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China unter kommunistischer Herrschaft | APuZ 40/1965 | bpb.de

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APuZ 40/1965 Artikel 1 China unter kommunistischer Herrschaft

China unter kommunistischer Herrschaft

Jürgen Domes

Ziele der chinesischen Kommunisten

Abbildung 1

In der nichtkommunistischen Welt sprach man 1949 von einem „Sieg des Kommunismus" in China. Nicht so die KCT (Kung Ch’an Tang, d. i. Kommunistische Partei Chinas). Für sie hatte mit der Machtergreifung erst die „Nationale, bürgerlich demokratische Revolution" unter der Führung der Partei gesiegt. Die erste Stufe des Revolutionsprozesses, den Mao in Weiterentwicklung von Lenins „Thesen zur nationalen und kolonialen Frage" konzipiert hatte, sollte dann zur „Proletarischsozialistischen Revolution" „umgewandelt", der „Übergang zum Sozialismus" und schließlich die Errichtung des „Kommunistischen Gesellschaftssystems" vollzogen werden. „Korrektes Denken" verlangte, als wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieser letzten Stufe der Revolution, China in ein Industrieland zu verwandeln.

Doch neben dieser ideologisch bestimmten Zielsetzung stellten sich der KCT auch sehr konkrete sachliche Aufgaben:

Um die Kontrolle über das Volk zu garantieren, mußte von vornherein jeder Wider-stand, der in der sozialen Tradition Chinas begründet lag — so in der Großfamilie und den mannigfachen Instrumenten dörflicher und regionaler Selbstverwaltung —, unterdrückt werden.

2. Es galt, durch Reformen der Agrarstruktur, durch die Einführung neuzeitlicher Produktionsmethoden und die Gewinnung neuer landwirtschaftlicher Nutzflächen die Ernährungsbasis eines Volkes von — im Jahre 1965 — 550 bis 650 Millionen Menschen zu sichern. (Die oft gehörten Zahlen von 700 bis 750 Mil-Honen Chinesen werden von einer Reihe maßgeblicher westlicher und neutraler Bevölkerungswissenschaftler als erheblich zu hoch angesehen.) 3. Chinas umfangreiche Reserve an menschlicher Arbeitskraft mußte mobilisiert und durch Ausweitung und Verbesserung des Erziehungswesens auf die Aufgaben, die sich in einer sich industrialisierenden Gesellschaft stellen, vorbereitet werden.

4. Die Verkehrserschließung Chinas mußte beschleunigt in Angriff genommen werden, um die reichen Bodenschätze, von denen ein beträchtlicher Teil in bisher schwer zugänglichen Regionen zu finden ist, mit den Zentren der städtischen industriellen Wirtschaft in Verbindung zu bringen.

5. Endlich galt es, eine moderne Industrie aufzubauen, die stark genug sein würde, um die Konsumbedürfnisse der Massen ebenso wie die Erfordernisse der Investitionen — und der Rüstung! — zu befriedigen.

Zur Lösung dieser Aufgaben brachte die Führungsgruppe der KCT ein Entwicklungskonzept mit, das sich damals stark am stalinistischen Vorbild orientierte:

1. Vorrang der Schwerindustrie, wenn nötig auf Kosten der Landwirtschaft;

2. Aufbau einer Konsumgüterindustrie; und 3. Grundlegende Modernisierung der Landwirtschaft. Das Prinzip der zentralen Planung von Investitionen, Produktion, Verteilung und Konsum bildete einen bedeutsamen Bestandteil dieses Konzepts.

Revolutionäre Veränderungen auf dem Land

Abbildung 2

Die Jahre bis 1958 brachten zwar manchen Rückschlag, im wesentlichen jedoch Erfolge für das Regime Maos. Die militärische Eroberung des chinesischen Festlandes gab diesem Raum zum ersten Male seit nahezu 40 Jahren Mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer Verlages, Stuttgart, entnommen aus dem soeben in der Reihe „Politische Paperbacks bei Kohl-hammer" erscheinenden Buch „Politik und Herrschaft in Rotchina". eine Regierung, die das ganze Land kontrollierte. Das herkömmliche chinesische Herrschaftssystem war alles andere als zentralistisch gewesen und daher, wenn schon autokratisch — auch dies mag man bezweifeln! — so doch keineswegs totalitär 1). Die Dörfer, die städtischen Großfamilien und die Gilden der Handwerker und Kaufleute hatten sich zumeist selbst regiert. Diese Selbstverwaltung gesellschaftlicher Körperschaften unter einer theoretisch anerkannten Zentralgewalt ist charakteristisch für das traditionelle chinesische Gesellschafts-und Staatsbild Deshalb mußten die Kommunisten zunächst einmal die Kontrolle über das ganze Volk anstreben, und dies bis ins letzte Dorf hinein. Um das zu erreichen, bemühten sie sich vor allem um die lückenlose Organisation der Bevölkerung, benutzten sie physischen und psychischen Terror und die von der modernen Technik bereitgestellten Mittel der Massen-beeinflussung. In diesem Prozeß waren — und sind bis heute — die Mitglieder der KCT nur ausführende Organe der Führung.

In den ersten Jahren nach der Machtergreifung richteten sich die Bemühungen dieser Führung vor allem auf die Liquidierung tatsächlicher oder vermeintlicher „Gegenrevolutionäre", die Gewinnung der Kontrolle über die Dörfer und die Zerstörung des klassischen chinesischen Familien-Systems. Diesem Ziel dienten die „Kampagne gegen die Konterrevolutionäre" 1951, in deren Verlauf über 800 000 Menschen hingerichtet und wahrscheinlich eine Million kurzerhand erschossen wurden die „Drei-Anti" -und „Fünf-Anti" -Bewegung von 1951 und 1953 (zur Säuberung des Beamtenapparates und der großbürgerlichen Kreise)

und vor allem die „Landreform-Bewegung". Nach vorsichtigen Schätzungen politikwissenschaftlicher China-Kenner forderte letztere über fünf Millionen Todesopfer Ihr Zweck war — neben der Neuverteilung des Bodens — vor allem die Vernichtung der bisher in den Dörfern bestimmenden sozialen Gruppen. Beides wurde erreicht, und am Ende dieser Periode der Agrarrevolution gab es ungefähr 120 bis 130 Millionen selbständige Bauern in China.

Im Gegensatz zur revolutionären Veränderung der Verhältnisse auf dem Lande blieb — im Sinne der Parteitheorie von der Stufenfolge der Revolution — die Privatwirtschaft in den Städten, vor allem in der Konsumgüter-industrie, zunächst unangetastet. Erst seit 1956 veranlaßte die Pekinger Führung durch massiven Druck die Industriellen, ihre Betriebe „freiwillig" gegen eine verhältnismäßig günstige Entschädigung dem Staat zu überlassen, und die Kaufleute und Handwerker, sich in staatlich kontrollierten „Produktionsgenossenschaften" zusammenzuschließen. Heute gibt es auch in den Städten, abgesehen von Fahrrad-Rikscha-Fahrern und fliegenden Spielwarenhändlern, kaum noch Privatwirtschaft.

„Übergang zum Sozialismus“

Abbildung 3

Die Erfolge der „Massenbewegung" bis 1953 führten dazu, daß sich Mao und seine Mitarbeiter im Herbst jenes Jahres stark genug fühlten, die „Umwandlung" der „bürgerlichdemokratischen" zur „proletarisch-sozialistischen" Revolution zu vollziehen. Am 1. Oktober 1953 verkündete der Führer der KCT die neue „Generallinie des Übergangs zum Sozialismus" und wenige Wochen später begann die Kollektivierung der chinesischen Landwirtschaft. Die Bauern, die der von Sun Yatsen übernommenen KCT-Parole „Das Land den Pflügern!" („Keng ehe yu chi t’ien!") vertraut hatten und tatsächlich durch die Agrarrevolution in den Besitz der von ihnen bestellten Felder gekommen waren, wurden nun gezwungen, dieses Land an „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften" (LPG) (Nung-yeh sheng-ch'an h-tso-sh) abzugeben, in denen sie selbst bald nicht mehr als Landarbeiter waren. Diese Kollektivierungskampagne vollzog sich erstaunlich schnell. Bereits im Frühjahr 1957, also nach dreieinhalb Jahren, waren 93, 3 % der chinesischen Landbevölkerung in „Vollsozialistischen LPG" organisiert der Rest folgte dann im Herbst des gleichen Jahres. Der „Übergang zum Sozialismus", polit-ökonomisch bestimmt durch die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Sozialisierung von Industrie, Handel und Handwerk, wurde begleitet von einer neuen, das ganze Land schnell erfassenden Terrorwelle, die ihren Höhepunkt im Jahre 1955 fand. Diese Terrorwelle machte auch vor der Partei selbst nicht Halt. Im Winter 1954/55 wurden der Vorsit-zende der Plankommission, Kao Kang (Mitglied des Politbüros der KCT), und der Chef der Organisationsabteilung beim ZK, Jao Shushih (Mitglied des ZK der KCT), unter der Beschuldigung, sie hätten versucht, die Partei zu spalten und die derzeitige Führung zu stürzen, „gesäubert". Kao beging angeblich im Gefängnis „Selbstmord", von Jao gibt es seither keine Nachricht

Vor allem die Intellektuellen aber wurden jetzt zum Ziel der neuen Säuberungskampagne. Ein beträchtlicher Teil der chinesischen Intelligenz hatte in der letzten Phase des Bürgerkrieges die KCT unterstützt. Das hinderte diese jedoch nicht, sich nach der Stabilisierung ihrer Herrschaft systematisch um die Unterdrückung selbständigen Denkens zu bemühen. Wieder gab es jetzt „Kampfversammlungen", diesmal in den Universitäten, Schulen und Künstlerzirkeln. Eine Reihe alter Liberaler, aber auch langjährige Mitglieder der KCT, wie vor allem der Schriftsteller Hu Feng, wurden als „Gegenrevolutionäre" verdächtigt und ins Gefängnis oder ins Zwangsarbeitslager gesteckt Unter den geistig führenden Kräften des Landes herrschte der Schrecken.

Um die Jahreswende 1955/56 hatte er sich so verbreitet, daß Chinas Intelligenz kaum noch in der Lage war, die Arbeit zu leisten, welche das Regime von ihr erwartete.

Dies muß den Führern der KCT erhebliche Sorgen bereitet haben, denn sie sahen sich bald zu Konzessionen genötigt. Bereits im Januar 1956 forderte Ministerpräsident Chou En-lai vor dem ZK der KCT eine vorsichtigere Behandlung der Intellektuellen Im Laufe des Sommers 1956 lockerte sich der Druck merklich. Jetzt galt die Parole: „Laßt hundert Blumen blühen, hundert Gedankenschulen miteinander wetteifern!" („Pai hua ch’i fang, pai chia cheng ming!") Eine „umfassende Bewegung für die Verbesserung des Arbeitsstils in Partei und Verwaltung" (so Teng Hsiaop’ing vor dem VIII. Parteitag der KCT im September 1956) begann. Alle Schichten des Volkes sollten ihre Kritik offen aussprechen. Und sie taten es! Vom März bis zum Juni 1957 lief die neue Kampagne in ganz China. Immer lauter wurde die Kritik. Bald richtete sie sich nicht mehr gegen Mißstände der Verwaltung, sondern gegen System und Ideologie selbst Schon hielten Professoren den Kommunisten vor, sie hätten „sich vom Volke getrennt" und erschienen als „neue Dynastie"; schon ließen die Studenten der Pekinger Hochschulen keine KCT-Funktionäre mehr in das Universitätsgelände hinein; schon gab es Studentendemonstrationen, bei denen Anfang Juni 1957 in Wuhan sogar zum ersten Male der Ruf „Nieder mit Mao, es lebe Chiang Kai-shek!" erscholl Es ist bezeichnend für den Aussagewert mancher journalistischer China-Reiseberichte, daß von den über 80 westlichen Korrespondenten, die in jenen Tagen das chenesische Festland besuchten, nur drei in ihren aktuellen Berichten von diesen Ereignissen Notiz nahmen.

Die Kommunisten aber bemerkten sie natürlich, und sie schlugen zurück. Im Juli begann jene „Anti-Rechtsabweichler-Kampagne", welche die Kritiker traf und bis zum 20. April 1958 andauerte. Viele Hunderte wurden hingerichtet, über 150 000 Chinesen in Zwangsarbeitslager und Zuchthäuser gebracht Das Regime hatte die äußerliche Kontrolle über das Volk, die ihm bereits zu entgleiten drohte, zurückgewonnen, und es gab nur noch versteckte Opposition. Aber die Ereignisse des Frühjahrs 1957 zeigten, daß erhebliche Teile des Volkes eben doch nicht hinter Mao stan-den, obgleich die Führung der KCT in den ersten Jahren ihrer Herrschaft eine ansehnliche Erfolgsbilanz aufweisen konnte.

Erfolge des ersten Fünfjahresplanes

Abbildung 4

Bereits Ende 1952 waren in der Industrie und bei manchen landwirtschaftlichen Produkten die Produktionszahlen des letzten Friedensjahres — 1936 — wieder erreicht worden. 1953 begann der erste „Fünfjahresplan für wirtschaftlichen Aufbau". Er brachte überzeugende Erfolge, wie die nachstehende Aufstellung nachweist

Diese Tabelle zeigt, daß erstaunliche Fortschritte in den Bereichen der Grundstoff-und Schwerindustrie, dagegen nur mäßige Erfolge in der Leichtindustrie und der Nahrungsmittelversorgung erzielt wurden. Die Gewichte, die das stalinistische Entwicklungskonzept — Schwerindustrie zuerst! — setzt, werden hier besonders deutlich. Große Anstrengungen unternahm man von 1950 bis 1958 auch bei der Erschließung des Landes. In den genannten Jahren wurden etwa 12 Millionen ha Ackerfläche neu unter Kultur genommen und rund 10 Millionen ha aufgeforstet. In der gleichen Zeit baute man im Lande 5 453 km Eisenbahnen und 92 000 km Straßen für Motorfahrzeuge

Die erstaunlichen Erfolge in der Wirtschaftspolitik hatten jedoch auch ihren Preis. Er wurde vom chinesischen Volk getragen. Nach vorsichtigen Schätzungen hat man von 1949 bis 1958 im kommunistischen China etwa 10 bis 12 Millionen Menschen hingerichtet und rund Millionen in Zwangsarbeitslager gebracht. Nur massiver Terror konnte die gewaltigen Aufbauleistungen in der ersten Periode der Herrschaft der KCT bewirken.

Aber dennoch waren diese Erfolge für die Führung Rotchinas eindrucksvoll genug, um im Winter 1957/58 eine erneute Radikalisierung der Innenpolitik einzuleiten. Eine radikale Gruppe innerhalb des ZK der KCT, die von Liu Shao-ch'i, Teng Hsiao-p'ing, Lin Piao sowie den Politbüromitgliedern Peng Chen und Li Hsien-nien geführt wurde und zu der sich jetzt auch Mao selbst gesellte, setzte den Beschluß durch, die Entwicklung Chinas zum „Kommunismus" mit verstärkter Energie voranzutreiben 15). Dieser Versuch aber brachte zwischen 1958 und 1962 Mao und seinen Mitarbeitern ihre erste schwere innenpolitische Niederlage und endete in einer Krise der chinesischen Wirtschaft, ja des Systems überhaupt.

Die Politik der „Drei Roten Banner"

Nach vorbereitenden Beschlüssen auf dem 3. Plenum des VIII. ZK der KCT im September 1957 und der 2. Plenarsitzung des VIII. Parteitages im Mai 1958 proklamierte der Parteiführer selbst, endgültig am 28. August 1958 auf dem 5. Plenum des VIII. ZK, als neue Generallinie der Partei die Politik der „Drei Roten Banner" (Sanmien Hung-ch’i):

„Generallinie des sozialistischen Aufbaus“ (She-hui-chu-i chung-chien chung-lu-hsien), d. h. gleichzeitiger Aufbau der Industrie und der Landwirtschaft, gleichzeitige Benutzung „moderner" und „herkömmlicher" Produktionsmethoden;

„Großer Sprung nach vorn“ (Ta yao-chin) zur schnellen Erhöhung vor allem der Stahl-und Energieproduktion, um Großbritannien bis 1972 in der Pro-Kopf-Erzeugung an schwerindustriellen Gütern „einzuholen und zu überholen"; und „'Volkskommune" (Jen-min kung-she).

Der „Große Sprung nach vorn" sollte China — wie es jetzt, unter dem Eindruck wachsender Spannungen mit der Sowjetunion, bereits hieß — „aus eigener Kraft" in den Kreis der großen Industriestaaten führen Peking rief zur Verdoppelung der Stahlproduktion und der Ernteerträge auf. Obgleich auch rotchinesische Wirtschaftsexperten, allen voran der 1. Vizeministerpräsident Ch'en Yün und der Vorsitzende der Nationalen Wirtschaftskommission und Vizeministerpräsident Po I-po (Kandidat des Politbüros im ZK der KCT), warnten entstanden überall in den Städten und Dörfern kleine, primitive Hochöfen, in denen man „Stahl" — oder was die örtlichen Kader der KCT dafür hielten — produzierte. Zunächst gab es wieder spektakuläre Fortschritte, die sogar alles bisher Geschehene in den Schatten stellten; wobei allerdings berücksichtigt werden muß, daß es 1958 — nicht zuletzt wegen außergewöhnlich günstiger Witterungsbedingungen — eine ausgesprochene Rekordernte gegeben hatte

Fehlschlag des Volkskommunen-Experiments

Bald aber wurden Mißerfolge erkennbar. Vor allem erwies sich der produzierte „Stahl" meist als nahezu unbrauchbar Im Herbst 1959 mußte man zugeben, daß die zunächst für 1958 genannten horrenden Produktionszahlen in Landwirtschaft wie Industrie um durchschnittlich 40 0/0 zu hoch angenommen wa-ren Dies führte zu peinlichen Enttäuschungen für manchen westlichen Schriftsteller, der in seine Berichte die ursprünglichen Zahlen in freundlicher Kritiklosigkeit übernommen hatte. Auch die von der Führung der KCT bereits festgesetzten Planziffern für 1959 und 1960 wurden drastisch — zum Teil bis zu 60 °/o — gesenkt

Noch schwerwiegender aber wirkte sich die „Volkskommunen" -Kampagne aus. Diese Großkollektive hatte man vom Frühjahr 1958 an in ganz China errichtet. Man wollte damit einmal eine maximale Mobilisierung und Organisation der Arbeitskraft erreichen, zum anderen aber auch die Grundeinheiten für den „Übergang zum Kommunismus" schaffen. In einigen Kommunen begann man im Herbst 1958 schon damit, die Entlohnung in Geld abzuschaffen und Nahrungsmittel, Kleider und andere Bedarfsgüter „den Bedürfnissen entsprechend" zu verteilen — jedenfalls soweit die Vorräte reichten. Hierin aber sieht die marxistisch-leninistische Ideologie bereits ein Kennzeichen des „kommunistischen Gesellschaftssystems", im Gegensatz zum „sozialistischen", in dem der Lohn noch nach der Arbeitsleistung berechnet und in Geld ausgezahlt wird. So kündigte also Peking eine ideologische Offensive gegen Moskau an. Rot-china wollte den „Übergang zum Kommunismus" jetzt — d. h. also: noch vor der UdSSR! — vollziehen und damit seinen Führungsanspruch in der kommunistischen Weltbewegung anmelden.

Anfang Oktober 1958 berichteten rotchinesische Zeitungen, es gäbe in den Kommunen „Greise von über 70 und 80 Jahren", die sich freuten, daß „sie selbst noch mit Gewißheit die Vollendung der kommunistischen Gesellschaftsordnung erleben würden" „Jen-min jih-pao" (JMJP) — die Pekinger „Volkszeitung" — versprach dem chinesischen Volk in ihrer Ausgabe zum Nationalfeiertag, am 1. Oktober 1958, „ein Leben in Überfluß an Nahrung und Kleidung in zwei oder drei Jahren", also 1960 oder 1961! Tatsächlich schien zunächst die „Volkskommunen" -Bewegung ein großer Erfolg zu sein. Bis zum 30. September 1958 waren bereits mehr als 90 0/0 der chinesischen Bauern in über 27 000 Kommunen zusammengefaßt 000 Kommunen zusammengefaßt 26).

Aber dann wendete sich ab Mitte Oktober das Blatt zuungunsten Maos und seiner Mitarbeiter.

Die Bauern begegneten den „Volkskommunen"

immer häufiger mit passivem, örtlich sogar mit aktivem Widerstand. Im November und Dezember 1958 brachen in den Provinzen Kuangtung, Hunan, Hupei, Kiangsi, Kansu, Ssuch'uan und Ch'inghai Volksaufstände aus 27). In manchen Fällen gingen sogar Einheiten der „Volksbefreiungsarmee" zu den Aufständischen über, die in abgelegenen Gebieten Partisanenstützpunkte schufen. Mängel der Organisation und Fehler in der Planung machten sich immer deutlicher bemerkbar, Chinas Landwirtschaft geriet in ein chaotisches Durcheinander.

Seither wird die Entwicklung des chinesischen Kommunismus durch verzweifelte Versuche der Führung, den Fehlschlag der „Volkskommunen"

abzufangen, gekennzeichnet. Im Dezember 1958, April und August 1959 sowie im Januar 1961 wurde auf Plenarsitzungen des ZK der KCT, und endlich im Januar 1962 auf einer erweiterten Sitzung des Politbüros im ZK, das System der Kommunen zunächst wesentlich modifiziert und dann praktisch aufgehoben Zwar besteht die Rahmenorganisation dieser inzwischen verkleinerten Kollektive weiter, sie hat aber nur noch geringe Bedeutung. Es scheint, als bewahre man sie sich für einen möglichen neuen Ansatz unter günstigeren wirtschaftlichen Bedingungen auf. Obgleich man offiziell weiterhin an der Politik der „Drei Roten Banner" festhält, hat die Regierung — beachtet man einmal die ideologischen Phrasen nicht — so den Fehlschlag des Volkskommunen-Experiments zugegeben.

Neue Säuberungskampagne

Im Winter 1959/60 wurde allerdings zunächst noch versucht, die Verantwortung für diese Niederlage auf sogenannte „Rechtsabweichler" abzuwälzen. Auf dem 8. Plenum des VIII. Zentralkomitees der KCT in Lushan im August 1959 hatten gemäßigtere Parteiführer einen Generalangriff auf die radikale Gruppe um Mao und Liu Shao-ch’i gestartet Ihre maßgeblichen Sprecher waren offenbar P’eng Te-28 huai (Mitglied des Politbüros, Vizeministerpräsident und Verteidigungsminister), Ch’en Yün (Mitglied des „Ständigen Ausschusses des Politbüros" und 1. Vizeministerpräsident), Chang Wen-t'ien (Kandidat des Politbüros und Vize-Außenminister) und Hsi Chung-hsün (Mitglied des ZK, Vizeministerpräsident und Generalsekretär des Staatsrates). Mao, der, um mobiler zu sein und seinen Griff auf die Parteiorganisation zu verstärken, im April 1959 das Amt des Staatsoberhauptes aufgegeben hatte, konnte sich nur mit großer Mühe durchsetzen Die Rebellen, von denen man wohl nicht zu Unrecht annimmt, daß sie mit Chruschtschow in Verbindung getreten wa-ren bekamen die Rache des Parteiführers zu spüren. P eng, Chang und später auch Hsi wurden aller ihrer Ämter enthoben, selbst Ch’en verschwand bis 1964 von der Bildfläche. Im November 1959 begann eine neue, groß-angelegte Säuberungskampagne der KCT, die — mit Unterbrechungen — bis heute andauert. Ihr sind bisher, außer den Genannten, zum Opfer gefallen: vier bis sieben weitere Voll-mitglieder des ZK der KCT, vier ZK-Kandidaten, neun der 26 ersten Sekretäre der Provinzen und autonomen Regionen, sieben der 26 Provinzgouverneure und 134 der 178 Mitglieder des ZK der „Kommunistischen Jugend-liga", dazu Zehntausende lokaler Kader

Mißerfolg des zweiten Fünfjahresplans

Doch alle diese Maßnahmen konnten die Krise nicht eindämmen. Während das Ernteergebnis an Getreide — geht man von den Mittelwerten aus sechs verschiedenen Schätzungen generell zuverlässiger Quellen aus — 1958 noch etwa 215 Millionen t betragen hatte, sank es 1959 auf 180 bis 185 Millionen t und 1960 auf etwa 125 Millionen t, um 1961 nur schwach auf 132 Millionen t zu steigen

Unwetterkatastrophen, Mängel in der Planwirtschaft, propagandistische Getreideexporte ins Ausland bis 1961 — seit 1962 wird Getreide in großen Mengen importiert — und nicht zuletzt der passive Widerstand der chinesischen Bauern brachten Hungersnot in mindestens elf der 26 Provinzen und Regionen. Die tägliche Kalorienmenge pro Kopf der Bevölkerung scheint von 1960 bis 1962 zwischen 950 und 1300 geschwankt zu haben.

Allein vom April 1960 bis zum November 1961 fielen etwa 10 Millionen Menschen der Hungersnot zum Opfer, von der kommunistische Quellen später schrieben, es sei die schwerste in China seit 1879 gewesen

Die Krise der Landwirtschaft führte dann im Jahre 1961 auch zu schwerwiegenden Krisen-erscheinungen in der Industrie : Noch deutlicher wird die Problematik der rot-chinesischen Wirtschaftspolitik, wenn man nach den Ergebnissen des zweiten „Fünfjahresplanes" fragt, der 1958 begann und ur-sprünglich 1962 enden sollte. Man hat ihn dann noch um das Jahr 1963 erweitert. Seine Ergebnisse sind — vergleicht man 1958 mit 1963 — dennoch alles andere als ermutigend für die Führung der KCT

Man könnte nun den starken Rückgang damit begründen, daß es sich 1958 um ein besonderes günstiges Ernteergebnis gehandelt habe. Doch ein Vergleich aller Ernten der Jahre 1950 bis 1958 ergibt für diese Periode eine Durchschnittsernte von 159 Millionen t. Es bliebe also auch bei diesem Vergleich ein Rückgang um 9 °/o, bei einem Bevölkerungszuwachs von mindestens 10 bis 12 °/o. Die Produktion an Baumwolle, Stoffen und wichtigen Nahrungsmitteln ist während der Periode des zweiten „Fünfjahresplanes" merklich zurückgegangen. Berücksichtigt man die Schlußabrechnung dieser Planperiode, so hat sie bei bedeutsamen Erzeugnissen der Industrie zur Stagnation geführt. Ausnahmen machen nur die Produktion an Erdöl und Kunstdünger und die Elektrizitätsversorgung. Doch selbst im letzteren Bereich ist die Zuwachsrate geringer als während der Laufzeit des ersten „Fünfjahresplanes"

Ein Vergleich der Ergebnisse rotchinesischer Wirtschaftspolitik seit der Machübernahme führt zu dem Schluß, daß im Jahre 1963 die Ernten an „Getreide" und Baumwolle wieder auf den Stand von 1952/54 angelangt waren.

Stahl, Roheisen und Steinkohle lagen 1963 wieder auf dem Stand von 1958, Zement zwischen dem von 1957 und dem von 1958, Elektrizität etwas über dem von 1960, aber noch unter dem von 1961, Kunstdünger 7 °/o über dem von 1960, Zucker und Speiseöl auf dem von 1956, Baumwollstoffe endlich auf dem von 1951.

Bei all dem wird man berücksichtigen müssen, daß — selbst wenn man vorsichtige Schätzungen zugrunde legt — 1963 in China etwa 130 Millionen Menschen mehr lebten als 1952, 60 bis 65 Millionen mehr als 1958 und mindestens 30 Millionen mehr als 1960/61. Das Außenhandelsvolumen hatte 1963 wieder die Höhe des Jahres 1954 erreicht. Gegenüber 1958 war es jedoch um 39% zurückgegangen und zudem die Handelsbilanz im Gegensatz zu dem Jahr des „Großen Sprunges nach vorn" noch leicht defizitär geworden.

Die Devisenreserve, die am Ende des Jahres 1958 noch rund 450 Millionen US-Dollar betragen hatte, war bis Dezember 1963 auf etwas über 200 Millionen, also weniger als die Hälfte, zusammengeschmolzen. Sie lag damit unter derjenigen Nationalchinas auf T’aiwan. * Die Volksrepublik China ging in den zweiten „Fünfjahresplan" mit einem angesammelten Haushaltsüberschuß in Höhe von 2, 6 Milliarden Jenminpi (nach Zwangskurs: 4, 42 Milliarden DM, nach freiem Kurs 1, 82 Milliarden DM). Er hatte sich Ende 1963 in ein angesammeltes Defizit von 33, 8 Millionen Jenminpi (Zwangskurs: 57, 46 Milliarden DM, freier Kurs: 23, 66 Milliarden DM) verwandelt

Die durchschnittliche monatliche Getreideration pro Kopf der Bevölkerung war von 15, 62 kg auf Milliarden DM, nach freiem Kurs 1, 82 Milliarden DM). Er hatte sich Ende 1963 in ein angesammeltes Defizit von 33, 8 Millionen Jenminpi (Zwangskurs: 57, 46 Milliarden DM, freier Kurs: 23, 66 Milliarden DM) verwandelt 38).

Die durchschnittliche monatliche Getreideration pro Kopf der Bevölkerung war von 15, 62 kg auf knapp 12 kg, die Jahresration an Baum-wollstoff von 8 auf 2, 7 m zurückgegangen 39).

Das Nationaleinkommen endlich lag — nach vorsichtigen Schätzungen — 1963 um mindestens 10 °/o, das Pro-Kopf-Einkommen um rund 15 °/o niedriger als im Jahre 1958. In absoluten Zahlen ausgedrückt sank es also von etwa 75— 78 US-Dollar auf 64— 67 US-Dollar 40).

Dieser Vergleich führt zwangsläufig zu dem Schluß, daß der zweite „Fünfjahresplan" Rot-chinas sich als ein Fehlschlag erwiesen hat. Nicht ohne Grund wurde daher bis heute — Juli 1965 — offiziell nichts über seine Ergebnisse mitgeteilt.

Politische Krise

Um die Jahreswende 1961/62 weitete sich schließlich die Wirtschaftskrise zur politischen Krise aus. Während der Konflikt mit Moskau immer mehr an Schärfe zunahm, kam es offenbar innerhalb der KCT ebenfalls zu verschärften Richtungskämpfen. Das Schlußkommunique des 10. Plenums des VIII. ZK der KCT, das am 27. September 1962 in Peking veröffentlicht wurde, legt hiervon beredtes Zeugnis ab, wenn es zugibt:

...... unser Volk hat jede ihrer (der Gegen-revolutionäre, d. V.) Aktionen, ob Infiltration, Provokationen, Agression oder Subversion innerhalb unseres Staates oder unserer Partei (Hervorhebung d. V.) enschlossen zerschlagen und wird sie weiter zerschlagen ... Der Klassenkampf ist kompliziert, geht auf und ab und nimmt zeitweise schärfte Formen an. Dieser Klassenkampf findet seinen unvermeidlichen Ausdruck auch innerhalb der Partei." Auf solche innerparteilichen Schwierigkeiten weisen auch die Tatsachen hin, daß der VIII. Parteitag, der ab 1956 jährlich zu einer PlenarSitzung zusammentreten sollte, nur 1958 noch einmal zusammengetreten ist und seither nicht mehr, daß das ZK der KCT, das von 1956 bis 1959 achtmal tagte, in den fünf Jahren von 1960 bis 1964 nur zweimal (zuletzt im September 1962!) Plenarsitzungen abhielt, daß dieses ZK seit September 1961 entgegen dem Parteistatut weiter amtiert, und endlich, daß der Nationale Volkskongreß, dessen Neuwahl im Frühjahr 1963 stattfinden sollte, erst im September und Oktober 1964 „gewählt" wurde und dann endlich zum Jahreswechsel 1964/65 mit 20 Monaten Verspätung zusammentrat. Seit 1962 ist zwar die Zahl der spontanen Aufstände und Sabotagehandlungen im Lande, die von 1959 an erheblich angeschwollen war 41), wieder zurückgegangen; dafür mehren sich aber die Anzeichen, daß die Opposition einer offenbar recht starken Widerstandsbewegung, die auch über Partisanengruppen verfügt, taktisch geschickter und erbitterter geworden und heute besser organisiert ist als zuvor 42).

Liquidierung der Politik der „Drei Roten Banner“

Wirtschaftskrise und Widerstände zwangen die Führung der KCT, im Frühjahr 1962 nach der de-facto-Liquidierung der „Volkskommunen" auch die „Generallinie des sozialistischen Aufbaus" — das letzte der „Drei Roten Banner" — aufzugeben. Hatte man bis dahin in allen Publikationen immer wieder die „gleichzeitige Entwicklung von Industrie und Land-38 wirtschaft" betont, so heißt seither die neue Parole: „Industrie und Verkehr helfen der Landwirtschaft!" Zwischen November 1961 und Juni 1962 wurden alle noch nicht fertiggestellten Investitionsprojekte in der Schwerindustrie — meist endgültig, einige zeitweilig — eingestellt, die meisten der in der Periode des „Großen Sprunges nach vorn" errichteten Klein-und Kleinstbetriebe geschlossen und die Produktion anderer Fabriken drastisch gekürzt.

Ein neuer Präferenzkatalog der Entwicklungspolitik wird sichtbar:

1. Landwirtschaft;

2. Hilfsindustrien für die Landwirtschaft;

3. Schwerindustrie; und 4. Konsumgüterindustrie.

Diese Notstandsmaßnahmen nun brachten seit dem Frühjahr 1963 erste Erfolge. Die Nahrungsmittelversorgung hat sich verbessert. Man wird — geht man von Höchstzahlen aus — annehmen dürfen, daß die Kalorienzahl pro Kopf heute wieder bei etwa 1600 liegt, also nur noch um rund 20 °/o unter derjenigen des Jahres 1933 1963 und 1964 konnte die Produktion von Düngemitteln, landwirtschaftlichen Maschinen, Motorpumpen und Erdöl beträchtlich erhöht werden. Westliche Lieferungen haben so manche Lücke geschlossen, die durch die Beendigung massiver sowjetischer Wirtschaftshilfe und den Abzug russischer Fachleute 1961 und 1962 entstanden war. Nach den neuesten erreichbaren Meldungen erreichte die Ernte an Getreide und Kartoffeln 1964 insgesamt etwa 183 Millionen t, diejenige an Baumwolle 1, 75 Millionen t. Nach den gleichen Berichten wird man davon ausgehen dürfen, daß ungefähr 220 Millionen t Steinkohle, 9 Milionen t Stahl, 6, 5 Millionen t Erdöl und 3, 5 Millionen t Kunstdünger produziert wurden. Die zuletzt genannte Menge deckt annähernd 25 °/o des tatsächlichen Bedarfs

Innere Widerstände

Die hier erkennbar werdenden Stabilisierungstendenzen führten dazu, daß sich in manchen Bereichen der Innenpolitik seit März 1964 wieder radikalere Züge bemerkbar machen. Durch die Vorbereitung und Ausführung des ersten atomaren Versuches psychologisch gestärkt, wies die Führung der KCT seit August 1964 offenbar einen Versuch ab, wiederum eine Ara der „Hundert Blumen" einzuleiten. Der Leiter der Parteischule, das ZK-Mitglied Yang Hsien-chen, der sich hier mit der philosophisch formulierten Theorie, die Synthese sei bedeutsamer als die Anti-these, vorgewagt hatte, wurde „gesäubert" Die leitenden Politbüromitglieder P eng Chen und K'o Ch'ing-shih setzten sich im Juli und August energisch für eine Reform der traditionellen Peking-Oper im Sinne des „Sozialistischen Realismus" ein In den Fabriken Rotchinas versucht man seit März 1964, die Arbeiterschaft nach militärischen Prinzipien zu organisieren und den Betriebsleitern, Ingenieuren und Vorarbeitern absolute Befehlsgewalt zu geben. Solche radikalisierenden Tendenzen bestätigten sich anläßlich der 1. Plenarsitzung des III. Nationalen Volkskongresses, die vom 20. Dezember 1964 bis zum 4. Januar 1965 in Peking stattfand.

Während die Besetzung der obersten Spitzenpositionen im Staatsapparat unverändert blieb, verstärkte sich die Vertretung des radikalen Flügels um Mao und Liu unter den Vize-Vorsitzenden des „Ständigen Ausschusses des Volkskongresses" und den Vizeministerpräsidenten. Eine Reihe maßgeblicher Persönlichkeiten der gemäßigteren Gruppe tauchten nicht einmal als Delegierte des „Nationalen Volkskongresses" wieder auf Dadurch wurden nahezu alle seit 1962 eingegangenen Meldungen über Säuberungsaktionen innerhalb der Partei bestätigt. Der Einfluß der nichtkommunistischen Einheitsfrontparteien schwand weiter dahin, jüngere KCT-Führer gelangten in keine einzige leitende Position. Von besonderer Bedeutung ist aber die Ablösung des parteilosen Dichters Mao tun (Shn Yen-ping) als Kulturminister durch den radikalen Parteitheoretiker Lu Ting-i.

Gerade im Bereich der Kulturpolitik mehren sich die Anzeichen einer Radikalisierung. So wurde im April 1965 der Verkauf von mehreren klassischen Werken der chinesischen Literatur untersagt und Anfang Mai be-gann eine Kampagne, die sich gegen die Lektüre westlicher Klassiker richtet

Andererseits hat die KCT jedoch die Bemühungen um eine grundlegende Reform der chinesischen Schrift seit 1960 im wesentlichen eingestellt Im Frühjahr 1964 tauchten in der Presse zum ersten Male seit der Machtergreifung 1949 wieder lobende Worte über das klassische Familiensystem auf

Die Tendenzen sind also zur Zeit nicht einheitlich. Der dritte Fünfjahresplan, der 1963 beginnen sollte, ist bisher noch nicht bekanntgegeben worden. Man hat vielmehr die zweite Planperiode um ein weiteres Jahr — 1963 — verlängert und wirtschaftete im Jahre 1964 ohne Plan. Auf dem 1. Plenum des III. Nationalen Volkskongresses erklärte Chou En-lai, das Jahr 1966 werde das „erste Jahr des dritten Fünfjahresplanes" sein .

Dennoch vollzieht sich die Erholung von der Krise, die sich seit etwa zwei Jahren feststellen läßt, immer noch langsam. Eine Reihe von Faktoren wirkt ihr entgegen. Die drei wichtigsten seien hier erwähnt:

1. Es wird nur schwer möglich sein, mit den Methoden, welche die Führung der KCT anwendet, die Kluft zwischen Produktionsausweitung und Bevölkerungszuwachs zu überbrücken. Ein Beispiel mag dies illustrieren: Selbst wenn das kommunistische China im Jahre 1965 die absolute Erntemenge von 1957 — 185 Millionen t Getreide — wieder erreichen oder um weniges überschreiten sollte, so wäre dies nur optisch von Bedeutung. Um nämlich den Versorgungsstand von 1957/58 im Lande selbst sicherzustellen, müßten 220 Millionen t Getreide geerntet werden.

2. Die Behauptung, die kommunistische Herrschaft in China habe sich völlig stabilisiert, kann nur aufstellen, wer über die innenpolitische Situation auf dem chinesischen Festlande mangelhaft informiert ist. Die Widerstandskräfte, welche in der „Hundert-Blumen-Kampagne" in die Öffentlichkeit traten und deren passiver Widerstand 1959 bis 1962 wesentlich dazu beitrug, daß sich die Führung gezwungen sah, die Politik der „Drei Roten Banner" aufzugeben, sind weiterhin präsent.

Sie werden dazu beitragen, daß auch in Peking „die Bäume nicht in den Himmel wachsen".

3. Die Führung der KCT ist überaltert. Das Durchschnittsalter der Politbüromitglieder liegt am 1. Januar 1966 bei 67, dasjenige des ZK der KCT bei 64 Jahren. Die erkennbaren sogenannten jüngeren Nachwuchskräfte — etwa Lo Jui-ch’ing, Liu Ning-i, T ao Chu, Ch'en Po-ta, K ang Sheng, Li Hsüeh-feng und T'an Chen-lin — sind auch bereits zwischen 56 und 65 Jahren alt. Nicht umsonst hat Mao im Sommer 1964 mit nahezu verzweifelter Eindringlichkeit nach der „Erziehung von Millionen revolutionärer Nachfolger“ gerufen Noch ist es zu früh, um die hier wirkenden Faktoren erkennen zu können. Es gibt jedoch Anzeichen, die auf den Unwillen der jungen Generation zur Kooperation mit der Führung hindeuten.

Ein Überblick über die Entwicklung des chinesischen Kommunismus seit seiner Machtergreifung läßt den Schluß zu, daß die Führer der KCT — im Gegensatz zu dem, was man im Westen gemeinhin von den Führern der Sowjetunion annimmt — durch wirtschaftliche Erfolge und die Verbesserung der Lebensbedingungen im Lande nicht in Richtung auf eine gemäßigtere Politik gedrängt werden, sondern vielmehr bei günstigeren ökonomischen Bedingungen Möglichkeiten zu einer innenpolitischen Radikalisierung sehen. So war es 1953 und 1958; ähnliche Anzeichen gibt es wieder seit dem Sommer 1964. Ein westlicher Beitrag zur Stabilisierung des Pekinger Regimes — etwa in der Form erweiterter Wirtschaftsbeziehungen — könnte also durchaus eine neue Verschärfung des innenpolitischen Kurses zur Folge haben.

Kriterien der totalitären Herrschaft

Aussagen über den Charakter und den Wert eines Herrschaftssystems zu machen, fällt immer schwer. Die eigene normative Bindung des Beurteilenden läßt sie nie ganz ablegen. So wird ein kommunistischer Funktionär oder ein Bewunderer totalitärer Diktaturen bei der Betrachtung des Herrschaftssystems der chinesischen Kommunisten zu anderen Schlüssen kommen, als sie hier gezogen werden. Wenn wir dennoch versuchen wollen, zu einer Beurteilung zu kommen, so müssen wir uns an gewisse Kategorien halten, wie sie in der Politikwissenschaft entwickelt worden sind. Für das Wesen der totalitären Diktaturen sind von Carl Joachim Friedrich sechs Merkmale ausgearbeitet worden, die in der einen oder anderen Form allen totalitären Diktaturen gemeinsam sind. Es wird daher unsere erste Aufgabe sein, zu prüfen, ob sich diese Merkmale auch in der Verfassungswirklichkeit des kommunistischen China finden.

Ohne Zweifel verfügt Rotchina über eine Ideologie. Die politische Theorie der KCT rezipiert im wesentlichen das Geschichtsbild und die Zukunftsvision des Marxismus-Leninismus. Dabei hat die chinesische Partei, und nicht zuletzt deren Führer Mao Tse-tung, einige ideologische „Besonderheiten" entwikkelt, die sich im wesentlichen auf Probleme der revolutionären Strategie und Taktik beziehen. Hier ist nicht der Ort, sie im einzelnen darzustellen, es sei vielmehr auf die Arbeiten von Stuart Schram verwiesen. Er hat in seiner Studie „The Political Thought of Mao Tse-tung" eine Darstellung vorgelegt, die bedeutsame Aufschlüsse zu geben vermag. Ebenso wird niemand bezweifeln, daß das chinesische Festland heute von einer Partei beherrscht wird, die ein Machtmonopol für sich beansprucht. Die KCT ist eine Kader-Partei, deren Apparat, wie gezeigt wurde, weitgehend mit den Staatsorganen verflochten ist und diese kontrolliert. Die Beschränkungen, die man den nichtkommunistischen Einheitsparteien auferlegt hat, machen die Entwicklung einer legalen Alternative im Rahmen des bestehenden Verfassungssystems unmöglich. Parlamentarische Opposition kann sich nicht bilden, die wesentliche Voraussetzung für Wahlen überhaupt, nämlich das Angebot von mindestens zwei Möglichkeiten zur Auswahl, fehlt.

Im kommunistischen China besteht eine politische Geheimpolizei, welche die Möglichkeit hat, Terror auszuüben, sofern dies nötig erscheint. Zu ihr gehören die Politische Polizei, die dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit untersteht, und vor allem die Abteilung für „Gesellschaftsangelegenheiten" beim ZK der KCT. Bürger werden aus politischen Gründen inhaftiert, es gibt eine erhebliche Anzahl von Zwangsarbeitslagern.

Die KCT hat in China praktisch ein Nachrichtenmonopol erichtet. Der Rundfunk, die nationale Presse mit Ausnahme eines Organs — der „Ta Kung Pao" — und die gesamte Provinz-presse unterstehen direkt der Abteilung Propaganda beim ZK der KCT. Die Organe der Massenorganisationen und die sonstigen Periodika werden zumindest von dort her kontrolliert. Die Parteiführung bestimmt die Auswahl der Nachrichten und den Inhalt der Kommentare. Die Partei kontrolliert die Armee, den lokalen Organisationen der KCT sind die Arsenale der Miliz unterstellt. Sofern sich nicht gegen den Willen der Führung Waffen in den Händen von Widerstandskräften befinden, übt die Partei also auch ein Wafienmonopol im Lande aus.

Trotz aller Änderungen in der organisatorischen Struktur der chinesischen Wirtschaft seit der Krise von 1960/62 handelt es sich hier immer noch um eine Zentralverwaltungswirtschalt. Der Grundsatz der zentralen Planung von Investitionen, Produktion, Verteilung und Konsum blieb bisher aufrechterhalten. Der von der Partei beherrschte Staat kontrolliert über 90 °/o der gesamten Produktion des Landes.

So lassen sich alle von Friedrich entwickelten Kriterien auf die Volksrepublik China von heute anwenden. Sie ist mit Gewißheit ein totalitär regierter Staat.

Chinesische Besonderheiten

Es stellt sich nun die Frage, ob man bei der Organisation dieses Staates im wesentlichen dem sowjetischen Modell gefolgt ist. Eine Untersuchung des Regierungssystems und der Herrschaftsmethoden im kommunistischen China führt zu dem Ergebnis, daß beide gewisse Gemeinsamkeiten mit der Sowjetunion aufweisen, die in diesen Fällen offenbar Pate gestanden hat. Dennoch finden sich in großem Umfange „chinesische Besonderheiten". Eine Reihe von ihnen wurde von der KCT in Vollzug ihres Kampfes um die Macht oder zur Zeit ihrer Machtausübung entwickelt, andere wieder lassen sich unter Umständen aus der klassischen chinesischen Tradition verstehen. Die Position des „Vorsitzenden der Volksrepublik" und die starke Stellung des „Nationalen Verteidigungsrates", wie sie die Verfassung von 1954 vorsieht, sind in anderen kommunistisch beherrschten Staaten in dieser Weise nicht zu finden, selbst wenn man die CSSR mit berücksichtigt. Mit den osteuropäischen Ländern, nicht jedoch mit der Sowjetunion selbst, hat das kommunistische China die Existenz nichtkommunistischer Einheitsfrontparteien gemeinsam. Daß sie in der „Beratenden Poli-B tischen Volkskonferenz" über ein Einheitsfrontorgan verfügen, das praktisch als eine Art Nebenparlament oder Vorparlament auftritt, ist ein genuin chinesisches Phänomen. Die Tatsache, daß nicht selten Parteiorgane der KCT Beschlüsse fassen, die den Staats-organen nicht einmal mehr zur Akklamation vorgelegt werden, trifft man in anderen kommunistisch beherrschten Ländern in der in China geübten Weise kaum an. Die chinesische Parteidiktatur ist offener, sie nimmt weniger Rücksicht auf die Bewahrung einer konstitutionellen Dekoration.

Im Bereich der Parteiorganisation selbst lassen sich im „Ständigen Ausschuß des Politbüros der KCT" und in der im Vergleich mit der KPdSU schwachen Position des Sekretariates besondere chinesische Züge feststellen, die in dieser Weise in anderen kommunistischen Parteien nicht auftreten. Die starke Verflechtung von Partei und Armee, die Benutzung der „Massenbewegung" als Herrschaftsmethode und die für die „Gedankenreform" entwickelten Grundsätze werden ebenfalls als Besonderheiten der KCT im Unterschied zu der Situation in anderen kommunistisch beherrschten Ländern zu vermerken sein. Wesentlich schwieriger ist es, solche Züge im chinesischen kommunistischen Herrschafts-System festzustellen, die sich etwa aus den klassischen Traditionen des Landes erklären ließen. Der Grundgedanke der „Gedankenreform", gewisse Erscheinungsformen der Kaderausbildung und die Tatsache, daß die Mehrheit des ZK aus den klassischen chinesischen Führungsschichten kommt — das sind Charakteristika, die man hier erwähnen könnte. Die chinesischen Kommunisten übernahmen vom alten China die vertikale administrative Struktur — Dorf, Amt, Kreis und Provinz — und das Prinzip der unitarischen Organisation des Staates, nach dem das Land seit dem Jahre 221 v. Chr. regiert wird. Die Institution der „Obersten Staatskonferenz" mag an den Kabinettsrat der letzten Dynastien — die „Neike" — erinnern, in der „Obersten Volksanwaltschaft" erkennt man gewisse Züge des kaiserlichen „Zensorats" wieder.

Im ganzen jedoch sind die Analogien zur Herrschaftsstruktur des klassischen China zu gering, als daß sie die These, die chinesischen Kommunisten seien nicht zuletzt Erben des konfuzianischen Staates, rechtfertigen könnten. Dagegen gibt es in Partei und Staat Formen der Organisation und Methoden der Leitung, die an sowjetische Modelle aus der Zeit vor 1936 erinnern, heute aber in der Sowjetunion nicht mehr zu finden sind.

Bilanz

Auch für eine Beurteilung des Wertes eines Herrschaftssystems bedarf es, wenn man überhaupt das Wagnis eingehen will, sie vorzunehmen, bestimmter Kriterien. Die westliche Demokratie europäisch-parlamentarischer und amerikanisch-präsidentieller Provenienz ist nicht notwendigerweise der Gedankenwelt und den Bedürfnissen außereuropäischer, vor allem asiatischer Völker angemessen. Dieser Grundsatz muß jedem Versuch der Beurteilung eines Herrschaftssystems in Asien zu Grunde liegen, obgleich man sich gewiß auch vor der oft wiederholten Behauptung hüten sollte, die Völker Asiens seien „eben für die Demokratie nicht reif". In dieser Behauptung schwingen nicht selten rassistische Zwischentöne mit, die für den Versuch der Beurteilung von Politik und Herrschaft höchst unangemessen sind.

Will man für eine solche Beurteilung Kriterien finden, so muß man diese wesentlich weiter fassen. Dennoch scheint es, als könne man den Wert einer Herrschaftsform für die Beherrschten an einer wie auch immer gearteten Form des Konsens, an der Übereinstimmung mit den wesentlichsten Traditionen des betreffenden Geschichtskörpers oder wenigstens an dem entwicklungspolitischen Erfolg messen.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die Regierung in Peking etwa bis zum Ende der fünfziger Jahre den Konsens der Mehrheit des von ihr regierten Volkes für ihre Aktionen besaß. Sie verstand es, die chinesischen Volks-massen zeitweilig zur Entwicklung eines dynamischen Aufbauwillens zu bewegen. Intellektuelle und Bauern liehen ihr zunächst Unterstützung. Das Vertrauen der Intelligenz aber wurde 1954/55 und in der Periode der Säuberungen nach der „Hundert-Blumen-Kampagne", das der Bauern in der Volkskommunen-Bewegung verbraucht. Seither fällt es der Führung offenbar schwer, vom Volk mehr als zögernde Duldung zu erhalten. Von einem auch nur annähernd ausreichenden Konsens kann hier nicht mehr die Rede sein.

Die Herrschaft der KCT ist ein Stück chinesischer Geschichte, und sie wird als ein solches selbstverständlich einmal ein kleiner Teil der chinesischen Gesamttradition werden, weil kein Volk einen Teil seiner Geschichte einfach streichen kann. Sicher sind die chinesischen Kommunisten eben Chinesen, und die Tradition ihres Volkes spiegelt sich auch in ihren Organisationsformen und Handlungen wieder. Aber das von ihnen errichtete Herrschaftssystem und die von ihnen benutzten Herrschaftsmethoden sind China fremder, als manche wahrhaben wollen. So gewiß der chinesische Kommunismus ohne die chinesische Geschichte undenkbar ist, so gewiß bedeutet er aber doch einen Bruch in ihrer Kontinuität. Es ist dies nicht der erste solcher Brüche, und es wird wohl auch nicht der letzte sein. Das Regierungssystem Mao Tse-tungs und seiner Mitarbeiter aber erscheint aus den Traditionen Chinas nur schwer legitimierbar, und es will sich aus ihnen auch gar nicht legitimieren lassen.

Nicht selten wird die Auffassung vertreten, die totalitäre Diktatur in China sei notwendig, um das Land dem Status einer wirtschaftlich und politisch gesicherten Großmacht, der China gewiß zusteht, entgegenzuführen. Es bleibt also zu fragen, ob denn die entwicklungspolitische Leistung der KCT so überzeugend sei, daß sie deren Regierungssystem und Herrschaftsmethoden schlüssig legitimiere. Wägt man die für den chinesischen Kommunismus positiven und negativen Aspekte der Entwicklung der Volksrepublik China seit 1950 ab, so wird man feststellen müssen, daß die Führung der KCT in den vergangenen 15 Jahren ein erhebliches Maß an Flexibilität bewiesen hat. Sie hat große Fehler gemacht, aber sie hat es immer wieder — wenn auch mit wechselndem Erfolg — verstanden, aus ihren Fehlern Konsequenzen zu ziehen.

Auf der positiven Seite der Bilanz kann man verbuchen, daß China unter der Führung Mao Tse-tungs stärker geworden ist, als es unmittelbar vor seiner Machtergreifung war. Die wirtschaftliche Situation hat sich, verglichen mit den chaotischen Jahren der Nachkriegszeit, merklich gebessert, die Bedeutung des Landes in der Weltpolitik erheblich zugenommen.

Aber wirtschaftlich und sozial hat die Krise der Jahre 1958 bis 1962 zur Stagnation geführt, während zugleich in Japan und in einer Reihe südostasiatischer Länder beträchtliche Fortschritte erzielt wurden. Für die oft gehörte Behauptung, es gehe „jedem Chinesen" heute zwar immer noch schlecht, aber doch bedeutend besser als „je zuvor" in diesem Jahrhundert, lassen sich nur wenig überzeugende Beweise anführen. Eine Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem chinesischen Festland seit 1960, die sich an den erkennbaren Fakten und nicht an kommunistischem Wunschdenken orientiert, führt bis heute jedenfalls zu dem Ergebnis, daß die Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Standard zwischen China und den meisten seiner Nachbarländer — einschließlich Indiensl — eher größer als geringer geworden sind.

Der Preis, der für diese nicht allzu überzeugende entwicklungspolitische Leistung vom chinesischen Volk bezahlt wurde, erscheint angesichts ihrer Resultate als zu hoch. Auch die entwicklungspolitische Legitimation läßt sich kaum zugunsten des Herrschaftssystems der KCT verwenden.

Ein Moment in der fünftausendjährigen Geschichte Chinas

Als Mao Tse-tung 1949 die Macht in China übernahm, hatten er und seine Mitarbeiter den leidenschaftlichen Willen zur grundlegenden Neugestaltung Chinas. Die „Alte Gesellschaft" sollte erbarmungslos und rasch zerschlagen, eine „Neue Gesellschaft" gemeinsamen Glücks geschaffen werden.

Heute deuten mannigfaltige Anzeichen darauf hin, daß es der Regierung in Peking wesentlich mehr auf die Bewahrung der Macht als auf die Revolutionierung Chinas ankommt. Zwar wird von Zeit zu Zeit ein neuer revolutionärer Anlauf genommen, wie er sich zum Beispiel seit dem Sommer 1964 abzeichnet. Aber der Elan der ersten Jahre nach 1949 fehlt in den Ansätzen der letzten Jahre. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Führer der KCT zu resignieren beginnen. Dies würde bedeuten, daß die kommunistische Revolution in China gescheitert sei.

Damit ist allerdings noch nichts über die mögliche Dauer der kommunistischen Herrschaft ausgesagt. Die Politikwissenschaft hat nicht die Aufgabe, in die Bereiche politischer Prophetie vorzudringen. Ein Sturz der Herrschaft der KCT kann für diese Generation weder vorausgesagt noch ausgeschlossen werden. Es gibt in der Geschichte Chinas Beispiele für sehr rasche und überraschende Herrschaftswechsel, es gibt ebenso Beispiele für die jahrhundertelange Agonie von Führungsgruppen und Regierungssystemen. Autokratische oder gar einige Kriterien totalitärer Diktatur aufweisende Herrschaft hielt sich bisher selten länger als ein Jahrhundert, meist wesentlich kürzer.

Wenn später einmal die Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert geschrieben wird, dann werden jene Perspektiven des totalitären „Monolithen", die heute manchen erschrecken, zu der Dimension zusammengeschrumpft sein, die der Wirklichkeit chinesischer Geschichte entspricht. Es ist die Dimension eines Moments im Leben eines Volkes, das seit über fünftausend Jahren Herrschaft annimmt, erhält und überwindet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. hierzu: Gottfried-Karl Kindermann, Konfuzianismus, Sunyatsenismus und chinesischer Kommunismus, Freiburg 1963, S. 25 ff.

  2. ibid.; T'ang Leang-li, China im Aufruhr, Leipzig/Wien 1927, S. 35 ff.

  3. Vgl. Richard L. Walker, China unter dem Kommunismus — Die ersten fünf Jahre, Stuttgart 1956, S. 248; und „Methodes communistes de perscution", in: Bulletin de la Socit des Missions Etrangeres de Paris, Hongkong, März 1952, S. 149— 162.

  4. Jean Monsterleet, Wird der Gelbe Mann rot?, Freiburg 1956, S. 50 ff.; Kim, „La reforme agraire en Chine“, in: Quatrieme Internationale, Nr, 6, Oktober 1952, S. 30 ff.; und Henry J. Lethbridge, The Peasant and the Communes, Hongkong 1963, S. 198.

  5. Jen-min jih-pao (hinfort JMJP) v. 2. 10. 1953.

  6. Ta kung Pao v. 8. 4. 1957. Vgl. zu diesem Abschnitt: „Decisions on Agricultural Cooperation — Adopted at the Sixth Plenum of the C. C. of the C. P. C. ‘, 11. 10. 1955, Peking 1956.

  7. Vgl. hierzu: Ost-Probleme (hinfort: O-P), Jahrg. 1955, S. 661 ff. Eine sehr klare Darstellung dieses Falles gibt Peter S. H. T ang, Communist China Today, Bd. I, New York 1957, S. 81 ff.

  8. Vgl. auch Merle Goldman, „Hu Feng's Conflict with the Communist Literary Authorities", in: The China Quarterly, Nr. 12 oktober/Dezember 1962, S. 102— 137; Theodore H. C. Chen, Thought Reform of the Chinese Intellectuals, Hongkong 1960, S. 88 ff.; und Rolf Thumm, „Hu Feng und die Säuberungskampagne von 1955", Manuskript Berlin 1965, S. 2— 13.

  9. Chou En-lai, Bericht über die Frage der Intellektuellen, Peking 1956.

  10. Die beste Darstellung der „Hundert-Blumen-Kampagne" ist die von Roderik MacFarquhar (The Hundred Flowers Campaign and the Chinese Intellectuals, London 1960) vorgelegte kommentierte Dokumentation. Vgl. auch: Cheng Hsüeh-chia, The so-called Enlightened Despotism of Chinese Communists, T’aipei 1957; und: Mao Tse-tung and „Let a Hundred Flowers Bloom and a Hundred Schools of Thought Contend" -Campaign, T’aipei 1958. Eine sehr instruktive Einführung gibt Klaus Mehnert, Peking und Moskau, Stuttgart 1962, S. 237— 250.

  11. JMJP v. 8. 8. 1957. Vgl. hierzu: MacFarquhar, op. cit., S. 143 ff.; und Valentin Chu, Ta ta, tan, tan, Die Wirklichkeit Rotchinas, Düsseldorf/Wien 1964, S. 225 f.

  12. Kung Sheung Yat Po, Hongkong v. 17. 2. 1958 auf Grund einer Analyse chinesisch-kommunistischer Quellen. Vgl.: Fei-ch'ing yüeh-pao, T'aipei, März 1958, S. 17; und Kung-fei pao-ch’eng shih-nien (Zehn Jahre kommunistischer Diktatur) T'aipei 1960, S. 289 ff.

  13. Alle Zahlen nach: Chou En-lai, Das große Jahrzehnt, Peking 1959, einer offiziellen Publikation, deren Angaben für die Zeit bis 1957 im Wirtschaftsteil im allgemeinen als zuverlässig angesehen werden.

  14. China News Analysis (hinfort: CNA), Hongkong, Nr. 543 v. 4. 12. 1964.

  15. Vgl. hierzu: Roderick MacFarquhar, „Communist China’s Intra-Party Dispute", in: Pacific Affairs, Dezember 1958, S. 322— 335; und Donald S. Zagoria, The Sino-Soviet Conflict 1956-— 1961, Princeton 1962, S. 66 ff. und 79 ff.

  16. MacFarquhar, op. cit., S. 327 f.; JMJP v. 21. 11. 1957.

  17. Die Dokumente der Zweiten Plenarsitzung des VIII. Parteitages der Kommunistischen Partei Chinas, Peking 1958, hier vor allem S. 86 ff. und 102.

  18. JMJP v. 29. 8. 1958.

  19. Vgl. hierzu: Jürgen Domes, Von der Volkskommune zur Krise in China, Duisdorf/Bonn 1964, S. 35 f.

  20. Für „Getreide": Mittelwerte aus Mitteilungen Mao Tse-tungs im Herbst 1961 im Gespräch mit Lord Montgomery, in Sunday Times, London, v. 11. 10. 1961; Financial Times, London, v. 17. 1.

  21. So Po I-po am 7. 12. 1958 nach Radio Peking, Inlandsdienst, 13. 12. 1958, 11. 30 Uhr GMT.

  22. Vgl. hierzu: JMJP v. 28. 12. 1959.

  23. „Resolutionen des 8. Plenums des VIII. ZK der KCT in Lushan", in: JMJP v. 27. und 28. 9. 1958.

  24. Vgl. Domes, op. cit., S. 38.

  25. So z. B. „Chung-kuo ch’ing-nien pao" v. 2. 10. 1958.

  26. Hupei jih-pao v. 11., 13. und 24. 1. 1959; Kirin jih-pao v. 3. 4. 1960; Nei-meng-ku jih-pao v. 25. 4. 1960; Hsin Hunan hsin-wen pao v. 19. 11. 1959 u. v. a. m. Vgl. hierzu: Jürgen Domes, Opposition und Widerstand im kommunistischen China, Manuskript, Berlin 1965, S. 8 f.

  27. Vgl. dazu: T. A. Hsia, The Commune in Retreat as Evidenced in Terminology and Semantics, Berkeley, 1964; und Domes, Volkskommune, S. 55 ff.

  28. Vgl. hierzu vor allem: JMJP v. 26. und 28. 8. 1959; und Hung Ch‘i, Nr. 19/1959.

  29. Vgl. ibid.

  30. So u. a. David A. Charles, „The Dismissal of Marshal P'eng Teh-huai", in: The China Quarterly, Nr. 8, Oktober/Dezember 1961, S. 63 ff. (deutsch in: O-P, 14. Jahrg. 1962, S. 327 ff.).

  31. Die meisten dieser Säuberungsmaßnahmen, zuvor in westlichen und neutralen Publikationen berichtet, wurden durch die personellen Veränderungen anläßlich der 1. Plenarsitzung des III. Volkskongresses bestätigt. Vgl. Current Background, Hongkong, Nr. 752 v. 1. 2. 1965.

  32. Vgl. hierzu die in Anm. 15 genannten Qellen und Trybuna Ludu, Warschau, v. 4. 1. 1961; Cheng Hsüeh-chia, Hunger in Communist China, T’aipei 1962; Handbook of Chinese Communist Affairs,

  33. So z. B. JMJP v. 29. 12. 1960; Kung-jen jih-pao v. 17. 4. 1963; und Nanfang jih-pao v. 5. 7. 1963.

  34. Seit 1960 gibt es keine offiziellen kommunistischen Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung mehr, es sei denn, für eine Analyse wertlose Prozentsätze, deren Basis unbekannt bleibt. Hier und in den folgenden Fällen handelt es sich daher um Schätzungen nichtkommunistischer Forschungsinstitute und Nachrichtendienste, deren Angaben in anderen Bereichen und für vergangene Perioden sich als zuverlässig erwiesen haben. Dennoch können sie nur Annäherungswerte darstellen, aus denen nicht viel mehr als „trends" ablesbar sind.

  35. „Getreide" nach: Ch'en Chiu-shen, „A Quantitative Study of Food Use under the Chinese Co. nmunist Regime", in: Issues and Studies, 1. Jahrg., Nr. 4, Januar 1965. S. 22 ff. Yao Meng-hsüan (Peiping’s Third National People’s Congress and Trends", ibid., Nr. 5, Februar 1965, S. 15 (nimmt für 1963 ein Ernteergebnis von 165 bis 175 Millionen t an; Fred de la Trobe („China tastet sich vor", in: Die Welt, Hamburg, v. 13. 5. 1965) per implicationem — 1964 2 °/o mehr als 1963 — ein solches von ca. 179 Millionen. Hier ist die Quelle offenbar „Current Scene", op. cit. (Anm. 33), deren Angaben sich jedoch mehrmals schon als eher etwas zu hoch erwiesen haben.

  36. Für die erste Planperiode vgl. auch Liu/Yeh, op. cit., die an Hand von Detailstudien der chinesischen Festlandspresse zu dem Ergebnis kommen, daß die aus kommunistischen Quellen stammenden Angaben über Wachstumsraten um durchschnittlich ein Drittel zu hoch waren. Für die zweite Planperide: vgl. Li Choh-ming (Hrsg.), Industrial Development in Communist China, New York/London 1964.

  37. Handbook, S. 97 (bis 1958 nach: Chou, Das Große Jahrzehnt, engl. Ausgab; 1962 nach: Chinese Communist Market, Hongkong 1963; und 1963 nach New York Times v. 20. 3. 1964).

  38. ibid.

  39. Für 1963: Liu/Yeh, op. cit., S. 29; für 1964 u. a.: Ta Kung Pao, mehrere Ausgaben Oktober 1964; Hsing-tao wan-pao, Hongkong, v. 28. 10. 1964; und Shih-shih shou-ts‘e, Peking, Nr. 19/1964. Vgl. hierzu auch: Lorenz Stucki, Land hinter Mauern, Zürich 1964, S. 25 ff.

  40. Alle Zahlenangaben nach: De la Trobe, op. cit.

  41. Vgl. u. a. Hung Ch’i, Nr. 16, 17/18, 21/22 und 23/24/1964; JMJP v. 16. 11. 1964; Chung-kuo ch'ingnien, Nr. 20/1964. Hierzu auch: CNA, Nr. 535 v. 25. 9. 1964; und Asian Analyst, London, Oktober 1964.

  42. Peking Review, 7. Jahrg., Nr. 32 v. 7. 8. 1964; Hung Ch’i, Nr. 14 und 15/1964; Wen Yi Pao, Nr. 7 v. 11. 7. 1964.

  43. Vgl. Chang Ching-wen, „Reshuffles in the Peiping Regime after the First Session of the Third National People's Congress", in: Issues and Studies, 1. Jahrg., Nr. 5, Februar 1965; und Hsiang Naikuang, „An Analyis of the First Session of the Third National People’s Congress", in: Chinese Communist Affairs, T'aipei, 2. Jahrg., Nr. 1, Februar 1965, S. 1— 12.

  44. Zu ihnen gehören u. a. „Hung lou meng" (Der Traum der Roten Kammer), „Shui hu ch’uan“ (Die Räuber vom Liang-Shan-Moor) und „San kuo chih yen-i" (Geschichte der drei Reiche) — nach Kuangming jih-pao v. 11. 4. 1965.

  45. Man wendet sich dabei vor allem gegen die Lektüre Schillers, Shakespeares, Byrons und Victor Hugos, vgl. Kuang-ming jih-pao v. 2. 5. 1965.

  46. Vgl. hierzu: Die Schriftreform in China, Peking 1959, mit der Tatsache, daß seit 1960, vor allem aber seit 1962, die Benutzung der „alten* Schriftzeichen in chinesischen Dokumenten immer häufiger wird. Nach Berichten von Flüchtlingen in Macao sollen ab Frühjahr 1965 in der Volksschule nur noch die „alten* Zeichen gelehrt werden (so Chung-yang jih-pao, T’aipei, v. 16. 5. 1965). Diese Nachricht bedarf jedoch weiterer Überprüfung.

  47. So Ta Kung Pao v. 18. 3. 1964, Chung-kuo fu-nü, April 1964 u. a. m. In jüngster Zeit allerdings scheint sich hier die Tendenz wieder zu ändern und stärker das Kollektiv als Heimat der Menschen betont zu werden. Vgl. Kung-jen jih-pao v. 31. 3. 1965; und China Reporting Service, Hongkong, v. 12. 5. 1965.

  48. Text der Rede in: Peking Review, 8. Jahrg., Nr. 1 v. 1. 1. 1965.

  49. M Siehe u. a.: Hung Ch‘i, Nr. 14/1964; und Chungkuo ch’ing-nien, Nr. 15 und 19/1964.

Weitere Inhalte

Jürgen Domes, Dr. phil., geb. 2. April 1932, 1960— 1962 Forschungsassistent in Heidelberg, 1962— 1965 ausgedehnte Reisen in Ostasien, darunter nach Rotchina, Hongkong, Taiwan, Thailand und Indien, seit 1964 Akademischer Rat an der Freien Universität Berlin.