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Zur Kritik des Kommunismus | APuZ 40/1957 | bpb.de

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APuZ 40/1957 Die Situation des Individuums Zur Kritik des Kommunismus

Zur Kritik des Kommunismus

JOSEPH M. BOCHENSKI

... 6. Die für eine Arbeit eingestellten Arbeiter und Angestellten sind verpflichtet, der Verwaltung des Unternehmens (Institution) ihr Arbeitsbuch vorzulegen. Die Verwaltung darf einen Arbeiter oder Angestellten nur gegen Vorlegung eines Arbeitsbuches einstellen.

Personen, die zum erstenmal eingestellt werden, sind verpflichtet, der Verwaltung eine Bescheinigung des Hauswarts oder des Dorf-sowjets vorzulegen, in der ihre letzte Arbeit angegeben ist. Gesetz vom 2. X. 1940 über die Staatsarbeitsreserven der UdSSR:

... das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR beschließt:

... 8. Die Vorsitzenden der Kolchosen zu verpflichten, jährlich durch je 100 weibliche und männliche Mitglieder der Kolchose zwischen 14 und 55 Jahren ... zwei junge Leute von 14— 15 oder 16— 17 Jahren für die Lehrlingsschulen der Fabriken auswählen zu lassen.

9. Die Räte der Delegierten der Arbeiter in den Städten zu verpflichten, eine durch den Rat der Volkskommissare zu Zahl von jungen Leuten zwischen 14— 15 Jahren für die Lehre in Berufsschulen und Eisenbahnbetrieben und solche von 16— 17 für die Lehrlingsschulen an den Fabriken auszuwählen.

10. Zu beschließen, daß alle Personen, die ihre Lehre in den Berufsschulen, Eisenbahnschulen und Lehrlingsschulen der Fabriken beendet haben, als mobilisiert gelten und verpflichtet sind, vier Jahre ohne Unterbrechung in den Staatsunternehmungen gemäß den Anweisungen der Hauptverwaltung der Arbeiterreserven bei dem Rat der Volkskommissare der UdSSR zu arbeiten ...

(nach: La condition ouvriere en U. R. S. S., Les Pnalits sociales, Editons du Pavois, Paris 1951.)

§ 41. DAS NEUE . RANGKLASSENSYSTEM Nachdem bereits durch VO vom 22. 9. 1953 in der Roten Armee, durch VO vom 16. 10. 1935 im Staatlichen Sicherheitsdienst und durch VO vom 26. 4. 1936 in der Arbeiter-und Bauernmiliz der NKWD Dienstränge mit den entsprechenden Rangabzeichen eingeführt worden waren, sind seit 1940 fortlaufend Gesetze über die Einführung von Diensträngen, Rangabzeichen und den damit verbundenen Uniformen erlassen worden:

7. 5. 1940: Generals-, Marschalls-und Admiralsränge in der Roten Armee und Flotte.

9. 5. 1941: Dienstränge für die diplomatischen Vertreter im Ausland. 21. 5. 1942: Besondere Dienstränge und Rangabzeichen der Garde-truppen. 6. 1. 1943: Goldene Schultel stücke für das Offizierskorps der Roten Armee.

28. 5. 1943: Dienstränge und Rangabzeichen für den gesamten Auswärtigen Dienst (Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten). 4. 9. 1943: Dienstränge und Rangabzeichen im Eisenbahnverkehrswesen. 16. 9. 1943: Dienstränge und Rangabzeichen im Staatsanwaltschaftsdienst (Staatsanwälte und Untersuchungsrichter).

6. 6. 1945: Militärische Dienstränge und Rangabzeichen im gesamten Polizeidienst (MGB und MWD), einschließlich Strafvollzug. Zwangsarbeitslager, Standesamtswesen, Archivdienst, Straßenverkehrswesen, Bauten von Straßen, Kanälen, Wasserkraftweiken, Rüstungsanlagen. 1. 9. 1947: Dienstränge und Rangabzeichen in der Binnenschiffahrt. 10. 9. 1947: Dienstränge und Rangabzeichen für das leitende und technische Personal in der Kohlenindustrie.

. 14 10. 1947; Dienstränge und Rangabzeichen für das leitende und technische Personal des Geologischen Dienstes.

10. 12 1947: Dienstränge und Rangabzeichen für das leitende und technische Personal der Schwerindustrie (Eisen und Stahl). 20 3. 1948: Dienstränge und Rangabzeichen für das leitende und technische Personal der Buntmetallindustrie 3. 6. 1948: Dienstränge und Rangabzeichen in der Seeschiffahrt.

10. 6. 1948: Dienstränge und Rangabzeichen für das leitende und technische Personal im Finanz-, Bank-und Kreditwesen. 13 12. 1948: Dienstränge und Rangabzeichen im Nachrichtenwesen (Post und Rundfunk).

17 5. 1949: Dienstränge und Rangabzeichen im Bevorratungswesen (Beschaffung und Materialreserven).

18 . 5. 1949: Dienstränge und Rangabzeichen im Staatskontrolldienst, (nach: Boris Meissner, Stalinistische Autokratie und Bolschewistische Staatspartei, Europa-Archiv, Frankfurt a. M. 1951, Heft 4/5, S. 3738.)

Quellen: Das vorliegende Kapitel bietet in gewissem Sinne eine Zusammenfassung des ganzen Werkes, indem es die Auswirkungen der theoretischen und praktischen Grundzüge des Kommunismus auf die Lage des Einzelmenschen darstellt; daher sind die hier herangezogenen Quellen dieselben, die schon in den anderen Kapiteln benützt worden sind.

Literatur: Außer den in den anderen Kapiteln zitierten Schriften sind von besonderer Bedeutungdie folgenden: R. Maurach, Sowjetische Demokratie, München 1950; A. Inkeies, Public Opinion in S o v i e t R u s s i a, Cambridge, Mass., 1950; M. Fainsod, How Russia is Ruled, Cambridge, Mass., 1953; B. Meissner, Der Wandel im sozialen Gefüge der Sowjetunion, Europa-Archiv, 5, 1950, SS. 2989— 3004; ders., Stalinistische Autokratie und Bolschewistische Staatspartei, ebd. 6, 1951, SS. 3735— 3765; ders. Sowjets und bolschewistische Massenorganisationen, ebd. 6, 1951, SS. 4351— 4366; ders. Die kommunistische Partei der Sowjetunion vor und nach dem Tode Stalins, Frankfurt am Main 1954; ders., Das Ende des Stalin-Mythos, Frankfurt am Main 1956; W. W. Kulski, The Soviet Regime, Syracuse Univ. Press 1956.

Alle oben genannten Schriften sind wissenschaftlich verfaßt, d. h. sie legen größeren Nachdruck auf Tatsachen und Einzelanalysen als auf große synthetische Einsichten. Als Ergänzung können aber auch weniger wissenschaftliche, jedoch eine bessere Übersicht des Gesamt-phänomens bietende Werke herangezogen werden: z. B. die Schriften von W. Gurian, Bolshevism, Notre Dame, Indiana, 1952; The Soviet Union, ebd. 1951 und ähnliche (in reicher Zahl). Zur sozialen Struktur der kommunistischen Gesellschaft, insbesondere zur Stellung der Intelligenz s. K. A. Wittfogel, Oriental Despotis m, Yale An. Pr. 1957 (wissenschaftlich) und M. Djilas, TheNewClass, New York 1957 (Darstellung durch einen ehemaligen führenden kommunistischen Politiker). (Von den Herausgebern hinzugefügt.) § 1. ÜBERBLICK Der Kommunismus ist, wie gesagt (I § 1), ein vielseitiges Phänomen; deshalb ist auch seine Kritik eine komplexe und schwierige Aufgabe. Bei jedem Versuch einer solchen Kritik muß zweierlei klar auseinandergehalten werden: zuerst muß man sich vergegenwärtigen, was der Kommunismus wirklich i st; erst an zweiter Stelle kann man die Frage aufwerfen, ob und inwieweit er wahr bzw. gut oder richtig ist.

(1) Die erste Aufgabe hat eine grundlegende Bedeutung. Sie ist schwierig, weil der Kommunismus sich oft für etwas ganz anderes ausgibt, als er wirklich ist. Seine Vertreter gebrauchen meistens eine Terminologie, die entweder voller unbekannter Worte ist,, oder doch solcher, denen man einen Sinn unterschoben hat, der vom üblichen vollständig abweicht. Das vorliegende Handbuch dient wesentlich del Erleichterung dieser ersten Aufgabe: es bringt eine dokumentarisch belegte Darstellung der wahren Inhalte des Kommunismus als Lehre, Organisation und Praxis.

(2) Wenn diese Aufgabe gelöst ist, erhebt sich die zweite Frage: wie soll der Kommunismus bewertet werden? Auch dafür bietet das Handbuch genügend Material und Gedanken.

Diese wurden u. a. in den folgenden Abschnitten formuliert: II § 15 (Philosophie), II § 22 (Wirtschaftstheorie), VII § 25 (Nationalitäten-politik), VI § 5 (Außenpolitik), IX § 2 (Theorie des Verbrechens), X § 22 (Wirtschaftspraxis), XIII § 4 (Religionstheorie), XII (Ergebnisse der Kulturpolitik). _ Es ist aber nicht nur möglich, sondern auch notwendig, die allgemeinere Frage aufzuwerfen: ist der Kommunismus a 1s Ganzes — und nicht etwa nur in diesem oder jenem seiner Aspekte — wahr, bzw. gut oder richtig?

Die Behandlung dieser Frage wird am zweckmäßigsten an Hand der oben (Kap. I) dargestellten wesentlichen Züge des Kommunismus durchgeführt. Und zwar ergeben sich dabei folgende besondere Teil-probleme: a) In bezug auf den absolutistischen Charakter des Kommunismus ist dieser Absolutismus und Monismus eine annehmbare Lehre und Haltung?

INHALT § 1. Überblick § 2. Der Kommunismus als Simplifizierung und Primitivismus § 3. Der Kommunismus als Wissenschaft und als Glaube a. Der Kommunismus als Wissenschaft b. Der Kommunismus als Glaube c. Der Kommunismus und die Wissenschaftler § 4. Der Kommunismus und der Mensch § 5. Die kommunistischen Methoden a. Die kommunistischen Mittel und die kommunistischen Ziele b. Die Veränderung an sich wertvoller Ziele durch kommunistische Methoden c. Der Preis für die kommunistischen Methoden § 6. Die Wahrheit des Kommunismus § 7. Kritik des Kommunismus von einzelnen Standpunkten aus a. Kommunismus und Marxismus b. Kommunismus und Liberalismus c. Kommunismus und Religion b) In bezug auf den Kommunismus als Wissenschaft und als Glaube: ist er eine Wissenschaft oder ein Glaube?

c) In bezug auf das Streben, die menschlichen Beziehungen zu verbessern: entspricht das Wesen des Kommunismus diesem Bedürfnis, an das er ständig appelliert?

d) In bezug auf das Verhältnis von Mittel und Zweck: entspricht der Preis, der im Kommunismus für die Erreichung der Zwecke gezahlt werden muß, diesen Zwecken?

Es ist leicht einzusehen, daß man die zwei ersten Fragen auf jeden Fall ganz unabhängig von jedem persönlichen Standpunkt beantworten kann; dagegen setzt die Antwort auf die zwei letzten Fragen einen ethischen Standpunkt voraus — sie hängt davon ab, was man überhaupt als bessere menschliche Beziehungen und als zulässigen Preis für deren Besserung ansieht. Jedoch handelt es sich auch hier um Auffassungen, die letztlich allgemeingültig sind und für alle Menschen zutreffen.

In bezug auf den Kommunismus kann man noch andere Fragen stellen, nämlich was die Beziehungen zwischen ihm und ganz bestimmten Weltanschauungen bzw. Lehren betrifft. Wir werden unter den vielen Möglichkeiten drei herausgreifen, indem wir eine Bewertung des Kommunismus vom Standpunkt des Marxismus, des Liberalismus und der Religion skizzieren.

In diesem Kapitel werden die negativen Aspekte des Kommunismus hervorgehoben. Das bedeutet nicht, daß der Kommunismus überhaupt keine positiven Werte repräsentiere; sicher sind im Gegenteil solche vorhanden. Sie wurden auch in den meisten Kapiteln des vorliegenden Handbuches aufgezählt. Darüber hinaus wurde in einem besonderen Abschnitt am Anfang des Werkes (I § 6) die Frage der Anziehungskraft des Kommunismus erörtert und die wichtigsten Gründe, die die Menschen zur Annahme dieser Denk-und Verhaltensweise bewegen, kurz dargestellt. Hier beschränken wir uns wie gesagt nur auf die negative Kritik. Angesichts einer kommunistischen Propaganda, die natürlich allein die positiven Aspekte betont und sie noch dazu unermeßlich übertreibt, ist eine solche negative Kritik von größter Bedeutung.

§ 2. DER KOMMUNISMUS ALS SIMPLIFIZIERUNG UND PRIMITIVISMUS Die erste und wichtigste Bewertung des Kommunismus, die von jedem subjektiven Standpunkt unabhängig ist, kann in folgender Weise formuliert werden: Der Kommunismus ist sowohl in seiner Theorie als auch in seiner Praxis eine ungeheure Simplifizierung. Jede Sachlage, jede Meinung und überhaupt alles, was mit dem Kommunismus in Berühiung kommt, wird von ihm so sehr vereinfacht, daß sich daraus für gewöhnlich eine vollständige Verfälschung ergibt. Das ist der Hauptgrund, weshalb ein denkender Mensch, der den Kommunismus wirklich kennt, ihm nicht zu folgen vermag.

Die genannte Übersimplifizierung erscheint zuerst in der kommunistischen Eschatologie (II § 23 f) Angesichts der enormen Komplexität der menschlichen Natur und der menschlichen Bedürfnisse lehrt der Kommunismus, daß sie alle durch eine einfache Methode, nämlich durch die Vergesellschaftung des Menschen befriedigt werden können, was selbstverständlich nicht nur falsch, sondern einfach unsinnig ist.

Wir wissen aus der Psychologie (vor allem aus der Psychoanalyse), daß der Mensch durch verschiedene, oft gegensätzliche Bedürfnisse bewegt wird. Er begehrt Nahrung, Kleidung und andere materielle Güter Aber er strebt nicht weniger, sondern oft noch viel mehr, nach der Befriedigung seiner geschlechtlichen Triebe (und zwar im weiten, Freud schen Sinne des Wortes 1 i b i d o). Mit größter Energie begehrt er soziale Anerkennung und Macht Gleichzeitig ist er nur zu oft bereit, alle diese Bedürfnisse seinen ästhetischen, ethischen und religiösen Anliegen aufzuopfern, die bei ihm mitunter am stärksten ausgeprägt sind. Demgegenüber behaupten die Kommunisten, daß alles das in höchst einfacher Weise befriedigt werden wird, nämlich durch die Vergesellschaftung des Menschen Dabei werden einige menschliche Bedürfnisse, z. B, die sexuellen, ganz außer Acht gelassen; andere, z. B. die religiösen, werden einfach geleugnet — man sagt, sie seien zum Verschwinden verurteilt. Alles das ist eine höchst naive Verfälschung der Sachlage.

Die kommunistische Philosophie bietet ein anderes Beispiel derselben Vereinfachung. Diese Frage wurde oben (II § 15) behandelt. Alles in der Welt und im menschlichen Bereich wird unter völliger Mißachtung dessen, was die Wissenschaft lehrt, durch ein paar Schlagworte erklärt. Um nur ein Beispiel anzuführen: die Menschheit soll sich in fünf — und nur fünf — Etappen entwickelt haben (II § 12); daß es noch ganz andere gesellschaftliche Strukturen, z. B. im Fernen Osten, gegeben hat, wird einfach geleugnet. Die schlimmsten Simplifizierung aber finden sich in der kommunistischen Methodologie.

So sind z. B. nach dem Kommunismus alle Probleme des Arbeitslebens durch eine einfache Maßnahme, nämlich durch die Verstaatlichung der Fabriken, gelöst worden. Das aber steht in krassem Widerspruch zu allem, was wir darüber wissen — und zwar auf Grund von langen und eingehenden wissenschaftlichen Studien, nicht etwa a priori wie die Kommunisten Der Arbeitsprozeß in den Fabriken birgt nämlich eine große Anzahl von Problemen in sich, die durch den bloßen Besitzwechsel gar nicht berührt werden. Einige unter ihnen, z. B. die Frage der Löhne, der Arbeitszeit, der Arbeitsbedingungen, der innerbetrieblichen Beziehungen usw. sind für den Arbeiter bei weitem wichtiger als die Frage, ob ein privater Kapitalist oder ein Staatsbeamter die Fabrik leitet. Daß es wirklich so ist, beweisen u. a.

die Streiks, die in den verstaatlichten Betrieben (auch in kommunistischen Ländern) oft ausbrechen. Für die Kommunisten existiert das alles nicht: man soll nur die Betriebe vergesellschaften und alle Probleme sind damit gelöst. — Selbstverständlich kann man der Meinung sein, daß für einen Betrieb eine bestimmte Form des Besitzes besser sei als eine andere. Aber alles läßt sich auf diese eine (und vom Standpunkt des Arbeiters) eher untergeordnete Frage nun wirklich nicht zurückführen. Es handelt sich hier wieder um eine ungeheuerliche Verfälschung der wahren Sachlage durch übersimplifizierung.

Eine ähnliche Simplifizierung kommt bei den Kommunisten in allen ethischen Fragen vor. Alles, was der Partei und ihrem einzigen Ziel dient, soll absolut gut sein — alles, was mit ihrer (augenblicklichen) Linie nicht übereinstimmt, ebenso vollständig schlecht und böse. Alles und jedes ist entweder hundertprozentig gut, oder hundertprozentig schlecht. Das ist einfach Unsinn. Im Leben gibt es nichts, das ganz gut und nichts, was vollständig schlecht wäre; handelt es sich um Menschen, dann gilt das um so mehr. Auch ein Heiliger hat Schattenseiten und der schlimmste Verbrecher positive Charakterzüge.

Die Grobschlächtigkeit dieser Vereinfachung kommt am stärksten zum Ausdruck, wenn jemand, der zuerst als Freund des Kommunismus angesehen wurde, später als sein Gegner bekämpft wird. So war z. B.

Marschall Tito zuerst ein vorzüglicher, mustergültiger, hervorragender und heldenhafter Kommunist. Dann wurde er auf einmal zum Inbegriff des Verbrechers, und als kapitalistischer Agent und Ausbeuter gebrandmarkt. Nach Stalins Tod stieg er wieder zu einem ehrlichen und großen Staatsmann auf.

Die erwähnte übersimplifizierung geht so weit, daß man sie Primitivismus nennen sollte. Kommunismus ist als Idee und Haltung ein Primitivismus gröbster Art. Vielleicht kann man alles vertreten, was die Kommunisten glauben — aber so, wie sie es tun, kann es kein denkender Mensch und vor allem kein Mensch, der sich in seinem Urteilsvermögen über die Stufe der Barbarei erhoben hat. Das führt zu einem wichtigen Problem: man kann eine große Anzahl von hervorragenden Wissenschaftlern, Künstlern, Politikern usw. anführen, die dem Kommunismus verfallen sind. Wie ist das angesichts der genannten Primitivität des Kommunismus überhaupt möglich? Die Antwort lautet, daß diese Menschen den Kommunismus in seinem wahren Wesen gar nicht kennen, oder aber durch Gefühle so sehr beeinflußt sind, daß ihre Vernunft in dieser Beziehung einfach ausgeschaltet wurde.

Unkenntnis des Kommunismus unter denen, die ihm außerhalb der kommunistischen Länder folgen, ist viel weiter verbreitet, als man meint. So war es erst die ungarische Revolution, die viele Intellektuelle in Westeuropa endlich verstehen ließ, daß der Kommunismus seit Jahren eine aktive Aggressions-und Unterdrückungspolitik betreibt — obwohl die hier (Kap. VI) angeführten Tatsachen allen zugänglich waren Der Kommunismus ist eben den meisten unter jenen, die ihm in nichtkommunistischen Ländern folgen, unbekannt. Sie nehmen ihn nicht als das, was er ist, sondern als ein ihren eigenen Idealen entsprechendes System.

Dazu kommt noch die Verblendung durch das Gefühl. Auf dem modernen Menschen lastet das Bewußtsein, daß die sozialen Verhältnisse sehr kompliziert sind und nur durch eine gewaltige, langdauernde wissenschaftliche Arbeit ergründet — dann durch eine ebenso lang-dauernde, schwierige, unter größten Anstrengungen durchgeführte Politik verbessert werden können. Es ist so angenehm und leicht, diese Last einfach abzuwerfen und blindlings eine einfache Lösung zu übernehmen, eine Lösung, die ohne weitere Denkanstrengung zu verlangen ein für allemal mit allen Problemen des Lebens fertig wird. Die Anziehungskraft des Primitivismus ist unter diesen Umständen so groß, daß ihr viele Menschen verfallen.

Daraus folgt, daß alle, die gegen den Kommunismus ankämpfen, sich als erste Aufgabe stellen sollten, die Menschen zum Denken zu bringen; denn die Verbreitung des Kommunismus ist weithin durch das Walten blinder Gefühle bedingt.

§ 3. DER KOMMUNISMUS ALS WISSENSCHAFT UND ALS GLAUBE Die zweite grundlegende Kritik des Kommunismus kann in Form der Frage ausgedrückt werden: ist der Kommunismus eine Wissenschaft oder ein Glaube? Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß er keines von beiden und damit unsinnig ist.

a. Kommunismus als Wissenschaft Die Kommunisten behaupten selbst, der Kommunismus sei eine Wissenschaft; aber wenn irgend etwas über ihn als sicher bezeichnet werden darf, so ist es die Tatsache, daß er keine Wissenschaft ist. Im Gegenteil: es fehlen ihm alle Kennzeichen der echten Wissenschaft.

Damit nämlich eine Lehre „wissenschaftlich" genannt werden kann, muß sie wenigstens drei Bedingungen erfüllen: sie muß zunächst auf der Erfahrung gegründet sein; sie muß weiter in einer logisch geordneten Weise dargestellt werden, -endlich muß sie stets der Kritik unterworfen bleiben, bereit für eine Verbesserung oder Verwerfung, falls das von der Erfahrung oder der Logik verlangt wird. Der Kommunismus erfüllt aber keine dieser drei Bedingungen. Er gründet sich nicht auf Erfahrung, sondern ist als ein Dogma, a priori, auf Grund der Autorität angenommen. Er stellt kein logisch geordnetes System dar, sondern enthält eine Reihe krasser Widersprüche. Er verwirft endlich und bestraft sogar jegliche Kritik, weil er sich ewig und unveränderlich glaubt. Also ist der Kommunismus keine Wissenschaft Die kommunistische Eschatologie ist ganz offensichtlich keine Wissenschaft; schon deshalb, weil eine Wissenschaft niemals moralische Ideale anzubieten vermag: sie kann höchstens voraussehen, was sein wird, nicht was sein soll.

Die kommunistische Philosophie, Soziologie und Wirtschaftstheorie haben eindeutig auch nichts mit Wissenschaft zu tun. Sie bestehen alle aus Behauptungen, die ohne Rücksicht auf Erfahrung auf Grund der Autorität der „Klassiker" angenommen sind.

Darüber hinaus sind der dialektische und historische Materialismus auch deshalb keine Wissenschaft, weil beide die Grenzen der Wissenschaft überschreiten und eher der Metaphysik angehören. Die Wissenschaft hat zu solchen Fragen wie der der Matenalität der Welt, über die Möglichkeit, alles zu erkennen usw., nichts zu sagen. Wie schon oben bemerkt, ist diese Philosophie auch aus einem anderen Grunde un-wissenschaftlich: sie enthält eine große Anzahl sinnloser Ausdrücke und ist in unlogischer Weise aufgebaut. — Die kommunistische Methodologie befindet sich in einer kaum besseren Lage. Es wurde nämlich niemals bewiesen, daß die kommunistischen Ziele (der eschatologische Zustand) durch die kommunistischen Mittel — geschweige durch sie allein — erreicht werden können. Auch das wird a priori auf Grund der Autorität der „Klassiker" und der Partei angenommen.

Jeder Versuch zur Kritik dieser Methoden — wie übrigens an jedem anderen wesentlichen Bestandteil der kommunistischen Lehre — wird mit Gewalt unterdrückt. Das geht so weit, daß selbst die Auslegung der kommunistischen „Klassiker" nicht frei ist: in den kommunistischen Ländern und in allen kommunistischen Parteien ist es obligatorisch, eie in der von der Partei vorgeschriebenen Weise zu interpretieren.

Kurz gesagt: der Kommunismus verbreitet viele Unwahrheiten über sein Wesen; unter allen ist vielleicht die die gröbste, er sei eine Wissenschaft. % b. Der Kommunismus als Glaube Daraus scheint zu folgen, daß der Kommunismus ein Glaube sein muß. Aber auch das kann nicht behauptet werden. Es gibt im wesentlichen nur zwei Arten von Glauben. Die des religiösen Typus sind auf eine göttliche Autorität gegründet: der Gläubige anerkennt eine Schrift usw., weil er glaubt, sie sei durch Gott inspiriert. Die andere Art des Glaubens stellen Annahmen dar, die sich auf keinerlei Autorität gründet, sondern nur zur Erklärung und Koordinierung von Erfahrungen dienen sollen. Es ist nun so, daß der erste Typus und nur dieser, absolut und dogmatisch sein kann, -ein Glaube des zweiten Typus ist wesensnotwendig einer Hypothese ähnlich und hat keinen absoluten Charakter.

Fragt man nun, zu welchem Typus der Kommunismus gehört, so findet man, daß er zu keinem der beiden paßt. Freilich hat er viele Kennzeichen einer Religion, wie oben schon bemerkt wurde (II § 5);

so beruft er sich u. a. ständig auf die vermeintlich unfehlbare Autorität der „Klassiker" und der Partei. Aber die „Klassiker" sind für einen Kommunisten durch keinen Gott inspiriert, da es für ihn überhaupt keinen Gott gibt; sie sind nur Menschen. Somit ist die Forderung unsinnig, sie als absolute Autorität anzuerkennen.

Aber der Kommunismus gehört auch nicht dem zweiten Typus an:

er ist keine bloße Annahme, sondern hält sich für absolut wahr und operiert ständig mit unfehlbarer Autorität. Fragt man nun die Kommunisten, warum sie an diese Autorität, z. B. Lenins, glauben, so werden sie stets antworten: weil der Kommunismus Wissenschaft ist.

Nun, Wissenschaft ist er ganz sicher nicht, wie schon gesagt wurde.

Jeder Versuch, den Kommunismus entweder als Glauben oder als Wissenschaft zu kennzeichnen, scheitert also vollständig: er gibt sich als Wissenschaft aus und geht vor wie ein Glaube; fragt man aber nach der Erklärung für diesen Glauben, so behauptet er, eine Wissenschaft zu sein.

Das heißt aber, daß der Kommunismus schon in seiner formalen Struktur U n s i n n ist.

Wie groß dieser Unsinn ist, wird am besten am Beispiel Stalins sichtbar: zwanzig Jahre lang galt er als höchste Autorität, war völlig unfehlbar und alles, was er sagte, war „genial". Im Jahre 1956 zeigte es sich plötzlich, daß er nicht nur nicht unfehlbar war, sondern sogar viele Irrtümer begangen hat. Daß er aber diese Irrtümer wirklich begangen hat, wurde von den Kommunisten wieder auf Grund der Autorität der Partei — wenn auch oft recht zögernd — schließlich zugestanden.

c. Der Kommunismus und die Wissenschaftler Angesichts diesen offenbaren Unsinns drängt sich die Frage auf, wie hervorragende Wissenschaftler den Kommunismus — wenigstens eine Zeitlang — annehmen konnten? Freilich ist ihre Zahl nicht so groß, wie die Kommunisten gern glauben machen wollen. Aber es gibt ohne Zweifel solche kommunistischen Wissenschaftler und unter ihnen einige führende Gelehrte. Daraus ergibt sich eine neues Problem. Die Lösung wurde schon teilweise bei der Behandlung des kommunistischen Primitivismus gegeben. Aber es ist auch nicht schwer, zu erklären, warum Wissenschaftler ein so unwissenschaftliches System annehmen können.

Zuerst einmal ist nämlich zu beachten, daß ein Wissenschaftler — z. B. ein Physiker — nur auf seinem Gebiet kompetent ist. Außerhalb seines Spezialgebietes ist er oft nicht nur unkompetent, sondern geradezu kindlich naiv.

Der Kommunismus ist nicht die erste große Naivität, die von hervorragenden Wissenschaftlern angenommen wurde: ein altes und klassisches Beispiel ist der Spiritismus — eine grobe Naivität — der von einigen großen, ja genialen Physikern vertreten wurde (z. B. Crookes).

Auch die sogenannte Philosophie der Physiker usw. ist meistens höchst unwissenschaftlich. Gerade in der letzten Zeit hat sich eine Reihe großer Physiker, Astronomen usw durch geradezu kolossale Naivitäten auf diesem Gebiet ausgezeichnet. Es genügt, an Eddington und Jeans zu erinnern. Der Kommunismus aber behandelt durchweg Fragen, die mit dem Spezialgebiet der kommunistenhörigen Wissenschaftler nicht das geringste zu tun haben: meistens handelt es sich dabei um philosophische Fragen. Hier besitzen die Wissenschaftler keine Autorität — sie sind in diesen Fragen nicht mehr, sondern öfters weniger kritisch als der Durchschnittsmensch.

Und doch verwirft die erdrückende Mehrheit der freien Wissenschaftler den Kommunismus. Die Fachgelehrten auf dem Gebiet der durch den Kommunismus behandelten Probleme, nämlich die Philosophen, verwerfen ihn nahezu einstimmig.

Die Zahl der dozierenden Philosophen in der nicht-kommunistischen Welt wird auf ungefähr 10 000 geschätzt; unter ihnen gibt es kaum hundert, die in irgendeiner Weise an den Kommunismus gebunden sind — und nur einen, der eine gewisse Bedeutung als Denker hat.

Darüber hinaus sind auch jene Philosophen, die trotz allem versucht haben, Kommunisten zu werden, bei diesem Versuch gescheitert: die bekanntesten sind Bertrand Russell und die beiden Franzosen Merleau-Ponty und Sartre.

Die Autorität der Philosophen bestätigt also das, was jedem Menschen eine offenbare Wahrheit ist: Der Kommunismus ist keine annehmbare Haltung.

§ 4. DER KOMMUNISMUS UND DER MENSCH Eine der größten Anziehungskräfte des Kommunismus besteht in seinem vermeintlichen Streben nach Verbesserung der Lage der Armen und Schwachen. Dieses Streben nimmt dabei die Gestalt eines Aufrufes zur Verbrüderung aller Menschen an. Und die kommunistische Eschatologie verspricht eine solche Verbesserung und Verbrüderung und schließlich die vollständige Glückseligkeit für alle Menschen.

Es handelt sich aber um ein Mißverständnis, wollte man diese Schlagworte der Kommunisten mit den allen Menschen gemeinsamen Idealen verwechseln. Dieses Mißverständnis stammt daher, daß die Kommunisten unter dem Begriff „Mensch" etwas ganz anderes verstehen als die Nichtkommunisten. Es gibt in dieser Beziehung zwei Hauptunterschiede: (1) während man allgemein mit „Mensch" den Einzelmenschen meint, verstehen die Kommunisten darunter das Kollektiv, die Gesellschaft, die Menschheit und nicht, wenigstens an erster Stelle, den Einzelmenschen. (2) Während Nichtkommunisten dabei meistens an den heutigen, wirklich lebenden Einzelmenschen denken, meinen die Kommunisten den zukünftigen Menschen in einem mythischen eschatologischen Zustand. Der heutige Einzelmensch wird von ihnen stets als reines Werkzeug, als ein Mittel zum Zweck der Erreichung der Ziele der Partei betrachtet und ausgenutzt.

(1) Der Kommunismus meint mit „Mensch" das Kollektiv. Es wurde oben (II § 8) gezeigt, daß das Individuum, — also auch der Einzelmensch — nur als „Moment" des „Ganzen" — der Gesellschaft — existiert; als solch ein „Moment" hat er keine eigenen Rechte und kann nicht als Ziel betrachtet werden. Das Ziel ist im Kommunismus „das Ganze". Zwar glauben die Kommunisten, daß auch der Einzel-mensch im eschatologischen Zustand glücklich sein wird, aber nur deshalb, weil er dann vollständig in der Gesellschaft untergehen und ganz „vergesellschaftet" sein wird. Er interessiert die Kommunisten jedoch weiter nicht. Das Kollektiv ist das einzig Reale und so der einzige Träger aller Werte und sein Wohlstand ist das alleinige Ziel. Der Einzelmensch kann demgegenüber nur als Mittel gelten und muß nach der grundlegenden kommunistischen Lehre stets aufgeopfert werden, wenn es der Partei nützt (s. u. a. IV § 25).

(2) Der Kommunismus meint mit „Mensch" den zukünftigen, mythischen Menschen, nicht den heutigen. Es ist eines der charakteristischsten Kennzeichen des Kommunismus, daß er alles vom Standpunkt der Zukunft aus „dialektisch" betrachtet, wobei die Gegenwart als bloßes Werkzeug dieser Zukunft erscheint. Dasselbe gilt auch vom heutigen Menschen: er ist nur dazu da, um diese eschatologische Zukunft vorzubereiten.

Das erklärt, warum die Kommunisten, die immer von der Verbesserung der Lage der Arbeiter, Bauern usw. sprechen, solange sie nicht an der Macht sind, nach der Machtergreifung keine wesentliche Verbesserung durchsetzen. In mancher Hinsicht verschlimmert sich die Lage der Werktätigen unter kommunistischer Herrschaft. Soweit aber die Kommunisten Verbesserungen schaffen, werden diese niemals um der Menschen selbst willen, sondern immer als Mittel zur Förderung der Staatszwecke eingeführt.

So wird z. B. von den Kommunisten das Theater zwar gepflegt und allen Menschen finanziell zugänglich gemacht, aber als eines der wirksamsten Mittel zur Beeinflussung der Menschen durch kommunistische Symbolik verwandt. So bieten die Kommunisten zwar den Kindern Fieizeitorganisationen an, die mit allem ausgestattet sind, was ein Kindeiherz begehrt, die aber dazu dienen, die Kinder beim Spiel zum Kommunismus zu erziehen. So bestehen zwar viele Erholungsheime für Aibeiter, aber die Plätze in ihnen werden von den staatlichen Gewerkschaftsorganisationen nur an die dem Staat nützlichen Arbeiter vergeben.

Der Vorwurf, den Marx dem Kapitalismus machte, trifft recht eigentlich das kommunistische System: Es verkehrt alle Werte des menschlichen Lebens in Mittel, die Menschen politisch willfährig zu machen und aus ihnen das Höchste an Arbeitsleistung für den Staat herauszuholen.

Daraus folgt weiter, daß es ein vollständiges Mißverständnis ist, wenn man sagt „die kommunistischen Ziele sind gut, nur die Methoden sind schlecht". In Wirklichkeit sind die kommunistischen Methoden eine logische Folge der kommunistischen Zielsetzung. Denn diese Zielsetzung schließt eine Mißachtung des wirklichen Menschen und seiner Bedürfnisse in sich ein. Eine solche Feststellung könnte auch so formuliert werden: der Kommunismus tendiert zur Befriedigung nur einer Art von Bedürfnissen, nämlich des Bedürfnisses gewisser Parteitheoretiker, ihre Mythomanie zu verwirklichen. Die anderen Menschen werden der Befriedigung dieses Bedürfnisses einfach geopfert.

§ 5. DIE KOMMUNISTISCHEN METHODEN Soweit die Ziele; diese Ziele rechtfertigen jedes Leiden, jeden Tod, falls sie der Verwirklichung des kommunistisschen Mythos dienen. Jedoch können die durch die Kommunisten angewandten Methoden ganz abgesehen von der Bewertung dieser Ziele einer zweifachen Kritik unterzogen werden. Wir dürfen nämlich fragen (a) sind die von den Kommunisten angewandten Mittel vom kommunistischen Standpunkt aus richtig, d. h. sind sie zweckmäßig? (b) sind sie, von einem allgemeinen moralischen Standpunkt aus zulässig: gibt es überhaupt eine Proportion zwischen der Anhäufung und Fülle menschlichen Leidens und menschlicher Erniedrigung einerseits und irgendeinem Ziele andererseits?

a. Die kommunistischen Mittel und die kommunistischen Ziele Hier ist zunächst zu bemerken, daß die mittelbaren Ziele im Kommunismus eine so große Rolle spielen, daß darüber das letzte Ziel, die eschatologische Glückseligkeit, fast ganz vergessen wird. Das hauptsächliche unmittelbare Ziel ist aber die Beherrschung der Welt durch die Partei. Diesem Zweck wurde alles in den durch den Kommunismus beherrschten Ländern aufgeopfert. In dieser Beziehung wurde auch viel geleistet (VI §). Unterdessen wurde aber in bezug auf das letzte Ziel sozusagen nichts erreicht. Die Einteilung der Gesellschaft in Klassen ist geblieben und hat sich vielleicht noch verschärft (s. Kap. XIV). Die Lage der Arbeiter hat sich nicht gebessert.

Der Staat zeigt keinerlei Tendenzen, sich aufzulösen — im Gegenteil, er ist in allen kommunistischen Ländern immer stärker geworden.

Man hat eine gewaltige Schwerindustrie aufgebaut und das ist praktisch alles. Dazu sagen freilich die Kommunisten, daß nach der Eroberung der Welt alles ganz anders aussehen wird. Wieder jedoch handelt es sich um einen Mythos, der durch nichts belegt ist. Wir haben keinen Grund zu glauben, daß die ungeheure Masse menschlichen Leidens und menschlichen Sterbens zu etwas anderem gedient hat, als zur Stärkung der Macht einer kleinen Gruppe von Tyrannen, die immer wieder gezeigt haben, daß sie gar nicht bereit sind, der Macht zu entsagen.

b. Die Veränderung an sich wertvoller Ziele durch kommunistische Methoden Manche dem Kommunismus zugeschriebenen Ziele, die an sich betrachtet sehr wünschenswert sein mögen, verwandeln sich in das Gegenteil, wenn sie mit kommunistischen Methoden durchgesetzt werden. So ist z. B.der Gemeinsinn sicher etwas Erstrebenswertes, wenn er in Freiheit wächst, wird aber zu einer Sklavenbürde, wenn man ihn durch Verstaatlichung des Eigentums zu erzwingen sucht. Eine industriell hochentwickelte Wirtschaft mag wohl eine Bedingung des Wohlstandes sein, aber eine vom diktatorischen Staat forcierte Industrialisierung hat sich als gesamtwirtschaftlicher Rückschritt erwiesen (vgl. Kap. X). Eine des Lesens und Schreibens kundige Bevölkerung ist an sich ein gutes Ziel, aber die Erfahrung von Gefangenen in Konzentrationslagern ergab, daß in einem System, wo Druck und Schrift nur zur vollständigeren Beherrschung des Menschen verwandt werden, die Unkenntnis des Lesens und Schreibens mehr Freiheit verbürgte.

c. Der Preis der kommunistischen Methoden Erweisen sich aber die kommunistischen Methoden selbst vom Standpunkt des Kommunismus als nicht richtig, so muß noch gesagt werden, daß sie von keinem Standpunkt aus gerechtfertigt werden können. Der Preis, den die Menschen zu zahlen haben, ist bei weitem zu hoch, um durch irgendein Ziel gerechtfertigt zu werden. Die kommunistischen Methoden sind viel zu kostspielig.

Es mag z. B. ein schönes Ideal sein, eine einzige Weltsprache zu besitzen, aber es ist sicher nicht richtig, wenn deshalb Millionen Menschen ihre Muttersprache nicht mehr pflegen dürfen, unter grausamen Umständen deportiert werden und wenn man ihre Führer zu Tausenden hinrichtet, um dieses Ideal zu erreichen (VII).

Die Kollektivierung der Bauern mag vielleicht ein erstrebenswertes Ziel sein; aber abgesehen davon ist es einfach verbrecherisch, wenn man dafür Millionen Menschen verhungern läßt, wie es in der Ukraine der Fall war (XI § 8 c) und wenn man weitere Millionen in Konzentrationslager bringt.

Die Entwicklung der Wirtschaft eines Landes ist sicherlich ein Ideal;

aber man darf mit Recht fragen, ob das auf die Art und Weise durchgeführt werden muß, in der es die Kommunisten getan haben — nämlich durch eine extrem harte Ausbeutung der Arbeiter und durch die Schaffung einer gewaltigen Klasse von Sklaven (IX).

Man kann vielleicht der Meinung sein, daß die Wissenschaften und die schönen Künste dem Kommunismus dienen sollten; aber es ist wohl nicht richtig, wenn deshalb ganze Generationen schöpferischer Menschen versklavt und erniedrigt werden. Der Preis steht in keinerlei Verhältnis zum erreichten Ziel (XII).

Und endlich mag die eschatologische „Demokratie" ein schönes Ideal sein; aber dafür Millionen Menschen ihrer elementarsten Rechte zu berauben, ja jeder Möglichkeit, sich gegen Tyrannei, Ausbeutung, Folter, Einkerkerung in Konzentrationslagern zu verteidigen ist kein Preis, den man von den Massen dafür verlangen darf (XIV, IX).

§ 6. DIE WAHRHEIT DES KOMMUNISMUS Nach diesen Erörterungen sind wir imstande, zur grundlegenden Frage Stellung zu nehmen. Sie lautet: ist der Kommunismus wahr?

„Wahr“ nennt man, was die Wirklichkeit trifft. „Wirklichkeit" aber bedeutet Verschiedenes. Handelt es sich um letzte Ziele, so ist eine Lehre wahr, wenn sie den wirklichen menschlichen Bestrebungen entspricht. Eine T h e o r i e ist wahr, wenn sie auf Tatsachen zutrifft. Eine Methodenlehre, wenn die durch sie vorgeschriebenen Mittel zweckmäßig sind, d. h. die Zwecke treffen.

Der Kommunismus ist aber in allen drei Bedeutungen des Wortes falsch.

(1) Die kommunistische Zielsetzung, die Eschatologie ist falsch, weil sie dem wirklichen menschlichen Streben nicht entspricht. Sie mißachtet die meisten Bedürfnisse des Menschen und durch eine Sinnunterschiebung hat sie anstatt der (echten) Tendenz zum Glück des wirklichen Einzelmenschen, das „Glück" der mythischen Zukunftsgesellschaft gesetzt.

(2) Die kommunistische Theorie, die Philosophie, Soziologie, politische und Wirtschaftstheorie ist falsch: sie trifft die Tatsachen nicht. Wie die Zielsetzung übersieht sie viele Bestandteile der Wirklichkeit; gleichzeitig verwirft sie das einzig zulässige Kriterium der Wahrheit, nämlich die wissenschaftliche Erprobung der Theorie an Hand von Tatsachen; sie ersetzt sie durch einen dogmatischen Glauben.

(3) Die kommunistische Methodenlehre ist falsch: die durch sie vorgeschriebenen Mittel sind unzweckmäßig, und zwar in zweifacher Hinsicht: einmal, weil sie die Ziele des Kommunismus selbst nicht zu erreichen vermögen und zweitens, weil sie bei weitem zu kostspielig sind hinsichtlich aller überhaupt möglichen Ziele.

Das besagt selbstverständlich nicht, daß der Kommunismus keine wahren Elemente enthält. Im Gegenteil, er enthält eine lange Reihe von Alltagswahrheiten. Aber man darf den Kommunismus nicht nach Einzelheiten beurteilen, die aus dem Zusammenhang gerissen sind. Der Kommunismus ist ein Ganzes und muß als Ganzes beurteilt werden. Als solches ist er einfach falsch.

§ 7. KRITIK DES KOMMUNISMUS VON EINZELNEN STANDPUNKTEN AUS Neben der oben ausgeführten Bewertung, die unabhängig von jedem besonderen Standpunkt durchgeführt werden kann, bietet jede der großen Weltanschauungen die Möglichkeit einer noch weitergehenden Kritik. Eine solche Kritik ist insoweit von Bedeutung, als die Kommunisten nicht selten behaupten, ihre Lehre und Praxis sei mit diesen Weltanschauungen vereinbar, ja, werde durch sie direkt gefordert.

a. Kommunismus und Marxismus Der Kommunismus ist nur eine unter zahlreichen möglichen Deutungen des Marxismus und man kann behaupten, daß die kommunistische Deutung die Gedanken von Karl Marx, und vor allem seine Grundhaltung vollständig verdreht. Unter anderen können die folgenden Unterschiede genannt werden:

(1) Karl Marx wollte eine Soziologie, eine Wirtschaftstheorie und eine Eschatologie, nicht aber einen dialektischen Materialismus formulieren. Dieser ist aber zum „Augapfel" des kommunistischen „Marxismus" geworden (s. II § 1 a).

(2) Für Marx ist die Wirtschaft die Grundlage der Politik und nicht umgekehrt. Die Kommunisten halten aber an der unbedingten Priorität der Politik fest. Anstatt die Revolution der wirtschaftlichen Vorbereitung folgen zu lassen, ergreifen die Kommunisten überall wo sie es können, zuerst die Macht mit Hilfe politischer Mittel, um dann die wirtschaftliche Entwicklung durch dieselben Mittel zu forcieren. Das verdient eine radikale Verdrehung des echten Marxismus genannt zu werden.

(3) Karl Marx stellte sich die Befreiung des Menschen aus seiner „Entfremdung" zur Hauptaufgabe. Der einzelne, wahre Mensch steht im Zentrum seines Denkens, besonders in der Frühperiode. Bezeichnend für den Kommunismus ist, daß das Wort „Entfremdung" ganz selten bei ihm erscheint. Der Mensch wurde in eine mythische Zukunft transponiert, in der Gegenwart und Praxis kümmert sich die Partei gar nicht um ihn.

(4) Marx sprach von der Diktatur des Proletariats, d. h.der Mehrheit des Volkes. Die Kommunisten haben daraus die Diktatur der P a r t e i, ja einer kleinen Elite innerhalb der Partei gemacht. Die Diktatur wird nicht durch das Volk, sondern durch eine kleine tyrannische Gruppe über das Volk ausgeübt (IV § 16).

Schließlich ist noch zu bemerken, daß keiner, der den unverfälschten Gedanken Marx'kennt, die wahrhaft ungeheuerlichen Simplifikationen als „marxistisch" ansehen kann, die von den Kommunisten an ihm durchgeführt werden.

b. Kommunismus und Liberalismus Fast alles was oben (§ 4) über den Menschen in kommunistischer Sicht gesagt ist, führt zu einer noch schärferen Kritik vom Standpunkt des Liberalismus. Denn ein Anhänger dieser Weltanschauung glaubt, daß das Glück des Einzelmenschen das letzte Ziel jeder Politik und jedes Wirtschaftssystems sein soll. Er glaubt darüber hinaus, daß es keinen anderen Weg zu diesem Glück gibt außer den der vollen Freiheit für den Einzelmenschen; insbesondere glaubt er, daß die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Wissenschaft und der Kunst dazu unbedingt notwendig ist. Der Kommunismus aber leugnet alles dies: der Einzelmensch ist ihm nicht Ziel, sondern nur Mittel, die Freiheit betrachtet er als schädlich (mit Ausnahme der utopischen Freiheit in der eschatologischen Zukunft); er unterdrückt systematisch jede freie Meinungsäußerung — besonders übt er eine überaus strenge Kontrolle über die Wissenschaft und Kunst aus. Alles das tut er kraft seiner Grundprinzipien. Vom liberalen Standpunkt aus ist also der Kommunismus ein verbrecherisches Mißverständnis.

c. Kommunismus und Religion Der Gegensatz zwischen dem Kommunismus und den großen Welt-religionen ist womöglich noch schärfer. Dieser Gegensatz beschränkt sich nicht — obwohl das nur zu oft angenommen wird — auf den kommunistischen Atheismus, sondern erstreckt sich auf eine lange Reihe anderer grundlegender Glaubenssätze. Die wichtigsten darunter sind die folgenden:

(1) Ein Gläubiger ist von der Transzendenz des Menschen überzeugt: er glaubt, daß der Mensch nicht nur ein Teil der Natur ist, sondern — sowohl in seinem Wesen als auch in seiner Zielsetzung — die Grenzen der Natur überschreitet: der Mensch ist nämlich nach der Religion einem transzendenten Element (Gott) direkt zugeordnet, als Kind Gottes und (so im Christentum) als Gottesfreund usw. Diese Transzendenz aber wird durch den Kommunismus geleugnet.

(2) Nach der Religion kann die bloße Besserung der wirtschaftlichen Lage den Menschen nicht glücklicher machen. Diese Besserung ist wohl ein positiver Wert, aber „der Mensch lebt nicht vom Brot allein". Er hat u. a. auch religiöse Bedürfnisse, die befriedigt sein wollen. Solche Bedürfnisse werden aber von den Kommunisten geleugnet. Man behauptet, alles wird in Ordnung sein, wenn nur die Wirtschaft sich genügend entwickelt.

(3) Alle großen Religionen vertreten den axiologischen Pluralismus: es gibt nach ihnen viele unbedingte Werte und damit auch verschiedene Handlungen, die unbedingt gut oder böse sind; was aber unbedingt böse ist, darf nicht getan werden. Keine echte Religion kann die Heiligung der bösen Mittel durch das Ziel anerkennen. Diese Heiligung ist aber eine ausdrückliche kommunistische Lehre. Denn der Kommunismus ist in seiner Axiologie monistisch: er anerkennt nur einen unbedingten Wert — den Sieg der Partei. Angesichts dieses alleinigen Wertes sind alle anderen Werte zu bloßen Mitteln degradiert, sie sind alle relativ.

(4) Die Religionen vertreten, obwohl vielleicht nicht so extrem wie der Liberalismus, eine idividualistische Sicht der Gesellschaft. Das Heil körnt nur dem Einzelmenschen zu, nicht der Gesellschaft. Er allein, nicht die Gesellschaft, kann zum Gottesfreund werden. Der Kommunismus aber verachtet den Einzelmenschen. Es folgt daraus, daß selbst, wenn die Kommunisten über Nächstenliebe usw. sprechen, es sich bei ihnen um etwas radikal anderes handelt als bei den Gläubigen: die kommunistische „Liebe" richtet sich nämlich nicht auf den Einzelmenschen, sondern auf das „Ganze" — im Gegensatz zu jener der Religionen.

(5) Endlich meinen die Gläubigen, daß man den Menschen durch rein äußerliche Maßnahmen nicht verbessern kann. Sie glauben, daß dazu eine persönliche geistige Anstrengung notwendig ist. Ohne eine solche kann auch das beste System keine Besserung bringen. Der Kommunismus aber glaubt an das direkte Gegenteil: für ihn kann alles durch fachtechnische Eingriffe von außen („Ingenieure der Seele") erreicht werden. Es sei bemerkt, daß das unbeschreibliche Unheil, das in allen kommunistischen Ländern auf moralischem Gebiet angestiftet wurde, eine glänzende Widerlegung dieser kommunistischen Behauptung ist.

Deshalb ist der Kommunismus vom religiösen Standpunkt aus — und das ganz abgesehen von der Verfolgung der Religion — ein gewaltiger Irrtum und eine Sünde.

Fussnoten

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