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China und die Asienpolitik der USA | APuZ 7/1967 | bpb.de

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APuZ 7/1967 Artikel 1 Das befohlene Chaos. Maos Kulturrevolution soll die Revolution retten China und die Asienpolitik der USA

China und die Asienpolitik der USA

Lucian W. Pye

Suche nach neuen Wegen in der amerikanischen Chinapolitik

Ein paar Monate lang sah es so aus, als werde die amerikanische Politik gegenüber dem kommunistischen China im Jahre 1966 eine zwar langsame, aber bedeutsame Wandlung durchmachen. Merkwürdigerweise — ja, man kann sagen paradoxerweise — waren es gerade die leidenschaftlich umstrittenen Fragen des Vietnamkrieges, die der nüchternsten, verantwortungsbewußtesten und unparteiischsten öffentlichen Erörterung der Chinafrage seit der kommunistischen Machtübernahme den Weg bereiteten. In Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie vor den Ausschüssen des Kongresses haben Gelehrte und führende Publizisten die Möglichkeiten einer Änderung in der amerikanischen Chinapolitik leidenschaftslos diskutiert und hohe Regierungsbeamte haben in der bei ihnen üblichen vorsichtigen Sprache angedeutet, daß eine Wandlung durchaus möglich sei. Am bemerkenswertesten aber war, daß die amerikanische Öffentlichkeit ein erfreuliches Maß von politischer Reife zeigte, indem sie die alten Leidenschaften vergaß und nur noch nach Tatsachen und genauen Untersuchungen über das neue China fragte. Im ganzen Volk breitete sich immer mehr die Überzeugung aus, daß es mit Vorsicht und Klugheit möglich sein müsse, China zu einem verantwortungsbewußten Glied der Völkergemeinschaft zu machen.

Diese sich allmählich herausbildende übereinstimmende Ansicht über die wahrscheinliche künftige Entwicklung in China geriet natürlich durch die Kulturrevolution und das bestürzende Auftreten der Roten Garden ins Wanken. Die volle Bedeutung der jetzigen Umwälzungen können wir noch nicht voraussehen, aber wir werden — das liegt auf der Hand — manche Urteile, auf denen diese zunehmende Übereinstimmung beruhte, neu zu überprüfen haben. Das Problem der Nachfolge Mao Tsetungs wird den Chinesen größere Schwierigkeiten bereiten, als man vor einigen Jahren allgemein angenommen hat. Auch sieht es jetzt so aus, als werde es länger als erwartet dauern, bis der chinesische Kommunismus einsieht, daß die wirtschaftliche und soziale Wirklichkeit in China allen Veränderungen unweigerlich gewisse Grenzen setzt. Es ist zwar gut und richtig, wenn die amerikanische Politik auch künftig davon ausgeht, daß nach aller geschichtlichen Wahrscheinlichkeit der chinesische Kommunismus — wie alle unterentwikkeiten bereiten, als man vor einigen Jahren — sich schließlich der gesellschaftlichen Struktur seines eigenen Volkes anpassen und mit den anderen Völkern der Welt zu einem vernünftigen Zusammenleben gelangen muß. Aber wie bald und in welcher Form das geschehen wird, ist nunmehr unsicherer geworden.

Wechsel von Engagement und Rückzug

Vielleicht befinden wir uns wieder einmal in der für Amerika schon charakteristisch gewordenen Situation, in der die Hoffnungen und Gefühle im amerikanischen Volk hinter der Entwicklung in Asien zurückbleiben. Es wäre tragisch, wenn die gegenwärtige Neigung, in der Chinapolitik neue Wege zu suchen, durch den augenblicklichen Stand der innenpolitischen Entwicklung in China zunichte gemacht würde. Dieser Neigung nachzugeben ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit in Asien, könnte allerdings zu einer noch größeren Tragödie führen, denn dann würde mit Sicherheit — wenn auch zu Unrecht — der Vorwurf erhoben werden, die Voraussagen über Chinas Reaktion auf unsere Bemühungen, Vernunft walten zu lassen, seien falsch gewesen. Wenn wir die Vorteile, die die gegenwärtige Einstellung in Amerika bietet, nutzen und die Gefahr bitterer Vorwürfe bei Fehl-13 Schlägen vermeiden wollen, ist es wichtig, daß wir zu einer realistischen Beurteilung darüber gelangen, wieweit wir die Entwicklung in China im besonderen und in Asien im allgemeinen beeinflussen können. Was dürfen wir von der amerikanischen Politik erwarten? Welche Aufgaben müssen wir zu erfüllen versuchen? Als A. Whitney Griswold sich vor beinahe dreißig Jahren bemühte, das Grundthema der amerikanischen Politik in Ostasien aufzuzeigen, fiel ihm der rhythmische Wechsel zwischen Engagement und Rüdezug auf. Das schien darauf hinzudeuten, daß wir tatsächlich unsere Politik selbst bestimmen und uns nach Wunsch mehr oder weniger engagieren konnten. Heute glauben viele Amerikaner, daß der Zeitpunkt für den unausweichlichen Umschwung gekommen sei und daß wir uns von den ärgerlichen Problemen Asiens allmählich wieder lösen sollten. Andere sind ebenso überzeugt, daß unsere Asienpolitik nur ein wenig intensiver und entschiedener sein müßte, um eine neue Ära der Sicherheit einzuleiten. Beide Standpunkte gehen jedoch von der Annahme aus, daß die Initiative bei der amerikanischen Regierung liege.

Die Formel vom rhythmischen Wechsel zwischen Engagement und Rückzug wird der heutigen komplexeren Lage nicht mehr gerecht. Heute müssen wir einsehen, daß unsere Politik in Asien nicht nur von unseren eigenen Eingebungen, sondern auch von den Unbeständigkeiten der Politik der asiatischen Länder selbst bestimmt worden ist, ja es zeigt sich immer deutlicher, daß die Verschiebungen im Gleichgewicht der Kräfte in Asien selbst das wichtigste dynamische Element gewesen sind. Da der Modernisierungsprozeß in der Gesellschaftsstruktur der asiatischen Länder ein hohes Maß von Labilität zur Folge gehabt hat, sind diese Verschiebungen schärfer und extremer zutage getreten als in Europa. Der Rhythmus des Wechsels ist von Asien diktiert worden und hat sowohl den Grad des amerikanischen Engagements wie die Möglichkeiten des amerikanischen Rückzugs bestimmt.

Politik nach allgemeinen Grundsätzen

In ihrer praktischen Politik haben die Ver-einigten Staaten dazu geneigt, einzelne, zum Teil rasch vorübergehende Phasen in der Ge-schichte des modernen Asien für einen Dauer-zustand zu halten. Außerdem — und das ist ebenso wichtig — hat die amerikanische Poli-tik versucht, den Verlauf sich anbahnender Veränderungen vorhersehbar zu machen und ihnen einen sinnvolle Richtung zu geben. Immer wieder haben wir den Kreis durch-schritten: zuerst haben wir eine gefährliche Laqe früh erkannt, dann einen Grundsatz ver-kü 3ndet, um die Kräfte der Ordnung zu stützen, und dann eine Position hartnäckig verteidigt, damit die anderen ihr Verhalten nach unseren Voraussagen einrichten konnten. Das Bemü-hen, das Gefühl für Stabilität in dem betref-senden Gebiet zu stärken, hat gelegentlich da-zu geführt, daß die amerikanische Politik aus einer Mischung von Opportunismus und Starr-heit zu bestehen schien.

Zu dieser Häufung von Widersprüchen kommt hinzu, daß wir zwar auf der politischen Bühne Asiens ständig aufgetreten sind, uns im Grunde aber mit der asiatischen Politik nur am Rande befaßt haben. Es ist immer wieder typisch für unsere Politik gewesen, unzwei-cdeutige, höchst allgemein formulierte Grundsätze zu verkünden, die der amerikanischen Öffentlichkeit leicht erklärt werden konnten 1und die dem sich wandelnden Asien ein Elem 1 ent von Beständigkeit zu geben schienen. W 1 ir haben uns nicht auf das dauernde Anpassen und Manövrieren einlassen müssen, das 1für eine echte und tiefgreifende Beteiligung an ceinem lebendigen politischen Geschehen kennz 2 eichnend ist. Risiko und Gewinn sind im allg 1 emeinen so unsicher und so fernliegend ge1wesen, daß wir es uns leisten konnten, das G(ewicht auf hohe ethische Grundsätze zu leg-en. Jedes Mal allerdings, wenn die Einsätze s 5 tiegen und wir gezwungen waren, eine subt*ilere und weniger eindeutige Politik zu bef, olgen, sind weite Kreise der amerikanischen Ö" ffentlichkeit in Verwirrung geraten, denn (das hatten sie in der Asienpolitik nicht erwarttet. IDamit haben wir einige Grundthemen und T 7 atsachen berührt, die zur amerikanischen IEinstellung zu Asien gehören und berücksichttigt werden müssen. Sie alle spielten eine Rolle, at ls wir auf ein machtloses chinesisches Reich mi it der „Politik der offenen Tür" antworteten: IDamals wurde viel geredet über unsere Nei-gung zu formaljuristischen Formulierungen und moralischen Erklärungen, aber im Grunde haben wir nur versucht, die Schwäche Chinas auszugleichen, indem wir bessere Voraussetzungen für eine geordnete Entwicklung schufen. Später mußte die amerikanische Politik der Tatsache Rechnung tragen, daß ein modernisiertes, militaristisches Japan durch seine wachsende Seemacht das asiatische Gleichgewicht ins Wanken brachte. Auch in diesem Fall stand hinter den formalrechtlichen Abmachungen der Washingtoner Abrüstungskonferenz und der Nichtanerkennung Mandschukuos das Bemühen Amerikas, in die Veränderungen im Gleichgewicht der Mächte in Asien Stabilität und Ordnung zu bringen.

Pragmatische Behandlung jeder neuen Krise

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch Japans sahen wir uns plötzlich dem unerwarteten Phänomen eines geeinten, scheinbar starken, mit der Sowjetunion alliierten China gegenüber; daraus entstand die Theorie, ein kommunistischer Block werde durch die Weltanschauung für alle Zeiten zusammengehalten. Inzwischen führte das Auftreten der früheren Kolonialländer Südostasiens, besonders dramatisch durch Indien, in Amerika zu der stereotypen, geradezu doktrinären Meinung, die afro-asiatischen Länder seien alle in erster Linie an einer raschen, geplanten wirtschaftlichen Entwicklung interessiert und wollten im Kalten Krieg neutral bleiben. Bei dem Versuch, ein neues Gleichgewicht der Kräfte in Asien zu stabilisieren und dabei gleichzeitig China „einzudämmen" und eine Reihe schwacher, desorganisierter neuer Staaten zu kräftigen, hat sich Amerika wieder einmal dazu verführen lassen, eine starre, kompromißlose Haltung einzunehmen. Und da die chinesische Bedrohung realer schien als die Aussichten für eine rasche Stärkung der Nationen im restlichen Asien, mußte die dogmatische Seite der amerikanischen Politik das negative Element stärker betonen als das konstruktive.

Es konnte nicht ausbleiben, daß wir durch das wiederholte Eingehen auf die unvorhersehbaren Veränderungen in Asien in eine immer kompliziertere Lage gerieten. Im Laufe der Jahre haben wir eine Reihe von Verpflichtungen auf uns genommen, ein System militärischer Stützpunkte zur Abwehr jeweiliger Bedrohungen aufgebaut und zahlreiche Hilfsprogramme für die Asiaten entwickelt. Diese verschiedenen Bestandteile unserer Asienpolitik sind allerdings nicht in eine geordnete und zusammenhängende Form gebracht worden und bilden daher lediglich die Grundlage für die pragmatische Behandlung jeder neuen Krise. So befinden wir uns in der einzigartigen Situation, daß wir in Asien größere Möglichkeiten zum politischen Handeln haben als je zuvor in unserer Geschichte, aber weniger denn je eine grundsätzliche politische Linie.

Zwei unterschiedliche politische Ziele

Dieser Prozeß der Wandlung in Asien und des amerikanischen Reagierens darauf ist noch immer im Gange, und die amerikanische Politik wird sich jetzt auf eine Reihe neuer und vielschichtiger Veränderungen einzustellen haben. Bisher haben wir allerdings noch keine entsprechenden neuen Grundsätze aufgestellt, an die wir uns bei der Behandlung folgender Tatsachen in Asien halten können: Erstens, eines sich entfaltenden, aber isolierten Chinas, das innenpolitisch mit den Schrecken der Säuberungen und der Nachfolgekämpfe vollauf beschäftigt ist-, zweitens, daß sich Indien China gegenüber feindselig, dem Kommunismus gegenüber aber ambivalent verhält und immer noch nach Wegen zur besseren Entwicklung des eigenen Landes und zur Erhöhung seines internationalen Ansehens sucht; drittens, des lebens-und kraftvollen Japans, das aber einstweilen nicht bereit ist, sein Macht-und Einflußpotential einzusetzen; viertens, des bankrotten Indonesiens, das am Rande des Kommunismus gestanden und nun den Umschwung zu einem heftigen Antikommunismus vollzogen hat. Und schließlich gibt es natürlich Vietnam und das alte Problem Laos sowie die Möglichkeiten einer weiteren Krise in Thailand.

Das Problem, eine angemessene und in sich folgerichtige Einstellung zu diesen neuen Entwicklungen zu finden, wird noch dadurch erschwert, daß die amerikanische Politik mindestens seit dem Koreakrieg zwei ganz getrennte, aber vermutlich einander ergänzende Ziele verfolgt Zum ersten gehören die hat.

unmittelbaren Reaktionen auf das Phänomen des kommunistischen China. Sie bestanden vorwiegend in Sicherheitsvorkehrungen und allgemeinen militärischen Maßnahmen. Dazu gehören aber auch schwierige diplomatische Fragen wie die Anerkennung des Pekinger Regimes und seine Aufnahme in die Vereinten Nationen. Das zweite umfaßt unsere Politik gegenüber den Ländern des freien Asiens sowie unsere Bemühungen, Hilfen für ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu geben. Die unverbindliche und allgemeine rhetorische Sprache, in der große politische Grundsatzerklärungen gefaßt werden, ermöglicht es uns, so zu tun, als sei das, was unsere linke und unsere rechte Hand getan haben, alles nur Teil des einzigen großen Zieles, das kommunistische China „einzudämmen" und das übrige Asien zu stärken. In der Praxis besteht jedoch eine tiefe Kluft zwischen denjenigen, denen es in erster Linie um das Problem China geht, und denen, die sich von Berufs wegen vorwiegend mit der wirtschaftlichen sowie mit anderen Formen der Entwicklung befassen. Die ersteren neigen zu der Ansicht, bei ihnen gehe es um das Grundproblem Asiens und alles andere sei mehr oder weniger Nebensache. Die anderen haben für die Gesetzmäßigkeiten Krieges nichts der Kalten übrig, Kommunismus chinesische langweilt sie und sie nicht sind überzeugt, daß China auch nur halb so wichtig ist, wie die China-Kenner behaupten. Jede dieser Einstellungen hat ihre eigene Logik, bei jeder sind die Gewichte verschieden verteilt. Dennoch ist es nach dem Koreakrieg fast zehn Jahre lang möglich gewesen, daß die beiden Gruppen auf Grund einer erträglichen Arbeitsteilung ihren verschiedenen Asienbildern entsprechend handeln konnten. Gelegentlich stellte das eine politische Ziel das andere in Frage, zum Beispiel als der Wunsch nach Sicherheitsbündnissen und die scheinbaren Vorteile der militärischen Hilfe im Widerspruch zu den Maßnahmen der reinen wirtschaftlichen Entwicklung standen. Im wesentlichen aber konnte die Frage des Vorrangs aufgeschoben werden, und es schien kaum nötig, unsere gesamten Bemühungen auf ein einziges Ziel zu konzentrieren und Bedeutung und Wirksamkeit aller Programme und Maßnahmen an einer wirklich konsequenten Außenpolitik zu messen.

Isolierte Behandlung der Probleme der einzelnen Länder

Die Prioritätsfrage ließ sich vor allem deshalb umgehen, weil die neuen asiatischen Länder in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg so umfangreiche und schwierige Entwicklungsprobleme zu lösen hatten, daß sie verständlicherweise dazu neigten, sich zunächst nur mit ihren eigenen Sorgen zu befassen und die Probleme ihrer Nachbarn zu ignorieren. Dadurch entwickelte sich bei den Vereinigten Staaten der Brauch, bilaterale Hilfe zu gewähren und die Probleme jedes Landes für sich zu behandeln. Diese Neigung, die Entwicklungsprobleme von Land zu Land zu betrachten, verminderte die Notwendigkeit, sich mit Fragen, die das ganze Asien betrafen, auseinanderzusetzen. Obwohl der Grundsatz der Entwicklungshilfe nach allgemeiner Meinung auf den Marshall-Plan zurückgeht, ist es bemerkenswert, daß, als der Schwerpunkt von Europa nach Asien verlagert wurde, die regionale Planung durch bilaterale Planung ersetzt wurde. Die Probleme der asiatischen Entwick-lung wurden während dieser Zeit in einem so engen nationalen Rahmen gesehen, daß man sogar von einem „Entwicklungsrennen" zwischen China und Indien sprechen konnte, das allein schon über das Schicksal Asiens praktisch entscheiden würde, ohne daß diese Länder selbst auch nur die geringste außenpolitische Tätigkeit entfalteten. Manchmal schien es, als glaubten wir, die meisten Probleme Asiens ließen sich lösen, wenn die freien Länder auf alle außenpolitischen Beziehungen verzichten und sich ganz auf die eigenen internen Entwicklungsfragen konzentrieren würden.

Diese wohlwollende und im Grunde unpolitische Beurteilung der Wirksamkeit der wirtschaftlichen Entwicklung sowie die Erwartungen, die wir auf das Beispiel Indiens für alle Entwicklungsländer setzen, wurden — ebenso wie die indische Politik selbst — durch den Schock des chinesisch-indischen Grenzkonflikts und durch den immer mehr um sich greifenden Krieg in Vietnam erschüttert. Diese und andere grundsätzliche Veränderungen der jüngsten Zeit haben die unausweichliche Tatsache, daß die Beziehungen der Staaten untereinander das Schicksal Asiens bestimmen werden, wieder in den Brennpunkt der Überlegungen gerückt. Gleichzeitig hören die südostasiatischen Nation langsam, aber sicher auf, sich nur mit ihrer innenpolitischen Entwicklung zu befassen und zeigen ein wachsendes Interesse an der im Entstehen begriffenen asiatischen Zusammenarbeit. Eine nicht geringe Rolle spielt dabei die Einsicht einiger Länder, daß der wirtschaftlichen Entwicklung eine absolute Grenze gesetzt ist, so lange sie auf ihre kleinen nationalen Märkte beschränkt sind. Sie haben einsehen müssen, daß ihre verhältnismäßig kleinen Länder und ihre geringe Bevölkerungszahl nicht ausreichen, um Märkte zu schaffen, die groß genug sind, um eine Kapitalgüterindustrie aufzubauen. Diese neue Erkenntnis, die von den Asiaten selbst kommt, bereitet einer umfassenderen regionalen Zusammenarbeit den Weg.

Anfänge einer ostasiatischen Zusammenarbeit

Diese Entwicklung kann wesentlich dazu beitragen, die entscheidend wichtigen zwischenstaatlichen Beziehungen herzustellen, die notwendig sind, wenn die von Japan, Indien und Amerika unterstützten Staaten Südostasiens echte Sicherheit auf Grund eines Gleichgewichts der Kräfte finden sollen. Ja, man darf vorausschauend wohl sagen, daß jede denkbare Lösung des Vietnamkrieges eine massive amerikanische wirtschaftliche Hilfsaktion in Südostasien zur Folge haben wird, die über die Grenzen Vietnams hinausgehen und ein mächtiger Anreiz für regionale Zusammenarbeit in einem vor wenigen Jahren noch ganz undenkbaren Umfang sein wird. Im Lichte dessen, was die Vereinigten Staaten nach früheren Kriegen in Asien getan haben, um Japan, Korea und Taiwan wirtschaftlich wiederaufzubauen und zu fördern, und angesichts unserer stark gefühlsbetonten Reaktionen auf den Vietnamkrieg können wir davon ausgehen, daß nach dem Ende der Feindseligkeiten die Hilfsmaßnahmen für Südostasien ein Ausmaß erreichen werden, die die Wirtschaft der betreffenden neutralen Länder von Grund auf ändern und die Entwicklung dieses Raumes entscheidend fördern werden. Das wird zur Folge haben, daß die Bemühungen um die wirtschaftliche Entwicklung Südostasiens nicht wie bisher auf bilateraler Grundlage, sondern auf der breiteren Basis multinationaler Märkte stattfinden werden.

In dieser Hinsicht wird das Beispiel Indien wahrscheinlich weniger Einfluß auf die Entwicklung der südostasiatischen Länder haben als der reale wirtschaftliche Beitrag Japans. Ja selbst eine begrenzte Zusammenarbeit einiger weniger südostasiatischer Staaten kann schon die Voraussetzungen schaffen, um Japan in die Bemühungen um ein Gleichgewicht der Kräfte in Asien einzuschalten. Solange die einzelnen Länder dieses Gebietes ihre Probleme allein zu lösen versuchten und Japan sich seiner eigenen Rolle nicht sicher war, gab es keine Möglichkeit, die immer noch vorhandenen feindseligen Gefühle zu überwinden, die auf den Zweiten Weltkrieg und auf die japanische Besetzung von fast ganz Südostasien zurückgehen.

Insgesamt also kann man wohl, ohne allzu unrealistisch zu sein, davon ausgehen, daß nach dem Vietnamkrieg ein wesentlich stärkeres und besser integriertes Südostasien entstehen wird, in dem Japan eine zunehmend konstruktive Rolle spielen kann. Schon jetzt hat Japan die Initiative ergriffen, als es sich an der Gründung der Asiatischen Entwicklungsbank beteiligte und sich bemühte, mehr zum Aufbau eines asiatischen Staatensystems beizutragen.

China und das Problem der Sicherheit

Grundsatzerklärungen über die amerikanischeä Politik, die sich hauptsächlich mit optimistischi beurteilten Möglichkeiten der wirtschaftlicheni Entwicklung Südostasiens beschäftigen, so wird man meinen, an der Wirklichkeit vorbei, so lange das Zentralproblem Asiens — das kommunistische China — nicht erwähnt wird. Ist es jetzt an der Zeit, all den Fragen, die mit der Aufnahme unmittelbarer Beziegehen,, zu China Zusammenhängen, offener ins Auge zu sehen? Wie schon eingangs erwähnt, sah es Anfang 1966 so aus, als werde die amerikanische Politik gegenüber dem kommunistischen China eine bedeutsame Wandlung durchmachen, die zu umfangreicheren Beziehungen geführt hätte. Die Chinesen sind allerdings, nachdem sie sich in eine selbst-zerstörerische, immer weiter um sich greifende Orgie von Säuberungen, Nachfolgekämpfen und hemmungslosen Halbwüchsigen-Aufständen gestürzt haben, offensichtlich zur Zeit nicht in der Lage, irgendwelche sachliche Gespräche zu führen. Jedenfalls kann man von ihnen sicher nicht erwarten, daß sie sich jetzt auf den heiklen und schwierigen Gedankenaustausch einlassen, der jedem unmittelbaren Versuch, die chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu bessern, vorausgehen müßte.

Gerade jetzt, da die Roten Garden den Eindruck erwecken, als seien die chinesischen Führer von allen guten Geistern verlassen, wenn sogar Castro erklärt, Peking mache „den Sozialismus lächerlich", müßte jeder Versuch Amerikas, die Beziehungen Chinas zur Außenwelt auszudehnen, als ein zynischer Akt der psychologischen Kriegführung erscheinen. Je mehr die Öffentlichkeit über die tatsächliche Lage im kommunistischen China erfährt, um so schockierter wird sie sein und um so weniger wird sie Peking die Fähigkeit zutrauen, ein verantwortungsbewußtes Mitglied der Weltgemeinschaft zu werden. In Wirklichkeit aber sind unmittelbare und häufige Kontakte zu den Chinesen heute für die amerikanische Politik nicht von zentraler Bedeutung. Die eigentlichen Fragen, um die es hier geht, haben mit dem Kontakt von Mensch zu Mensch wenig zu tun, sondern wurzeln tief in den Problemen der militärischen Sicherheit und der künftigen Organisation Asiens.

Entscheidend für die Chinapolitik ist die grundsätzliche Beurteilung der Frage, wie China in Zukunft seine Kräfte in Asien und in der Welt einsetzen wird. Wie mächtig wird China sein? Zu welchen Zwecken werden die chinesischen Führer diese Macht gebrauchen? Seit dem Koreakrieg haben Sicherheitsfragen die amerikanische Chinapolitik beherrscht. Zuerst spielten sie in unserer allgemeinen Politik eine wichtige Rolle, weil uns das eng mit der Sowjetunion verbündete China beunruhigte. Die militärische Planung in bezug auf China mußte damals mit der Möglichkeit eines allgemeinen Krieges gegen einen sehr starken Gegner rechnen. Merkwürdigerweise ist die chinesisch-sowjetische Spaltung und das damit verbundene Absinken der Macht Chinas von der amerikanischen Sicherheitspolitik noch nicht voll berücksichtigt worden. Die chinesischen Atomexplosionen haben dazu beigetragen, die Schwächen Chinas zu verdecken und den vagen Eindruck hervorgerufen, daß Sicherheitserwägungen im westlichen Pazifik weiterhin Vorrang haben sollten.

übertriebene Vorstellungen von der Macht Chinas

Wie soll es nun in Asien weitergehen? Die amerikanische Politik im allgemeinen und die Sicherheitspolitik im besonderen werden zuberücksichtigen haben, daß die bisherige kombinierte chinesisch-sowjetische Bedrohung in geradezu dramatischer Weise zu einer nahezu isolierten chinesischen Bedrohung zusammengeschmolzen ist. Wieviel Gewicht sollen wir dem chinesischen Militärpotential beimessen? Dieses Potential wird ganz verschieden beurteilt, und wir beurteilen nicht nur verschieden, wir ziehen auch aus denselben Urteilen ganz verschiedene Schlüsse. Es lassen sich vier autoritative, von namhafter Seite vertretene Ansichten darüber feststellen, wie Amerika sich gegenüber China verhalten sollte; zwei sehen China in erster Linie als Macht und Bedrohung, zwei betonen die Grenzen der militärischen Stärke Chinas.

Da ist zunächst die Meinung, die sich in manchen Erklärungen McNamaras widerspiegelt, China stelle eine ernste und wachsende Bedrohung dar, deshalb verlangten Klugheit und Vorsicht den systematischen Ausbau unserer Sicherheitsmaßnahmen. In der Tat läßt das erstaunlich rasche Tempo der chinesischen Fortschritte bei der Entwicklung von Atomwaffen und Raketen es geboten erscheinen, sich ernsthafte Gedanken darüber zu machen, was die Chinesen in den nächsten zehn Jahren leisten werden.

Man muß sich jedoch darüber klar sein, daß die gewaltigen Anstrengungen Chinas auf diesem Gebiet eine ganz seltsame Art von Entwicklung darstellen, denn die herkömmlichen Streitkräfte Chinas sind nach wie vor schwach. Wenn die Chinesen ihren hohen Einsatz für die Entwicklung von Atomwaffen und Raketen nutzen wollen, um zu verdecken, wie schwach sie im Grunde sind, können sie das nur tun, indem sie andere an diese Möglichkeit glauben machen. Die Vorstellung, Chinas Macht sei ungeheuer gewachsen, fällt nahezu in sich zusammen, wenn man die vorhersehbaren chinesischen Fortschritte auf dem Gebiet der konventionellen Streitkräfte nüchtern betrachtet. Es ist schwer zu glauben, daß Streitkräfte, die einst als stark genug galten, um ein von der Sowjetunion unterstütztes China abzuschrecken, nun nicht mehr ausreichen sollten, um China allein im Bann zu halten. Die Einsicht, daß China allein steht und daß seine Macht nur noch auf den eigenen Hilfsmitteln beruht, hat bereits in Japan die Neigung zu einer realistischeren Sicherheitspolitik gestärkt. Diese Entwicklung und die militärische Stärkung Indiens nach dem Grenzkrieg eröffnen die Möglichkeit, daß Asien jetzt mehr dazu beitragen kann, im Bereich der konventionellen Streitkräfte ein Gegengewichi zur Macht Chinas zu bilden. So lange amerikanische Atomstreitkräfte als Abschreckung gegen die chinesische nukleare Bedrohung dienen, verfügt China, wie es scheint, nicht über genügend konventionelle Streitkräfte, um das Gleichgewicht in Asien zu stören. Wir würden also den Chinesen nur in die Hand spielen, wenn wir uns durch ihre militante Sprache dazu verleiten ließen, ihre Macht übertrieben hoch einzuschätzen.

Eine andere in Amerika viel vertretene Ansicht sieht China zwar auch als aufsteigende Macht, rät aber zu der genau entgegengesetzten Reaktion. Finstere, aber im einzelnen nicht genau angegebene Gefahren voraussehend, ziehen die Vertreter dieser Theorie den Schluß, die Vereinigten Staaten könnten nur dann von dem „Kollisionskurs''mit dem kommunistischen China herunter, wenn sie sich allmählich vom asiatischen Festland absetzten und sich auf Positionen auf dem offenen Meer zurückzögen, von denen aus sie ihre überlegene Luft-und Seemacht einsetzen könnten. Das Bild eines mächtigen und gefährlichen Chinas verstärkt auch die undeutlich empfundene Sorge, daß Amerika sich besonders in Asien vielleicht zu weit vorgewagt habe. Diese Sorge geht wahrscheinlich eher auf den Krieg in Vietnam als auf die Lage im kommunistischen China zurück, und da sie weitgehend auf der Furcht vor jeder Form der Eskalation im Vietnamkonflikt beruht, ist es schwer zu beurteilen, welche Rolle sie nach Vietnam noch spielen wird. Auch ist diese Auffassung inzwischen erheblich erschüttert worden durch zwei widersprechende Argumente. Das eine lautet, China könne durch die amerikanische Luftwaffe erfolgreich „eingedämmt“ werden, das andere, die gegenwärtigen Luftangriffe könnten auf Hanoi keine Wirkung haben. Da die Chinesen ihr Atom-und Raketenprogramm außerordentlich forcieren und die Amerikaner entschlossen sind, keine weitere Verbreitung von Atomwaffen zuzulassen, dürfte es außerdem immer schwieriger werden, die amerikanischen Atomstreitkräfte aus Asien zurückzuziehen.

Realistische Beurteilung ist notwendig

Diesen beiden Standpunkten steht die Meinung derjenigen gegenüber, die ein deutliches Absinken der militärischen Stärke Chinas seit dem Bruch mit Rußland zu erkennen glauben. Eine einflußreiche Gruppe erkennt Chinas militärische Schwächen und sagt, Amerika könne nun von seiner Position der Stärke aus eine Politik der „Eindämmung ohne Isolierung" einschlagen. Sie geht davon aus, daß das Pekinger Regime fest im Sattel sitze, daß der Führungswechsel in verhältnismäßig geordneter Form vor sich gehen und daß China eine bedeutendere Rolle in der Weltpolitik spielen werde. Deshalb sei es nun Zeit, ausgedehntere und, wie man annehmen muß, für beide Seiten befriedigendere Beziehungen zu Peking anzustreben.

Schließlich gibt es noch eine vierte Ansicht, die zwar auch die Schwächen Chinas sieht, aber zu dem Schluß kommt, man solle jetzt nicht mit Peking verhandeln, sondern besser möglichst feste Maßstäbe für künftige internationale Beziehungen in Asien setzen. Das gegenwärtig entscheidende Problem ist in diesem Zusammenhang natürlich, wie indirekte Aggressionen verhindert werden können. Die Verfechter dieser Ansicht glauben zwar, daß China nicht in der Lage ist, in Vietnam direkt einzugreifen, schätzen aber die Fähigkeit der Chinesen, andere in die Rolle internationaler Störenfriede hineinzuhetzen, hoch ein. Allgemeiner gesprochen, sind sie der Meinung, ein ausführliches Gespräch mit Peking werde wenig Gewinn bringen, und da selbst ein schwaches China hoffnungslos hartnäckig sei, könne schon der Versuch enttäuschend und ermüdend sein; deshalb sei es sinnvoller, wenn Amerika sich auf das zweite Ziel seiner Asien-politik konzentriere.

Jeder Versuch, diese verschiedenen Standpunkte zu bewerten, muß natürlich alle die Imponderabilien berücksichtigen, die die Zukunft des kommunistischen Chinas bestimmen. Die jüngste Entwicklung in diesem merkwürdigen Land deutet jedoch darauf hin, daß diejenigen, die die Macht Chinas geringer einschätzen, auf festerem Boden stehen, das heißt, daß die wichtige Debatte über die amerikanische Politik sich zwischen denen abspielen wird, die den dritten und vierten Standpunkt vertreten und daß irgendeine Variation dieser Meinungen die nächste Phase der Asienpolitik Amerikas bestimmen wird.

Zur Zeit bringen die Umwälzungen in China diejenigen, die auf eine Lockerung der Isolierung Chinas drängen, in eine äußerst schwierige Lage. Die Verfechter dieses Standpunkts, die es verdienen ernst genommen zu werden, gerade weil sie die Schwächen Chinas realistisch sehen, laufen Gefahr, allzu doktrinär zu erscheinen, wenn sie sich den veränderten Umständen nicht anpassen können. Es wäre jedoch ganz unangebracht, eine auf lange Sicht angelegte politische Linie aufzugeben, weil der gegenwärtige Wahnsinnsanfall der Chinesen sie im Augenblick absurd erscheinen läßt. Jedes Mittel, das die Kräfte der Mäßigung in China stärkt, verdient eine wohlwollende, aber sorgfältige Prüfung.

Kann man die gemäßigten Kräfte in China stärken?

Oberflächlich und lediglich als politisches Schlagwort genommen, leuchtet die Empfehlung, die Vereinigten Staaten sollten die Kräfte der Mäßigung in China unterstützen, durchaus ein. Es fragt sich allerdings, ob eine solche einleuchtende Haltung auch eine wirksame Politik sein kann. Der Ruf nach einer „entspannteren und beweglicheren Haltung" China gegenüber beruht häufig nur auf dem unschuldigen Glauben an die Macht des guten Beispiels, wenn man so sagen darf. Wenn wir Mäßigung und Zurückhaltung üben, werden die Chinesen allmählich das gleiche tun; sind wir starr und feindselig, werden auch sie es sein. Die bloße Tatsache, daß wir uns gemäßigter geben, soll angeblich die Kräfte der Mäßigung in China stärken, wenn nicht sofort, so wenigstens bei der nächsten Generation.

Ob sich diese These vertreten läßt oder nicht, möge dahingestellt bleiben, aber es besteht immer noch die begrenztere Frage, ob sie auf die chinesischen Kommunisten anwendbar ist. Selbst wenn sich alle darüber einig sind, daß Amerika es sich zum Ziel setzen sollte, die gemäßigteren Kräfte in China zu stärken, fragt es sich, ob dies die richtige Methode ist. Besteht irgendein Grund zu der Annahme, daß sie wirksamer sein würde als, sagen wir, die genau entgegengesetzte — nämlich den Chinesen so lange energisch entgegenzutreten, bis sie bereit sind, sich auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen gemäßigter und vernünftiger zu verhalten? Oder handelt es sich um etwas, das nicht objektiv beurteilt werden kann, so daß die Frage darauf hinausläuft, welche Methode die Amerikaner subjektiv am meisten befriedigt? Schließlich gibt es Leute im amerikanischen Volk, die sagen, Amerika habe die Chinapolitik in erster Linie dazu benutzt, um seinen moralistischen Neigungen zu frönen, und es sei nun an der Zeit, die andere Seite des amerikanischen National-charakters — die pragmatische Vernunft — hervorzukehren.

Pekings Verhalten im Laufe der letzten Jahre hat kaum Anlaß zu der Annahme gegeben, daß wir das Verhalten der Chinesen so leicht beeinflussen können, ja es wäre beinahe leichter zu beweisen, daß sie eher genau die umgekehrte Haltung eingenommen haben wie die Vereinigten Staaten. Ein Beispiel: Als unsere Opposition gegen Peking am starrsten war, machten sich die Chinesen den freundlich-wohlwollenden Geist von Bandung begeistert zu eigen und sprachen ganz allgemein vom „good will" unter den Nationen. Und je mehr wir in jüngster Zeit unsere Kritik an China gemäßigt haben, desto maßloser sind die chinesischen Vorwürfe gegen die Vereinigten Staaten geworden.

Diejenigen, die sich ausdrücklich dafür einsetzen, die Kräfte der Mäßigung in China zu fördern, sind meist realistisch genug einzusehen, daß es nicht möglich sein wird, den Fanatismus der Generation des Langen Marsches zu erschüttern; es sollte vielmehr, so meinen sie, das Ziel sein, die nächste Führergeneration davon zu überzeugen, daß sie es sich leisten könne, maßvoll und vernünftig zu sein. Hierzu muß man sagen, daß Maos scheinbarer Wahnsinn zum großen Teil gerade darauf beruht, daß er uns im Verdacht hat, so zu denken. In welcher Geistesverfassung Mao sich in diesem Abschnitt seines Lebens auch immer befinden mag, er hat jedenfalls ein empfindliches Gespür für jedes Zeichen, daß der Geist seiner Art von Kommunismus zu erlöschen beginnen könnte. Noch wichtiger, er hat ausdrücklich zu erkennen gegeben, daß er der aushöhlenden Wirkung von Wissenschaft und Technik auf die kommunistische Ideologie die gleiche Bedeutung beimißt wie die westlichen Beobachter. So bezieht sich sein Vorwurf des „Revisionismus“ in erster Linie darauf, daß Chruschtschow eine technokratische Schicht in der Sowjetunion zu einflußreichen Stellungen aufsteigen ließ, ja noch schlimmer, daß er russischen Wissenschaftlern erlaubte, mit ihren westlichen Kollegen zusammenzutreffen, wobei die Universalität der Technik betont wurde und die Politik in den Hintergrund trat. Es ist eines der wichtigsten Ziele der „Kulturrevolution", das „bürgerliche Denken" auszumerzen, das in zunehmendem Maße auf die Bereitschaft hinausläuft, politische Erwägungen zurückzustellen. So sind es gerade jene technisch-sachliche Einstellung und der apolitische Geist der Wissenschaft, auf die wir unsere Hoffnung auf eine gemäßigte neue Generation in erster Linie setzen, die Mao für die allergefährlichsten hält.

Erfahrungen der anderen

Kurzum, die Chinesen sind entschlossen, daß sich das, was sich in der Sowjetunion und in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen abgespielt hat, in ihrem Fall nicht wiederholen darf, und sie werden mit Sicherheit eine Politik betreiben, die jeden amerikanischen Versuch, eine solche Entwicklung zu fördern, zunichte macht. Unter diesen Umständen wird jede amerikanische Politik, die ausdrücklich darauf hinzielt, potentiellen Gemäßigten in China Mut zuzusprechen, wahrscheinlich selbstzerstörerisch sein und, was noch schlimmer ist, gerade den Personen schaden, denen wir helfen wollen. Daß die Amerikaner gewisse Aspekte des stalinistischen Rußland gerne vergessen möchten, ist verständlich, aber die elementaren Grundsätze der Vorsicht, die in den Beziehungen zu totalitären Systemen notwendig sind, so rasch zu vergessen und darüber hinaus die Sicherheit der Menschen zu gefährden, die in der explosiven Atmosphäre des maoistischen China leben müssen, ist unverantwortlich. Wenn die amerikanische Politik es sich ausdrücklich zum Ziel setzt, gemäßigte Elemente zu ermutigen, können dadurch gerade die Menschen, denen wir helfen wollen, in Verdacht geraten. Das ist ein sehr hoher Preis — auch wenn er uns die Befriedigung gewährt, auf Chinas Haß und Feindseligkeit mit einem hohen Maße von Vernunft reagiert zu haben.

Wenn wir uns um Klarheit darüber bemühen, wieweit die Vereinigten Staaten die Entwicklung in China tatsächlich beeinflussen können, mag es nützlich sein, sich die Schwierigkeiten vor Augen zu führen, denen andere bei dem gleichen Versuch begegnet sind. Die Russen hatten viel engere Beziehungen zu den Chinesen, als sie Amerika in der nächsten Zukunft je wird haben können, und sie waren vermutlich bemüht, die Chinesen zu einer maßvolle-ren Haltung zu bewegen. Sie sind eindeutig gescheitert; darüber hinaus hat sich ihre eigene Lage verschlechtert — und das, obwohl sie den Vorteil hatten, ideologisch mit den Chinesen übereinzustimmen und nicht, wie Amerika, von vorneherein als geschworene Feinde angesehen zu werden. Auch den Indern, Japanern, Engländern und Franzosen, die es, jeder auf seine Weise, versucht haben, ist es nicht gelungen, mäßigend auf die Entwicklung in China einzuwirken.

Natürlich ist es sehr schmeichelhaft für Amerika, wenn andere Länder trotz ihrer eigenen Schwierigkeiten mit China meinen, eine geringe Änderung der amerikanischen Haltung könne tiefgreifende Wandlungen im Verhalten Chinas hervorrufen. Die amerikanische Politik kann es sich jedoch nicht leisten, die Schwächen der Chinesen und ihre Unfähigkeit, ihre revolutionären Ziele in der gesamten unterentwickelten Welt durchzusetzen, zu verwechseln mit einer übertriebenen Einschätzung der Möglichkeiten Amerikas, die Entwicklung der chinesischen Gesellschaftsstruktur zu beeinflussen. Daß China nicht in der Lage ist, seine Form der Revolution in anderen Ländern einzuführen, heißt nicht, daß es nunmehr den Einflüssen amerikanischer Mäßigung zugänglich ist

Mäßigung auf lange Sicht wahrscheinlich

Das alles will nicht besagen, daß die Revolution in China im Laufe der Geschichte nicht doch eine stetige Mäßigung durchmachen wird. Man kann zwar den Gang der Geschichte nicht genau voraussehen, aber die allgemeine Richtung ist doch schon ziemlich klar. Ebenso wie der „Große Sprung nach vorn" der Illusion, die Chinesen besäßen eine Zauberformel für die Lösung der Probleme einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung, ein Ende machte, haben die „Große Kulturrevolution“ und das Wüten der Roten Garden die noch verbliebene Illusion über die märchenhaften Organisationsfähigkeiten der Chinesen zerstört. Die wirtschaftlichen Fortschritte Chinas wären viel eindrucksvoller erschienen, wenn die Chinesen nicht mit dem „Großen Sprung" den Mund so voll genommen hätten; auch die politische Entwicklung wird auf lange Zeit belastet sein von der Torheit, Halbwüchsige zur Säuberung von Partei und Bevölkerung einzusetzten. Was Mao dazu bewogen hat, eine Reihe von Maßnahmen in die Wege zu leiten, die auf die kostbare Aura der Parteiautorität nur vernichtend wirken kann, ist schwer vorstellbar. China zu regieren wird von nun an schwerer sein, und es dürfte trotz aller im Sprechchor aufgesagten Slogans nicht leicht fallen, den revolutionären Schwung wiederzugewinnen. Das alles bedeutet, daß die gegenwärtigen Umwälzungen den Tag, an dem der chinesische Kommunismus seine großen Ansprüche aufgeben und sich der tatsächlichen Lage in China und der chinesischen Gesellschaftsstruktur anpassen muß, paradoxerweise beschleunigt herbeiführen werden. Für die amerikanische Politik heißt das, fest darauf zu vertrauen, daß sich eine gemäßigte Richtung in China mit der Zeit durchsetzen und die Prophezeiungen der Chinesen, „Volksrevolutionen" würden auf die unterentwickelten Länder übergreifen, Lügen strafen wird. Das ist jetzt das Grundproblem, das die frühere Auseinandersetzung darüber, ob die Geschichte auf der Seite des Kapitalismus oder des Kommunismus sei, in gewissem Sinne verdrängt hat.

Gerade weil wir auf die Richtigkeit unserer Beurteilung der künftigen Entwicklung in China vertrauen können, sollten wir diejenigen sein, die zu einem „friedlichen Wettbewerb" bereit sind; wir sollten nicht versuchen, durch Manipulationen „den Gang der Geschichte zu beschleunigen". Das heißt, genauer gesprochen, wir sollten der Versuchung widerstehen, den Prozeß der Wandlung zu beschleunigen, indem wir uns um „Verbindungswege“ bemühen, die für die Chinesen nur störend und lästig sein können. Ebenso wie wir einst gelernt haben, daß wir wenig gewinnen, aber vielleicht viel verlieren könnten, wenn wir versuchen, das Schwächerwerden des sowjetischen Kommunismus manipulierend zu nutzen, sollten wir jetzt einsehen, daß das gleiche auch für den chinesischen Kommunismus zutrifft.

Politik der Geduld

Im kommenden Abschnitt der Geschichte Asiens wird die amerikanische Politik sich darauf einstellen müssen, tatenlos zuzusehen, wie die Chinesen den unvermeidlichen Prozeß der Anpassung des Kommunismus an die realen Gegebenheiten ihrer Gesellschaftsstruktur durchlaufen. So lange sie das Wesen des chinesischen — im Gegensatz zum maoistischen — Kommunismus nicht selbst erarbeitet haben, wird es außerordentlich schwer sein, die Frage der amerikanisch-chinesischen Beziehungen unmittelbar anzupacken. In der Zwischenzeit ist Geduld besser am Platze als die Unruhe, die einen so großen Teil der Diskussionen über das revolutionäre China gekennzeichnet hat. Ein Rückblick auf die Veränderungen, die in den letzten Jahren in China stattgefunden haben, zeigt deutlich, wie teuer uns voreilige Bemühungen um engere Beziehungen zu China zu stehen gekommen wären.

So ist es zum Beispiel klar, daß das China vor dem Großen Sprung weltpolitisch schwerer einzugliedern gewesen wäre als danach. Ähnlich wäre ein China, das nur den Großen Sprung, nicht aber die Roten Garden erlebt hat, ein schwierigerer Partner am internationalen Verhandlungstisch, als es das China nach den gegenwärtigen Umwälzungen sein wird. Die Zeit hat auch der übrigen Welt den Unterschied zwischen den Behauptungen der Chinesen und der Wirklichkeit im kommunistischen China immer deutlicher gemacht. Erst wenn wir diese Kluft zwischen Reden und Taten ganz begriffen haben, werden wir eine bessere Chinapolitik betreiben können.

Geduld haben heißt nicht abwarten und die Hände in den Schoß legen. Im Gegenteil, die Situation erfordert sehr viel mehr als die Bemühungen, einen Austausch von Zeitungskorrespondenten und Gelehrten zustande zu bringen. Es ist dringend notwendig, daß Amerika wieder einmal auf die klassische Methode der Anpassung an die Unsicherheiten der Entwicklung in Asien zurückgreift, das heißt in diesem Zusammenhang, seine Aufmerksamkeit auf die Errichtung eines neuen asiatischen Systems zwischenstaatlicher Beziehungen richtet, in dem der Macht und den Interessen Chinas in angemessener Weise Rechnung getragen wird.

Blick auf das Asien der Zukunft

Schon jetzt gibt es eine Reihe grundsätzlicher Fragen zum Gleichgewicht der Kräfte in Asien, von denen auch die amerikanischen Stützpunkte und die Atompolitik Amerikas betroffen sind. Jeder umfassende Plan für die Zukunft Asiens sollte diese Fragen klären. Und wenn wir davon ausgehen dürfen, daß der Vietnamkrieg einen für uns befriedigenden Abschluß finden wird, wird es dringend notwendig sein, China seine Minderwertigkeitsgefühle zu nehmen. Die Vereinigten Staaten werden ganz konkret erklären müssen, was sie damit meinen, wenn sie sagen, sie seien bereit, die „legitimen Interessen" Chinas zu achten.

Es darf kein Zweifel darüber gelassen werden, wie das Asien aussieht, an das China sich anpassen muß, und die übrigen asiatischen Länder müssen die Chinesen davon überzeugen, daß sie in einem solchen Asien Sicherheit finden können. Als wir in der Vergangenheit unsere großen Grundsatzerklärungen über Asien abgaben — zum Beispiel über die „Politik der offenen Tür" —, verfügten wir noch nicht über die heutigen Möglichkeiten, die Entwicklung in Asien zu beeinflussen. Heute allerdings fehlt uns die große „Formulierung". Dabei geht es aber nicht nur um Rhetorik, sondern um ganz konkrete Dinge wie die Verteilung von Atomstreitkräften und um Handel und Verkehr zwischen den Teilen gespaltener Länder.

Das alles wäre zu einem früheren Zeitpunkt voreilig gewesen; jetzt ist es angebracht, weil die Illusionen über China endlich weitgehend beseitigt worden sind, weil wir die Macht Chinas und das Tempo seiner Fortschritte einigermaßen klar erkennen können. Wenn wir den chinesischen Führern, gleichgültig ob sie den extremen oder den gemäßigten Gruppen angehören, das Asien der Zukunft vor Augen führen, werden wir dazu beitragen, die Kluft zwischen Reden und Taten weiterhin zu verringern.

Da es in Asien in den kommenden Jahren um so wichtige Fragen gehen wird, wäre es bedauerlich, wenn das zur Zeit lebhafte Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an einer neuen Chinapolitik lediglich zur Erörterung neuer Kontaktmöglichkeiten mit China oder der alten Frage der Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen führte. Nur eine geringe Veränderung unserer Blickrichtung könnte es uns schon ermöglichen, die beiden Teile unserer Asienpolitik endlich zu einer Einheit zu verschmelzen.

In einem Augenblick, in dem amerikanische Streitkräfte tief verstrickt sind in einen bösen Krieg in Vietnam, mag die Aufforderung, sich Gedanken darüber zu machen, was nach der „Eindämmung" in Asien geschehen soll, weltfremd erscheinen. Bedauerlicherweise hat sich aber die Diskussion über Vietnam so stark auf die Frage konzentriert, wie wir überhaupt dorthin gekommen sind, daß wir Gefahr laufen, wieder einmal einen Krieg durchzustehen, ohne uns von den politischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Nachkriegszeit eine Der Vorstellung zu machen. Vietnamkrieg selbst sowie das wachsende Gefühl der Zusammengehörigkeit in Südostasien werden beweisen, daß China eingedämmt worden ist. Deshalb sollten viele Fragen, die die Auseinandersetzungen über die Chinapolitik und über den Vietnamkrieg bisher beherrscht haben, zurückgestellt werden. Jetzt ist es nötig, unseren Blick auf das sehr viel wichtigere Problem der Organisation Asiens nach der Eindämmung Chinas zu richten.

Fussnoten

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Lucian W. Pye, Ph. D., Professor für Politische Wissenschaften am Massachusetts Institute of Technology, Senior Staff Member des Centre for International Affairs, zur Zeit Leiter des Projektes China-Studien des Council of Foreign Relations, geb. 1921 in China.