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VI. Sonderfrieden mit Frankreich? | APuZ 20/1963 | bpb.de

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APuZ 20/1963 Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche. IV. Bethmann Hollwegs Kriegszielpolitik V. .. und die Septemberdenkschrift VI. Sonderfrieden mit Frankreich? VII. Eine Führungskrise VIII. Kronprinz Wilhelm, Tirpitz und der Kanzler Anhang. Nr 22 Nr. 23 Nr. 24 Nr. 25 Nr. 26 Nr. 27 Nr. 27 a Nr. 28 Nr. 29

VI. Sonderfrieden mit Frankreich?

Der Glaube an einen großen Sieg auch nur über Frankreich war endgültig dahingegangen. Was blieb, war eine vielleicht günstige Front und Machtstellung beim Auslaufen des Krieges, die das eine oder andere begrenzte Objekt verwirklichen ließ. In einem Ende ohne diese Vorteile war es dann ein Sieg, sich selbst zu behaupten und die Faustpfänder sich mehr oder weniger teuer abkaufen zu lassen. Die große Hoffnung des Umsturzes der Mächtekonstellation, die bis zur Marneschlacht aus eigener Kraft mit Gewalt erreicht werden sollte, blieb nur, wenn einer der Entente-partner zum Bruch mit seinen Verbündeten gebracht würde und einen Separatfrieden mit Deutschland schloß, der eo ipso das Band der Koalition auf immer oder lange zerschnitten hätte.

Und folgerichtig versuchte der Reichskanzler zuerst den Separatfrieden mit Frankreich, denn er glaubte sogar mitten im Kriege an eine Versöhnung mit dem historischen „Erbfeind". Nachdem Frankreich die Wunde von 1870 „wohl verwunden" habe, müsse es — so entgegnete Bethmann Hollweg den annexionistischen Industriellen — nach Möglichkeit geschont werden; es von neuem zu verstümmeln, hieße nichts anderes, als „die unnatürliche Coalition, der wir uns jetzt gegenüberbefänden, zu verewigen" Auch der Generalstabschef hatte am 18. November die Zustimmung der OHL angekündigt, „Frankreich einen ehrenvollen Frieden zu bewilligen*, und erklärt, „auch von Frank-reich verlange er kein Land", weder den Vogesenabhang noch das Vorland von Metz (bassin de Briey)". Falkenhayn, so hörten wir hatte sogar von seiner „festen Überzeugung“ gesprochen, daß eine Verständigung mit Frankreich gelingen würde und von der „Notwendigkeit, daß wir uns nach dem Frieden mit Frankreich ins Einvernehmen setzten".

Dementsprechend glaubte er auch in der Unterredung, in der ihn drei Tage zuvor Tirpitz für die Idee des russischen Sonderfriedens gewann, „den Ausweg mehr über Frank-reich zu suchen als über Rußland" und in den folgenden Wochen kam er wiederholt darauf zurück, daß es doch Aufgabe der deutschen Politik sei, „Frankreich vom Dreiverband abzusprengen"

Einem solchen Versuch stand freilich man-ches entgegen. Nach Tirpitz waren die Franzosen nicht für einen Frieden zu haben, solange sie auf den russischen Bundesgenossen zählen konnten. Schließlich hatten sie dort — nicht zuletzt aus militärischen Gründen — Milliarden investiert, und eben jetzt führte ihnen die Invasion der Deutschen drastisch vor Augen, daß Frankreich auf die historische Politik der östlichen Allianz angewiesen war.

Außerdem bedeuteten die hunderttausend Engländer auf französischem Boden eine Bin-dung an das britische Imperium.

Vor allem hatten die Franzosen gar nicht nötig, sich auf Friedensbesprechungen einzulassen, die ihnen bestenfalls den Status quo versprachen. In jenen Novembertagen, als sich der deutsche Generalstabschef für den Verständigungsfrieden mit Frankreich aussprach, suchte im Wiener Außenministerium Graf Hoyos, nach einem Wege, um französische Politiker für die Idee eines Separatfriedens mit den Mittelmächten zu gewinnen, und zwar unter dem „Eindruck, daß man auch in Berlin ganz gerne bereit wäre, mit Frank-reich zu sprechen und erträgliche Bedingungen zu stellen''. Am 17. November wies Hoyos im Auftrag seines Ministers den k u. k. Gesandten in der Schweiz, v. Gagern. an, eine Persönlichkeit ausfindig zu machen, die hierfür die Vermittlung übernehmen könne; am besten sei es, einem angesehenen Gelehrten zu suggerieren, daß er sich mit einer solchen Aktion Verdienste um die Menschheit erwerben könne. Es gelang dem Gesandten auch, den Pazifisten Alfred Fried zu gewinnen. Aber die Voraussetzungen waren auch nach Hoyos militärische Erfolge der Deutschen in Flandern und in Rußland. Ohne diese sei Frankreich „noch nicht genügend entmutigt", um für irgendwelche Sonderabkommen zu haben zu sein.

Dennoch beschäftigte sich Bethmann Hollweg in den ersten Januartagen mit dem Gedanken an einen französischen Sonderfrieden. Dafür hoffte er, sich einer Figur auf dem europäischen Schachbrett bedienen zu können, die noch des Einsatzes harrte. Der italienische Dreibundpartner verfügte über eine intakte Armee von über einer Million Mann, die zudem noch in ihrer Kampfkraft überschätzt wurde. Mit einem Kriegseintritt Italiens auf selten der Mittelmächte, vielleicht bereits mit der drohenden Bereitschaft dazu, glaubte der Reichskanzler die Franzosen friedenswillig zu machen. Nun suchte die deutsche Diplomatie schon im November 1914 die italienische Regierung zu überzeugen, daß Italien mit wenig Kraftaufwand und geringem Risiko einen „gewaltigen" und „sicheren" Gewinn erreichen könne. „Rom braucht nur die Hand auszustrecken", lockte Zimmermann im Gespräch mit dem italienischen Botschafter „und Corsica, Nizza, Savoyen, Tunis sind sein". Durch Eingreifen auf Seiten seiner Verbündeten, so ließ Bethmann Hollweg dem italienischen Außenminister sagen böte sich Italien jetzt die Gelegenheit, „die Rolle des Züngleins an der Waage zu spielen und das Ende des Europa und die ganze Welt wirtschaftlich und kulturell schädigenden erbitterten Kampfes mit eigenem Vorteil herbeizuführen". „Wir würden uns anheischig ma-chen, Italien jeden Siegespreis zu verschaffen zu suchen, den es selbst wünscht." Und er versprach, sich bei dem österreichischen Bundesgenossen dafür einzusetzen, daß dieser Italien das Trentino abtrete. Das war das auch Welschtirol genannte Gebiet um Triest — nach der 1859 an die italienische Einheitsbewegung verlorenen Lombardei und dem 1866 abgetretenen Venetien —, das letzte mit italienischer Irredenta, das noch unter der habsburgischen Herrschaft stand.

Während die deutschen Bemühungen um eine Preisgabe des Trentino in Wien auf starken Widerstand stießen, empfahl Bethmann Hollweg dem als Sonderbotschafter nach Rom entsandten früheren Reichskanzler, Fürst Bülow, den Italienern vor Augen zu führen, was sie mit einem Kriegseintritt als Dreibundpartner gewinnen könnten Dabei war nicht mehr, wie in dem Angebot Zimmermanns, von territorialen Erwerbungen französischen Gebietes die Rede, sondern es stand die Aussicht im Mittelpunkt, damit Frankreich zum Sonderfrieden zu zwingen und so den Italienern eine starke Mittelmeerstellung und eine weltpolitische Rolle zu verschaffen. So ließ der Kanzler in einem Telegramm vom 5. Januar 1915 wissen: „An Zertrümmerung Frankreichs haben wir kein Interesse und könnten ihm ehrenvollen Frieden gegen entsprechende Kriegsentschädigung und Abtretung eines Teils seiner Kolonien , Congo'gewähren." Bei „Absplitterung Frankreichs" könne der Krieg mit einem „sicheren Sieg" über Rußland und England beendigt werden. Dann seien „relative Schwächung Frankreichs, ein Damm gegen die slawische Gefahr und Erschütterung der. englischen Weltherrschaft erreicht".

Man mag für solche optimistische Perspektive berücksichtigen, daß sie an die Adresse des zu gewinnenden Italiens gerichtet werden sollte. Dieses hatte schon bei den Dreibundverhandlungen darauf hingewiesen, daß es angesichts seiner langen Küsten der englischen Seemacht nicht gewachsen sei. So mußte ihm Bethmann schon „Erschütterung englischer Weltherrschaft" in Aussicht stellen, obgleich er in seinem Räsonnement vom 19. November — allerdings ohne Italiens Einsatz — damit rechnete, daß England mit Friedensschluß sich im Besitze „einer materiell nicht besiegten Flotte und der nicht gebrochenen Herrschaft über den Welthandelsverkehr" befinden würde. „England gegenüber aber wäre unsere Macht sehr gering." Man wird auch bedenken, daß das Telegramm Bethmann Hollwegs vom 5. Januar sich an einen möglichen Kanzlerkandidaten, also an einen seiner Gegner, richtete, die, wie der nationalliberale Parteiführer Bassermann, ihn als „Flaumacher" in der Kriegszielfrage, insbesondere wegen seiner „schlappen" Haltung gegenüber England stürzen wollten Der Gedanke, die italienische Regierung zu einer Drohung oder gar zu einem ernstlichen Druck auf Frankreich zu bewegen, war freilich angesichts der allgemeinen Machtlage und der öffentlichen Meinung in Italien eine Illusion.

Das brachte Bülow in seiner Antwort zum Ausdruck und meinte auch, daß der Versuch, Italien die Rolle des Friedensvermittlers zuzuschieben, um es damit abzufinden oder wenigstens hinzuhalten, kaum Aussicht auf Erfolg habe, sondern im Gegenteil — selbst wenn „mit sehr leichter Hand" unternommen — als Zeichen der deutschen Kriegsmüdigkeit auf-gefaßt werden könne. Die Trentinofrage zu erledigen, diesen „Stein des Anstoßes zu beseitigen", das erschien ihm bereits erforderlich, um die Italiener davon abzuhalten, Ende Februar/Anfang März zum Angriff auf Österreich anzutreten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Aufzeichnung Stresemanns über Konferenz beim Reichskanzler am 8. Dezember 1914, abgedruckt in Aus Politik und Zeitgeschichte B 24/61, S. 335, s. Kapitel IV, Anmerkung 38 ff.

  2. Räsonnement vom 19. Nov. 1914, Aus Politik und Zeitgeschichte B 20'61, S. 284 f.

  3. Tagebuch Tirpitz vom 15 Nov 1914, Erinnerungen (1919), S 427, weitere Belege siehe Kapitel IV, Anmerkung 1

  4. Tagebuch Groener vom 22. Jan. 1915 über Gespräch mit Falkenhayn, Lebenserinnerungen (1957), S. 217. Graf Hoyos an den Gesandten von Gagern (eigenh. Konzept), ganz geheim, vom 17. Nov. 1914 und Brief Gagerns an Hoyos vom 22. Nov. H. H. St. A Wien, P. A. 1/952. Das Schreiben Hoyos kreuzte sich mit einem Brief Gagerns an Berchtold, in dem statt der Idee eines Separatfriedens Frankreichs mit den Mittelmächten „französisch-russische Desiderata“ für einen Separatfrieden mit Osterreich-Ungarn allein behandelt wurden.

  5. Bericht über Unterredung Zimmermanns mit dem italienischen Botschafter BoIIati in Tel. Nr. 974, Zimmermann an Kaiserliche Botschaft Rom, 3. Nov. 1914, AA, Deutschland 128, Nr. 1.

  6. Bethmann Hollweg an AA für Kaiserliche Botschaft Rom, Tel. Nr. 92, 7. Nov. 1914 (Reinkonzept von der Hand Bethmann Hollwegs), AA, Deutschland 128, Nr. 1.

  7. Zum folgenden Bethmann Hollweg an AA für Bülow in Rom, Tel. Nr. 4, 5. Jan. 1915, AA, Deutschland 128, Nr. 1, s. unten Anlage Nr. 25.

  8. Räsonnement vom 19. Nov. 1914, Aus Politik und Zeitgeschichte B 20/61, S. 285.

  9. Es wirkt geradezu grotesk — und dies wird nicht einmal von dem so „patriotischen" Claß empfunden — wie Bassermann, der als Major der Landwehr der Reserve in der Justizverwaltung des Generalgouvernements Brüssel tätig war, in Uniform und mit dem Eisernen Kreuz geschmückt, in seinem Arbeitszimmer auf und ab marschiert und „mit Armen und Füßen stark in der Luft arbeitend" ausruft: „ , Das sage ich Ihnen, wir können den Krieg nur gewinnen und Sie erst recht können Ihr Kriegsziel nur durchsetzen, wenn . . . schnell verschwindet’. Dann wieder stehenbleibend: „Sie wis-sen, wen ich meine? ’ . Natürlich’, antwortete ich, , den Kanzler’. Er ausbrechend: . Lieber Herr Kollege, wie werden wir den Kerl los: an der Front ist sich jeder klar, daß der Krieg verloren ist, wenn wir den behalten'“ Und nachdem Claß ihm vorgeschlagen hatte, als Führer seiner Partei im Reichstag rücksichtslos die „entsetzliche Politik Bethmanns" im Reichstag bloßzustellen, dann könne ihn der Kaiser nicht halten, nur ein solcher An-griff vor dem ganzen Volke ausgeführt, werde ihn unmöglich machen: „Wieder schritt der große Mann im Zimmer auf und ab, dann machte er vor mir Halt und erklärte mit einer gewissen Feierlichkeit: , Ja, Sie haben Recht, so muß das gemacht werden. Ich werde ihn schonungslos anpacken'. Dann beruhigte sich Bassermann und setzte sich an den Schreibtisch, von seiner Tätigkeit in der Justizverwaltung in Brüssel erzählend". Heinrich Claß, Wider den Strom (1932), S. 356. Die Stelle wurde hier wörtlich wiedergegeben, da sie mir besonders illustrativ auch im Hinblick auf die weiter unten geschilderte schwierige Position Bethmann Hollwegs zu sein scheint. Auch Stresemann gehörte zu den ausgesprochenen Gegnern des Kanzlers und zu denen, die Bülow als Nachfolger betrachteten.

  10. Tel. Nr. 33, Bülow an AA, 7. Jan. 1915, AA, Deutschland 128, Nr. 1. In der Weitergabe dieses Telegrammes an den Reichskanzler am 8. Jan. bemerkte Zimmermann: „nichts weiteres veranlaßt".

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