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Die Preußische Armee 1807-1840 | APuZ 47/1960 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 47/1960 Die Preußische Armee 1807-1840

Die Preußische Armee 1807-1840

GORDON A. CRAIG

Mit freundlicher Genehmigung des Droste-Verlages in Düssedorf wird das Kapitel „Reform und Reaktion 1807— 1840" aus dem Buch von Gordon A. Craig „Die preußisch-deutsche Armee 1640— 1945“ in dieser Ausgabe zum Abdruck gebracht.

Reform und Reaktion

Frisch auf, mein Volk! Die Flawweuzeickeu rauchen, Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht!

Arndt Though soldiers are the true Supports, The natural allies of Courts, Woe to the Monarch who depends Too wuch on his red-coated friends;

For even soldiers sometimes think — Nay, Colonels have been known to reason — And reasoners, whether clad in pink, Or red, or blue, are on the brink (Nine cases out of ten) of treason.

Thomas Moore In den Monaten nach der Kapitulation von Tilsit konnten nur die größten Optimisten an den Fortbestand Preußens als eines selbständigen Staates glauben. Napoleon enthüllte bald seine Absicht, aus dem zerrütteten Land einen Satelliten seines Kaiserreiches zu machen, und bedeutende Teile des preußischen Volkes schienen nur allzu bereit, sich in dieses Los zu schicken. Im Mittelstand und in der Aristokratie rief der militärische Zusammenbruch einen weitverbreiteten Defätismus und ein nicht unerhebliches Maß von Opportunismus hervor; unter den Intellektuellen erhoben sich bald Stimmen, die auf die Vorteile eines Anschlusses an Napoleons europäische Neuordnung hinwiesen, auch wenn er mit einer Schmälerung der preußischen Souveränität verbunden sei. In der großen Masse des Volkes gab es wenig Anzeichen für einen Groll über die Demütigung Preußens und noch weniger für ein Verlangen nach Revanche.

Um so bemerkenswerter ist es daher, daß diese apathische Hinnahme der Niederlage innerhalb sechs Jahren überwunden wurde und daß unter den Staaten, die sich zusammenschlossen, um den Korsen zu besiegen und zu vertreiben, Preußen an erster Stelle stand. Die Wiedererstarkung war in erster Linie das Werk einer kleinen Gruppe hingebungsvoller, patriotischer Reformer, zu denen vor allem Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Boyen und Grolman gehörten. Diese Männer gestanden sich wohl ein, daß militärisches Versagen zu der wilden Flucht bei Jena geführt hatte, doch erkannten sie auch deutlich die tiefere Ursache des preußischen Zusammenbruchs — den Abgrund, der zwischen der Staatsmaschine und dem Volk klaffte, der es dem Volke unmöglich gemacht hatte, sich mit seiner Regierung zu identifizieren und der den Staat der Unterstützung des Volkes in Krisenzeiten beraubte. Diesen Abgrund zu überbrücken und im Volk ein neues Gefühl der Anhänglichkeit an den preußischen Staat zu erwecken, war das Endziel der von Stein und seinen Kollegen in den Jahren nach 1807 eingeführten sozialen, politischen und militärischen Reformen. Das unmittelbare Ergebnis ihrer Anstrengungen spiegelt sich in dem erfolgreichen Krieg von 1813— 14 gegen Napoleon und in der allgemeinen Begeisterung wider, mit der das preußische Volk daran teilnahm.

Trotz des Erfolges, den die Reformer mit der Befreiung Preußens von der Fremdherrschaft errangen, gelang es ihnen auf die Dauer nicht, ihre Ziele zu erreichen. Möglich, daß sie das Vermögen des preußischen Staates, auf fundamentale Traditionen zu verzichten, überschätzt hatten. Tatsache ist jedenfalls, daß sie eines nicht voraussahen: die Neigung der herrschenden Klasse, zum alten Stil zurückzukehren, sobald Preußen einmal vom fremden Joch befreit war. Als sich diese Tendenz nach 1814 geltend machte, waren die Reformer politisch nicht geschickt genug, ihr Widerstand zu leisten. Und um 1819 waren sie aus der Macht verdrängt, ihr politisches und soziales Programm gescheitert und verzerrt, und ihre Hoffnung, Preußen möge ein fortschrittlicher Staat mit repräsentativen Einrichtungen werden, war zunichte gemacht. Der Reformzeit folgte nach 1819 eine Zeit der Reaktion, in der die alten Nöte des preußischen Volkes in neuem Gewände erschienen und die Armee, aus der Scharnhorst und Boyen einen Gegenstand des Stolzes für das Volk hatte machen wollen, wieder einmal der Gegenstand allgemeinen Un-willens wurde.

1. Stein, Scharnhorst und die Reformen

Der Beginn der Reformzeit kann in der Einsetzung der sogenannten Reorganisationskommission gesehen werden, die König Friedrich Wilhelm III. im Juli 1807 ernannte. Er wies die Kommission an, eine Untersuchung über den letzten Feldzug durchzuführen, Offiziere, die sich schlecht aufgeführt hatten, zu maßregeln und zu entlassen und Änderungsvorschläge in bezug auf Heeresorganisation, Versorgung, Dienst-bestimmungen, Auswahl von Offizieren, Erziehung und Ausbildung zu machen. Die Einsetzung solch einer Kommission war nichts Neues; nach einer großen Niederlage wie der voi. Jena mußte mit Untersuchungen irgendwelcher Art gerechnet werden. Weniger wurde indes zunächst damit gerechnet, daß die Kommission überraschende Veränderungen an dem bestehenden System Vorschlägen würde. In den Augen vieler älterer Offiziere — unter ihnen Graf Lottum, anfänglich Mitglied der Kommission, und die Generäle von Yorck und von dem Knesebeck — war die Niederlage von 1806 weniger durch fundamentale Mängel im militärischen oder politischen System als durch ein Zusammentreffen von unfähiger Führung und Mißgeschick verursacht worden. Daher glaubten sie, daß zwar die offenkundigeren Mißstände behoben werden müßten, nicht aber, daß irgend etwas von der Art einer grundsätzlichen Reorganisation und Reform notwendig sei

Vor einem solch oberflächlichen Flickwerk wurde der preußische Staat durch zwei Umstände bewahrt. Der erste war die Tatsache, daß die Reorganisationskommission nach anfänglicher interner Disharmonie mehr und mehr von Scharnhorst und seinen Schülern Gneisenau, Boyen und Grolman dominiert wurde Der zweite war die von Napoleon beharrlich geforderte Entlassung des leitenden Ministers Hardenberg, woraufhin Friedrich Wilhelm den Freiherrn vom Stein zurückberief und ihm die Leitung aller inneren und äußeren Angelegenheiten anvertraute Der Aufstieg Scharnhorsts und Steins gab der Reorganisation ihr besonderes Gepräge und machte die Jahre von 1807 bis 1815 zu einer der verheißungsvollsten Reformperioden in der deutschen Geschichte

In ihrem Temperament waren Stein und Scharnhorst absolute Gegensätze. Stein war heftig und erregbar und trat so leidenschaftlich für seine Ansichten ein, daß ihn der König nach einer früheren Amtszeit als „widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staats-diener“ entlassen hatte Scharnhorst war schweigsam und in sich gekehrt, ein Mann, der eher wie ein Schullehrer als ein Offizier des Königs aussah und dessen stille Ausdauer bei widrigen Umständen in scharfem Kontrast zu Steins Zornausbrüchen stand In ihrer politischen und sozialen Anschauung jedoch und in ihrer Einstellung zu der kürzlichen Niederlage stimmten sie weitgehend überein. Beide waren sich im klaren darüber, daß Jena und Auerstädt mehr als ein militärisches Mißgeschick darstellten, daß sie vielmehr ein vernichtendes Urteil über das politische und militärische System der Vergangenheit gesprochen hatten. Beide waren darüber hinaus der Ansicht, daß die offene Distanzierung des preußischen Volkes vom Schicksal seiner Regierung und seiner Armee die schimpflichste Seite des Debakels gewesen war. Sie glaubten, der be-klagenswerte Mangel an Pflichtgefühl und Opfergeist im Volke sei ein klarer Beweis dafür, daß die Masse der Bevölkerung den Staat als ein reines Unterdrückungsinstrument und die Armee als einen mehr dem König als dem Land dienenden Fremdkörper ansah Wenn Preußen fortbestehen sollte, dann mußte in den Massen das Interesse an ihrem Staat geweckt und sie mußten dazu bewogen werden, bereitwillig zu dienen. Oder wie Stein später schrieb: „Man ging von der Haupt Idee aus, einen sittlichen, religieusen, vaterländischen Geist in der Nation zu heben, ihr wieder Muth, Selbstvertrauen, Bereitwilligkeit zu jedem Opfer für Unabhängigkeit von Fremden und für National Ehre ein-zuflöflen, um die erste günstige Gelegenheit zu ergreifen, den blutigen, wagnißvollen Kampf für beydes zu beginnen"

Die Reformer waren allerdings auch einhellig der Überzeugung, daß unter den bestehenden Verhältnissen diese Wiedergeburt unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich sei. Wie konnte von einem märkischen Bauern erwartet werden, als verantwortungsbewußter Bürger zu handeln, solange er noch auf den Rittergütern in Erbuntertänigkeit gehalten wurde? Wie konnte vom städtischen Mittelstand erwartet werden, sich dem Staat gegenüber verpflichtet zu fühlen, solange er von der Teilnahme an der Lokalyerwaltung ausgeschlossen war? Und vor allem: wie konnte von preußischen Untertanen, die zu den Fahnen gerufen wurden, erwartet werden, treu und tapfer in einer Armee zu kämpfen, die sie als Einzelpersonen nicht respektierte, die ihnen während der Dienstzeit keine Gelegenheit zur Beförderung gab und in ihnen eher Kanonenfutter als Bürger sah Die Voraussetzungen für die Wiedergeburt, die notwendig war, um Preußen von der französischen Herrschaft zu befreien, waren also, eine Verringerung der Bürden der Vergangenheit und die Gewährung von sozialen und politischen Grundrechten an alle preußischen Untertanen. Und da die Reformer hiervon überzeugt waren, konnten sie sich nicht mit jener oberflächlichen Reform zufriedengeben, welche die konservativeren Mitglieder der herrschenden Klasse für angemessen hielten. Stein begab sich an die Ausarbeitung eines Programms, das im Oktober 1808 den Stadtgemeinden die Selbstverwaltung bringen sollte. Er hoffte, dieses Programm mit einer durchgreifenden Reform der Zentralregierung und der Errichtung einer Art Nationalvertretung zu krönen, die den „Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staats Behörden“ schaffen würden Scharnhorst und seine Mitarbeiter in der Reorganisationskommission begannen, nicht nur die Mängel zu beheben, die in Jena zutage getreten waren, sondern auch, um mit Scharnhorst zu sprechen, „den Geist der Armee zu erheben und zu beleben, die Armee und Nation inniger zu vereinen und ihr die Richtung zu ihrer wesentlichen und großen Bestimmung zu geben“

Ehe jedoch die ehrgeizigeren Pläne erwogen werden konnten, mußte die Kommission ihre Energien jenem Gegenstand zuwenden, an dem der König am meisten interessiert war, nämlich der Maßregelung von Offizieren, die im letzten Feldzug ohne sichtlichen Grund oder ohne gebührenden Widerstand vor dem Feinde kapituliert und damit gegen den preußischen Ehrenkodex verstoßen hatten. Dieses Geschäft versprach peinlich und kompliziert zu werden, und die Kommission war angesichts der anderen vor ihr liegenden Aufgaben bestrebt, sich herauszuhalten. Und das gelang ihr. Nachdem ihre Mitglieder sich für eine strenge Bestrafung aller eines unehrenhaften Verhaltens für schuldig befundenen Offiziere ausgesprochen und dies zu Protokoll gegeben hatten, setzte der König für das post Wörtern des Jenaer Feldzugs eine separate Untersuchungskommission ein. Die mühselige Tätigkeit dieser Körperschaft zog sich bis 1814 hin, teilweise wegen der Schwierigkeit, Zeugen beizubringen, teilweise weil die Pläne und Akten der Armee auf dem Rückzug verloren gegangen waren. Schließlich wurden nur 208 Offiziere für schuldig befunden, darunter alle, die dem Feind Festungen übergeben hatten, mit Ausnahme von Blücher, der in Lübeck erst kapituliert hatte, als seine Vorräte an Nahrung und Munition erschöpft waren. Davon abgesehen, war die unmittelbar nach dem Feldzug in der Presse hitzig diskutierte Säuberung des Heeres von unfähigen und überalterten Offizieren weit weniger gründlich, als oft angenommen wird, und viele; denen 1806 und 1807 Treu-bruch vorgeworfen wurde, durften im Kriege von 1813 ihr Ansehen wiederherstellen

Die Reformer in der Kommission waren sehr froh, von diesem Aspekt der militärischen Reorganisation befreit zu sein, denn ihr Hauptinteresse lag weniger im Zugerichtsitzen über das Offizierskorps der Vergangenheit, als vielmehr in der Verbesserung des Offizierkorps der Zukunft. Im allgemeinen sah die Reformpartei den besten Weg hierzu in der Beseitigung des Monopols, das der Adel im Offizier-korps innehatte. Scharnhorst wies darauf hin, daß sich der preußische Adel in der Vergangenheit keineswegs durch Lerneifer oder durch ein Interesse an der Hebung seiner militärischen Tüchtigkeit ausgezeichnet habe. Er bekämpfte die von Yorck, von der Marwitz und anderen Offizieren zäh verteidigte These, daß der Mittelstand seinem Wesen nach für die Kriegskunst ungeeignet sei Grölman ging sogar noch weiter als sein Chef „Zuw Fechten“, schrieb er, „ist es nicht nötig, daß man zu einem besonderen Stande gehört. Der traurige Glaube, daß man zu einem besonderen Stande gehören müsse, um sein 'Vaterland zu verteidigen, hat viel dazu beigetragen, es in diesen Abgrund zu stürzen, nur der umgekehrte Grundsatz kann es wieder aufrichten!“ Mit diesen Auffassungen stimmte Stein vollauf überein. Es seien bestimmt nicht die Junker, die Preußen aus seiner gegenwärtigen Notlage erretten würden. Er schrieb: „Was kann man erwarten von den Einwohnern dieser sandigen Steppen, diesen pfiffigen, herzlosen, hölzernen, halbgebildeten Menschen — die doch eigentlich nur zu Korporals und Kalkulatoren gemacht sind“ Die Zeit sei gekommen, argumentieren er und die anderen Reformer, das Offizierskorps fähigen Angehörigen des Mittelstandes zugänglich und für die Erteilung eines Offizier-patents eine angemessene Bildung zum entscheidenden Faktor zu machen.

Trotz seiner angeborenen Abneigung gegen kühne Neuerungen legte der König den Reformern in der Hinsicht keine direkten Hindernisse in den Weg. Wahrscheinlich hat ihn seine Erbitterung über das Verhalten des Adels und insbesondere des Offizierskorps dazu veranlaßt, den Mittelstand mit mehr Geneigtheit zu betrachten, als man erwartet haben mochte Grolman wurde ermutigt, die Einzelheiten eines neuen Auswahlsystems für Offiziere auszuarbeiten, und das Ergebnis seiner Bemühungen war die Order vom 6. August 1808. Darin hieß es: „Einen Anspruch auf Offizierstellen sollen von nun an in Friedenszeiten nur Kenntnisse und Bildung gewähren, in Kriegszeiten ausgezeichnete Tapferkeit und Überblick. Aus der ganzen fVation können daher alle Individuen, die diese Eigenschaften besitzen, auf die höchsten Ehrenstellen im Militär Anspruch machen. Aller bisher stattgehabte Vorzug des Standes hört beim Militär ganz auf, und jeder ohne Rücksicht auf seine Herkunft hat gleiche Pflicltten und gleiche Rechte“

Zur Durchführung dieser weitgehenden Order wurden Bestimmungen erlassen, die jenem System ein Ende setzten, nach dem 12-und 13-jährige Söhne des Adels so lange als Korporale dienen durften, bis sie ihr Offizierspatent erhielten. Von nun an konnte jeder junge Mann, der 17 Jahre alt war und drei Monate als Gemeiner gedient hatte, bei seinem Regiment eine Prüfung zwecks Beförderung zum Portepeefähnrich ablegen. Bei jedem Infanterieregiment waren vierzehn, bei jedem Kavallerieregiment acht Portepeefähnriche zugelassen. Das neue Prüfungssystem wurde auch bei Beförderungen in höhere Chargen angewandt. Bevor ein Fähnrich Leutnant wurde, mußte er vor einer Kommission in Berlin eine zweite Prüfung ablegen; und es bestand — wenigstens anfänglich — die Absicht, alle Offiziere vor einer Beförderung einer Prüfung zu unterziehen

Derartige Neuerungen betrachteten die Offiziere der alten Schule mit Entsetzen. In der Zulassung des Bürgertums zum Offizierkorps sahen sie einen Angriff auf ihren eigenen Stand und einen unzulässigen Eingriff in die ihnen zustehenden Vorrechte. Als Prinz Wilhelm die neuen Bestimmungen zu verteidigen suchte, soll ihm der ungestüme General Yorck erwidert haben: „Wenn Ew. Königliche Hoheit mir und meinen Kindern ihr Recht nehmen, worauf beruhen dann die Ihrigen?“ Die Konservativen — darunter auch Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Reorganisationskommission wie Lottum und Borstell — meinten, es sei nicht ratsam, großes Gewicht auf Bücher-wissen zu legen, denn „auch das viele Lernen ertödtet den Charakter“ und sie scheuten sich nicht, dem König zu verstehen zu geben, daß durch das komplizierte Prüfungssrtem das seit jeher bestehende vertraute Verhältnis zwischen Souverän und Offizieren zerstört werden würde. Diese Einwände verfehlten nicht ganz ihre Wirkung; schon im Anfangsstadium des neuen Systems kam es zu wesentlichen Einschränkungen. So hieß es in den Instruktionen für die Prüfungskommissionen: „Nicht bloß Kenntnisse und Wissenschaften sind die Erfordernisse, die einen braucltbaren Offizier bezeidmen, sondern audt Geistesgegenwart, sdtneller Blick, Pünktlidtkeit und Ordnung int Dienst und anständiges Betragen sind Haupteigensdtaften, die jeder Offizier besitzen muß“ Darin lag fraglos eine vernünftige Sicherung gegen ein Übermaß an Gelehrsamkeit, aber es wurde damit sicherlich auch ein Umgehen der Bestimmungen durch voreingenommene Examinatoren ermöglicht. Zugleich enthielten die neuen Bestimmungen eine Klausel, nach der die Offiziersanwärter, welche die Prüfungen bestanden hatten, erst die Wahl einer Gruppe von Regimentsoffizieren passieren mußten, ehe sie bestallt werden konnten, eine Vorkehrung, die die Sozialstruktur des Offizierskorps gegen größere Erschütterungen abschirmte. Schließlich bekräftigte eine königliche Order vom März 1809 das Recht des Königs, kommandierende Offiziere nach eigenem Ermessen zu ernennen — eine Mahnung an die Reformer, daß er auf seine königlichen Rechte nicht zu verzichten gedachte Diese Vorbehalte konnten jedoch nichts an der Tatsache ändern, daß die Reformer eine tiefe Bresche in das alte System geschlagen hatten. Die Zulassung von Bürgerlichen zum Offizierkorps und das Gewicht, das man nunmehr auf Bildung legte, ergänzten die auf Abtragung der Klassenschranken und Beseitigung sozialer Ungleichheit abzielenden Steinschen Reformen. Die Konservativen hatten zu jener Zeit nicht die Macht, mehr als geringfügige Modifikationen der neuen Bestimmungen durchzusetzen, da die Erinnerung an Jena noch lebendig und der Mangel an intelligenten Ofizieren offenkundig war. So konnte Scharnhorst seinen Weg fortsetzen und die Order vom August 1808 mit einer durchgreifenden Reorganisation der Kriegsschulen ergänzen. Bis Mitte 1810 waren alle Vorbereitungsanstalten, bis auf die Kadettenhäuser in Berlin und Potsdam, aufgelöst. An ihre Stelle traten neue Kriegs-schulen in Berlin, Königsberg und Breslau, in denen „jeder, der Offizier werden wollte" in Neunmonatskursen „alles Notwendige“ lernen konnte. Für die „geistige Förderung“ von Offizieren im allgemeinen wurde in Berlin eine höhere Militärschule — die Keimzelle der späteren Kriegsakademie — gegründet, in der kleine Gruppen ausgewählter Offiziere in einem dreijährigen Lehrgang militärischen Fachunterricht erhielten; dazu gehörten Mathematik, Taktik, Strategie, Schießkunde, Militärgeographie, Französisch und Deutsch, Physik, Chemie, Pferde-pflege und Kasinoverwaltung Die oberste Klasse dieser Akademie, die sogenannte Selekta, wurde das Hauptrekrutierungsgebiet für den Generalstab, und hier, bei der Ausbildung künftiger Stabsoffiziere, gewannen Scharnhorsts Schüler Clausewitz und Tiedemann ihr erstes, in der ganzen Armee verbreitetes Ansehen Die Wirkung der Veränderungen zeigte sich nicht unmittelbar, doch war sie bedeutsam. Bis zum Ende des Jahrhunderts sollte das richtige Verhältnis zwischen Schulwissen und soldatischen Qualitäten Gegenstand hitziger Kontroversen sein; aber es steht außer Frage, daß durch Scharnhorsts Reformen die Zahl der gebildeten Offiziere stark vermehrt wurde, und es galt nun nicht mehr für vornehm, sein Benehmen am Muster des Alten Dessauers auszurichten.

Die Erneuerung des Offizierskorps bildete wohl den erfolgreichsten Teil in der Tätigkeit der Reorganisationskommission. Langsamer und weniger aufsehenerregend ging es mit der Umgestaltung der Armee in eine leistungsfähige Streitmacht. Dafür gab es nätürlich gute Gründe. Die Heeresstruktur und der Rekrutierungsapparat mußten völlig überholt werden, während Napoleon buchstäblich den ganzen Kontinent kontrollierte, was die Anwerbung fremder Soldaten unmöglich machte und das stark verkleinerte Preußen zwang, ausschließlich auf Einheimische zurückzugreifen. Außerdem war es schwierig, den Umfang des stehenden Heeres festzusetzen, ohne zu wissen, bis zu welchen Grenzen es Napoleon und die erschütterten Staatsfinanzen erlauben würden. In den Jahren 1807 und 1808 sah sich die Kommission gezwungen, eher an Herabsetzung als an Erweiterung der Truppenstärke zu denken. Sie ging zunächst von der Annahme aus, das Land könne eine Armee von sechs Divisionen unter Einschluß aller Waffengattungen unterhalten, und mehrere Kabinettsordern setzten neue Stärken für Infanterie-, Kavallerie-und Artillerieeinheiten fest. Aber diese Pläne wurden fast ebenso rasch aufgegeben, wie sie aufgestellt worden waren. AIs Napoleon im September 1808 auf Grund des Pariser Vertrags die Höchststärke der preußischen Armee auf 42 000 Mann beschränkte, mußte alles wieder umgeworfen werden. An die Stelle der geplanten Sechs-Divisionen-Armee mußte ein Heer treten, das aus sechs kombinierten Brigaden — jede bestehend aus sieben bis acht Infanteriebataillonen und zwölf Kavallerieschwadronen — und drei Artilleriebrigaden zusammengesetzt war

Der Pariser Vertrag beschränkte nicht nur den Umfang des Heeres, sondern untersagte auch außergewöhnliche Maßnahmen zur LandesVerteidigung und die Aufstellung einer Zivilgarde Diese Bedingung war für die Reformer ein noch schwererer Schlag als die Begrenzung der Heeresstärke. Scharnhorst, Gneisenau und Grolman versuchten, allerdings vergebens, den König zu bewegen, daß er sie ablehnte, denn sie durchkreuzten ihre Pläne, das Aushebungssystem völlig zu reformieren und eine wirkliche Nationalarmee aufzubauen. Gneisenau befürchtete vor allem, der Pariser Vertrag werde den von Natur zaghaften König verleiten, sich mit dem Wiederaufbau eines stehenden Heeres alten Stils zufriedenzugeben, mit einer Armee, wie er verächtlich schrieb, die mehr als alles andere dazu beigetragen habe, die Völker zu schwächen, die den Kampfgeist der Nation und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl dadurch untergraben habe, daß sie gewisse Teile der Bevölkerung von der Pflicht der Vaterlandsverteidigung befreit hätte Obwohl einige Mitglieder der Kommission in den ersten Monaten ihrer Tätigkeit von der Fortdauer des alten Kantonsystems mit all seinen Ausnahmen gesprochen hatten, waren doch die Reformer — sowohl innerhalb der Kommission als auch außerhalb, wie Stein und Oberpräsident von Schön — fest entschlossen, das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht durchzusetzen; wer nicht zur Armee einberufen wurde, sollte zum Dienst in einer Art National-miliz verpflichtet werden. Am 15. März 1808 reichte die Kommission dem König eine Denkschrift ein, worin sie die Anwendung des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht empfahl; und im Dezember desselben Jahres erweiterte sie ihre Forderung, indem sie die Aushebung aller Männer zwischen 20 und 3 5 vorschlug. Ferner empfahl sie, keinerlei Ausnahme zu gestatten, über den Dienst im regulären Heer durch das Los entscheiden zu lassen und Pläne für eine mit dem regulären Heer zusammenwirkende Reservemiliz auszuarbeiten

Man darf die Bedeutung, die die Reformer dieser Seite ihrer Tätigkeit beimaßen, nicht unterschätzen. In einem Brief, den Stein nach seiner zweiten Amtsentlassung schrieb, hob er hervor, daß sich die „Allgemeinheit der Verpflichtung zu Kriegsdiensten, die sich auf jeden Stand der bürgerlichen Gesellschaft ausdehnt", nur durch die Verbindung von stehendem Heer und Miliz erreichen lasse. Er fügte hinzu: „Durch sie wird es möglich, einen hochherzigen, kriegerischen Nationalcharakter zu bilden, langwierige entfernte Eroberungskriege zu führen und einen Nationalkrieg einem übermächtigen feindlidten Anfall entgegen-zusetzen“ Hermann von Boyen, der als Fähnrich in Königsberg Kant gehört hatte und später eine ernstzunehmende Studie über dessen Philosophie schrieb, teilte Steins Ansichten Boyen sah in einer wirklichen Nationalarmee gar die künftige „Schule der Nation“, die bei den in ihr dienenden Bürgern den Sinn für Pflicht wecke und sie auf eine bewußte Teilnahme am öffentlichen Leben vorbereite Um die Armee zu solch einem Instrument zu machen, hatte Boyen seit langem auf die Abschaffung der brutalen Disziplin der alten Armee gedrängt, und es war in erster Linie seinem und dem Einfluß Gneisenaus zu verdanken, daß die am 3. August 1808 erlassenen neuen Kriegsartikel die Körperstrafe bei geringfügigen Vergehen untersagten und ein militärisches Rechtssystem einführten, welches den einzelnen Soldaten gegen Willkürurteile seines Vorge-setzten schützte Die neuen Kriegsartikel waren sichtlich zu dem Zweck entworfen, in jenen Ständen, die bisher vom Militärdienst ausgenommen gewesen waren und jetzt — wenn die Reformer sich durchsetzten — entweder in der regulären Armee oder in der Miliz dienen sollten, die Abneigung gegen das Militärleben zu vermindern. Bezeichnenderweise heißt es in den Artikeln ausdrücklich: „Da künftig jeder Untertan des Staats ohne Unterschied der Geburt unter den noch näher zu bestintutenden Zeit-und sonstigen Verhältnissen zum Kriegsdienste verpflichtet werden soll ..."

Es war jedoch leichter, den König zur Unterzeichnung solcher prinzipiellen Erklärungen zu überreden, als ihn zu bewegen, sie in die Tat umzusetzen. Als die Reorganisationskommission im Dezember 1808, wie bereits erwähnt, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht empfahl, rührte sich der König nicht. Friedrich Wilhelm wollte nicht das Berufsheer durch ein Volksheer ersetzt sehen. In seinem Widerstand wurde er unterstützt von seinen Finanzberatern, die ihm sagten, ein Volksheer würde den Staat ruinieren, von Männern wie Niebuhr, die aus religiöser Überzeugung dagegen waren, und von provinziellen Stellen, die in solcher Neuerung eine gefährliche französische Idee sahen Was die Pläne für eine Nationalmiliz anging, so war der König von vornherein abgeneigt. Nach allem, was er aus der englischen und französischen Geschichte wußte, glaubte er, Milizen seien der königlichen Autorität gegenüber feindselig eingestellt; darüber hinaus befürchtete er, daß die Schaffung einer zweiten Streitmacht das Ansehen und schließlich auch die Schlagkraft des stehenden Heeres vermindern werde Der Pariser Vertrag war für die Reformer insofern ein schwerer Schlag, als er dem König zusätzlich einen Grund bot, ihr Programm nicht zu befolgen. Eine noch ernstere Beeinträchtigung erfuhr ihre Sache, als Napoleon im November 1808 wieder einmal Einfluß auf die Angelegenheiten Preußens nahm und die Entlassung Steins erzwang. Der Sturz dieses unerschrockenen Kämpfers für eine grundlegende Reform ließ die Herzen der Konservativen höher schlagen. Yorck schrieb beispielsweise: „Ein unsinniger Kopf ist schon zertreten; das andere Natterngeschmeiß wird sich in seinem eigenen Gift selbst auflösen“ Diese Vorhersage war zwar verfrüht, aber es läßt sich nicht leugnen, daß der Einfluß der Reformer im Schwinden begriffen war. Jedenfalls kamen sie mit ihren Plänen für die allgemeine Wehrpflicht und die Nationalmiliz nicht voran. Bis 1813 blieb das alte Kantonsystem mit allen herkömmlichen Ausnahmen in Kraft, und es wurden keine Schritte zur Aufstellung zusätzlicher Formationen aus dem Volke vorgenommen.

Mit der Beibehaltung des Kantonsystems wurden nicht nur die Grundziele der Reformer blockiert, es war hierdurch auch jede merkliche Erhöhung der Heeresstärke unmöglich. Nach 1807 und vor allem nach 1809 versuchte man, eine Reserve hauptsächlich mit Hilfe des soge-nannten Krümpersystems zu schaffen. Nach diesem System wurden von jeder Kompanie oder Schwadron Neuausgehobene nach kurzer Ausbildung wieder entlassen, um anderen Platz zu machen. Der Glaube, es sei ursprünglich beabsichtigt gewesen, damit die Bedingungen des Vertrags mit Frankreich zu umgehen, und man habe auf diese Weise eine Geheimarmee von 150 000 Mann ausgebildet, hat sich längst als patriotische Legende erwiesen Das von Scharnhorst erstmalig im Juli 1807 empfohlene Krümpersystem war lediglich dazu gedacht, Ersatzreserven für den Krieg auszubilden. Es wurde erst 1809 auf die ganze Armee angewandt, 1811 bereits wieder ausgesetzt, und war weit weniger wirkungsvoll, als man sich vorgestellt hatte. Bei Ausbruch des Krieges von 1813 zählte die preußische Armee mitsamt ihren ausgebildeten Reserven nur 65 675 Offiziere und Mannschaften

Aus alledem darf indes nicht gefolgert werden, die Reformer hätten nur wenig ausgerichtet. Wenn sie auch in ihrem Bestreben, ein echtes Volksheer zu schaffen, behindert worden waren, so hatten sie doch zumindest den Grund gelegt, auf dem solch eine Armee zu irgendeinem späteren Zeitpunkt errichtet werden konnte. Darüber hinaus waren gewisse Neuerungen, wie die Zulassung von Bürgerlichen zum Offizierkorps und die Revision der Militärjustiz, von der Öffentlichkeit günstig ausgenommen worden; sie trugen dazu bei, den im Volke seit Jena herrschenden starken Unwillen gegen Staat und Armee zu vermindern. Die Reformer waren realistisch genug zu erkennen, daß sie nun die Ereignisse abwarten mußten. Sie hofften, die wachsende Anmaßung Napoleons und die immer stärker werdende Erbitterung des Volkes über die französischen Kontributionen würden schließlich den König dazu bringen, seinen vorsichtigen Kurs aufzugeben und wieder zu den Waffen zu greifen. Wenn es so weit war, wollten sie ihn dazu bewegen, das in den Jahren 1807 und 1808 so gut angelaufene Werk zu vollenden und das Volksheer zu schaffen, in das sie so große Erwartungen setzten.

Davon ganz abgesehen, hatten Scharnhorst und seine Mitarbeiter allen Grund, zufrieden zu sein, denn sie hatten innerhalb der bestehenden Streitmacht entscheidende technische Verbesserungen bewirkt. Die Grundausrüstung der Armee, angefangen bei der Uniform bis zum schweren Geschütz, wurde einer kritischen Überprüfung unterzogen. Man bemühte sich eifrig, die Beschaffung und Wirksamkeit von kleineren Waffen und Artilleriegeschützen zu verbessern; es wurden neue Waffengießereien errichtet, obwohl die schwachen Staatsfinanzen die Produktion stark begrenzten. Auf dem Gebiet der Taktik wurden ernsthafte Anstrengungen gemacht, aus der französischen Praxis Nutzen zu ziehen; man gab neue Ausbildungshandbücher heraus, die besonderes Gewicht auf den Einsatz leichter Truppen, die Säulen-gliederungen und das Zusammenwirken aller Waffengattungen im Felde legten. Was das letztere anging, so ermöglichte es die nach dem Pariser Vertrag von 1808 eingeführte Brigadeordnung den Infanterie-und Kavallerieeinheiten, gemeinsame Übungen zu machen und sich an jene Art von Zusammenwirken in der Schlacht zu gewöhnen, an der es 1806 so offensichtlich gemangelt hatte. Die Brigadeorganisation machte auch eine vollständige Überholung der Versorgungsdienste möglich; Nachschubverteilung und Rechnungsführung wurden nun unter einem neu eingerichteten Kriegskommissiariat zusammengefaßt, das in jeder der sechs Brigaden Vertreter hatte

Unter diesen vielen technischen Neuerungen war die bedeutendste die im März 1809 erfolgte Schaffung des neuen Kriegsministeriums. Hier macht sich, wie auch bei vielen militärischen Reformen, Steins Einfluß bemerkbar. In gewissem Sinne entstand das neue Amt als Folge von Steins Kampf gegen eine Regierung, die nicht verfügungsberechtigt war, und gegen die Anhäufung von Funktionen in der Staatsverwaltung. In einer Denkschrift vom 23. November 1807 empfahl er, die gesamte Staatsverwaltung unter fünf Ministerien zusammenzufassen, deren verantwortliche Leiter ein Staatsministerium bilden und dem König direkt vortragen sollten. Unter diesen Ministerien, betonte er, müsse eines ein Kriegsministerium sein, das für alle militärischen Angelegenheiten zuständig sei Der König, der für Reformpläne, die die Zivilverwaltung betrafen, stets mehr übrig hatte als für Projekte, die seine militärischen Vorrechte tangierten, ließ acht Monate verstreichen, ehe er — versuchsweise — dieser Idee seine Billigung gab, und erst im Dezember 1808 ergingen endgültige Anweisungen zur Errichtun•g eines Kriegsministeriums.

Darin hieß es: „Zum Geschäfts-Kreis des Kriegs-Departements gehört Alles, was auf das Militair, dessen Verfassung, Errichtung, Erhaltung . . . Bezug hat. Es wird demselben alles beigelegt, was bisher ZUM Geschäfts-Kreis des Ober-Kriegs-Kollegii, des Militair-Departe-wents des General-Directorii und der Provincial-Magazin-Departements von Schlesien und Preußen, so wie der General-Intendantur . . . gerechnet worden ist“ Das neue Ministerium bestand aus zwei Abteilungen, dem Allgemeinen Kriegsdepartement und dem Militär-Ökonomiedepartement. Das für alle Fragen der Verwaltung und Führung zuständige Allgemeine Kriegsdepartement umfaßte drei Unterabteilungen: Die erste behandelte Personalfragen, darunter Beförderungen, Besoldung, Auszeichnungen, Rechtswesen und Entlassungen; die zweite befaßte sich mit Ausbildung, Erziehung, Kriegsplanung und Mobilmachung; die dritte war zuständig für Geschütz-und Pionierwesen, Befestigungen und die Erprobung neuer Erfindungen. Das Militär-Ökonomiedepartement hatte vier Unterabteilungen und sollte sich mit allen Finanz-und Versorgungsangelegenheiten befassen

Nachdem der König dies alles bewilligt hatte, scheute er bezeichnenderweise vor dem letzten die Reform vervollständigenden Schritt zurück. Er lehnte es ab, einer einzigen Person zuviel Macht in militärischen Angelegenheiten zu übertragen. Stattdessen wurde Scharnhorst mit dem zusätzlichen Titel Chef des Generalstabs zum Leiter des Allgemeinen Kriegsdepartements ernannt, während der konservative Graf Lottum Leiter des Militär-Ökonomiedepartements wurde. Beide Offiziere erhielten das Recht, beim König unmittelbar Vortrag zu halten und, wenn erforderlich, mit anderen Ministerien und Abteilungsleitern Verbindung aufzunehmen.

Wenn es auch bis 1814 nicht zur Ernennung eines die beiden Abteilungen unter sich vereinigenden Kriegsministers kam, so richtete doch des Königs Vorsicht keinen allzu großen Schaden an. Als im März 1809 das Ministerium seine Tätigkeit aufnahm, dominierte in ihm Scharnhorsts Persönlichkeit, und die beiden Departements scheinen freundschaftlich zusammengearbeitet zu haben. Daß die kommandierenden Generale, die in Friedenszeiten dem Ministerium unterstanden, über die Neuschöpfung nicht erbaut waren, ist natürlich Das Kriegsministerium hat sich dann während der ganzen langen Zeit seines Daseins, nämlich bis 1918, gezwungen gesehen, um seine Zuständigkeiten und sogar um seine Existenz zu kämpfen, und das nicht immer mit Erfolg. Aber in der zur Rede stehenden Epoche war seine Stellung nicht ernsthaft umstritten, was ihm ermöglichte, dem Militärwesen einen Grad von Einheitlichkeit zu geben, der zu Zeiten des alten Regimes unbekannt gewesen war. Die untereinander wetteifernden Ämter, deren Fehden in so hohem Maße zu dem Durcheinander bei Jena beigetragen hatten, verschwanden jetzt oder wurden dem neuen Ministerium untergeordnet. So gingen die Funktionen der allmächtigen Generaladjutantur an die unter Grolman stehende erste Unterabteilung des Allgemeinen Kriegsdepartements über, während der alte Generalquartiermeisterstab seine Aufgaben an die zweite Unterabteilung abtrat, deren erster Chef Boyen war; das Oberkriegskollegium und das Militärdepartement verschwanden gänzlich An sich war diese Zentralisierung ein hoffnungsvoller Auftakt für die Zukunft. Noch hoffnungsvoller war die Tatsache, daß das neue Ministerium, dem seiner Schaffung zugrunde liegenden Gedanken gemäß, ständig mit den anderen vier Ministerien Zusammenarbeiten und daß sein Minister Mitglied des Staatsministeriums sein sollte. Im richtigen Sinne angewandt, bedeutete dies, daß das Militärwesen nicht länger mehr eine von den anderen Zweigen der Staatsverwaltung losgelöste Welt für sich bilden würde. Damit, so glaubten die Reformer, würde auch der Tag nicht mehr fern sein, an dem die Kluft zwischen Armee und bürgerlicher Gesellschaft überbrückt werden könnte.

2. Der Sieg über Napoleon

Im April 1809 kamen die schon lange schwelenden Spannungen zwischen Österreich und Frankreich zum Ausbruch. Österreichische Truppen fielen in Bayern ein, und ihr Befehlshaber, Erzherzog Karl, rief alle Deutschen auf, sich um das Freiheitsbanner zu scharen und Napoleon über den Rhein zurückzutreiben Die Reaktion in Preußen war spontan und leidenschaftlich. Wer nach den ersten greifbaren Resultaten des Reformprogramms von 1807— 1809 sucht, wird sie vielleicht in dem sich nun manifestierenden Kriegswillen finden. Von der Mutlosigkeit und Passivität, die in der Zeit nach Jena vorgeherrscht hatten, war kaum noch eine Spur zu merken. In der Armee selbst glaubten sowohl die Reformer wie die extremen Konservativen, Preußen müsse trotz der noch bestehenden Unzulänglichkeit seiner Streitkräfte diese Gelegenheit ergreifen. Frühere Gegner der Reformen, wie Kalchreuth und Borstell, riefen offen zum Eingreifen auf, während Marwitz und Knesebeck Österreich ihre Dienste anboten Das Verlangen nach Krieg beschränkte sich auch nicht allein auf militärische Kreise. Patrioten wie Arndt Fichte Appelle an die Öffentlichkeit, die richteten und mit Begeisterung ausgenommen wurden. Und als Major von Schill auf eigene Faust hundert Husaren vom Berliner Exerzierplatz fort zum Angriff auf das Königreich Westfalen führte, erregte sein unglückliches Unternehmen solch einen Sturm der Leidenschaft, daß Borstell den König davor warnte, disziplinarisch gegen die Insubordination Schills vorzugehen, da es sonst leicht zu einer Revolution in Berlin kommen könnte

Die Führer der Reformpartei versuchten den König dahin zu bringen, die Stimmung im Volke auszunutzen. Scharnhorst drängte nicht nur auf ein sofortiges Bündnis mit Österreich, er legte auch einen neuen Plan zur Verwirklichung der allgemeinen Wehrpflicht vor, einen Plan, nach dem zunächst das stehende Heer durch eine aus ehemaligen Soldaten zusammengesetzte ausgebildete Reserve und durch eine Reihe freiwilliger Jägerbataillone ergänzt werden sollte, die selber für Ausrüstung und Montur aufkommen konnten Aber Friedrich Wilhelms Sinn stand nicht nach Heldentaten. Lehmanns Urteil, daß der König in dieser kritischen Stunde seines Landes handelte, als sei er „völlig von der Überlegenheit seines Gegners, der Verderbtheit seines Volkes und der Unfähigkeit seiner Ratgeber und Kommandeure überzeugt“, ist nicht von der Hand zu weisen Zwar trat er in Verhandlungen mit der österreichischen Regierung ein und scheint auch Beistand zugesagt zu haben, doch machte er diesen abhängig von Zusicherungen, die im Jahre 1809 niemand geben konnte. Der König wollte erst sicher gehen, daß Rußland nichts gegen ein Eingreifen Preußens einzuwenden hätte, daß England das Unternehmen tatkräftig unterstützen werde und daß Österreich und tatsächlich schlagen könnten. Im Preußen Napoleon Grunde seines Herzens glaubte er an nichts von alledem, und daher wollte er sich weder auf einen Krieg einlassen, noch irgendeinen von Scharnhorsts Plänen durchführen. Nicht einmal Napoleons Niederlage bei Aspern konnte ihn aus seiner lähmenden Angst befreien, und als Wagram allen hochfliegenden Hoffnungen von 1809 ein Ende gereitete, neigte Friedrich Wilhelm in seiner Reaktion eher zur Selbstzufriedenheit als zum Unbehagen. Die Patrioten jedoch waren erschüttert und entmutigt. Der alte Blücher, der Verteidiger Lübecks, der dem König versprochen hatte, er würde die Franzosen mit 30 000 Mann aus Deutschland verjagen, zog sich voller Zorn in sein Hauptquartier in Stargard zurück. Bald liefen alarmierende Gerüchte über den alten Krieger um: er sei nicht mehr richtig im Kopfe und bilde sich ein, schwanger zu sein — mit einem Elefanten Gneisenau nahm seinen Abschied aus der Armee, diente aber weiterhin dem Staate als Geheimagent und übernahm Missionen nach London und St. Petersburg. Grolman, der den kurzen Feldzug als Stabsoffizier in der österreichischen Armee mitgemacht hatte, reiste nach England und trat im Frühjahr 1910 in Spanien in eine neugebildete Fremdenlegion ein, bei der er bis 1812 blieb und in deren Dienst er sich auszeichnete

Die Entmutigung wurde noch größer, als in den Jahren 1810 und 1811 der andernorts bedrängte Napoleon begann, Preußen stärker auszupressen. Im Januar 1810 forderte der Kaiser peremptorisch Zahlung der im Vertrag vom 8. September 1808 festgesetzten Entschädigungssumme. Als das Ministerium Dohna-Altenstein um weiteren Aufschub bat, zeigte Napoleon, daß ihm Scharnhorsts Bemühungen um die Wiederherstellung der preußischen Militärmacht nicht entgangen waren. Er gab zu verstehen, daß Preußen, sofern es nicht statt der Entschädigungssumme die Provinz Schlesien abtreten wolle, das Geld ja durch Reduzierung der preußischen Armee auf eine königliche Garde von 6000 Mann zusammenbringen könne. In der sich anschließenden Krise kam es zum Sturz des Ministeriums, das — nach einem von Scharnhorst mutig geführten Kampf — vorgeschlagen hatte, lieber Schlesien oder zumindest einen Teil der Provinz abzutreten, als das Heer völlig zu zerschlagen; und zu guter Letzt wurde auch noch Schlesien gerettet, als Hardenberg im Juni Staatskanzler wurde und es ihm gelang, den Vertreter des Kaisers davon zu überzeugen, daß die verlangten Gelder ohne Verzug zusammengebracht würden Auch so noch war die Krise für die Hoffnungen der Patrioten beinahe katastrophal. Hardenbergs Finanzmaßnahmen bedeuteten eine schwerwiegende Reduzierung der für die Armee verfüglichen Geldmittel, während seine Verwaltungsreformen eine innere Zwietracht hervorriefen, die die Einigkeit und den Optimismus des vergangenen Jahres zunichte machte Darüber hinaus verlangte er, obwohl Napoleon nachsichtig war, noch vorher ein Opfer: Scharnhorst wurde gezwungen, von seinem Posten als Chef des Allgemeinen Kriegsdepartements abzutreten, ein Ereignis, das die Einheit und den Willen dieser Körperschaft schwächte, wenn auch Scharnhorst seine Überwachungsfunktionen weiterhin ausüben durfte. Schließlich stürzten die seelischen Aufregungen des Jahres 1810 sowie der plötzliche Tod seiner Gemahlin den König in eine fatalistische Ergebenheit gegenüber den Schicksalsschlägen. Die Königin selbst hatte kurz vor ihrem Tod geschrieben: „Es wird immer klarer, daß alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbar neue Welt-zustände ein, und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sidt überlebt hat . .. Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit sdtuf. Wir sind nidtt fortgeschritten mit ihr, deshalb überflügelt sie uns . . . Ganz unverkennbar ist alles, was geschehen ist und geschieht . . ., nur die Bahnung des Weges zu einem besseren Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber in weiter Entfernung zu liegen; wir werden es wahrscheinlich nicht erreicht sehen und darüber hinsterben. Wie Gott will! Alles wie er will!“

Gramgebeugt durch seinen Verlust, machte sich Friedrich Wilhelm diese Anschauung zu eigen und wurde, während er in der Religion Trost suchte, dem Schicksal seines Landes gegenüber offenbar gleichgültig

Im Laufe des Jahres 1811 brachte das Verhalten des Königs die Reformer zur Verzweiflung. In diesem Jahr traten die ersten deutlichen Anzeichen eines möglichen Bruches zwischen Frankreich und Rußland zutage, und die Reformpartei reagierte darauf genau so wie auf den österreichischen Krieg von 1809. Wieder bedrängte sie den König, die Mobilmachung aller wehrfähigen preußischen Untertanen zu genehmigen. Der Hauptsprecher war diesmal Oberst von Gneisenau, der Held von Kolberg, der zu dem Schluß gelangt war, daß Preußen nur durch eine Massenerhebung des Volkes gerettet werden könnte. Und wenn das Volk den Staat gerettet habe, müsse es eine Verfassung und alle anderen Privilegien einer Volksvertretung erhalten. Im Sommer 1811 richtete Gneisenau eine beredte, ausführliche Denkschrift an den König, worin er ihn dringend aufforderte, beim ersten Anzeichen eines Konflikts zwischen Frankreich und Rußland sein Volk zu den Fahnen zu rufen. An den Rand dieses Dokuments kritzelte der König zwei Bemerkungen: „Keiner würde kommen!" und „Als Poesie — gut!“ Über die letztere Randbemerkung gekränkt, schrieb Gneisenau: Religion, Gebet, Liebe zum Regenten, zum Vaterland sind nichts anderes als Poesie; keine Herzenserhebung ohne poetische Stimmung. Wer nur nach kalter Berechnung handelt, wird ein starrer Egoist. Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet“ Friedrich Wilhelm scheint hierauf nicht erwidert zu haben.

Aber es war nicht allein der König, der den Reformern im Wege stand. Auch Hardenberg war immer noch nicht überzeugt, daß es ratsam sei, ihre Projekte durchzuführen. Obwohl man in reaktionären Kreisen annahm, der neue Staatskanzler sei von derselben Farbe wie Stein, Scharnhorst und Gneisenau, so vertrat er doch in Wirklichkeit einen ganz anderen Standpunkt. Er setzte weit weniger Vertrauen in die Massen als zum Beispiel Gneisenau, und infolgedessen besaß für ihn die Idee eines Volkes in Waffen geringere Anziehungskraft. Sein Hauptinteresse galt außerdem der Außenpolitik, einem Gebiet, auf dem seine Begabung sich mit der Metternichs und Talleyrands messen konnte. Er hatte auch einen größeren Weitblich und einen schärferen Sinn für Realitäten als die Reformer. Sein Wunsch, Preußen vom französischen Joch zu befreien, wurde gedämpft durch seine Abneigung, an die Stelle der französischen Vorherrschaft in Mitteleuropa die russische treten zu sehen; er war nicht willens, Preußens Geschicke mit denen Rußlands zu verbinden, solange er nicht Gewißheit über die letztlichen Absichten des Zaren hatte. Daher operierte Hardenberg während der zweiten Hälfte des Jahres 1811 sehr vorsichtig; obwohl Scharnhorst ermächtigt wurde, mit den Russen Besprechungen zu führen, so prüfte doch der Staatskanzler die Vorteile eines Militärbündnisses mit Napoleon und stemmte sich unterdessen mit seinem ganzen Einfluß gegen irgendwelche Mobilisierungspläne

Im Spätherbst erreichten die französisch-russischen Beziehungen ihren Tiefpunkt, und beide Länder begannen, Druck auf die preußische Regierung auszuüben. Napoleon verlangte nun von Preußen, entweder dem Rheinbund beizutreten oder ein bedingungsloses Offensiv-Defensiv-Bündnis mit Frankreich einzugehen. Der Zar seinerseits versprach, Preußen gegen die Folgen einer Ablehnung der französischen Bedingungen zu schützen. Unter dem Zwang, zwischen diesen Alternativen wählen zu müssen, schlug sich Hardenberg zur Reformpartei und riet zu einem Bündnis mit Rußland. Doch der König war von der späten Bekehrung Hardenbergs nicht überzeugt und beschloß im November 1811 — zum Schrecken der Reformer und des größten Teils der Armee —, sich Napoleon zu beugen und das von dem Kaiser gewünschte Bündnis abzuschließen.

Der französisch-preußische Vertrag, der im März 1812 ratifiziert wurde, schien alles sinnlos zu machen, was seit 1807 getan worden war, um ein starkes Heer zu schaffen. Seine wichtigste Bestimmung war die, daß Preußen im Falle eines französisch-russischen Krieges dem Kaiser ein Hilfsheer von 20 000 Mann zu stellen hatte. Aber es gab noch andere Klauseln, die nicht minder schimpflich waren. So durften ohne Napoleons Genehmigung in Preußen keinerlei Mobilmachungsbefehle oder Truppenbewegungen erfolgen; von den preußischen Festungen sollten zwei sofort von französischen Einheiten besetzt werden, und die ganze Strenge der französischen Besatzung sollte wiederhergestellt werden. Die moralischen Folgen des Pakts waren verheerend. Dreihundert preußische Offiziere — fast ein Viertel des Offizierskorps — reichten entrüstet ihren Abschied ein; zu ihnen gehörten auch Boyen und Clausewitz. Clausewitz schrieb über den Vertrag: „Ich glaube und bekenne, daß der Schandfleck einer feigen Unterwerfung nie zu verwischen ist; daß dieser Gifttropfen in dem Blut eines 'Volkes in die Nachkommenschaft übergeht und die Kraft späterer Geschlechter lähmen und unter-_ graben wird“ Auch Scharnhorst kam um seinen Abschied ein, der ihm aber auf Rat Hardenbergs verweigert wurde. Trotzdem trat der Führer der Militärreformer seinen Posten als Chef des Generalstabs an Oberst von Rauch ab und zog sich nach Breslau zurück, wo er viele seiner verdrossenen Jünger wiederfand und wo auch Blücher voller Ungeduld im Exil lebte

Die Trübsal des Breslauer Kreises war jedoch nicht von langer Dauer. Im Juli marschierte Napoleon, dem ein preußisches Korps unter Yorck widerwillig Beistand leistete, in Rußland ein. Im Dezember strömten seine desorganisierten Truppen durch Ostpreußen zurück, und damit war Preußens große Stunde gekommen.

Man konnte nicht erwarten, daß der König diese Gelegenheit sofort erkennen würde. In seinem Berliner Schloß saß er weit vom Schauplatz der französischen Katastrophe entfernt, und es ist erklärlich, daß er den aufregenden Meldungen keinen Glauben schenkte. Tatsächlich scheint Friedrich Wilhelm allein dem Genie Napoleons vertraut zu haben, und da er nicht vergessen konnte, daß auf Aspern ein Wagram gefolgt war, verhinderte er jegliches ministerielle Handeln, das auf eine Ausnutzung der französischen Rüdeschläge hinzielte. Doch diesmal wurde die Macht, über die Ereignisse zu bestimmen, dem Souverän aus den Händen gerissen. Am 30. Dezember schloß General Yorck — ganz auf eigene Faust — mit dem Kommandeur der vordringenden russischen Truppen die Konvention von Tauroggen, zog sein Hilfskorps aus dem Kampf und verkündete dessen Neutralität

Und bevor noch der verblüffte König Gelegenheit hatte, Yorcks Handlungsweise zu verwerfen, traf Stein, vom russischen Hof kommend, in Ostpreußen ein, berief zusammen mit Yorck den ostpreußischen Landtag ein und veranlaßte diesen, alle wehrfähigen Männer zwischen 18 und 45 zur Landwehr einzuberufen, um die Provinz gegen französische Repressalien zu schützen

Hiernach gab es kein Zurück mehr. Der König siedelte von Berlin nach Breslau über, wo die Reformpartei das Übergewicht hatte, und setzte fast unmittelbar darauf ein Komitee ein, dessen führendes Mitglied Scharnhorst war und das so rasch wie möglich die Verstärkung des preußischen Heeres vornehmen sollte. Die ersten Befehle, die von diesem Komitee ergingen, brachten lediglich das Heer auf volle Stärke, vermehrten die Zahl der Regimenter und verteilten die ausgebildeten Mannschaften auf die neuen Formationen. Doch am 3. Februar wurden die ersten der von den Reformern so lange ersehnten Maßnahmen Wirklichkeit: es kam die Genehmigung zur Aufstellung von Abteilungen Freiwilliger Jäger, und an die bemittelten Klassen, die früher von der Wehrpflicht ausgenommen waren, erging der erste Aufruf. Wirklichkeit wurde endlich auch die allgemeine Wehrpflicht: am 9. Februar wurden die bestehenden Befreiungen für die Dauer des Krieges aufgehoben. Als am 17. März eine königliche Order die Schaffung einer Landwehr nach ostpreußischem Muster bekanntgab, die alle nicht in der regulären Armee oder bei den Jägern dienenden Männer zwischen 17 und 40 umfassen sollte, und als einen Monat später das Landsturmedikt die bisher nicht erfaßten Männer zur Verteidigung der Heimat und im Falle der Not sogar zum Heckenschützenkrieg aufrief, hatte sich endlich der Traum der Reformer von dem Volk in Waffen erfülltC

Im Januar und Februar, als die ersten dieser Befehle erlassen wurden, ließ man noch im unklaren, welchen Zweck die übereilte Mobilmachung hatte. Preußen entledigte sich zwar seiner Verpflichtung gegen Napoleon, traf aber auch keinerlei formelles Abkommen mit Rußland; in völkerrechtlicher Hinsicht näherte sich seine Stellung der Neutralität. Doch bei den Freiwilligen, die zu Tausenden in die preußischen Kantonnements strömten, bestand keinerlei Zweifel: sie wußten, daß sie gegen Frankreich kämpfen sollten, und die überall herrschende Einmütigkeit riß den König mit. Friedrich Wilhelm spielte zwar vorübergehend mit dem Gedanken, sich mit Waffengewalt zwischen Franzosen und Russen zu stellen, und sandte auch tatsächlich eine Sondermission ins russische Hauptquartier, die aber von Stein mit einiger Mühe aufs Nebengleis geschoben wurde Dies jedoch war das letzte Zögern vor dem entscheidenden Schritt. Am 27. Februar wurde ein Militärbündnis mit Ruß-land abgeschlossen, am 16. März erklärte Friedrich Wilhelm Napoleon den Krieg, und am Tage darauf erließ er seinen berühmten Aufruf „An mein Volk“, worin zum erstenmal in der preußischen Geschichte ein Monarch seinem Volk die zwingenden Gründe für die jetzt von ihm geforderten Opfer erläuterte

In den sogenannten Freiheitskriegen wurde das Werk der Reformer auf die Probe gestellt, und es wurde in deren Verlauf für gut befunden. 1813 schickte Preußen annähernd 280 000 Mann ins Feld — etwa 6 v. H.seiner Gesamtbevölkerung —, eine Leistung, die es nicht vollbracht haben würde ohne die von Scharnhorst und seinen Mitstreitern beharrlich geforderte Form totaler Mobilmachung. Der Anteil ausgebildeter Soldaten war verhältnismäßig klein; im März 1813 hatte die Linienarmee eine Stärke von nur 68 000 Mann, und die voll ausgebildeten Einheiten wurden bei Groß-Görschen und Bautzen, in den ersten Schlachten, stark dezimiert Allerdings erwiesen sich die Abteilungen Freiwilliger Jäger bald als Sammelbecken für Offiziersersatz, während die Landwehr — nach anfänglicher Konfusion und einigem Widerstand gegen die Aushebung auf Seiten der schlesischen Bevölkerung, die von jeher von der Wehrpflicht ausgenommen gewesen war — nicht nur die Verluste der Linientruppen wettmachte, sondern auch das Menschen-material für eine rasche Erhöhung der Gesamtstärke stellte Dies geschah zudem noch, ohne daß der ursprüngliche Charakter der Landwehr als gesonderte Miliz aufgegeben wurde. Als bei der Reorganisierung der Streitkräfte während der Waffenruhe vom Juni 1813 Vorschläge gemacht wurden, eine kleine Anzahl Landwehrrekruten in die Linienarmee einzureihen, kam es zu entschiedener Ablehnung, teils weil der König in eifersüchtigem Bestreben den Standesgeist seiner Linien-truppen zu erhalten suchte, teils aber auch, weil Reformer wie Boyen sich erfolgreich bemühten, die Einmaligkeit der Landwehr als eines Bürgerheers mit eigener Führung und eigener Tradition zu bewahren. Daraufhin erfolgte der Aufbau der Landwehr nach Regimentern, die besonders gekennzeichnet waren und eigene Uniformen trugen und Seite an Seite mit den Linienregimentern kämpften. Mitte 1813 umfaßte sie 3 8 Infanterie-und 30 Kavallerieregimenter und besaß eine Gesamtstärke von etwa 120 000 Mann. Ohne diese Ergänzung des stehenden Heeres hätte Preußen nicht eine so führende Rolle bei den späteren Feldzügen spielen können

Wie weit die Stimmung, in der das preußische Volk an dem Krieg teilnahm, vom Wirken der Reformer beeinflußt war, ist schwieriger festzustellen. Über die Volksbegeisterung von 1813 ist viel geschrieben worden, und mancherlei davon ist fraglos übertrieben; aber es steht außer Zweifel, daß sie in scharfem Gegensatz zu der Stimmung von 1806 stand Der König selbst war sichtlich überrascht über die Wirkung seines Aufrufs und über die Scharen von Freiwilligen, die zu den Rekrutierungsbüros strömten. Haß gegen Frankreich war zweifellos eines der Hauptmotive dieser patriotischen Aufwallung; aber man muß sich vor Augen halten, daß die Kriegsbegeisterung ihre höchsten Wogen im gebildeten Mittelstand schlug, in jenem Stand, der 1806 am apathischsten gewesen war. Daraus läßt sich mit Recht schließen, daß die Reformen, die in erster Linie dazu gedacht waren, das Bürgertum zu beschwichtigen und es mit der Armee auszusöhnen, ihren Zweck erfüllt hatten.

Es ist keine Frage, daß die nun gegen Napoleon marschierenden Armeen ihre Schlagkraft Scharnhorsts Leistungen verdankten. Mochte auch in den ersten Kampfmonaten die Artillerie schwach sein und Knappheit an Kleinwaffen und Munition bestehen, so wurden doch diese Mängel durch die hervorragende Führung ausgeglichen. Die kommandierenden Generäle — Blücher, Kleist, Yorck und Bülow — wurden nicht von Zweifeln geplagt und verloren auch nicht die Nerven, wie es in so lähmender Weise 1806 beim Oberkommando der Fall gewesen war und 1813 hier und da bei den verbündeten Armeen zutage trat, und die Subalternoffiziere bewiesen, dank der Reorganisation des Offizierkorps, im allgemeinen Initiativgeist und scheuten sich nicht vor Verantwortung. Der wohl auffallendste Aspekt der neuen Armee war die hervorragende Stabsarbeit während der ganzen Feldzüge. Zum erstenmal in der Geschichte der Armee wurden allen kommandierenden Generälen und Korpskommandeuren Generalstabs-offiziere zugeteilt. Gneisenau kam zu Blücher, Boyen zu General von Bülow, Grolman zu Kleist, Rauch zu Yorck, Clausewitz zu Thielmann, Reiche zu Ziethen und Rothenburg zum Korps Tauentzien. Größtenteils wurden sie willkommen geheißen und ständig konsultiert. Yorck allerdings soll seinen Chef des Stabes, Oberst von Rauch, mit den Worten empfangen haben: „Ich brauche keinen Chef des Generalstabes. Wenn ich aber dodt einen haben soll, so sind Sie mir immer noch der liebste.“ Und Ziethens Stabschef klagte bitter darüber, daß man ihm nichts zu tun gebe Aber diese Fälle werden überdeckt von Grolmans und Boyens erfolgreichem Zusammenwirken mit ihren jeweiligen Kommandeuren und der begeisterten Zusammenarbeit zwischen Blücher und Gneisenau. Blücher, der sich sowohl über seine eigenen Grenzen wie über das Genie seines Chefs des Stabes im klaren war, fügte sich im stillen Gneisenaus Urteil; und es war nicht bloß ein Witz, als er — nach dem Kriege in Oxford, bei Gelegenheit der Verleihung der Doktorwürde — die Bemerkung machte: „Nun, wenn ich Doktor werden soll, so müssen sie den Gneisenau wenigstens zum Apotheker machen, denn wir zwei gehören einmal zusammen!“

Als Scharnhorst infolge eitler bei Groß-Görschen erlittenen Verwundung tragischerweise starb, war es Gneisenau, der anstelle des Führers der Militärreform die Aufgaben des Chefs des Generalstabs übernahm. Es war eine glückliche Wahl, denn Gneisenau besaß von den Reformern als einziger die militärischen Talente seines großen Chefs; ja, seine strategische Begabung ist sogar mit der Napoleons verglichen worden Wie Scharnhorst wurde er nie in seiner Überzeugung wankend, daß zum Siegen ebensoviel Intelligenz wie Tapferkeit erforderlich sei; und er bestand darauf, daß die Generalstabsoffiziere die Verantwortung für operative Entscheidungen mit ihren Befehlshabern teilten. Diese hartnäckige Forderung Gneisenaus und seine Bereitschaft, die Generalstabs-offiziere bei Auseinandersetzungen mit ihren kommandierenden Generälen zu unterstützen, stärkte die Stellung des Generalstabs und gab ihm einen Geist ein, der bis in Hitlers Tage nicht verloren gehen sollte. Nicht minder bemerkenswert sind Gneisenaus sonstige Leistungen während der Freiheitskriege. Auf ihn geht die preußische Kommando-technik zurück, die sich durch eine klare, verständliche Formulierung der Absicht auszeichnete, doch stets noch Raum für Einzelinitiative und Aktionsfreiheit ließ. Schließlich war es Gneisenau, der der Armee in den Feldzügen von 1813 und 1814 die Bevorzugung der Vernichtungsstrategie einprägte — d. h. die Vermeidung des Manöverkriegs und das ständige Suchen nach der Gelegenheit, die Streitkräfte des Gegners zu vernichten. In der Clausewitzschen Formulierung sollte die Vernichtungsstrategie das preußische militärische Denken während des ganzen 19. Jahrhunderts beherrschen

Nachdem die Feindseligkeiten begonnen hatten, sah sich die Reform-partei neuen Problemen und neuen Antagonisten gegenüber. Napoleon hatte sich von seinem russischen Desaster erstaunlich schnell erholt, und die russischen und preußischen Verbündeten hatten nach den ersten Zusammenstößen mit ihm bei Groß-Görschen und Bautzen allen Grund zu der Annahme, daß sie ihn ohne einen weiteren Verbündeten nicht endgültig würden schlagen können. Infolgedessen strengte man sich doppelt an, Österreichs Beistand zu gewinnen, und wenn diese Bemühungen auch letzten Endes erfolgreich waren, so brachte doch Österreichs Hinzutreten ernsteste militärische und politische Komplikationen mit sich. Denn unter Metternichs Führung trat Österreich nicht mit dem nationalen Eifer von 1809 in den Krieg ein, sondern mit kühler Berechnung, die an die Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts erinnerte Das stürmische Draufgängertum der preußischen Patrioten und ihr ungeduldiges Begehren, vor die Tore von Paris zu marschieren, fand in Wien keinen Widerhall. Metternich war daiauf bedacht, das Mächtegleidrgewicht des 18. Jahrhunderts wiederherzustellen; er war sich der Folgen einer allzu kompletten französischen Niederlage bewußt und sah voraus, daß Rußland nach dem Kriege exorbitante Forderungen stellen und Zar Alexander vielleicht versuchen würde, einen schwedischen Trabanten auf den französischen Thron zu setzen; außerdem beunruhigte ihn das Aufflammen des Nationalismus in Preußen Seine Vorsicht und Bedachtsamkeit spiegelten sich in der Strategie des Fürsten Karl zu Schwarzenberg wider, des österreichischen Feldmarschalls, der nach Österreichs Beitritt zu der Koalition Oberbefehlshaber der verbündeten Armeen wurde. So stand der Herbstfeldzug von 1813 trotz glänzender Triumphe, wie Gneisenaus Schlacht an der Katzbach, Kleists Sieg bei Nollendorf und Blüchers Eibübergang, unter dem Zeichen fortgesetzten Streites unter den Verbündeten und eines verhängnisvollen Mangels an Zusammenwirken in entscheidenden Augenblicken.

Infolgedessen wurde denn auch, als die Verbündeten im Oktober 1813 Napoleon bei Leipzig eine vernichtende Niederlage beibrachten, die Gelegenheit einer raschen Verfolgung seiner desorganisierten Armee nicht voll genutzt, und in den Monaten darauf lockerte sich bald die Einheit der Verbündeten Im Februar 1814, als ihre Armeen schon in Frankreich standen, hielt Schwarzenberg die Zeit für gekommen, den Rüdezug anzutreten, und drängte auf Friedensverhandlungen, während Metternich meinte, es wäre gut, Frankreich seine natürlichen Grenzen und Bonaparte seinen Thron zu lassen. In diesem kritischen Stadium kämpfte Blüchers Hauptquartier — das den Österreichern bereits als „Nest von Jakobinern“ verdächtig war — verzweifelt um die Fortsetzung des Krieges. Grolman kommt das Verdienst zu, den Zaren und Friedrich Wilhelm überredet zu haben, die Vereinigung der Blücherschen und Bülowschen Truppen und deren Offensive auf eigene Faust zu genehmigen Mit dieser Entscheidung wurde schließlich die Wiederaufnahme des allgemeinen Vormarschs erzwungen. Aber die politischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition wurden damit nicht beseitigt. Erst als sich in Chätillon zeigte, daß ein Verhandeln mit Napoleon wegen dessen Unnachgiebigkeit zwecklos war, fügten sich die Österreicher den überzeugenden Argumenten von Lord Castleregh, schlossen mit den Verbündeten den Vertrag von Chaumont und akzeptierten Gneisenaus Kriegsplan Danach wurde das von den preußischen Reformern ersehnte Ziel rasch erreicht. Im März hielten die verbündeten Armeen ihren Einzug in Paris, Napoleon dankte ab, und Stein konnte mit einem Seufzer der Erleichterung sagen: „Der Meitsdi ist aw Boden“

Obwohl der Korse noch nicht ganz ausgespielt hatte, traf doch Steins Bemerkung im wesentlichen zu. 1815 rief Napoleons verzweifeltes Abenteuer der Hundert Tage die verbündeten Armeen aufs Schlachtfeld zurück, und die Zusammenarbeit zwischen Blücher und Gneisenau und die Entschlossenheit der preußischen Truppen wurden noch einmal auf die Probe gestellt. Aber Waterloo bestätigte lediglich das im Jahr vorher Erreichte und bewies noch einmal die Vortrefflichkeit des von Scharnhorst 1807 begonnenen Werks.

3. Die Zeit Doyens und die Krise von 1819

Die Reformer hatten ihrem Lande große Dienste geleistet, und als Napoleon sicher in St. Helena saß und die Feindseligkeiten endgültig zum Abschluß gekommen waren, wurde das auch von der Krone anerkannt. Über die allgemeine Verhimmelung hinaus, mit der man sie, wohin sie auch kamen, empfing, wurden Blücher, Gneisenau, Boyen, Grolman und andere mit offiziellen Ehrungen, pekuniären Sporteln, entsprechenden Beförderungen und staatlichen Ehrenämtern bedacht. Doch die Verleihung solcher Würden konnte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß ihr Verhältnis zum König etwas gespannt war. Das war kein gutes Vorzeichen für die Dauerhaftigkeit der von ihnen bisher bewirkten Änderungen, noch für die Vollendung ihres Programms in Gestalt einer grundlegenden Verfassungsreform.

Tatsache blieb, daß die Reformer, mochten sie auch für ihren Souverän die Schlachten gewonnen haben, wenig getan hatten, um sich bei ihm in Gunst zu setzen, und daß ihn ihr Verhalten in den Jahren 1814 und 1815 oft gereizt und erschreckt hatte. Blüchers und Gneisenaus beharrliches Festhalten an ihrem eigenen Kriegsplan während der Krise vom Februar 1814 hatte zwar zu einem guten Ende geführt, aber die Heftigkeit, mit der sie für ihre Sache eingetreten waren, und ihre mehrfache glatte Weigerung, Befehle aus dem obersten Hauptquartier durchzuführen, waren beunruhigend gewesen. Solches Verhalten hatte einen Beigeschmack von Insubordination und hatte für den König Ähnlichkeit mit Schills Revolte von 1809, an die er nicht gern erinnert wurde

Noch schlimmer hatten sie sich bei den Friedensverhandlungen in Wien aufgeführt. Sie hatten dort bittere Kritik an der Verfahrensweise des Kongresses und an der Taktik der preußischen Vertreter geübt, wobei Boyen sogar wegen einer geringfügigen Angelegenheit Wilhelm von Humboldt zum Duell gefordert hatte Sie waren in Wien mit offener Entrüstung gegen die dort getroffenen territorialen Abmachungen vorgegangen. In ihrem nationalen Eifer hatten sie sich glühend für die Einheit Deutschlands und für Preußens Hegemonie in Norddeutschland eingesetzt. An dem einen hatte der König kein Interesse, das andere hielt er für undurchführbar Sie hatten nicht nur die Annexion ganz Sachsens durch Preußen gefordert, sondern waren auch bereit gewesen, Krieg gegen Österreich zu führen, um diesen Gebietszuwachs sicherzustellen. Tatsächlich hatten Gneisenau, Boyen und Grolman Ende 1814 Pläne für solch einen Krieg ausgearbeitet und behauptet, England werde untätig zusehen, während Rußland und Württemberg aktiven Beistand leisten würden, wenn die preußische Armee Österreich zerschlage und Deutschland umgestalte Aus diesen Träumen waren die preußischen Militärs indes jäh herausgerissen worden: im Januar 1815 schloß Österreich ein Geheimbündnis mit Frankreich und England ab, und zwei Monate später wurde der Kampfeseifer durch Napoleons Versuch, die Macht wiederzuerlangen, in eine andere Richtung gelenkt. Aber selbst noch nach dem Feldzug von 1815 und nach Beendigung der Friedensverhandlungen hatte die Reformpartei weiterhin Schwierigkeiten gemacht. Zum Beispiel hatte es Blücher im November rundheraus abgelehnt, dem Befehl zur Räumung Frankreichs nachzukommen, weil er meinte, Preußen müsse zunächst bestimmte französische Festungen als Unterpfand erhalten; er hatte erst nachgegeben, nachdem sich Hardenberg beim König formell über seine Widerspenstigkeit beschwert hatte Solchem Verhalten würde sich der König auch unter anderen Umständen entgegengestellt haben; doch in diesem Fall hatte er um so mehr Grund, verärgert zu sein, als es im Ausland zu unliebsamem Aufsehen kam. Vor allem die Österreicher begannen die preußische Politik mit tiefem Mißtrauen zu betrachten; Friedrich von Gentz wies Metternich warnend darauf hin, daß Preußen deutlich danach strebe, den österreichischen Einfluß in Deutschland zu eliminieren Aber Österreich stand mit dieser Auffassung nicht allein. Der Zar soll über den unheilvollen Einfluß der preußischen Militärreformer beunruhigt gewesen sein und zu seinen Generälen gesagt haben: „Es ist möglich, daß wir dereinst dem Könige von Preußen gegen seine Armee zu Hilfe kommen müssen“ Auch England war in seiner Haltung gegenüber Preußen zu einer frostigen Zurückhaltung gelangt. Im Dezember 1815 schrieb Castlereagh an seinen Gesandten in Berlin: „Bei aller Vorliebe und dankbaren Bewunderung für diese Nation (d. h. Preußen) und die Haltung ihrer Armeen im Kriege muß ich offen bekennen, daß ich die Richtung ihrer Politik mit erheblicher Sorge betrachte. Jedenfalls besteht im Augenblick eine große Gärung im ganzen Staat, es herrsdien sehr freie, wenn nicht gar revolutionäre Auffassungen vom Regieren, und die Armee ist keineswegs den Zivilbehörden untergeordnet“

Dem König entging natürlich nicht die wachsende Abkühlung in anderen Hauptstädten. Hardenberg wies ihn darauf hin, daß die Haltung des Militärs für Preußens Stellung nicht förderlich sei. Und da Friedrich Wilhelm sich die Achtung und Freundschaft der anderen Herrscher erhalten wollte, wurde er Gneisenau und den Reformern gegenüber zunehmend kritisch. Noch vor Beendigung der Feldzüge vertraute er einem englischen Militärbeobachter an, Gneisenau sei ihm zu gescheit, und sein Generaladjutant von dem Knesebeck schrieb im Oktober 1815 an Pozzo di Borgo, der König sei besorgt über den Einfluß Gneisenaus und seiner Mitarbeiter auf das Kabinett und darum entschlossen, sich seiner zu entledigen

Der Sinneswandel des Königs war Wasser auf die Mühlen aller, die glaubten, Stein und Scharnhorst hätten „die Revolution ins Land gebracht“, und die Verwaltungs-und Heeresreform würden zur Zerstörung der Monarchie, zu einem Krieg der Besitzlosen gegen die Besitzenden führen Diese Opposition hatte schon lange bestanden — der sogenannte Perponcher-Club, in dem sich Männer wie Kalckreuth, Jagow und Yorck trafen und über Scharnhorsts Ideen herzogen, war im Winter 1807 bis 1808 gegründet worden während die Christlich-Deutsche Tischgesellschaft, eine Vereinigung von Offizieren, Gutsbesitzern, Standespersonen und Literaten, seit 1811 gegen alle Reformen agitiert hatte —, aber es war dabei niemals viel herausgekommen. Nunmehr jedoch, unter der Führung des Polizeiministers Fürst Wittgenstein und des Herzogs Karl von Mecklenburg, gewann die Opposition mehr und mehr die Oberhand.

Allerdings war der Sieg der Reaktion ein allmählicher Prozeß. 1814 und 1815 sah es noch so aus, als seien die Reformer in gesicherter Position und die Reformen von Dauerhaftigkeit. Im Juni 1814 beispielsweise verkündete der König nicht nur den Fortbestand der Verwaltungsreform von 1809, er tat auch den letzten Schritt zur Vereinheitlichung des Kriegsministeriums. Das Allgemeine Kriegsdepartement und das Militär-Ökonomiedepartement wurden aufgelöst und ein einheitliches Ministerium geschaffen, das für alle Aspekte der Heeresverwaltung zuständig war Außerdem ernannte der König, nachdem Gneisenau angedeutet hatte, daß er ein Truppenkommando vorziehe, Hermann von Boyen zum Kriegsminister, der von allen Reformern Scharnhorst am nächsten gestanden hatte.

Boyens Hauptziel war, dem Werk seines früheren Chefs Dauerhaftigkeit zu verleihen. Er war sich darüber klar, daß in konservativen Kreisen der Wunsch bestand, nunmehr, nach Beendigung des Krieges, mit der allgemeinen Wehrpflicht Schluß zu machen und zu dem Kanton-system zurüdezukehren, das Abbild und Stütze der traditionellen Standesstruktur gewesen war. Fürst Wittgenstein, der sich nicht scheute, durch Polizeispitzel im Kriegsministerium spionieren zu lassen, erklärte ganz offen, eine Nation zu bewaffnen, heiße nichts anderes, als Widerstand und Unzufriedenheit organisieren und fördern Er setzte sich für die Abschaffung sowohl der Allgemeinen Wehrpflicht wie der Landwehr ein. Boyen wirkte dieser Kampagne rasch entgegen, und zwar mit Erfolg, dank der Hilfe Grolmans, der jetzt Chef des Generalstabs und Leiter der zweiten Abteilung des Kriegsministeriums war.

Im Sommer 1814 entwarfen Boyen und Grolman das Gesetz, das bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts für den Militärdienst in Preußen bestimmend bleiben sollte. Nachdem sie den König zur Annahme bewogen hatten, wurde das neue Wehrgesetz am 3. September 1814 verkündet. Es erklärte alle Männer in Preußen vom 20. Lebens-jahre ab für wehrdienstpflichtig. Sie hatten zunächst drei Jahre im stehenden Heer zu dienen, dann zwei Jahre in der Reserve, danach sieben Jahre im ersten Aufgebot der Landwehr, das im Kriege gleich dem stehenden Heer verwendet werden sollte, und schließlich sieben Jahre im zweiten Aufgebot der Landwehr, das im Krieg den Garnison-dienst und die Heimatverteidigung übernehmen sollte. Zwar hatten sie nur die ersten drei Jahre zusammenhängend abzudienen, aber bis zum 39. Lebensjahr unterlagen sie eindeutig der Wehrverfassung und konnten zu periodischen Übungen einberufen werden; selbst nach diesem Alter hatten sie noch, in Zeiten nationalen Notstands, im Landsturm zu dienen. Die Reformer hatten sich ausgerechnet, daß Preußen durch die Verbindung des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht mit einer verhältnismäßig kurzen Dienstzeit im stehenden Heer zu einer Armee von 500 000 Mann kommen, jedoch jeweils nur die 130 000 in aktivem Dienst stehenden Mann zu unterhalten haben würde

Mit der Veröffentlichung des Wehrgesetzes verschwand die letzte Möglichkeit einer Rückkehr zum Kantonsystem mit seinen weitherzigen Befreiungen. Die einzige Einschränkung der Wehrpflicht, zu der man sich herbeiließ, geschah im Interesse der höheren Bildung. Hardenberg und andere Minister hatten geltend gemacht, daß Unterbrechungen in der Ausbildung junger Männer für höhere Berufe, Wissenschaft oder Staatsdienst einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Nation mit sich bringen würden, und Boyen hatte daraufhin, wenn auch äußerst widerstrebend, eine Bestimmung in das Gesetz eingeführt, nach der junge Leute „der gebildeten Stände“, die sich selbst bekleiden, ausrüsten und verpflegen konnten, als Einjährig-Freiwillige in die Jäger-bataillone aufzunehmen und nach zwölfmonatiger Dienstzeit zu entlassen waren. Diese Bestimmung stieß auf lebhafte Kritik, was berechtigt war, denn nach ihrer ursprünglichen Form durften die kommandierenden Offiziere darüber entscheiden, wer zu den „gebildeten Ständen“ gehörte. 1822 jedoch kam eine Neuregelung heraus, nach der Einjährig-Freiwillige die Sekundareife auf dem Gymnasium erreicht haben mußten, und in dieser Form blieb die Einrichtung bis 1918 bestehen

Boyens Wehrgesetz sicherte auch den Fortbestand der Landwehr, in die er die größten Erwartungen gesetzt hatte. Im August 1814, bei einem Bankett anläßlich der Verleihung des Ehrendoktors durch die Berliner Universität, brachte Blücher einen Trinkspruch auf die „glück-liche Verbindung des Krieger-und des Bürgerstandes vermittelst der Landwehr“ aus Boyen hegte ähnliche Gefühle. War das stehende Heer dazu bestimmt, den Kampfgeist im Volke insgesamt zu wecken, so war nach seiner Auffassung die Landwehr dazu da, ein Band zwischen Militär und Zivilisten zu knüpfen, eine gegenseitige Abneigung von vornherein zu verhindern und die Idee einer Bürgerarmee lebendig zu halten Beim Entwurf der Landwehrordnung, die im November 1815 verkündet wurde, setzte Boyen daher fest, daß die Landwehr zwar in Kriegszeiten mit dem stehenden Heer auf Brigadeebene vereinigt werden, in Friedenszeiten aber ihren ursprünglichen Charakter als National-miliz behalten sollte. Ihre Verbände sollten eng an den Kreis gebunden sein, in dem sie stationiert waren, ihre Offiziere den besitzenden und oberen Ständen angehören, von der Kreisverwaltung nominiert und von den anderen Offizieren der Einheit gewählt werden. Besondere Landwehrinspekteure, die dem Kriegsministerium verantwortlich waren, hatten die Einheiten zu überwachen

Daß Boyen dieses Programm erfolgreich durchführte und es 1817, als eine Finanzkrise ausbrach, wirkungsvoll gegen scharfe Angriffe verteidigte erfreute alle, die an den Reformen von 1807 bis 1808 beteiligt gewesen waren: den nun im Ruhestand lebenden Stein, den Oberpräsidenten Schön, die nicht mehr in aktivem Dienst stehenden Gneisenau und Blücher, sowie Clausewitz, der jetzt an den kriegs-wissenschaftlichen Werken schrieb, die ihn berühmt machen sollten. Natürlicherweise verdoppelten sie nunmehr ihre Anstrengungen, um jene Reform durchzusetzen, die sie als die eigentliche Krönung ihres Werkes betrachteten — eine grundlegende Verfassungsreform, die zumindest eine Verfassungsurkunde und eine gewisse Form der Volksvertretung heraufführen sollte. Das war implizite von Anfang an ein integrierender Teil der Militärreformen gewesen. Die Reformpartei hatte nämlich stets den Standpunkt vertreten, die Wehrpflicht müsse das Recht mit sich bringen, bis zu gewissem Grade Anteil an der Politik des Staates zu nehmen, und vor allem Boyen hatte immer daran gedacht, daß aus der reformierten Armee eine Schule für die staatsbürgerliche Erziehung des Volkes werde. Als jetzt aber die Reformpartei versuchte, politische Reformen durchzusetzen, die die Entwicklung zu einer Repräsentativverfassung hätten einleiten können, stieß sie auf Gegenkräfte, denen sie nicht gewachsen war. Ihre Bemühungen riefen sehr bald eine Verfassungskrise hervor, die ihrem Einfluß im Staate ein Ende bereitete und Preußen der Reaktion auslieferte.

Vielleicht war es ein Unglück, daß Wilhelm von Humboldt den Kampf um die Verfassungsreform anführte. Nachdem Stein die Bühne verlassen hatte, galt Humboldt allgemein als der hervorragendste und aufgeklärteste Staatsdiener. In der Reformzeit hatte er als Kultus-und Unterrichtsminister die Berliner Universität gegründet; auf dem Wiener Kongreß waren von ihm, obwohl er es mit brillanten Gegenspielern zu tun hatte, Organisationsgabe und eine gründliche Kenntnis diplomatischer Finessen bewiesen worden. Als politischer Denker zeichnete er sich durch ausgeprägte liberale Ansichten und durch sein unbeirrbares Eintreten für eine geschriebene Verfassung aus, für parlamentarische Einrichtungen und für das Prinzip der ministeriellen Verantwortlichkeit Im Februar 1819, als Humboldt zum Minister für die ständischen und kommunalen Angelegenheiten ernannt wurde und damit ins Staatsministerium kam, nahm man allgemein an, die Entwicklung zur Verfassungsreform werde nun große Fortschritte machen. Das glaubte auch Boyen, der — trotz des Zusammenstoßes in Wien — einer der glühendsten Bewunderer Humboldts geworden war und dessen Ernennung zum Minister begrüßte

Diese Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Mochte Humboldt auch ein großer Denker sein, er besaß nicht die Talente, die erforderlich gewesen wären, um die politische Lage, in die er sich hineingestellt sah, zu meistern. Es erwies sich, daß er sich sowohl in der Einschätzung der politischen Realität wie in seiner Menschenkenntnis irrte. Er überschätzte den Umfang seiner Autorität und durchschaute nicht im geringsten die Machenschaften der reaktionären Partei am Hofe. Am schlimmsten aber war, daß er den Einfluß, den er zweifellos besaß, in einer erbitterten persönlichen Fehde mit dem Staatskanzler Hardenberg vertat.

Hardenbergs Haltung war allerdings zweideutig An sich war er nicht gegen die Gewährung einer Verfassung oder die Einführung einer „Nationalrepräsentation"; er war sogar mehr als einmal für sie eingetreten. Aber sein Hauptinteresse war die Vervollkommnung der Staatsverwaltung, und er war nicht willens, durch eine doktrinäre Einstellung zur Verfassungsfrage seine Chancen zu gefährden. Außerdem war ihm bewußt, daß jeder tiefgreifende konstitutionelle Wandel weitgehende Rückwirkungen in anderen deutschen Ländern haben und jedenfalls Preußens Verhältnis zu Österreich trüben würde. Das zwang ihn zur Vorsicht und zu sorgfältigsten Erwägungen der diplomatischen Konsequenzen.

Humboldt hatte für diesen Standpunkt kein Verständnis. Zudem war er moralisch entrüstet über Hardenbergs Lebenswandel. Er scheint in dem Staatskanzler einen Mann gesehen zu haben, für den Politik lediglich ein Mittel war, an der Macht zu bleiben. Er gab sich keinerlei Mühe, sich mit Hardenberg zu verständigen, und nachdem er im August 1819 aktives Mitglied des Staatsministeriums geworden war, übte er scharfe Kritik an dem von Hardenberg im gleichen Monat vorbereiteten Verfassungsentwurf und versuchte, eine Front der übrigen Minister gegen den Staatskanzler zustandezubringen: Zum Entzücken der reaktionären Mitglieder des Staatsministeriums, vor allem Wittgensteins, der Humboldt schmeichelte und ermutigte, weil er genau wußte, daß die Reaktion Nutznießer der so entstehenden Konfusion sein würde

Diese Konfusion spitzte sich zu, als der König im September, nach voraufgegangenen Besprechungen zwischen Hardenberg und Metternich in Teplitz und Karlsbad, verkündete, Preußen werde an den Karlsbader Beschlüssen festhalten. Die Beschlüsse waren dazu gedacht, der revolutionären Agitation in allen deutschen Staaten ein Ende zu setzen. Es ist kaum daran zu zweifeln, daß Hardenberg hierbei keine große schäft und der Ermordung Kotzebues durch einen geistesverwirrten Studenten erschrockene — König unter allen Umständen auf der Vereinbarung bestanden haben würde Humboldt jedoch wollte dies nicht einsehen, sprach von einer Kapitulation Preußens und griff Hardenberg als deren Urheber heftig an. Er wurde unterstützt von Beyme, dem Finanzminister, und von Boyen, dem Kriegsminister. Boyen behauptete sogar in einer scharfen Denkschrift, die Karlsbader Beschlüsse stellten eine unberechtigte Einmischung in preußische Angelegenheiten dar, und das mit ihnen stillschweigend eingegangene preußisch-österreichische Bündnis sei angesichts der natürlichen gegenseitigen Abneigung der beiden Mächte und ihrer unvereinbaren Interessen in Deutschland unrealistisch

Für die Restaurationspartei war nun die Gelegenheit gekommen, auf die sie lange gewartet hatte. Humboldt zu erledigen, konnte sie Hardenberg überlassen, denn der Staatskanzler war nun sehr aufgebracht und hatte sich entschlossen, sein Verbleiben im Amt von Humboldts Entlassung abhängig zu machen. Wittgenstein und seine Anhänger nahmen sich Boyen aufs Korn. Sie wußten, daß der König seinem Kriegsminister skeptisch gewesen war, denn Boyen gegenüber stets war, wie Clausewitz im Dezember 1819 schrieb, „zu sehr ein Gewächs auf Scharnhorsts Grund und Boden, um (dem König) nicht immer etwas fremdartig geblieben zu seyn, als ein anderer in seiner Stelle gewesen seyn würde" Sie waren schlau genug zu erkennen, daß Boyens Angriff auf die Karlsbader Beschlüsse das Mißtrauen des Königs noch vertiefen würde, und so attackierten sie um so mehr die neue Heeresverfassung, und vor allem die Landwehr, mit der offenkundigen Absicht, Boyen zu irgendeiner neuen Unbedachtsamkeit zu verleiten. 1819 bot die Landwehr der Kritik viele Blößen, denn ihre Leistungsfähigkeit hatte in den vier Friedensjahren erheblich nachgelassen. Ursprünglich war man davon ausgegangen, daß die Landwehr zu einem großen Teil aus ausgebildeten Soldaten bestehen würde, die in der Linienarmee gedient hatten. Doch die fortgesetzten Finanznöte des Staates hatten zu einer starken Begrenzung der zahlenmäßigen Stärke der Linienarmee gezwungen, und die Militärbehörden waren dazu übergegangen, Rekruten, die nicht in die Linienregimenter eingereiht werden konnten, nach sehr kurzer Ausbildungszeit der Reserve oder der Landwehr zuzuweisen. Außerdem waren, wiederum aus finanziellen Gründen, die Übungen des ersten Landwehraufgebots von zweimal zwei Wochen im Jahr auf einmal zwei Wochen reduziert worden, während die Übungen für das zweite Aufgebot vollkommen aufgehört hatten. Gleichzeitig hatte sich auch die Qualität der Führung verschlechtert, da sich die Offiziere in wachsender Zahl aus Einjährig-Freiwilligen rekrutierten. Die mangelhafte Ausbildung trat natürlich bei den jährlichen Manövern, wie zum Beispiel im Herbst 1818, in peinlicher Weise zutage

Das alles gab der Wittgenstein-Partei ein weiteres Argument, mit dem sie beim König, der jeder die Tüchtigkeit seiner Armee betreffenden Kritik gegenüber sehr empfindlich war, operieren konnten. Schon seit langem behauptete sie, die Landwehr sei politisch unzuverlässig, ein Hort für Verschwörer und Andersdenkende, und ihre Führer hegten nationalistische Aspirationen, die Preußen sehr wohl in einen Krieg mit den anderen deutschen Staaten verwickeln könnten Zumindest der letzteren Behauptung schien Boyens Karlsbader Denkschrift Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch die militärische Untüchtigkeit der Landwehr ermöglichte es der Restaurationspartei, noch ein anderes Argument ins Feld zu führen: Wenn es zum Kriege käme, würde Preußen nicht in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen, und infolgedessen sei es für den König an der Zeit, die Landwehr strenger überwachen zu lassen. Der König stimmte zu, vielleicht aus Ärger über Boyens Bündnis mit Humboldt Im Dezember 1819, zur gleichen Zeit, in der der Konflikt Hardenberg—Humboldt auf dem Höhepunkt war, verlangte der König energisch eine engere Verschmelzung von Landwehr und Linienarmee und eine fundamentale Reorganisation, darunter die Auflösung von vierunddreißig Landwehrbataillonen, die Abschaffung des gesonderten Inspektionssystems, dessen sich die Landwehr bis dahin erfreut hatte, die Besetzung aller Truppen-kommandos mit Offizieren der regulären Armee und die Eingliederung von sechzehn Landwehrbrigaden in Liniendivisionen, und das auch in Friedenszeiten

Boyen reagierte hierauf spontan und kompromißlos, genau wie die reaktionäre Partei erwartet hatte. Die Order des Königs war nach seiner Auffassung der Anfang vom Ende der Landwehr, wie sie 1814 konzipiert worden war. Habe sie erst einmal den Status der Gleichberechtigung gegenüber der Linienarmee verloren, meinte er, so würde sie allmählich der engherzigen Disziplin und den beschränkten politischen Ansichten unterliegen, die von jeher das stehende Heer und sein Offizierkorps gekennzeichnet hätten; und der bereits erzielte Fortschritt auf dem Wege der Aussöhnung zwischen Armee und Zivilbevölkerung werde sich unvermeidlich in sein Gegenteil verkehren. Statt sich hierfür herzugeben, kam Boyen lieber um seine Entlassung ein, und obwohl der offenbar schwankende König ihn zum Bleiben aufforderte, bestand er auf seinem Abschied Sein engster Mitarbeiter, Grolman, handelte ebenso. In knappen Worten schrieb er dem König, „die jetzt eingetretenen Zeitumstände und die traurigen Jahre, die er seit 1815 erlebt, nötigten ihn, um seine Entlassung zu bitten“ Auf Hardenbergs Drängen wurden gleichzeitig Humboldt und Beyme aus dem Staatsministerium entlassen. Die Reaktion hatte reinen Tisch gemacht: der letzte der Reformer war aus seiner Machtposition verdrängt


4. Die Reaktion und ihre Folgen

Friedrich Meinecke hat das Jahr 1819 das Unglücksjahr des 19. Jahrhunderts genannt und stets die Auffassung vertreten, die Ministerkrise, mit der das Jahr zu Ende ging, sei der bedeutsamste Wendepunkt in der deutschen Geschichte gewesen Man kann ihm hierin zustimmen, selbst auf die Gefahr hin, sich in Spekulationen zu verlieren. Wäre Humboldt im Jahre 1819 weniger doktrinär gewesen und hätte es zwischen ihm, Hardenberg, Boyen und Beyme ein besseres taktisches Zusammenspiel gegeben, dann hätte bis zu gewissem Grade eine Verfassungsreform erreicht werden können. Wäre sie auch noch so begrenzt gewesen, so hätte sie doch die Grundlage für eine künftige Entwicklung zu einer liberaleren Regierungsform zu bilden vermocht. Sie hätte die 1819 bestehende heftige Antipathie der liberaleren Staaten Süddeutschlands gegen Preußen herabmindern können, vielleicht sogar eine Lösung der Deutschen Frage ermöglicht, ohne daß es zu jener Art von Krieg wie dem von 1866 gekommen wäre, in dem Süddeutschland im gegne-rischen Lager stand lind schließlich hätte sie, indem sie ein Mittel zur Behebung von sozialen Spannungen bot, möglicherweise Preußen und das später von ihm beherrschte Deutschland von jenen aus Furcht, Sichbedrängtfühlen und Kampfeslust gemischten Komplexen befreit, die im 19. und 20. Jahrhundert in der übrigen Welt soviel Leid verursachen sollten.

Nach 1819 bestand keine Hoffnung mehr auf irgendeine Verfassungsreform. Mit dem Sturz Boyens und Humboldts war der Plan für eine Volksvertretung effektiv abgewürgt. Zwar setzte Hardenberg seine Bemühungen um eine konstitutionelle Verfassung fort, aber er befand sich jetzt in isolierter Stellung, und 1821 schließlich wurden seine Anstrengungen durchkreuzt: Wittgenstein und der Kronprinz, der äußerst romantische Vorstellungen vom Regieren hegte und in die Idee der Feudalherrschaft verliebt war, überredeten den König, die alten Provinzialstände wieder ins Leben zu rufen, statt eine allgemeine Verfassung zu promulgieren 1823 befolgte der König diesen Rat und richtete acht Provinziallandtage ein, die jedoch nur alle drei Jahre zusammentreten und lediglich beratende Funktion haben sollten. Da zudem der Landadel in diesen Organen dominierte, war es unwahrscheinlich, daß sie für irgendwelche fortschrittlichen Ideen eintreten würden. Ihre Einrichtung ließ vizlmehr auf eine Erneuerung des alten Bündnisses zwischen Krone und Adel gegen die sozialen und politischen Aspirationen des übrigen Volksteiles schließen, und das um so mehr, als die Stein-sehe Landreform und Städteordnung nach und nach immer mehr verwässert wurden und die Rittergutsbesitzer im Osten die Patrimonialgerichtsbarkeit behielten

In der nun folgenden Restaurationsperiode gelang es jedoch Wittgenstein und seinen Anhängern nicht, die von ihnen gewünschten grundsätzlichen Änderungen in der Heeresverfassung durchzusetzen. Von der Wiederbelebung des Kantonsystems war nicht mehr die Rede, es blieb bei der allgemeinen Wehrpflicht. Man bemühte sich sogar, diese wirkungsvoller auszubauen. Als sich 1833 zeigte, daß die Bevölkerung Preußens rascher zunahm als das Vermögen, die Linienarmee zu unterhalten, und daß man infolgedessen viele Jugendliche vom Militärdienst befreien mußte, wurde die Dienstzeit vorübergehend von drei auf zwei Jahre herabgesetzt. Damit hoffte man zu einer gerechteren Anwendung des Wehrgesetzes von 1814 zu gelangen, die Zahl der die reguläre Armee durchlaufenden Rekruten zu erhöhen und mit der Zeit auch die Qualität der Landwehr zu verbessern, zu der sie nach ihrem Dienst in der Linienarmee gehörten. Zwar gingen nicht alle Erwartungen in Erfüllung, doch wurden eine gewisse Verbesserung und die Beibehaltung der Grundzüge des Wehrgesetzes von 1814 erreicht

Was nun die Schlagkraft des Heeres im allgemeinen anging, so bedeutete die Zeit nach 1819 einen steten Fortschritt. In der Linienarmee zumindest wurden Ausbildung, Ausrüstung, Artillerie und Handfeuerwaffen wesentlich verbessert. Zum Beispiel war die preußische Armee die erste in Europa, die vollständig mit den neuen Perkussionsgewehren ausgerüstet wurde, und schon in den 30er Jahren führte Dreyse Experimente durch, die die Erfindung des Zündnadelgewehrs brachten, das sich später, besonders in der Schlacht von Königgrätz, glänzend bewährte Darüber hinaus besteht kein Zweifel, daß zu damaliger

Zeit die preußische Armee in bezug auf Generalstabsarbeit jeder anderen in Europa überlegen war Das von Scharnhorst und Grolman begonnene Werk wurde nach 1819 von Müffling und Krauseneck fortgesetzt. Es wurden die Aufgaben des Generalstabs systematisiert, ein Topographisches Bureau und eine Historische Abteilung eingerichtet, regelmäßige Generalstabsreisen zu einem Teil der Stabsausbildung gemacht, und man legte immer mehr Gewicht auf Planung und kritische Auswertung der Herbstmanöver. In den 30er Jahren befaßte sich eine Kommission des Generalstabs zum erstenmal mit der Bedeutung des Eisenbahntransportes für die Mobilmachung, und auch das sollte entscheidend zu Preußens Überlegenheit während der Feldzüge der 60er Jahre beitragen. Schließlich verringerte der für die Generalstabsoffiziere eingeführte regelmäßige Wechsel zwischen Generalstabs-und Truppen-dienst das Mißtrauen gegen diese Intellektuellen

Auch die zwischen 1809 und 1814 geschaffene Einheit der Heeresverwaltung wurde größtenteils beibehaltcn, obwohl mancherlei darauf schließen ließ, daß es nicht immer so bleiben würde. Noch vor Boyens Sturz hatte der König den Wunsch zu erkennen gegeben, die alte Generaladjutantur wieder ins Leben zu rufen. 1816 hatte er den Oberst Job von Witzleben, den Leiter der Personalabteilung des Kriegsministeriums, zum Chef seines Militärkabinetts ernannt und 1818 die Zweideutigkeit von Witzlebens Position noch verstärkt, indem er ihn zum Generaladjutanten mit dem Rang eines Generalmajors machte. Doch trotz seines großen persönlichen Einflusses betrachtete Witzleben weiterhin den Kriegsminister als seinen Vorgesetzten, so daß das Militär-kabinett zu seiner Zeit nicht jene verantwortungslose Stelle wurde, die es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts werden sollte Ebenso führte die 1821 vorgenommene Umgestaltung des Generalstabs, durch die dieser vom Kriegsministerium getrennt wurde, nicht zur Entstehung einer mit dem Ministerium in der Kompetenz konkurrierenden Stelle, denn der Chef des Generalstabs hatte nur über den Kriegsminister Zugang zum König und war ausdrücklich angewiesen, enge Verbindung mit dem Minister als seinem Vorgesetzten zu halten Wie im Falle des Militärkabinetts lag auch die schicksalhafte Sonderrolle des Generalstabs noch in der Zukunft.

Der Sturz der Reformer hatte jedoch noch andere, weniger günstige Folgen. Es läßt sich zum Beispiel nicht bestreiten, daß die von Scharnhorst im Offizierkorps eingeführten Sozial-und Erziehungsreformen nach 1819 abgeschwächt wurden. General Hake, der von 1819 bis 1833 Kriegsminister war, hielt nicht so viel von Bildung wie die Reformer. In privatem Kreise äußerte er sich einmal, für einen Offizier genüge es, wenn er lesen, schreiben und rechnen könne: „Man zeige mir ciodt den, der später viel mehr gebraudtt hätte!“ Wenn schon im allgemeinen das Bildungsniveau viel höher war als unter dem alten Regime und die Leistungen in der Allgemeinen Kriegsschule dank der Bemühungen von Männern wie Rühle von Lilienstern und Clausewitz nach und nach verbessert wurden, so bestanden doch bei den landläufigen Offizieren derart krasse Bildungsmängel, daß es 1836 und 1844 besonderer Bestimmungen bedurfte. Darin wurden die Offiziere angehalten, ihre Allgemeinbildung wenigstens so weit zu verbessern, daß die Würde ihres Berufes gewahrt bleibe Im übrigen umging man, um die Vorherrschaft des Adels im Offizierkorps aufrechtzuerhalten, nicht ohne Absicht die von den Reformern an eine Bestallung geknüpften Prüfungsbedingungen. Zwischen 1818 und 1839 wurde die Zahl der zur Erziehung von Söhnen des verarmten Adels bestimmten Kadettenanstalten verdoppelt. Offizieranwärter konnten auf Empfehlung der kommandierenden Offiziere der Schule und mit Genehmi-gung des Königs im Alter von elf Jahren in die Kadettenanstalten ein-treten und wurden mit 17 Jahren, ganz gleich, welche Klasse sie bis dahin erreicht hatten, ins Heer eingestellt

Noch ernster waren, auf die Dauer gesehen, die Folgen des wachsenden Professionalismus in der Armee. Nach Boyens Sturz hörten die jüngeren Offiziere auf, in ihren Idealen und Interessen „boyensch" zu sein, und Boyens Bild von dem aufgeklärten Bürgersoldaten, der im Leben der Gesellschaft, zu der er gehörte, eine aktive Rolle spielte, verblaßte bis zur Unkenntlichkeit An seine Stelle trat die Vorstellung vom Militär als eines besonderen Standes, eines im wesentlichen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft geübten Handwerks. Das Stärkerwerden dieser Tendenz läßt sich aus den hitzigen Debatten über das Lehrpensum der Allgemeinen Kriegsschule und aus Rühle von Liliensterns erzwungener, wenn auch allmählicher Abkehr von seiner Forderung ersehen, im Unterricht nicht nur rein militärische, sondern ebenso kulturelle Gegenstände zu behandeln Es läßt sich das auch aus der Militärliteratur jener Zeit ersehen, so vor allem aus Blessons 1821 erschienenen „Betrachtungen über die Befugnis des Militärs, an politischen Angelegenheiten Theil zu nehmen.“ Darin sagt der Verfasser: „Der Soldat ist ein besonderer Stand“ und habe als solcher nicht das Recht, Anteil an der Tagespolitik zu nehmen; es sei gefährlich, wenn sich der Soldat mit Dingen beschäftige — oder auch nur über sie nachdenke —, die außerhalb der militärischen Sphäre lägen, denn der „delibrierende Soldat (ist) eigentlich kein Soldat mehr, sondern ein Meuter(er)“ An dieser Einstellung wird erkenntlich, daß sich wieder die Kluft zwischen Militär und Zivilbevölkerung auftat, die von 1806 so verderbliche Folgen gezeitigt hatte.

Es gab indes noch viele andere Anzeichen dafür, daß sich die alte Antipathie zwischen Heer und Volk geltend machte. Der tiefere Sinn der Krise von 1819 war den mittleren und unteren Ständen nicht entgangen. In der ihr folgenden Restaurationsperiode rührte sich in Preußen zum erstenmal eine organisierte liberale Bewegung, eine Bewegung, deren Antrieb das Verlangen nach einer Verfassungsreform und nach einer Außenpolitik war, die den Hoffnungen des deutschen Volkes auf nationale Einigung Rechnung trug. Da sie weder in der einen noch in der anderen Richtung weiterkamen, übten die Liberalen in zunehmendem Maße Kritik an der Regierung und an der Armee. Es war die Zeit, in der die Verhimmelung der Landwehr einsetzte und in der man begann, deren Leistungen in den Freiheitskriegen auf Kosten der Linienarmee zu verherrlichen. Es war die Zeit, in der die Werke des süddeutschen Geschichtschreibers Karl von Rotteck große Popularität gewannen. Die preußischen Liberalen griffen gläubig seine Argumente gegen das stehende Heer auf: es sei ein Werkzeug des Despotismus, seine Rekruten würden vorsätzlich dem Volke entfremdet und in ihnen eine Verachtung für menschliche Werte und Gesetz gezüchtet, die Armee stehe der Entfaltung von Gewerbe, Kunst und Wissenschaft feindselig gegenüber, sie müsse aufgelöst und durch eine vergrößerte Nationalmiliz ersetzt werden

Diese überschwenglichen Argumente würden an sich nicht viel bedeutet haben, hätten nicht Regierung und Armee sich in einer Weise verhalten, die dazu angetan war, ihnen Triftigkeit zu verleihen. Das enge, bei den Liberalen unpopuläre Bündnis mit Österreich nach 1819 schien zu beweisen, daß dem König und seinen nächsten Ratgebern mehr daran lag, die liberale Bewegung zu unterdrücken als Preußens nationale Hoffnungen zu erfüllen, und daß sie die Armee weniger als ein Verteidigungsmittel gegen äußere Feinde denn als eine Waffe gegen das eigene Volk ansahen. Tatsächlich wurde dies fast unverhohlen in dem mit Genehmigung des Königs 1826 erschienenen „Handbuch des preußischen Militärrechts“ von Rudolf und in anderen militärischen Publikationen zugegeben; darin hieß es nachdrücklich, die Armee sei ein „Ordnungsfaktor" innerhalb der Gesellschaft Hinzu kam, cnS die Brutalität, mit der die Truppen vorgingen, wenn sie wirklich zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzt wurden — wie zum Beispiel bei den Berliner Unruhen von 1830 und im Falle des sogenannten Feuerwerkskrawalls vom August 183 3 in Berlin ebenso wie der bei zahlreichen Gelegenheiten von einzelnen Offizieren zur Schau getragene Standesdünkel zu beweisen schien, wie sehr die Armee von Verachtung gegenüber den Zivilisten erfüllt war

Solche Übergriffe konnten nur dazu beitragen, im Volke Mißtrauen und Abneigung gegen die Armee zu erwecken. In den Jahren zwischen 1819 und 1840 wurde alles, was Scharnhorst und seine Anhänger getan hatten, um Militär und Zivilbevölkerung auszusöhnen, zunichte gemacht. Die Armee galt nun wieder allgemein als Haupthindernis für den sozialen Fortschritt, und es war deutlich, daß ihre Existenz im Falle einer größeren Erhebung im Innern gefährdet sein würde.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Huber, Heer und Staat, 122; Jany, Preußische Armee, IV, 2— 3.

  2. Eine abgewogene Darstellung der Veränderungen in der Zusammensetzung der Kommission siehe bei Shanahan, Military Reforms, 100— 102 Max Lehmanns Interpretation (Scharnhorst, II, 8— 37), die den Kampf zwischen den Reformern und den Konservativen in der Kommission hervorhebt, wurde neuerdings angefochten von Rudolf Stadelmann, . Das Duell zwischen Scharnhorst und Borstell im Dezember 1807“, Historische Zeitschrift, CLXI (1940), 263— 276.

  3. Max Lehmann, Freiherr vom Stein (3 Bde., Leipzig, 1902— 1905), II, 109 ff.

  4. Daß Scharnhorst in der Reformzeit die führende Rolle spielte, wurde von seinen hartnäckigsten Gegnern, wenn auch widerwillig, zugegeben. So schrieb Marwitz: . Die Ideologen und Philosophen haben ihn (Scharnhorst) viel zu sehr gepriesen, als sey er der größte Held gewesen und als habe er allein den Preußischen Staat gerettet. Das ist zuviel gesagt! Aber es war doch ein wahres Glück für das Land, daß er um den König und ans Ruder der militairischen Angelegenheiten kam, denn alles Dauerhafte und Wesentliche, was zwischen 1807 und 1813 eingerichtet ist, rührt von ihm her.'Nachlaß, I, 300— 301.

  5. Freiherr vom Stein, Briefwechsel, Denkschriften und Aufzeichnungen, hg. von E. Botzenhart (7 Bde., Berlin 1931 ff.), II, 163. Siehe auch Gerhard Ritter, Stein, eine politische Biographie (Stuttgart, 1931), I, 269— 270.

  6. Siehe z. B. Rudolf Stadelmann, Scharnhorst, Schicksal und geistige Welt (Wiesbaden, 1952), 91.

  7. Oberpräsident von Schön, der bei den Reformen und der anschließenden Befreiung Preußens eine führende Rolle spielte, bezeugte in seinem späteren Leben die Abneigung des Volkes gegen die Armee, indem er an Droysen schrieb, das Heer habe vor 1806 das Volk zu lange tyrannisiert. J. G. Droysen, Briefwechsel, hg. von R. Hübner (Stuttgart, 1929), I, 656.

  8. Stein, Briefwechsel, Denkschriften, Aufzeichnungen, VI, 167.

  9. Hintze, Die Hohenzollern, 445.

  10. Zitiert aus Steins Nassauer Denkschrift vom Juni 1807. Siehe Stein, Briefwechsel, Denkschriften, Aufzeichnungen, II, 210 ff.

  11. Huber, Heer und Staat, 126— 127. Gerhard Ritter, der sich besonders auf Gneisenaus Ansichten bezieht, umfaßt das Programm der Reformer folgendermaßen: »Aufhebung der Hörigkeit, Weckung des Gefühls für Menschenwürde in jedem Untertan, Abschaffung der alten rüden Disziplin in der Armee, Hebung des kriegerischen Geistes im Volke durch alle Mittel der National-erziehung — das sind die Voraussetzungen für die Schaffung eines Volksheeres, dessen Tugenden auf Ehrgefühl und Vaterlandsliebe statt auf sklavischem Gehorsam beruhen. * Staatskunst und Kriegskunstwerk: Das Problem des . Militarismus* in Deutschland, I (München, 1954), 99. Gneisenau schrieb 1807: „Man hat zeither Alles aufgeboten, um den Menschen finanzistisch und für alle Zwecke der Staatsmaschine nützlich zu bilden, aber bei weitem weniger, um ihn frei und edel und selbständig zu machen, als den der sich fühlt auch ein Teil des Ganzen zu seyn und für sich selbst Würde zu haben. * G. H. Pertz und Hans Delbrück, Das Leben des Grafen Neithardt von Gneisenau (Berlin, 1864 ff.), I, 319— 320.

  12. Uber dieses Thema vgl. Lehmann, Scharnhorst, II, 41— 55, und Shanahan, Prussian Military Reforms, 105— 109. Siehe auch Marwitz, Nachlaß, I, 189.

  13. Marwitz behauptete bis ans Ende seines Lebens, „ich traue im Kriege weit mehr auf den Sohn eines armen Landedelmannes oder Offiziers, die auf ihrem Schlosse oder in ihrer Garnison Mangel leiden, als auf den eines Reichen, der seinen Reichthum der Spekulation und wohl gar Bankerotten verdankt.'Nachlaß, I, 305 ff. Siehe auch Walther Kayser, Marwitz (Hamburg, 1936), 184, 187, und Friedrich Meusel (hg.) „Marwitz’ Schilderung der altpreußischen Armee“, Preußische Jahrbücher, CXXXI (1908), 460— 484.

  14. Lehmann, Scharnhorst, II, 60. Gegenüber Scharnhorsts früheren Ansichten bedeutete dies einen Fortschritt. Siehe Eleftherios Sossidi, Die staatsrechtliche Stellung des Offiziers im absoluten Staat (Berlin, 1939), 41 ff.

  15. Conrady, Grolman, I, 151. über Grolmens Laufbahn siehe Oberst von Hoepfner im Militärwochenblatt (Beiheft, Okt. 1843), 2— 23.

  16. Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen (Stuttgart, 1895— 1899), I, 169.

  17. Diese Auffassung vertritt Eugene N. Anderson in dem klugen Kapitel über den König in seinem Werk: Nationalism and the Cultural Crisis in Prussia, 1806— 1815 (New York, 1939), insbesondere 278— 279.

  18. Demeter, Das Deutsche Heer, 15; Conrady, Grolman, I, 159— 162.

  19. Lehmann, Scharnhorst, II, 55— 67; Shanahan, Prussian Military Reforms, 131— 133.

  20. Demeter, Das Deutsche Heer, 16; siehe auch Droysen, Yorck, 183— 184.

  21. über Borstell siehe insbesondere Stadelmann in Historische Zeitschrift, CLXI (1940), 263— 276. Vgl. Demeter, Das Deutsche Heer, 13— 15.

  22. So Marwitz, Nachlaß, I, 306.

  23. Demeter, Das Deutsche Heer, 80.

  24. Rosenberg, Bureaucracy, 217; Shanahan, Prussian Military Reforms, 132 Fn.

  25. Schwertfeger, Die großen Erzieher, 15. Siehe auch Bronsart von Schellen-dorf, Dienst des Generalstabs, 47 ff.

  26. F. von Rabenau in: Von Scharnhorst zu Schliessen, 36— 37.

  27. Einzelheiten siehe bei Shanahan, Prussian Military Reforms, 109— 114, 128— 129; und Jany, Preußische Armee, IV, 20 ff.

  28. Shanahan, Prussian Military Reforms, 152.

  29. R. Vaupel, Stimmen aus der Zeit der Erniedrigung (Berlin, 1923), 67.

  30. Huber, Heer und Staat, 130.

  31. Freiherr vom Stein, Staatsschriften und politische Briefe, hg. von Friedrich Thimme (Leipzig, 1921), 57.

  32. Boyens Memoiren wurden von Friedrich Nippold unter dem Titel Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen (3 Bde., Stuttgart, 1889— 1890) herausgegeben. Sie behandeln nur die Zeit vor 1813. Uber Boyens gesamte Laufbahn siehe insbesondere Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen (2 Bde., Stuttgart 1895— 1899), seine Bemerkungen über dieses Werk in Erlebtes 1862— 1901 (Leipzig, 1941), 221, seinen Aufsatz „Boyen und Roon" in Historische Zeitschrift LXXVII (1896), letztmalig wiedererschienen in Preußisch-Deutsche Gestalten und Probleme (Leipzig, 1940), und seine kurzen Bemerkungen über Boyen in Die deutsche Katastrophe (3. Ausl., Wiesbaden, 1947), 154— 155. Ebenso wie Scharnhorst wurde auch Boyen von nationalsozialistischen Historikern mit Beschlag belegt, wobei einige versuchten, ihn zum geistigen Vorläufer Adolf Hitlers zu machen. Siehe z. B. Scholtz, Boyen, insbesondere S. 98— 99.

  33. Meinecke, Boyen, I, 101— 102, 192 ff.

  34. Ebd., 106 ff.; Boyen, Erinnerungen, I, 132, 210, 316— 318, 411— 421, 476— 480; Lehmann, Scharnhorst, II, 24, 99 ff., 124— 125; Huber, Heer und Staat, 136; Shanahan, Prussian Military Reforms, 136— 139; Lehmann, Freiherr vom Stein (Leipzig, 1902— 1905), II, 546— 547.

  35. R. Vaupel, hg„ Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. Das Preußische Heer vom Tilsiter Frieden bis zur Befreiung 1807— 1814. (Publikationen aus den Preußischen Archiven, XCIV, Leipzig, 1938, 410.

  36. MaxLehmann, „Zur Geschichte der preußischen Heeresreform von 1808“, Historische Zeitschrift, CXXVI (1922).

  37. Lehmann, Scharnhorst, II, 97— 99.

  38. Droysen, Yorck 190— 191. Wie sehr Scharnhorst auf Stein baute, ist u. a. ersichtlich bei Lehmann, Stein, II, 541.

  39. Siehe Shanahan, Prussian Military Reforms, 159— 178; Jany, Preußische Armee, III, 468; IV, 41. Vgl. Lehmann, Scharnhorst, II, 157— 159.

  40. Shanahan, Prussian Military Reforms, 178.

  41. Siehe Lehmann, Scharnhorst, II, 136 ff., 153 ff., 222 ff.; Shanahan, Prussian Military Reforms, 141— 143, 179— 185.

  42. Lehmann, Stein, II, 369 ff., 376— 378; Scharnhorst, II, 134.

  43. Das Königlich Preußische Kriegsministerium, 6— 8; Schmidt-Bückeburg, Militärkabinett, 15 ff.

  44. Lehmann, Scharnhorst, II, 208—-211.

  45. Ebd. Der König könnte jedoch auch der Tatsache Rechnung getragen haben, daß Scharnhorst, der an erster Stelle für den Ministerposten in Frage kam, rangmäßig unter vielen anderen Offizieren des Heeres stand.

  46. Ebd., 211- 212.

  47. Schmidt-Bückeburg, Militärkabinett, 16- 20. Grolman leitete die erste Abteilung nur zwei Monate lang. Ihm folgte Oberst Hake, und im Februar 1810, als Hake Chef des Militär-Okonomiedepartements wurde, trat Boyen dessen Nachfolge an. Siehe Boyen, Erinnerungen, II, 12.

  48. über Ursprung und Bedeutung des österreichischen Krieges, siehe die allgemeine Darstellung bei Srbik, Deutsche Einheit, I, 168 ff.; und Schnabel, Deutsche Geschichte, I, 398.

  49. Lehmann, Scharnhorst, II, 263— 267.

  50. Eine scharfsinnige Untersuchung des Nationalismus dieser vielgeschmähten Gestalten siehe bei Hans Kohn, „Arndt and the Character of German Nationalism“, American Historical Review, LIV (1949), 787— 803; „The Paradox of Fichte’s Nationalism", Journal of the History of Ideas, X (1949), 319— 343.

  51. Lehmann, Scharnhorst, II, 268— 270.

  52. Ebd., 288.

  53. Ebd., 295.

  54. Boyen, Erinnerungen, II, 106— 108; E. F. Henderson, Blücher and the Uprising of Prussia against Napoleon, 1806— 1815 (London, 1911), 47— 48. Blücher soll auch geglaubt haben, er werde von den Franzosen verfolgt; sie hätten Spione angeworben, die den Fußboden seines Quartiers unter so starker Hitze hielten, daß man nicht mehr darauf gehen könne. Allem Anschein nach waren diese Phantasien auf wüste Zechereien zurückzuführen. Jedenfalls gingen sie vorüber.

  55. Hoepfner im Militärwochenblatt (Beihefte, 1843), 7— 8.

  56. Treitschke, Deutsche Geschichte, I, 369— 370; Hintze, Die Hohenzollern, 461; Lehmann, Scharnhorst, II, 308 ff.

  57. Uber Hardenbergs Reformen siehe Hintze, Die Hohenzollern, 462— 466, und Treitschke, Deutsche Geschichte, I, 369— 381. Einen Begriff von dem Haß, den sie unter den Gutsbesitzern Brandenburgs und Ostpreußens wie überhaupt in den konservativen Kreisen erzeugten, gewinnt man aus Marwitz, Nachlaß, I, 322 ff.

  58. Hintze, Die Hohenzollern, 461— 462.

  59. Anderson, Nationalism, 289.

  60. Pertz, Gneisenau, II, 191 ff. Ritter glaubt, Gneisenaus Pläne für eine Massenerhebung seien so undurchführbar gewesen, daß man an seiner politischen Urteilskraft zweifeln müsse. Siehe Staatskunst und Kriegshandwerk, I, 103.

  61. Uber Hardenberg siehe das Urteil seiner Zeitgenossen Marwitz (Nachlaß, I, 332 ff.) und Schön (Droysen, Briefwechsel, I, 713). Siehe auch Hintze, Historische und politische Aufsätze, III, 66— 67; P. Rohden, „Die klassische Diplomatie im Kampf um das europäische Gleichgewicht", Europäische Revue, XV (1939), 259; und Paul Haake, „König Friedrich Wilhelm IIL, Hardenberg und die preußische Verfassungsfrage“, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Bde. XXVI (1913) bis XXXII (1919) und insbesondere XXX (1918), 348. Uber sein diplomatisches Vorgehen im Jahre 1811 siehe Lehmann, Scharnhorst, II, 359, und Meinecke, Boyen, I, 211— 221.

  62. Hintze, Die Hohenzollern, 467.

  63. Lehmann, Scharnhorst, II, 402— 425, 428 ff.; Droysen, Yorck, I, 296— 298. Blücher war auf Napoleons Ersuchen verbannt worden, weil er in Pommern heimliche Rüstungen betrieben hatte.

  64. Ströme von Tinte sind mit Untersuchungen von Yorcks Handlungsweise vergossen worden, wobei die Frage der Insubordination heftig umstritten war. Siehe z. B. Walter von Elze, Der Streit um Tauroggen (Breslau, 1926). E. R. Huber vertritt den Standpunkt, daß die Konvention ein Akt der Auflehnung war, eine Verletzung des Offizierseides und eine Anrufung des alten Widerstandsrechtes, d. h.des dem Volke gegebenen Rechts, sich selbst gegen einen Monarchen zu schützen, der es in Gefahr bringt. „Der Fahneneid", schreibt Huber, „bindet das Heer nicht mehr, wenn diesem befohlen wird, an der Seite des Erbfeindes zu kämpfen . . . Die Konvention von Tauroggen war eine verfassungsgestaltende Tat von höchstem Rang; sie dokumentierte, daß auch der König sein Amt habe, das ihn bei dem Volke verpflichtete, und daß dort, wo der König versagte, Heer und Volk aus eigener Kraft und eigener Verantwortung zu entscheiden hatten". (Heer und Staat, 163 ff.) Andere Auffassungen siehe bei Droysen, Briefwechsel, II, 66, und Yorck, I, 419 ff.; Lehmann, Knesebeck und Schön, 75— 76; und Treitschke, Deutsche Geschichte, I, 405. Hintze meint, Yorck habe die Risiken durchaus erkannt, aber in dem Glauben gehandelt, daß er mit seiner Tat dem geheimen Wunsch des Königs entspreche. (Die Hohenzollern, 468— 469.) Dennoch sollte vermerkt werden, daß der König fortan Yorck gegenüber ein stilles Mißtrauen hegte und daß die Konvention nicht einmal nach der Befreiung als offizieller Staatsakt anerkannt wurde.

  65. Lehmann, Stein, III, 218 ff; Shanahan, Prussian Military Reforms, 193— 196.

  66. Shanahan, Prussian Military Reforms, 197— 213. Uber die dem Landsturmedikt innewohnenden demokratischen Züge siehe Schnabel, Deutsche Geschichte, I, 503— 506.

  67. Lehmann, Stein III, 248 ff.; Boyen, Erinnerungen, II, 337— 339.

  68. Hintze, Die Hohenzollern, 471.

  69. Einige Zahlen gibt Shanahan, Prussian Military Reforms, 206— 207, 218 bis 224.

  70. Ebd., 207— 211. Siehe auch Boyen, Erinnerungen, III, 93— 95.

  71. Shanahan, Prussian Military Reforms, 219— 221; Schnabel, Deutsche Geschichte, I, 503.

  72. Siehe vor allem Treitschke, Deutsche Geschichte, I, 406 ff. Eine belletristische Schilderung der Volksstimmung im Winter 1812— 1813 gab Fontane in seinem Buch „Vor dem Sturm“.

  73. F. von Cochenhausen in „Von Scharnhorst zu Schliessen", 105— 107.

  74. Varnhagen von Ense, Blücher (Berlin, 1826), 451. Blücher ist fraglos eine der anziehendsten Gestalten dieser Epoche. Schön bemerkte: „Blücher war zwar nur Bravour, aber in herrlicher menschlicher Gestalt!“ (Droysen, Briefwechsel, II, 43), er sei ohne Anmaßung und bis zur Übertreibung bescheiden gewesen. Während des Feldzugs von 1813 soll er einmal zu seinem Chef des Stabes gesagt haben: „Gneisenau, hätte ich doch nur etwas gelernt, was hätte man aus mir machen können!“ Varnhagen von Ense schreibt über seine Jugend: „Auch hier scheint von Unterricht und Erziehung kaum die Rede gewesen zu sein. Sinn und Gemüth durften sich desto freier in den unmittelbaren Lebenseindrücken entwickeln . . . Jagd, Spiel, Gelage, Liebes-freuden und Gewaltstreiche theilten seine Zeit.“ S. 5, 11. Uber den Soldaten Blücher siehe Henderson, Blücher, und W. von Unger, Blücher (2 Bde., Berlin, 1908).

  75. Schnabel, Deutsche Geschichte, I, 555.

  76. Uber Clausewitz'Schriften, die hier nicht ausführlich behandelt werden, gibt es eine umfangreiche Literatur. Siehe vor allem H. Rothfels, „Clausewitz“ in Makers of Modern Strategy, 93— 113, mit bibliographischem Anhang; Herbert Rosinski, „Die Entwicklung von Clausewitz'Werk , Vom Kriege'im Lichte seiner . Vorreden'und . Nachrichten'Historische Zeitschrift, CLI (1935), 278— 293; und Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, I, 67— 96.

  77. Srbik, Deutsche Einheit, I, 194— 205.

  78. Siehe z. B. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, I, 105 ff.

  79. Schnabel, Deutsche Geschichte, I, 528 ff.; Treitschke, Deutsche Geschichte, I, 505 ff.

  80. über diese Krise siehe Pertz und Delbrück, Gneisenau, IV, 71- 88; Conrady, Grolman, II, 193 ff.; und F. von Cochenhausen, „Vor 125 Jahren, Politische und militärische Führung im Feldzug 1814", Wissen und Wehr, XX (1939), 81- 100.

  81. Rohden in Europäische Revue, XV (1939), 162. Uber die entscheidende Rolle Castlereaghs siehe C. K. Webster, The Foreign Policy of Castlereagh, 1812- 1815 (London, 1931), 226- 229.

  82. Treitschke, Deutsche Geschichte, I, 556.

  83. Pertz und Delbrück, Gneisenau, V, 20 ff.

  84. Siehe insbesondere Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von Anna von Sydow (Berlin, 1906— 1916), IV, 542— 546.

  85. Selbst Blücher, der politisch nicht so radikal dachte wie die anderen Reformer, hatte 1813 an Scharnhorst geschrieben: „Nicht nur Preußen allein, sondern das ganze deutsche Vaterland muß wiederum heraufgebracht und die Nation hergestellt werden.“ Erich Brandenburg, Die Reichsgründung (2 Bde., Leipzig, 1914), I, 68. Siehe auch Meinecke, Boyen, III, 40 ff.

  86. Meinecke, Boyen, II, 13— 22.

  87. Haake in „Forschungen", XXVIII (1915), 213— 214.

  88. Meinecke, Boyen, II, 5.

  89. Ebd., 73.

  90. H. G. Schenk, The Aftermath of the Napoleonic Wars (New York, 1947), 116— 117. Die Verse Moores, die als Motto diesem Kapitel voranstehen, sind ebenfalls Schenk entnommen.

  91. Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, I, 140— 141. In der Zeit danach nahm das Mißtrauen des Königs gegen Gneisenau zu. Clausewitz schrieb in einem Brief vom Januar 1818: „Das Vertrauen, was der König ihm [Gneisenau] geschenkt hatte, scheint durch Einflüsterungen wieder geschwächt zu sein. Nachdem er [Gneisenau] drei Wochen in Berlin anwesend gewesen, hatte er noch nicht beim König gegessen.“ Eberhard Kessel, „Zu Boyens Entlassung“, Historische Zeitschrift, CLXXV (1953), 48.

  92. Siehe z. B. Marwitz, Nachlaß. I. 291— 292.

  93. Droysen, Briefwechsel, II, 20.

  94. Schnabel, Deutsche Geschichte, I, 472— 473.

  95. Einzelheiten siehe bei Meiner, Der Kriegsminister, 11; Schmidt-Bücke-burg, Militärkabinett, 28.

  96. Meinecke, Boyen, II, 310.

  97. Uber das Wehrgesetz vom 3. September 1814 siehe Meinecke, Boyen, I, 398 ff.; Schnabel, Deutsche Geschichte, II, 310ff.; Huber, Heer und Staat, 148 ff.; F. von Rabenau, „Zur 90. Wiederkehr des Todestags des Generalfeldmarschalls von Boyen“, Militärwissenschaftliche Rundschau, III (1938), 32 ff.

  98. Schnabel (Deutsche Geschichte, II, 315— 316) weist darauf hin, daß beim Zustandekommen dieser Bestimmung der Einfluß der Universitäten nicht unerheblich war. Uber Boyens Einstellung siehe Meinecke, Boyen, II, 136 bis 141.

  99. Varnhagen von Ense, Blücher, 460.

  100. Meinecke, Boyen, II, 164— 177; Schnabel, Deutsche Geschichte II, 313.

  101. Schnabel, Deutsche Geschichte, II, 313— 314; Meinecke, Boyen, II, 178— 179; Sossidi, Offizierkorps, 71— 72.

  102. Uber die Krise und Boyens brillantes Expose über die ehemalige und neue preußische Heeresverfassung siehe Treitschke, Deutsche Geschichte, II, 225 ff.; Meinecke, Boyen, II, 299— 309.

  103. Gneisenau war zwar noch aktiver General, hatte aber Ende 1816 als Kommandierender General der 8. Armee seinen Abschied genommen. Sein Generalkommando in Koblenz war den Reaktionären stets verdächtig gewesen und von ihnen „Wallensteins Lager in Koblenz“ genannt worden. Pertz und Delbrück, Gneisenau, V, 4— 37.

  104. Als beste Darstellung der staatspolitischen Aspekte von Humboldts Wirken siehe S. A. Kaehler, Wilhelm von Humboldt und der Staat (München, 1927). Siehe auch das ältere Werk von Bruno Gebhardt, Wilhelm von Humboldt als Staatsmann (2 Bde., Stuttgart, 1899).

  105. Kaehler, Humboldt, 398.

  106. Die verschiedenen Ansichten hierüber siehe bei Treitschke, Deutsche Geschichte, II, 209— 210; Kaehler, Humboldt, 418; Meinecke, Boyen, II, 369 bis 370; und Haake in Forschungen, XXXII (1919), 112.

  107. Kaehler, Humboldt, 422 ff.; Haake in Forschungen, XXXII (1919), 129 bis 136.

  108. Kaehler, Humboldt, 426.

  109. Treitschke, Deutsche Geschichte, II, 599; Meinecke, Boyen, II, 373 ff.

  110. Kessel in Historische Zeitschrift, CLXXV (1953), 53.

  111. Meinecke, Boyen, II, 203 ff., und'Preußisch-deutsche Gestalten und Probleme, 105— 108; Conrady, Grolman, III, 68 ff.; Treitschke, Deutsche Geschichte, II, 227 ff.; Schnabel, Deutsche Geschichte, II, 319— 324.

  112. Siehe z. B. Haakes Schilderung der Wühlarbeit Wittgensteins und des Mecklenburgers im Juni und Juli 1819, Forschungen, XXXII (1919), 135.

  113. Es ist allerdings zu bemerken, daß der König schon seit März an eine Umgestaltung der Landwehr dachte. Siehe Conrady, Grolman, III, 74.

  114. Ebd.; Treitschke, Deutsche Geschichte, II, 605; Schnabel, Deutsche Geschichte, II, 320. Fortan sollte die Division aus einer Linienbrigade, einer Landwehrbrigade, einer Kavalleriebrigade, dazu Artillerie und technische Truppen, bestehen.

  115. Meinecke, Boyen, II, 381.

  116. Treitschke, Deutsche Geschichte, II, 605.

  117. Genau aus diesem Grunde äußerte sich Clausewitz in einem Brief vom Dezember 1819 kritisch über Boyens Abschied: „Den Männern von 1806 das Schlachtfeld so ganz zu räumen, halte ich nicht für recht." Siehe Kessel in Historische Zeitschrift, CLXXV (1953), 53.

  118. Meinecke, Erlebtes, 1862— 1901, S. 208; 1948: eine Säkularbetrachtung (Bonn, 1948), 9.

  119. Hierzu siehe Hintze, Staat und Verfassung, hg. von Fritz Hartuna (Leipzig, 1941), 439. 9

  120. Haake in Forschungen, XXXII (1919), 165— 167; Treitschke, Deutsche Geschichte, III, 238 ff.

  121. Schnabel, Deutsche Geschichte, II, 287— 298.

  122. Treitschke, Deutsche Geschichte, VI, 62— 63; Meinecke Boven 459 bis 462, 540 ff. 1

  123. Treitschke, Deutsche Geschichte, VI, 63. Dieses Zündnadelgewehr war es, das 1866 einen englischen Verseschmied zu der folgenden Strophe inspiThe needle gun, the needle gun, The death-defying needle gun;

  124. Siehe insbesondere Dallas D. Irvine, „The Origin of Capital Staffs", Journal of Modern History, X (1938), 161— 179; und „The French and Prussian Staff Systems before 1870", Journal of the American History Foundation II (1938), 192— 203.

  125. Müffling war Chef des Generalstabs von 1821 bis 1829, Krauseneck von 1829 bis 1848. über ihr Wirken siehe Bronsart von Schellendorf, Dienste des Generalstabs, 26/ff.; Bockmann in „Von Scharnhorst zu Schliessen", 121 ff.; und Eberhard Kessel, Moltke (Stuttgart, 1957), 68— 71. Einige interessante Einzelheiten über die Tätigkeit des Topographischen Bureaus und der Historischen Abteilung finden sich bei W. Bigge, Moltke (München, 1901), I, 31— 34; Max Jähns, Feldmarschall Moltke (Berlin, 1894), 32 ff.; Major Oliech, „Reyher", Militärwochenblatt (Beihefte, 1879, Nr. 5— 6), insbesondere S. 42 bis 44; Albrecht Graf von Roon, Denkwürdigkeiten (Berlin, 1905), I, 92. Uber Eisenbahnen siehe insb. E. A. Pratt, The Rise of Rail-Power in War and Conquest, 1833 bis 1914 (New York, 1915).

  126. Siehe insbesondere Schmidt-Bückeburg, Militärkabinett, 28— 32.

  127. Huber, Heer und Staat, 337— 338; Meisner, Der Kriegsminister, 48; Wohlers, Generalstab, 24— 28.

  128. Reinhard Höhn, Verfassungskampf und Heereseid: Der Kampf des Bürgertums um das Heer, 1815— 1850 (Leipzig, 1938), 265.

  129. Uber Rühle siehe die biographische Skizze im Militärwochenblatt (Beihefte, Oktober bis Dezember 1847).

  130. Demeter, Das deutsche Heer, 84— 85.

  131. Sossidi, Offizierkorps, 69; Alfred Vagts, A History of Militarism (New York, 1937), 180— 181.

  132. Erich Marcks, Männer und Zeiten (Leipzig, 1912), I, 303— 306.

  133. Schwertfeger, Große Erzieher, 43 ff.

  134. Höhn, Verfassungskampf, 222— 223.

  135. Uber Rotteck, ebd„ 19 ff.

  136. Ebd., 227— 236, 252 ff.

  137. Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, 1848— 1849 (Berlin, 1930), I, 55.

  138. Siehe z. B.den Fall von Blüchers Enkel, der 1823 im Verlauf einer nächtlichen Liebesaffäre den Schauspieler Stich niederstach. Treitschke, Deutsche Geschichte, III, 423. Andere Beispiele siehe bei M. Boehn, Biedermeier, Deutschland von 1815— 1847 (Berlin, o. J.), 285— 287.

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