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Der Westen und die Arabische Welt | APuZ 11/1959 | bpb.de

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APuZ 11/1959 Der Westen und die Arabische Welt Chinas wahre Macht

Der Westen und die Arabische Welt

CHARLES ISSAWI

Die nachfolgende Betrachtung wurde mit freundlicher Genehmigung des Royal Institute of International Affairs der Januarnummer der Monatsschrift „International Affairs“ entnommen.

Rückschläge auf allen Gebieten

Die ununterbrochene Reihe von Fehlschlägen, welche der Westen in der östlichen Hälfte der Arabischen Welt in den letzten Jahren hinnehmen mußte, macht eine Überprüfung seiner Politik in diesem Gebiet erforderlich. Diese Politik beruhte, wenn auch nicht gerade auf der Idee der „Allmacht“, wie Professor D. V/. Brogan es formulierte, so doch schließlich auf der Vorstellung einer umfassenden „Vollmacht“ Dennoch scheint gegenwärtig die Position des Westens in den arabischen Ländern schwächer zu sein als jemals zuvor während der vergangenen 150 Jahre. Diese Schwäche offenbart sich in jeder Hinsicht — ganz gleich, ob es sich nun um den moralischen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Bereich handelt.

Auf der moralischen Ebene hat der Westen in den Augen der Araber allen Kredit eingebüßt. Der Westen wird als räuberischer Imperialist angesehen, immer bereit, über die schutz-losen Asiaten und Afrikaner herzufallen und nur durch die Furcht vor russischen Gegenmaßnahmen in Schranken gehalten. Er wird als fanatischer Kriegshetzer geschildert, bestrebt, Atombomben abzuwerfen und die friedliebende Welt in das größte Entsetzen zu stürzen. Seine moralischen Versicherungen werden als Heuchelei abgetan. Phrasen wie „die freie Welt“, „die Würde des Individuums“, „christlich-abendländische Kultur“, oder „die Herrschaft des Rechtes“ lösen je nach der Verfassung des Zuhörers Hohn oder wütenden Ärger aus. Und ständig wird man an die Ereignisse in Palästina, Algerien, Suez, Kenia, Zypern und Little Rock erinnert. Andererseits werden die zahlreichen aus weisem staatsmännischen Denken heraus erfolgten Entscheidungen und die Beweise einer bei spiellosen großherzigen Freigiebigkeit, die der Westen in den letzten 15 Jahren geliefert hat, wie die Freigabe Indiens und anderer Kolonial-gebiete, der Marshall-Plan und die gewaltiger, Hilfeleistungen für viele Länder entweder ignoriert oder wegdiskutiert.

Auf dem kulturellen Sektor hat der Westen ebenfalls einen schweren Rückschlag erlitten Selbstverständlich ist die überwältigende Mehrheit der gebildeten Araber im Westen, oder zumindest vom Westen ausgebildet worden, und die so entstandenen Bindungen werden nicht so leicht aufgegeben. Aber das westliche Monopol auf dem kulturellen Sektor ist durchbrochen. De sowjetischen Erfolge in Wissenschaft und Technik haben die Araber wie auch andere asiatische Staaten tief beeindruckt, und russische Literatur und Kunst beginnen, ihre Spuren zu hinterlassen. Heute sind sich die Araber über eines im klaren: die Isolierung vom Westen würde nicht bedeuten, daß sie von allen kulturellen Quellen abgeschnitten würden, auch wenn der gebotene Ersatz weit weniger anziehend ist. Nichtsdestotrotz sind die kulturellen Bindungen wahrscheinlich der größte und einzige Aktivposten, der dem Westen bleibt, und dieser sollte umfassender ausgenutzt werden.

Auf wirtschaftlicher Ebene ist der Rückschlag weit größer und erstreckt sich über einen größeren Wirkungsbereich. Zunächst ist festzustellen, daß die Araber zum ersten Male in der modernen Geschichte die Möglichkeit haben, sich den Markt für die Ausfuhr ihrer Erzeugnisse und für die Einfuhr von Maschinen, Verbrauchsgütern und Rohmaterialien, die sie brauchen, auszuwählen. Aber auch hier ist der gebotene Ersatz für die bisherige Praxis nicht vollkommen. In Ägypten vermissen die Verbraucher aller Bevölkerungsschichten die pharmazeutischen Produkte, Haushaltswaren und Ausrüstungen, die früher von Westeuropa und Amerika eingeführt wurden, während der Mangel an westlichen Maschinen und Ersatzteilen der Wirtschaft schweren Schaden zufügt.

Gleichermaßen beginnt man sich darüber klar zu werden, daß die Handelsbeziehungen des Ostblocks für ägyptische Baumwolle keinesfalls so vorteilhaft sind, wie sie sich zuerst ausnah-inen. Und anderen geht langsam auf, daß wenn — wie man vorgab — der Verkauf von 25 Vo aller ägyptischen Exportgüter an Großbritannien politische Abhängigkeit bedeutete, der Verkauf von 60 0/0 an den Ostblock auch nicht ganz ungefährlich sein dürfte. Aber dennoch, es bleibt die Grundtatsache bestehen, daß der Westen nicht länger die arabische Wirtschaft lahmlegen darf, und daß diese entscheidend wichtige Tatsache dem Westen ebenso klar sein sollte wie den Arabern.

Dann ist da ferner der totale Verlust aller Bereiche direkten wirtschaftlichen Einflusses des Westens in diesem Gebiet Die Verstaatlichung der Suezkanal-Gesellschaft und die Sequestrierung britischen und französischen Eigentums haben den größten Teil der ausländischen Investitionen in Ägypten eliminiert, während ein großer Teil des verbleibenden Restes ägyptisiert wird.

In den anderen arabischen Staaten kann auf ausländische Investitionen außer bei der Ölgewinnung verzichtet werden, aber gerade das Öl stellt zur Zeit den schwachen und nicht den starken Punkt des Westens im Mittleren Osten dar. Ein großer Teil der Ausschreibungen z. B für den Bau von Eisenbahnen, Brücken und Fabriken, die früher ganz selbstverständlich an den Westen gingen, wird jetzt natürlich den osteuropäischen Organisationen zugeschlagen Hunderte von westlichen Technikern wurden durch Russen oder Osteuropäer ersetzt, ein Vorgang, der sehr wahrscheinlich auch weiterhin andauern wird.

Schließlich treffen die wirtschaftlichen Ideen, welche der Westen, besonders die USA vertreten, auf Ablehnung. Aus guten Gründen wurde die freie Unternehmerwirtschaft im Mittleren Osten, ausgenommen in Syrien und Libanon, nie sehr ernst genommen, und jetzt wird die Neigung zur Kontrolle und Planung immer deutlicher. In Ägypten hat die staatliche Wirtschaftskontrolle ein größeres Ausmaß als je zuvor seit der Beseitigung von Mohammed Ali’s Monopolsystem im Jahre 1841 erreicht, während in Syrien die staatliche Kontrolle auf vollen Touren läuft. Es besteht kein Grund zu bezweifeln, daß die anderen Länder in Kürze den gleichen Kurs einschlagen werden. Die große Zuwachsrate der sowjetischen Wirtschaft wird in steigendem Maße als Beweis für die Überlegenheit der Planwirtschaft angesehen, und man bemüht sich mehr, die wirtschaftliche Entwicklung durch intensive staatlich geförderte Industrialisierung zu erreichen, als durch Spezialisierung im internationalen Rahmen, Außenhandel, und Einfuhr ausländischen Kapitals, wie es von den meisten westlichen Ratgebern empfohlen wird.

Auch die militärische Position des Westens hat sich beträchtlich verschlechtert. Fast alle britischen und alle französischen Basen in diesem Gebiet wurden aufgegeben. Weniger deutlich, aber auch bezeichnend ist die Veränderung in dem relativen Stärkeverhältnis zwischen arabischen und westlichen Streitkräften in diesem Gebiet. Obgleich immer noch von geringem militärischen Wert, sind die arabischen Armeen zahlenmäßig doch beachtlich größer geworden als sie es in der Vergangenheit waren. Gewiß sind einige der westlichen Streitkräfte mit Kernwaffen ausgerüstet, aber man kann sich kaum die Anwendung solcher Waffen in diesem Gebiet vorstellen, ausgenommen im Verlauf einer weltweiten Auseinandersetzung.

Endlich ist da der rein zahlenmäßige Unterschied zwischen den westlichen und den sowjetischen Streitkräften innerhalb dieses Bereiches oder in dessen Nähe; ein Unterschied, der auf keinen Fall der relativen Stärke der beiden Sei-ten entspricht, jedoch auf die Araber einen beträchtlichen psychologischen Einfluß ausübt. Am 20. Juli 195 8 brachten die ägyptischen Zeitungen drei Schlagzeilen: die Landung von 400 britischen Soldaten in Tobruk, die Verstärkung der amerikanischen Truppen im Libanon auf eine Gesamtzahl von 8 000 Mann, und die Manöver von 500 000 Russen an der iranischen und türkischen Grenze.

Ein anderer Wind weht

Die oben dargelegten Entwicklungen sind zum Teil die Ursache dafür, daß sich die politische Macht des Westens in den arabischen Ländern drastisch verringert hat, so daß er nicht länger imstande ist, den arabischen Regierungen seinen Willen aufzuzwingen. Zunächst errang Ägypten, dann Syrien, und jetzt der Irak eine Position, die es nicht mehr erlaubt, sie von außen unter Druck zu setzen. Auch gibt es keine inneren Kräfte, die sich leicht gegen ihre Regierungen ausspielen ließen.

Denn in diesen Staaten steht die Armee jetzt unter fester Kontrolle und so lange sie geschlossen und loyal bleibt, scheinen die Regierungen gegen einen Umsturz von innen gesichert zu sein. Das bedeutet nicht, daß die Bevölkerung mit dem jeweiligen Regime vollkommen zufrieden ist — es gibt tatsächlich Anzeichen für eine beachtliche LInzufriedenheit. Aber erstens sind es die hohen Militärs, die die Wogen des Nationalismus und der sozialen Revolution antreiben, welche die arabische Welt überschwemmen. Zweitens gibt es keine organisierten Gruppen oder sozialen Schichten, die fähig wären, sich der Armee entgegenzustellen. Die Monarchie wurde beseitigt und die Macht der Stämme ist seit langem gebrochen Der mohammedanische Klerus hat einen großen Teil seines Prestiges verloren und ist nicht mehr in der Lage, die Regierung zu bedrohen. Die Minderheiten haben die Lektion gelernt, daß es gefährlich und letzten Endes auch vergeblich ist, sich gegen die Majorität auf Hilfe von außen zu verlassen. Nicht weniger bedeutend war die Schwächung der mit dem Westen sympathisierenden Bevölkerungsschichten, der Grundbesitzer, Kaufleute und anderer wohlhabender Gruppen. In der Tat ist der Niedergang der Machc der Finanzkreise einer der auffallendsten Aspekte der politischen und sozialen Revolution.

Unter diesen LImständen braucht man nicht überrascht zu sein, daß die Araber nicht mehr ehrfürchtig zum Westen aufschauen. Noch vor wenigen Jahren hätte die Entsendung eines Kreuzers in das östliche Mittelmeer oder in den Persischen Golf ausgereicht, um jeder Forderung einer westlichen Regierung den gewünsditen Nachdruck zu verleihen; aber als im vergangenen Juli die 6. Flotte vor der libanesischen Küste erschien, hatte ein ägyptisches Tagesblatt die Unverfrorenheit, das Manöver als eine „Broadway Show“ zu bezeichnen. Sogar die Landung von Truppen im Libanon und in Jordanien übte eine längst nicht so nachdrückliche Wirkung auf die Haltung der Araber aus, wie man sie möglicherweise erwartet hatte, da ziemlich sofort klar wurde, daß die Truppen nicht außerhalb der Grenzen der beiden Länder eingesetzt und früher oder später zurückgezogen werden würden, wahrscheinlich eher früher als später. Das heißt nicht notwendigerwerse, daß die beiden Landungen ein Fehler gewesen seien, denn der Beweis, daß es Grenzen gibt, über die hinaus man den Westen nicht herausfordern darf, mag sehr wohl auf die Sowjets und uch auf die Araber einen mäßigenden Einfluß ausgeübt haben. Aber im großen und ganzen handeln die Araber unter der Annahme, daß sie, ganz gleich ob es dem Westen nun gefällt oder nicht, auf die ihnen genehme Weise ihre Ziele erreichen können, die sie sich selbst gesetzt haben.

Es übersteigt den Rahmen dieses Aufsatzes, die zahllosen Maßnahmen und Fehler der westlichen Politik zu erörtern, die den jetzigen Zustand herbeigeführt haben. Nach Auffassung des Autors wurden sie'alle durch einen grundlegenden Irrtum verursacht, nämlich der Annahme, daß der Westen genügend Macht — auf moralischer, militärischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene — besitze, um den Arabern seinen Willen aufzuzwingen. Der Westen hat immer in der Annahme gehandelt, daß er, wenn er nur genügend politischen und wirtschaftlichen Druck ausübe und genügend Anreiz böte, wie z. B. finanzielle Hilfeleistung, die arabischen Regierungen dazu bringen könnte, Dinge zu tun, die im Gegensatz zum Willen ihrer Völker stünden, wie z. B. die Unterzeichnung von Bündnis-und Verteidigungsverträgen mit dein Westen. Während dies in der Vergangenheit durchaus den Tatsachen entsprach, traf es in den letzten Jahren immer weniger zu und heute ist es ganz eindeutig nicht mehr gültig Mit anderen Worten: die arabischen Staaten sind nicht länger mehr ein Teil westlicher Einflußsphäre, und diese Tatsache sollte von den westlichen Regierungen berücksichtigt werden. Um ihre Ziele zu erreichen, muß die westliche Politik auf eine neue Basis gestellt werden, welche der veränderten Situation und den Zielen, die sich die Araber gesetzt haben, Rechnung trägt.

Die sechs wichtigsten Ziele der Araber sind folgende: zuallererst kommt die Beseitigung der noch bestehenden westlichen Machtpositionen im arabischen Raum — seien es nun direkte wie Aden, oder indirekte, wie Jordanien. Zweitens der Drang nach der Einheit; mögen auch die Ansichten über die Form dieser Einheit ausein-aridergehen, so wird doch die ägyptische Führungsposition weitgehend akzeptiert.

Drittens ist da der Entschluß, die arabischisraelitischen Streitigkeiten auf solche Weise zu lösen, die für die Araber annehmbar ist. Viertens besteht der Wunsch nach einer sozialen Revolution, die zumindest ebenso weitreichend sein soll wie die ägyptische. Das bedeutet den Sturz der noch verbliebenen Monarchien und eine drastische Beschneidung 4er Macht der Großgrundbesitzer und Stammeshäuptlinge Fünftens besteht der Wunsch nach einer viel umfassenderen Kontrolle über die wichtigste Quelle des wirtschaftlichen Wohlstandes in diesem Gebiet, nämlich das Öl; diese Kontrolle stellt man sich oft in der Form der Enteignung der bestehenden Konzessionsgesellschaften vor

Schließlich besteht der Wunsch, auf diesen Grundlagen eine dnamischere, autarke Wirtschaft und ein gerechteres und in sich geschlossenes Sozialsystem aufzubauen.

Sicherung der wichtigsten Interessen

Soviel über die Ziele der Araber. Was den Westen anbetrifft, so ist es bei der großen Schwächung seiner Position, wie sie oben beschrieben wurde, klar, daß er zum jetzigen Zeitpunkt nur hoffen kann, seine wichtigsten Interessen, d. h. diejenigen, die man als wirklich lebenswichtig bezeichnen kann, zu sichern. In einer letzten Analyse können diese Interessen auf zwei reduziert werden: erstens, der Mittlere Osten darf nicht unter sowjetische Vorherrschaft geraten, und zweitens, das arabische Öl muß weiterhin zu annehmbaren Bedingungen nach Europa fließen. Wenn es gelingt, diese beiden Ziele zu erreichen, kann sich der Westen glücklich schätzen, gleichgültig, welche anderen Ziele aufgegeben werden müssen. Die sowjetische Vorherrschaft im Mittleren Osten kann entweder durch eine Invasion von außen oder durch einen Umsturz im Inneren aufgerichtet werden. Da eine Invasion zweifellos einen Weltkrieg auslösen würde, und da es sich hierbei um eine militärische Angelegenheit handelt, bezüglich der sich der Autor nicht für kompetent hält, soll sie hier nicht weiter erörtert werden. Was einen Umsturz anbetrifft, so kann in solchen Fällen eine Hilfe von außen nur zweitrangige Bedeutung haben. Der entscheidende Faktor dabei ist die Haltung des betroffenen Volkes. Nun, jeder außenstehende Beobachter muß mit Erstaunen die Leichtfertigkeit feststellen, mit der die überwältigende Mehrheit der Araber diese Sache betrachtet, und die durch nichts zu erschütternde Sicherheit der Überzeugung, daß ihnen so etwas nicht widerfahren könne. Ihr Vertrauen gründet sich auf die Tatsache, daß die arabischen Führer keine Kommunisten oder Kommunistenfreunde sind und daß die Zahl der arabischen Kommunisten, von denen viele im Gefängnis sitzen, immer noch sehr gering ist. Dieses Vertrauen beruht ferner auf dem Glauben, daß ein arabischer Nationalismus für die Massen viel verlockender sei als der Kommunismus. Außerdem — genauso wie die Araber sich auf die sowjetische Hilfe gegen eine mögliche westliche Aggression verlassen, — erwarten sie selbstverständlich vom Westen Schutz gegen eine eventuelle russische Invasion-Selbstverständlich ist ein solches Vertrauen und ein solcher Optimismus natürlich und berechtigt: keine politische Bewegung könnte jemals ins Leben gerufen werden, geschweige denn Erfolg haben, wenn sich ihre Initiatoren gleich zu Anfang von den ihnen bevorstehenden Schwierigkeiten überwältigen und entmutigen ließen. Bestimmt ist das jetzige Selbstvertrauen der Araber besser als das noch vor einigen Jahren vorherrschende Gefühl der Enttäuschung und Unfähigkeit. Nichtsdestoweniger kann man sich dem Gefühl nicht entziehen, daß dem sozialen Kräftespiel bisher nicht genug Überlegung ge-widmet wurde. Wenige Araber haben sich die Zeit genommen, über die großen Hindernisse nachzudenken, die einer geordneten Umbildung der arabischen Gesellschaft im Wege stehen.

Wenige haben sich die Frage vorgelegt, ob sich die jetzt freigewordenen gewaltigen sozialen Kräfte innerhalb der gegebenen Grenzen der arabischen nationalistischen Ideologien überhaupt in die richtigen Bahnen lenken lassen.

Wenige haben untersucht, ob die arabischen Regierungen in der Lage sein werden, den an sie gestellten Erwartungen zu entsprechen, und wenn nicht, was dann geschehen wird. Nur wenige — wenn überhaupt jemand — haben sich über die letzten Auswirkungen der Propaganda, mit der sie ihre Völker füttern, Gedanken gemacht: der Auspeitschung der Leidenschaften, der Weckung großer Erwartungen auf ein viel reicheres und besseres Leben, auf größere soziale Gerechtigkeit. Und ebenso haben ganz wenige nur verstanden, wie stark der Reiz des Kommunismus für die Massen und für die unzufriedenen, halbgebildeten Intellektuellen sein kann, die zu Tausenden herangezüchtet werden. Wenn sie dies wirklich verstanden hätten, dann wären sie in viel stärkerem Maße über die Propaganda-flut beunruhigt, die von den Kommunisten und deren Gesinnungsgenossen ausgeschüttet wird, die zahlreiche führende Zeitungen infiltriert haben und hunderte von Büchern ausstoßen.

Keine unüberlegten Aktionen

Aber während nun solche Überlegungen die arabischen Führer ernüchtern sollten, kann der Westen in dieser Hinsicht in der gegenwärtigen Situation wenig tun. Sogar Ratschläge und Warnungen aus dem Westen werden mit Mißtrauen ausgenommen und als Folge finsterer Motive angesehen, wie zum Beispiel der Absicht, die arabischen Länder einzuschüchtern, um sie so in der Einflußsphäre des Westens zu halten. Alles, was der Westen tun kann, um sein erstes Ziel — die Russen von der arabischen Welt fernzuhalten — zu erreichen, ist, unüberlegte Aktionen zu unterlassen. Wenn der Westen die Araber schon nicht davon abhalten kann, in den sowjetischen Bereich abzugleiten, so kann er doch zumindestens vermeiden, sie durch falsche Politik den Russen geradezu in die Arme zu treiben. Die Araber haben nicht Unrecht mit ihrer Behauptung, daß solche Maßnahmen wie der Bagdad-Pakt, der Versuch, Jordanien in diesen Pakt hineinzuzwingen, das Angebot und die nachfolgende Zurückziehung der Hochdamm-Anleihe, der Suez-Angriff und die Eisenhower-Doktrin mehr dazu beigetragen haben, das sowjetische Prestige und den sowjetischen Einfluß in der arabischen Welt zu steigern, als alles, was die arabischen Kommunisten begründeter-weise hoffen konnten, selbst zu erreichen.

Die Sicherung des zweiten lebenswichtigen Interesses des Westens, nämlich die ständige Lieferung arabischen Öls zu annehmbaren Bedingungen, verlangt positivere Aktionen. Bisher wurde die Öllieferung auf zweierlei Weise sichergestellt: die Ölkonzessionen, welche den westlichen Gesellschaften die vollständige Kontrolle über Gewinnung und Verkauf gestatten und die Allgegenwart der westlichen politischen und militärischen Macht in diesem Gebiet. Aber es ist höchst unwahrscheinlich, daß der Bestand der Konzessionen das Absinken der Macht des Westens in diesem Gebiet lange überdauern wird. Selbst die Abänderung der Konzessionsverträge zugunsten besserer Bedingungen für die arabischen Regierungen wird auf die Dauer eine Verstaatlichung nicht verhindern können. Eine umfassende und durchgreifende Politik ist ganz offensichtlich erforderlich, um mit der Situation fertig zu werden.

Die erste, sich von selbst anbietende Möglidkeit ist eine Vereinbarung zwischen dem Westen und der Sowjetunion über den Mittleren Osten. Da diese Vereinbarung fast mit Gewißheit nur als Teil einer umfassenderen Regelung zwischen den beiden Blocks zustande kommen wird, soll sie hier nicht weiter behandelt werden.

Die zweite Möglichkeit ist diejenige, welche 19 56 versucht wurde, nämlich, das Herz des arabischen Nationalismus, Ägypten, zu treffen und somit die gesamte Bewegung zu lähmen. Dieser Kurs schlug in der Suezkrise vollkommen fehl, und es ist sehr bezeichnend, daß er im Jahre 1958 weder gegen Ägypten noch gegen den Irak wieder aufgegriffen wurde. Die Schattenseiten dieser Politik sind zwiefach. Einmal würde ein militärischer Angriff gegen einen ara-bischen Staat auf zu viele Hindernisse stoßen: Empörung der öffentlichen Meinung der ganzen Welt; Zweifel, Skrupel und Befürchtungen innerhalb der westlichen Länder, die leichte Verwundbarkeit der Ölverbindungslinien, schließlich die Gefahr einer russischen Intervention. Zum anderen kann in einem solchen weiten Gebiet eine Militäraktion nur eine sehr kurzfristige Lösung der durch die nationalistischen Bewegungen aufgerührten Probleme erreichen Der dritte Weg ist, das Zentrum des arabischen Nationalismus zu isolieren und einzugrenzen, um so eine Ausbreitung über das ganze Gebiet zu verhindern. Dies scheint nach dem Angriff auf Suez der prinzipielle Leitgedanke der amerikanischen Politik gewesen zu sein. Ägypten und Syrien sollten allein gelassen werden, aber weder Hilfe noch Unterstützung erhalten, während mit den umliegenden Staaten:

Libyen, dem Sudan, Jordanien, Libanon, Irak und Saudi-Arabien ausgezeichnete Beziehungen aufgebaut werden sollten. Wahrscheinlich hoffte man, durch eine solche politische und wirtschaftliche Isolierung, wenn auch nicht gerade den Sturz der Regierungen in Ägypten und Syrien zu erreichen, so doch sie zumindest daran zu hindern, nennenswerte Erfolge zu erzielen, und sie somit in den Augen der übrigen Araber in Mißkredit zu bringen. Es ist wohl kaum nötig, darzulegen, daß der Gang der Ereignisse sich ganz anders entwickelt hat. Die Revolution im Irak hat nicht nur den ägyptischen Einfluß bis auf die Ölgebiete ausgedehnt, sondern auch das Gleichgewicht der Kräfte in diesem Bereich vollkommen gestört, wobei sich die Waagschalen sehr zugunsten Ägyptens neigen ) *• Außerdem sollte allen klar sein, daß der Revolution in Irak andere folgen werden, wahrscheinlich in Jordanien, Kuwait und Saudi-Arabien. Es scheint ja tatsächlich so zu sein, daß die Zeit, die man heute zur Entfesselung einer Revolution gebraucht, immer kürzer wird.

LInter diesen Umständen bleiben der westlichen Politik nur noch zwei weitere Wege: an einigen wenigen und leicht zu verteidigenden Ölgebieten festzuhalten, ganz gleich, wie sich die Rückwirkungen auf die anderen arabischen Länder gestalten; oder mit dem arabischen Nationalismus übereinzukommen und seine wichtigsten Ziele anzuerkennen.

Die erste Alternative würde darin bestehen, an einigen wenigen reichen Ölfürstentümern, wie Kuwait, Bahrain und Quatar festzuhalten, wobei eindeutig klarzustellen wäre, daß jeder von außen kommende Angriff und jede Infiltration auf schärfsten Widerstand stoßen und daß jede innere Agitation sofort unterdrückt werden würde. Eine solche Maßnahme würde dem Westen für eine Reihe von Jahren den Zugang zu ausreichender Ölversorgung offenhalten währenddessen man sich ernsthaft um die Entwicklung anderer Energiequellen bemühen müßte. Als Teil dieser hinhaltenden Aktion könnte ein Versuch gemacht werden, die Kontrolle über einige der weniger verwundbaren westlichen Stützpunkte im arabischen Bereich, z. B. Aden und einige Fürstentümer am persischen Golf aufrechtzuerhalten und den wenigen arabischen Regierungen, die dem Westen noch nicht feindlich gesinnt sind, heimlich Hilfe zu leisten, ohne sich jedoch Illusionen über die Dauerhaftigkeit dieser Regierungen zu machen.

Die Schwierigkeiten, die sich aus einer solchen Politik ergeben, sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Zunächst wäre die Gefahr von Agitation und Sabotage in den Ölanlagen beachtlich Zweitens wäre der so gewonnene Aufschub nicht von langer Dauer. Drittens, und dies wäre am schwerwiegendsten, könnte diese Politik das wichtigste Ziel der westlichen Politik im Mittleren Osten, nämliche eine russische Vorherrschaft zu verhindern, schwer beeinträchtigen. Denn die Anwesenheit westlicher Streitkräfte im persischen Golf würde eine der schärfsten Herausforderungen für den arabischen Nationalismus darstellen und dazu noch eine, die mehr als alles andere die Araber auf die Seite der Russen treiben müßte. Schließlich würde eine solche Aktion von Seiten des Westens seine moralische Position in Asien und Afrika weiter schwächen.

Den Widerstand gegen arabischen Nationalismus aufgeben

Dies läßt nur eine Politik übrig; nämlich den Widerstand gegen den arabischen Nationalismus aufzugeben und seine wichtigsten Ziele anzuerkennen. Die Folgerungen aus dieser Haltung sind beunruhigend, da sie möglicherweise die Aufgabe aller westlichen Basen und politischen Einflußzentren in der arabischen Welt und ebenso auch wahrscheinlich die Zustimmung zur Verstaatlichung des Öls mit einschließen.

Auf den ersten Blick scheint die Politik zu bedingen, daß der Westen nicht nur sich selbst wehrlos, sondern sich auch noch von der Gnade eines Volkes abhängig machen soll, mit dem umzugehen keinesfalls einfach ist. Nicht nur, daß die Araber gerade nicht für ihr Maßhalten bekannt sind, nicht nur, daß sie manchen Groll und Ärger aufgespeichert haben, von denen man sich einen Einfluß auf ihre Haltung auch dann wohl gewärtigen muß, wenn die eigentlichen LIrsachen längst behoben sind, sonderen sie stehen vielmehr auch ähnlich wie andere Semiten unter einer Art „Samson-Komplex“, mit anderen Worten, unter dem Zwang, um jeden Preis ihre Wut am Feind auszulassen, auch wenn es die eigene Vernichtung bedeutet: ein beliebter arabischer Spruch ist „alaya wa ala adai“ — „auf mich und auf meine Feinde“. Das heißt nicht, daß die Araber, und besonders ihre Führer, nicht die wirtschaftlichen Vorteile sähen oder Erwägungen des eigenen Nutzens gleichgültig gegenüberstünden; es bedeutet jedoch, daß solche Überlegungen leicht, und sogar für längere Zeit, durch die Ausbrüche der Volks-leidenschaft verdunkelt werden könnten.

Es ist ganz klar, daß eine solche Politik nur in Erwägung gezogen werden kann, wenn der Westen sich auf eine starke Position bei seinen Verhandlungen mit den Arabern stützen kann.

Der Westen kann diese Positon erreichen, wenn er sofort und vordringlich die Entwicklung anderer Energiequellen in Angriff nimmt, die ihm ermöglichen, eventuell auf unbegrenzte Zeit auf das arabische Öl zu einem nicht zu hohen Preis zu verzichten. Es scheint kein Zweifel darüber zu bestehen, daß der Westen, und besonders die USA, bei der Schaffung solcher Ersatzquellen nachlässig gewesen ist. Die Suche nach Öl in Afrika und in der westlichen Hemisphäre könnte intensiviert werden. Die Entwicklung der Atomenergie könnte gewiß beschleunigt werden, besonders in den USA. Weitere Experimente könnten durchgeführt werden, um Öl aus Kohle zu gewinnen. Und viel könnte getan werden, um die Kosten der Ölgewinnung aus Schieferton zu verringern, womit der Tag näher käme, an dem dieses Schiefertonöl mit dem Petroleum in Konkurrenz treten könnte; denn man sollte nicht vergessen, daß die Schiefertonlager allein in USA für größer als alle nachgewiesenen Ölreserven in der gesamten Welt geschätzt werden.

Eine ausgezeichnete Verhandlungsposition

Ein solches Programm in Verbindung mit der Schaffung einer Flotte von Großtankern und deren damit zusammenhängenden notwendigen Ausbau der Ölhäfen auf beiden Seiten, das im Notfall den Verzicht auf den Suezkanal und die Pipelines zum Mittelmeer ermöglichte, würde dem Westen wieder die Verhandlungsstärke schaffen, die er zur Zeit im Begriff steht zu verlieren, und dessen Verlust mit dem Absinken seiner politischen und militärischen Macht im Mittleren Osten unaufhaltbar fortschreiten wird. Denn früher oder später wird den Arabern klar werden, daß sie den westlichen Markt brauchen, genauso wie der Westen ihr Öl braucht.

Es gibt für das arabische Öl keinen anderen Markt: der Inlandverbrauch und der Verbrauch in Asien und Afrika sind zu niedrig, um mehr als auch nur einen geringen Bruchteil des jetzigen Ölausstoßes aufzunehmen, während der Sowjetblock über einen kleinen Nettoüberschuß verfügt und ihn wahrscheinlich auch noch einige

Fussnoten

Fußnoten

  1. In diesem Aufsatz wird der Westen als eine Einheit betrachtet, über die bestimmte allgemeine Feststellungen getroffen werden können und die in der Lage ist, eine einheitliche Politik zu verfolgen. Natürlich ist der Westen kein monolithisches Gebilde. Seine einzelnen Mitglieder haben verschiedene und oft einander widersprechende Interessen und Ansichten, wie auch ihre Reaktionen und ihre Politik, sei es im Mittleren Osten oder anderswo, bei weitem nicht einheitlich sind. Trotz allem erscheint dieser Ausgangspunkt berechtigt; erstens, weil der Autor fest davon überzeugt ist, daß das Gemeinsame der westlichen Länder die trennenden Momente bei weitem überwiegt, und daß sie infolgedessen ihre Handlungsweise — was sie letztlich auch tun — in einem solchen Maße koordinieren können, das es möglich macht, von einer „westlichen Politik" zu sprechen; zweitens — das bestätigt zum Teil den ersten Punkt —, weil die Araber den Westen als eine Einheit betrachten und ihn in Verallgemeinerungen preisen oder verurteilen und auch seinen einzelnen Teilen gegenüber eine Haltung einnehmen, die der generellen Aufassung im Grundsätzlichen ähnlich ist.

  2. Die Kraft der sowjetischen Herausforderung auf kultureller Ebene kann durch zwei Beispiele verdeutlicht werden. 1957 veranstaltete das berühmte Janatek-Quartett sechs Konzerte in Ägypten und verursachte der ägyptischen veranstaltenden Organisation Kosten von nur insgesamt 150 ägyptischen Pfund. Die entsprechenden Kosten für ein westliches Quartett würden voraussichtlich 200 ägyptische Pfund pro Konzert zuzüglich Reise-und Unterbringungskosten betragen haben. Zu Ende Juli 1958 erklärte die Regierung der Vereinigten Arabischen Republik, daß sie im kommenden Jahr 610 Studenten zur wissenschaftlichen und technischen Ausbildung ins Ausland schicken würde. Nicht weniger als 306 Studenten reisten davon in die Sowjetunion und eine weitere Anzahl wahrscheinlich in die osteuropäischen Länder.

  3. Selbstverständlich verfügt der Westen über ausreichende militärische Machtmittel, um die arabischen Staaten in wenigen Tagen zu besetzen. Jedoch ist aus innen-und außenpolitischen Gründen zu bezweifeln, ob diese Machtmittel auch eingesetzt werden können, ausgenommen unter wirklich ganz besonderen Umständen.

  4. Es gibt Anzeichen dafür, daß verantwortliche Persönlichkeiten in den ölproduzierenden Staaten weniger an einer Verstaatlichung sondern mehr an neue Verhandlungen über die Verträge denken mit dem Ziel, höhere Gewinnanteile des Staates durchzusetzen. Aber diese Auffassung ist noch nicht weit verbreitet und die Verlockung einer Verstaatlichung ist für die breiten Massen und die Halb-gebildeten sehr groß.

  5. Es gibt zwei Möglichkeiten, um den Mittleren Osten aus der russischen Einflußsphäre fernzuhalten. Die erste ist die, den Mittleren Osten in der westlichen Einflußsphäre zu halten, ein Kurs, der nicht länger praktikabel ist. Die zweite Möglichkeit besteht darin, das in den arabischen Ländern so verbreitete Verlangen nach Neutralität anzuerkennen. Selbstverständlich kann der Westen eine Neutralität nur dann annehmen, wenn sie gegenüber den beiden Machtblocks auch wirklich und in jeder Hinsicht aufrecht erhalten wird. Obgleich im Augenblick die arabische Politik von einer wirklichen Neutralität weit entfernt ist, besteht kein Grund, an der Aufrichtigkeit der Araber zu zweifeln, wenn sie einmal die Neutralität als ihr letztes Ziel proklamieren.

  6. In diesem Zusammenhang mag das folgende Zitat aus „The Economist" vom 6. September 1958 (S. 755) von Interesse sein: „Die ungeheuren Lager von Olschieferton in Colorado (und auch in Wyoming und Utah) könnten, wenn die Marktverhältnisse es rechtfertigen, eine Hauptquelle für Rohöl mit gegenwärtig konkurrenzfähigen Preisen werden. Das Denver Research Institute, das die letzten neun Monate lang eine Versuchsstation für 24 t pro Tag in Betrieb hielt, erklärt, daß nach dem neuen Extraktionsprozeß Schiefertonöl an der Westküste zu $1. 42 bis 1. 92 ($= US-Dollar) pro Faß, Gewinnspanne ausgeschlossen, verkauft werden könnte; Rohöl wird zur Zeit für etwas mehr als $3 pro Faß verkauft. Die Union Oil Company hat andererseits beschlossen, die Versuchsstation zu schließen, die sie drei Jahre lang in Betrieb hatte. Während die Konkurrenz des Produktes zugegeben wird, ist die Gesellschaft, die alle notwendigen technischen Erfahrungen gewonnen hat, nicht bereit, das Produkt zur Zeit in den Handel zu bringen; eine Unterbrechung ausländischer Importe würde jedoch einen solchen . Versuch anziehend machen." Zu den neuesten Schätzungen über Schieferton-und Teersandreserven vgl. „Petroleul Press Service", Juni 1958, S. 222.

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