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Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie. Besinnung auf das Wesen politischer Erziehung und Bildung | APuZ 14/1966 | bpb.de

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APuZ 14/1966 Artikel 1 Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie. Besinnung auf das Wesen politischer Erziehung und Bildung Elitebildung in der modernen Massengesellschaft

Möglichkeiten und Grenzen politischer Mitarbeit der Bürger in einer modernen parlamentarischen Demokratie. Besinnung auf das Wesen politischer Erziehung und Bildung

Ernst Fraenkel

Jedes Herrschaftssystem erhebt Anspruch auf demokratische Legitimation

Eine Untersuchung der „Möglichkeiten unId Grenzen der Mitarbeit des Bürgers in einer modernen parlamentarischen Demokratie" hat eine ganz bestimmte Vorstellung der kennzeichnenden Merkmale der Demokratie zur Voraussetzung. Nur wenn Klarheit darüber besteht, was wir unter „demokratisch" verstehen, ist es möglich, sich auf das Wesen demokratischer politischer Bildung und Erziehung zu besinnen. Die Klärung der in dem Haupttitel dieses Beitrages aufgeworfenen theoretischen Frage ist die unerläßliche Voraussetzung für die sachgemäße Behandlung des in dem Untertitel angeschnittenen praktischen Problems.

Gehen wir vom Sprachlichen aus, so erinnern wir uns, daß Demokratie Volksherrschaft heißt. Prima facie bedeutet politische Demokratie (und nur von ihr soll die Rede sein) ein Regierungssystem, in dem die Legitimität der Ausübung staatlicher Macht letzten Endes auf dem Willen des Volkes beruht und von ihm ausgeht. Demokratie ist Herrschaft von Volkes Gnaden.

Wie jeder echte politische Begriff war Demokratie ursprünglich ein polemischer Begriff. Herrschaft von Volkes Gnaden stand und steht in einem begrifflichen Gegensatz zur Herrschaft von Gottes Gnaden. Herrschaft von Volkes Gnaden schließt den Gedanken der Einleitungsreferat beim Kongreß zur politischen Bildung in Bonn 1966. autonomen Bildung des Staatswillens ein; Herrschaft von Gottes Gnaden beruht auf der Vorstellung eines von außen kommenden Herrschaftsauftrags, dessen Vollziehung in der Begründung und Ausübung heteronom legitimierter Staatsgewalt resultiert.

Seitdem der Anspruch der Inhaber staatlicher Hoheitsgewalt, Herrscher von Gottes Gnaden Joachim H. Knoll:

Elitebildung in der modernen Massengesellschaft .............................. S. 14 zu sein, unglaubhaft geworden ist, ist es allerdings nicht mehr statthaft, das Wesen der Demokratie ausschließlich durch den Hinweis auf ihre Legitimitätsgrundlage bestimmen zu wollen. Gibt es doch in der Gegenwart — von wenigen relativ unwichtigen Ausnahmen abgesehen —• kein Regierungssystem, das sich nicht rühmt, geeignete Vorkehrungen dafür getroffen zu haben, daß die Ausübung öffentlicher Hoheitsgewalt im Einklang mit dem Willen des Volkes erfolgt, das heißt aber „demokratisch" ist. Eine jede Demokratie legt darüber hinaus den größten Wert darauf, nicht als „sogenannte" Demokratie diskriminiert, sondern als echte Demokratie anerkannt zu werden, auf festen Füßen und nicht in Gänsefüßchen zu stehen. Der französische Staatsmann und Historiker Francois Guizot hat in seinem im Jahre 1849 erschienenen Buch „La Democratie en France" dargelegt, daß damals bereits jedermann, gleichgültig, ob er Monarchist, Republikaner, Sozialist, Kommunist oder Jakobiner sei, sich des Wortes Demokratie als eines Talisman bediente, hinter dem er sich zu verstecken suchte. „So groß", sagte Guizot, „ist die Macht des Wortes Demokratie, daß keine Regierung und keine Partei zu existieren wagt, oder existieren zu können glaubt, ohne zuvor dieses 1T ’ 1 • • • i ,Wort auf ihr Banner geschrieben zu haben".

Herrschaft eines einheitlichen Volkswillens oder einer Vielzahl von Einzel-und Gruppenwillen ?

, Nur wenn wir in der Lage sind, den Begriff der Demokratie zu präzisieren und des näheren zu qualifizieren, ist er heute noch pölitisch relevant. Die Notwendigkeit einer solchen Qualifikation ergibt sich bereits aus der weiten Verbreitung der landläufigen Definition der Demokratie als Volksherrschaft. Diese Definition ist vom wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus nicht zuletzt deshalb unzulänglich, weil sie sich des äußerst vieldeutigen Begriffes „Volk" unkritisch bedient. Wollen wir uns nicht mit einer provisorischen Definition der Demokratie begnügen, so müssen wir den Begriff „Volk" näher umreißen. Das deutsche Wort „Volk" ist ein Singular; das englische Wort „the people“ ist ein Plural. Volksherrschaft kann denkbarerweise Herrschaft eines vorgegebenen einheitlichen Volkswillens, es kann aber auch Herrschaft einer Vielzahl von Einzel-und Gruppenwillen bedeuten, die sich jeweils zu einem als Willen des Volkes hypo-stasierten Staatswillen formieren. Wir müssen deshalb zwischen den Idealtypen eines originären und eines derivativen Volkswillens unterscheiden. So bedeutsam diese Unterscheidung für das Verständnis des Demokratiebegriffs auch zu sein vermag, so wenig fruchtbar wäre es, sie zu verabsolutieren und dergestalt zu vergröbern, wenn nicht gar wertlos zu machen. Auch die radikalsten Anhänger der Theorie der volonte generale stellen die Existenz von volontes particulieres nicht in Abrede; sie sind jedoch geneigt, in deren Bestehen und Betätigung Faktoren zu erblicken, die geeignet sind, einen störenden Einfluß auf die Emänation des Gemeinwillens auszuüben. Wie denn andererseits die radikalsten Vertreter einer pluralistischen Gruppentheorie nicht bestreiten, daß das Volk als Einheit eine Gruppe mit eigenem Willen und eigenem Bewußtsein darstellt; sie erkennen auch an, daß das Volk als Einheit eine Gruppe sui generis darstellt, befürchten jedoch, daß durch die Her-vorkehrung des Sondercharakters der im souveränen Staatsverband politisch aktivierten nationalen Einheit eine Suprematie, wenn nicht gar ein Monopol der universalen auf Kosten der partiellen Gruppen hergestellt wird. Dies mag bewirken, daß anstelle des an konkreten Kollektivbedürfnissen, Erfahrungen und Bestrebungen ausgerichteten empirischen, ein aus abstrakten Hypothesen deduzierter weitgehend fiktiver Gemeinwille tritt. Ein jedes aus Idealvorstellungen gespeiste Ganzheitsdenken vermag zur Ausschaltung der antagonistischen Gruppenwillen zu führen und schließt die Gefahr ein, daß an ihrer Stelle ein Führerwillen tritt, der den Anspruch erhebt, von der Vorsehung dazu auserkoren und berufen zu sein, kraft seines Charismas den „wahren" Volkswillen interpretieren und die Rassenseele repräsentieren zu können.

Vom Monarchen von Gottes Gnaden unterscheidet sich der Führer von Vorsehungs Gnaden nicht zuletzt dadurch, daß er dem Volkswillen nicht hochmütig seine Verachtung bezeugt, sondern heuchlerisch seine Reverenz erweist. Heuchelei ist, wie man es unübertreff-lieh formuliert hat, das Kompliment des Lasters vor der Tugend. Trotz ihrer ständigen Bezugnahme auf den Volkswillen erkennt die moderne charismatische Führerherrschaft einen autonom erzeugten Staatswillen nicht an. Sie operiert mit einem ex ante bestehenden, nichti 'l -I 'mit einem ex post entstehenden Volkswillen. Sie behauptet, Exponentin eines vorgegebenen Gemeinwillens zu sein. Durch Verwirklichung dieses mystisch verdunkelten metaphysisch verklärten Gemeinwillens wird — so behauptet sie —• die Volksgemeinschaft begründet.

Rousseaus Gemeinwille setzt homogene Gesellschaft voraus v., , i ... .

Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: In unserem unreflektierten politischen Unterbewußtsein spukt nach wie vor die Vorstellung, daß das Gemeinwohl nur verwirklicht werden kann, wenn ein universaler Konsensus über alle das Gemeinwesen berührenden Angelegenheiten begründet und aufrechterhalten werden kann. Jean Jacques Rousseau, auf den diese Vorstellung zurückgeht, ist vermutlich der einflußreichste politische Denker des Abendlandes. Ein derartiger Konsensus setzt aber — wie Rousseau mit größtem Nachdruck unzählige Male ausdrücklich ausgeführt hat — die Existenz einer homogenen Gesellschaft voraus, sei es die eines Kantons, sei es die einer Polis, in denen alle Bürger einander persönlich kennen, die gleichen Interessen verfolgen und soziale Spannungen nicht entstehen können, weil alle darüber einig sind, daß unter allen Umständen der sozial-ökonomische Status quo aufrechterhalten werden soll. Wobei — um Mißverständnisse auszuschalten —• ausdrücklich hervorgehoben werden soll, daß der erforderliche Konsensus lediglich die Zustimmung aller „Bürger" erforderlich macht und Rousseau weit davon entfernt ist, alle Bewohner eines Kantons oder einer Polis als deren Bürger anzuerkennen.

Von der Hypothese eines eindeutig bestimmbaren Gemeinwohls und dem Postulat eines einheitlichen Gemeinwillens ausgehend verwirft Rousseau nicht nur alle Gruppen-und Parteibildungen, sondern auch den Gedanken der Repräsentation. Eine institutionalisierte Opposition erscheint ihm als Sünde gegen den heiligen Geist der Volksgemeinschaft. Unter der plebiszitären Volksherrschaft Rousseauscher Observanz ist das Mitwirkungsrecht des Bürgers darauf beschränkt, im Thing „ja“ oder „nein" zu sagen. Wer in der Minderheit bleibt, beweist damit, daß er sich geirrt hat; wer im Irrtum verharrt, ist ein Staatsfeind. Wenn vorher eindeutig feststeht, was der „wahre" Volkswille ist, wird die Mitwirkung des Bürgers bei seiner Proklamierung zur Farce. Wer im Parlament nichts anderes sieht als ein aus Zweckmäßigkeitserwägungen unvermeidbares Substitut der Bürgerversammlung, verkennt, daß die Mitwirkung des Bürgers nur dann real wirksam zu werden vermag, wenn die Möglichkeit besteht, sie kollektiv geltend zu machen. Kraft Verfassungsrecht wirkt der einzelne lediglich als Staatsbürger, in der Verfassungswirklichkeit wirkt der einzelne auch und vor allem -als Partei-und Verbandsbürger im politischen Entscheidungsprozeß mit. Weil die Demoskopie den einzelnen weder als Staats-noch als Partei-oder Verbandsbürger, sondern lediglich als Glied einer amorphen Masse erfaßt, kommt ihr zwar eine erhebliche Bedeutung als Barometer der Stimmungsdemokratie, aber keinerlei Bedeutung für die Mitwirkung des Bürgers an der auf Diskussion und Kompromiß basierenden Repräsentativdemokratie zu.

Widerspruch zwischen der demokratischen Ideologie Rousseaus und der soziologischen Situation der Gegenwart

Es gehört zu den erstaunlichsten Paradoxa der Geschichte d^s abendländischen pplitischen Denkens, daß der von ihr heilig gesprochene Wegbereiter der Französischen Revolution zum mindesten im sozio-ökonomischen Raum ein erzkonservativer anti-revolutionärer Denker g•ewe'sen ist.

S'eain’e 1Lehren•, . die von dem Axiom der homogenen Gesellschaft ausgehen, .> 1 . , ...

sind für die heterogene differenzierte labile Gesellschaftsordnung der Gegenwart schlechthin unverbindlich. Ihre Verwendung erschwert es, zentral wichtige Vorgänge und Institutionen unseres politischen und sozialen Lebens : * rofiuf, ht richtig zu interpretieren und ihren den sozialen Bedürfnissen der Gegenwart adäquaten demokratischen Charakter zu erfassen. Die fehlende Kongruenz zwischen unerer weitgehend auf Rousseau zurückgehenden demokratischen Ideologie und unserer im offenkundigen Gegensatz zu Rousseau stehenden Soziologie bewirkt, daß wir ein um so schlechteres demokratisches Gewissen haben, je zeitgemäßer die Methoden und Institutionen sind, deren wir uns im demokratischem Prozeß der politischen Willensbildung bedienen.

Man denke nur an die nie abreißende Kritik an den Interessengruppen, die unablässig als Fremdkörper, wenn nicht gar als Pestbeulen im demokratischen Regierungsprozeß verdammt werden — als ob es eine moderne freiheitliche Demokratie ohne Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Beamten-, Handwerker-, Bauern-und Studentenorganisationen geben könne. Man denke an die Klage, daß die öffentliche Meinung von den Managern der Massenkommünikationsmittel und den Funktionären der Parteien und Verbände „gemacht" werde — als ob es möglich sei, daß — so wie Minerva aus dem Haupte des Zeus — die öffentliche Meinung automatisch aus dem Volksgeist entspringen könne. Man denke an da 3s U-n/beh—ageeln darüber, daß im Parlament die Reden zum Fenster heraus gehalten werden — als ob es. nicht die Aufgabe der Parlaments-debatten sei, der breiten Öffentlichkeit Alternativen aufzuzeigen, um dergestalt dem Volk die Gelegenheit zu geben, nicht nur abzustimmen, sondern im echten Sinne des Wortes zu „wählen". Man denke an den Vorwurf, daß die Mitglieder des Parlaments blind der Partei-parole Folge leisten, anstatt der Stimme ihres Gewissens zu folgen (von der stillschweigend unterstellt wird, daß sie darüber Auskunft zu erteilen vermag, welche der denkbaren Lösungsmöglichkeiten eines detaillierten politischen Problems am besten dem Gemeinwohl entspricht) — als ob ohne Fraktionsdisziplin parlamentarisch regiert werden könne. Man zittert bei dem Gedanken, daß der Volkswille durch die Parteien mediatisiert werde, als ob das Volk — wenn es nicht auf die Rolle einer akklamierenden Claque beschränkt sein soll — anders als durch Approbation oder Reproba-tion dialektisch formulierter Kontroversen seiner Meinung Ausdruck zu verleihen imstande sei.

Politische Bildung muß die Realität der differenzierten heterogenen Gesellschaft bewußt machen

Ist es nicht ein erschütterndes Zeichen unserer politischen Unbildung, mit welcher Unbekümmertheit wir mit Begriffen wie „consensus omnium" und „bonum commune" hantieren, ohne uns auch nur zu fragen, ob ihre unkritische Verwendung zur weiteren Verwirrung nun ihre falsche Verwendung in das politische Unheil zu führen geeignet sind. Hier hat politische Bildung einzusetzen.

Politische Bildung kommt nich darum herum,, sich stets und von neuem mit dem Phänomen Rousseau auseinanderzusetzen. Sie muß i ein-deutig zu der vielleicht erregendsten Streitfrage der modernen politischen Theorie Stellung nehmen, ob es tatsächlich zulässig, ist, Jean Jacques Rousseau zu den Ahnherrn der . 1 r westlichen Demokratie zu zählen, oder ob es nicht viel mehr berechtigt ist, ihn als den eigentlichen Stammvater des politischen Totalitarismus zu bezeichnen und in einigen keiner Schriften den Urquell dessen zu erblicken, was man bewußt provokatorisch und, ohne den Vorwurf der Paradoxie zu scheuen, als „totalitäre Demokratie" bezeichnet hat.

Politische Bildung muß die Utopie bekämpfen, es sei angängig, den Entwicklungsprozeß von der —angeblich — harmonischen undifferenzierten homogenen Gemeinschaft zu der gruppenmäßig differenzierten antagonistischen heterogenen Gesellschaft aufzuhalten, geschweige denn rückgängig zu machen und aufzuheben. Politische Bildung ist dazu berufen, die Illusionen zu zerstören, in einer heterogenen differenzierten Gesellschaft könne es ein als politisches Aktionsprogramm zu verwertendes vorgegebenes Gemeinwohl geben.

Politische Bildung muß dem Bestreben entgegentreten, die Realität der bestehenden heterogen differenzierten Gesellschaft durch die Ideologie einer militanten Volksgemeinschaft zu verhüllen, deren Charakter primär durch den existentiellen Gegensatz zu anderen staatlichen Gebilden bestimmt wird.

Politische Bildung darf sich aber auch der Aufgabe nicht entziehen, zu prüfen, ob die Erkenntnis, daß die gruppenmäßig differenzierte heterogene Gesellschaft ein nicht abzuleugnendes und zu beseitigendes historisches Faktum darstellt, erforderlich macht, die Kategorien des Consensus omnium und des bonum commune aus unserer politischen Vorstel-

luhgswelt radikal zu eliminieren.

1 1 • i •: hlne 1, 5 , i > Denn politische Bildung darf sich nicht darauf beschränken, zu erforschen, wie unter den ob-w; alte. nd'e.. nD Verhältnissen der Proze'ßderi , poli-: tischen Willensbildung tatsächlich funktioniert. Sie muß sich vielmehr zusätzlich darum bemühen, aufzuzeigen, wie er unter den obwaltenden Bedingungen optimal zu funktionieren vermag.

be n/o : , . • . Politische, Bildung hat nicht nur das Anliegen, den bestehenden Staat zu analysieren; sie muß auch in der Lage sein, ihn zu kritisieren. Sie ist dieser Aufgabe nur gewachsen, wenn sie sich ernsthafte Gedanken über einen besseren (öder wenn man will weniger schlechten) Staat macht, das heißt aber, wenn sie eine Vision des „guten Staates" besitzt. Politische Bildung ist sowohl politische Soziologie als auch politische Ethik. Sie bleibt höchst unvollkommen, wenn sie über dem empirischen das normative Element der Politik übersieht. Die Integration dieser Elemente macht erst das Wesen echter politischer Bildung verständlich. Politische Bildung muß verständlich machen, wie die in jeder heterogenen Gesellschaft inhärenten zentrifugalen Tendenzen durch freiwillige Anerkennung eines als allgemein verbindlich anerkannten Wertkodex in Schach gehalten werden können, eines Kodex, der nicht nur Verfahrens-, sondern auch Verhaltensnormen enthalten muß.

Politische Bildung ist mit anderen Worten dazu berufen aufzuzeigen, wie in einer Gesellschaft, die sich ihres heterogenen Charakters voll bewußt ist, Demokratie möglich ist, ohne zur Zersetzung der staatlichen oder zur Unterdrückung der partiellen Gemeinschaften zu führen.

Die vulgärdemokratische Irrlehre von der Aufhebung der Entfremdung in der patriotischen Volksgemeinschaft

Politische Bildung hat demnach damit zu beginnen, politische Mißverständnisse auch und gerade dann auszuräumen und auszumerzen, wenn sie zum eisernen Bestandteil dessen gehören, was ich als Vulgärdemokratismus bezeichnen möchte. Der Vulgärdemokratismus stellt in seinem Kern die Säkularisierung des biblischen Topos vom paradiesischen Urzustand, dem Sündenfall und der Verheißung der Erlösung dar — von der Gemeinschaft der Freien und Gleichen in der Urzeit über die Gesellschaft der verfremdeten isolierten Individuen der Gegenwart zurück zu der durch Aufhebung der Entfremdung ermöglichten harmonisch-homogenen, automatisch-funktionierenden Gemeinschaftsordnung der Zukunft. Die vulgär-demokratische Lehre vom sozialen Sündenfall hat zwei Varianten: die weitverbreitete anarchistische Vorstellung, der harmonische Urzustand der Menschheit sei durch die Errichtung des Staates zu Ende gekommen und könne lediglich durch die Beseitigung des Staates wiederhergestellt werden, und die von Rousseau entwickelte Lehre, der soziale Sündenfall sei durch die Entstehung der Gesellschaft eingetreten und seine Wirkungen könnten — wenn überhaupt — lediglich durch Begründung eines nach dem Modell der antiken Polis zu errichtenden potentiell omnipotenten Staates beseitigt werden. Nur durch restlose Hingabe an das Vaterland kann nach dieser Lehre die im gesellschaftlichen Zivilisationsprozeß inhärente Entfremdung aufgehoben werden. Nur in der Gemeinschaft von Menschen, die nicht mehr „außer sich", sondern die wieder „bei sich" sind, weil sie restlos in die verschworene Gemeinschaft einer Kriegerkaste eingegliedert sind, die sich in einem permanenten Zustand des Krieges und der Kriegsgemeinschaft befinden, kann ein consensus erreicht werden, der die Verwirklichung des bonum commune sicherstellt. Hier und nur hier herrscht die volonte generale.

Die moderne französische und schweizerische Rousseau-Forschung hat nachgewiesen, daß der erste Theoretiker der Entfremdung Jean Jacques Rousseau gewesen ist. Auf den hier hervorgehobenen Aspekt der Rousseauschen Lehre ist besonderer Nachdruck zu legen, weil er im Jakobinertum in Erscheinung getreten ist und weil er in wohl keinem Land einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen hat als in Deutschland. Rousseaus Doktrin, daß die volonte generale im integralen Patriotismus, der am Modell Spartas und des frühen Rom exemplifiziert wird, ihren markantesten Ausdruck gefunden hat, ist nicht ohne Einfluß auf den späten Fichte geblieben. Sie hat indirekt die Urburschenschaftler und einige Achtundvierziger beeinflußt und bildet eine nicht unwesentliche Komponente des deutschen national-demokratischen Denkens. Sie brach sich im „Fichtejahr" 1914 eruptiv Bahn, was man damals den „Geist von 1914" genannt hat. Das nationale Pfingstwunder bewirkte, daß mit einem Schlag das üble Parteigezänk zum Schweigen kam, daß jeder für alle und alle für jeden einstanden und daß der Kaiser keine Parteien, sondern nur noch Deutsche kannte. Damals wurde der Frontgeist erzeugt und die Volksgemeinschaft geboren.

Man versteht den damaligen Enthusiasmus — und es war ein echter rauschhafter Enthusiasmus — nur dann voll, wenn man ihn als Flucht aus der Realität der aufgespaltenen heterogenen Gesellschaft in das Traumland einer homogenen Gemeinschaft von Menschen begreift, die in dem Krieg das einzig realisierbare Mittel erblickten, durch Einschmelzung der Partikular-in den Gesamtwillen die nationale Solidarität zu begründen.

Der Mann, der in München am 1. August 1914 in die Knie sank und Gott unter Tränen dankte, daß er diesen Tag erleben durfte, war das ins Extrem verzerrte Paradigma eines in der heterogenen Gesellschaft entfremdeten und entwurzelten Menschen — eines völlig isolierten Individuums —, der familien-, heimat-, berufs-und arbeitslos war, der keinen Heimaturlaub nahm, weil er nicht wußte, wo er hingehen sollte. Er wurde durch das Kriegserlebnis zum Propheten einer Gemeinschaftsideologie, die sich anmaßte, einen neuen deutschen Menschen schaffen zu können. Im Eben-bilde dieses Mannes sollte ein Menschentyp herangezüchtet werden, von dem erwartet wurde, daß er den höchsten Grad der Freiheit zu erlangen imstande sei, wenn es ihm gelang, sich total in die völkische Gemeinschaft einzugliedern. Politische Bildung muß in der Lage sein, die symptomatische Bedeutung von Hitlers Lebensschicksal zu erfassen.

Ho-Sein ist der Verzweiflungs•schrei eine-s völ>lig vereinsamten Menschen, der in der heterogenen Gesellschaft restlos gescheitert war.

Die politische Anthropologie von dem im Naturzustand guten Menschen führt zum Totalitarismus

Aufhebung der Entfremdung — sei es in Form der Wiedererrichtung der anarchischen Gemeinschaft, sei es in Form der Begründung einer totalen staatlichen Ordnung — beruht auf der Prämisse, daß der Mensch (oder doch zum mindesten der arische Mensch) von Natur aus gut und nur durch äußere Einflüsse und Einwirkungen verderbt sei. Flieraus folgt aber die Möglichkeit, ihn durch Verwendung der geeigneten Mittel zu einem uneigennützigen, unverderblichen und makellosen Glied einer Gemeinschaft zu machen, in der jeder, indem er den Geboten der Gemeinschaft gehorcht, nur sich selbst gehorcht und deshalb wahrhaft frei ist. Wahre Freiheit äußert sich nicht in der begrenzten Mitwirkung im Staat, sondern in der unbegrenzten Eingliederung in den Staat. Di j politische Anthropologie der ursprünglichen Güte der menschlichen Natur und der Möglichkeit ihres Wandels bildet die Grundlage alles messianischen Staatsdenkens, das, wie Talmon schlüssig dargetan hat, dem modernen Totalitarismus zugrunde liegt.

Politische Bildung ist unvollkommen, wenn sie sich nicht darüber Rechenschaft ablegt, von welchem Bild des Menschen unser politisches Denken geprägt ist, das heißt aber, zu welcher politischen Anthropologie wir uns bekennen. Die westlichen Demokratien — einschließlich der Bundesrepublik — legen ihrem Demokratiebegriff die auf der jüdisch-christlichen Tradition beruhende Anthropologie zugrunde, daß der Mensch zwar in der Lage ist, das Gute zu erkennen, daß es ihm aber verwehrt ist, es jemals voll zu verwirklichen. Jede Form des Messianismus ist ihnen zuwider; sie erblicken in dem Zustand der Entfremdung das Schicksal des modernen Menschen im Industriezeitalter. Die Aufhebung der Entfremdung streben sie nicht an, weil sie die menschliche Natur nicht für manipulierbar halten.

Politische Bildung muß von der Natur der homines sapientes und darf nicht von der Un-natur von homunculi ausgehen. Politische Bildung muß gleicherweise in Rechnung stellen, daß der Mensch in seinem politischen Denken zwar für die Vorstellung einer gerechten Gesellschaftsordnung empfänglich, in seinem politischen Handeln jedoch weitgehend von dem Bestreben motiviert ist, seinen Interessen bestmöglich zu dienen und seine Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen.

Gibt es ein a posteriori-Gemeinwohl als Ausgleich der antagonistischen Gruppeninteressen ?

Hier liegt der Ansatzpunkt für das Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen der politisehen Betätigung der Bürger in der parlamentarischen Demokratie. Die moderne parlamentarische Demokratie gestattet ihren Bürgern, auch in ihrer Eigenschaft als Bürger um die Förderung ihrer Interessen besorgt zu sein. Sie ermuntert sie geradezu, dies auf dem einzig wirksamen Wege — nämlich kollektiv zu tun. Sie verwirft den Gedanken, daß lediglich gespaltene Persönlichkeiten — Gemeinschaftsmenschen in der politischen und Privat-menschen in der sozio-ökonomischen Sphäre — gute Bürger zu sein vermögen.

Ebensowenig wie im modernen Industriezeitalter Staat und Gesellschaft voneinander getrennt und klare Demarkationslinien zwischen öffentlichem und privatem Recht gezogen werden können, ist es angängig, zwischen individueller und sozialer Moral zu differenzieren. Die parlamentarische Demokratie eröffnet dem Individuum die Möglichkeit, selbst als homo politicus seine privaten Interessen zu fördern, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er auch als homo economicus die Grenzen respektiert, die ihm durch die Notwendigkeit der Beachtung der Gebote des Gemeinwohls gesetzt sind.

Die Gretchenfrage der dem modernen Industriezeitalter adäquaten Staatsform der parlamentarischen Demokratie lautet, ob es angängig ist, unter ihrer Herrschaft trotz des heterogenen Charakters ihrer Gesellschaftsstruktur von einem Gemeinwohl zu sprechen. Läuft nicht jeder, der heute noch mit diesem Begriff operiert, Gefahr, sich dem Vorwurf des Ideologieverdachtes auszusetzen und ein Opfer dessen zu werden, was vor mehr als einem halben Jahrhundert als die große Lebenslüge des Obrigkeitsstaates bezeichnet worden ist?

Politische Bildung schließt die Notwendigkeit ein, zu begreifen, daß es noch niemals in der Geschichte einen Staat gegeben hat, der sich nicht zu dem Grundsatz bekannt hat, salus rei publicae sej suprema lex. Eine Politikwissenschaft, die zu dem Phänomen „Gemeinwohl" nichts, zu sageu hat, ähnelt einer Vorführung des Hamlet ohne den Prinzen von Dänemark. Unter Gemeinwi ohl soll im folgenden eine in ihrem Kern auf einem als allgemein gültig postulierten Wertkodex basierende, in ihren Einzelheiten den sich ständig wandelnden ökonomisch-sozialen Zweckmäßigkeitserwägungen Rechnung tragende regulative Idee verstanden werden, die berufen und geeignet ist, bei der Gestaltung politisch nicht kontroverser Angelegenheiten als Modell und bei der ausgleichenden Regelung politisch kontroverser Angelegenheiten als bindende Richtschnur zu dienen.

Ich wiederhole, daß mit der für den demokratischen Staat kennzeichnenden Vorstellung der Autonomie politischer Willensbildung der Gedanke eines a priori-Gemeinwohls in Form eines politischen Aktionsprogramms nicht in Einklang zu bringen ist. Schließt dies aber — so müssen wir uns fragen — die Möglichkeit eines a posteriori-Gemeinwohls aus — eines Gemeinwohls, das nicht vorgegeben ist, sondern das als Resultante aus dem Parallelogramm der divergierenden ökonomischen, sozialen und ideellen Kräfte entsteht und den optimalen Ausgleich der antagonistischen Gruppeninteressen darstellt? Diese Frage ist nur dann sinnvoll, wenn man es für möglich erachtet, in den mit der kollektiven Wahrnehmung von Gruppeninteressen betrauten Verbänden die geeigneten Instrumente zwecks Überwindung der zentrifugalen Tendenzen zu sehen, die in der heterogenen Gesellschaft in Erscheinung treten. Die Frage ist nur dann nicht paradox, wenn man von der Arbeitshypothese ausgeht, es sei möglich, aus der heterogenen Not eine pluralistische Tugend zu machen.

Pluralistische Demokratie ist das Gegenteil der Rousseauschen Demokratie

Man hat im 19. Jahrhundert versucht, die heterogene Gesellschaft sich selbst zu überlassen und sie von einem Staat zu separieren, der obrigkeitlich organisiert war und der von einer Bürokratie regiert wurde, die behauptete, über den Parteien und Gruppen zu stehen, und die beanspruchte, als „allgemeiner Stand" in der Lage zu sein, dem Gemeinwohl zum Durchbruch zu verhelfen. Für eine politische Mitwirkung der Untertanen war in diesem nicht-demokratischen Staat kein Raum.

. 1 Man hat im 20. Jahrhundert versucht, die heterogene Gesellschaft in einen Staat einzugliedern, der totalitär organisiert war und von einer Partei regiert wurde, die behauptete, über den Klassen und Kasten zu stehen, und beanspruchte, als Instrument des Führers in der Lage zu sein, dem Gemeinwohl zum Durchbruch zu verhelfen. Für die politische Mitwirkung der Volksgenossen war in diesem nicht-demokratischen Staat ebenfalls kein Raum.

Man hat außerhalb Deutschlands versucht, die heterogene Gesellschaft sich selbst zu überlassen und hat gleichzeitig den von einer Militärjunta autoritär regierten Staat, der massenstaatlich organisiert war, autorisiert, zwecks Förderung des staatlichen Gemeinwohls stets dann polizeilich zu intervenieren, wenn sich Ansätze dafür bemerkbar machten, daß die Massen bestrebt waren, sich in autonomen Verbänden zu organisieren. Für die politische Mitwirkung der Eingeborenen war in diesem ebenfalls nicht-demokratischen Staat kein Raum.

So verschieden auch im übrigen die Ideal-typen des obrigkeitlichen Beamtenstaates, des totalitären Einparteienstaates und des autoritären Massenstaates sein mögen, so einig sind sie sich doch in der Ablehnung der pluralistischen Demokratie. Das Wort „pluralistisch" hat in Deutschland einen schlechten Klang, seitdem Carl Schmitt in der pluralistischen Struktur der Weimarer Republik eine der Ursachen ihres Verfalls erblickt hat. Pluralismus ist ein echt politischer Begriff, weil er ein polemischer Begriff ist. In der Gegenwart steht der Begriff des Pluralismus im polemischen Gegensatz zum Begriff des Totalitarismus. Stets aber stellte eine pluralistische Demokratie das kontradiktorische Gegenteil einer Demokratie Rousseauscher Observanz dar.

Rousseaus Staatsdenken besitzt nicht zuletzt deshalb eine solch epochale Bedeutung, weil er ein Staatswesen konstruierte, in dem es weder einen König als Repräsentanten des Gemeinwohls noch Stände als Repräsentanten partieller Interessen gibt. Er übertrug die Funktion des Monarchen auf das Volk und eliminierte gleichzeitig radikal alle intermediären Gewalten.

Pluralistische Gruppen ermöglichen dem Bürger die ständige Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten

Eine politische Bildung, die sich nicht in einer phrasenhaften Bejahung oder Verdammung des Pluralismus verlieren will, muß an Tocqueville anknüpfen. Sie darf über den Möglichkeiten. nicht die Grenzen einer mittels der Gruppen zu verwirklichenden Mitwirkung der Bürger am Staat übersehen.

Pluralismus darf nicht mit einem laisser faire auf kollektiver Ebene gleichgesetzt werden. Ein richtig verstandener Pluralismus schließt die Erkenntnis ein, daß auch in der heterogensten Gesellschaft stets neben dem kontroversen auch ein nicht-kontroverser Sektor des gesellschaftlichen Lebens besteht. Ein richtig verstandener Pluralismus ist sich der Tatsache bewußt, daß das Mit-und Nebeneinander der Gruppen nur dann zur Begründung eines a posteriori-Gemeinwohls zu führen vermag, wenn die Spielregeln des politischen Wettbewerbs mit Fairneß gehandhabt werden, wenn die Rechtsnormen, die den politischen Willensbildungsprozeß regeln, unverbrüchlich eingehalten werden, und wenn die Grundprinzipien gesitteten menschlichen Zusammenlebens uneingeschränkt respektiert werden, die als regulative Idee den Anspruch auf universale Geltung zu erheben vermögen. Sie tragen einen modifizierenden und korrigierenden Charakter und stellen kein unmittelbar realisierbares Aktionsprogramm dar.

Der Pluralismus stellt gleichsam einen Transformator dar, in dem gesellschaftliche in politische Energie umgewandelt wird. In ihm werden die diffusen Elemente der heterogenen Massengesellschaft in kompakte Gebilde umgeformt, denen in einer parlamentarischen Demokratie der Zugang zum Parlament, Regierung und Verwaltung jederzeit offenstehen sollte. Die pluralistischen Verbände sind dazu berufen, dem einzelnen die Möglichkeit zu eröffnen, einen Ausweg aus der Isolierung und Vereinsamung zu finden, die ihn im Industriezeitalter ständig bedroht. Denn die Mitwirkung des Bürgers an öffentlichen Angelegenheiten darf sich nicht darauf beschränken, alle vier Jahre zur Wahlurne zu gehen und durch seine Stimmabgabe Einfluß darauf auszuüben, welches Team im Bereich der hohen Politik regieren soll — so wichtig dies auch ist. Die Mitwirkung des Bürgers muß die Möglichkeit einschließen, durch Mitgliedschaft und Mitarbeit in den Interessenorganisationen an der Regelung der Alltagsfragen teilzunehmen, die ihn unmittelbar berühren. Letzten Endes ist der Sinn der kollektiven Demokratie darin zu suchen, ohne den utopischen Versuch zu unternehmen, die Wirkungen der Entfremdung völlig abzustellen und aufzuheben, sie doch soweit wie möglich abzuschwächen und erträglich zu machen. Durch aktive Mitarbeit in den Verbänden und Parteien soll das Gefühl der passiven Hilflosigkeit überwunden werden, das den einzelnen befallen muß, wenn er keinen Ausweg aus dem Prozeß der Vermassung sieht, die uns alle tagtäglich bedroht. Mitarbeit des Bürgers in der parlamentarischen Demokratie gewährt dem einzelnen das unmittelbare politische Wahlrecht; Mitarbeit des Bürgers in der pluralistischen Demokratie gewährt dem einzelnen ein mittelbares durch die Parteien und Verbände geltend zu machendes Mitgestaltungsrecht auf die öffentliche Meinung, die Fraktionen und damit auch auf Regierung und Parlament.

Auch die Gruppen müssen demokratisch konstituiert sein

Pluralismus ermöglicht eine durch die Parteien und Gruppen zu bewerkstelligende demokratische Mitwirkung der Bürger im Staat nur dann, wenn die Gruppen und Parteien selber demokratisch konstituiert sind und sich gegenüber dem ehernen Gesetz der Partei-und Gruppenoligarchie immun erweisen. Die Existenz einer pluralistischen Demokratie setzt nicht nur voraus, daß der Staat pluralistisch, sie setzt auch voraus, daß die pluralistischen Parteien und Verbände demokratisch sind, das heißt, daß sie offene Gesellschaften darstellen, die nicht von Eliten, die sich durch Kooption ergänzen, beherrscht werden, sondern als Stätten zu dienen vermögen, an denen jeder Bürger sich aktiv zu betätigen in der Lage ist, an denen er nicht nur reden kann, sondern auch eine Chance besitzt, gehört zu werden, an denen er nicht nur fragen kann, sondern auch eine Antwort erhält, an denen er nicht als Nummer behandelt, sondern als Mitglied respektiert wird.

Denn 'diese Gruppen — Parteien und Verbände — stellen ihrer Idee nach Stätten der politischen Bildung im doppelten Sinne des Wortes dar — einer politischen Bildung im Sinn einer Erziehung zum demokratischen Staatsbürger und einer politischen Bildung im Sinn der Formung eines demokratischen Staatswesens.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Ernst Fraenkel, Dr. jur., o. Professor für die Wissenschaft von der Politik am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, Direktor des Jphn-F. -Kennedy-Instituts der Freien Universität Berlin, geb. 26. Dezember 1898 in; Köln. -'• Veröffentlichungen u. a.: USA, Weltmacht wider Willen, Berlin 1957; Staat und Politik (mit Karl-Dietrich Bracher), Frankfurt 1964 3; Die repräsentative und plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, Tübingen 1958; Amerika im Spiegel deutschen demokratischen Denkens, Köln/Opladen 1958; Das amerikanische Regierungssystem, Köln/Opladen 1963 2; Öffentliche Meinung und internationale Politik, Tübingen 1962; Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 1964.