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Zur Verwaltungsreform der Universität München Wer reformiert die Universität ? | APuZ 7/1966 | bpb.de

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APuZ 7/1966 Wer reformiert die Universität? Zur Verwaltungsreform der Universität München Wer reformiert die Universität ?

Zur Verwaltungsreform der Universität München Wer reformiert die Universität ?

Ludwig Kotter

Goethe als Universitätsreformer

Im Herbst des Jahres 1817 erhielt ein gewisser Hofrat Johann Wolfgang von Goethe von seinem obersten Dienstvorgesetzten, dem Großherzog Karl-August von Sachsen-Weimar, den Auftrag, die der Universität Jena angegliederte Bibliothek zu reorganisieren. Der Hofrat hatte sich zu dieser Aufgabe nicht gedrängt; denn als langjähriger Verantwortlicher für Haushalts-und Verwaltungsfragen von wissenschaftlichen Instituten hatte er die Professoren, jene „dickhirnschaligen Wissenschaftsgenossen", wie er sie schon früher schlicht genannt hatte, kennen-und ihnen mißtrauen gelernt. Für die Übernahme des Auftrags forderte er deshalb unbegrenzte Vollmacht gegenüber dem Akademischen Senat der Universität. Eine solche Waffe schien ihm für das Unternehmen unentbehrlich. Gutwilliges Verhandeln oder gar gemeinsames Vorgehen mit Leuten, „deren Maxime" — nach seinen Worten — „bloß ist zu hindern und zu lähmen", schieden für ihn von vornherein aus.

Der Verlauf dieser historischen Bibliotheksreorganisation — streckenweise in Form von UberrasChungsaktionen — ließe sich in einem satirischen Bilderbuch zusammenstellen. Biedermeierliche Enge und Rücksichtslosigkeit aufgeklärter Staatsautorität gepaart mit praktischem Draufgängertum ergäben eine merkwürdige Mischung. Daß die Jenaer Bibliothek seinerzeit einer Reorganisation bedurfte, scheint allen Beteiligten klar gewesen zu sein.

Nach Ansicht der Obrigkeit war jedoch niemand an der Universität dazu willens und in der Lage. Tatsächlich hatte sich Goethe auch schon nach kurzer Zeit mit den Universitätsstellen überworfen, zumal er auch vor drakonischen Maßnahmen nicht zurückschreckte.

Hier nur ein Beispiel: Als man Goethe für die Erweiterung der Bibliothek einen Hörsaal erst nach Bereitstellung eines Ersatzraumes überlassen will, wählt er den direkten Weg durch die Wand. Maurer schlagen ein Loch in die Mauer des Hörsaales, Bänke und Pulte fliegen heraus, Büchergestelle werden angebracht und die Folianten eingeräumt. Als Professoren und Studenten zur Vorlesung erscheinen, finden sie statt ihres Hörsaals eine Abteilung der Bibliothek vor. Die Mißbilligung dieses Aktion quittiert Goethe mit folgenden Worten: „So schwirren dem, der einen alten Turm abbricht, jederzeit die Fledermäuse um den Kopf mit (der) Klage, daß man sie in einem wohlerworbenen Besitz widerrechtlich zu stören komme."

Diese Episode zeigt, wie sehr sich die Verhältnisse gewandelt haben. Heute ist es erfreulicherweise möglich, daß ein Nachfolger des „Hofrats" und die Nachfahren jener „dickhirnschaligen Wissenschaftsgenossen" zusammenkommen, um in Ruhe über Probleme der Hochschulreform zu sprechen.

Natürlich gibt es Hochschullehrer, die sich schon länger als ich mit Fragen der Hochschulreform befassen oder sonst vom Allgemeinen her für ein solches Referat stärker prädestiniert gewesen wären. Es sollte aber offenbar die Universität München zu Wort kommen, weil diese vor einigen Monaten eine von ihr seit langem vorbereitete und, soweit notwendig, vom Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus inzwischen auch genehmigte Verwaltungsreform beschlossen hat, und zwar aus eigener Kraft und — wenn auch mit einer gewissen Hilfestellung durch das Ministerium — stets eigenverantwortlich.

Die Frage, „wer reformiert die Verwaltung der Universität?“, kann also vom Repräsentanten der Universität München tatsächlich relativ leicht beantwortet werden. Das mir aufgegebene Thema lautet nun aber: „Wer reformiert die Universität?" Trotz des Untertitels ist damit das Problem zunächst in seiner ganzen Breite aufgerollt; es wird nicht nur nach dem Träger einer Teilaufgabe gefragt.

Reform oder Bruch der Kontinuität

Bei meinen allgemeinen Ausführungen möchte ich von folgenden Tatsachen ausgehen:

Mit dem Begriff „Reform" werden bei der Erörterung von Maßnahmen zur Umbildung der Universitäten mitunter Pläne deklariert, die in Wirklichkeit auch das Wesen der Universität verändern würden. „Reform" bedeutet eine aktive Evolution, eine friedliche Fort-entwicklung. Sie ist eine die Legalität wahrende Umgestaltung überlebter und verbesserungsbedürftiger Einrichtungen. Sie steht, auf die Gesellschaft bezogen, im Gegensatz zum gewaltsamen Umsturz einer herrschenden Ordnung von unten her oder auch von oben, also im Gegensatz zur Revolution oder zum Staatsstreich bzw. — was hier angesprochen sein soll — zu einer staatlichen Maßnahme, die mit einer Mißachtung angestammter und bewährter Rechte verbunden ist und mit einem öffentlichen Interesse begründet werden soll, das stark augenblicksgebunden ist. Die Rechtfertigung des einen oder anderen Vorgehens kann zunächst dahingestellt bleiben, und letztlich geht es natürlich um die Maßnahme an sich und nicht um die Zuordnung zu einem abstrakten Begriff; trotzdem sollte bei zukünftigen Betrachtungen aus Gründen der Klarheit für die Beurteilung dann nicht von „Reform" gesprochen werden, Wenn in Wirklichkeit ein Bruch mit Vorhandenem beabsichtigt ist.

Was und wie soll reformiert werden ?

Auf die Frage, wer die Universität reformieren soll, kann erst dann geantwortet werden, wenn genau feststeht, was an den Universitäten reformiert werden soll und auf welche Weise. Diese Bedingung ist bisher nicht erfüllt. Es kann jedoch schon soviel gesagt werden, daß die Probleme an den Universitäten sehr verschiedenartig sind und daß es deshalb keinen pauschalen, einheitlichen Reformator oder Reformträger geben kann. Fragen des akademischen Nachwuchses, des Mittelbaus oder der Beschleunigung von Berufungsverfahren stehen neben Haushalts-, Bau-undOrganisationssorgen; Fragen der Forschung, wie Schwerpunktbildung, Integration der Fächer, interdisziplinäre und interfakultäre Zusammenarbeit, treten zu solchen der Lehre, wie etwa die Probleme der Studienzeit, der Studiendauer, der Studiengänge und der Prüfungen. Hinzu kommen notwendige Erörterungen über die eigentliche Verwaltungsstruktur der Hochschulen, ihre Vertretung nach außen und ihre Ordnung im Innern. Selbstverständlich ist diese Aufzählung immer noch ein bloßer Ausschnitt. Die Zahl und die Rangfolge der Probleme sind außerdem raschen Schwankungen unterworfen. Wenn man den von Helmut Schelsky in seiner Schrift „Einsamkeit und Freiheit" zusammengestellten Katalog der Reformvorschläge aus der Zeit nach 1945 durchsieht, wird deutlich, wie rasch eine Kardinalfrage verblassen kann. Wer sucht heute, kaum siebzehn Jahre nach dem „Blauen Gutachten", noch eine Heilung aller Hochschulnöte im „Studium generale", selbst wenn man die damals vorgeschlagene Form aufgäbe. Der Über-bewertung ist nun sogar ein bedauerliches Vergessen gefolgt. Andere Probleme sind in den Vordergrund getreten. Auch bei ihnen besteht die Gefahr der momentanen Fehleinschätzung. Andererseits gibt es im Bereich der Universität Gebiete, deren Probleme inzwischen so weit abgeklärt sind, daß sie auf Reformbedürftigkeit geprüft werden können, ohne in der Folge ein Vabanquespiel befürchten zu müssen.

Partnerschaft zwischen Hochschulen und Staat

Die deutschen Hochschulen sind auf den Gebieten, die hinreichend studiert sind, zu grundlegenden Reformen bereit und in der Lage. Ohne Zweifel gibt es an den Hochschulen wie in allen Bereichen der Gesellschaft prinzipielle Reformgegner, die Absolut-Konservativen, die fast um jeden Preis am alten festhalten wollen. Dies sind jedoch Einzelpersonen, deren Stellungnahmen nicht als Beweis für eine mangelnde Reformbereitschaft angesehen werden können. Man denke nur an die lange Reihe von Untersuchungen, Vorschlägen, Teilreformen und Satzungsänderungen im Kreise der Universitäten. Aus diesen Dokumenten spricht die klare Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen und die betonte Bereitschaft, diese Reformen durchzuführen oder wenigstens maßgeblich an ihnen mitzuarbeiten, wenn der Sachgegenstand eine umfassendere Integration auf anderer Ebene verlangt. Es sei nur auf Studienpläne verwiesen, die auf den Fakultätentagen besprochen werden und für deren Paraphierung in manchen Disziplinen, z. B.den Heilberufen, die Zuständigkeit des Bundes gegeben ist. Schließlich müssen hier Gremien genannt werden, die zwar keine echten Universitätsorgane sind, in denen aber Hochschullehrer entscheidend tätig sind, z. B. die Gründungsausschüsse der neuen Universitäten, die Westdeutsche Rektorenkonferenz, die Länderkonferenzen und schließlich — in seiner Bedeutung kaum überschätzbar — der Wissenschaftsrat. Auch in diesen Gremien setzen sich Mitglieder deutscher Hochschulen verantwortungsbereit für wohldurchdachte Reformen ein, und gerade durch diese Gremien erfährt die Öffentlichkeit von den Reformbestrebungen an unseren Hochschulen.

Herr Kultusminister Dr. Schütte bestätigte einerseits ausdrücklich die Zuständigkeit der Universitäten zur Reform, er glaubt jedoch -— was auch sein Festhalten am Prinzip des Entwurfs zum hessischen Hochschulgesetz zeigt — in Wirklichkeit nicht an die innere Kraft und die Bereitschaft der Hochschulen zu Reformen und versucht sein Mißtrauen durch Zitate zu rechtfertigen, die er ohne Bezug auf die Grundhaltung der zitierten Personen wiedergibt.

Umgekehrt haben nun aber auch die meisten Hochschullehrer ein tief verwurzeltes Mißtrauen gegenüber allen staatlichen Plänen und Maßnahmen, die nicht wenigstens von ihrer verantwortlichen Mitarbeit getragen sind. Zum Teil hat sich diese Haltung der Hochschullehrer sogar versteift.

Das Mißtrauen dieser Hochschullehrer gegenüber dem Staat hat verschiedene Ursachen. Offenbar spielen Vorgänge aus der Zeit des Nationalsozialismus eine bedeutsame Rolle. Die staatliche Macht hat in dieser Epoche rücksichtslos auch in die Sphäre der Hochschu-B len eingegriffen und große Schäden angerichtet, welche die Hochschulen heute noch nicht ganz überwunden haben und deren Residuen nun den Hochschulen zum Teil von staatlicher Seite sogar angelastet werden. Diese Erfahrung wurde und wird zu Unrecht in das jetzige Verhältnis zwischen Staat und Hochschule transponiert und so das Mißtrauen gegenüber den staatlichen Stellen erhalten. Eine Rechtfertigung findet dieses Mißtrauen allerdings dort, wo staatliche Stellen auch jetzt wieder versuchen, die Universitäten zu bevormunden, obwohl gerade von den Universitäten seit 1945 starke Impulse für den Aufbau unserer demokratischen, freiheitlich-rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung ausgegangen sind und auch in Zukunft erwartet werden.

Auch die generelle Abwertung des Staats-gedankens wird man nicht außer acht lassen dürfen. Jahrzehntelang waren Gedanke und Wert des Staates überspannt. Hegels Apostrophierung des Staats als „die Wirklichkeit der sittlichen Idee", die bis zum Ersten Weltkrieg überwiegend geglaubt und auch gelebt wurde, ist einer nüchterneren Einschätzung gewichen. Aus dem ins Metaphysische überhöhten Staat ist heute ein sachlicher Träger für die Bewältigung allgemeiner Aufgaben der Gesamtheit unseres Volkes geworden.

Ich halte das geschilderte Mißtrauen zwischen Staat und Hochschullehrern für sehr bedauerlich und schädlich; es ist wahrscheinlich eines der Haupthindernisse für eine rasche Durchführung von Reformen auch dort, wo sie tatsächlich gerechtfertigt sind. Es ist Zeit, daß das Pendel des Vertrauens zurückschwingt und Hochschulen und Staat sich wieder im Geist vernünftiger Partnerschaft sehen. Die staatlichen Kultusverwaltungen sollten, wo es notwendig und opportun ist, möglichst viel im Wege der Beratung und Förderung erledigen und so wenig wie möglich durch unmittelbare Weisungen in das Geschehen der ihnen auf-sichtlich unterstellten Hochschulen eingreifen. Andererseits sollten sich die Hochschulen ohne Ressentiments vertrauensvoll beraten und fördern lassen. Wir stünden dann der Lösung mancher Reformprobleme wesentlich näher. Von diesen Vorstellungen sollte auch der Geist eines Gesetzes getragen sein, das die Verhältnisse zwischen den Hochschulen und den staatlichen Aufsichtsbehörden regeln soll. Die bayerischen Hochschulen können feststellen, daß das Bayerische Kultusministerium unter der Leitung von Herrn Dr. Huber einen solchen Weg des Vertrauens schon beschritten hat und sie haben Grund zu der Annahme, daß es diesen Weg auch in Zukunft beibehalten wird.

Gegenüber Forderungen nach „Modernität" oder „Zeitgemäßheit" sollten die Hochschulen und Kultusverwaltungen einschließlich der Kultusminister sehr skeptisch bleiben, denn diese Begriffe stehen dem „zeitgebunden“ zu nahe. Was heute modern ist, kann schon bald nicht mehr zeitgemäß sein. Universitäten dürfen in Zielsetzung und Organisation nicht auf das nur Momentane abgestellt werden, sie müssen die weitere Zukunft und ihre Aufgaben in dieser Zukunft in Rechnung stellen. Zur Sicherung dieser Evolutionsmöglichkeiten und als Basis für die Bewältigung heutiger und zukünftiger Aufgaben muß jede gesetzliche Regelung des Verhältnisses zwischen Hochschulen und Staat einen genügend großen Freiheitsraum vorsehen, in dem sich die notwendige wissenschaftliche und organisatorische Evolution vollziehen kann.

Gewissermaßen als Abschluß meiner allgemeinen Ausführungen möchte ich noch das wiedergeben, was auf der 4. Generalkonferenz der Internationalen Vereinigung der Universitäten vom 31. August bis 6. September 1965 in Tokio zum heutigen Begriff der Universitätsautonomie erarbeitet worden ist: „Es ist die Pflicht der Universitäten, zur höchsten Entwicklung der nationalen Gesellschaft, der sie angehören, und zum Gedeihen der internationalen Gelehrsamkeit beizutragen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß sie diese Funktion am wirksamsten erfüllen, wenn sie in möglichst hohem Maße Autonomie genießen.

Die Reform der Verwaltungsstruktur der Universität München

Es sollen nun noch einige Einzelheiten der Verwaltungsreform an der Universität München erörtert werden.

Die Verwaltung der Universität München war bisher durch einen Dualismus gekennzeichnet: Die „akademischen -Angelegenheiten" wurden durch Rektor und Senat erledigt; die „allgemeine Verwaltung" lag beim Verwaltungsausschuß, einem kleinen Gremium, das aus dem jeweiligen Rektor als Vorsitzendem, vier vom Akademischen Senat gewählten ordentlichen Professoren und dem Direktor des mit der Universität eng verbundenen Georgianums bestand. Seine Entstehung verdankte der Verwaltungsausschuß den letzten Jahren der Montgelas’schen Regierungsperiode, als den Universitäten das kurz zuvor verstaatlichte Stiftungsvermögen wieder zurückgegeben wurde. Zur Verwaltung dieses Vermögens wurde der Verwaltungsausschuß geschaffen. In den folgenden Jahrzehnten gingen nun aber Umfang und Bedeutung des Universitätseigenvermögens laufend zurück und als Hauptfinanzquelle begann mehr und mehr der Staatshaushalt zu fließen. Der Verwaltungsausschuß übernahm die Abwicklung all jener Angelegenheiten, die aus staatlichen Geldern finanziert wurden; auf diese Weise entwickelte er sich zur zuständigen Stelle für alle Personal-, Sachausstattungs-, Haushalts-, Bau-und ähnliche Fragen.

Dem Dualismus der Hauptorgane entsprach ein höchst unübersichtlicher Verwaltungsapparat. Dem Rektor unterstanden oder standen zur Seite der Syndikus, ein Verwaltungsdirektor, ein persönlicher Referent und eine Vielzahl weiterer Verwaltungsbeamter. Für den Bereich des Verwaltungsausschusses war dessen besondere Art der Geschäftsführung formbildend: Obwohl dieser Ausschuß ursprünglich als Kollegium zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung gedacht war, gingen seine Mitglieder im Lauf der Zeit und unter dem Druck ständig wachsender Aufgaben mehr und mehr dazu über, jeweils einen Einzelbereich zu übernehmen und alle darin anfallenden Fragen selbständig zu entscheiden. Nur die wichtigsten Angelegenheiten wurden noch im Kollegium beraten und beschlossen. Jedes der Ausschußmitglieder hatte für seinen Teilbereich einen kleinen Stab von Mitarbeitern, die untereinander nur locker koordiniert waren. Die Nachteile dieses Verwaltungsschemas liegen auf der Hand. Trotz bestem Willen und Können der einzelnen Beamten mußte es zwischen den insgesamt 39 verschiedenen Verwaltungsstellen zu Zweifeln über die Zuständigkeit kommen, und der Wunsch nach einer besseren Verwaltungsorganisation wurde immer stärker.

Zur Durchführung der Verwaltungsreform Es ist das besondere Verdienst des jetzigen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herrn Professor Dr. Julius Speer, daß er in seiner Zeit als Rektor diese latenten und inzwischen weiter gereiften Reformwünsche mit Nachdruck aufgriff und der Akademische Senat dann im Frühjahr 1962 förmlich beschloß, die Universitätsverwaltung zu reformieren und einen leitenden Verwaltungsbeamten an ihre Spitze zu stellen. Kultusund Finanzministerium sowie der Bayerische Landtag bewiesen ihre Bereitschaft, diese Reformbestrebungen zu unterstützen, indem sie in den Haushalt der Universität zuerst einmal eine A 16-Stelle aufnahmen. Da die Einführung eines leitenden Verwaltungsbeamten und die Reorganisation der Verwaltung außerdem schwierige Fragen der Satzungsänderung auf-warfen, wurde hierfür eine eigene Senatskommission gebildet. .

Unter dem Rektorat des jetzigen Prorektors, Herrn Professor Dr. Gerhard Weber, wurde dann energisch weitergearbeitet. Sehr bald erwies sich auch die Frage nach der Person des leitenden Verwaltungsbeamten als schwieriges Problem. Die Wahl fiel schließlich auf den damaligen Regierungsdirektor im Bayeri-sehen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Herrn Karl-Gotthart Hasemann, der am 1. November 1964 seine Tätigkeit aufnahm. Kultus-und Finanzministerium sind der Universität im Interim, das heißt bis zur Satzungsänderung am 1. September 1965, bezüglich der haushalts-und beamtenrechtlichen Voraussetzungen für den leitenden Verwaltungsbeamten sehr entgegengekommen. Herr Hasemann hatte in dieser Zeit eine schwierige Aufgabe zu meistern. Auf der Basis freier Informationsmöglichkeiten und der verschiedenen Reformvorschläge sowie auf Grund einer detaillierten Umfrage beim Kollegium konnte er dem Senat schließlich einen auch von eigenen Ideen geprägten geschlossenen Reformplan vorlegen, der den im allgemeinen Teil bereits abgehandelten Grundsätzen entsprach und deshalb nach einer Überarbeitung durch Senatskommission und Senat auch zum Tragen kam, so daß ich nun über die ratifizierte Verwaltungsreform berichten kann.

Die neue Verwaltungsstruktur Der Angelpunkt unserer Verwaltungsreform liegt in der satzungsgemäßen Einführung eines leitenden Verwaltungsbeamten an der Seite des Rektors, mit der Amtsbezeichnung „Kanzler". Gleichzeitig wurden durch einen neuen Geschäftsverteilungsplan alle Verwaltungskräfte zusammengefaßt und als einheitlicher Verwaltungsapparat dem Kanzler unterstellt. Die Auswirkungen dieser Umstrukturierung auf Rektor, Akademischen Senat und Verwaltungsausschuß sind von verschiedener Art. a) Der Rektor Der Rektor bleibt in jeder Beziehung das Haupt der Universität. In dieser Eigenschaft vertritt er die Universität nach außen, führt den Vorsitz im Akademischen Senat und im Verwaltungsausschuß und ist Dienstvorgesetzter des Kanzlers sowie aller nicht zu den planmäßigen Professoren gehörenden Mitglieder des Lehrkörpers und aller wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität. Der Kanzler und die zentralisierte Universitätsverwaltung sollen nicht nur alle Professoren, sondern auch den Rektor von der Flut der einfachen Alltagsgeschäfte befreien; diese werden routinemäßig von dem unter der Leitung des Kanzlers stehenden Verwaltungsapparat erledigt. Der Rektor gewinnt dadurch Zeit für die Bearbeitung grundlegender Fragen.

Ich glaube, daß damit auch das Problem der Kontinuität an Bedeutung verloren hat. Ein Rektor, der von der Routinearbeit entlastet wird, kann in die wesentlichen Aufgaben seines Amtes jedenfalls schon in kürzerer Zeit hineinwachsen, vor allem, wenn er bereits Erfahrungen mitbringt. Ein langjähriges Rektorat scheint unter diesen Umständen nicht erforderlich zu sein, wobei nicht übersehen wird, daß ein Rektor bei einer Amtszeit von drei oder noch mehr Jahren in noch höherem Maße mit allen Einzelheiten der Hochschulverwaltung vertraut werden könnte. Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß ein der Forschung verpflichteter Professor nur in sehr seltenen Fällen bereit wäre, für mehr als ein bis zwei Jahre seine wissenschaftliche Tätigkeit zu unterbrechen. Ein mehrjähriges Rektorat führte daher zur Ausschaltung der vorwiegend wissenschaftlich interessierten Mitglieder des Lehrkörpers. Eine solche Entwicklung wäre verhängnisvoll.

Wenn im übrigen in der Münchener Satzung bei der letzten Änderung noch keine Verlängerung der Rektoratszeit vorgesehen wurde, so heißt dies nicht — was Herr Kultusminister Dr. Schütte unterstellt —, daß die Münchener Universität sich nicht noch zu einem zweijährigen Rektorat entschließen wird. Sie wollte diese Frage aber bewußt erst dann wieder aufgreifen, wenn Erfahrungen mit der neuen Verwaltungsstruktur vorliegen. Im übrigen besteht in München ohnehin die unbegrenzte Möglichkeit der Wiederwahl. b) Der Akademische Senat Die Stellung des Akademischen Senats ist verstärkt. Er ist in Zukunft nicht nur für die akademischen Angelegenheiten zuständig, sondern für alle grundlegenden Fragen des Universitätslebens. Er ist das große, aus rund 20 Mitgliedern bestehende kollegiale Organ, in dem die richtungweisenden Entscheidungen für die künftige Entwicklung der Universität gefällt werden. c) Der Verwaltungsausschuß Zeitweilig war daran gedacht, ihn völlig abzuschaffen. Im Laufe der Erörterungen setzte sich jedoch die Überzeugung durch, daß die bewährten Grundzüge dieser Institution in einigen klar umgrenzten Sachgebieten auch in Zukunft fruchtbar gemacht werden sollten. Der Verwaltungsausschuß wird in Zukunft die Entscheidungen über das Körperschafts-und Stiftungsvermögen treffen, soweit es sich nicht um laufende Angelegenheiten handelt, den Vorschlag des Haushaltsplanes festlegen, die Mittel und Stellen verteilen, die der Universität global zugewiesen werden, über nicht zweckgebundene Vermögenserträgnisse und Zuwendungen Dritter bis zu 10 000 DM entscheiden, die Vorschläge für die Reihenfolge von Universitäts-Bauvorhaben und die Raum-programme bei Neubau-Vorhaben festlegen sowie feststellen, welche Mittel für die Einrichtung und Ausstattung neu errichteter Kliniken und Institute erforderlich sind. d) Der Kanzler Der Kanzler hat rein exekutive Funktionen, das heißt, er führt die Angelegenheiten aus, die entweder zu den eingespielten Routine-angelegenheiten gehören oder über die der Akademische Senat oder der Verwaltungsausschuß Beschlüsse gefaßt haben. Er ist kein „verlängerter Arm" des Ministeriums. Für seine ausführende Funktion ist der Kanzler aber trotzdem mit deutlichen Befugnissen ausgestattet. Er ist Dienstvorgesetzter sämtlicher Verwaltungskräfte und des gesamten nicht-wissenschaftlichen Personals der Universität. Soweit es sich nicht um Angehörige der allgemeinen Universitätsverwaltung handelt, trifft er seine Entscheidungen allerdings nur nach Benehmen mit dem in Betracht kommenden unmittelbaren Vorgesetzten des Beamten, Angestellten oder Arbeiters. Die exekutive Funktion des Kanzlers kommt im übrigen auch zum Ausdruck in seiner bloß beratenden Mitgliedschaft in den beiden Kollegialorganen. Ein Beanstandungsrecht oder einen stellvertretenden Vorsitz im Verwaltungsausschuß sieht die Münchener Satzung in klarer Folgerichtigkeit ihrer Grundidee nicht vor. Der Kanzler ist jedoch Sachbearbeiter des Haushalts im Sinne der Wirtschaftsbestimmungen.

Besondere Beachtung wurde der Qualifikation des Kanzlers geschenkt. Der Kanzler muß die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben, wenn er den hohen Anforderungen seines Amtes genügen soll. Da in unserer Gesellschaft und noch mehr im Leben der großen Verbände und der staatlichen Organisationen neben der Persönlichkeit eines Amtsträgers dessen Besoldung eine ausschlaggebende Rolle spielt, hat die Universität München darauf gedrängt, daß der Kanzler in eine entsprechende Besoldungsgruppe eingestuft wird; Kultus-und Finanzministerium sowie der Bayerische Landtag haben sich diesem Anliegen nicht verschlossen und für den Kanzler eine B 4-Stelle geschaffen. Damit ist einerseits die Stellung des Kanzlers deutlich gemacht und andererseits die Gewinnung einer entsprechenden Persönlichkeit erleichtert. Schließlich wird diese Einstufung einen guten Kanzler eng mit der Universität verbinden; der Kanzlerposten einer Universität darf keine Durchgangsstelle auf dem Weg zu Ministerialstellen im Range eines Ministerialrats sein. e) Die Neuordnung des Verwaltungsapparats Von ebenso großer Bedeutung wie die Einführung des Kanzlers ist die Neuordnung des Verwaltungsapparates. Auf Grund eines gleichzeitig mit der Satzung beschlossenen Geschäftsverteilungsplanes sind sämtliche Verwaltungskräfte unter dem Kanzler zu einem hierarchisch geordneten, zentralisierten und sinnvoll gegliederten Verwaltungsapparat zusammengefaßt. Im Bereich der Ver-waltungsexekutive gibt es also keine Trennung mehr zwischen akademischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten; beide Bereiche sind integriert. Der Verwaltungsapparat ist in fünf Abteilungen und zwanzig Referate aufgeteilt. Dieser hierarchische Aufbau soll Reibungen zwischen den einzelnen Referaten auf ein Minimum beschränken und eine rasche, zuverlässige Abwicklung der einzelnen Verwaltungsgeschäfte ermöglichen.

Stärkung der Universität Die Verwaltungsreform würde mit einer bloßen Neuordnung der inneren Verhältnisse der Universität ihr Ziel jedoch nicht voll erreichen. Die Universität München ist überzeugt, daß es die neue Verwaltungsstruktur ermöglichen wird, auch nach außen hin gestärkt aufzutreten. Es ist daran gedacht zu versuchen, die Universität aktiver in die Vorbereitung von Berufungen einzuschalten und ihr ein größeres Gewicht bei der Entwicklungs-und Bauplanung zu verleihen. Vielleicht wird das Bayerische Kultusministerium, sobald es eine straffe und wohlgeordnete Verwaltungstätigkeit an der Universität München erkennt, auch noch andere Zuständigkeiten an die Universität verlagern. Die Verwaltungsreform würde auf diese Weise sogar zu einer Stärkung der Hochschule führen. Wir sind überzeugt, daß dies auch völlig im Sinne eines starken, weitblickenden Kultusministers liegt. Und dazu passen die Worte eines so erfahrenen Mannes wie des ehemaligen Kultusministers Carl Heinrich Becker: „Segensreich ist unter allen Umständen die ständige Spannung zwischen einer starken Regierung und einer starken Universität!"

Vielleicht liegt unter diesem Gesichtspunkt der Wert des Entwurfs für ein hessisches Hochschulgesetz bevorzugt darin, daß er die Hochschulen Deutschlands zur Besinnung gerufen hat, und vielleicht gibt Herr Kultusminister Dr. Schütte sein Mißtrauen auf, wenn er sieht, daß die Hochschulen bereit sind, ausreichend abgeklärte Dinge nun wirklich zu reformieren. Aber nochmals: Vertrauen und guter Wille auf beiden Seiten sind Voraussetzung.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Ludwig Kotter, Dr. med. vet., Professor für Veterinärmedizin, Rector magnificus der Ludwig-Maximilians-Universität München, geb. 21. März 1920 in Augsburg.