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Die politischen Parteien in den USA | APuZ 6/1967 | bpb.de

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APuZ 6/1967 Die politischen Parteien in den USA

Die politischen Parteien in den USA

Robert Adam

1. Das Entstehen der politischen Parteien

Abbildung 1

Schon während des Revolutionskrieges (1775 bis 1781) hatten sich die 13 amerikanischen Kolonien mit der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 von der Herrschaft Englands losgesagt und als freie und unabhängige Staaten erklärt. Mit den Articles of Conlederation von 1777, die nach der sich lange hinziehenden Ratifikation erst 1781 in Kraft traten, schufen sie eine lose Organisation eines Staatenbundes, dessen Zentralinstanz nur wenige Befugnisse, vor allem keine Steuerhoheit gegenüber den Bürgern hatte. Diese Mängel führten zu chaotischen Zuständen, zur Verschlechterung der Währung und zu förmlichen Handelskriegen zwischen den 13 Staaten.

Die „Gründerväter" (founding fathers), die im Mai 1787 in Philadelphia zur Beratung einer Verfassung zusammentraten, „um einen besseren Bund zu schaffen" (in Order to form a more perfect Union), sahen sich drei Hauptproblemen gegenüber:

a) Sie wollten einen Bundesstaat schaffen, wofür in der neueren Geschichte kein Beispiel vorhanden war. Bei Verteilung der Macht zwischen Bund und Staaten wurden die Bundeszuständigkeiten katalogartig aufgezählt, so daß die Vermutung der Zuständigkeit für die Staaten, nicht für den Bund spricht. Die Verfassungsväter waren vorsichtig genug, nur ein Gerüst aufzustellen, um künftiger Entwicklung keine zu engen Fesseln anzulegen.

b) Gewitzigt durch den Kampf gegen die englische Herrschaft fürchteten die neuen Staaten und ihre Bürger nichts mehr, als anstelle des Königs von England einer neuen Zentralgewalt unterworfen zu werden, die über kurz oder lang zur Wiedereinführung des Königtums führen könnte. Das staatspsychologische Mißtrauen gegen die Menschennatur, die prinzipiell für machtlüstern gehalten wurde, gab Veranlassung, dem Gleichgewicht der Kräite nicht nur im Verhältnis des Bundes zu den Staaten, sondern innerhalb des Bundes im Verhältnis von Exekutive zu Legislative die Hauptsorge zuzuwenden. Da sich nach der Auffassung der Väter der Verfassung, die sich nach den jene Ära der Aufklärung beherrschenden Problemen der Grundrechte, der Freiheit und der Gleichheit ausrichteten, das staatspolitische Vertrauen nur bei annäherndem Gleichgewicht der Kräfte einstellen kann und nichts dem Staatswohl gefährlicher werden kann, als wenn sich zuviel Macht an einer Stelle zusammenballt, legte man dem das ganze Regierungssystem durchziehenden Gesichtspunkt der checks and balances (Hemmungen und Gleichgewichte) besondere Bedeutung zu. Dieses System ist keineswegs allein durch die scharfe Trennung der Gewalten, die in den USA in vieler Hinsicht mehr betont ist als in anderen Staaten, gewährleistet, sondern in nicht minderem Maße durch ein überschneiden der Gewalten. Um nur zwei Beispiele anzuführen: Der Präsident übt durch sein Vetorecht auf einen bedeutsamen Einfluß die Gesetz-gebung aus; andererseits sind eine Reihe von obersten Bundesbehörden, die keinem department (Bundesministerium) zugeteilt sind (die sogenannten independent oder regulatory oder administrative agencies), der direkten Kontrolle durch den Kongreß unterstellt.

Die dritte Gewalt, die Rechtsprechung, war ursprünglich in dieses System nicht einbezogen. Ihre bedeutsame Rolle im Spiel der Kräfte sollte sie bald darauf unter dem großen Juristen John Marshall (Erstrichter am Supreme Court [Oberster Gerichtshof] von 1801— 1835) übernehmen.

c) Daß die Furcht vor zu starker demokratischer Entwicklung, die nach der Lehre des Lehre des Aristoteles leicht in Ochlokratie, Herrschaft der Schlechtesten, ausarten kann, ein weiterer stark ins Gewicht fallender Gesichtspunkt bei Schaffung der Verfassung war, mag bei manchen, die im Verfassungsleben der USA, wie es sich bis zur Gegenwart entwickelt hat, ein Vorbild demokratischer Einrichtungen erblicken, Erstaunen hervorrufen. Vom Volk, das nach der Präambel „diese Verfassung für die USA in Kraft setzt", ist im weiteren Verlauf kaum mehr die Rede. Die Grundrechte, die ersten zehn Zusatzartikel (amendments) zur Verfassung, die unter dem Namen „Bill of Rights" erst 1791 in Kraft traten, wurden als späterer Teil in die Verfassung deshalb ausgenommen, weil einige Staaten ihren Beitritt zur Union von ihrem Erlaß abhängig gemacht hatten; sie hielten die Aufnahme von Grundrechten in die inzwischen erlassenen Verfassungen der Einzelstaaten nicht für ausreichend.

Diese antidemokratische Einstellung ist darauf zurückzuführen, daß die Revolution gegen England nicht, wie bei vielen anderen revolutionären Bewegungen, von sozialen Beweggründen ausgegangen war. Die führenden Kräfte im Kampf gegen das Mutterland und die Väter der Verfassung gehörten der konservativen Oberschicht an. Das tiefe Mißtrauen gegen eine Volksherrschaft, die durch ihre Vertreter im Kongreß maßlose Ausgaben beschließen und die Besitzenden ausplündern könnte, geht aus den Ausfällen gegen Demokratie und politische Parteien hervor, von denen die Zeitschrift „The Federalist" stark durchsetzt ist. Ihre Herausgeber waren Alexander Hamilton, der spätere erste Finanzminister, James Madison, der spätere vierte Präsident, und John Jay, der erste Erstrichter am Obersten Gerichtshof, die in 85 berühmten Essays die schwankenden Staaten zur Annahme der Verfassung zu überreden versuchten. In der Verfassung kommt diese Einstellung vielfach zum Ausdruck; so war die Wahl der Senatoren (je zwei pro Einzelstaat) den gesetzgebenden Körperschaften der Staaten übertragen (Art. I Abschnitt III Abs. 1) — erst seit dem 17. Zusatzartikel zur Verfassung von 1913 werden die Senatoren von der Bevölkerung der Einzelstaaten gewählt —, das Wahlrecht für die Mitglieder des Abgeordnetenhauses (Art. I Abschnitt II Abs. 1) wurde durch die Gesetzgebung der Einzelstaaten auf einen verhältnismäßig kleinen Kreis von Besitzenden beschränkt, die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten wurde Wahlmännern anvertraut (Art. II Abschnitt I Abs. 2), wobei jedem Staat so viele Wahlmänner zukommen, als ihm im Kongreß Senatoren-und Abgeordnetensitze zustehen. Die Aufstellung der Wahlmänner war der Gesetzgebung der Einzelstaaten überlassen. Erst unter Andrew Jackson (1829— 1837), unter dem das demokratische Regierungssystem die letzten entscheidenden Schritte tat, wurde das aktive Wahlrecht auf alle Steuerzahler ausgedehnt; das Recht, die Wahlmänner für die Präsidentenwahl zu wählen, wurde in dem verbliebenen Rest der Staaten von den gesetzgebenden Körperschaften auf die Wähler übertragen, nachdem schon 1804 sich die Mehrzahl der Staaten für die direkte Wahl der Wahlmänner durch das Volk entschieden hatte.

Auch Washington, der erste Präsident, hatte 1796 in seiner Abschiedsbotschaft noch einen Donnerkeil gegen politische Parteien geschleudert, indem er sie als „das gemeine und fortdauernde Übel, schlimm genug, um einem weisen Volk ihre Entmutigung und Eindämmung zum Interesse und zur Pflicht zu machen", bezeichnete. Aber als unter seinem zweiten Nachfolger Thomas Jefferson, dem Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, Präsident 1801 bis 1809, dem Vertreter des common man, des „Mannes auf der Straße", sich zum erstenmal demokratische Grundsätze Geltung verschafften, setzte sich die Erkenntnis durch, daß eine Demokratie nur möglich ist, wenn sie über Repräsentativeinrichtungen verfügt, deren Träger ihr Amt durch Wahlen erhalten. Solche Einrichtungen können aber nur funktionieren, wenn sie durch politische Parteien betrieben werden, die der Wählerschaft die Kandidaten präsentieren und ihr damit die Auswahl unter den von den Kandidaten vertretenen politischen Zielen ermöglichen. Die Parteien üben dauernden Einfluß auf die Regierungsführung aus. Für die Integration der politischen Parteien in die Staatsmaschinerie sind die USA das Vorbild für viele Länder geworden.

Die zwei Parteien, die sich noch vor der Jahrhundertwende organisierten, gehen auf den Gegensatz zwischen Jefferson und Hamilton zurück. Man darf sich bei einem Studium der Parteiengeschichte nicht von den Namen der Parteien irreführen lassen; diese haben des öfteren gewechselt. Die heutige Demokratische Partei, die unter Jefferson den Namen „Republikaner", auch „Antiföderalisten" führte, hat ihren Ursprung in der Verbindung der Farmer der südlichen Staaten, insbesondere Virginias, mit den Arbeitern New Yorks, einer Verbindung, die sich bis heute, räumlich weit ausgedehnt, erhalten hat. Gerichtet war die Bewegung seinerzeit gegen die „Reich-und Wohlgeborenen". Jefierson setzte sein Vertrauen in den damals weit überwiegenden Teil der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung, mißtraute dem Kapital, der Industrie, dem Außenhandel und den Großstädten, die er als Brutstätten eines aufkommenden Proletariats betrachtete. Zu der Partei stießen später Minderheitsgruppen wie die Katholiken, die Juden, ein großer Teil der Einwanderer.

Die Partei der Föderalisten (federalists) war von Anfang an die Partei der Geschäftsleute, Von Anfang an waren die Amerikaner Anhänger des Zv.'ciparteiensystems. Ein Vielparteiensystem gilt ihnen als Zeichen politischer Unreife. Die Verantwortung muß einer Partei überlassen bleiben. Klare Entscheidung und klare Zuweisung der Verantwortung an eine Partei sind am besten bei einem Wahlverfahren gewährleistet, bei dem in jedem einzelnen Wahlkreis in einem Wahlvorgang die relative Mehrheit entscheidet und Verhältnis-wahlrecht und Listensystem abgelehnt werden. Die Handhabung dieser Form des Wahlrechts ist jedem Wähler zuzumuten; sie schafft enge Verbindung zwischen dem Abgeordneten und seinen Wählern. Diesen entscheidenden Vorteilen gegenüber spielt die Erwägung eine untergeordnete Rolle, daß andere Wahl-systeme „gerechter" sind, weil völliger Verlust von Stimmen vermieden wird.

Es gibt mithin immer eine Regierungspartei und eine Oppositionspartei, die die Chance hat, vielleicht schon bei der nächsten Wahl zur Regierungspartei zu werden. Bei diesem Wahlsystem ist es freilich nicht ausgeschlossen, daß eine Partei viele Jahre am Ruder bleibt. So war zwischen 1860 und 1932 die republikanische Vorherrschaft nur vorübergehend — unter Grover Cleveland 1884— 1888 und 1892— 1896 und unter Woodrow Wilson 1912— 1920 — unterbrochen, während seit der Präsidentschaft Franklin Delano Roosevelts (1933— 1945) die Demokraten bis heute im Kongreß die Mehrheit haben, mit Ausnahme der Jahre 1947— 1948 unter Harry Truman (Demokrat) und der Jahre 1953— 1954 unter Dwight Eisenhower (Republikaner). Aus den verschiedenen Wahlperioden — die Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden alle zwei Jahre gewählt, von den Senatoren, deren Amt später der Großindustrie und des Handels. In diesen Gruppen sah Hamilton die Garanten der zukünftigen Entwicklung. Zu ihnen gesellten sich später die ländlichen Kreise des Nordostens und des Mittleren Westens. Auch hier ist der Name, am heutigen Sprachgebrauch gemessen, irreführend; denn unter Föderalisten wurden damals die Befürworter einer größtmöglichen Stärkung des Bundes gegenüber den Einzeistaaten verstanden, während die Antiföderalisten das Hauptgewicht auf die Selbständigkeit des Einzelstaaten legten. Die heutige Republikanische Partei, die ihre Wurzeln zurückführt, wurde erst bis auf 1854 gegründet.

2. Das Zweiparteiensystem

sechs Jahre läuft, wird alle zwei Jahre ein Drittel gewählt, der Präsident wird auf vier Jahre gewählt — ergibt sich die den europäischen Beobachter befremdende Folge, daß ein Präsident sich im Laufe seiner Amtsperiode in einem Haus oder in beiden Häusern einer Mehrheit der Gegenpartei gegenübersieht. Die Versuche zur Gründung einer dritten Parteisind nur kurz zu erwähnen, da sie auf der Bundesebene über Anläufe nie hinausgekommen sind. Sie traten eher bei den Präsidentschafts-als bei den Kongreßwahlen auf, da sie hier ihre Stärke im ganzen Land geltend machen können. Das berühmteste Beispiel ist die Gründung der Bulle Mouse Partei durch den früheren republikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt (1901— 1909), der im Jahre 1912, unzufrieden mit seinem republikanischen Nachfolger William Taft, diese Partei gründete, um wieder zum Präsidenten gewählt zu werden. Durch diese Spaltung der republikanischen Partei ermöglichte er den Sieg des demokratischen Kandidaten Woodrow Wilson. In der Regierungszeit F. D. Roosevelts erlangte die Partei der Progressiven1937— 1938 von 435 Abgeordnetensitzen 13, aber schon bei der nächsten Wahl war sie verschwunden.

Dritte Parteien auf der Ebene der gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten kommen häufiger vor als auf der Bundesebene und sind nicht ohne gewisse Bedeutung für die staatspolitische Entwicklung. Sie wirken gewissermaßen als Hefe im Teig, als Ventil der öffentlichen Meinung, das sich auch auf die Bundesebene auswirkt, ohne jedoch auf dieser das Zweiparteiensystem in ernstliche Gefahr zu bringen. Die von solchen dritten Parteien vertretenen Programme werden mitunter von den zwei großen Parteien ausgenommen und sozusagen amalgamiert.

Auf das fast wie ein Naturgesetz wirkende Zweiparteiensystem sind die Amerikaner mit Recht stolz. Der Ausgleich zwischen den bei-den Parteien hat so gut funktioniert, daß im Laufe von 170 Jahren die Demokraten 88, die Republikaner 82 Jahre die Herrschaft hatten. In diesem Zeitraum standen 16 demokratischen Präsidenten 20 republikanische gegenüber; in der Länge der Regierungszeit überwiegend auch hier die Demokraten ein wenig.

3. Besonderheiten der beiden Parteien

Für den ausländischen Beobachter ist es nicht leicht, sich über die Unterschiede zwischen den Republikanern und den Demokraten klar zu werden. Nichts wäre falscher, als die beiden Parteien unter irgendwelche weltanschauliche Gesichtspunkte einzureihen. Dieser Begriff liegt dem Amerikaner so fern, daß er das deutsche Wort verwendet, ähnlich wie bei dem Wort „Götterdämmerung", das für ihn ebenfalls mysteriös ist. Weltanschauungen gar in politische Formen zu pressen, ist seinem realistischen Sinn absolut unverständlich, weshalb es auch nie eine sozialistische Partei oder eine Partei auf religiöser Grundlage gegeben hat. Auch mit dem Gegensatz „fortschrittlich und konservativ", „rechts und links" läßt sich keine Gliederung finden. Etwas Konservativeres als die südstaatlichen Demokraten läßt sich kaum denken. Das konservative Element liegt in politischen Dingen — im Gegensatz zur Bereitwilligkeit der Aufnahme technischer Neuerungen — tief im amerikanischen Charakter und überwiegt in beiden Parteien, die man in Deutschland als Parteien der Mitte bezeichnen würde. Daß gar der agrarische Grundbesitz des Südens und die arbeitenden Schichten der Städte in einer Partei vereinigt sind, ist unserm Empfinden völlig unbegreiflich; man denke sich die ehemaligen preußischen Junker und die sozialistischen Arbeiter in der gleichen Partei! Viele früheren Einteilungen des Landes in demokratische und republikanische Sphären sind heute überholt. Verwischt hat sich auch die frühere Hinneigung von nationalen Gruppen zu einer bestimmten Partei, etwa der Iren, Italiener, Juden zu den Demokraten. Wie viele Erscheinungen im amerikanischen Leben sind auch die Wählermassen beweglich.

In viel stärkerem Maße als in westeuropäischen Ländern spielt die Persönlichkeit des zu Wählenden eine Rolle. Das hat sich eklatant bei der Wiederwahl des als Sieger im Weltkrieg ungemein beliebten Eisenhower 1956 gezeigt, bei der er mit 35 582 236 Stimmen den demokratischen Gegenkandidaten Adlai Ste venson mit 26 028 887 Stimmen weit überflügelte, während gleichzeitig im Abgeordnetenhaus die Demokraten mit 223 Sitzen gegenüber 200 Republikanern, im Senat mit 49 gegenüber 47 republikanischen Senatoren die Mehrheit erzielten. Es hat also eine in viele Millionen gehende Zahl von Wählern am gleichen Tag ihre Stimme für den republikanischen Präsidenten und für demokratische Abgeordnete und Senatoren abgegeben.

Wenn man die Parteiprogramme, die alle vier Jahre in den Nationalkonventen bei der Aufstellung der Präsidentschaftskandidaten bekanntgegeben werden und auch in den USA stets mehr versprechen, als hinterher gehalten wird, miteinander vergleicht, ohne zu wissen, von welcher Partei sie aufgestellt sind, muß man zwischen den Zeilen lesen können, um den Ursprung herauszubringen. Ein Unterschied bestand 1960 zum Beispiel bei den Vorschlägen für die Krankenversorgung für über 65 Jahre alte Personen, bei denen die Demokraten für Einbau in die Sozialversicherung, die Republikaner für eine Bundeshilfe bei Abschluß von privaten Versicherungsverträgen eintraten. Der Hauptunterschied, der in den Programmen kaum zum Ausdruck kommt, ist wohl der, daß der größere Teil der Demokraten mehr für eine Einschaltung des Bundes und der öffentlichen Hand in Wohlfahrts-und Schulprogramme, Wirtschaftsplanung, Hilfe für die zurückgebliebenen Gebiete und dergleichen ist, während die Republikaner mehr ihr Vertrauen in das Wachstum der Nation durch die private Wirtschaft setzen. Die Republikaner sind in Hinsicht auf das Staatsbudget zweifellos sparsamer. Zum Teil sind es die Einkommenverhältnisse der Wähler, die für die eine oder andere Partei den Ausschlag geben. Die wohlhabenden Kreise wählen eher Republikaner, weil sie bei ihnen die Erhaltung eines freien Wirtschaftssystems besser gewährleistet glauben. Die Minderbemittelten bevorzugen eher die Demokraten, weil sie sich von ihnen mehr Staatshilfe erwarten. Aber es wäre falsch, die republikanische Partei etwa als die der reichen Leute zu betrachten. Im Wahlkampf des Jahres 1960 haben die Gewerkschaften ihre Unterstützung dem Multi-millionärssohn John Kennedy gegeben, ohne daß den Arbeitern etwa in den Sinn gekom-

4. Die Koalition zwischen den Süddemokraten und dem rechten Flügel der Republikaner

In so großen Parteien, die die verschiedensten politischen Richtungen und wirtschaftlichen Interessen zusammenhalten müssen, ergeben sich naturgemäß starke Spannungen, die in der demokratischen Partei größer sind, aber auch in der republikanischen nicht fehlen. Die Spannung ist so stark, daß man schon von einer 'Vierparteiengruppierung gesprochen hat.

Einen Fraktionszwang gibt es nicht, die zentralen Parteileitungen treten nach den Wahlen stark zurück, der Abgeordnete sieht viel mehr auf seine Wähler, von denen seine Wiederwahl abhängt, vertritt deren oft rein lokale Interessen und behält sich selbst bei wichtigsten Gesetzen volle Abstimmungsfreiheit vor. Bei nicht parteipolitisch orientierten Abstimmungen — parteipolitisch orientiert ist z. B. die Ernennung der hohen Beamten, die der Zustimmung des Senats unterliegt — stimmen ständig 18— 20 v. H. mit der Gegenpartei.

Die Süddemokraten und der rechte Flügel

der Republikaner sind in den Jahren seit dem New Deal in so enge Beziehungen außerhalb ihrer Partei getreten, daß man sie geradezu als eine Koalition bezeichnen kann. Abgesehen von der Negerfrage gehen sie auch in vielen Fällen zusammen. Die Verbindung hat 1937 eingesetzt, als manche konservative Republikaner des industriellen Nordens und die Demokraten der auf niedrigerem Lohnniveau basierenden Südstaaten angesichts des rapiden Ansteigens der Bundesschuld (von 19 Milliarden 1932 auf 36 Milliarden Dollar 1937) dem Flug des New Deal mit seinen Hilfsaktionen für ganze Bevölkerungsgruppen ein Halt entgegensetzen wollten. Diese Koalition wirkt sich mit wechselndem Erfolg in der Gesetzgebung für Erziehung, soziale Wohlfahrt, Arbeiterfragen, Arbeiten, Einwanderung und Steuern als Bremse aus. Präsident Kennedy ist mit einer Reihe seiner Pläne an ihr gescheitert, so mit einem ausgedehnten Schulförderungsprogramm, mit der men wäre, daß ein so reicher Mann kein Verständnis für die Bedürfnisse des von seiner Arbeit Lebenden aufbringen könnte. Umgekehrt stammte der republikanische Kandidat Richard Nixon aus kleinen Verhältnissen.

Krankenversicherung für Personen über 65 Jahren, mit einer Reorganisation der Hilfe für die Landwirtschaft, mit einem weitgehenden Gesetz zur Gleichstellung der Neger. Präsident Johnson, der als Vizepräsident am 22. November 1963 in die Stelle des Präsidenten ohne Wahl aufrückte, konnte sich nach dem überwältigenden Sieg der Demokraten bei den Wahlen im November 1964 auf eine so starke Mehrzahl in beiden Häusern stützen, daß die Gegnerschaft der südstaatlichen Demokraten und des rechten Flügels der Republikaner nicht ausreichte, um seine weitgehenden Vorschläge auf sozialpolitischem Gebiet zu vereiteln. Er erntete die Früchte, die sein Vorgänger gesät hatte; so gelang es zum ersten Mal, eine staatliche Krankenversicherung für die über 65 Jahre alten Personen durchzusetzen, ebenso das bisher weitestgehende Gesetz zur Gleichberechtigung der Neger und ein in viele Milliarden gehendes Schulförderungsprogramm. Aber selbst er konnte sich nicht immer auf das Übergewicht seiner Partei verlassen. Die vielfachen Revolten von Negern in den Großstädten haben zu einer Zurückhaltung auch fortschrittlicher demokratischer Kreise und liberaler Republikaner in der Negerfrage geführt (white backlash = weißer Rückschlag), so daß der Vorschlag, die Rechtsprechung der mit Rassenproblemen zusammenhängende Delikte in die Hand der Bundesgerichte zu legen, die hier objektiver urteilen als die Gerichte der Einzelstaaten, der Ablehnung verfiel, ebenso der Vorschlag, der Bundeshauptstadt Washington, die gegenwärtig von drei vom Präsidenten ernannten Kommissaren verwaltet wird, Selbstverwaltung und Wahlrecht zu geben; denn da der District of Columbia, in dem die Bundeshauptstadt liegt, zu 62, 5 v. H. von Negern bewohnt wird, wäre die Wahl eines Negers als Bürgermeister und eines überwiegend von Negern besetzten Stadtrats die Folge.

Durch die Wahl vom November 1966 ist die

Position des Präsidenten vor allem in der Innenpolitik

geschwächt worden. Von den demokratischen Abgeordneten des linken Partei-7 flügels sind viele nicht mehr gewählt worden. Das Wiederaufleben der schon totgesagten Koalition zwischen den rechten Flügeln der beiden Parteien wird die natürliche Folge sein mit dem Ergebnis, daß Johnson im weiteren Verlauf nicht mehr mit der bisherigen Bereitwilligkeit des Kongresses auf sozialpolitischem Gebiet wird rechnen können.

In das System der checks and balances fügt sich dieses Zusammenspiel von den rechten oder linken Flügeln der beiden Parteien sehr wohl ein. Es verhindert, daß die Partei, die die Mehrheit hat, ihre Macht rücksichtslos ausnützen kann, weil bei den Spannungen innerhalb jeder Partei immer damit gerechnet werden muß, daß ein Teil der Abgeordneten oder Senatoren mit der Gegenpartei zusammengeht.

Auch die verschiedene Dauer der Wahlperioden für Abgeordnete und Senatoren kann als Ausgleichsfaktor von großer Bedeutung werden. Es kam häufig vor, daß im Senat die eine, im Abgeordnetenhaus die andere Partei die Mehrheit hatte. In diesem ständigen Spannungsverhältnis der politischen Kräfte, das wir auch im Verhältnis des Kongresses zum Präsidenten beobachten werden, erblicken die Amerikaner einen Hauptvorzug der Beständigkeit ihres Regierungssystems und eine unübersteigbare Schranke dagegen, daß sich irgendeine Stelle im Staatsapparat zuviel Macht aneignet.

In außenpolitischen Fragen wirkt sich die häufige Verbindung der konservativen Flügel beider Parteien kaum aus, abgesehen vielleicht von der Hilfe für unterentwickelte Länder. Das amerikanische Volk ist politisch reif genug, um innenpolitische Gegensätze in der Außenpolitik möglichst in den Hintergrund treten zu lassen; man spricht hier sogar von einer bipartisan policy, einer gemeinsamen Politik der beiden Parteien. So wurde das Eingreifen Kennedys bei der mißlungenen Landung kubanischer Flüchtlinge in Kuba im Frühjahr 1961 von den Republikanern innenpolitisch nur wenig ausgemünzt. In der Einstellung zum Krieg in Vietnam hat der Präsident mit Angriffen demokratischer Senatoren nicht weniger zu rechnen als mit solchen der republikanischen Partei. Es zeigt sich oft, daß ein im Parteibetrieb erfahrener Präsident, wie es Johnson in hervorragender Weise ist, durch Einflußnahme gerade auf Kongreßmitglieder der Gegenpartei sich die nötige Plattform für seine Politik verschaffen kann.

5. Die Parteiorganisation

Wie viele Verfassungen erwähnt auch die der USA die politischen Parteien mit keinem Wort, was schon daraus zu erklären ist, daß politische Parteien erst etwa ein Jahrzehnt nach Erlaß der Verfassung aufgetreten sind. Auch in der Regelung des Wahlrechts zum Kongreß und zur Präsidentenwahl legt sich die Verfassung größte Zurückhaltung auf; nach Art. I Abschnitt II Abs. 1 müssen die Wähler der Mitglieder des Abgeordnetenhauses den gleichen Bedingungen genügen, die für die Wähler der zahlenmäßig stärksten Kammer des Einzelstaats vorgeschrieben sind. Die gleiche Bestimmung brachte das 17. Amendment von 1913 für die Wahl der Senatoren, als diese von den gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten auf die Wahlberechtigten übertragen wurde. Selbst die Wahlmänner, die den Präsidenten wählen, werden in der von den gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten vorgeschriebenen Weise bestimmt (Art. II Abschnitt I Abs. 2). Infolge der Zuständigkeit der Einzelstaaten kann zum Beispiel in Georgia auch zu den Bundeswahlen schon nach Vollendung des 18. Lebensjahres gewählt werden, während in allen anderen Staaten das 21. Lebensjahr zurückgelegt sein muß.

Die Folge ist, daß sich bis heute der iöderalistische Gedanke auf dem Gebiet der Partei-organisation streng erhalten hat. Der Schwerpunkt der politischen Parteien liegt bei den Einzelstaaten. Auch wo die Parteien bundes-organisatorisch in Erscheinung treten, bei den alle vier Jahre stattfindenden Nationalkonventen für die Aufstellung der Präsidentschaftskandidaten, sind die Parteivertreter Delegierte der staatlichen Parteiorganisationen. Die Staaten, in viel geringerem Maße auch der Bund, haben eine überaus komplizierte, in den Einzelheiten stark voneinander abweichende Gesetzgebung über die politischen Parteien ausgeübt. In den meisten Staaten sind die Parteien private gemeinnützige Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit, die keinen Grundbesitz haben, keine rechtlichen Verpflichtungen eingehen, keine Verträge abschließen dürfen und weder die aktive noch die passive Legitimation vor Gericht haben, so daß eine Privatperson als der geschäftlich Handelnde auftreten muß — eine der befremdendsten Erscheinungen des öffentlichen Le-B bens in den USA. Die Parteien erheben auch keine Beiträge und haben keine Zwangsgewalt über ihre eingeschriebenen Mitglieder, können sie also auch nicht ausschließen. Trotzdem sind der Zusammenhalt und die Vitalität der Parteien erstaunlich. Die Parteiloyalität ist teils in der Familientradition, teils soziologisch begründet; so kann etwa bei Geschäftsleuten, Landwirten, Lohnarbeitern mehr oder minder aus ihrer beruflichen Stellung auf die Partei-einstellung geschlossen werden. Aber die zwischen den Parteien Schwankenden (the floating vote) sind in den USA doch viel zahlreicher als in anderen Staaten; sie geben insbesondere bei den Präsidentschaftswahlen oft den Ausschlag, wobei selbst die Bindung an eine der beiden Parteien den Wähler nicht davon abhält, im gleichen Wahlgang die Stimme für den der Gegenpartei angehörenden Präsidenten (der schon erwähnte Fall Eisenhower) abzugeben. Das in anderen Ländern in diesem Umfang nicht zu beobachtende Umschwenken von einer Partei zur anderen ist wohl auch auf das dem angelsächsischen Empfinden besonders eingeprägte Gefühl des fair play zurückzuführen. Jede Partei, die lange am Ruder bleibt, nützt sich allmählich ab, es schleichen sich manche Mißstände insbesondere in der Personalpolitik ein; daher erscheint es billig, der Gegenpartei wieder einmal eine Chance zu geben.

Die unterste breite Basis der Parteien bilden die lokalen Organisationen der Stadtviertel (precincts) und der ländlichen Gemeinden, die vielfach wie die Kirchen auch gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Die nächste Stufe ist die Bezirksorganisaton, die eine größere Stadt oder eine county umfaßt. Es folgt die Organisation des Einzelstaats, darüber die nationale Organisation. Auf jeder Stufe besteht ein Ausschuß (committee), der in vielen Staaten durch die eingeschriebenen Parteimitglieder zu wählen ist. Der Schwerpunkt für die Wahlen zum Kongreß liegt bei der Organisation auf der Ebene der Einzelstaaten, wenn auch die lokalen Organisationen bei den Wahlen die Kleinarbeit leisten müssen. Dem Zentralausschuß im Einzelstaat obliegen die Organisationstätigkeit, die Verbindung mit den unteren Parteiinstanzen, die Geldsammlung, Vorschläge für das Parteiprogramm. Sein Vorsitzender ist meist ein bekannter Politiker, oft der Gouverneur des Staates oder einer der beiden Senatoren. Die 50 Vorsitzenden der einzelstaatlichen Parteiorganisationen bilden das eigentliche Parteidirektorium.

Die Parteiorganisation auf Bundesebene tritt gegenüber den Organisationen in den Einzelstaaten stark zurück. Der Nationalausschuß (National Committee) wird von je zwei Personen, einem Mann und einer Frau, gebildet, die jeder Einzelstaat und jedes Territorium entweder durch Vorwahlen oder durch Parteikonvente delegiert. Seine Hauptaktivität entfaltet er bei der Präsidentenwahl jedes vierte Jahr, indem er den nationalen Parteikonvent vorbereitet, der, von den Delegierten der Parteiorganisationen aus den Einzelstaaten beschickt, den Präsidentschaftskandidaten seiner Partei nominiert. Der Vorsitzende des Nationalausschusses ist der eigentliche Wahlkampfleiter; sein Einfluß ist sowohl für die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten als auch in dem darauffolgenden Wahlkampf zwischen den zwei Kandidaten der beiden Parteien von höchster Bedeutung. Er wird daher regelmäßig nach dem Wunsch des amtierenden Präsidenten bzw. bei der Gegenpartei nach dem Wunsch ihres Führers aufgestellt. Nach gewonnener Wahl wird er meist mit der Führung eines Bundesdepartments, regelmäßig des Postdepartments, belohnt, bei Verlust der Wahl durch eine andere Persönlichkeit ersetzt.

Die Wahl der Senatoren und Abgeordneten bereiten Wahlkampfausschüsse (congressional campaign committees) vor. Bei den Wahlen zum Senat bestimmen die Senatoren jeder Partei einzelne Senatoren; bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus besteht der Ausschuß aus je einem Abgeordneten aus den Staaten, aus denen bei der letzten Wahl Abgeordnete der betreffenden Partei in den Kongreß gewählt worden sind.

In der Zeit zwischen den Präsidentenwahlen ist der Einfluß der Parteiorganisationen an der Spitze der Pyramide nur gering. Von einem Führerprinzip ist keine Rede; die unteren Parteiinstanzen haben ein ungewöhnliches Maß von Selbständigkeit. Einzelstaatliche und lokale Gesichtspunkte gewinnen wieder die Oberhand. Die nationale Parteiorganisation ist somit gewissermaßen ein Bündel der einzelstaatlichen Organisationen, das nur bei den Wahlen auf Bundesebene in den Vordergrund tritt. Die sich hieraus ergebenden Nachteile wiegen nicht allzu schwer angesichts der Tatsachen, daß keine der beiden Parteien eine Klassenpartei ist, daß die Programme der beiden Parteien kaum voneinander abweichen und daß — da beide Parteien wirtschaftliche und soziale Interessen der verschiedensten Bevölkerungsschichten vertreten — ein Fraktionszwang als unmöglich betrachtet und daher auch nicht ausgeübt wird.

6. Zusammensetzung von Abgeordnetenhaus und Senat

Der Kongreß besteht aus dem Abgeordnetenhaus und dem Senat. Wenn man in den USA von einem „congressman" spricht, meint man damit aber nur ein Mitglied des Abgeordnetenhauses (representative), während man ein Mitglied des Senats als „Senator" bezeichnet.

Während in anderen Parlamenten in den letzten Jahrzehnten ein Rückgang der Macht der zweiten Kammer (etwa des Oberhauses in England) eingetreten ist, hat sich in den USA das in der Verfassung niedergelegte Gleichgewicht unverändert erhalten. Gesetze können nur mit Zustimmung beider Häuser erlassen werden. Gesetzesvorlagen über die Erhebung von Staatseinkünften müssen erst vom Abgeordnetenhaus beraten werden (Art. I Abschnitt VII Abs. 1). Der Griff zum Geldbeutel ist deshalb zunächst der Zustimmung der Abgeordneten unterworfen, weil sie, alle zwei Jahre der Wahl unterworfen, dem Volk näher-stehen als die Senatoren, sechs Jahre -die am tieren. Trotz wiederholter Abänderungsvorschläge wurde eine längere Wahldauer für das Abgeordnetenhaus nicht eingeführt, weil das dem Vertrauen des Volkes nicht zugemutet werden könne. Senat war hingegen von vornherein als konstanteres Element betrachtet worden. Dem Gleichgewicht beider Häuser ist dadurch Rechnung getragen, daß die Zustimmung des Senats zu Verträgen mit dem Ausland und zur Ernennung hoher Beamter, der Bundesrichter und Botschafter notwendig ist (Art. II Abschnitt II Abs. 2).

Die Abgeordneten müssen mindestens 25, die Senatoren mindestens 30 Jahre alt, seit wenigstens sieben bzw. neun Jahren Bürger der USA und außerdem zur Zeit der Wahl Einwohner des Staates sein, in dem sie gewählt werden. Gewohnheitsmäßig hat sich das Erfordernis gebildet, daß der Wahlkandidat auch Einwohner des Wahlbezirks ist.

Während die Zahl der Abgeordneten für jeden einzelnen Staat nach der Einwohnerzahl bemessen wird, wobei jeder Staat mindestens durch einen Abgeordneten vertreten ist (Art. I Abschnitt II Abs. 3), stehen jedem Staat zwei Senatoren zu (Art. I Abschnitt III Abs. 1). Dadurch haben bevölkerungsarme Staaten eine verhältnismäßig starke Vertretung. Alaska mit 226 167 Einwohner (nach der letzten Volkszählung von 1960) sendet einen Abgeordneten und zwei Senatoren in den Kongreß, während der damals volksreichste Staat New York mit 16 782 304 Einwohnern 43 Abgeordnete und zwei Senatoren stellt. In Alaska -ent fällt damit schon auf 75 389 Staatsbürger ein Kongreßvertreter, in New York erst auf 372 940. Das System der checks and balances wirkt sich hier wie vielfach anderswo als Schutz der Minderheit aus.

Die in der Verfassung nicht bestimmte Zahl der Abgeordneten wurde 1941 durch ein Gesetz auf 435 festgesetzt. Auf Grund der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung werden nach Art. I Abschnitt II Abs. 3 die Abgeordnetensitze jeweils gemäß den in der Zwischenzeit eingetretenen Verschiebungen neu verteilt (reapportionment). über die Einteilung der Wahlbezirke vgl. Abschnitt 8.

7. Die Aufstellung der Kandidaten, die Vorwahlen

Demokratische Grundsätze auch bei der Ernennungder Kandidaten für öffentliche Wahlen einzubauen — das ist eines der schwierigsten Probleme eines demokratischen Gemeinwesens. Bei der Platzzuweisung auf der Parteiliste bei der Verhältniswahl in westeuropäischen Ländern entscheidet die Parteihierarchie eben durch diese Zuweisung meist über Wahl oder Nichtwahl, wenn auch moderne Wahlsysteme durch die Möglichkeit des Häufelns eine gewisse Abhilfe geschaffen haben. Auch in den USA waren etwa bis zur Jahrhundertwende die Klagen über die Parteioligarchie der Berufspolitiker, die der Masse der Wähler wenig Einfluß auf die innere Führung der Partei ließ, so laut geworden, daß man nach neuen Mitteln suchte, um insbesondere das Partei-B monopol bei der Aufstellung der Kandidaten und damit die Beherrschung des politischen Lebens überhaupt zu brechen.

Die Lösung dieser Frage überließ der Bund vollständig den Einzelstaaten. Sie entwickelten durch ihre Gesetzgebung als Gegenmittel gegen diesen Übelstand das System der Vorwahl (primary), bei der die einer Partei angehörenden Wähler selbst über die Person des Kandidaten abstimmen, der dann bei der eigentlichen Wahl mit dem in gleicher Weise aufgestellten Kandidaten der Gegenpartei kämpft.

Schon 1920 hatten bis auf vier Staaten, die später nachfolgten, alle Staaten die Vorwahl eingeführt, deren Einzelheiten stark voneinan-der abweichen. Die Kosten trägt der Staat, der auch die Stimmzettel liefert, überwiegend stehen sich bei den Vorwahlen nur die Bewerber innerhalb einer Partei gegenüber. Bei der geschlossenen Vorwahl (closed primary) können nur die eingetragenen Parteimitglieder abstimmen, bei der Wahl (open offenen primary) alle Stimmberechtigten. Um zu verhindern, daß bei dieser letzteren ein tüchtiger Kandidat durch die Gegenpartei mittels Aufstellung eines schwächeren Kandidaten verdrängt wird, verlangen einige Staaten, daß sich der Wähler einige Zeit vor der Vorwahl als Angehöriger der Partei, für die er abzustimmen gedenkt, eintragen läßt. Bei offener Vorwahl zugleich für beide Parteien besteht wieder ein Unterschied dahin, ob dem Wähler gestattet ist, auf dem gemeinsamen Stimmzettel beider Parteien Kandidaten für die verschiedenen Ämter anzukreuzen, oder ob dieser Sprung von einer Partei zur anderen verboten ist. Es kommt sogar vor, daß ein Kandidat gleichzeitig auf den Vorwahl-stimmzetteln beider Parteien angeführt ist. Ein in solcher Weise von beiden Parteien nominierter Bewerber kann aber nur die Nominierung seiner eigenen Partei annehmen. Diesem insbesondere in Kalifornien angewandten System wird vorgeworfen, daß es die Partei-linien verwische.

Die Hauptfrage bei diesem zweifellos durchaus demokratischen System der Vorwahlen wird freilich nicht völlig gelöst: Wie gelangt ein Bewerber auf den Stimmzettel der Vorwahl? Wenn sich der Bewerber selbst aufstellen könnte, indem er bei der zuständigen Wahl-behörde seine Kandidatur bekannt gibt, worauf er eingetragen werden muß, wäre die Ideallösung gefunden; aber ein solcher Kandidat hat im allgemeinen wenig Aussicht. Daher hat sich das Einreichen von Petitionen der verschiedensten Gruppen eingebürgert, wobei ein Satz zwischen einem halben bis zehn v. H.der Wähler des Bezirks verlangt wird. Das läuft auf eine Art Vor-Vorwahl hinaus, bei der naturgemäß die Parteibosse wieder eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.

Trotz der Einführung der Vorwahlen bestätigt sich auch bei den Wahlformen die alte Wahrheit, daß die Demokratie die schwierigste aller Regierungsformen ist. Immerhin hat das System der Vorwahlen den Erfolg gezeigt, daß der Wähler nicht mehr ohne eigenen Einfluß den Parteihonoratioren ausgeliefert ist, so daß eine gewisse Gewähr dafür gegeben ist, daß untüchtige Bewerber rechtzeitig ausgeschaltet werden.

8. Die Einteilung der Wahlkreise

Die Staaten sind in Kongreßwahlbezirke (congressional districts) eingeteilt. In diese Einteilung mischt sich der Bund nicht ein, nur die Zahl der auf den Einzelstaat entfallenden Abgeordneten bestimmt sich nach der letzten Volkszählung. Die Einteilung der Wahlbezirke stammte in manchen Staaten noch aus dem 19. Jahrhundert. Durch den starken Zuzug in die Städte haben die verhältnismäßig dünn besiedelten ländlichen Bezirke einen viel stärkeren Einfluß erhalten als die Städte.

Streitigkeiten um die Wahlkreiseinteilung hatte der Oberste Gerichtshof bis 1962 in ständiger Praxis als nichtjustiziabel erklärt, da sie „politische Fragen" beträfen, wie etwa die Führung auswärtiger Beziehungen, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zustande gekommen ist, wann ein Kriegszustand beendet ist. Für Gerichts des die zurückhaltende Einstellung gegenüber solchen Fragen war die Erwägung maßgebend: Wenn sich das Gericht die Beschränkung auferlegt, sich in politische Funktionsbereiche der Legislative und Exekutive nicht einzumischen, geht es dem sonst unver-meidbaren Konflikt mit dem Kongreß und dem Präsidenten aus dem Weg.

Nun hatte freilich schon der größte amerikanische Jurist, Oliver Wendell Holmes, vor vielen Jahren einmal gesagt, es sei nicht viel mehr als ein Spiel mit Worten, etwa die Klage eines Staatsbürgers, der sein Wahlrecht durchzusetzen versucht, als politisch und damit nichtjustiziabel zu bezeichnen. Trotzdem hatte noch 1946 der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, es sei einem demokratischen System abträglich, wenn sich die Gerichtsbarkeit in die Politik des Volkes einmische, und es sei nicht weniger gefährlich, wenn diese Einmischung in einen im Kern politischen Streit in die abstrakte Form einer Gerichtsentscheidung gekleidet werde.

1962 ist der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung Charles W. Baker v. Joe C. Carr 369 (US 186) mit einem Stimmenverhältnis von 6 : 2 von seiner bisherigen Praxis abgewichen. Zugrunde lag eine Klage der Bewohner mehrerer Städte des Staates Tennessee. Die ungleiche Kreiseinteilung für die Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften des Staates Tennessee, die seit 1901 nicht mehr abgeändert und im Laufe der Jahrzehnte durch die Abwanderung vom Land in die Städte und deren Wachstum immer ungerechter geworden sei, beraube sie des gleichen Schutzes der Gesetze (equal protection of the law), den der 14. Zusatzartikel zur Verfassung von 1868 gewähre. Beim Bundesdistriktsgericht wurde die Klage abgewiesen; die Revision zum Oberen Gerichtshof hatte Erfolg. Dadurch, daß seit 1901 keine Neueinteilung vorgenommen worden sei, sei die Wahlkreiseinteilung zur reinen Willkür ausgeartet. In einer county (ländlicher Bezirk) habe die Stimme eines einzigen soviel Gewicht wie in einem anderen Stimmbezirk die Stimmen von 19. Die Folge dieser veralteten Einteilung sei, daß 37 v. H.der Wähler des ganzen Staates 20 der 33 Senatoren wählten, 40 v. H.der Wähler 63 der 99 Abgeordneten. Dieses Mißverhältnis des Stimmengewichts versetze die Wähler in den benachteiligten Stimmbezirken in eine Lage der Ungleichheit, die verfassungsmäßig nicht gerechtfertigt werden könne.

In der Entscheidung Wesberry v. Sanders vom 18. Februar 1964, 374 (US 802) hat der Oberste Gerichtshof mit 6: 3 die Grundsätze der Baker-Entscheidung auch für die Einteilung der Wahlkreise für die Wahl der Abgeordneten zum Kongreß der USA für maßgebend erklärt. Die Wahlkreise müßten so eingeteilt werden, daß die Stimme einer Person, soweit das möglich sei (as nearly as is practicable), soviel Gewicht habe als die jeder anderen. Die Unterschiede seien im Staate Georgia sehr beträchtlich; der Wahlkreis mit der niedrigsten Zahl habe 272 154, der Wahlkreis mit der höchsten 823 680 Einwohner. Wenn die Verfassung in Art. I Abschnitt II bestimme: „Die Mitglieder des Repräsentantenhauses werden alle zwei Jahre in den Einzelstaaten vom Volk gewählt", so habe sie, wie aus den Verhandlungen der verfassunggebenden Versammlung hervorgehe, damit den Grundsatz aufgestellt, daß jede Wählerstimme gleiches Gewicht haben solle. Ein so schwerwiegender Verstoß, wie er in Georgia vorliege, könne nicht geduldet werden, wenn auch die Wahlbezirke nicht mit mathematischer Präzision eingeteilt werden könnten.

Im Juli 1964 folgten weitere Entscheidungen in der gleichen Richtung, die sich auch auf die Wahl der Senatoren zu den gesetzgebenden Körperschaften der Länder bezogen.

Die Entscheidungen riefen in der Öffentlichkeit im ganzen Land, am meisten im Kongreß, große Erregung hervor. Auch ein hochangesehener Richter des Obersten Gerichtshofs, Felix Frankfurter, wandte sich in einer dissenting opinion (abweichenden Meinung, die zugleich mit dem Urteil zugestellt und veröffentlicht wird) gegen die Auffassung der Mehrheit des Gerichts. Manche sahen den dauernden Niedergang der republikanischen Partei voraus, da die überwiegend republikanischen ländlichen Bezirke infolge der Entscheidung starke Einbußen erleiden. Diese Befürchtung hat sich nach der inzwischen erfolgten Neueinteilung der Wahlbezirke bei den Wahlen im November 1966 nicht bewahrheitet. Wenn auch die demokratische Partei im Innern der Städte durch die Neueinteilung der Wahlbezirke zweifellos gewonnen hat, so ist bei dem noch größeren Zuzug in die anderen Wahlbezirken angehörenden Vorstädte (suburbs) die republikanische Partei in Vorteil gekommen; denn die wohlhabenden Bewohner der suburbs hängen dieser Partei in höherem Grade an als den Demokraten.

Das Prinzip der checks and balances hat sich wieder einmal in charakteristischer Weise bewährt. In das Vakuum, in dem Gesetzgebung und Verwaltung die Wahlbezirkseinteilung gelassen hatten, ist fast automatisch die dritte Gewalt eingedrungen und hat eine Aufgabe übernommen, die den Kongreßmitgliedern kaum zuzumuten war; denn sie hätten, soweit sie aus ländlichen Bezirken stammen, vielfach den Ast absägen müssen, auf dem sie saßen.

9. Kongreß und Präsident

a) Scharfe Trennung von Exekutive und Legislative

Das Regierungssystem der USA ist das Musterbeispiel des demokratischen Präsidial-systems. Der Präsident, der zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef ist, kann weder auf parlamentarischem Wege gestürzt werden, noch kann er den Kongreß auflösen. Diesem steht lediglich nach Art. I Abschnitt III Abs. 6 die Staatsklage zu, über die unter dem Vorsitz des Erstrichters des Obersten Gerichtshofs der Senat mit Zweidrittelmehrheit befindet — ein Fall, der ein einziges Mal 1868 vorgekommen ist. Präsident Andrew Johnson, der Nachfolger Abraham Lincolns, der in dessen versöhnlichem Geist die feindlichen Brüder nach dem Sezessionskrieg wieder zusammenführen wollte, wurde wegen seines Widerstands gegen die Vergeltungspolitik des Kongresses angeklagt; zu einer Verurteilung fehlte nur eine Stimme.

Das amerikanische Regierungssystem ist damit vom parlamentarischen Regierungssystem grundsätzlich verschieden. In diesem ist die Regierung gewissermaßen ein Ausschuß (Kabinett) der Mehrheitspartei, bei einer Koalitionsregierung ein Ausschuß der die Mehrheit bildenden Koalitionsparteien. Hier beruht die Funktionsmöglichkeit der Regierung auf dem gegenseitigen Vertrauen, wobei verschiedene Möglichkeiten vorgesehen werden können, wenn dieses Vertrauen verloren geht (Rücktritt der Regierung, Auflösung des Parlaments mit Neuwahlen).

Die Aufgabe einer Mehrheitspartei oder der Parteien einer Koalition im parlamentarischen System, eine stabile Mehrheit zu bilden, um die Regierung im Amt zu halten, entfällt beim amerikanischen Präsidialsystem. Das ist ein Hauptgrund, daß straffe Parteidisziplin, insbesondere Franktionszwang bei Abstimmungen, hier nicht notwendig ist. Exekutive und Legislative sind für die vierjährige Dauer der Amtsperiode des Präsidenten zur Zusammenarbeit selbst für den Fall gezwungen, daß während der vier Jahre die Mehrheit in einem Haus oder in beiden Häusern des Kongresses wechselt, was bei der verschiedenen Dauer der Wahlperiode nicht selten war; zwölfmal hatte die Gegenpartei in einem der beiden Häuser, fünfmal in beiden Häusern die Mehrheit. Unter dem republikanischen Präsidenten Eisenhower (1953— 1961) ereignete sich der noch nicht vorgekommene Fall, daß er nicht weniger als sechs Jahre mit einer Mehrheit der Demokraten in beiden Häusern des Kongresses regieren mußte. Die Montesquieusche Trennung der Gewalten ist in diesem Angelpunkt streng durchgeführt. Eine Folge ist, daß nach Art. I Abschnitt VI bs. 2 kein Senator oder Abgeordneter während der Zeit, für die er gewählt ist, in irgendeine Beamtenstelle im Dienst der USA berufen werden darf, daß umgekehrt niemand, der ein Amt im Dienst der USA bekleidet, während seiner Amtszeit Mitglied eines der beiden Häuser sein darf. Die Trennung kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß weder der Präsident — es sei denn bei Verlesung der Neujahrsbotschaft oder bei außerordentlichen Ereignissen wie Kriegserklärung — noch der Vizepräsident noch die Vorstände der departments in den Plenums der beiden Häuser vortragen; in den Ausschüssen kommen selbstverständlich Regierungsvertreter zu Wort. b) Initiative zur Gesetzgebung Insbesondere Deal in der Regierungszeit dem New F. D. Roosevelts ist die Initiative zur Gesetzgebung in immer stärkerem Maße auf den Präsidenten übergegangen. Während früher nur etwa 20 v. H.der wichtigen Gesetze vom Präsidenten ausgegangen waren, gelangen diese heute überwiegend von den departments und den vielen anderen obersten Bundesbehörden nach Gutheißung durch das Bureau of the Budget, eine dem Präsidenten direkt unterstellte Behörde, mit Bewilligung des Präsidenten an den Kongreß. Aber formell müssen sie von Mitgliedern der beiden Häuser, die dem Präsidenten parteipolitisch nahestehen, eingebracht werden. Besonders ausgeprägt ist die Initiative des Präsidenten auf fiskalischem Gebiet, auf dem die Vorschläge für Einnahmen und Ausgaben fast ausschließlich von ihm ausgehen. Aber auch hier setzt wieder der Gedanke der checks and balances ein. Der Präsident kann ein Haushaltsgesetz nur im ganzen mit seinem Veto belegen; sofern einzelne Posten vom Kongreß gestrichen, herab-oder heraufgesetzt werden, steht ihm kein Veto zu. Das hat zur Folge, daß er Änderungen seines Vorschlags in aller Regel hinnehmen muß, da sein Veto unliebsame Konsequenzen heraufbeschwören könnte. c) Das Vetorecht des Präsidenten Der Präsident stimmt entweder durch seine Unterschrift den vom Kongreß beschlossenen Gesetzen zu oder er macht von seinem Vetorecht Gebrauch, das ihm als starke Bremse gegen die Legislative nach Art. I Abschnitt VII Abs. 2 zugebilligt ist. Geschieht dies, während der Kongreß in Sitzung ist, muß der Präsident die Vorlage an das Haus, von dem sie ausgegangen ist, zurückverweisen und seine Einwände gegen die beanstandeten Punkte darlegen. Versäumt er die Frist von zehn Tagen, so erlangt die Vorlage auch ohne seine Unterschrift Gesetzeskraft. Hat sich der Kongreß bereits vertagt, während das Gesetz dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorliegt, so stellt der Nichtvollzug der Unterschrift ein pocket veto (stilles Veto) dar. Das Gesetz wird in diesem Fall nicht rechtskräftig.

Das Veto kann der Kongreß mit Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern „Überreifen". Dann tritt das Gesetz ohne Unterschrift des Präsidenten in Kraft. Vom Vetorecht haben viele Präsidenten sehr energisch Gebrauch gemacht, vor allem um die Ausgabefreudigkeit des Kongresses zu zügeln. Von den 631 Vetos F. D. Roosevelts während seiner zwölfjährigen Regierung wurden nur 9, von den 250 Trumans während seiner achtjährigen Regierung nur 12, von den 201 Eisenhowers während seiner achtjährigen Regierung nur 2 „überritten". d) Zusammenspiel von Präsident und Kongreß Das Zusammen-und Gegenspiel von Kongreß und Präsident ist für den ausländischen Beobachter ein schwer verständliches Kapitel des amerikanischen Verfassungslebens. Die mit nichts zu vergleichende außenpolitische Machtfülle des Präsidenten verdeckt die Schwäche seiner innenpolitischen Stellung. Dafür zwei berühmte Zeugen: Der Franzose Alexis de Tocqueville sagt in seinem 1835 erschienenen, noch heute lesenswerten Buch „Demokratie in Amerika";

„Den Amerikanern ist es zwar nicht gelungen, der den legislativen Körperschaften innewohnenden Tendenz, sich der Staatslenkung zu bemächtigen, Einhalt zu gebieten; aber sie haben diese unbezwingliche Neigung immerhin etwas abgeschwächt. .. . Dennoch muß das Ringen zwischen dem Präsidenten und der Legislative stets ein ungleicher Kampf bleiben, da diese mit Sicherheit jeden Widerstand bricht, sofern sie an ihren Plänen festhält." Wilson, der erfahrenste Verfassungsrechtler unter den Präsidenten, sagt in seinem Buch „Constitutional Government of USA“, das er als Professor der Princeton-Universität verfaßt hat:

„In unserem System liegt die gesamte Urheberschaft beim Kongreß. Dieser steht an der Spitze aller unserer Staatsorgane; er allein gibt in unserer Bundesrepublik den Ton an. Er bestimmt in erster und letzter Instanz, was geschehen soll. Die in Wahrheit untergeordnete Stellung des Präsidenten wird zum Teil verdeckt von der Würde, die sein exponierter Platz an der Spitze eines großen Staatswesens diesem Amt verleiht, zum Teil aber auch durch jene Geschehnisse, die in einigen besonders bemerkenswerten Perioden unserer Geschichte unsere Präsidenten zum Rang wahrer Schöpfer der Politik und Lenker der Staatsgeschäfte emporgetragen haben. Der Präsident verfügte jedoch außer in den Fällen, in denen er den Kongreß hinter sich hatte, niemals über eigene Macht."

Diese innerpolitische Schwäche des Präsidenten ist in erster Linie auf das finanzielle Bewilligungsrecht des Kongresses zurückzuführen (Art. I Abschnitt IX Abs. 7: „Geld darf der Staatskasse nur aufgrund gesetzlicher Bewilligung entnommen werden") und einer Kontrolle der beiden Häuser über den Staatshaushalt, wie sie in dieser Schärfe von keinem anderen Parlament der Welt vorgenommen wird. Damit hat der Kongreß die Macht, den Kurs der Bundespolitik maßgeblich zu beeinflussen, ja sogar vorzuschreiben. Er kann die Verabschiedung vom Präsidenten vorgeschlagener Gesetze verweigern, Gesetze gegen das Veto des Präsidenten mit Zweidrittelmehrheit in Kraft setzen, Haushaltsmittel sperren oder kürzen, in offener Debatte ankündigen, daß bestimmte Programme des Präsidenten bei ihrer Einbringung in den Kongreß abgelehnt werden.

Auf seine eigene Partei kann sich der Präsident häufig nicht verlassen (vgl. Abschnitt 4). Er kann sich glücklich schätzen, wenn auch nur die Hälfte seiner Vorschläge angenommen wird. Bei Truman war 1953 der Hundertsatz der angenommenen Vorschläge 34, 8, bei Eisenhower 37 im Jahre 1957. Sieht sich nun gar der Präsident einem Kongreß gegenüber, in dem in einem der beiden Häuser oder in beiden die Gegenpartei die Mehrheit hat, so erfordert die Regierungskunst wahre Balanceakte; der Präsident muß sich für jeden seiner Vorschläge durch Einwirkung auf Parlamentarier beider Parteien mühevoll eine Mehrheit schaffen. Persönlich seine Vorschläge im Kongreß zu vertreten, ist ihm versagt. Es bedarf einer außerordentlichen Persönlichkeit, um bei dieser Verteilung der Machtgewichte die presidential leadership, die Führung der Politik durch den Präsidenten, wirksam zur Geltung zu bringen. Daß die amerikanische Verfassung solcher Führung nicht entgegensteht, haben die großen Präsidenten von Washington über Jefferson zu Jackson, Lincoln, Theodore Roosevelt, Wilson und F. D. Roosevelt gezeigt. Auch hier bewährte sich die Weisheit der Verfassungsväter; sie wollten in der Befürchtung, die Präsidentschaft könne sich zur Monarchie entwickeln, keinen überragend starken Präsidenten, aber sie haben die Möglichkeiten nicht verbaut, daß sich große Führernaturen trotz aller verfassungsmäßigen Beschränkungen auswirken konnten. Aber niemand darf seit dem 22. Verfassungszusatz von 1951 öfter als zweimal in das Amt des Präsidenten gewählt werden. Die Verteilung der politischen Macht ist so geschickt erfolgt, daß sich von selbst der Geist des Kompromisses ausbilden muß, daß die Politik als die Kunst des Möglichen betrachtet wird. Im Hintergrund steht aber immer das starke Nationalgefühl, das insbesondere in Krisenzeiten den Machtkampf zwischen den Staatsorganen niemals in einen staatsggfährdenden Konflikt mit dem Endergebnis einer Diktatur oder einer unbeschränkten Parlamentsherrschaft ausarten ließ.

10. Das Gesetzgebungsverfahren

Die Technik des Gesetzgebungsverfahrens ist in der Verfassung nur in den Grundzügen geregelt. Maßgebend sind noch heute Jeftersons Manual of Parlamentär^ Praxis, dessen wesentliche Stücke als Rules (Regeln) in den Geschäftsordnungen beider Häuser kodifiziert sind, und das Gewohnheitsrecht, das sich im Laufe der Zeit gebildet hat. Gesetzesvorlagen können in beiden Häusern nur von deren Mitgliedern eingebracht werden, auch wenn sie von der Regierung ausgearbeitet sind. Bedeutsame Gesetze tragen daher den Namen von Kongreßmitgliedern (z. B. Taft-Hartley Bill). Der Vorsitzende (im Senat der Vizepräsident, im Abgeordnetenhaus der Speaker) überweist die Vorlagen dem zuständigen Ausschuß.

Die Rolle des Speaker, eines der einflußreichsten Männer im Staatsgefüge, weist Züge auf, die man als undemokratisch bezeichnen möchte, die aber als auferlegte Hemmungen für einen allzu ungezügelten Parlamentsbetrieb zu betrachten sind. Der Speaker, den die im Wahlkampf siegreiche Partei stellt, steht im Gegensatz zu seinem englischen Kollegen nicht über den Parteien, sondern ist in erster Linie Führer seiner Partei. Da es keine Fraktionsdisziplin gibt, hängt es von seiner Persönlichkeit, insbesondere von dem Einfluß auf seine Partei und von seiner Zusammenarbeit mit dem Präsidenten entscheidend ab, wieweit die Gesetzesvorschläge der Regierung vom Abgeordnetenhaus angenommen werden. Wenn allerdings der Präsident der Gegenpartei angehört, können sich im Zusammenspiel zwischen Exekutive und Legislative ernste Hemmungen ergeben. Im Plenum ist der Speaker befugt, durch die „Erkennung" (recognition) von sich zu Wort meldenden Mitgliedern und das übersehen solcher Meldungen die Beratung weitgehend zu beeinflussen. Nur ein sehr gewandterMann kann mit der Führung seiner Partei die Aufgabe vereinigen, sich der Unparteilichkeit gegenüber allen Mitgliedern des Hauses zu befleißigen. Die hohe Stellung des Speaker ist auch daraus ersichtlich, daß er im Falle des Todes des Präsidenten und Vizepräsidenten für den Rest der Amtszeit zur Nachfolge in der Präsidentschaft berufen ist.

Die Vorsitzenden der beiden Häuser überweisen die Vorlagen an den zuständigen Ausschuß. Die Mitglieder der Ausschüsse werden von den Parlamentsfraktionen ernannt, die für diese Aufgabe das Committee on Committees (Ausschuß für Ausschüsse) bilden. Die Vorsitzenden aller Ausschüsse stellt die Mehrheitspartei; die übrigen Mitglieder verteilen sich nach dem Stärkeverhältnis der Partei, so daß die Mehrheitspartei in allen Ausschüssen die Mehrheit hat.

In den Ausschüssen des Kongresses wird, wie in allen großen Parlamenten, die Hauptarbeit geleistet. 1960 bestanden 12 gemeinsame Ausschüsse beider Häuser, 20 ständige Ausschüsse und ein Sonderausschuß des Abgeordnetenhauses mit zahlreichen Unterausschüssen, 16 ständige und 7 Sonderausschüsse des Senats, ebenfalls mit zahlreichen Unterausschüssen. Die wichtigsten sind die Geschäftsordnungs-, die Bewilligungs-und die Rechtsausschüsse beider Häuser, jeweils mit mehreren Unterausschüssen, sowie der politische Ausschuß des Senats.

Als Vorsitzender wird nach dem Senioritätsgrundsatz, der auf parlamentarische Praxis zurückgeht, das der Mehrheitspartei angehörende Mitglied gewählt, das im betreffenden Ausschuß am längsten mitgewirkt hat. Wenn dadurch gelegentlich die mittelmäßigen gegenüber den besten Köpfen bevorzugt werden, wird andererseits jeder Streit über den Vorsitz unterbunden. Der Senioritätsgrundsatz führt bei der großen Macht, die der Ausschußvorsitzende hat — ohne seine Zustimmung kann kein Vorschlag auf die Tagesordnung gesetzt werden; um einen Entwurf gegen seinen Willen aus dem Ausschuß loszueisen, bedarf es der absoluten Mehrheit des Plenums —, zu einer Stärkung der südlichen Demokraten, die den konservativen Flügel der demokratischen Partei darstellen. Da die elf Südstaaten seit dem Sezessionskrieg weit überwiegend, teilweise ausschließlich demokratisch wählen (the solid south), gehören viele ihrer Abgeordneten und Senatoren, die mit fast absoluter Sicherheit auf Wiederwahl rechnen können, zu den dienstältesten Mitgliedern und werden so automatisch eines Tages Vorsitzende. Die Schlüsselstellung in beiden Häusern hat der Geschäftsordnungsausschuß (Committee on Rules), den alle von anderen Ausschüssen ausgearbeitete Gesetzentwürfe auf dem Weg in die beiden Plenums passieren müssen. Der Vorsitzende dieses Ausschusses im Abgeordnetenhaus, eine Art graue Eminenz, konnte ihm nicht genehme Entwürfe einkapseln. Da die Mehrheit der (früher) 12 Mitglieder seiner Partei angehörten, wurde er nie überstimmt, einen Entwurf freizugeben. Er übte damit eine nahezu unangreifbare Herrschaft über den ganzen Kongreß aus, die der des Speaker kaum nachstand. Es war einer der ersten Erfolge Kennedys, vom Abgeordneten-B haus zu erreichen, daß es die Zahl der Mitglieder auf 15 erhöhte. Durch Neuzuweisung von drei die Regierung Kennedys unterstützenden Mitgliedern, die durch das Committee on Committees bestimmt wurden, gelang es, die Macht des Vorsitzenden einzuschränken. In noch stärkerem Maße geschah das später durch die Ermächtigung des Plenums, mit einfacher Mehrheit zu beschließen, daß eine Vorlage, die länger als 21 Tage im Geschäftsordnungsausschuß zurückgehalten wurde, im Plenum zur Abstimmung gebracht wird.

Gesetzentwurf Wenn ein die zuständigen Ausschüsse, allenfalls einen gemeinsamen Vermittlungsausschuß Häuser passiert hat

und durch beide Häuser angenommen ist, geht er an den Präsidenten zur Unterschrift. Unterschieden wird zwischen und public private bills. Die letzteren werden eingebracht, um etwa Einzelpersonen für Eigentumsverluste zu entschädigen, wenn nur eine moralische Pflicht besteht, oder um einer Einzelperson eine Einwanderungsgenehmigung zu erteilen, die im Widerspruch zu den Einwanderungsgesetzen steht. In westeuropäischen Ländern werden solche Angelegenheiten auf dem Verwaltungsweg erledigt. Hauptsächlich auf die private bills ist die ungeheuere Zahl von Gesetzen zurückzuführen, die jedes Jahr erlassen werden. Von den public bills, die eingebracht werden, wird nur etwa ein Zehntel angenommen und damit Gesetz (law oder Statute). Daneben gibt es joint resolutions (gemeinsame Entschließungen) beider Häuser, die durch die Unterschrift des Präsidenten Gesetzeskraft erhalten. Auch sie werden wie ein Gesetz in drei Lesungen behandelt, stehen meist nur an Bedeutung des Inhalts den Gesetzen nach.

Eine nur dem Senat eigentümliche Erscheinung, in der dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung wohl zu viel Raum gegeben ist, ist das filibuster, ein der Seeräubersprache entnommenes Wort; es bedeutet Lahmlegung durch Dauerreden. Im Senat besteht im Gegensatz zum Abgeordnetenhaus keine Möglichkeit zum Abschneiden der Debatte (cloture) und keine Beschränkung der Redezeit, es sei denn, daß zwei Drittel der Mitglieder für sie eintreten; hiervon wird jedoch fast nie Gebrauch gemacht, da weitestgehender Schutz der Minderheit zu den ungeschriebenen Gesetzen des Senats gehört. Im März 1960 erlebte der Senat anläßlich der Debatte über ein Gesetz, das die Wahlausübung für die Neger sichern sollte, die längste filibuster-Periode seiner Geschichte, indem ununterbrochen 82 Stunden lang sich ablösende Redner unter Anführung vieler passenden und nichtpassenden Bibelzitate vor einem Haus zum Thema sprachen, in dem außer dem Redner meist nur der stellvertretende Vorsitzende und die Stenographen anwesend waren; die Zuschauergalerie war jedoch bis in die späten Nachtstunden gefüllt, um dieses seltsame Schauspiel zu genießen. Da jederzeit die Feststellung des Quorums verlangt werden kann, mußte über die Hälfte der Senatoren im Kongreßgebäude übernachten, um auf Aufruf sofort gegenwärtig zu sein. Würde das Quorum von 51 nicht erreicht, so wäre die Debatte abgebrochen und die Gesetzesvorlage von neuem der Beratung unterworfen. Auch solche Auswüchse — eine moderne Parallele zum liberum veto des polnischen Reichstags — sind in einer Demokratie möglich und werden als das kleinere Übel im Vergleich zu einem Angriff auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung hingenommen.

11. Die Untersuchungsausschüsse

Eine außerordentlich lebhafte Tätigkeit entfalten die Ausschüsse und Sonderausschüsse des Kongresses bei Untersuchungen zur Aufklärung der verschiedensten Sachverhalte. Sie vernehmen Zeugen, stellen Beweismittel sicher, laden Sachverständige vor und bedienen sich eines großen Mitarbeiterstabs. Fragwürdige Berühmtheit hat Anfang der fünfziger Jahre der McCarthy-Ausschuß des Senats erlangt, der sich mit „unamerikanischen Handlungen" beschäftigte und in einen wahren Kommunistenverfolgungswahn, dem viele Unschuldige zum Opfer fielen, ausartete. Es entstand eine Krise der verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte. Der Oberste Gerichtshof hat lange gezögert, als berufener Hüter der Verfassung den Auswüchsen der antikommunistischen Hysterie durch Ausübung des richterlichen Prüfungsrechts Halt zu gebieten. Erst als McCarthy auch führende Militärs bezichtigte und mit den Streitkräften in Konflikt geriet, wurde er vom Senat getadelt — ein Vorgang, der außerordentlich selten ist und den schnellen Sturz McCarthys herbeiführte.

12. Lobbyismus und pressure groups

Der Lobbyismus, der seinen Namen vom Aufsuchen der Kongreßmitglieder in den Wandelgängen, der lobby, des Kongresses herleitet, hat früher zu starken Mißständen geführt, so daß man von einer „Herrschaft der Verbände", deren Funktionäre die Lobbyisten sind, sprechen konnte. Heute sind die gröbsten Mißstände durch ein Gesetz im wesentlichen behoben. In Washington sind heute über 5000 Lobbyisten registriert, die die Kongreßmitglieder oft mit wertvollem Material versehen, oft die Interessen ihrer Gruppen nur einseitig vertreten. An eine Abschaffung dieses Systems, das durch die Petitionsfreiheit des 1. Zusatzartikels zur Verfassung sogar eine verfassungsrechtliche Grundlage hat, ist in der auf freiem Wettbewerb beruhenden Wirtschaft und bei dem Zweiparteiensystem, in dem keine der beiden Parteien in wirtschaftlichen, sozialen und anderen Fragen von vornherein auf eine bestimmte Linie eingestellt ist, trotz mancher Schönheitsfehler nicht zu denken. Durch die häufige Vernehmung von Lobbyisten in den Beratungen der Ausschüsse ist das Institut halboffiziell geworden.

Wenn der Lobbyismus zu mehr oder minder zarten Druckmitteln greift, spricht man von pressure groups. Als über ein Veto von Präsident Eisenhower im Abgeordnetenhaus beraten wurde, konnte sich der Verfasser dieses Aufsatzes von dem Wirken einer solchen pressure group anschaulich unterrichten. Der Kongreß hatte eine Gesetz zur Erhöhung der Gehälter der Postbeamten angenommen, gegen das Eisenhower sein Veto eingelegt hatte mit der Begründung, daß erst im Vorjahr eine erhebliche Erhöhung vorgenommen worden war. Bei der Beratung über das Veto saßen auf der Zuschauergalerie einige Hundert Post-bedienstete, wobei sich die Frage aufdrängte, wie so viele Beamte der gleichen Sparte zur gleichen Zeit dienstfrei hatten. Die Abgeordneten sahen die drohende Gefahr für die bald bevorstehende Neuwahl des Kongresses und setzten sich bei der Abstimmung mit großer Mehrheit über das Veto hinweg.

13. Kongreß und öffentliche Meinung

Schon Tocqueville gewann 1835 den Eindruck, daß in den USA das Volk als die eigentlich entscheidende Macht die Regierungspolitik bestimmt, weil es unablässig die tägliche Geschäftsführung beeinflußt. Stets gab die Reaktion des freien Volkes auf die Verhältnisse und Situationen, mit denen es sich auseinander-setzen mußte, bei der Festlegung des politischen Kurses den Ausschlag. Diese Erkenntnis liegt der berühmten Gettysburger Adresse Lincolns zugrunde, wenn er der Zuversicht Ausdruck gab, daß „die Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk von der Erde nicht verschwinden werde". Der führende Politiker kann wichtige neue Programme nicht in Angriff nehmen, ohne vorher die Einstellung der Öffentlichkeit gründlich sondiert und den Boden vorbereitet zu haben. Durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film sind die Informationsmöglichkeiten in früher unvorstellbarer Weise vermehrt worden. Durch Interviews mit Vertretern der Presse, die durch Rundfunk und Fernsehen übertragen werden, bleibt der Präsident in ständiger Fühlung mit der Öffentlichkeit. In den chimney chats (Ge17 sprächen am Kamin) hielt F. D. Roosevelt während des Zweiten Weltkrieges enge Verbindung mit dem Volk. Häufige Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute zeigen der Regierung die Einstellung der Bevölkerung zu aktuellen Problemen, insbesondere die Billigung oder Mißbilligung wichtiger Entscheidungen und damit das Auf und Ab der Popularität des Präsidenten seit der letzten Erhebung. In verkleinertem Maßstab gelten diese Momente auch für den Senator und den Abgeordneten. Insbesondere der letztere verliert schnell an Popularität, wenn er während seiner zweijährigen Amtsperiode nicht genügend um seinen Wahlbezirk und seine Anhänger besorgt ist. Es wird als selbstverständliche Pflicht betrachtet, daß der Abgeordnete in kurzen Abständen, vielfach wöchentlich, über seine Tätigkeit im Kongreß in der Lokalpresse oder im lokalen Rundfunk berichtet, seine Einstellung zu wichtigen Fragen in Versammlungen oder im Fernsehen darlegt, mit prominenten Persönlichkeiten seines Wahlkreises Um-B gang pflegt, Einladungen gibt und annimmt, bei Sammlungen spendet, aus seinem Bezirk kommende Besucher durch das Kapitol führt oder führen läßt und Sie zu einem Kaffeeplausch in den Erfrischungsräumen des Kongresses einlädt, zu Familienereignissen wie Geburt, Hochzeit, 70. Geburtstag gratuliert. Die Inanspruch-nähme von Kongreßmännern in allen möglichen Angelegenheiten geht oft so weit, daß man sie als „Mädchen für alles" bezeichnet hat.

über die Einstellung der Kongreßmitglieder zu diesen Begleiterscheinungen ihres hohen Amts wird in Abschnitt 16 zu berichten sein.

14. Die Parteifinanzen

Den finanziellen Sorgen der politischen Parteien ist durch ein Gesetz, das der 89. Kongreß kurz vor Beendigung seiner Legislaturperiode im November 1966 angenommen hat, wenigstens für die besonders kostspieligen Wahlen des Präsidenten und Vizepräsidenten abgeholfen worden. Die Lösung ist verblüffend einfach: Jeder Staatsbürger kann bei seiner Steuererklärung durch ein Kreuz an einer vorgesehenen Stelle auf dem Formblatt sein Einverständnis dafür geben, daß ein Dollar der Steuer, bei gemeinsam veranlagten Ehepaaren zwei Dollar, einem Fonds zugeführt werden, der vom Obersten Rechnungshof und einer Kommission von sieben Personen verwaltet wird. Der Bürger muß also nicht mehr Steuern bezahlen; den Ausfall am Steueraufkommen trägt der Bund. Der sich ergebende Betrag wird nach Überschreitung der Zehnmillionengrenze den beiden Parteien je zur Hälfte überwiesen.

Man hofft, mit diesem Gesetz unerfreuliche Erscheinungen in der Geldbeschaffung, die mit der Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten verknüpft waren, auszuräumen. Vor allem wurde der vom Democratic National Committee vor fünf Jahren ins Leben gerufene Presidents Club vielfach kritisiert. Seine Hauptaufgabe ist, die Ausgaben bei der Wahl aufzubringen und die regelmäßig in die Millionen gehenden Schulden der Partei nach der Wahl dadurch abzudecken, daß der Präsident Einladungen zu einem Dinner ergehen läßt, bei dem er eine Rede hält, allen Eingeladenen die Hand schüttelt und möglicherweise sein Bild oder ein Fotoalbum des Weißen Hauses überreicht. Die Karte kostet bis zu 1000 $. Die Eingeladenen, vorwiegend führende Männer der Wirtschaft, der lokalen Behörden und Lobbyisten, hoffen auf eine gelegentliche Einladung ins Weiße Haus, das ihr Prestige in der Öffentlichkeit erhöht, auf Verbindungen mit führenden Politikern und Beamten, mit denen sie bei der Einladung ins Gspräch kommen. Eine Absage solcher Einladungen ist schwer möglich, da sie leicht als Affront gegen den Präsidenten ausgelegt werden könnte.

Aber die Neuregelung berührt in keiner Weise die Wahlen der Abgeordneten und Senatoren zum Kongreß der USA, die Wahlen der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, der Gouverneure und der leitenden Beamten der 50 Einzelstaaten, der Bürgermeister und Ratsmitglieder der lokalen Körperschaften.

Die Finanzfrage ist in den USA deshalb besonders schwierig, weil die Parteimitglieder keiner Beitragspllicht unterworfen sind. Also sind die Parteien gezwungen, sich das Geld auf andere Weise zu beschaffen.

Um dem in früheren Zeiten weit verbreiteten Mißbrauch des Kaufs von Ämtern und Kandidaturen zu begegnen, haben Bund und Einzelstaaten schon seit vielen Jahren Regelungen über die finanziellen Aufwendungen an die Parteien und deren Verwendung im Wahlkampf getroffen. Die einschlägige Gesetzgebungder Einzelstaaten gibt ein buntes Bild.

Etwa die Hälfte der Staaten verbietet allen Korporationen, politische Beiträge zu leisten; andere verbieten es nur Banken und Versicherungsgesellschaften. Etwa ein Drittel der Staaten stellen Höchstgrenzen für politische Ausgaben der Parteien auf. In elf Staaten bestanden im Jahre 1953 keine Beschränkungen für solche Beiträge. Fast alle Staaten haben Maximalbeiträge für Aufwendungen der Kandidaten selbst oder für Leistungen von dritter Seite festgesetzt. Am besten hat sich von den verschiedenen Maßstäben eine Berechnung nach der Zahl der im Wahlberirk eingetragenen Wähler bewährt, wie das in England üblich ist. Etwa drei Viertel der Staaten verlangen von den Kandidaten Rechenschaftsablegung über Einnahmen und Ausgaben, vereinzelt auch von den Parteien. Aber diese vielfach sehr einschränkende Gesetzgebung wird nur höchst unvollkommen vollzogen, weil die Öffentlichkeit von jeher massive Geldaufwendungen für Parteien und Wahlkämpfe als traditionell und selbstverständlich ansieht. Darum werden viele Gesetzesverletzungen nicht verfolgt. Der Bund, der nach der Verfassung nur für die Wahlen von Präsident, Vizepräsident und Kongreßmitgliedern zuständig ist, sah sich erstmals im Jahre 1907 veranlaßt, durch ein Gesetz die Einflüsse des konzentrierten Kapitalsauf die Politik zu beschneiden. Allen inkorporierten Gesellschaft wurden Zahlungen an politische Parteien verboten. Als später die Gewerkschaften zu finanziell mächtigen Verbänden herangewachsen waren, wurde das Verbot durch den Taft-Hartley Act von 1947 auch auf sie ausgedehnt.

In den zwanziger Jahren hat der Senat drei Mitglieder ausgeschlossen, die im Wahlkampf mit Beträgen, die in mehrere Hunderttausende gingen, ihre Gegner besiegt hatten. Der Senat ist hierzu aufgrund des Art. I Abschnitt V der Verfassung berufen, wonach er seine Mitglieder für disorderly behavior (nicht ordnungsgemäßes Betragen) bestrafen und mit Zweidrittelmehrheit ausschließen kann.

Der Federal Corruption Practice Act von 1925 setzte die Höchstgrenze für Ausgaben eines Kandidaten für einen Sitz im Senat auf 5000 $, für einen Abgeordnetensitz auf 2500 $fest. Statt dessen kann er drei Cents für jede Stimme ausgeben, die bei der letzten Wahl in seinem Wahlkreis für das Amt ausgegeben wurde; Höchstgrenzen sind dabei 25 000 und 5000 $. Kein auf Bundesebene tätiger Ausschuß darf mehr als drei Millionen ausgeben.

Der Pernicious Political Activities (Hatch)

Act von 1939, der insbesondere der politischen Betätigung der Beamten starke Fesseln auferlegte, verbietet Einzelpersonen, Vereinigungen und Ausschüssen, mehr als 5000 $jährlich für Bundeswahlzwecke auszugeben, wovon jedoch Beiträge für einzelstaatliche oder lokale Vereinigungen ausgenommen sind.

Trotz dieser einschränkenden Gesetzgebung gehen die Beträge, die für Wahlen flüssig gemacht werden, in viele Millionen. Einige Beispiele: Beim Kampf um einen Sitz im Senat der USA, der 1964 im Staate New York ausgefochten wurde und aus dem Robert Kennedy, der Bruder des ermordeten Präsidenten, siegreich hervorging, hat jede der beiden Parteien etwa 5 Millionen $ausgegeben. Nach einem Bericht der Federal Communications Commission haben Hörfunk und Fernsehen im Wahlkampf 1964 für die Abgabe von Sendezeiten an die Parteien 35 Millionen $eingenommen.

Ein so gewaltiger finanzieller Aufwand ist aber nicht nur durch Verstöße gegen die Gesetzgebung, die auch auf Bundesebene nur selten verfolgt werden, möglich, sondern viel mehr durch die Lücken, die die verschiedenen Gesetze gelassen haben. Die Bundesregelung erstreckt sich nicht auf die Vorwahlen. Die oft sehr hohen persönlichen Ausgaben des Kandidaten, die von den anderen Ausgaben schwer abzugrenzen sind, werden von der Pflicht zur Rechnungslegung nicht erfaßt, ebensowenig die ergiebigsten Einnahmequellen der Parteien und Kandidaten, nämlich die Gelder, die von privaten Förderungsvereinigungen und -gruppen für einen bestimmten Kandidaten aufgebracht werden; ihre Werbung ist nicht partei-offiziell und daher nicht anmeldepflichtig. Ebenso bestehen keine Beschränkungen für die Familienmitglieder eines Kandidaten — man denke an die reiche und weitverzweigte Familie Kennedy.

Die Parteien selbst beziehen ihre Gelder ebenfalls in der Hauptsache von reichen Parteifreunden und von Interessentengruppen, insbesondere den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die nur nicht Korporationen sein dürfen. Alle diese Geldquellen sind nicht anmeldepflichtig, so daß das System der Offenlegung (disclosure), nach dem unter namentlicher Benennung aller Spender über 100 $der Öffentlichkeit über Einnahmen und Ausgaben für Wahlzwecke Rechenschaft abzulegen ist, ein höchst unvollkommenes Bild gibt. Das gilt noch mehr für die Arbeit der von jedem Kongreß eingesetzten Ausschüsse zur Prüfung der Wahlausgaben, die nach dem Grundsatz handeln, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

In jüngster Zeit sind einige Fälle aufgedeckt worden, die das Mißfallen der Öffentlichkeit, die im allgemeinen der Finanzierung der Parteikosten wenig Aufmerksamkeit zuwendet, erregt und auch die Steuerbehörden auf den Plan gerufen haben. Einige Senatoren und Abgeordnete haben sich am Beispiel des Präsidenten orientiert und ebenfalls zu Dinners zum ermäßigten Preis bis zu 100 $eingeladen, auch sonstige „testimonials" (Ehrengeschenke) angenommen, ohne den Erlös für die Wahlen oder ihre Vorbereitung zu verwenden. Der Gouverneur eines Staates empfing so in vier Jahren 83 000 Dollar, mit denen er ein Sommerheim und ein Motorboot kaufte, sein Haus renovieren ließ und seine Tochter auf eine Europareise schickte. Bei den ersten drei Posten war die Finanzbehörde großzügig, da die Ausgaben mit der Repräsentation zusammenhingen und die Spenden auch in dieser Absicht gegeben wurden. Der Fall gab in Verbindung mit einigen anderen dem Senat Anlaß, nach Wegen zu suchen, um derartigen Mißbräuchen vorzubeugen. Das Ergebnis dieser Bemühungen steht noch aus.

15. Die Vergütung der Kongreßmitglieder

Die Vergütung der Kongreßmitglieder erscheint bei einem Vergleich mit westeuropäischen Parlamenten hoch, auch wenn man bei einer Umrechnung in DM etwa ein Drittel wegen der geringeren Kaufkraft des Dollars in den USA abziehen muß. Der Speaker bezieht jährlich 45 000 $und 10 000 $Aufwandsentschädigung. Die Kongreßmitglieder erhalten 30 000 $. Im Gegensatz etwa zur Bundesrepublik Deutschland unterliegt das Einkommen jedoch der Einkommensteuer; 3000 S sind nur dann steuerfrei, wenn in Washington und in einem Ort des Wahlbezirks je eine Wohnung unterhalten wird. Zum Vergleich: Der Präsident bezieht 100 000 S Gehalt, 50 000 $Aufwands-entschädigung und 40 000 $Reisekostenvergütung, die Vorstände der departments erhalten 35 000 $.

Die Aufwendungen für den Wahlkampf, die im beträchtlichen Umfang insbesondere den begüterten Kandidaten zugemutet werden (vgl. Abschnitt 14), die hohen Spesen während der Amtszeit, die nur zum Teil vom Bund übernommen werden — so werden etwa die Kosten für Hin-und Rückreise zum und vom Wahlbezirk jährlich nur fünfmal, für ein Mitglied des Büropersonals zweimal ersetzt —, schrecken manchen Bewerber ab oder geben dem Gewählten Veranlassung, sich nach einigen Wahlperioden nicht mehr zur Verfügung zu stellen; trägt er doch das Risiko, nach einer Reihe von Wahlperioden eines Tages nicht mehr wiedergewählt zu werden. Es ist auch in den USA nicht leicht, sich in fortgeschrittenem Alter wieder ins frühere Berufsleben einzugliedern. Ein Recht auf eine Pension ist nur gegeben, wenn der Abgeordnete mindestens fünf Jahre Mitglied des Kongresses war und 7, 5 v. H.seiner Bezüge in die Pensionskasse einbezahlt hat.

Der Umfang des Geschäftsstabs, den der Bund jedem Komgreßmitglied zur Verfügung stellt, ist insbesondere bei den Senatoren sehr verschieden. Im Durchschnitt erfordert das Büro eines Abgeordneten 100 000 $jährlich, das eines Senators bedeutend mehr, je nach der Bevölkerungszahl des Einzelstaates, den er vertritt.

16. Reformvorschläge von Kongreßmitgliedern

Im Jahre 1960 wurde bei sämtlichen Mitgliedern des 86. Kongresses eine Rundfrage veranstaltet, was sie an Kritik und Verbesserungen für den parlamentarischen Betrieb vorzubringen haben. Daraufhin haben 28 Senatoren und 90 Abgeordnete Äußerungen abgegeben. Wir bringen im folgenden einen Auszug. a) Längere Wahlperiode für Abgeordnete Vielfach wird statt der zwei-die vierjährige Wahlperiode vorgeschlagen. Bei der engen Verbindung mit seinem Wahlkreis und der langen Ausdehnung des Wahlkampfs ist der Abgeordnete in der zweiten Hälfte des zweiten Jahres hauptsächlich mit der Vorbereitung seiner Wiederwahl beschäftigt und der parlamentarischen Arbeit entzogen. Neugewählten ist es in zwei Jahren nahezu unmöglich, sich mit den vielfachen Pflichten eines Abgeordneten auch nur einigermaßen vertraut zu machen. Wird er nicht wiedergewählt, so ist die gewonnene Erfahrung verloren. Als Variante wird in Erwägung gezogen, alle zwei Jahre die Hälfte der Abgeordneten neu zu wählen mit der Maßgabe, daß sie vier Jahre im Kongreß bleiben. Wahl auf sechs Jahre wie bei den Senatoren wird abgelehnt, weil der Abgeordnete in näheren Beziehungen zu den Wählern stehe als der Senator, sich des Vertrauens seiner Wähler daher in kürzeren Zeitabständen vergewissern müsse. b) Vermehrung der Abgeordneten Bei einer Bevölkerung von vier Millionen im Jahre 1787 hatte der erste Kongreß 65 Abgeordnete und 26 Senatoren. Um eine Bevölkerung von 179 Millionen zu repräsentieren, werden 435 Abgeordnete nicht als genügend erachtet. Einzelne Abgeordnete vertreten mehr als eine halbe Million Wähler. Im Laufe der Zeit sind viele Zuständigkeiten der Einzelstaaten auf den Bund übergegangen, von der allgemeinen Zunahme der Aufgaben zu schweigen. Es müßte ein Schlüssel gefunden werden, nach dem die Gesamtzahl der Abgeordneten zur Gesamtbevölkerung in ein Verhältnis gesetzt würde.

Die Vermehrung der Zahl der Senatoren wird nicht in Erwägung gezogen. Sie wäre ohne Änderung der Verfassung und einen Eingriff in das System der checks and balances — jedem Staat stehen zwei Senatoren zu — nicht möglich. c) Der TTT Club Als Tuesday through Thursday (Dienstag bis Donnerstag) Club werden die etwa 250 Abgeordneten bezeichnet, die im Osten und westlich bis etwa Chikago wohnen und durch ihre Zahl genügend Einfluß haben, daß das Abgeordnetenhaus mit seinen zahlreichen Ausschüssen meist nur von Dienstag bis Donnerstag tagt, damit sie über das „Wochenende" ihren Privatgeschäften nachgehen können. Den andern Mitgliedern ist das schon durch die weiten Entfernungen unmöglich gemacht, abgesehen von den Kosten für Flugzeug oder Eisenbahn. Durch diese Methode wird die Arbeit des Kongresses zeitlich in die Länge gezogen. d) Zusammendrängen der Gesetzgebung gegen das Ende der Session, Gesetzesüberflutung Jeder Kongreß hat zwei Sessionen, d. h. in jedem der zwei Jahre eine Sitzungsperiode, die gewöhnlich von Anfang Januar bis Juli/August geht. Der Präsident der USA kann jedoch den Kongreß zu einer Sondersitzung einberufen, um einen Druck zum Abschluß der gesetzgeberischen Aufgaben auszuüben. Der Kongreß kann sich auch selbst zu einer Herbst-sitzung vertagen. Nicht erledigte Gesetzentwürfe werden automatisch ins zweite Jahr übernommen, im neuen Kongreß können sie nur nach formeller Wiedereinbringung behandelt werden.

Bei dem Zusammendrängen der gesetzgeberischen Arbeit in den beiden Plenums auf das Ende einer Session wird auf die Gefahr hingewiesen, daß selbst wichtige Gesetze nicht mit der nötigen Sorgfalt beraten werden. Es wird anerkannt, daß dies nur zum Teil auf die unter c) behandelte Methode zurückzuführen ist, in größerem Umfang vielmehr auf die Notwendigkeit der Vorbereitung der Gesetzgebung in den Ausschüssen beider Häuser. Die Zahl der Gesetzesvorlagen ist erschrekkend hoch. Der 86. Kongreß hatte nicht weniger als 17 850 Gesetzentwürfe zu behandeln, wovon allerdings mehr als die Hälfte auf die private bills entfiel. Diese werden von zwei ständigen Ausschüssen des Judiciary Committee (Rechtsausschuß) vorbehandelt und in den beiden Plenums routinemäßig, meist ohne Debatte erledigt. Daß niemand vorschlägt, diese Angelegenheiten der Verwaltung zu überlassen, mag wohl darauf zurückzuführen sein, daß der Kongreß seinen Zuständigkeitsbereich nicht verringern will.

Ein wirksames Heilmittel gegen diese Überflutung, die den meisten Kongreßmitgliedern ein genaues Studium unmöglich macht, wird nicht gefunden, wohl aber darauf hingewiesen, daß die zunehmende Zentralisierung, die stärkere Abhängigkeit der Einzelstaaten vom Bund, diese Entwicklung noch fördern werde. e) Zu große Macht der Committees, insbesondere des Rules Committees Es ist erklärlich, daß Reformvorschläge auf diesem Gebiet hauptsächlich von liberalen demokratischen Kongreßmitgliedern kommen. Niemand denkt daran, die Ausschüsse abzuschaffen; denn die gesetzgeberische Arbeit könnte in einem Staat von der Größe der USA ohne sorgfältige Vorarbeit durch Ausschüsse niemals bewältigt werden. Die Kritiken bewegen sich in verschiedener Richtung. Das Übergewicht der Ausschüsse, die ein Werkzeug in der Hand ihrer Vorsitzenden seien, keine Repräsentation des Volkswillens mit 435 gleichberechtigten Abgeordneten. Es gebe auf der Welt keine gesetzgebende Körperschaft, die fähig zum Handeln ist, wenn dieses Handeln durch eine kleine Minorität unmöglich gemacht wird. Die vom 19. Jahrhundert übernommenen Formen seien längst überholt. Obwohl 1958 die Demokraten mit nahezu Zweidrittelmehrheit ins Haus eingezogen seien, habe sich im Vorsitz der drei wichtigsten Ausschüsse (Rules Comittee und die zwei Finanzausschüsse) infolge des Senioritätsprinzips nichts geändert, so daß sich der Wechsel, der sich in der öffentlichen Meinung vollzogen habe, nicht genügend in der Gesetzgebung auswirken könne. Diese Mißachtung sei ein Schlag für das demokratische Grundprinzip, daß die Mehrheit entscheide. Bei der gegenwärtigen Besetzung der Ausschüsse sei den agrarischen Gebieten des Landes ein viel zu großer Einfluß gegeben.

Am Senioritätsprinzip wird trotz der Erkenntnis, daß es nicht immer den fähigsten Kopf an die Spitze bringt, fast ausnahmslos festgehalten. Die langjährige parlamentarische Erfahrung sei ein nicht zu gering zu bewertender Faktor. Alle andern Auswahlsysteme, wie früher die Ernennung durch den Speaker oder die Führer der Parteien, hätten viele Mißhelligkeiten in sich geschlossen. Politischer Druck von irgendeiner Seite sei bei dem gegenwärtigen automatischen System ausgeschlossen. Um jedoch das Übergewicht der elf Südstaaten in den Ausschüssen abzuschwächen, sollte Vorsorge getroffen werden, daß auf einen bestimmten Teil des Gebiets der Union nicht mehr als eine bestimmte Zahl der Vorsitze entfällt oder daß der Vorsitzende nach sechs Jahren oder nach Erreichung des 70. Lebensjahrs auszuscheiden hat. wird als gesetzgebungshindernd oder -verzögernd getadelt. Das Abgeordnetenhaus sei Keiner der Befragten hat einen wichtigen Beweggrund für die Beibehaltung des gegenwärtigen Systems, insbesondere des Übergewichts des Rules Committee offen ausgesprochen, der in Wirklichkeit für viele Kongreßmitglieder beider Parteien der entscheidende sein dürfte. Auch dieses System ist ein Stück der checks and balances. Durch die Befugnisse der Ausschüsse, Gesetzentwürfe zurückzuhalten, wird allzu einem bewilligungsfreudigen Plenum ein Hemmschuh angelegt, über den mancher Kongreßmann keineswegs unglücklich ist. Wenn er annehmen darf, daß der Entwurf bleibt, kann sich Bedenken er ohne in Hinsicht auf seine Wähler dafür einsetzen und sich später darauf berufen, daß er „leider" nicht in der Lage war, ihre Wünsche durchzusetzen. Würde es zur Abstimmung im Plenum gekommen sein, so hätte er angesichts eines bevorstehenden Wahlkampfs vielleicht nicht wagen können, seiner Über-zeugung gemäß abzustimmen. f) Zu starke Ablenkung von dergesetzgeberischen Arbeit Die Möglichkeit, beim Kongreßmann um Abhilfe gegen Übergriffe der Exekutive vorzusprechen, wird als das Sicherheitsventil bezeichnet, bei dessen Abwesenheit sich Ansammlung von Unzufriedenheit in revolutionären Formen äußern könnte. Die Klage darüber, daß viel Zeit mit der Erfüllung von Aufträgen und persönlichen Wünschen der Wähler vertan werde, teilen die amerikanischen Kongreßmitglieder wohl mit Kollegen in der ganzen Welt. Während ein Senator behauptet, daß 99 v. H.der hierdurch anfallenden Arbeit von seinem Büropersonal erledigt werde, glaubt ein Abgeordneter aus New York, die Hälfte seiner Zeit darauf verwenden zu müssen. Ein Abgeordneter aus dem Süden, der täglich im Durchschnitt über 100 Briefe aus seinem Bezirk erhält, ist sogar noch in höherem Grade in Anspruch genommen, während ein Abgeordneter aus dem dünnbesiedelten Arizona seine Zeit folgendermaßen einteilt: zu 30 v. H. in Ausschüssen, zu 20 v. H. im Plenum, zu 20 v. H. zum Gesetzesstudium, zu 25 v. H. zum Schreiben von Briefen in Verbindung mit Wählerwünschen, zu 5 v. H. für gesellschaftliche Verpflichtungen. Ein Abgeordneter aus dem der Hauptstadt Washington nahen Virginia muß im Frühjahr wöchentlich drei bis vier Einladungen Folge leisten. Auch von den Senatoren, die nicht in so enger Verbindung zu ihren Wählern stehen, wird geklagt, daß sie den persönlichen Kontakt mit Besuchern aus ihrem Staat nicht ausweichen können und damit viel Zeit verlieren. g) Kongreß und Haushaltsjahr Das Haushaltsjahr beginnt am 1. Juli und endet am 30. Juni. Der Präsident leitet dem Kongreß zu Anfang des Kalenderjahres den Haushaltsplan zu. Die Beratung fällt damit in die ersten Monate der Sitzungen. Sie hält das Plenum und die Ausschüsse erheblich von ihren sonstigen Aufgaben ab. Verschiedene Vorschläge wollen dem begegnen. Würde der Kongreß schon im September statt im Januar zusammentreten, so würde die Zeit vor Neujahr für gesetzgeberische Tätigkeit freistehen, man während sich später dem Haushalts mit größerer widmest Sorgfalt könnte. Auch bei Beibehaltung des Beginns der Sitzungsperiode im Januar würde bei Spaltung der Sitzungsperiode in zwei Zeitabschnitte der erste für die Arbeit an der Gesetzgebung, der zweite für die Beratung des Haushalts zur Verfügung stehen, ohne daß sich diese Abschnitte überschneiden würden. Von einem Mitglied wird der umgekehrte Weg vorgeschlagen, wobei nicht verkannt wird, daß auf beiden Gebieten Nachteile zu erwarten wären. h) Lobbyismus und pressure groups Die Einstellung der Kongreßmitglieder ist verschieden. Zwar nicht in der hier behandelten Rundfrage, aber bei anderen Gelegenheiten haben manche Kongreßmitglieder bekannt, daß sie von Lobbyisten mit wertvollem Material versehen werden, das oft von ersten Wissenschaftlern erstellt ist und ihnen auf anderem Wege kaum erreichbar wäre. Andererseits sind vor allem Senatoren über den zunehmenden Einfluß der lobbies besorgt. Ein Senator behauptet sogar, zwei oder drei starke lobbies könnten den Kongreß beherrschen, während andere ihn das große Übel, das mit dem Kongreß verbunden sei, nennen. Wenn aber ein Kongreßmitglied über die nötige Charakterstärke verfüge, so könne ihn in seiner Unabhängigkeit nichts beeinflussen. i) Filibuster Es ist bezeichnend, daß die zwei Senatoren, die für Abschaffung des filibuster und Beschränkung der Redezeit eintreten, ihren Namen nicht genannt haben. Bei der stark konservativen Einstellung dieser exklusivsten politischen Körperschaft der Welt kann man nicht erwarten, daß diese traditionsgebundene Einrichtung bald verschwinden wird. j) Büropersonal Das dem Kongreßmann zustehende Büro umfaßt je nach der Größe des Wahlbezirks bei den Abgeordneten bis zu elf, bei den Senato-B ren bis zu 26 Personen. Daß das Büropersonal nicht ausreiche, wird von niemandem behauptet, wohl aber, daß der Einfluß manches Bürodirektors zu groß sei. Das wird jedoch mit der Bemerkung abgetan, daß es Sache des einzelnen Kongreßmitglieds sei, wieweit er sich von seinem Personal abhängig mache. Der Anre-gung, die Arbeit der Ausschußmitglieder dadurch zu erleichtern, daß die umfangreichen Vernehmungen von Sachverständigen in den Ausschüssen durch Personen aus dem Büropersonal vorgenommen werden, wird entgegengehalten, daß die direkte Unterrichtung nicht ersetzbar sei.

17. Zusammenfassung

Der auswärtige Beobachter wird über das Verfassungssystem der USA, in dem dem Kongreß und damit den politischen Parteien eine solche hervorragende Stellung eingeräumt ist, Betrachtungen nach verschiedenen Seiten anstellen. Zunächst sind einige negative Gesichtspunkte zu erwähnen:

Die schwache Stellung des Präsidenten in der Innenpolitik, die Tatsache, daß er sich in beiden Häusern auf die Mehrheit der Partei, der er angehört, häufig nicht verlassen kann, daß er während seiner Amtszeit gewärtigen muß, nach den ersten zwei Jahren einem Kongreß mit der Mehrheit der Gegenpartei gegenüberzustehen, daß er sogar wiedergewählt werden kann, während gleichzeitig die Wähler für den Kongreß der Gegenpartei ihr Vertrauen aussprechen (Wahl Eisenhowers 1956), hat zur Folge, daß viele Gesetzesvorschläge der Regierung abgelehnt werden oder unerledigt liegen bleiben, daß dringende Aufgaben wie die Krankenversicherung, die Beseitigung der slums in den Großstädten, die Förderung des Schulwesens, Dinge, die bei dem Reichtum des Landes ohne allzu große Schwierigkeiten längst geregelt sein könnten, nur langsam, vielfach überhaupt nicht vorwärtsgehen. Die Regierung wird bei dem Mangel eines Franktionszwangs gezwungen, sich von Fall zu Fall eine wechselnde Mehrheit für ihre Vorschläge zu sichern. Am meisten hat unter diesem System die Lösung der Negerfrage gelitten.

Die Arbeit im Kongreß wird aber nicht nur durch das von den Schöpfern der Verfassung zweifellos beabsichtigte ständige Spannungsverhältnis zwischen Exekutive und Legislative gehemmt, sondern wohl noch in höherem Maße durch die veraltete Arbeitsweise des Kongresses; man denke an das filibuster im Senat und die allzu große Macht der Ausschüsse, deren Vorsitzende ihnen unangenehme Gesetzesvorschläge auf die lange Bank schieben und damit zum Scheitern bringen können.

Das unübersichtliche Verwaltungssystem, das auf wichtigen Gebieten dem Einfluß des Präsidenten fast entzogen ist, ist nicht nur sehr kostspielig, sondern fördert die Herrschaft der Bürokratie, die sich einer straffen Führung entziehen kann und strenge Beaufsichtigung durch Unterausschüsse des Kongresses erst zu erwarten hat, wenn sich auf irgendeinem Sektor erhebliche Mißstände herausgebildet haben, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen haben.

Die kurze Wahldauer der Abgeordneten zwingt diese in der zweiten Hälfte des zweiten Jahres, sich um die Wiederwahl zu bemühen, worunter die Tätigkeit im Kongreß leidet. Noch mehr wirkt sich die Präsidentenwahl, deren Vorbereitung mit den Vorwahlen sich jedes vierte Jahr über den größten Teil des Jahres hinzieht, hemmend auch auf wichtige Angelegenheiten aus, von den enormen Kosten zu schweigen.

In Diskussionen mit Amerikanern werden diese Mängel meist offen zugegeben, aber mit den Vorzügen ihres Systems in Vergleich gesetzt. Welches Land kann sich einer Verfassung rühmen, die — heute die älteste Verfassung der Welt, da die englische nicht schriftlich niedergelegt ist — mit nur 24 überwiegend zweitrangigen Änderungen 179 Jahre besteht, von denen die ersten zehn, die Bill of Rights, als etwas später erlassener Teil der Verfassung billigerweise abgezogen werden dürfen? Welches Land kann darauf verweisen, daß es in diesem Zeitraum weder zu einer Parlamentsherrschaft wie in Frankreich vor de Gaulle, noch zu einer Diktatur der Exekutive wie in vielen anderen Ländern, noch zu einem Eindringen der bewaffneten Macht in die Politik gekommen ist, daß kommunistische Bewegungen unterblieben sind, daß „Weltanschauungen" nicht in die Politik eingedrungen sind, daß es nie, selbst nicht in Kriegszeiten oder bei Wirtschaftskrisen, notwendig wurde, zu Notstandmaßnahmen oder zur Übertragung der Gesetzgebungsbefugnis auf die Exekutive zu greifen, daß von dem wegen der Sklaven-frage ausgebrochenen Sezessionskrieg (1861 bis 1865) abgesehen, innere Unruhen kaum vorkamen? Daß der Ausgleich zwischen den beiden Parteien vorzüglich funktioniert hat, wurde in Abschnitt 2 erwähnt. Will man es in bezug auf die Wahlen einem Volk verübeln, wenn es sich die Männer, denen es sein Vertrauen schenkt, genau ansieht, wenn es sich von einem Präsidentschaftskandidaten fast ein ganzes Jahr lang ein genaues Bild zu schaffen sucht, bevor es ihm ungeheuere Macht, insbesondere in der Außenpolitik, anvertraut, wenn es bei den Abgeordneten schon nach zwei Jahren für notwendig hält, in einem Wahlkampf die Vertrauensfrage erneut zu stellen?

Nie ist der Machtkampf in einen staatsgefährdenden Konflikt ausgewachsen. Das National getühl, das das ganze Volk erfüllt, hat sich in allen Notzeiten bewährt, so daß das Volk der Führung durch starke Persönlichkeiten willig Folge leistete. Trotz mancher Mängel hat dieses Verfassungs-, Regierungs-und Verwaltungssystem die bürgerliche Freiheit, die die Amerikaner als das höchste aller Güter schätzen, erhalten und die Grundlagen gegeben, auf denen die bei ihrem Entstehen wenig bedeutende Nation zur ersten Macht der westlichen Welt emporgestiegen ist, wobei die breite Masse sich eines Wohlstands erfreut, wie ihn im Lauf der uns bekannten Geschichte kein Volk der Erde erreicht hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Ausdruck stammt vom Kartenspiel, in dem er die Neuverteilung der Karten bedeutet; in übertragener Bedeutung ist die Neuverteilung der wirtschaftlichen Chancen gemeint.

  2. nach der Volkszählung des Jahres 1960; jetzt nähert sich die Bevölkerung der Zweihundertmillionengrenze.

Weitere Inhalte

Robert Adam, Dr. jur., geb. 4. August 1894 in München, von 1920 bis 1927 im Bayerischen Staatsministerium des Innern und in der Verwaltung eines Landbezirks, von 1927 bis zur Absetzung durch die Nationalsozialisten 1944 Leiter des Arbeitsamts München, nach Kriegsende Stellvertreter des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen in Bayern, von 1951 bis zum Übertritt in den Ruhestand 1959 Senatspräsident am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und stellvertretender Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. 1950 auf Einladung des amerikanischen State Department viermonatiger Studienbesuch in den USA. Zwischen 1959 und 1965 40 Monate in Washington. Veröffentlichung u. a.: Die USA. Handbuch in drei Bänden. Bd. I: Geschichte und Verfassungsordnung; Bd. II: Wirtschaft und Sozialordnung; Bd. III: Das kulturelle Leben und die Minderheiten, München—Wien 1963 und 1965.