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Der Imperialismus in marxistischer Sicht | APuZ 30/1964 | bpb.de

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APuZ 30/1964 Der Imperialismus in marxistischer Sicht Der Imperialismus in marxistischer Sicht Artikel 1

Der Imperialismus in marxistischer Sicht

Lutz KOliner

Vorbemerkungen

Die Bezeichnung der westlichen Welt als „kapitalistisch", „imperialistisch", „monopolkapitalistisch" usw. gehört zu den ältesten und anscheinend unverzichtbaren Gewohnheiten marxistischer Ideologen. Daß dabei das Schwergewicht einmal auf dem einen, zu einer anderen Zeit auf einem anderen dieser und ähnlicher Worte liegt, tut wenig zur Sache und ist meist nur taktisch bedingt. Zum eisernen Sprachschatz neomarxistischer Dogmatiker und Ideologen gehört die Bezeichnung „imperialistisch“ für die westliche Welt jedenfalls. In den angedeuteten Wortverbindungen verbirgt sich bei näherem Zusehen mehr als nur eine bloße Ansammlung von deklassierenden Schmähungen für den politischen Gegner: durchaus ernstzunehmende ökonomisch-soziale Entwicklungstheorien stehen hinter den Schlagworten vom „expansiven“, „monopolkapitalistischen", „friedensfeindlichen“ westlichen Kapitalismus. Grund genug, sich hinter den Fassaden der Propagandaschlagworte mit einigen grundlegenden Thesen des Marxismus über den Imperialismus zu beschäftigen. Nicht nur die sowjetischen Ideologen, sondern auch weite Kreise der sowjetischen Bevölkerung sehen heute die westliche Welt durch die Brille einer vereinfachten „Imperialismustheorie“. Auch mancher Zug der sowjetischen Außenpolitik kann nur verstanden werden, wenn man die — meist sogar unbewußte — Einschätzung ihrer Imperialismusthesen durch die sowjetischen Ideologen kennt.

Freilich wollen wir dabei nicht in der national-ökonomischen Theoriengeschichte stehen bleiben sondern auch versuchen, einige wesentliche, auch für unsere politische Gegenwart und Zukunft entscheidende imperialistische Züge des militanten politischen Kommunismus aufzudecken. Denn so sehr die marxistisch-kommunistische Propaganda auch den Eindruck erwecken möchte, daß der Imperialismus ausschließlich eine Erscheinung der westlichen Welt sei, die notwendig in der Gesellschaftsordnung, wie sie die kommunistischen Marxisten anstreben, keinen Platz haben können, so sicher ist es doch, daß imperialistische Züge im außenpolitischen Handeln sich auch für die Sowjetunion und andere kommunistische Länder finden lassen. Es geschieht dies nicht in der Absicht, gleichsam imperialistische Sünden in Ost und West zu erkennen und gegeneinander aufzurechnen und einen möglichen Saldo mit einer wertenden Note versehen ins Buch der Weltgeschichte einzutragen. Es kommt uns vielmehr darauf an, zu zeigen, daß Imperialismus und imperialistische Absichten sich keinesfalls auf die westlichen Gesellschaftsordnungen der Vergangenheit beschränken lassen, wie es uns der wissenschaftliche Marxismus und die kommunistische Tagespropaganda immer wieder weismachen möchten. Auf den ersten Blick scheint es zwar immer wieder, als hätten die theoretischen Marxisten die Imperialismus-thesen und -deutungen gewissermaßen in Erbpacht genommen; aber wir dürfen nicht übersehen, daß allein schon viele Formulierungen im kommunistischen Manifest von 1848 und auch der Gedanke einer proletarischen Weltrevolution marxistischer Provenienz Grundformen imperialistischen Verhaltens verraten. Hinzu kommt, daß sich bis in die Sowjetunion eines Chruschtschow unserer Tage hinein panslawistische, altrussische und nationale — hier nicht näher zu charakterisierende — außenpolitische Expansionstendenzen gehalten und gestärkt haben, die schon beim ersten Blick mindestens in der Nähe imperialistischer Verhaltensweisen stehen. Wir verzichten bei der Erörterung dieser Zusammenhänge von vornherein darauf, gleichsam philologisch das Phänomen des Imperialismus zu deuten, wir wenden uns vielmehr im ersten Teil unserer Analyse den wichtigsten Imperialismustheorien zu, die wir aber nicht allein dogmengeschichtlich abhandeln, sondern die wir vielmehr möglichst stets im Zusammenhang mit konkreten politischen Ereignissen sehen wollen.

Wie wichtig neben der notwendigen Auseinandersetzung mit den marxistischen Imperialismusversionen eine Auseinandersetzung mit Imperialismus ist, beweist auch die Tatsache, daß im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch zunehmend in populären wissenschaftlichen Enzyklopädien zum Beispiel die ganze Spanne zwischen Französischer Revolution und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges pauschal als das Zeitalter des Imperialismus bezeichnet wird, wobei häufig genug Begriffe wie Imperialismus und Kolonialismus synoB Lutz Köllner, Dr. rer. pol., Diplom-Volkswirt, geb. 3. September 1928 in Wernige-rode/Harz, wissenschaftlicher Assistent an der Rechts-und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, widmet sich in seiner wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspublizistischen Arbeit vornehmlich den Grenzgebieten zwischen Ökonomie und Politik. Er ist Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften, Zeitungen und wissenschaftlicher Enzyklopädien. Wichtigste Veröffentlichungen: Japan, Wirtschaft und Wettbewerb (Mitverf.), Münster 1955; Europäische Wirtschaftspolitik, Münster 1957; Der internationale Kapitalverkehr seit dem letzten Kriege, Frankfurt 1963; Probleme der Inflation in den Entwicklungsländern, Baden-Baden 1963; Europäische Währungspolitik (Mitverfasser und Redakteur), Baden-Baden 1964; in Vorbereitung befinden sich eine Textsammlung über die marxistische Imperialismustheorie und ein umfangreiches Werk über die Ökonomie des Marxismus.

Herausgeber:

Bundeszentrale für politische Bildung, 53 Bonn/Rhein, Königstraße 85.

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Fussnoten

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