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Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung | APuZ 48/1956 | bpb.de

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APuZ 48/1956 Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung

Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung

EDUARD SPRANGER

Vorbemerkungen

Selbstbezogenheit Abhängigkeit (Unfreiheit)

Die preußische Kabinettsordre vom Mai 18 89 kann als der erste wirksame Weckruf zur Einführung staatsbürgerlichen Unterrichts in die Schulen gelten. Kerschensteiners Erfurter Preisschrift „Über die staatsbürgerlidie Erziehung der deutschen Jugend“ von 1900 ist nach Gebühr gefeiert worden. „Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht sind Lehrfächer der Schulen“, heißt es in Artikel 148 der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Das Bonner Grundgesetz (1949) sagt darüber nichts. Einige deutsche Länderverfassungen gedenken der Notwendigkeit politischer Erziehung, die gerade für eine Demokratie lebenswichtig ist. Aber die Baden-Württembergische Verfassung von 195 3 vermeidet e den Ausdruck Staatsbürgerkunde.

Gleichviel, ob man von der Belebung vaterländischen Sinnes oder von staatsbürgerlichem Unterricht oder von politischer Erziehung redet — trotz ihrer fast 70jährigen Vorgeschichte hat die Sache nicht recht in Gang kommen wollen. Selbst der „Deutsche Ausschuß für Erziehung und Unterricht“ hat sich in seinem Gutachten vom 22. 1. 195 5 spürbar zurückhaltend geäußert.

Anfangs glaubte man, der Mangel an geeigneten Leitfäden für die Lehrer und an Stoffabrissen für die Schüler sei die Ursache des langsamen Vorwärtskommens. Da solche Hilfen neuerdings in nicht unbeträchtlicher Zahl erschienen sind, von denen einige in Bezug auf die Sache recht gut genannt werden dürfen, ist es gewiß angebracht, Erfolge auf solchen Wegen zunächst einmal abzuwarten. Trotzdem sollte man nicht nur warten. Es ist denkbar, daß auf einem so neuen Gebiet auch neue didaktische Verfahren versucht werden müssen. Der Verfasser dieses Entwurfes hat darüber seit vielen Jahren nachgedacht, weil ihn der Zustand, wie er ist, stark beunruhigte. Was dabei herausgekommen ist, ist nichts als ein „Vorschlag", den er zur freundlichen Prüfung darbietet. Pädagogische Methoden unterliegen nicht dem rein theoretischen Maßstab „richtig oder falsch“, sondern es muß sich an der praktischen Erprobung zeigen, ob sie im Hinblick auf das angestrebte Bildungsziel wirksam oder unwirksam sind. Eine solche Erprobung möchte ich anregen. Dabei kommt es nicht auf diese oder jene Einzelheit an (die verfehlt oder verbesserungsbedürftig sein könnte), sondern auf das Prinzip.

Das Prinzip allerdings ist neu, und mancher wird das Befremden darüber nur allmählich überwinden können. Kurz gesagt, handelt es sich darum, für den Anfang die Anknüpfung des staatsbürgerlichen Unterrichtes an den Geschichtsunterricht zu vermeiden. Dieser kann in der Reifungszeit, in die die ersten politischen Anregungen gelegt werden müssen, noch nicht so weit gediehen sein, daß man auf ihm aufzubauen vermöchte. Statt dessen wird vorgeschlagen, eine Art von An-

schauung zu beleben, deren Wesen erläutert werden wird. Sie ist nämlich nicht bloß empirisch, sondern liegt z. T. in einer Antezipations-kraft, ohne deren Wirken in uns wir weder im Leben zurchtkämen, noch Geschichtliches verstehen könnten.

Es sei nicht verschwiegen, daß die folgenden Gedanken zunächst für die staatsbürgerlichen Lehraufgaben der Pflichtberufsschule bestimmt waren. Hinterher sind mir Zweifel gekommen, ob sie bei der geringen Stundenzahl, die ihr zur Verfügung steht, und bei der Unruhe, mit der sie durchweg zu kämpfen hat, ein geeigneter Boden für die erste Erprobung wäre. Auf der anderen Seite ist gerade der Gewerbelehrer durchweg so sehr genötigt, in Neuland vorzustoßen, daß die innere Bereitschaft bei ihm nicht fehlen dürfte. Aber meinetwegen beschränke man sich vorläufig auf die Oberstufe der höheren Schulen. Natürich wird man dann mit einer einzigen Wochenstunde in der obersten Klasse nicht auskommen. Man wird den je einstündigen Kursus über alle drei Oberstufenjahre ausdehnen müssen. Das Bedenken dagegen schwindet vielleicht, sobald die Verlegenheit schwindet, wie man die Aufgabe angreifen könne.

Meine Hoffnung ist, daß bei den von mir erbetenen Erwägungen keine leidenschaftliche Polemik herauskomme, sondern — wie etwa bei Konstruktionsaufgaben der Technik — eine durchaus sachliche Aussprache darüber, ob „es geht“ oder ob „es nicht geht“.

Natürlich handelt es sich im vorliegenden Falle nicht um eine Technik. Das Pädagogische ist überall mehr als Technik (z. B. mehr als Psychotechnik). Deshalb ist es auch mit staatsbürgerlicher Belehrung nicht getan, sondern das Ziel ist echte staatsbürgerliche Erziehung, also ein Verfahren, das zuletzt in die Gesinnung des jungen Menschen eingreifen soll. Dieser Übergang vom Kenntnisnehmen zum Ergriffen-werden, vom Belehren zur Formung des inneren Menschen ist der schwierigste Punkt, den ich zu bewältigen hatte. Weil nun bei uns die Theorie der ethischen Erziehung ziemlich ungeklärt ist, mußte ich im II. Teil Betrachtungen hinzufügen, die nicht ganz in der geraden Linie zu liegen scheinen. Es mußten gleichsam „Lehnsätze“ herangeholt werden. Mit ihrer Hilfe hoffe ich zu zeigen, daß auf dem behandelten Gebiete ein Unterricht möglich ist, der zugleich in gewissem Grade erzieht. Daß Unterricht allein das Werk der Erziehung — Gesinnungsbildung und Charakterbildung — nicht vollenden kann, steht fest. 1) Aber die Schule kann nirgendwo die Lebenswirklichkeit ganz ersetzen. Sie bereitet im Bewußtsein den Boden vor,, auf dem ethisch fruchtbare Erfahrungen gemacht werden können. Erst im staatsbezogenen Erleben, Handeln und Kämpfen vollendet sich, sehr spät, die politische Erziehung. Die Schule gibt nur eine kleine Landkarte zur Vorörientierung auf diesem Gelände mit. Die Methode, die mir vorschwebt, ist ein Verfahren des Rückganges auf „Elemente“. Sie ist, historisch gesehen, nicht ohne Verbindung mit der Grundkonzeption von Pestalozzi. Aber es kommt von vornherein alles darauf an, zu erfassen, was „Element“ in diesem Zusammenhang heißt. Bei einfach „sinnlich" Gegebenem kann man quantitativ so lange zerlegen, bis man auf letzte Bestandteile kommt, seien es wirklich vorfindbare oder solche, die man als letzte Einheiten setzt. Bei sinnlich Gegebenem kann man versuchen, ob die Fülle der Qualitäten auf Grunderscheinungen zurückführbar ist, die als Ausgangspunkte für eine begriffliche Durchgliederung geeignet sind. Hingegen bei Sinnzusammenhängen in geistiger Bedeutung, die im menschlichen Lebensvollzug auftreten, darf man nicht hinter solche Elemente zurückgehen, die ihrerseits noch einen Sinnbezug enthalten. Im folgenden sind mit „Elementarphänomenen" immer solche noch sinnhaltige Elemente („Sinnelemente“) gemeint. Sie haben ihre sinnbestimmte Stelle und ihre sinnvolle Funktion im Ganzen des Einzellebens und im gesellschaftlichen Zusammenleben (Gesamtleben). Wer sie erfaßt oder er-schaut,erfaßt diese ihre Bezüge mindestens ahnungsweise mit: er „versteht" sie kraft einer dunklen Antezipation des Ganzen, in das sie eingelagert sind. Die Methode kann nicht mehr leisten, als sie (wie Kant sagen würde): im Gemüt auszusuchen und zu deutlicherem Bewußtsein zu erheben. In den jungen Menschen wird nichts ihm Fremdes hineingefüllt, sondern alles planmäßig aus ihm herausgeholt. Allerdings wird dabei zuweilen auch eine vereinfachende „Konstruktion“ von Lebenszusammenhängen stattfinden, die der Bildung von Ideal-typen verwandt ist.

Insofern nun das jeweils in den Blickpunkt gerückte Sinnelement zu der Totalität des menschlichen Lebens — wir pflegen stärker zu sagen: zum Sinn des Lebens — in einer vorgeformten Gliedbeziehung steht, ist die Einbettung in die Bestimmung des Menschen immer schon mitgegeben, und die Bewußtmachung ist von vornherein auch eine ethisch bedeutsame Orientierung.

Aber diese Bemerkungen sind selbst noch bloße „Antezipationen". Erst die Durchführung kann klarmachen, wie das alles gemeint ist.

I. Teil

„Lehrpläne" mögen noch so vorzüglich sein: wenn der zugemutete Stoff von den Schülern nicht angeeignet wird, bleiben sie ohne Folgen. Die „Aneignungsbereitschaft" für politische Wissensgüter kann bei 15-bis 18jährigen in Deutschland nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. In England oder in romanischen Ländern mag es anders stehn. Die Deutschen scheinen ihrer Anlage nach staatsfern zu sein, und wenn sie sich einmal mit voller Leidenschaft aufs Politische werfen, richten sie Schaden an.

Es kommt also darauf an, Dinge, die mit dem Staat Zusammenhängen, annähernd so interessant zu machen, wie es Dinge der Technik und des Sports für dieses Alter zu sein pflegen. Das ist nur dann möglich, wenn man das Bewußtsein dafür weckt, daß schon von dem Leben, das der Jugendliche lebt, Brucken zu der staatlichen Sphäre hinführen. Das Stück Welterkentnis, um das es hier geht, schließt immer ein Stück Selbsterkenntnis ein. Sollte sich zeigen, daß man schon die Grundfaktoren des Staatlichen in sich trägt, wenn auch noch in einfacheren Verwebungen, so empfinge die darauf bezügliche Einsicht den Charakter des Wiederfindens.

I. Die Anknüpfung an Urphänomene

Die theoretische Didaktik hat sich in Deutschland viel zu wenig um die psychologischen Vorbedingungen und Wege derjenigen Art von „Verstehen" gekümmert, die in allen Geisteswissenschaften erforderlich ist. Ein Verstehen betätigt sich natürlich schon vorwissenschaftlich. Herbart unterschied bewußt Umgang (als eine ursprüngliche Form des sinnvollen Zusammenlebens) von der planmäßig durch Unterricht gelenkten Teilnahme. Wit lassen vorläufig den ethischen Ton, der in der „Teilnahme“ mitklingt, ganz beiseite. Aber wir versuchen, dasjenige Verstehen von Personen, Handlungen, Gesellschaftszusammenhängen und sachlichen Sinngebilden, das sich im Heranwachsenden ganz von selbst entwickelt, ein wenig zu methodisieren. Und zwar nur für das Unterrichtsfach, das hier im Vordergründe steht.

Dabei machen wir die Hypothese, daß in allen noch so verwickelten Gesellschaftsformen und -Vorgängen eine Anzahl von Urverhältnissen immer wiederkehrt. Das Ideal, es zu einer vollständigen Liste dieser Urphänomene zu bringen, muß noch lange im Hintergründe bleiben. Es kommt zunächst nur darauf an, einige charakteristische Faktoren (= Sinnelemente, nicht stückhafte Elemente!) herauszuarbeiten. Die Schwierigkeit, aber auch das Fruchtbare dabei ist, sie in ihren weitgehenden Verwandlungen noch als wesenhaft identisch zu erkennen, ähnlich, wie man Mühe hat, aus musikalischen Variationen das eine, mit sich identisch bleibende Thema herauszuhören. Man übertrage diese Leistung auf den Jugendlichen, der sich in dem vielverschlungenen Leben „zu orientieren hat“! Er kommt aus sehr einfachen, besser gesagt: aus sehr primitiv verstandenen Gemeinschaftsverhältnissen her. Nun soll er plötzlich Gebilde, Vorgänge, Regelungen verstehen, die höchst verwickelt sind und ohne Anleitung noch garnicht in seinen Horizont fallen können. („Jeder Unterricht verfrüht“!) Die Kluft, die besteht, muß man besonders auch unter folgenden Gesichtspunkten betrachten:

In der objektiven Kultur selbst haben Grundverhältnisse, die einmal relativ einfach waren, eine fremdartig wirkende Massivität angenommen, und zwar durch den historischen Prozeß, in dem Aufschichtungen, Summierungen, polare Spannungen, Ausgleichungen und Entwicklungen stattgefunden haben. Selbst der Erwachsene findet sich heute nur schwer durch diese Irrgärten der Kultur hindurch

Den Zögling diesen Weg der tatsächlichen Geschichte auch nur in der Phantasie noch einmal gehen zu lassen, ist völlig unmöglich. Wenn es also nicht so wäre, daß man von gewissen konstant bleibenden Sinn-faktoren aus doch in das historische Gesamtgebilde eindringen könnte, dann blieben die Sachverhalte, die hier verstanden werden müssen, dem Ungelehrten überhaupt unerreichbar. Das ist offenbar nicht der Fall.

Gewiß läßt sich das Feinere nur aus der historischen „Genesis“ erklären.

Aber vielleicht haben wir in der Anwendung der historischen Methode für das Verstehen gegenwärtiger Tatbestände etwas zu viel getan. Vielleicht gibt es beharrende Sinnelemente, die wie Trittsteine den Liber-

gang in zunächst fremde Zusammenhänge und Gebilde gestatten. Vielleicht enthält „der Geist“ eine begrenzte Anzahl von Strukturen, die sich zwar historisch verwandeln, aber auch immer wiederholen. Eine echte Unendlichkeit von völligen Singularitäten könnte ja kein Mensch erfassen.

Kurz, so dunkel der Weg noch vor uns liegt: wir wollen einmal unter der bezeichneten Hypothese einige Gedanken zur Probe entwickeln.

Dabei muß streng im Auge behalten wetden, daß die Formen und Formverwandlungen, von denen die Rede sein wird, nicht als historische Reihen anzusehen sind, sondern daß sie immer da sind, für jeden zugänglich, allerdings auch für jeden unerläßlich.

Auch dies ist zu beachten, daß nicht etwa (nach alter Herbartischer Manier) auf Begriffe gezählt wird, die mehr oder minder klar im Bewußtsein bereit liegen. Sondern es handelt sich um Lebenseinstellungen, Bewußtseinshaltungen, Begegnungsformen, die schon betätigt worden sind. Was dann von ähnlicher Art vorkommt, wird als etwas aufgefaßt, für das man mindestens schon eine Analogie in sich trägt. Alles Verstehen ist ja analogisch. Die vorgeschlagene Methode besteht nun darin, die betreffenden Grundeinstellungen oder Urerlebnisse eine Zeitlang so zu unterstreichen, daß sie zu festen Bereitschaften werden und allmählich auch aus stark verwandelten und verwickelten Sozialgebilden herauserkannt werden. „Idem, scd aliter“, sagt Schopenhauer geringschätzig von der Geschichte. Der verächtliche Ton darin ist nicht angebracht. Mancher wird das idem, das identisch Bleibende, mancher das aliter, die Alteration, hervorheben — so viel ist sicher, daß wir den geschichtlichen Wandel überhaupt nicht verstehen könnten, wenn nicht einige Grundstrukturen des Lebens in ihm gleichblieben. Und eben auf dieses Beharrliche im Wechsel ist unser didaktisches Gedankenexperiment eingestellt. Denn die historische Genesis, die historischen Relationen und Sonderlinien würden über den Horizont jedes Anfängers hinausgehen.

Der Weg wäre also der, daß zunächst an Gesellschaftsverhältnissen, die dem jungen Menschen schon bewußt geworden sind, weil er in ihnen lebt, Sinnelemente (keineswegs Stückhaft Zerrissenes!) hervorgehoben werden, so daß später nicht nur diese selbst wiedererkannt werden, sondern auch die Problematik, die von ihnen unabtrennbar ist, von den einfacheren Grundgebilden her aufgerollt werden kann. Das soll aber nicht der Lehrer tun, sondern es soll so weit wie irgend möglich aus dem Bewußtsein des Werdenden aufsteigen. Er befindet sich ja in einem Alter, das von Natur gern „räsonniert", „diskutiert" und sich auf die neu erwachte Selbständigkeit des Urteilens viel zugute tut.

Natürlich ist es nicht die Absicht, dies Verfahren den ganzen Kursus der Staatsbürgerkunde hindurch fortzusetzen. Das wäre ebenso, als wenn man sich im Rechnen niemals von der Anschauungsbasis loslösen wollte. Die Erfahrung wird lehren, ob es möglich ist, mit einem Vierteljahr solcher „Vorübungen" auszukommen. Sie werden auch nur dann als fruchtbar gelten können, wenn sich herausstellen sollte, daß die später folgenden konkreten Darbietungen nun besser verstanden werden, so daß eigentlich Zeit gespart wird.

Zur Durchführung des Verfahrens gehört didaktische Gewandtheit. Beim Versagen einer neuen Methode ist es immer die Schicksalsfrage, ob sie an ihren inneren Mängeln scheitert oder an der unvollkommenen Handhabung. Der größte innere Mangel eines Unterrichtsverfahrens bestünde darin, daß es langweilig wäre. Im vorliegenden Fall ist das kaum zu befürchten, da der Lehrer sich anfangs ganz in das Jugend-land hineinbegibt und mit seinen „Leuten“ (Jungen oder Mädchen) über eine Problematik diskutiert, die sie täglich am eigenen Leibe erfahren. Vermutlich kommt ihnen das Ziel oder der eigentliche „Dreh“ des Unternehmens zunächst garnicht zum Bewußtsein. Es wird nur etwas in ihnen aufgelockert, so daß sie die wesentlichen Sachverhalte besser zu sehen und allmählich auszusprechen lernen. Ist aber in einem Lehrfach einmal bei der Gefolgschaft das Gefühl erweckt: tua res agitur (das geht didt an), so ist die Schlacht schon halb gewonnen. Das damit aufgerufene Selbst darf natürlich nicht das Subjekt der bloßen Selbstsucht sein, oder mindestens — wie Kerschensteiner schon gesehen hat — nicht „selbstsüchtig“ bleiben. Diese ethische Seite betrachten wir später (Teil II.) Das denkende Selbst greift seinem Wesen nach immer über das bloße Ego hinaus.

Auch für diese Überlegungen gilt, daß man mit ihrer abstrakten Darstellung nicht viel weiter kommt. Die Mitteilung einiger Proben lehrt besser, was gemeint ist. Von diesen Proben erwarte man noch keine Vollendung. Es handelt sich dabei um ein relativ neues Unterrichts-prinzip. Erfahrene Praktiker werden nach einigen Versuchen sagen können, ob etwas Fruchtbares dabei herauskommen kann, — oder nur ein „Windei" (Sokrates in Platos Dialog „Theaitetos“).

II. Das Ausgangsmodell

Im Normalfall sind die einzigen Lebenskreise, die der 15jährige durch eigenes Mitleben kennt, die Familie, die Schule (bzw. Lehre), und lose Jugendgruppen. Die letztgenannten sind für selbständige Erfahrungen sehr fruchtbar; trotzdem sollen sie wegen der Zufälligkeit der Begegnungen hier außer Betracht bleiben. Die Familie hat, schon wegen ihrer grundlegenden, biologisch bedingten Funktionen, den Vorrang vor der künstlichen Einrichtung der Schule. An jener sind die wichtigsten gesellschaftlichen Urphänomene bereits erkennbar, auch diejenigen, die nachher in der Rechtsordnung und im Staat eine entscheidende Rolle spielen. Gemäß den Ausführungen des vorigen Abschnittes wird nicht entfernt behauptet, alle anderen Formen von Gemeinschaft, Gesellschaft und Organisation seien aus der Familie (bzw.der Sippe) als der Urzelle historisch entstanden. J. Locke hat gegen Sir Robert Filmer gewiß Recht behalten: man kann den modernen Staat nicht von der patriarchalischen Gewalt her legitimieren. Aber bildlich kann man sagen: Das Urmaterial, aus dem so komplizierte Bauten wie die gegebene Rechtsordnung oder ein demokratischer Staat mit parlamentarischer Verfassung errichtet sind, findet man schon im Familienverbande. Diese Urphänomene, wie sie fortan kurz heißen sollen, sind der verschiedensten ornamentalen Stilisierung fähig. Aber ein Rundbogen hat schließlich die gleiche Sinnfunktion wie ein Spitzbogen. Und die Macht des Familienvaters ist ebensowohl schon „Macht“ wie die eines despotischen Großkönigs.

Die Familie ist bei uns heute patriarchalische Kleinfamilie. Wir wollen das ganze System, an dem wir die ersten Urphänomene gewinnen (oder ablesen), „das Patriarchalische" nennen Der Einwand, daß doch in ihm auch „das Matriarchalische“ (die Einflußsphäre der Frau) zur Geltung komme, setzt die Gedankenarbeit sofort in Bewegung. Es zeigt sich nämlich einerseits die geschlechtliche Polarität in allein Menschlichen, andererseits die Dialektik aller Machtverhältnisse: wer in einer Hinsicht herrscht, ist in einer anderen abhängig. Niemand ist ganz frei, niemand ist ganz unfrei. Eine weittragende Einsicht, die schon an dem Verhältnis von Vater und Mutter illustriert werden kann! Damit leuchten zugleich die Gegensatzpaare Herrschaft und Abhängigkeit, Freiheit und Unfreiheit auf. Ihre sich nicht deckenden Bedeutungen zu differenzieren, ist es noch zu früh. Auch „Freiheit und Gleichheit“, diese Schicksalsblöcke des Politischen, bleiben noch in unbehauenem Zustande. Zunächst kann nur diskutiert werden, ob die Familienglieder gleich oder ungleich sind, ferner: ob es einen in der Familie gebe, der absolut frei ist, d. h. wollen und tun kann, was ihm beliebt. Die feinere Ausarbeitung des Begriffs der Freiheit reicht bekanntlich tief in die philosophische Problematik hinab. Er kann niemals ganz streng definiert werden, sondern behält das fruchtbar Schwebende und das furchtbar Schwebende der gesellschaftlich-rechtlich-politischen Begriffe, die immer Kampfbegriffe oder polemische Begriffe bleiben: man kann sie nur von der Front aus näher bestimmen, gegen die sie jeweils gerichtet sind. Genug fürs erste: mit der Herrschaftsproblematik ist von vornherein auch das Urphänonten Kampf verflochten. Selbst in der Familie gibt es Kampf, und an ihn ist wieder ein anderes dialektisch gebunden: der Friede.

Neben dem ersten Komplex von Urphänomenen, die sich um die Macht und die Herrschaftsverhältnisse gruppieren, fällt ein zweiter ins Auge, der dem Jugendlichen schon verständlich ist: die Regel oder „das Regelhafte“ Seine Doppelbedeutung als das, was immer geschieht, und als das, was geschehen soll, läßt sich vorbereitend ins Bewußtsein heben, vielleicht auch schon der Unterschied zwischen dem allgemeinen Sollen (der geforderten Ordnung) und dem einzelnen Sollen (dem hic et nunc erteilten Gebot oder Befehl). Doch mag dies auch späteren Erörterungen über die spezifische Erscheinungsform des allgemeinen Sollens mit Zwangscharakter, nämlich über die Rechtsordnung, vorbehalten bleiben. Was Gehorsam ist, und was Widersetzlichkeit, kennt der junge Mensch sehr wohl. Von da laufen wieder Verbindungsfäden hinüber zum Kampf und zum Frieden.

Ein dritter Kristallisationspunkt, der an der Familie besonders deutlich zutage tritt, ist „das Erziehliche“. Es wurzelt in dem biologischen Grundverhältnis von Eltern und Kindern, bzw.dem Generationenverhältnis überhaupt. Warum ist Erziehung notwendig? Warum muß in jeder Generation immer wieder von vorn mit der Kultur jedes Indivi-duums angefangen werden? Wie wäre es, wenn Wissen, Können, Bildung fertig vererbt würden? Daß sich „das Erziehliche“ weit über die Phase des Jungseins hinauserstreckt, ist dem Jugendlichen vorläufig noch verborgen. Es genügt, wenn in ihm eine Ahnung aufleuchtet, daß das pädagogische Grundverhältnis eine Urform des Zusammenlebens ist und daß dieses Urphänomen noch an ganz anderen Stellen auftauchen wird als nur in Familie und Schule. Das letztgenannte Gesellschaftsgebilde, das „das Erziehliche“ in sehr reiner Ausprägung zeigt, ist dem Jugendlichen ja schon bekannt — und auch in fruchtbarem Sinne problematisch! Nur vorsichtig kann auf ein weiteres Moment an der Familie hingewiesen werden, das in reifen Kreisen als Hauptcharakteristikum gilt: das Band der Liebe, das sie zusammenhält. Denn erstens ist es vielleicht im konkreten Fall garnicht da, so daß eine Wunde aufgerissen wird; und ferner ist die vielfältige Tönung gerade dieser Liebe seelisch so schwer auszumessen, daß der Kern des Phänomens im Pubertätsalter nicht voll erfaßt werden kann Mindestens ist es schwer, darüber zu reden. Späterhin, wenn von einigen Hauptpunkten des Familienrechts zu handeln ist, kann man nachholen, daß die Familie nicht bloß eine rechtliche Organisationsform ist, daß aber auch Liebe nicht nur ein biologisches Phänomen ist Überhaupt ist die propädeutische Erörterung der gesellschaftlichen Grundphänomene noch nicht der Zeitpunkt, an dem von dem sittlichen Wert oder Unwert von Verbandsformen ausdrücklich und ausführlich gesprochen werden kann. Das Moralische versteht sich zwar nicht von selbst, aber es muß „unter der Hand“ zur Geltung kommen; das heißt: es muß mit zunehmendem Verständnis der Lebenszusammenhänge von innen her wachsen, nicht bloß hineingepredigt werden. Das ist nun so zu denken: die hier berührten Grundverhältnisse werden ja nicht dozierend vorgetragen, sondern durch geschickte Fragen ins Bewußtsein erhoben. Dabei zeigt sich, daß jede einseitige Setzung: z. B. nur Gleichheit oder nur Ungleichheit, z. B. nur Herrschaft oder nur Abhängigkeit, Widerspruch hervorruft. Dadurch entstehen Rede und Gegenrede. Gefühle wallen auf, Begründungen werden versucht, mindestens gefordert. So bildet sich,, was diese Vororientierung eigentlich erreichen soll: ein aufdämmerndes Bewußtsein, daß selbst die einfachsten und nächsten Lebensverhältnisse widerspruchsvoll und spannungsreich sind, daß sie gelenkt und geregelt werden müssen, daß sie Forderungen an die persönliche Stellungnahme des werdenden Selbst erheben. Der damit aufgerührte Gedanke: es ist ein Unterschied zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, ist ein besonders erwünschter Nebeneffekt. Denn einem Jugendlichen, dem dieser Kontrast nicht zum Bewußtsein gekommen ist, — die bloße seelische Pubertätsentwicklung läßt ihn allerdings schon in den Vordergrund treten, — einem so stumpfen Jugendlichen ließe sich später nicht einmal nahebringen, was eine Rechtsordnung zu leisten hat, was ein Staat als Beschützer und Fordernder eigentlich darstellt. Anders gesagt: es muß erreicht werden, daß das nie ganz fehlende Bewußtsein von „Gut und Böse“ sich auf größere Daseins-zusammenhänge ausdehnt, als sie bisher zum Erleben gekommen sind, auf solche, die nicht so nahe liegen wie die Verwendung des eigenen Taschengeldes.

Diese Erwägungen greifen voraus. Erst an späterer Stelle kann auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden, die in der einfachen Gleichsetzung von Gut und Böse mit Nützlich und Schädlich enthalten ist. Dazu aber muß die innere Belebung (nicht bloß Belehrung!) so weit vorgedrungen sein, daß der Jugendliche auf die Beobachtung seiner eigenen Motive hingelenkt wird. Dies ist der schwerste Punkt in der Phänomenanalyse. Es bestätigt sich dabei, daß man in jungen Jahren nichts weniger kennt als sich selbst; es bestätigt sich aber auch, daß jeder Unterricht, der nicht ausschließlich auf die Kenntnis von Natur-phänomenen gerichtet ist, eigentlich auf Menschenkenntnis in engster Verbindung mit ganz konkreter Selbsterkenntnis hinzielt. Das sollte auch der Lehrende in Erinnerung behalten.

Die Analyse des Systems, das wir „das Patriarchalische“ genannt haben, war eigentlich noch nicht vollendet. Schon in ihm spielt eine Rolle, was Hegel „das System der Bedürfnisse“ genannt hat. Der Jugendliche gerade der weniger gut gestellten Kreise weiß, wie stark Struktur und Schicksal der Familie durch wirtschaftliche Notwendigkeiten bestimmt sind. Da aber Bedarf und Bedarfsdeckung längst nicht mehr in dem engen Kreis des Hauses (Oikos) stattfinden, so sieht er sich mit dem Auftauchen „des Oekonomischen" in eine Weite hinaus-geführt, in der ein für ihn noch unübersehbares Kräftespiel beginnt. Hier verläßt ihn die Anschauung, oder vielmehr: was er von diesen Zusammenhängen erlebt und zu sehen bekommt, ist nur der eine, allerdings sehr spürbare Bezugspunkt: das Bedürfnis und die Güterkonsumtion. Die andere Seite, die produktive wirtschaftliche Arbeit, ist nur noch in den seltensten Fällen ein Faktor des Hauses, kann also von ihm aus nicht in den rechten Blick kommen. Für diesen Bezirk gibt der Ausgangspunkt nicht mehr genug her. Man soll betonen, daß vom Ort der Familie aus ein ganz großes, weit über sie hinausgreifendes Kulturgebiet sichtbar wird. Man soll aber dessen Eigengesetzlichkeit nicht dadurch verderben, daß man es von dieser Enge aus zu entwickeln versucht. Eine staatsbürgerliche Belehrung, der nicht eine elementare Wirtschaftslehre vorausgeschickt würde, ist undenkbar. Sie wird vermutlich ein Drittel der ganzen verfügbaren Zeit in Anspruch nehmen, kann also nicht „gelegentlich mitbehandelt" werden. Die Verflechtung der Familie in die Wirtschaft wird vorgemerkt, ihre Behandlung aber noch nicht weiter ausgesponnen.

III. Die Grunddimensionen des Zusammenlebens

Alle Hauptphänomene, die an dem patriarchalischen System auftreten, sind dem Jugendlichen vertraut. Er lebt ja in ihm, so lange er nicht selbständig ist. Was ihm fehlt, ist nur die Heraushebung des einzelnen Momentes aus der Gesamtverwebung und das Bewußtsein von der Ablösbarkeit einzelner Sinnelemente aus dem engsten Lebens-kreis. Ihr stetes Wiederkehren ist es, was nun beachtet werden soll.

In diesem „Entwurf" können nur noch drei Gesichtspunkte näher behandelt werden, die sämtlich für die politische Propädeutik von Belang sind: 1. Die Problematik um Freiheit und Gleichheit.

2. Die Formen der Regelung.

3. Das dialektische Verhältnis von Macht und Recht. „Freiheit und Gleichheit" treten in der gesellschaftlichen Wirklichkeit in unübersehbar vielfältigen Zusammenhängen auf. Altvertraut ist die Unterscheidung des herrschaftlichen und des genossenschaftlichen Prinzips im Aufbau von Gesellschaftsgebilden. Wir wählen eine einfachere Bezeichnung und reden von den Dimensionen des Zusammenlebens. Jedem Jungen ist es klarzumachen, weil er es täglich beobachtet, daß es ein Übereinander (bzw. Untereinander) und ein Nebeneinander der Menschen gibt. Die bildlich-räumlichen Bezeichnungen legen es nahe, das Soziologische in geometrische Lagebestimmungen zu übersetzen. Wählt man ein rechtwinkliges Koordinatensystem in der Ebene, so leuchtet die Bedeutung der senkrechten Bezugslinie unmittelbar ein. Wer an ihrer Spitze steht, ist gesellschaftlich übergeordnet („oben“); wer am anderen Ende steht, ist gesellschaftlich untergeordnet. Derartige Beziehungen müssen an naheliegenden Lebensverhältnissen anschaulich illustriert werden. Dabei wird sich herausstellen, oder vielmehr: es muß durch störende sokratische Fragen herausgebracht werden, daß eigentlich niemand ganz eindeutig oben steht, sondern daß der Herrschende in vieler Hinsicht auch abhängig ist, und umgekehrt. Aufs neue wird damit das Dialektische des Zusammenlebens erfahren; die Begriffe halten nicht stand. Sie füllen sich mit einem Randgehalt, der ihnen selbst widerspricht, und geraten somit in Bewegung. Im Gespräch taucht die Möglichkeit, daß alle gleich sein könnten, als ein Optimalfall auf, der dem Kampf um das Obensein ein Ende machen würde. Es wird also jetzt die waagerechte Koordinate (Abscisse) geprüft.

In der Dimension der grundsätzlichen Gleichheit waltet immer noch ein Kampfmoment. Es stammt aus der Selbstbejahung der Einzelnen. Dies wäre in der Figur ganz am linken Ende anzusetzen, während am rechten Ende die Selbstverleugnung steht. Der linken Seite entspricht demgemäß das Gegeneinander der Gleichen, der anderen Seite das Miteinander. Für das letztere bietet sich eine Fülle von Namen an, die keineswegs gleichwertig sind: Kameradschaft, Solidarität, Altruismus, Opferbereitschaft, Hingabe, Selbstverleugnung. Natürlich können diese Phänomene nicht bis zur vollen Wesenseinsicht geklärt werden. Auch die Selbsbejahung kann sehr vieldeutig sein: von der nackten Selbstsucht (Egoismus) bis zur ethischen Selbstzucht. Selbstbezogenheit läßt sich aus dem Zusammenleben niemals auslöschen. — Wieder muß an eigene Erfahrungen der jungen Menschen angeknüpft werden: die Schule enthält bereits unmittelbar verständliche Erscheinungen, nicht nur von Rangordnung, sondern auch von Gegeneinander, Miteinander, Füreinander.

Jedes Koordinatensystem hat den Zweck, eine erste Lageorientierung zu ermöglichen. Hier geht es um die Lagebestimmung von (noch wenig differenzierten) gesellschaftlichen Grundeinstellungen, denen die Bedeutung von Urphänomenen des Zusammenlebens beigelegt werden kann; allerdings wird es nicht ohne vereinfachende Gedankenkonstruktionen abgehen. Das jugendliche Bewußtsein soll vorbereitend aufgelockert werden, damit es ein paar „Anhaltspunkte“ mehr gewinnt, die später für die Ordnung unübersehbar vielfältiger Einzelkonstellationen fruchtbar werden können. Zu den Vereinfachungen gehört übrigens, daß in dem Schema neben „Herrschaft“ der terminus „Freiheit“, neben „Abhängigkeit“ „Unfreiheit“ gesetzt ist. Man beruhige sich darüber vorläufig der mit Erklärung, daß die Freiheit das Herrschen von innen gesehen bedeuten soll, und daß Unfreiheit das introspektive Korrelat zum Abhängigsein — „Bedingtsein" (Goethe) — darstellt. Mit der vollen Schwere der Freiheitsproblematik ist noch kein reifer Mensch fertig geworden; auch das Ideal der politischen Freiheit behält immer etwas von der Unbestimmtheit der Umrisse, die die Sehnsucht zeichnet.

Unbeschadet der Forderung, daß im Unterricht nach klaren Begriffen zu streben ist, darf man es als eine günstige Nebenwirkung ansehen, wenn sich in den Schülern früh die Ahnung bildet: In der gesellschaftlichen Wirklichkeit gibt es kein ausschließliches Übereinander und kein reines Nebeneinander; es gibt keine absolute Freiheit und keine absolute Gleichheit. Noch einmal kann auf die Familie zurückgegriffen werden. Unter dem neuen Gesichtspunkt der Dimensionen des Zusammenlebens stellt sich heraus: diese scheinbar einfache Welt ist schon sehr kompliziert. Denn wer hat da die Macht und wer gehorcht? Wer ist frei und wer gebunden? Worin liegt die Gleichheit und woraus folgt die Ungleichheit? Solche Überlegungen drängen sich um so mehr auf, als nun allmählich in Betracht gezogen wird, daß ja die Familie kein isoliertes gesellschaftliches Gebilde ist, sondern in das große Gewebe des gesamten Volks-und Staatslebens mit unzähligen Fäden hineingewoben ist.

In diesem Zusammenhang sollte noch auf zweierlei aufmerksam gemacht werden:

1. Der Koordinatenanfangspunkt A muß den Sinn haben: hier halten sich Herrschaft und Abhängigkeit die Waage, hier halten sich aber auch Selbstinteresse und fremdes Interesse die Waage. Das letztere deutet auf ein Verhältnis der Gegenseitigkeit hin, bei dem niemand ganz verliert und niemand ganz gewinnt (Mutualismus). Das ist die „Grundidee“ des wirtschaftlichen Verkehrs, die für später vorgemerkt werden muß. Jedem leuchtet aber auch ein, daß auf dem freien Markt doch keine volle Gleichheit besteht. Auch auf ihm gibt es Obensein und LIntensein, Machtpositionen und Abhängigkeiten. Was hier abstrakt formuliert ist, muß in der lockeren Unterrichtsdiskussion ganz einfach und anschaulich gemacht werden. Der eine geht auf den Markt mit 10 DM in der Tasche, der andere mit 100 DM. So rücken Reichtum und Armut unter das Licht von Macht und Unterlegensein. — Auch die Interessengleichheit ist nie ganz ausgewogen: entweder der Verkäufer oder der Käufer kommen ein wenig besser weg. Von fern wird schon „das ökonomische Prinzip“ als Gesetz des wirtschaftlichen Gebietes sichtbar. 2. Aus der bloßen Betrachtung der Dimensionen ergibt sich, daß die Gesellschaft von Kämpfen durchzogen ist. Sie enthält nicht nur das Miteinander, sondern auch — auf der negativen Seite der Horizontale — das Gegeneinander von Gleichgestellten; auf der vertikalen nicht nur die Schichtung statischer Art, sondern ein ständiges Aufsteigen und Absteigen. Das Urphänomen Kampf ist allenthalben anzutreffen. Der Krieg ist das Auflodern der kleinen Funken zu einem großen Feuer. „Der Antagonismus (in) der Gesellschaft“, dessen Unvermeidlichkeit schon Kant hervorgehoben hat, drängt in eine neue Richtung und führt auf ein neues Urphänomen: Frieden oder Sich-vertragen, woraus der Vertragsgedanke erwächst. Man braucht keine neue Dimension anzusetzen, etwa als Linie, die vom Kampf zum Frieden und vom Friegen zur Ent-zweiung führt. Denn diese Erscheinungen liegen in den beiden ersten Dimensionen mit drin. Man kann sie beinahe aus den positiven und negativen Maxima, auf die das zweidimensionale Koordinatensystem hindeutet, schon mit ablesen.

Wenn dies in der Diskussion über eigene Erfahrungen innerhalb des Jugendhorizontes recht eindringlich gemacht wird, entsteht ganz von selbst das Problem, und zwar sogleich als zentrale Angelegenheit: „Wie machen wir aus Kampf Frieden?“ Bei jedem zentralen Problem muß man so lange verweilen, bis eine stark empfundene Ratlosigkeit entsteht. Denn nur in diesem Fall denken die jungen Menschen selbständig weiter, fühlen sie sich innerlich beteiligt. Es schadet nichts, wenn wir an dieser Stelle auf den vereinfachenden Denktypus des rationalen Naturrechts zurückgeführt werden. In seiner Terminologie ist es immer die wesentlichste Frage: „Wie machen wir aus ungeordnetem Natur-zustand gesellschaftlichen Zustand?“ Das alte Naturrecht glaubte lange, diese Formulierung als richtigen Ausdruck für einen geschichtlichen Vorgang (Genesis von Recht und Staat) betrachten zu dürfen. In Wahrheit ging es ihm, wie wir nun ohne weiteres verstehen, um die Herausarbeitung von Urphänomenen, also um die Herausarbeitung ewiger Sinnverhältnisse, die konkret-historisch auf die mannigfachste Art erscheinen können.

IV. Das Regelhafte A. Alle Ordnung beruht auf Einrichtungen und Verhaltensregeln. Insofern auch Einrichtungen sich nach Regeln verhalten, wenn sie ordnungsmäßig funktionieren, ist die Regelhaftigkeit hier das entscheidende Urphänomen. Es bedeutet — in weitester Fassung —, daß unter gleichen Umständen Gleiches geschieht oder geschehen soll. Das Menschenleben ist geregelt, schon von Natur her, aber auch durch menschlichen Willen, und schließlich durch höheren Willen.

Im Knabenalter erwacht das Verständnis für „das Regelhafte". Man kann nicht entscheiden, ob es an den regelmäßigen, zuletzt kausal bedingten Naturverläufen gewonnen wird, oder ob das Erleben von „gesetzten" Regeln des Verhaltens vorangeht. Auf das letztere deuten die Regelspiele im Knabenalter (weniger bei Mädchen), die das Befolgen bestimmter Normen im Spielverhalten zur Ehrensache erheben. Manch-mal tritt diese Selbstbindung eine lange Zeit hindurch wie eine Manie auf; das findet sich auch bei anderen Entdeckungen von geistigem „Neuland" im Heranreifen. Ebenso oft aber zeigt sich der leidenschaftliche Drang, die wohlbekannte Regel zu durchbrechen. Psychologisch kommen beide Einstellungen aus der gleichen Wurzel: erst wo das Gesetz entdeckt worden ist, regt sich auch die Gesetzlosigkeit.

Es fehlt also nicht an Selbsterlebtem, das für die Erweiterung und Vertiefung des Regelbewußtseins als Anhaltspunkt dienen kann. Im Unterricht soll natürlich auch über „das Regclhafte" nicht philosophiert werden. Es soll nur an zugänglichen Lebenserscheinungen „aufgewiesen“ werden, einschließlich des Regelwidrigen. Dabei ergeben sich ohne strengere Definitionen folgende Hauptarten von Regeln: solche, die am äußeren Geschehen oder Sichvollziehen sichtbar werden (Naturgesetze); und solche, die für einen Erlebnisfähigen den Charakter der Forderung, des Sollens, an sich tragen, womit sie sich also an ein lebendiges Subjekt richten (Normative Gesetze). Das Fallgesetz bedarf dieses Hindurchgehens durch seelisches Vernehmen nicht. Die Sollensgesetze zerfallen in Normen mit äußerem Zwangscharakter — ihre Befolgung kann von einer maßgebenden Instanz erzwungen werden — und solche ohne Zwangscharakter. Es sei hier gleich gesagt, daß man die dritte Gruppe, die frei bejahten Regeln, nicht bis in die Tiefe letzter ethischer Bindungen zurückverfolgen kann. Man läßt nur an Erfahrungen, die in der jugendlichen Reichweite liegen, aufleuchten, daß so etwas denkbar ist.

Denn das erste Ziel ist, auf normative Regelungen mit Zwangs-charakter aufmerksam zu machen, um an das besondere Phänomen der Rechtsordnung heranzukommen. „Bloße“ Konventionalregeln (d. h. solche, die ein Übereinkommen ohne dazu verpflichtendes Gesetz bedeuten), können ebensowohl als Vorbereitung auf das Phänomen „Recht“ wie als Ausblick auf Höheres mitberücksichtigt werden. Den zweckmäßigsten Ausgangspunkt für Regeln des Zusammenlebens aber bildet die Sitte, also das gesellschaftliche Geschehen, das teils unreflektiert „abläuft“, wie Naturvorgänge, teils einen Hauch von Sollen mit sich bringt. An naheliegenden Beispielen kann es nicht fehlen.

Es ist bekannt, daß genauere Bestimmungen darüber, was wesenhaft zum Recht gehört, sofort in die Philosophie (in metajuristische Probleme) hineinführen und daß vieles davon in der Theorie der reifen Welt noch strittig ist. Alle solche Gefahrenpunkte sollte man vermeiden. Es kann beim bloßen Sammeln einfacher Beispiele bleiben. Nur auf die Herausarbeitung von vier Momenten muß man hinarbeiten:

1. auf das Phänomen eines überindividuellen Willens, der mindestens für eine maßgebende Gruppe (z. B. die Mehrheit) Wertvolles will;

2. auf die Zumutung, sich einem solchen Willen anzuschließen (das Moment des Sollens, der Norm);

3. auf die Regelhaftigkeit der Vorschriften, die hier bedeutet: unter gleichen Umständen soll gleich gehandelt werden;

4. auf die Erzwingbarkeit des normgemäßen Verhaltens, wo es nötig werden sollte.

Diese vier „Merkmale" brauchen nicht zur Klarheit einer Definition erhoben zu werden. Wir befinden uns auf einer Stufe, für die Derartiges noch zu früh wäre. Es genügt, wenn an einer Reihe von geeigneten Fällen ganz einfach empirisch gezeigt wird, wie eine Rechtsregel, ein Rechtssatz, ein Gesetz „aussieht“. Die Kasuistik kann hier ohne die Prinzipien erörtert werden! Diese vorbereitende Fallanalyse aber ist unentbehrlich, weil sonst später das Eigenartige und Einzigartige des Phänomens Rechtsordnung in der Fülle des Beiwerks, das jedem einzelnen Ausschnitt des positiven Rechts anhaftet, verloren ginge. Die Rechtsordnung muß sich als ein Neues herausheben, über das man eine Zeitlang staunt.

B. An dieser Stelle ergibt sich zum ersten Male die Möglichkeit, Verbindungslinien zwischen den bisher herausgearbeiteten Urphänomenen zu ziehen. Auf die Ordnung mit Zwangscharakter, also das Recht, war man gestoßen durch die Notwendigkeit, Kampf zu vermeiden, Frieden zu sichern und sich so zu „vertragen“, daß gesicherte Verhältnisse im „Verkehr" weitester Bedeutung entstehen. Die Rechtsordnung ist gleichsam ein System von Zäunen, die einiges verhindern, anderes ermöglichen. Sie will Verhaltungsweisen hervorbringen, auf die man sich verlassen, mit denen man „rechnen" kann. Aber unter welchen maßgebenden Gesichtspunkten soll diese Ordnung gestaltet werden?

In der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit ist das maßgebende Prinzip stark verdunkelt, weil die zu regelnden Verhältnisse unübersehbar sind und die Geschichte schon allerhand Vorentscheidungen getroffen hat. Jedoch in einem Gedankenexperiment läßt sich alles sehr einfach und klar konstruieren. Das rationale Naturrecht, auf das schon hingewiesen wurde, war ja auch nichts anderes als eine Art von Maßstab, vergleichbar den regulären geometrischen Gestalten, gegen die man kompliziertere abzeichnet. Wir machen es noch einfacher, indem wir die Rechtsordnung einmal aufbauen auf dem Prinzip der Ungleichheit, dann auf dem der Gleichheit. Beide Prinzipien werden nun auch ihrerseits „normativ“.

Gerechtigkeit ist der Wille, jedem das Seine zuteil werden zu lassen (Justitia voluntas suum cuique tribuendi). Dabei ist jedoch eben dies der problematische Punkt, was hier „das Seine“, also das dem Rechts-genossen Zukommende, bedeutet. Denkt man sich die Lage ganz vereinfacht, nämlich so, daß ein Rechtsverwalter da ist, der Rechte und Verpflichtungen zu verteilen hat, z. B. durch Urteilssprüche, die er fällt, — so sind, ganz abstrakt betrachtet, zwei Maßstäbe denkbar: entweder wird jeder Rechtsgenosse als dem anderen gleich betrachtet, oder es werden Ungleichheiten unter den Betroffenen zugelassen. Auch diese Frage wird noch durch Einschränkung vereinfacht: Es soll nicht auf Ungleichheit von Sachen und Situationen Rücksicht genommen werden, sondern nur auf die Personen, die der Rechtsordnung eingegliedert sind: auf ihre soziale Rangstellung, ihren Besitz, ihre Begabung, ihre Leistung und anderes, was gleichsam mit ihnen selbst gegeben ist.

Dann ist es klar, daß zwei völlig verschiedene Rechtsordnungen herauskommen müssen, je nachdem, ob von jenen verschiedenen Beschaffenheiten der Person abgesehen wird, oder ob der Schlüssel der Zuteilung durch sie mitbestimmt ist. Beim ersten Begriff von Gerechtigkeit erhalten wir eine ganz abstrakte Rechtsordnung, im zweiten Falle eine, die unverkennbar „unter Ansehen der Person“ verfährt. Der erste Fall ist eine reine Gedankenkonstruktion; der zweite führt in eine Fülle von konkreten (historisdi-gescllschaftlich-individuellen) Bestimmtheiten hinein, die kein Welt-und Menschenkenner ganz zu erschöpfen vermag.

Wiederum ist damit nur ein Koordinatensystem gewonnen, das die überhaupt denkbaren Idealfälle andeutet und die-Lage des Einzelfalles schärfer zu bestimmen gestattet. Es entstehen gleichsam zwei Gesellschaftsentwürfe, von denen keiner für sich der „Idee Gerechtigkeit selbst“ ganz entspricht. Man muß sich darauf gefaßt machen, daß Streit entsteht und daß sich zwei Parteien herausbilden, die nicht unter einen Hut zu bringen sind. Ist das Bewußtsein dieser Problematik in den jungen Leuten einmal geweckt, so wird in ihnen auch eine Ahnung entstehen, welche schwere Aufgabe dem Rechtsverwalter (dem Gesetzgeber wie dem Richter) gestellt ist, und daß zu ihrer Erfüllung ein hoher Grad von Weisheit gehört. Denn hier müssen allerlei Faktoren gewogen werden, die eben nicht in ganzen Gewichtszahlen aufgehen.

Am Rande sei daran erinnert, daß schon bei Aristoteles zwei Begriffe von Gerechtigkeit vorkommen, die nicht ohne weiteres miteinander in Einklang gebracht werden können. Für uns ist die sprachliche wie die sachliche Interpretation seiner Sätze außerordentlich schwierig und wohl bis heute nicht ganz geklärt. In einer neuen Rechtsphilosophie, der von H. Coing, treten sogar drei Gerechtigkeitsprinzipien auf: die justitia distributiva, commutativa und protectiva. Je nach der Beschaffenheit des Falles soll das eine oder eines der anderen in der Vordergrund treten. Man wird hinzufügen müssen, daß die Qual der Wahl vor allem den Gesetzgeber trifft. Für den Richter sind durch das geltende positive Recht schon viele Vorentscheidungen getroffen. Die Lage bleibt unheimlich, wenn man nicht in den oben angegebenen Ausweg flüchtet, jene Prinzipien nur als abstrakt herausgearbeitete Richtlinien anzusehen, die bei der Betätigung der einen Gerechtigkeit eine Rolle spielen.

Die bekannte Diskussionsfreudigkeit des Pubertätsalters gestattet es, die Frage zu erörtern, ob — roh gesagt — allein Gleichheit gerecht ist und jede Zulassung von Ungleichheit ungerecht. Freilich müßte man dazu die Kunst des sokratischen Gesprächs beherrschen. Beispiele, die für das Verständnis von Jugendlichen erreichbar sind, gibt es in Fülle, nicht nur aus dem eigentlichen Rechtsleben, sondern schon aus dem Schulleben. Wenn jemand sich für die reine Gleichheit entscheidet, ist es ein Leichtes, sein Gebäude umzupusten. Worin besteht überhaupt Gleichheit? Werden aber Verdienst und Leistung privilegiert, so müßte eigentlich ein Maßstab (eine Idee vom echten Verdienst) vorher gegeben sein. Die Entscheidungen mögen so unbehilflich ausfallen, wie sie wollen: Durch die Frage allein wird im Inneren etwas „aufgeregt“, und wenn — wie zu erwarten — nichts Eindeutiges herauskommt, ist eine innere Beteiligung wachgerufen. Was können wir für den Anfang mehr anstreben?

Vielleicht aber leuchtet bei diesen Debatten noch eine Schattierung des ersten Begriffes von Gerechtigkeit auf: nicht der strikten Gleichheit, sondern der der Ausgleichung. Damit ist zwar auch das gemeint, was bei Aristoteles unter dem Namen xatogv 8toQBctz erörtert wird; jedoch noch sehr viel mehr. Es handelt sich um den Gedanken einer Einebnung unmäßiger Ungleichheiten, also um eine Gesinnungseinstellung, die wir heute mit dem vieldeutigen Namen „sozial" in besonderer Pointierung benennen. Der Phänomenbereich: soziale Kämpfe, sozialer Frieden, soziale Wohlfahrt und Sozialpolitik tritt damit in den Horizont der jungen Menschen.

Weiter aber lernen sie an dem ganzen Problemkreis aufs neue, daß im menschlichen Zusammenleben unübersehbar viele Faktoren Berücksichtigung verlangen. Auch dies ist für den kommenden Tatsachen-unterricht sehr wichtig: denn der jugendliche Radikalismus wird so im voraus ein wenig gemäßigt. In der Ferne zeigt sich das Land der Demokratie als Boden mannigfachster Synthesen und Ausgleichungen, das man doch zuletzt wird ansteuern müssen. Die altersgemäße Sinnesart ist dieser Lösung keineswegs günstig. Also muß man früh damit anfangen und zeigen, was es bedeutet, viele widersprechende Meinungen sinnvoll unter einen Hut zu bringen und die verschiedensten Menschen in einem Hause wohnen zu lassen.

V. Macht und Machtregulierung

An dritter Stelle soll das letzte Urphänomen in den Vordergrund gerückt werden, das in diesem „Entwurf" noch behandelt werden kann: die Macht. Das Wort hat eine sehr weite, an den Grenzen unbestimmt verfließende Bedeutung. Bei der Bezeichnung von Faktoren, die das ganze Zusammenleben der Menschen „durchwirken“, kann es nicht anders sein. Mit dem Wort „Liebe“ etwa hat sich die deutsche Sprache, wie erwähnt, noch mehr von exakter Durcharbeitung ferngehalten; absichtlich! Denn trotz aller vielfältigen Abtönung spürte sie einen durchgehenden Zug in den so benannten Erscheinungen.

Wir bewegen uns also in dem früher entworfenen Koordinatensystem auf der Vertikalen. Die Darstellung der Ordnung, die das Recht gibt, muß nun auch von ihrer Machtseite her betrachtet werden. Die Methode aber bleibt die gleiche, wie in den früheren Abschnitten: Es wird unter einem Leitmotiv, das zunächst nur der Lehrer im Bewußtsein hat, aus den Schülern hcrausgeholt, „was jeder kennt“. 1. Die Arten der Madtt. Daß einer dem andern seinen Willen wirksam aufnötigen kann, d. h. das Verhalten des letzteren gemäß seiner eigenen Willensrichtung determinieren kann, beruht auf sehr verschiedenen machtverleihenden Eigenschaften oder Kräften, die bei allem Unterschied doch gleichsinnig wirken, nämlich in dem Sinne, daß der Betroffene so oder so abhängig wird. Die äußerlichste dieser Eigenschaften ist die physische Stärke, die zur Gewaltanwendung führt (Brachialgewalt). Es folgt der Besitz materieller Mittel, die auch dem anderen erwünscht sein müssen, wenn er sich selbst erhalten will: Sachbesitz, Reichtum, Verfügung über Werkzeuge und Waffen (Plutokratie, Technokratie). Endlich aber spielen geistige Kräfte, geistige Überlegenheiten eine Rolle, falls die dazu gehörigen gesellschaftlichen LImstände sonst erfüllt sind. „Wissen ist Macht.“ Kunst übt Macht über de Gemüter (Macht des Gesanges). Redegabe ist, sogar unabhängig von der Wahrheit der Rede, eine ebenfalls „bezaubernde“ Macht: Suggestion und Propaganda! Die Verfügung über sakrale, d. h. als religiös bedeutsam empfundene Kräfte und Güter, übt einen großen gesellschaftlichen Einfluß (Priestermacht). Schließlich können alle diese Kräfte überboten werden durch die „Macht der Liebe“ (Dostojewski, Der Großinquisitor).

Wenn eine solche Aufzählung als Tatsachensammlung vollendet ist, muß sich das Bild eines unentwirrbaren Durcheinander ergeben, nicht etwa eine klare Rangordnung, die auf der Vertikalen eingetragen werden könnte. Wer in einer Beziehung herrscht, ist in der anderen unterlegen. Ganz von selbst erhebt sich die Frage: „Wer regiert denn?“ Denn es ist nicht schwer, nachzuweisen, daß der anscheinend Mächtigste in eine Fülle von Abhängigkeiten mitverflochten ist.

Das Bild gestaltet sich noh bunter, wenn hinzugenommen wird, daß nicht nur einzelne mit einzelnen rivalisieren, sondern Gruppen mit Gruppen. Das „Wir“ ist ohnehin eine Machtsteigerung gegenüber dem Einzelnen. Kollektiva verbünden sich oder befehden sich. Nebenbei ergibt sich die Frage, ob die Größe der Macht immer proportional ist der Zahl der zugehörigen Mitglieder und wie es mit der vieldeutigen „Mehrheit“ überhaupt steht. Hat sie als bloße Mehrheit stets die Übermacht oder hat sie immer bessere Einsicht in die Sache, um die es geht, — oder worin liegt denn ihre Magie? 2. Regelung der Macht. Der LInerfahrenste muß auf den Gedanken kommen, daß es bei völlig ungeregelten Machtgruppierungen nicht bleiben darf. Ein gesellschaftliches Chaos wäre die Folge. Jedermann wäre jederzeit unberechenbaren Bedrückungen ausgesetzt; niemand könnte mit einem bestimmten geordneten Verhalten der anderen rechnen. Das Moment der Vorausberechenbarkeit, das in der Behandlung von Naturvorgängen eine jedem Jugendlichen von heute bekannte Rolle spielt, tritt auch hier auf — als ein Desiderat, ohne dessen Erfüllung es einfach nicht ginge. Aber nicht sogleich ist die Zuflucht bei einer durchgeformten Rechtsordnung zu suchen, die unter anderen Gesichtspunkten schon früher auftauchte. Es genügt, wenn „Interessengruppen" Verabredungen miteinander treffen und wenn man sich im Verkehr auf die Innehaltung solcher Vereinbarungen verlassen kann. Wir sind bei dem noch vor-rechtlichen Grundsatz pactis standiim (pacta servanda esse), der die Urvoraussetzung jeder naturrechtlichen Konstruktion bedeutet. Wenn jemand dagegen einwendet: der Mächtigere könne sich alles erlauben, wozu er die Mäht hat, so sieht der bescheidenste Verstand, daß an einem solchen Grundsatz die Welt zugrunde gehen müßte. An dieser Stelle soll man so lange verweilen, daß der Gedanke nicht wieder aus dem Bewußtsein verschwinden kann.

Sobald begriffen ist, was ein Vertrag für Einzelmenschen und das Gelingen des gesellschaftlichen Verkehrs bedeutet, kann der Gedanke einer allumfassenden Ordnung aufgeworfen werden. Aber einer allumfassenden? Daran fehlt noh viel. Denn es genügt niht, daß viele sih zur Vertragstreue bekennen. Es muß auh eine Oberinstanz da sein, die die „im allgemeinen anerkannten“ Gewohnheitsregeln des Zusammenlebens und des Miteinanderverfahrens ihrerseits anerkennt; sie muß auh die Madtt haben, diese Regeln, sofern sie von grundsätzlicher Bedeutung sind, zu shützen. Daher der Zwangscharakter, ohne den kein Recht zu denken ist. Es ergibt sih der Ausblich auf ein weiteres Urphänomen des Zusammenlebens, dessen dialektishe Doppelseitigkeit niht aus der Welt zu bringen ist: Kein Redtt ohne eine dahinter-stehende Madtt; aber auch: Keine Madtt ohne Redtt. Die Kanalisierung der Mäht durh das Reht, die für das Gedeihen des Ganzen notwendig ist, kann niht zustande kommen, wenn dieses Ganze niht doh als Ganzes einen überlegenen Machtkörper repräsentiert.

Diese Antinomie der Rechtsordnung muß zu voller Anshauung gebraht werden. Wenn es an Selbsterlebtem mangelt, darf hier einmal auf historishe Beispiele zurückgegriffen werden. In Deutshland hat es niht an Epohen gefehlt, in denen das „geltende“ Reht shwah war. Hat es dann überhaupt in vollem Sinne „gegolten“? Wenn niht die Möglihkeit des Zwanges gegeben ist, fehlt ein wihtiges Moment vom Wesen des Rehtes. Mindestens bedarf das Reht des Shutzes, also einer hinter ihm wirksamen Macht. Andererseits ist eine Mäht als solhe noh kein Reht; sondern es muß ein gemeinsamer Regelwille und eine Idee von Gerehtigkeit in und mit der Mäht verkörpert sein. Nur durch die Intention auf „das Gerechte" würde die Madit innerlich berechtigt, „legitim".

Kurz: Recht und Macht sind unlösbar miteinander verflochten. Das ist bis ins Leben des Einzelnen hinein zu verfolgen. Das Recht kommt aus einer Machtansammlung her; es gewährleistet dem Individuum eine Machtsphäre, d. h. Rechtsansprüche und Bereiche der Verfügungsfreiheit.

Es leitet dadurch die gefährlichen Ströme der Macht in ein geordnetes, reguliertes Bett. Fehlt diese Regulierung, so mag das Individuum sich zeitweise viel errauben und erstehlen. Aber es bleibt ein unsicherer Besitz; denn ein im Augenblick noch Mächtigerer kann es ihm seinerseits rauben. Ein Rechtstitel ist mindestens eine innere Machtposition.

Wer aber verhilft ihr zur äußeren Durchsetzung? Die Michael-Kohlhaas-

Geschichte versteht jeder Jugendliche. Denn die Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit scheint die erste Idee zu sein, die in seinem Inneren aufsteigt, weil sie mit dem Willen zur Selbstdurchsetzung und mit dem Kampfgelüste unlösbar zusammenhängt. Der Kampf ums Recht ist ein Urphänomen des menschlichen Zusammenlebens. Er geht bekanntlich der Ausdehnung der Liebesgesinnung im Individuum weit voran.

Rückblickend auf das Grundphänomen II — die Regelung und Ordnung — kann man ausführen, daß eine noch nicht ganz „gerechte" Ordnung besser ist als völlige Anarchie. Bis zu der Wendung: eine ungerechte Ordnung sei leichter zu ertragen als völlige Willkür, sollte man sich nicht versteigen. Denn man diskreditiert damit die Idee der Gerechtigkeit; sie muß doch mindestens als Intention in jeder auch noch so mangelhaften Gesetzgebung liegen.

Daß diese — wofern sie in statu nascendi verfolgt werden kann — immer mit einer bereits vorhandenen Gesellschaftsordnung und mit der Besonderheit der von der Gesellschaft zu leistenden Gesamtausgabe zusammenhängt, daß ferner demgemäß die konkreten Vorstellungen von gutem Recht sich wirklich wandeln, kann auf der Stufe, an die hier gedacht ist, noch nicht ausgeführt werden. Denn dazu gehöit historisches Wissen und — was mehr ist — historisches Bewusstsein. Aber eben diesen weiten und schweren Weg der Bildung wollten wir ja vermeiden und nur das entwickeln, was jedem zu jeder Zeit apriori einleuchten muß, wenn nur gewisse Urphänomene erschaut werden. 3. Der Staat als Spitzenmacht. Aus der Betrachtung des Koordinaten-schemas allein ist abzulesen, daß es eine Spitzenmacht geben muß. Denkt man nur an Personen, so wäre einer „der Oberste“. Aber sogleich zeigt sich wieder das Dialektische des Lebens: niemand auf Erden ist allmächtig, jeder ist angefochten und hat Rivalen. Ähnlich ist es hinsichtlich der unbedingten Vorrangstellung eines Kollektivs. Schon der Ordnung wegen aber ist es wünschenswert, daß für ein Land und eine Gebietsbevölkerung eine oberste Instanz mit einheitlicher Willens-richtung bestehe. Auch dazu bedarf es jener „Kanalisierung der Macht“

durch das Recht. Gerade die Spitzenmacht muß es sein, die sich zu einer bestimmten Rechtsordnung bekennt. Zwar wächst Recht, oder wachsen mindestens Rechtsanschauungen, aus den konkreten Verhältnissen in mannigfacher Weise empor. Diese Anschauungen können sich widersprechen, ja miteinander im Kampf liegen. Es mag ein sehr gewalttätiger, vielleicht auch schon ein ethischer Kampf sein. Mannigfaltigkeit des Rechtes und der Rechtsprechung auf dem gleichen Boden führt unvermeidlich zu unfriedlichen Verhältnissen. Soll ein Landfrieden gesichert sein, so muß im Lande ein Herr sein, der eine Idee von Gerechtigkeit vertritt und den in der Rechtsordnung mindestens angestrebten „allgemeinen Willen“ schützt. Naive Gemüter denken sich ihn als den Landesherrn in Fleisch und Blut, reifere als einen obersten Willen, der „Staat“ heißt. Wenn der Staat das Recht nicht schützt, wer soll sich seiner annehmen? Damit ist keineswegs gesagt, daß der Staat alles Recht auch selbst erzeugt. Aber er legalisiert es. Um es (innerlich) zu legitimieren, steht er nicht hoch genug. Deshalb hat Rousseau zwar die volonte generale mit dem Staat identifiziert: in einem ideellen Gesamt-willen sei die Intention aufs Echte und Gerechte enthalten. Aber er hat doch noch einen Gesetzgeber herbeigerufen, dessen überlegene Weisheit dem „allgemeinen Willen“ erst deuten muß, was in einem letzten ethischen Sinne für gegebene Verhältnisse gerecht ist.

Bei den vorangehenden Erwägungen ist der Gegensatz zwischen dem Territorialitätsprinzip und dem Personalitätsprinzip nicht erwähnt worden, weil er m. E. nicht an der Wurzel liegt, sondern erst aus dem Hospitalitätsproblem erwächst. Der natürliche und gerade Gedankengang geht dahin: Wenn irgendwo Ordnung von dem Charakter einer erzwingbaren Rechtsordnung „herrschen" soll, so muß sie für ein ganzes Gebiet und die Bevölkerung dieses Gebietes eindeutig sein. Also bedarf es einer Spitzenmacht (einer „souveränen" Macht), die den Streit der Parteien niederzuhalten und durch „friedliches“ Recht zu „bekämpfen“ vermag.

Der Zugang zu dem Urphänomen „Staat“ ist hier vom Recht aus gewonnen worden. Der Kenner weiß, daß das Phänomen Rechtsstaat nur eine Spezialform von Staat ist und daß dieser auch noch ganz andere Aufgaben hat. Oder: er ist immer doppelköpfig und zeigt das Janusgesicht von Macht und Recht. Diese ewige Wahrheit läßt sich aber auf der Stufe, die hier gemeint ist, nicht entfernt zu voller Klarheit bringen. Es wird genügen, wenn man darauf hinweist, daß ja der Staat selbst immer auch gefährdet ist, sowohl durch innere wie durch äußere Mächte. Bei den letzteren kann man noch einen Augenblick stehen bleiben und andeuten (wie es bereits Kant getan hat), daß die Verrechtlichung des Staates im Inneren schon weit gediehen sei, aber die weitere Ausdehnung des Rechtes auf das Verhältnis von Staaten auf sehr große Schwierigkeiten stoße. „Es ist kein Prätor da, der da richtet“ (Hegel). Und warum nicht? Weil hier jeder Richter auch irgendwie Partei ist, was im innerstaatlichen Recht nur ausnahmsweise und mißbräuchlich der Fall ist. („Der zerbrochene Krug“.)

Die Grenzziehung zwischen öffentlichem Recht und privatem Recht wird man schon deshalb nicht zur Sprache bringen können, weil die Juristen selbst darüber noch nicht ins Reine gekommen sind. Jedoch kann man einen Augenblick den Gedanken aufleuchten lassen, daß der Staat sich an das Recht, zu dem er sich einmal bekannt hat, auch selbst binden müsse (vor allem an sein eigenes Verfassungsrecht). Die Brücke läßt sich von dem Gedanken aus schlagen, daß es eine große Sache ist, wenn der Einzelne sich freiwillig an Grundsätze bindet, die er einmal für recht erkannt hat, — auch da noch, wo ein solches Verhalten aktuell nicht in seinem Vorteil liegt. Diese Art von „Selbstbeherrschung“ ist einem Jugendlichen wohl nahezubringen, da er gemäß seiner Altersstufe im Begriff ist, nach Grundsätzen zu leben, die sogar oft nicht frei von Starrheit sind.

Hegel nennt den Staat „die reiche Gliederung des Sittlichen“, einen „gebildeten Bau“. Diesen Bau wirklich zu verstehen, dazu gehören andere geistige Kräfte als die des Jugendlichen. Ja der durchschnittliche Laie, der nur die Erfahrungen seines Geschäftskreises hat, reicht noch nicht heran. So aber, wie hier von den Ordnungen in beiden Dimensionen des Zusammenlebens geredet worden ist, kann wenigstens die Ahnung entstehen, daß der Staat sich vermöge seiner Spitzenstellung aus den beschränkteren Gruppenbildungen und Machtkörpern heraushebt. Er ist ein Gebilde von eigener Würde und Hoheit. Daß wir Deutschen den Staat nicht nur als eine Gesellschaftsform unter anderen Gesellschaftsformen sehen, ist uns im Auslande oft verdacht worden. Audi der Liberalismus unserer klassischen Zeit — sei es der ethisch-rigorose von Kant oder der ästhetische von W. v. Humboldt, — wies ihm nur eine untergeordnete Stellung an, weil jeder äußere Zwang von der sittlichen Persönlichkeit ferngehalten werden sollte. Wenn Hegel darüber hinausging, so wollen wir es hier offen lassen, ob er einem falschen Kultus der Macht verfallen war. Man muß begreifen: Er sah in dem Staat überindividuelle sittliche Mächte und — gemäß seinem Gesamtsystem — Gestalten des göttlichen Willens verkörpert, die über den Einzelwillen walteten. Davon halten wir wenigstens das Eine fest: Der Staat muß als eine große sittliche Aufgabe erfaßt werden. Sind also die Erörterungen bis zu ihm fortgeschritten, so soll der Jugendliche sofort einsehen, daß ein demokratischer Staat ihm gestattet und ihn verpflichtet, sich an dieser reichen „Gliederung des Sittlichen“, an diesem „gebildeten Bau“ mit persönlichem Einsatz zu beteiligen. Beim staatsbürgerlichen Unterricht handelt es sich, wie in den folgenden Abschnitten noch erörtert werden wird, keineswegs nur um Kenntnisnehmen und Wissensbereicherung. Es geht um Gewissens-und Gesinnungsbildung. Wäre es anders, so sähe ich nicht ein, weshalb wir uns mit dieser Seite der Erziehung so schwere Mühe machen.

Am Schluß dieses dritten Abschnittes muß wiederum darauf hingewiesen werden, daß das, was hier nach abstrakter philosophischer Erwägung aussieht, in der Praxis ganz andere Gestalt annimmt. Es genügt, wenn man einen konkreten Fall zur Diskussion stellt, an dem das gerade gemeinte Problem sichtbar wird, noch ohne daß seine allgemeine Tragweite schon voll erfaßt würde (sog. „Fallanalyse“). Denn niemand fängt mit allgemeinen Sätzen an, sondern spürt nur am gegebenen Anschaulichen unmittelbar seine Konsequenzen und Ausstrahlungen. Am Einzelfall das Allgemeine ahnen zu lassen, war auch das Verfahren des Sokrates. Wir folgen ihm, weil es das einzige ist, das die Überzeugungen und Wertungen aus der Tiefe des inneren Menschen „heraufholt“. Was nur in ihn hineingelegt wird, gehört nicht zum Wurzelhaften, sondern kann wieder abgelegt werden, wie man Kleider wechselt.

II. Teil vi. Volksmoral

Staatsbürgerliche Erziehung unterscheidet sich von staatsbürgerlichem Unterricht in dem wesentlichen Punkte, daß sie ein Ethos bilden will. Die Möglichkeiten der Schule, politisch zu erziehen, sind gering. Um so mehr muß der Unterricht derart angelegt sein, daß die ethischen Akzente an die richtige Stelle gesetzt werden. Was darüber noch zu sagen ist, geht den Träger des Unterrichts, nicht unmittelbar die Schüler an. Nicht der Lehrstoff wird vermehrt, es handelt sich um den Geist, der ihn durchdringen soll. Dieser Gesichtspunkt bedarf deshalb der Aufmerksamkeit, weil unsere heutigen Vorstellungen von der sittlichen Welt recht unzulänglich sind. Indem wir für Freiheit und sittliche Verantwortung der Person eintreten, verfallen wir leicht einem falschen Individualismus, durch den der echte und berechtigte entstellt wird.

Das Problem, das in diesem und den beiden folgenden Abschnitten gemeint ist, kann so formuliert werden: Welcher Art ist der Regulator, der auf dem politischen Gebiet in die Richtung des Sittlichen lenkt?

Es ist ganz ausgeschlossen, daß diese Steuerung allein aus dem Bewußtsein des Individuums, „so, wie es aus den Händen der Natur hervorgeht“, erfolgen könnte. Die uns umgebende Kultur ist eine gewaltige komplizierte Schichtung. Die sittlichen Normierungen, die hier und da in ihr wirksam sind, werden sich auch nicht in einer einfachen Formel wie Rechtschaffenheit (get), Humanität, Gehorsam gegen Gott zusammendrängen lassen. Vielmehr ist um jeden, der in die geschichtlich entstandene Kultur hineingeboren wird, schon eine sittliche Ordnung errichtet, die ihn zunächst mit den Armen der Autorität umfängt. Dieses überindividuelle Produkt langen Zusammenlebens ist die objektive Sittlichkeit. Wir wollen sie, in Umkehrung des Sprachgebrauches von Hegel, die „Moral“ (Volksmoral) nennen, um den Zusammenhang mit den allgemeinen Sitten (mores) anzudeuten. Erst auf diesem Hintergründe finden die subjektiven sittlich bedeutsamen Erlebnisse und Entscheidungen statt: die „persönliche Sittlichkeit" gedeiht nur auf dem Boden einer schon anerkannten, „maßgebenden“ Gesamtmoral. So wenig die Taube im luftleeren Raum fliegen könnte, so wenig kann sich eine sittliche Persönlichkeit im moralfreien Raum entfalten. Rousseaus Pädagogik, die nach seiner eigenen Äußerung nur ein Gedankenexperiment sein sollte, bringt die Verlegenheit zürn'Ausdruck, die entstehen muß, wenn man sich nicht mehr auf das vorbildende Wirken der überindividuellen Moral verlassen kann.

Demgemäß kann ein Bild von der rechten moralischen Gesinnung nur so entstehen, daß erst von dem äußeren Regulator „Moral“ die Rede ist, sodann von dem inneren Regulator „persönliche Sittlichkeit“, an dritter Stelle folgt die Regulierung des Politisch-Sittlichen. Für das Epochalbewußtsein von Plato und Aristoteles fielen die drei Bereiche noch weithin zusammen. In der christlichen Welt ist der Bereich der Innerlichkeit so entschieden hervorgetreten, daß er auch für das Ethisch-Politische immer stärker maßgebend geworden ist.

In diesem Abschnitt wird zunächst die „Moral“ charakterisiert. Sie ist so wenig das Werk des Einzelnen, wie die Sprache, in die er allmählich hineinwächst. Man halte sich von Anfang an gegenwärtig, daß wir es hier mit einem überindividuellen Lebensgewebe zu tun haben, das in der deutschen Philosophie dem Geistigen (nicht bloß Seelischen, auch nicht bloß Gesellschaftlichen) zugerechnet wird. Jedoch will ich die folgenden Ausführungen nicht mit einer Terminologie belasten, die vielen nicht mehr geläufig ist. Wenn etwa Ranke von den „sittlichen Mächten zu sprechen pflegte, so meinte er damit vom überindividuellen Geist gestaltete Mächte, die nicht in psychologisch Erfaßbares aufzulösen waren.

Unter den Gegenständen des staatsbürgerlichen Unterrichts tauchte bisher eine Ordnung des Zusammenlebens auf, die — wenn nötig — zwangsweise durchgeführt werden konnte. Zwang determiniert das äußere Verhalten. Aber es ist nicht selbstverständlich, daß er eine der Forderung zustimmende Gesinnung hervorruft. Gesinnung kann nicht erzwungen werden. Das ist ein unumstößlicher Satz.

Die Frage ist, ob es auch eine Ordnung des Zusammenlebens gibt, die ohne direkten Zwang Motive in den Zugehörigen setzt, und zu deren Wesen es ausdrücklich gehört, daß sie ins Innere der Gesinnung vordringen möchte.

Eine solche Ordnung ist die „Moral", die in einem Volke oder — spezialisiert —in ihm eingegliederten kleineren Gruppen gilt und waltet.

In der Theorie ist sie nur selten mit vollem Bewußtsein ihres Wesens und ihrer Kulturfunktion behandelt worden. Denn die Theorie des Sittlichen beginnt erst in individualistisch gewordener Zeit, in der die Autoritäten erschüttert werden. Daher haben wir zwar viele Systeme der „Ethik" (gleich Lehre von der persönlichen Sittlichkeit), aber nur wenige Beiträge zur Morallehre. Die letztere ist überall da bemerkbar, wo viel historisches und soziologisches Material geboten und verarbeitet wird. Denn was mit dem abkürzenden Namen „Moral“ gemeint ist, ist immer ein schwer greifbares, langsam wachsendes und sich wandelndes überindividuelles Gebilde, ein Gewebe aus Gemeinschaftsformen und Werturteilen, aus zugemuteten Normen und durch sie beeinflußten Verhaltensweisen. Man nehme als Beispiel den jeweils maßgebenden (verpflichtenden) Stil der Ehe Sie ist eine durch Herkommen geheiligte Institution; ihr liegen Werturteile moralischer Art zugrunde; diese verdichten sich zu allgemeinen Normen. Nach ihnen richtet „man“ sich im praktischen Verhalten. Geschieht das nicht, so treten von der Gesamtheit her Sanktionen in Kraft, deren Eigenart sogleich noch zu erörtern sein wird. Die Gruppe, auf der ein solches überindividuelles Gewebe „Moral“ wächst, ist in der Regel ein Volk (als ethnisch-historische Einheit). Es gibt auch übernationale Moralbildungen, die meist mit Weltreligionen (oder verbreiteten philosophischen Sekten) Zusammenhängen. Umgekehrt gibt es innerhalb der gemeinsamen Volksmoral noch besondere Ausgestaltungen sittlicher Anschauungen, — differenziert nach Ständen, Berufen, Bildungsschichten, Zeitkonstellationen usw.

Eine „Theorie der Moral" kann hier nicht entwickelt werden. Sie müßte mit einer Tatbestandsaufnahme von hier oder dort geltenden Moralen beginnen, würde das darin verkörperte gesellschaftlich anerkannte Wertsystem durchleuchten und könnte sich schließlich zu einer vergleichenden Betrachtung der „Moralen“ erweitern. Ich greife hier nur das Problem der Sanktionierung heraus. Dies ist der üblich gewordene Name (merkwürdigerweise nicht für die Legitimierung, sondern) für die Durchsetzungsform, in dem noch die ursprünglich vorwaltende religiös-kultische Sicherung der Moral nachklingt.

Das Verhalten gemäß der Rechtsordnung wird — nötigenfalls — gesichert durch ausdrückliche Urteilsfällung und -Vollstreckung, evtl, durch Strafe, die heute von der öffentlichen Gewalt verhängt wird. Dazu gehört ein eigener, durchorganisierter „Apparat“. Welche Mittel gibt es für die Durchsetzung der moralischen Normen? Sie gehen fast alle zurück auf Ehrverleihung und Ehrentziehung. „Der Leumund" eines Menschen richtet sich nach den billigenden oder mißbilligenden Urteilen, die „man“ (d. h. die moraltragende Gruppe) über ihn fällt. Das geschieht gleichsam anonym; es gibt dafür keinen sichtbaren Apparat.

Aber es tritt ein zweites beachtliches Charakteristikum hinzu: Während das Recht sich überwiegend für das äußere Verhalten interessiert, möchte die moralische Beurteilung und Kontrolle bis in das Innere, bis in die Gesinnung, eindringen. Dies geschieht, wie man weiß, meistens mit einer sehr groben Psychologie. („Ins Herz hinein sieht Gott allein".) Aber die Intention ist unverkennbar: es wird gewogen, was einer gesinnungsmäßig wert ist. Fällt die lange fortgesetzte Erfahrung positiv aus, so hat man einen „ehrbaren“ Mann. Tritt das Gegenteil ein, so erfolgt gesellschaftliche Ächtung, ja Ausstoßung —aber ohne daß irgendeine Hand sich regt. Das „Gerede" ist weder so oberflächlich noch sozial so unwirksam, wie man es heute hinstellt.

Nur kurz sei hinzugefügt: hinsichtlich des Wirkungsgebietes (Anwendungsgebietes) können Moral und Recht teilweise übereinander-liegen;manchmal decken sie sich sogar und verstärken sich gegenseitig. Sie können aber auch auseinandergehen: vieles ist rechtlich noch relevant, was moralisch unerheblich ist. Vieles ist moralisch tadelnswert, was vom Recht nicht mehr erreicht wird.

Das Ziel dieser lehnsatzartig übernommenen Ausführungen liegt in der These: Moral ist eine kollektive Regelung der gesinnungsmäßigen Einstellungen und Werthaltungen gemäß einer gemeinsam anerkannten Lebensordnung von höherem Wertniveau. Sie bildet den Hintergrund für alle Entscheidungen der persönlichen Sittlichkeit. Ja sie liefert dieser für die alltäglichen Fälle schon verbindliche Vor-Entscheidungen. Somit wirkt sie auf den Einzelnen als eine Autorität, mit der er sich auch dann auseinandersetzen muß, wenn er — sei es nach unten oder nach oben — aus ihr herausstrebt. Eben deshalb aber bleibt sie noch ein äußerer Regulator, eine vorläufige Stütze. Den Ort, an dem aus voller innerer Selbständigkeit sittlich entschieden wird, und damit den inneren Regulator, haben wir noch nicht erreicht.

VII. Persönliche Sittlichkeit

Persönliche Sittlichkeit entfaltet sich erst, wenn das Individuum eine höhere geistige Reife erreicht hat. Das am Geist teilhabende (nicht das bloß naturhafte) Individuum ist trotz jener Gebundenheit durch die geltende Moral die eigentliche Geburtsstelle des Sittlichen, schon deshalb, weil nur der Einzelne Bewußtsein besitzt. Die Gruppenmoral ist ein überindividuelles Geistesgebilde, das den Niederschlag zahlloser früherer ethischer Kämpfe geschichtet in sich bewahrt.. Aber diese Kämpfe selbst — diese „Stellungnahmen" — müssen immer vom Individuum durchgefochten und durchgehalten werden. Auch in ihm lagern sie sich dann ab, in Form von festgewordenen Grundsätzen und Gesinnungen. Deshalb ist es die wichtigste Frage, welche Regulatoren, welche Direktiven des Sittlichen dem Einzelnen in seiner Tiefe zur Verfügung stehen. Zwei Erscheinungen halte ich hier auseinander. 1. Wer Urphänomene des Zusammenlebens in ihrer Reinheit erfaßt, hat es in ihnen mit elementaren Sinngebilden zu tun. Jedes ist in seiner bestimmten Weise dem Gesamtsinn des Menschenlebens eingelagert und trägt dazu etwas bei. Ob diese sinnvolle Eingliederung im einzelnen realen Falle geglückt ist oder verfehlt wird, das wird vermöge einer rätselhaften Antecipation miterschaut. Denn eigentlich tragen wir die Strukturgesetze des ganzen Lebens grundrißartig in uns. Wir brauchen nicht immer zu warten, bis wir Einzelerfahrungen gemacht haben, sondern wir können oft vorwegnehmen, welche Erfahrungen wir in bestimmten Situationen, wenn sie einmal kämen, machen würden, wie unser Gemüt darauf reagieren würde und wie wir uns verhalten sollten. Besonders die Gestaltungskraft des Dichters wurzelt in dieser geheimnisvollen Gabe.

Es ist hier nicht der Ort, einen so schwierigen und nur selten durchdachten Sachverhalt mit philosophischer Strenge zu verfolgen. Es sei nur an ein Gebiet erinnert, auf dem Moraltheologen und Politiker beider Konfessionen von ihm Gebrauch gemacht haben. Sie behaupten, daß es ewige von Gott selbst gesetzte Ordnungen des Menschenlebens gebe, nach denen sich der Mensch immer und überall zu richten habe. In dieser unmittelbaren Fassung wird der Gedanke nicht zutreffen. Denn es gibt unzweifelhaft historische Umbildungen, die ganz unvermeidlich aus dem Wechselspiel von Umwelt und Menschennatur im Laufe geschichtlicher Entwicklungen folgen. Trotzdem liegt auch diesem Wandel eine Gesetzlichkeit zu Grunde, die sich im geistigen Individuum durch ein Richtigkeitsbewußtsein oder durch das Gegenteil bemerkbar macht. In den echten Urphänomenen des Zusammenlebens, die wir vermutlich noch gar nicht rein herausgearbeitet haben, ist dieses Bewußtsein vom Rechten und Unrechten mitgegeben. Und gerade in dem jugendlichen Bewußtsein spricht es um so unentstellter, als der Jugendliche noch nicht über die verwirrende Fülle von Tatsachenerfahrungen verfügt, wie der Erwachsene. Er steht dem Ideenhaften gleichsam noch näher. Er ist noch nicht durch die Kompromisse beeinflußt, die der reale Kampf des Lebens mit sich bringt. Seine vorwegnehmende Phantasie ist, solange er noch unverbildet ist, von den reinen Formgesetzen und Formverwandlungsgesetzen des Lebens durchwirkt.

Wenn in dem jungen Menschen zuerst aufleuchtet, welchen Sinn die Familie zu erfüllen hat, was eine gerechte Verteilung ist, was ein Rechtsstaat zu leisten hat, so ist ihm dabei ein Maßstab für die je eigentümliche Richtigkeit der betreffenden Gebilde gegenwärtig. Was z. B. die Familie sein soll und nicht sein sollte, das ergibt sich nicht aus gehäuften Einzelerfahrungen, sondern es lebt dem Kern nach gleichsam apriori im Gemüt. So ist es, dem Kern nach, auch für andere Ordnungen: was rechte Gleichheit ist, welche Ungleichheiten legitimiert sind, was sittliche Macht ist und sittlich gerechtfertigter Gehorsam, das trägt der Mensch im voraus ahnungsweise in der Tiefe seiner Brust. Es muß nur noch am wirklichen Lebensvollzug durchgearbeitet werden. Stark ausgedrückt: Jeder von uns bringt die Idee von Gerechtigkeit schon bei seinem geistigen Erwachen mit. Diese „Leit" linie aber muß durch Gefährdungen und Konflikte hindurch festgehalten werden, wenn sich an ihr konkrete Lebensverhältnisse regulieren sollen. Es kommt alles darauf an, daß diese ursprüngliche „Reinheit" des Menschen und diese Reinheit der Idee bei solchen Begegnungen mit dem harten Stoff der Welt nicht verlorengehen.

2. Dem allgemeinen Bewußtsein viel vertrauter ist der zweite innere Regulator, obwohl er das eigentliche Zentralwunder in unserer Welt bedeutet: das Gewissen. Das Geheimnisvolle an ihm ist, daß es nicht eigentlich in allgemeinen Verhaltensregeln spricht, sondern für die ganz konkrete Situation gerade dieses Sichentschließenden. Es ist daher der Brennpunkt dessen, was man heute „die Existenz“ zu nennen liebt. Wo jede allgemeine, in der Umgebung schon anerkannte Moralregel versagt — wie etwa für die Männer des 20. Juli 1944 — da springt die höchst singuläre Weisung des Gewissens ein. Keineswegs darf man hinzufügen: „mit absoluter eindeutiger Sicherheit". Auch mit seinem eigenen Gewissen muß man kämpfen, bis man es zu größerer Klarheit gebracht hat. Ja in schwersten Situationen bleibt die Eindeutigkeit überhaupt aus: gleichsam ein Teil des Gewissens steht auf der einen Seite, der andere auf der Gegenseite. Nicht also die Klarheit ist das Merkmal des Gewissens, sondern der erschütternde Ernst, mit dem es spricht. Die ganze Person wird bis in Tiefen aufgerührt, die wohl ihr metaphysischer Grund zu heißen verdienen.

Hier nun gibt der äußere Regulator, die Autorität der geltenden Moral, nicht mehr den Ausschlag, obwohl sie in dem inneren Gespräch immer noch mitsprechen wird. Es geht auch nicht mehr um die Art von Ehre, die man von Menschen und vor Menschen gewinnen könnte. Hier steht die Reinheit unseres überzeitlichen Selbst auf dem Spiel. Und wenn noch von „Ehre" die Rede sein kann, dann wäre es, bildlich gesagt, die Ehre, die der Mensch sich vor Gott erwerben möchte, so weit es auf seine eigene Kraft und Bewährung ankommt.

Man überlege, ob dies nicht etwa die Ur-Ehre ist, die in allen Spielarten von gesellschaftlicher Ehre nur ihren Abglanz findet. Überall da wenigstens, wo der Mensch für seine sittliche Ehre sein Leben einsetzt, muß etwas gemeint sein, was mit sonstigen Vorteilen und Schädigungen nicht zu vergleichen ist. Da ist — wie beim Gewissen — 'wieder eine Durchbruchsstelle zum metaphysischen Grund hin, mag die Lage eines solchen „Ehrenpunktes" sich auch bei verschiedenen Völkern und in verschiedenen Zeiten verlagern. Irgendwo hat jede Moral ihren Angelpunkt im Metaphysischen, und wer ihre Inhalte nur aus Nützlichkeiten oder einem gesellschaftlichen Interessenarrangement abzuleiten versucht, deutet in Wahrheit ihre eigentliche Legitimation nur weg Der Sozialutilitarismus ist die Verdünnung, die das Moralische wie das Ethische in einer rein geschäftlid orientierten Welt erfahren hat.

Dies sind nun sehr weite Perspektiven, die hier wiederum nur in Form von Lehnsätzen berührt werden können. Es kam darauf an, eine Stelle für den Blick freizulegen, ohne die das politische Ethos der modernen abendländischen Welt ganz unverständlich bleiben müßte. Wo sie aber nicht verstanden worden ist, da irrt auch jede politische Erziehung planlos herum.

VIII. Die Verantwortung des staatstragenden Individuums

Der Träger der politischen Erziehung muß sich über die maßgebende Idee klar sein, die das Abendland in langen Kämpfen herausgearbeitet hat: die Idee der sittlich selbständigen Persönlichkeit, die auch vom Staat nicht zum bloßen Objekt gemacht werden darf. Die Person ist deshalb heilig, weil sie der Ort des Gewissens ist, eines Regulators, der seinerseits metaphysische Würde beansprucht. Wohl ordnet sich diese Persönlichkeit vielen Vorentscheidungen unter, die in der Volks-moral und dem positiven Recht ihren Niederschlag gefunden haben. Aber die letzte Prüfstelle ist immer das vor Gott gereinigte Gewissen. Denn dort allein, an dieser einzigen Stelle, wo die miteinander kämpfenden sittlichen Forderungen bewußt werden, besteht eine Verbindung des Menschen zum Metaphysischen hin. (Hegel: „Ich bin der Kampf“.) 1. Es ist kein Zufall, daß die erste verfassungsrechtliche Formulierung unveräußerlicher Menschenrechte aus religiösen Konflikten er-wuchs. Die historisch erste Freiheit, die man dem Staat abtrotzte, war die Gewissensfreiheit. Durch das Gewissen gebundene Einzelentscheidungen starker Persönlichkeiten können allein neue höhere Moral und neues Recht von höherem Wertgehalt erzeugen helfen. Die letzte Verpflichtung des Inneren setzt nicht der Staat, sondern eine metaphysische Instanz, die in verschiedenen Weltanschauungen verschiedene Namen tragen mag, aber nach der Regel, „daß jeglicher das Beste, was er kennt, er Gott, ja seinen Gott benennt", diesen höchsten Namen verdient. Um die Interpretation des göttlichen Gebotes muß auch in politischen Zusammenhängen immer wieder gekämpft werden. Kurz: der Träger der politischen Erziehung mu§ begriffen haben, warum das Abendland schließlich dahin gelangt ist, der freien, nur ihrem Gewissen gehorsamen Persönlichkeit den Vorrang vor dem Spruch aller kollektiven Mächte einzuräumen. Damit ist jeder Doktrin, die den überindividuell-unpersönlichen Ablaufsgesetzen im Leben der Völker das höchste Recht einräumt, der Kampf erklärt. Keineswegs sind damit diese Über-mächte selbst beseitigt. Aber sie sind auf die Seite des Schicksals gestellt, mit dem die Freiheit nicht aufhört zu ringen. 2. Sollte man einen solchen Standpunkt als Individualismus bezeichnen, so ist er doch von ganz anderer Art als der Individualismus, der sich den Staat möglichst weit vom Leibe hält. Darf nämlich der Staat, der die Volksmoral pflegt und das Recht aus Gewissenskämpfen hervorgehen läßt, als eine große sittlidte Institution gelten, so muß auch diese überindividuelle Geistesmacht von jeder einzelnen Persönlichkeit mitgetragen werden. So kommen überindividnelle Gehalte in das Bewußtsein und die Verpflichtungen des Individuums hinein. Hegel hatte in gewissem Grade recht, wenn er den Staat als eine hohe Darstellung menschlicher Sittlichkeit ansah. Er irrte nur, insofern er den historischen Prozeß als die unfehlbare Entfaltung des göttlichen Willens ansah und also eine bestimmte historische Gestalt des Staates mit dem Absolut-Sittlichen identifizierte. Sein Irrtum hatte tiefe religiöse Wurzeln, weil seine Philosophie von der Überzeugung ausging, Gott selbst expliziere sich in der irdischen Geschichte. Dann müßte der Staat allerdings „seiner Substanz nach“ Gott selbst, der Gott auf Erden, sein. Aber die menschliche Geschichte kann nach unserer Überzeugung auch fehlgehen. Nicht alle ihre Gebilde sind Produkte des „substanziellen“ Willens, der Gottes Wille ist. Die „Substanz“ liegt für uns vielmehr in dem Gewissen der den Staat mittragenden Personen. In ihnen ist der existentielle Brennpunkt zu suchen, der heute so stark betont wird. Jedoch sollte immer hinzugefügt werden: dieser Brennpunkt sei das gereinigte Gewissen, denn gegen das Recht des bloß subjektiven Gewissens, das mit allerhand Grenzen und Zufälligkeiten belastet ist, hat Hegel nicht ohne Grund Bedenken erhoben. (Rechtsphilosophie § 137). Aber bis in diese Tiefen können wir hier nicht hinableuchten. Es muß nur noch betont werden, daß die hier für den Staat beanspruchte Würde nur dann zu bejahen ist, wenn er auch die Volksmoral in seine Pflege nimmt und unter seinen Schutz stellt. Sollte man einen eigentlichen „Erziehungsstaat“ heute für undurchführbar halten, so bliebe doch die Forderung, daß der Staat die Grundlagen der Volksmoral nicht selbst durch seine Gesetzgebung und Maßnahmen zerstört. Ich habe nicht den Eindruck, daß eine solche Warnung überflüssig ist. Das nächstliegende Beispiel ist die Familie. Man mag politische Hochhäuser bauen: wenn die Hütte, in der die Familie haust und die Kinder erzogen werden, nicht gesund erhalten bleibt, stürzt alles ein.

3. Wenn der Staat auch niemals die sittliche Substanz selbst ist, so enthält er doch die Ergebnisse der sittlichen Arbeit von vielen Generationen, neben ihren Verirrungen und Fehlentscheidungen. Der Einzelne, der zu seinem Mitträger berufen ist, bleibt zwar „Individuum“.

Aber in seiner verantwortlichen Beziehung zum Staat muß er über-individuelle Gehalte in sich aufnehmen. Überall entsteht Persönlidrkeit nur dadurch, daß der Einzelne Gehalte in sich aufnimmt, die mehr sind als er in seiner Zufälligkeit und Begrenzung. Der staatstragende Mensch ist vor besondere Verantwortungen gestellt. Seine politische Sittlichkeit fordert Anderes und Größeres von ihm als seine „Nachbarsittlichkeit“, wenn diese vereinfachende Bezeichnung gestattet ist. Jedenfalls deckt sich die allgemeine Moral nicht mit den spezifizierten Forderungen, die aus den politischen Bindungen erwachsen. Politische Sittlichkeit ist weder mehr noch weniger als die Sittlichkeit des privaten Lebens. Sie ist etwas anderes, gemäß dem besonderen Stoffe des Lebens, der hier zu bewältigen ist. „Das Staatliche“ stellt seine spezifischen Anforderungen an die Individuen, „auf denen es lebt“. Es gibt keinen Staat in der Welt, der nicht von seinen Gliedern Opfer forderte. Wo aber der Sinn für diese Tatsache verlorengegangen ist, da ist entweder an dem Staat oder an den Bürgern, wahrscheinlich an beiden, etwas nicht in Ordnung. Ist der Staat eine sittliche Aufgabe, so kann er auch nie „absterben“. Denn das hieße, sich in Zukunft von Verpflichtungen dispensieren zu wollen, die nun einmal durch das Zusammenleben großer Massen von Menschen unerbittlich erwachsen.

Die freie und doch verantwortlich gebundene Einordnung des Einzelnen in den Staat verleiht ihm eine dritte Ehre. Zu dem guten Leumund im allgemeinen Verkehr und zu dem Ehrgefühl, das mit jenem inneren Regulator unlöslich verflochten ist, tritt die besondere Form der politischen Ehre. Es ist für eine junge Generation sehr schwer, sich in einem Staate wieder zurechtzufinden, der einmal seine Ehre verloren hat. Man kann es verstehen, daß ihr dann eine Zeitlang die Orientierung fehlt, was der Staat ist, fordert und im Kreise der anderen zu leisten hat. Eben deshalb ist in einem solchen Falle politische Erziehung die dringendste Aufgabe bei der Wiederaufrichtung des Staates. Übrigens sind die Kulturstaaten sittliche Individualitäten, d. h.

eigenartige Darstellungen sittlichen Geistes. Deshalb kann der Stil der Erziehung für den Staat nicht ohne weiteres von Nation zu Nation übertragen werden.

4. Es hat Staatsbildungen gegeben, bei denen man von einem ausdrücklich „staatstragenden Stand“ reden durfte. D. h. eine bestimmte Schicht des Volkes fühlte sich für den Staat in besonderem Maße verantwortlich, opferte für ihn und fand darin ihre höchste Ehre. Privilegien verschiedener Art pflegten die Kehrseite zu sein. In einem demokratischen Gemeinwesen sind weder Privilegien noch solche Sonderbelastungen mehr möglich. Alle sind berufen, d. h. ebenso berechtigt wie auch verpflichtet, dem Staate zu dienen und ihn mitzusteuern. Jeder ist zugleich Untertan und Souverän, sagt Rousseau. Wiederum ein Grund für die gesteigerte Wichtigkeit der politischen Erziehung.

Parteien bilden sich in jedem Staate, gleichviel, ob sie sich mit einer staatsrechtlich festgelegten oder nicht festgelegten Funktion in ihm be-Seite 760 tätigen. Am meisten wären sie zu rühmen, wenn sie jede für sich eine echte und ernste sittliche Position dem Staat gegenüber verträten. Denn diese Vielfalt ist möglich. Ein Minimum ihrer Verpflichtung läßt sich allgemein formulieren: Sie dürfen den Bezug auf das Ganze des Staates und des Volkes nie aus dem Bewußtsein verlieren. Schon der Name Partei hat nur Sinn, wenn das Ganze, das Totale, dabei mitgedacht wird. Das ist wieder die Dialektik des „Teils im Ganzen“ und des „Ganzen im Teil". Betrachten die Parteien hingegen den Staat als Beute, deren sie sich, allerdings auf legalen Wege, bemächtigen wollen, so ist mehr verdorben als nur der gute Sinn der demokratischen Verfassung. Es wird nämlich in der jungen Generation der Glaube an diese Staatsform geschädigt. Wo dies schon geschehen ist, wird politische Erziehung überhaupt unmöglich. Denn zu jeder Erziehung gehören Vorbilder. Gibt es statt ihrer nur Gegenbilder, so frißt sich das Verderben des Staates frühzeitig in die jungen Gemüter hinein.

Lange Zeit ist das politische Bewußtsein der Deutschen an den Mustern der antiken Staaten gebildet worden, den demokratischen sowohl wie den aristokratischen und monarchischen. Einiges mag dabei dem Bewußtsein zugänglich geworden sein, wie an Mythen aus alter Zeit. Eine moderne Demokratie, man pflegt deutlicher zu sagen: die moderne Massendemokratie, ist ein ganz anderes, viel schwerer verständliches Gebilde. Zunächst müßte man sich bei der Anwendung jener Terminologie darüber klar sein, daß eben diese moderne Demokratie der verzweifelte, aber heroische Versuch ist, das Phänomen der verantwortungslosen „Masse“ zu überwinden. Das alte Römische Reich ist an ihm zugrunde gegangen. Wenn der Versuch, es diesmal besser zu machen, nicht aussichtslos sein soll, so ist eine Kunst der politischen Erziehung notwendig, die den inneren Wert der einzelnen Persönlichkeit noch stärker zum Bewußtsein bringt, als es der Stoa zu ihrer Zeit gelungen ist.

HERAUSGEBER:

Schluß Die vorstehenden Erwägungen werden zunächst gewiß Befremden hervorrufen. Jedoch gibt es ihnen vielleicht ein stärkeres Gewicht, wenn ich zum Schluß die Frage aufwerfe: auf welchem Wege sollte man denn sonst vorgehen? Soll man die deutsche politische Entwicklung vom Absolutismus des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart erzählen? Soll man den Wortlaut der jetzt geltenden deutschen Verfassungen interpretieren? Soll man einzelne auf Recht und Staat bezügliche Themata auswählen, die für den Jugendlichen zur Not noch verständlich sind?

Alle diese Methoden würden sich bloß an den Verstand wenden; oder — noch schlimmer — bloß an das Gedächtnis. Weil dies zur Aufrüttelung der Gemüter offenbar nicht ausreicht, ist man längst auf den Gedanken gekommen, mit der Jugend gleichsam „Demokratie zu praktizieren". Das läuft dann auf ein paar Selbstverwaltungsübungen hinaus, die ich gewiß nicht geringschätzen will; aber sie dürften nicht Spielerei bleiben, sondern müßten auf echte Gesinnungsbildung eingestellt sein und den Charakter ausstrahlender „formaler Kraftbildung“ tragen. Immer wird doch die Bescheidenheit der Modelle in fühlbarem Mißverhältnis zu der Größe des Gegenstandes stehen, der das eigentliche Ziel bildet. Wer etwa die Klassenbibliothek gut verwaltet, übt sich in der Pflichttreue, hat aber nicht viel für die Ausbildung seines Staatsbewußtseins gewonnen. Wer sich der beruflichen Arbeitsgemeinschaft hingebend einfügt, braucht mit dem Politischen noch keine Fühlung zu haben.

Sollten wir also lieber mit den staatsbürgerlichen Anregungen warten, bis der junge Mensch schon einige Lebenserfahrungen gemacht hat, die ihm dann in einem Volkshochschulkursus zusammenhängend gedeutet würden? Hoffen wir, daß er sich dazu einfindet! Aber das Schlimme ist, daß gerade ein Staat mit freiheitlich-demokratischer Verfassung nicht warten kann. Diese Staatsform setzt für ihr Funktionieren schon eine tätige Geistesart der Bürger voraus, die nicht von Natur da ist. Also muß früh etwas für ihre Herausbildung geschehen. Die alte konstitutionelle Monarchie hat bis heute im Deutschen das Bewußtsein hinterlassen, daß Staatsführung im Grunde eine Angelegenheit des Be-BUNDESZENTRALEPolitik und Zeitgeschichte F ÜR rufsbeamtentums sei: der parlamentarische Apparat sei eingebaut, damit das Volk sich durch Beschwerden über die Beamtenschaft erleichtern könne. Aber sachverständig sei doch nur der fachlich vorgebildete Beamte. Er treffe die Entscheidungen; die übrigen kämen über „das Gerede“ ohnehin nicht hinaus.

Der eigentlich freie demokratische Geist hat in Deutschland noch keine tiefwurzelnde Tradition. Im Gegenteil: die Demokratie ist jedes-mal gekommen, wenn ein großer Krieg verloren war. Es fehlt völlig der Hintergrund einer triumphalen Unabhängigkeitserklärung.

Ja, man darf noch mehr behaupten: Die Dynamik der Willensbildung in einem echt demokratischen Staate ist so umständlich, daß Menschen, die zur „Dezision" und zur Tat drängen, ihr kaum ohne weiteres Sympathie zuwenden werden. Noch andere Mängel treten zutage. Der Nachweis, daß trotzdem die abendländische Kultur in keiner anderen Verfassung fortleben und ihr Heil finden kann, ist so ungeheuer schwer, daß man dem Anfänger damit bestimmt nicht kommen kann.

Was bleibt also übrig, als ein Verfahren, dessen Sinn darauf hinausläuft: „Wir setzen deine geistige Aktivität planmäßig so in Bewegung, daß du , das Staatliche'schließlich in dir selbst entdecken mußt. Es ist etwas, das dir grundsätzlich nicht von außen aufgenötigt wird, sondern in deinem eigenen tieferen Willen liegt, wenn du dich nur recht verstehst.“ In dieser Formel ist ja der Kern des Prinzips ausgesprochen, auf dem die wahre Demokratie beruht. Bei Rousseau kann man noch die schwerfälligen Bemühungen verfolgen, diesen durchaus neuen Gedanken ans Licht zu bringen, wenn er auch Republik nennt, was wir Demokratie nennen. Die eigentlich ethische Rechtfertigung haben in Deutschland erst Kant und Fichte hinzugefügt.

Ob diese Art von Denken nicht auch schon ein Tun ist, nämlich ein inneres Hervorbringen von praktischen Lebenswahrheiten, wolle man selbst erwägen. Blosser blasser Intellektualismus in jenem früher erwähnten Sinne ist es nicht. Freilich bleibt immer ein Unterschied zwischen dem Einsehen und dem Handeln nach der Einsicht. Fichte hat sich ähnlich wie Sokrates darum bemüht, bis zu einem Tatdenken vorzustoßen, bei dem es wesensmäßig ausgeschlossen ist, daß man nicht nach der Einsicht handle. Ich wage nicht zu behaupten, daß die Gespräche, die ich vorgeschlagen habe, schon diese zündende Kraft besitzen werden. Zwischen dem Erkennen technisch bedeutsamer Zusammenhänge und dem entsprechenden Verhalten gähnt keine Kluft. Der Bruch zwischen ethischer Erkenntnis und dem Handeln danach liegt in der Schwäche der menschlichen Natur. Ihr kann durch kein Schnellverfahren abgeholfen werden. Meine Vorschläge beziehen sich nur auf eine erste „Propädeutik“. Der Boden soll so zubereitet werden, daß darauf allmählich etwas wachsen kann. Wenn diese Vorschulung von vornherein in der Form der Diskussion verläuft, so entspricht dies dem Prinzip der Demokratie, durch friedliche Gedankenkämpfe die Gewaltübung im Inneren des Staates nach Möglichkeit auszuschließen. Arbeitet man von früh auf daraufhin, die Menschen zu selbständigem politischem Denken aufzurütteln, so verhütet man die schwerste Gefahr unserer Kultur-epoche: das Emporwuchern einer blind gefolgschaftsbereiten Masse. Denken und Tun fordern sich, wie Goethe gesagt hat, in einem gesunden Lebensaufbau gegenseitig. Stirbt der selbst prüfende und sich verantwortlich entscheidende Menschentypus aus, so ist es mit der Demokratie zu Ende, noch ehe sie recht angefangen hat.

Kurz: Unser deutsches Staatswesen im Westen ist neu. Die Aufgabe der ihm entsprechenden staatsbürgerlichen Erziehung ist neu. Der von mir aus tiefer Sorge um Deutschland dafür empfohlene Weg ist ebenfalls neu. Das Bewußtsein, auf noch nicht ausgetretenen Wegen zu gehen, hat etwas Beflügelndes. Und wenn sie ein wenig am Rande der Philosophie hinführen sollten, so würden damit Kräfte wachgerufen, Wesen des Deutschen immer eine produktive Rolle gespielt die im haben.

Anmerkung:

Eduard Spranger, Nachforderungen der Beilagen . Aus Politik und Zeitgeschichte'sind an die Bundesrentrale für Heimatdienst zu richten. — Abonnementsbesteilungen der Wochen-zeitung . Das Parlament'zum Preise von CM 1, 19 monatlich bei Postzustellung einschl. Beilage sowie Bestellungen von Sammelmappen für die Beilage zum Preise von DM 4, 50 pro Stück einschließlich Verpackung, zuzüglich Po'tokosten, nur an d'e Verlriebsnbt^ihjnq Hamburg 36, Gänsemarkt 21/23

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. „Von der Lernschule zur Erziehungsschule“, im Baden-Württembergischen Amtsblatt „Kultus und Unterricht" V, 1956. Heft 6.

  2. Vgl. m. Buch: . Pädagogische Perspektiven”, 4. Ausl., Heidelberg 1956, S. 117 ff.

  3. Vgl. Simmel.

  4. Das Neutrum weist sprachlich, wie so oft, auf ein Prinzip, ein Wesen haftes hin. Vgl. z. B. Platos terminus tö Dvuntixv für ein Seelen-vermögen.

  5. Es ist zu vermuten, daß das Wissen um „das Regelhafte'sich im Knabenalter stoßartig bildet. Mit solchen neuen Erlebnisformen wird dann eine Zeitlang experimentiert.

  6. Man denke an das Buch von Max Scheler: Wesen und Formen der Sympathie, 2. Ausl., Bonn 1923 — Geschlechtsliebe, Elternliebe, Eros, Agape und viele weitere Gestalten verweben sich.

  7. Eine Berliner Volksschülerin soll definiert haben: „Familie ist, wo man nicht rausgeschmissen wird, wenn es einem dreckig geht". Hegel sagt in § 158 der Rechtsphilosophie: „Die Familie hat (als die unmittelbare Substantialität des Geistes), seine sich empfindende Einheit, die Liebe, zu ihrer Bestimmung."

  8. Aristoteles, Nikomachische Ethik 1130 b. ff. — Helmut Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, Berlin 1950, Kap. 5 — Erich Fechner, Rechtsphilosophie, Tübingen 1956, S. 103 f.

  9. Vgl. die Wesensbestimmung der Sozialpolitik bei Gerhard Albrecht, Sozialpolitik, Göttingen 1955, S. 33.

  10. Vgl. Walter Schönfeld, Uber den Begriff einer dialektischen Jurisprudenz, Greifswalder Universitätsrede, 1922.

  11. Kampf ums Recht (vgl. v. J h e r i n g , Der Kampf ums Recht, 1872) bedeutet zweierlei: l. die Forderung einer für eine Gruppe allgemeingültigen anerkannten Rechtsordnung, 2. die Forderung der Gewährleistung persönlicher Rechte, die aus ihr folgen.

  12. Das Wort von Goethe: „Es liegt nun einmal in meiner Natur: ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen, als Unordnung ertragen“, ist im Aus-lande als Ausdruck einer schlechten deutschen Nationaleigenschaft scharf angegriffen worden. Man wird es nicht als glücklich bezeichnen können. (W. W. XXVIII, S. 251; vgl. jedoch XV, S. 98 f. — Cotta.)

  13. Stark anregend hat besonders das Buch von Edward Westermar c k -The History of human marriage, gewirkt. (3 Bände, 1925.)

  14. Vgl. E. Spranger, „Wohlfahrtsethik und Opferethik", Berliner Universitätsrede 1930.

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