der auslösende Funke war das von der Regierung verordnete Zwangssparen der Arbeiter, so daß die notwendigen Sparmaßnahmen — bei steigenden Preisen und immer unzureichender werdender Versorgung — einzig zu Lasten der in Ghana besonders starken Arbeiter-und Angestelltenschaft gingen. Nkrumah mußte damals eine Auslandsreise vorzeitig abbrechen, um die Situtation noch einmal herzustellen.

Seitdem rissen Meldungen und Gerüchte über Attentatsversuche, Komplotte, Verhaftungen, Säuberungen, rissen Prozesse gegen angebliche oder wirkliche Verschwörer nicht mehr ab. Ghana war in der permanenten politischen Krise, im gleichen Maße, wie Nkrumah mit seinen ehrgeizigen, teils nützlichen (Schulen, Universitäten, Straßen, Modernisierung des Landes, Voltadamm), teils beim Entwicklungsstand Ghanas noch überflüssigen (Atomforschungsanlage, Stahlwerk, vermutlich für den Augenblick auch noch dem neuen Hafen für Accra, Temala) Entwicklungsprojekten sein Image als der konsequente Modernisierer auszubauen versuchte und wie Nkrumah immer verbissener auf kontinentalafrikanischer Ebene seinem Traum einer „Union Government for Africa" nachjagte. Je mehr sich Nkrumah als Prophet des Nkrumahismus zu einer übermenschlichen Figur stilisieren ließ, die sich über die Grenzen von Raum und Zeit erhob, um so mehr verlor er im eigenen Land politisch mehr und mehr den Boden unter den Füßen. Aus Furcht vor Attentaten zog er sich immer tiefer in die schwerbewachten Amtssitze Christiansborg und Flagstaff House zurück. Schon ein Jahr vor seinem Sturz reiste er, wenn überhaupt, mit Vorliebe per Hubschrauber, oder wenn er einmal im Auto ausfuhr, dann in schwerbewachten Konvois, mit Absperrungen und Umleitungen des Autoverkehrs.

Nkrumah war völlig isoliert. Gleichwohl hatte er noch einmal zwei Augenblicke des Triumphs vor seinem Sturz: Im September 1965 die Tagung der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) in Accra, auf der er seinen Schwanengesang als panafrikanischer Herold gab, und Anfang Februar 1966, als er den Voltadamm, das bedeutendste Industrieobjekt Ghanas, eröffnen konnte. Als er sich Ende Februar jedoch auf den Weg machte, über Peking nach Hanoi zu fliegen und seine Vermittlerdienste im Vietnamkrieg anzubieten, war die Geduld seiner innenpolitischen Gegner in Armee und Polizei erschöpft. In seiner Abwesenheit schlugen sie zu und stürzten sein Regime. Abgesehen von seiner gutausgebildeten und schwer-bewaffneten Leibwache in Flagstaff House, die sich tagelang erbittert wehrte, scheint kaum jemand einen Finger zur Verteidigung Nkrumahs gerührt zu haben. Nkrumah ging über Peking und Moskau nach Guinea ins Exil, von wo aus er zunächst seine gewaltsame Rückkehr nach Ghana versprach und — politisch höchst ungeschickt — blutige Rache androhte. Seitdem wurde es aber immer stiller um ihn, so daß er heute praktisch aus der Politik ausgeschieden ist. 2. Ghana nach Nkrumah Führer des Militärstaatsstreiches und provisorischer Staatschef war General Ankrah, ein Ga, den Nkrumah Mitte 1965 durch die frühzeitige Pensionierung brüskiert hatte. Das neue Regime konzentrierte sich zunächst darauf, die korrupten und illegalen Praktiken Nkrumahs und seiner Mitarbeiter aufzudecken, die CPP und ihre führenden Mitglieder aus dem öffentlichen Leben auszuschalten und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die CPP wurde verboten, die Neugründung von Parteien blieb zunächst untersagt Die Souveränität lag zunächst beim „National Liberation Council" (NLC), praktisch der Militärjunta, die den Sturz Nkrumahs herbeigeführt hatte. Am 31. Dezember 1967 kündete General Ankrah die Rückkehr zur Zivilregierung in absehbarer Zeit an, am 22. Mai 1968 die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung für Ende Mai 1969. Diese Wahl soll noch ohne politische Parteien erfolgen. Die Verfassung soll innerhalb von drei Monaten ausgearbeitet werden, anschließend Wahlen zum Parlament stattfinden, jetzt bereits auf der Basis neu zugelassener Parteien. Bis 30. September 1969 wäre der Übergang zu einem normalen politischen Leben abgeschlossen.

Historisch gesehen kommt der Sturz Nkrumahs einem Sieg der älteren Eliten, der traditionellen wie der modernen, gleich, einer Korrektur der Ergebnisse von 1949/51. Nachdem der Emporkömmling Nkrumah und sein Anhang der „Veranda Boys" beseitigt ist, können nunmehr die historischen Führungskräfte doch noch die Macht übernehmen, die ihnen 1948 zunächst sicher zuzufallen schien. Nkrumah, im Grunde seines Wesens stets ein „young man in a hurry", ist letzten Endes an seiner eigenen Unzulänglichkeit gescheitert, aber auch daran, daß er die Modernisierung der ghanaischen Gesellschaft durch überspringen und Ausschaltung der älteren Schichten allzu rasch vorantreiben wollte. Dies zwang ihn zu einem immer gewagteren politischen Balance-Akt, bis er endlich stürzte.

Allen seinen Fehlern und Schwächen zum Trotz wird Nkrumah aber keine Episode in der ghanaischen Geschichte bleiben. Im Laufe der Zeit wird eine abgewogene Beurteilung die allgemeine Verdammung nach seinem Sturz ablösen, die ihrerseits nur die verständliche Reaktion auf die manipulierte und erzwungene Glorifizierung in seiner Regierungszeit war. Dann wird sich auch in Ghana selbst eine gerechte Würdigung für seine zweifellos großen Verdienste um die Entwicklung des Landes einstellen, die noch größer gewesen wären, hätte sich Nkrumah mit seinem Ehrgeiz und seiner intellektuellen Unseriösität nicht selbst im Weg gestanden. Spätestens dann wird Ghana aber auch wieder mit seiner grundsätzlichen Problematik von neuem konfrontiert werden, dem konfliktreichen Übergang von alten zu neuen Sozialstrukturen und politischen Formen. Nkrumah fand, aus seiner eigenen Situation heraus vielleicht verständlich, eine in sich keineswegs geschlossene, eine eklektische Lösung, die mit ihrer Mischung von sozialistischen und quasi-faschistischen Prinzipien am ehesten mit dem Peronismus zu vergleichen ist. Sollte die politische Entwicklung in Ghana eine eindeutig reaktionäre Richtung einschlagen, z. B. durch die stärkere Betonung der traditionellen Chiefs und den Ausbau ihrer Macht, so wäre mit einem Wiederaufleben des Nkrumahismus, evtl, um die persönlichen Schwächen Nkrumahs gereinigt, zu rechnen, ähnlich wie der Peronismus seit 1955 bewußte Distanz zu Peron selbst innehält.

Sollte die alte-neue Führungsschicht nicht in der Lage sein, für die drängenden sozialen Probleme eine saubere Lösung in absehbarer Zeit zu finden, so würde sich die Empörung über die Korruption und die Wirtschaftsmisere im Nkrumah-Regime relativieren.

So ist die politische Zukunft und soziale Stabilität Ghanas auch bei baldigem Inkrafttreten der neuen Verfassung keineswegs gesichert. Es käme darauf an, dem modernisierenden Element, das in Nkrumah seine bisher gewiß problematischste Verkörperung hatte, genügend Raum zur politischen Betätigung zu gewähren, gleichzeitig die politische Macht der traditionellen Chiefs auch weiterhin so zu beschneiden, daß sie die notwendigen sozialen und politischen Reformen in Richtung auf eine Modernisierung weder mit politischen noch mit gewaltsamen Mitteln blockieren können. Ist dies nicht sichergestellt, so ist in absehbarer Zeit mit dem Entstehen einer Sozialrevolutionären Situation zu rechnen, die das bringen könnte, wozu Nkrumah nur die Richtung gewiesen hat, den Sturz der traditionellen Chiefs als Voraussetzung zu jeder raschen Modernisierung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für eine vergleichende historische Skizze beider Länder unter diesem Gesichtspunkt Imanuel Geiss: Aufstieg und Verfall der Neuen Klasse in Westafrika, in: atomzeitalter, 1/2/1967.

  2. Dgl.: Nigeria. Zur Vorgeschichte und Geschichte, in Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, 8/1967.

  3. Ein erster Überblick über die Literatur von dgl.: Literaturbericht. Allgemeine Geschichte Afrikas und Britisch-Westafrikas, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 8/1967, vor allem S. 500— 506. An allgemeinen Darstellungen über die Geschichte Ghanas wären vor allem zu nennen: Carl C. Rein-dorf: History of the Gold Coast and Asante. Basel 1895, 2. Ausl. London 1951. W. W. Claridge: A History of the Gold Coast and Ashanti from the earliest times to the commencement of the twentieth Century. 2 Bde., London 1915, 2. Ausl. 1964. W. E. F. Ward: A History of Ghana. London 1948, 6. Ausl. 1966. David Kimble: A Political History of Ghana. Bd. I 1850— 1929. London 1962. Hinzu kommen ein Dokumentenwerk und eine Anthologie, nämlich G. E. Metcalfe: Great Britain and Ghana. Documents of Ghana History 1807— 1957. London 1964; Freda Wolfson: Pageant of Ghana. London 1958, 2. Ausl. 1965.

  4. Näheres bei W. E. F. Ward: A History of Ghana, S. 45— 50; vgl. auch R. A. Mauny: The Question of Ghana, in: Journal of African History, 1960, S. 200— 213 (mit ausführlicher Spezialbibliographie zu dieser Frage).

  5. J. Ziegler: Politische Soziologie, S. 50

  6. Gute Zusammenfassung bei W. E. F. Ward: A History of Ghana, S. 32— 54.

  7. E. W. Bovill: The Golden Trade os the Moors. London 1958.

  8. Hierzu vor allem A. W. Lawrence: Trade Castles and Forts of West Africa. London 1963.

  9. Vgl. hierzu auch Ivor Wilks: The Northern Factor in Ashanti History. Accra 1961. Uber eines der wichtigsten nördlichen Königtümer, Dagomba, ist eine Dissertation bei Eike Haberland in Frankfurt in Vorbereitung.

  10. Näheres dazu bei A. W. Lawrence, ebenda.

  11. Vgl. W. Schlatter: Geschichte der Basler Mission. Basel 1910; F. L. Bartels: The Roots of Ghana Methodism. London 1965; instruktiv für die Anfänge der Methodisten-Mission auch die ältere Arbeit von Arthur E. Southon: Gold Coast Methodism. London, Cape Coast 1934.

  12. Näheres bei Allen W. Birthwhistle: Thomas Birch Freeman. London 1949.

  13. G. E. Metcalfe: Maclean of the Gold Coast. The Life and Times of George Maclean, 1801— 1847. London 1962.

  14. Text des „Bond" bei G. E. Metcalfe: Great Britain and Ghana, S. 196.

  15. So George Padmore: The Gold Coast Revolution. The Struggle of an African People from Slavery so Freedom, London 1953, S. 29— 32; Padmore gibt übrigens in diesem Buch, wie in anderen, einen zwar etwas politisch dramatisierenden, aber insgesamt doch brauchbaren Überblick über die politische Geschichte der Goldküste.

  16. Douglas Coombs: The Gold Coast, Britain and the Netherlands. London 1963.

  17. Nach D. Kmble: Ghana I, S. 226. Die folgende Skizze der Fanti Konföderation stützt sich auf Kimble (S. 222— 263).

  18. Vgl. vor allem John D. Hargreaves: Prelude to the Partition of West Africa. London 1963, S. 64— 90; ferner D. Kimble: Ghana I, S. 205— 209; G. E. Metcalfe: Great Britain and Ghana, S. 305— 318.

  19. Der vollständige Text der Verfassung jetzt bei G. E. Metcalfe, ebenda, S. 332— 346.

  20. Näheres bei W. W. Claridge: Gold Coast II, S. 3— 169; selbstverständlich ist Claridge (ebenso wie Ward) für alle vorausgegangenen Komplexe noch mit heranzuziehen.

  21. John Mensa Sarbah: Fanti Customary Laws. London 1897. Ders.: Fanti National Constitution. London 1967. Casely Hayford: Gold Coast native institutions. With thoughts upon a healthy imperial policy for the Gold Coast and Ashanti. London 1903.

  22. Flierfür vor allem D. Kimble: Ghana I, der die Geschichte der ARPS erstmals im Detail darstellte (S. 330- 403).

  23. Für die innere Geschichte Ashantis seit jener Periode vgl. William Tordoff: Ashanti under the Prempehs 1888— 1935. London 1965.

  24. Vgl. I. Geiss: Panafrikanismus. Zur Geschichte der Dekolonisation, Frankfurt 1968, S. 158 f.; dort sind auch einige der hier nur skizzierten Vorgänge ausführlicher behandelt.

  25. Für Hayford und den „Congress" vgl. D. Kimble: Ghana I, S. 374— 402.

  26. Vgl. jetzt die erste Biographie über ihn von R. A. Wraith: Guggisberg, London 1967.

  27. Darüber im Detail bei D. Kimble, ebenda, S. 490— 505.

  28. Mehr bei F. M. Bourret; Ghana. The Road to Independence 1919— 1957. London 1960, 2. Ausl. 1963, S. 142— 156; das Buch gibt auch einen guten Überblick über die Zeit ab 1919 und nach 1945; vor allem werden Togo, Ashanti und die nördlichen Territorien in die Untersuchung mit einbezogen.

  29. Vgl. vor allem Kwame Nkrumah: Ghana. . The Autobiography of Kwame Nkrumah. Edinburgh, Toronto, New York 1957, 4. Ausl. Deutsche Ausgabe unter dem Titel Schwarze Fanfare. Meine Lebensgeschichte. München 1958; ferner Bankole Timothy: Kwame Nkrumah, London 1955.

  30. Für die Entwicklung ab 1946 vgl. vor allem die erschöpfende Darstellung von Dennis Austin: Politics in Ghana 1946— 1960. London 1964, 2. Ausl. 1966.

  31. Für Einzelheiten der Auseinandersetzungen vgl. Dennis Austin: The Working Committee of the United Gold Coast Convention, in: Journal of African History, II, 2/1961, S. 273— 297.

  32. Vgl. jetzt Colonel A. A. Afrifa: The Ghana Coup 24th February 1966. With a Preface by K. A. Busia and an Introduction by Tibor Szamuely. London 1967.

Weitere Inhalte

Imanuel Geiss, Dr. phil., geb. 9. Februar 1931 in Frankfurt/Main. Privatdozent an der Universität Hamburg, Historisches Seminar. Veröffentlichungen u. a.: Der polnische Grenzstreifen 1914/18. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg, Hamburg und Lübeck 1960; Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Eine Dokumentensammlung, Hannover 1963/64; Juli 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, München 1965 (dtv 293); Gewerkschaften in Afrika, Hannover 1965; Die Erforderlichkeit des Unmöglichen. Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs (zusammen mit Hartmut Pogge—von Strandmann), Frankfurt/M. 1965; Zur Geschichte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42/65; Nigeria. Zur Vorgeschichte und Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8/67; Panafrikanismus. Zur Geschichte der Dekolonisation, Frankfurt/M. 1968.