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Alternativlösungen für die Sicherheit | APuZ 26/1958 | bpb.de

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APuZ 26/1958 Ein Blick nach innen Anglo-amerikanische Schwierigkeiten Alternativlösungen für die Sicherheit

Alternativlösungen für die Sicherheit

EDWARD TELLER

Die Bedeutung der NATO

Der Hauptzweck der NATO besteht darin, das Vakuum zu füllen, das durch Sowjetrußland’s Sabotage der UNO entstanden ist. Ich möchte hier nicht die These aufstellen, daß die UNO als Totalverlust abgeschrieben werden sollte. Es kann gut sein, daß sich die russische Politik im Laufe der Zeit ändert, und daß dann die UNO wieder zur vollen Geltung kommt. Selbst unter den augenblicklichen Umständen gibt es eine ganze Reihe von Gebieten, in denen sie viel tun kann. Solange jedoch Ruß-land seine derzeitige Haltung nicht aufgibt, wird die UNO alleine nicht ausreichen, um einen Krieg oder eine mit Gewalt erzwungene Ausbreitung des Weltkommunismus zu verhindern. Diese Verantwortung — und sic ist eine sehr ernste — fällt in erster Linie ganz zwangsläufig den Westmächten zu. Sie müssen daher durch die NATO und auf jedem anderen Wege handeln, der ihnen offensteht. Für uns alle ergibt sich somit die erste Pflicht, sicherzustellen, daß das westliche Bündnis geistig wie materiell so eng wie nur irgend möglich gestaltet wird. Jede ernstere Verstimmung zwischen den großen Mitgliedstaaten dieses Bündnisses muß mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit sofort zu einer größeren Gefährdung des Welt-friedens führen. Das gilt insbesondere für den Kern dieses Westlichen Bündnisses, d. h. für die englischsprechenden Länder. Heute, wo der Feind vor den Toren steht, ist es völlig fehl am Platze, sich herumzustreiten und „rein“ amerikanische oder „rein“ englische Formeln der Politik herauszustellen. Die Politik der beiden Länder muß vielmehr so weitgehend wie nur irgend möglich verschmolzen werden, — genau so wie in der Krise des 2. Weltkrieges seiner Zeit die anglo-amerikanischen Streitkräfte in Nordafrika durch die klug-vorausschauende Politik des Generals Eisenhower zu einer Einheit verschmolzen wurden. Es bedarf der Ausarbeitung einer gemeinsamen Außenpolitik, die in dem Sinne völlig anglo-amerikanisch zu sein hätte, daß in ihr das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung im ureigensten Interesse beider Länder anerkannt wird.

Manchmal wird gesagt, daß diejenigen Gebiete, die man heute als die sogenannten „nicht festgelegten" (non-committed) zu bezeichnen pflegt, in unseren Überlegungen den Vorrang einnehmen müssen. Niemand möchte die Bedeutung dieser Länder für die große, weltweite Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, ernstlich bestreiten. Es ist jedoch angebracht einmal die Frage zu stellen, warum diese Länder sich noch nicht festgelegt haben. Sicherlich doch nicht deshalb, weil sie sich nicht darüber schlüssig werden können, welcher der beiden Ideologien — der sowjetischen oder der westlichen — sie den Vorzug geben. Schließlich sind diese Ideologien ja so grundverschieden, daß es schlechterdings unglaublich erscheint, daß diese „nicht-festgelegten" Länder nicht der einen oder der anderen Ideologie näher stehen sollten. Es muß also für die Haltung dieser Länder noch einen anderen, tieferen Grund geben. Es kann sein, daß sic auf die besten Bedingungen warten, die erlangt werden können, und daß sie sich sozusagen dem Meistbietenden verschreiben wollen. Vielleicht hoffen sic aber auch, durch ihr jetziges Abseitsstehen vermeiden zu können, daß sie in den Sog des Konfliktes mit hineingeraten, wenn einmal der große Krieg ausbrechen sollte. Sowohl die eine wie die andere Überlegung wären denkbare Erklärungen für ihre Haltung. Eins ist jedoch absolut sicher: diese Länder werden sich in ihrer endgültigen Entscheidung sehr stark davon leiten lassen, wie groß das Kräftepotential und die allgemeine Entschlossenheit der rivalisierenden kommunistischen und westlichen Blöcke sind. Wenn man ihnen daher vor Augen führen kann, daß die westlichen Verbündeten stark, einig und entschlossen sind, dann werden die non-committed, die icht-festgelegten Länder mit einem viel größeren Grad an Wahrscheinlichkeit auf die richtige Seite übergehen, als wenn der Westen sich den Anschein der Schwäche und des Schwankens gibt.

Auf dem zivilen Sektor sind den Segnungen, die wir — das heißt die LISA und Großbritanrien — der Welt bieten können, wenn wir nur Zusammenarbeiten, praktisch keine Grenzen gesetzt. Die Fortschritte, die die Wissenschaftler beider Länder in jüngster Zeit auf dem Gebiet der Atomenergie selbst dann erzielten, wenn sie in mehr oder weniger nationaler Abgeschlossenheit zu arbeiten hatten, zeigen deutlich, was erreicht werden könnte, wenn wir unsere Kenntnisse und Erfahrungen in einem gemeinsamen Topf werfen. Wir können nur hoffen, daß dies jetzt möglich wird. Auch auf dem Gebiet der Verteidigung gilt: je enger unsere Zusammenarbeit, um so größer die Wirksamkeit unserer gemeinsamen Verteidigungspläne im Rahmen der NATO und umso geringer die Überschneidungen und daher auch die Kosten.

Die Verteidigungspolitik heute ist im Grunde nur eine Folgeerscheinung der Außenpolitik. Ein gemeinsamer Verteidigungsplan setzt daher eine gemeinsame Außenpolitik voraus. Das eine ohne das andere ist sinnlos. Diese gemeinsame Außenpolitik gilt es vor allem anderen jetzt auszuarbeiten. Zweifellos werden wir von Zeit zu Zeit Differenzen haben; sie sollten jedoch auf ein Mindestmaß reduziert werden und unsere gemeinsame Autorität in dem westlichen Bündnis nicht beeinträchtigen dürfen.

Denn ob cs uns gelingt, eine geschlossene Front zu bilden — und zwar nicht nur im Krieg, sondern eben auch in Friedenszeiten — davon hängt letzten Endes die gesamte künftige Entwicklung der Geschichte ab.

Das kluge Verhalten, das die Vereinigten Staaten seit Ende des zweiten Weltkrieges an den Tag gelegt haben, ist das Ergebnis trauriger Erfahrungen. Wenn wir in den 30iger Jahren außenpolitisch ebenso aktiv gewesen wären wie jetzt, dann wäre es nicht zum zweiten Weltkrieg gekommen. Hätten wir unserer Verteidigungsbereitschaft zwischen den beiden Weltkriegen ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt wie gegenwärtig, dann hätte uns der letzte Weltkrieg nicht unvorbereitet überraschen können. Sowohl unsere Außen-wie auch unsere Militär-politik haben an Reife sehr gewonnen. Unglücklicherweise erweisen sich für unsere derzeitigen Erfordernisse jetzt selbst diese verstärkten Bemühungen, die zu spät kamen, als unzureichend.

Vor 12 Jahren besaß die Sowjetunion eine mächtige Landarmee. Nichtsdestoweniger war unser gesamtes Militärpotential ungleich größer. Noch wichtiger aber war es, daß unsere Technologie in voller Blüte stand, wählend die russische durch den Angriff der Nazis schweren Schaden erlitten hatte. Das wichtigste war vielleicht, daß die Vereinigten Staaten auf naturwissenschaftlichem Gebiet den Russen eindeutig und entschieden voraus waren. Die Naturwissenschaften sind der Nährboden für neue technische Fortschritte, und wir hatten allen Grund zu der Annahme, daß wir Rußland in der Technologie viele Jahre überlegen bleiben würden.

Nur 12 Jahre später liefern großartige sowjetische Erfolge der Welt den Beweis, daß uns die wissenschaftliche und technische Führung aus der Hand gleitet und zwar auf einem Gebiet, das ganz klare und bedrohliche militärische Anwendungsmöglichkciten birgt.

Gleichzeitig vollzieht sich diese Entwicklung auf einem Gebiet, das der Verwirklichung eines der ältesten und erregendsten Menschheitsstreben, nämlich des Griffes nach den Sternen am nächsten kommt.

Diese russische Herausforderung verlangt nicht nur eine Antwort sondern viele Antworten. Einige sind dringend. Andere brauchen notwendigerweise mehr Zeit. Alle aber erfordern Opfer. Inzwischen sehen wir uns unmittelbaren Sicherheitsproblemen gegenüber, die uns selbst und unsere Verbündeten angehen. Ich möchte hier zwei Hauptwege untersuchen, mittels derer wir versuchen könnten, die Chancen unserer Sicherheit in einer Welt zu erhöhen, die mit jedem Jahr unsicherer zu werden scheint.

Einer dieser Wege erscheint auf den ersten Blick logischer und bestechender, nämlich die Erlangung des allgemeinen Weltfriedens durch Abrüstung. Niemals scheint der Gedanke an Krieg schrecklicher als heute zu sein und niemals ist der Wunsch nach Frieden leidenschaftlicher und universaler gewesen. Abrüstung ist zur Hoffnung und zum Symbol einer letztlichen friedlichen Lösung aller unserer Probleme geworden.

Es gibt noch einen anderen Weg zur Erreichung einer größeren Sicherheit, der vergleichsweise aber ein Notbehelf zu sein scheint. Er besteht in der weiteren Stärkung unserer Bindungen mit den anderen Nationen der freien Welt und in Zusammenarbeit mit ihnen, um uns in die Lage zu versetzen, mit den verschiedenartigen Bedrohungen unserer Sicherheit, auch mit der Führung eines begrenzten Krieges fertig zu werden. Eine Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten kann ohne Erörterung der Technologie eines begrenzten Krieges gar nicht in Erwägung gezogen werden. Für die meisten unserer Verbündeten ist das Problem des begrenzten Krieges ebenso wichtig wie das des totalen Krieges. Selbst wenn ein totaler Krieg über ihre Köpfe hinwegrollen würde, könnten sie sogar die Hoffnung hegen, dem Sturm in relativer Sicherheit zu trotzen.

Der Wunsch nach Abrüstung

Da eine politische Lösung des globalen Problems nirgendwo in Sicht ist, wurde der Vorschlag gemacht, der Welt nicht durch die Beseitigung der Kriegsursachen sondern der Kriegs-rüstung mehr Frieden zu geben. Es entspricht nicht der amerikanische Tradition, in Friedenszeiten stark gerüstet zu sein. Eine Abrüstung — zuerst teilweise und später vielleicht umfassender — erscheint daher sowohl logisch als auch wünschenswert.

Der Wunsch nach Abrüstung ist vielleicht bei unseren Verbündeten stärker als in den Vereinigten Staaten. Es ist ohne weiteres verständlich, daß die Staaten, die vom Kriege heimgesucht sind und im Schatten größerer und stärker gerüsteter Nationen leben, jede Entwicklung enthusiastisch begrüßen würden, die eine Verringerung der militärischen Anstrengungen aller zur Folge haben würde.

Mein Hauptargument hier wird sich mehr auf technische als auf historische Tatsachen stützen.

Doch kann ich auf eine Heranziehung der augenfälligsten historischen Analogien, die sich mir aufdrängen, nicht verzichten. Die Meinung ist weit verbreitet, und sie könnte auch wohl den Tatsachen entsprechen, daß ein Rüstungswettrennen zum ersten Weltkrieg geführt hat. Noch eindeutiger erscheint es mir, daß der zweite Weltkrieg durch ein Abrüstungswettrennen zustande kam. Die alliierten Staaten vernachlässigten ihre Verteidigung, obgleich sie stark und an der Aufrechterhaltung des Friedens interessiert waren. Als das Nazi-Deutschland wieder aufzurüsten begann, reagierte die Öffentlichkeit im Denken und Handeln zu langsam, und die Alliierten wurden unvorbereitet überrascht. Historische Analogien sind jedoch nicht verläßlich. Die Vergangenheit sollte uns nicht als Beweis dafür dienen, daß Abrüstung (oder Rüstungsbegrenzung) ein schlechter Gedanke ist. Wir sollten uns aber auch nicht des Argumentes bedienen: Die Geschichte beweist, daß Abrüstung einen Krieg verhindert. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist ein Abrüstungsabkommen allein nicht ausreichend.

Viele sinnreiche Systeme sind vorgeschlagen worden, um eine wirkungsvolle Abrüstung zu verbürgen. Nach meiner Ansicht gibt es zur Zeit zwei Hauptgründe, warum diese Systeme zum Scheitern verurteilt sind. Der eine Grund ist die Existenz des Eisernen Vorhanges. Der andere ist die Besonderheit der modernen wissenschaftlichen Erfindungen.

Das moderne Kriegspotential ist in steigendem Maße auf hochspezialisierte Waffen ange-wiesen. Einige der wichtigsten dieser Waffen können verhältnismäßig leicht versteckt werden.

Nukleare Sprengstoffe und weitreichende Raketen sind zwei hervorragende Beispiele hierfür.

Daher wird eine Überwachung immer schwieriger.

Es kommt hinzu, daß die wissenschaftliche und technische Entwicklung unvorhergesehene Waffentypen hervorgebracht hat — und noch hervorbringen wird. Wie kann überprüft werden, ob derartige Waffen vorhanden sind, wenn die Person, welche die Kontrolle ausübt, nicht einmal weiß, wonach sie sucht? Wir haben sehr richtig betont, daß ein Abrüstungssystem nur dann annehmbar ist, wenn auch seine Durchführung verbürgt ist. Wenige Dinge sind unmöglich, doch unmöglich, dürfte es zur Zeit sein, eine Abrüstung in der Sowjetunion zu überprüfen. Das Spiel steht sehr schlecht für uns, und die Regeln selbst ändern sich zu schnell.

Vor zwei Jahren haben wir versucht, die Welt gegen einen Überraschungsangriff durch das Prinzip „Offener Himmel“ zu sichern. Heute haben wir diesen Plan im Lichte des russischen Satelliten und der interkontinentalen ballistischen Geschosse zu betrachten. Der Erdsatellit stellt in gewisser Weise eine Ergänzung des Prinzips „Offener Himmel“ dar. Dank dieser Entwicklung ist eine weltweite Beobachtung zweifellos möglich geworden. Andererseits erfordert der Start eines massiven Angriffs mittels interkontinentaler ballistischer Geschosse sehr geringe sichtbare Vorbereitungen. Deshalb wird die Beobachtung von offenen Himmelsräumen aus nicht den Zweck einer Vorwarnung erfüllen.

Einstellung der Versuche mit nuklearen Waffen

Es wurde außerdem der Vorschlag gemacht, die Abrüstung mit einem Übereinkommen über die Einstellung von Versuchen mit nuklearen Bomben zu beginnen. Es ist behauptet worden, daß ein Versuch mit Wasserstoffbomben in der ganzen Welt zu bemerken ist, und ein Versuchs-verbot daher im Eigeninteresse liegen würde. Viele zusätzliche Argumente sind für ein derartiges Verbot geltend gemacht worden: Die Versuche sind als Gefahr für die Gesundheit der Völker und der ungeborenen Generationen angesehen worden, und es wurde die Ansicht geäußert, daß die Versuche zu der Entwicklung noch schrecklicherer Waffen beitragen würden. In dem Ausdruck „ Waffenversuch" schwingt nun eine häßliche Nebenbedeutung im Sinne der Konstruktion eines Mordinstrumentes mit. Nicht zufrieden mit der Wahrscheinlichkeit von Zerstörungen führen wir einen Versuch durch, um den Zerstörungsgrad, den wir hervorrufen können, ganz genau festzustellen.

Tatsächlich ist ein nuklearer Versuch nur dann leicht feststellbar, wenn er in aller Offenheit durchgeführt wird. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß eine Beobachtung schwierig und unzuverläßig wird, wenn ein Land geheime Versuche durchführen will. Im Kampf zwischen Schmuggler und Polizei ist der Schmuggler sehr im Vorteil. Natürlich wird es Geld und Anstrengungen kosten, um nukleare Explosionen geheim zu halten. Aber die Sowjetunion hat sich noch niemals kleinlich gezeigt, wenn es um einen militärischen Vorteil ging. Andererseits bürgen unsere Tradition und die Struktur unserer Gesellschaft dafür, daß wir eine internationale Verpflichtung, die wir auf uns genommen haben, nicht verletzen.

Die Gefahr für die öffentliche Gesundheit durch die bisherigen Versuche ist sicherlich viel geringer als andere biologische Einwirkungen, denen wir ausgesetzt waren und noch sind. Die kosmischen Strahlen, welche die Erde bombardieren, üben einen stärkeren Einfluß aus, und ihre Intensität nimmt mit der Höhe beträchtlich zu. Wenn man von der Küste nach Colorado reist, setzt man sich wesentlich mehr zusätzlicher Aktivität aus als die Wirkung aller bisherigen Waffenversuche zusammengenommen. Die Wirkung der Röntgenstrahlen ist noch stärker. Es ist wiederholt behauptet worden, daß weitverbreiteter Atomstaub bestimmt schädlich ist, doch selbst diese einfache Behauptung ist bis jetzt noch nicht schlüssig bewiesen worden.

All dieses ist jedoch weit weniger wichtig als die Frage: Welche Auswirkungen werden weitere Versuche auf einen zukünftigen Krieg haben? Weitere Versuche werden uns instand setzen, die Kriegsmaschine unseres Gegners zu bekämpfen, während unschuldige Unbeteiligte verschont werden. Eine Entwicklung von größter Bedeutung ist die fortschreitende Verminderung des radioaktiven Atomstaubes. Saubere Waffen dieser Art werden die Zahl der unnötigen Todesopfer in einem zukünftigen Krieg verringern. Gleichzeitig entwickeln wir nukleare Waffen, die zum Abschuß hoch fliegender angreifender Flugzeuge eingesetzt werden können, ohne dabei das Leben von irgend jemand auf der Erde zu gefährden. Die absolute Sicherheit einer Person, die sich direkt unter einem derartigen Luftkampf befindet, ist in einem naturgetreuen Experiment in Nevada bewiesen worden. Audi können eine Anzahl von nuklearer Explosionsstoffen zu vielen friedlichen Zwecken Verwendung finden, wenn sie ausreichend sauber sind. Ein Versuchsverbot würde unsere Entwicklung abbrechen bevor es uns geglückt ist, unsere Sprengstoffe flexibler und humaner zu machen und bevor sie konstruktiv einzusetzen sind.

Die Durchführung von nuklearen Versuchen dient der Ermittlung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Es wäre richtiger, nicht von Waffenversuchen sondern vielmehr von Experimen-ten mit nuklearen Explosionsstoffen zu reden. Diese Experimente stehen in engem Zusammenhang mit den Gesetzen, die das innere Funktionieren der Sterne bestimmen. Man ist versucht, die Versuche als Experimente in astrophysikalischer Technik zu bezeichnen.

Ein Verbot für nukleare Versuche ist als einfacher praktischer und vorteilhafter erster Schritt auf dem Wege zur Abrüstung weithin befürwortet worden. Ein derartiges Verbot kann jedoch nicht aufgezwungen werden, es würde die Brutalität eines zukünftigen Krieges steigern und nur jener Partei zugute kommen, die das Verbot durch Geheimversuche verletzen könnte und wollte.

Man kann nicht behaupten, daß alle Abrüstungsversuche fehlschlagen werden. Jeder Vorschlag sollte entsprechend seinem Werte geprüft werden. Aber das Beispiel eines Verbotes von nuklearen Versuchen illustriert die Schwierig keiten, denen wir uns bei dem Versuch gegenübersehen, mit einem schlauen und erbarmungslosen Gegner zu einem Übereinkommen über die Begrenzung technischer Geräte zu kommen, die sich von Jahr zu Jahr in dem Maße, wie neue Erfindungen hinzukommen, ändern.

Begrenzung des Krieg

Im Zeitalter thermonuklearer Raketen hat niemand Interesse an einem globalen Krieg. Wenn ein Krieg schon nicht zu vermeiden ist, dann sollte er wenigstens begrenzt werden. Aber wie kann dies geschehen? Wenn wir einer Begrenzung der einzusetzenden Waffenarten zustimmen, dann wird die Seite, die von einer Niederlage bedroht ist, der erdrückenden Versuchung unterliegen, die Waffenbegrenzung zu mißachten. Es ist unsere erklärte Politik, im Kriegsfälle die wirkungsvollsten Waffen einzusetzen, die uns zur Verfügung stehen. Das entspricht einfach dem gesunden Menschenverstand.

Die Kriegsführung kann auf verschiedene Weise begrenzt werden. Wir können die Kriegs-ziele und auch das Gebiet begrenzen, in dem gekämpft wird. Das dies möglich ist, ist durch Beispiele aus der Geschichte bewiesen worden. Außerdem unterliegt der Verlierer bei dieser Art Krieg nicht der Versuchung, den Konflikt auszuweiten, weil er hierbei gerade in dem Augenblick, in welchem er in einer schwachen Position ist, eine noch stärkere Einbuße riskieren würde.

Wenn wir die Waffen eines zukünftigen Krieges nicht begrenzen, dann akzeptieren wir eindeutig den Einsatz von nuklearen Waffen. Dies beschwört das Gespenst von Städten, die zu Ruinen, von Zivilisten, die zu Millionen getötet werden und von radioaktiver Verseuchung, die sich außerhalb der Kampfzone und über die Grenzen neutraler Staaten hinweg ausbreitet. Die Zukunft liegt im Ungewissen, und niemand kann behaupten, daß diese schrecklichen Dinge nicht eintreten werden. Ich bin jedoch davon überzeugt, daß sie nicht einzutreten brauchen. Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß ein begrenzter Krieg mit nuklearen Waffen in hümaner Weise ausgefochten werden kann — soweit irgendeine Form des Krieges überhaupt human genannt werden kann.

In einem begrenzten Konflikt wird die öffentliche Meinung der Welt ein Faktor von beträchtlichem Gewicht sein. Sowohl aus diesem Grunde wie aus Gründen guter militärischer Planung wird es das beste sein, sich auf die feindliche Kampfmacht zu konzentrieren. Die Schonung der Zivilisten wird im Interesse beider Seiten liegen. Wenn wir saubere nukleare Waffen entwickeln, können wir die Gefahr ausschalten, die von verseuchten, von unvorhersehbaren Winden herangetriebenen Wolken ausgeht. Wenn die Russen gleichzeitig Waffen mit starkem Atom-staub einsetzen, werden sie Parteigänger einbüßen. Vielleicht sind sie dagegen unempfindlich — aber sie werden in diesem Falle einen Preis zahlen müssen.

Im zweiten Weltkrieg haben die Städte aus militärischen Gründen schwere Bombardements erdulden müssen. Sie waren als Waffenproduzenten und Nachschubzentren wichtig. Ein begrenzter Zukunftskrieg wird mit kleinen und äußerst beweglichen Einheiten mit starker Feuerkraft ausgetragen werden. Vielseitig verwendbare Raketen, Atomwaffen, die leicht ans Ziel gebracht werden können, überall einsatzfähige und rasch verfügbare Lufttransportmaschinen und die vorzügliche moderne Nachrichtenübermittlung ermöglichen diese Art Krieg-führung. Auf diese Weise und nur auf diese Weise können wir den anderen freien Ländern wirkliche und schnelle Hilfe leisten. Wenn wir weiterhin unsere Planung auf eine sich nur langsam bewegende konventionelle Kriegsführung abstellen, dann werden wir nicht rechtzeitig zur Stelle sein können, um die Agression zu stoppen, die an der Peripherie des kommunistischen Blockes einen Brocken nach dem anderen an sich reißt.

In einem äußerst beweglichen nuklearen Krieg wird die Bombardierung von Städten sinnlos sein, wenn sich der Krieg nicht in die Länge zieht. Da sie aufgehört haben, Mittelpunkte für Menschen-und Materialtransporte zu sein, wird ihnen in der Gesamtstrategie eine viel geringere Bedeutung zukommen. Ihre Zerstörung wird von nur geringem militärischem Interesse sein.

Die nuklearen Waffen werden zweifellos beträchtlichen unbeabsichtigen Schaden anrichten. Doch haben die enormen schwerfälligen Heere der konventionellen Kriege die Zivilbevölkerung auch nicht verschont. Es ist nicht erwiesen, daß die zerstörende Feuerkraft eines beweglichen Zukunftskrieges mehr Ruinen hinterlassen wird als die plumpen Kriegsmaschinen der Vergangenheit. Es wird die Hauptaufgabe der nuklearen Waffen sein, den Einsatz von massierter Militärmacht zu verhindern. In einem begrenzten Zukunftskrieg werden Geist und Wille der örtlichen Bevölkerung an Bedeutung gewinnen. Sowohl die Guerillakriege an vielen Plätzen während der letzten Jahre, auch die Zerstörung von Tanks durch armselig bewaffnete und schlecht ausgebildete junge Leute haben bewiesen, was entschlossene Menschen in ihrer Heimat im Kampf zu leisten vermögen. Eine äußerst bewegliche, mit modernen Waffen ausgerüstete Streitkraft könnte die Welt erobern, wenn ihr nicht eine gleiche Streitkraft entgegen-tritt. Aber in einem Kriege, in dem jede Seite über moderne Waffen verfügt, könnte die Entscheidung sehr wohl von der örtlichen Bevölkerung abhängen. Daher sollte die bewegliche Armee der Zukunft als Wächter der Freiheit angesehen werden.

Durch gegenseitige Hilfe können die freien Länder ihre Chancen, als Nation zu überleben und ihre Unabhängigkeit zu bewahren, erheblich vergrößern, jedoch nur durch Zusammenarbeit und Koordinierung all ihrer technischen Mittel. Die modernsten Waffen müssen in ihre gemeinsame Planung mit einbezogen werden. Hier erhebt sich die Frage nach der Geheimhaltung, denn eine enge Zusammenarbeit kann nur in Aussicht genommen werden, wenn der größte Teil der technischen Geheimnisse — wenn nicht sogar alle — geteilt werden. Je mehr Menschen jedoch um ein Geheimnis wissen,, desto eher kann der Feind davon Kenntnis bekommen. Wir müssen daher bedenken, wieviel wir durch die Mitteilung unserer Geheimnisse wahrscheinlich einbüßen werden.

1945 hätte es in der Tat einen sehr großen Verlust bedeutet, wenn die Russen in Besitz all unserer Geheimnisse gekommen wären. Zu jener Zeit hatten wir einen großen technischen Vorsprung. Auf dem Gebiet der Atomwaffen hatten wir das Monopol. Zweifellos sind einige Geheiminformationen durch Spione, die für die Kommunisten arbeiteten, verraten worden, aber die ganze komplexe Technologie kann durch ein paar Berichte nicht verraten werden. Starke Gründe sprachen damals dafür, unsere Informationen auch weiterhin für uns zu behalten. >>Zusammenarbeit zwischen freien Nationen

Zur Zeit scheinen wir den Russen in Militär-technologie wie in den Naturwissenschaften nicht voraus zu sein, wenn es auch unterschiedlich ist, denn auf einigen Gebieten sind wir im Vorteil und auf anderen die Russen. Die Wissenschaften und ihre militärische Anwendung haben in den letzten 12 Jahren hinter dem Eisernen Vorhang gigantische Fortschritte gemacht. Die schnelle Entwicklung beweist, daß das russische Erziehungswesen ausgezeichnet sein muß. Die sowjetischen Fortschritte bestätigen, daß unsere Konkurrenten mit stärkstem Impuls vorwärts-streben. Es steht praktisch fest, daß sie uns in den nächsten Jahren überholen werden.

Wir wollen diese Situation eingehender betrachten. Wir haben reichliche Beweise dafür, daß die russischen Kinder zwischen 10 und 20 Jahren eine bessere technische Ausbildung erhalten als unsere eigenen. In 10 Jahren werden diese Kinder die aktivsten Wissenschaftler sein. Da eine wissenschaftliche Ausbildung eine lange Zeit erfordert, können wir den Verlust unserer wissenschaftlichen Führung vermutlich nicht verhindern. Daß wir später an Boden wiedergewinnen, was wir jetzt verlieren, ist das beste, worauf wir hoffen können.

Wenn wir aber nicht mehr den ersten Platz in den Naturwissenschaften und in Militär-technologie einnehmen, dann haben auch unsere Geheimnisse an Wert verloren. Den größten Teil davon werden die Russen schon aus ihrer eigenen Arbeit kennen. Daraus folgert nicht, daß wir alle unsere Geheimnisse preisgeben müssen, aber es ist klar, daß wir es uns leichter erlauben können, sie mit unseren Verbündeten zu teilen. Nach meiner Ansicht ist es von nun an weniger wichtig, unsere Geheimnisse zu bewahren als unser Wissen zu vergrößern und mehr technische Geräte zu produzieren. Es geht um unsere Sicherheit. Unsere Verbündeten könnten uns bei unseren Bemühungen, sie zu erlangen, eine große Hilfe sein.

Dank unserer Massenerziehung hat die amerikanische Wissenschaft die europäische überflügelt. Wir haben die Saat weiter gestreut, und mehr Frucht ist aufgegangen. Jetzt überflügelt uns Sowjetrußland, weil es der Massenerziehung stärkste Anreizmittel für technische und wissenschaftliche Leistungen hinzugefügt hat. Es wird für uns nicht leicht sein, diesen Wettbewerb zu gewinnen.

Linseren Verbündeten zu helfen, mehr Wissenschaftler und Ingenieure heranzubilden, ist eine der Maßnahmen im Kampf um die zukünftige Führung. Die Anstrengungen der freien Nationen auf dem Gebiete der Militärtechnologie zu integrieren, ist eine weitere. Die Wunder moderner Wissenschaft sind nicht von einem Hirn und zwei Händen vollbracht worden. Wir brauchen eine umfassende finanzielle Unterstützung, Teamarbeit und den Geist freundschaftlichen Wettbewerbs. Wir brauchen den Geist des zweiten Weltkrieges, der die Arbeit amerikanischer, englischer und kanadischer Wissenschaftler zu einem gemeinsamen und dringlichen Unternehmen einschmolz. Die gegenwärtige Notlage ist noch größer. Die Antwort muß umfassender sein, wenn die Freiheit überleben soll.

Ich möchte meine Gedanken in einer einfachen Feststellung zusammenfassen. Beginnen wir unsere Planung mit dem Worte: „Handle!“ Es ist ein Fehler, mit dem Worte „Unterlaß“ anzufangen. Verbote sind nutzlos. Taten können Gewinn bringen. Ich glaube nicht, daß eine Abrüstung den Krieg verhindern wird. Ich glaube, daß eine aktive, enge und umfassende Zusammenarbeit zwischen freien Nationen den Grundstein für eine friedliche Zukunft legen kann.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Edward Teller, Professor für Physik und stellvertretender Direktor des Labors für Strahlungsforschung an der Universität von California. Seit 1941 befaßt mit den Planungsarbeiten an den Kern-und Wasserstoffbomben. Mitglied des Stabes des wissenschaftlichen Labors in Los Alamos von 1949— 51.