Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Parteischulung der SED (1945-1956) | APuZ 44/1956 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 44/1956 Die Parteischulung der SED (1945-1956)

Die Parteischulung der SED (1945-1956)

WOLFGANG LEONHARD

Die ideologische Schulung spielt in der sowjetischen Besatzungszone eine entscheidende Rolle. Wie in der Sowjetunion und in anderen Ost-blockstaaten besteht in der sowjetischen Besatzungszone ein groß angelegtes Schulsystem, das es ermöglicht, alle Positionen im Parteiapparat, in der Staatsverwaltung, der Armee und der Wirtschaft mit geschulten Funktionären zu besetzen, die im Sinne der herrschenden Ideologie ausgebildet sind.

Die SED-Führung bedient sich dazu eines umfassenden Schulungsprogramms, das sowohl grundsätzliche Fragen, als auch Probleme der Tagespolitik, der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung der DDR umfaßt. Die Schulung behandelt stets die gleichen Kernfragen und die Schlußfolgerungen sind immer die gleichen. Die Methodik dagegen ist unterschiedlich, sie wird abgestimmt auf die Menschen, die mit den ideologischen Grundbegriffen bekannt gemacht werden sollen. Die politische Schulung beschränkt sich keineswegs auf die Funktionäre und Mitglieder der SED, sondern wird in vereinfachter, popularisierter Form — oft mit direktem oder indirektem Druck — an die gesamte Bevölkerung herangetragen.

Die SED-Parteischulung ist also nur eine, wenn auch die wichtigste Säule der allgemeinen politischen Schulung in der DDR. Neben der SED haben auch die anderen Parteien (die Sowjetzonen-CDU, die FDP, die National-demokratische Partei und die Demokratische Bauernpartei) sowie die Massenorganisationen (FDJ, FDGB, DFD und andere) ihre eigenen Schulungseinrichtungen. Die Grundtendenz dieser Schulung unterscheidet sich nicht wesentlich von der SED-Schulung. Die Formen, Schwerpunkte und Methoden sind jedoch weitgehend der entsprechenden Organisation und ihren Aufgaben angepaßt. Der Unterschied besteht vor allem in der Bezeichnung der Lektionen, in der Sprache und im Aufbau des Lehrplanes. Während z. B. in einer SED-Schule die gegenwärtige Phase des Kapitalismus in der nichtsowjetischen Welt unter dem Titel: „Der Imperialismus — die höchste Stufe des Kapitalismus" im Lehrplan erscheinen würde, könnte dasselbe Thema in der Schule einer bürgerlichen Partei „Die Marktwirtschaft im 20. Jahrhundert“ lauten.

Dieser Artikel behandelt ausschließlich die Entwicklung der Partei-schulung der SED. Die sowjetzonale Staatspartei kann bereits auf eine mehr als 10jährige intensive Schulungsarbeit zurückblicken. Ausmaß und Intensität dieser Schulung sind in der Bundesrepublik nur wenigen Teilen bekannt. Es soll daher nachstehend versucht werden, einen kurzen Überblick über Inhalt, Aufbau, Formen und Methoden des SED-Schulungssystems zu geben.

Die ideologische Grundlage der SED-Schulung

INHALTSVERZEICHNIS: Die ideologische Grundlage der SED-Schulung Die Hauptetappen der Schulungstätigkeit der SED (Herbst 1946 — Sommer 1948)

Die Stalinisierung der SED-Parteischulung auf das Schulungssystem der SED Die jüngsten Veränderungen in der SED-Schulung Die Anfänge der Parteischulung (1945— 1946) Der Ausbau der Internatsschulen der Partei (Sommer 1948 — Sommer 1950) Die Einführung des Parteilehrjahres (Sommer 1950) — der Wendepunkt in der Parteischulung Die stalinistischen Parteilehrjahre (1950—濫z

Die offizielle Bezeichnung der von der SED vertretenen Ideologie ist „Marxismus-Leninismus“. Allerdings muß hierzu bemerkt werden, daß die von der SED propagierten und vertretenen Thesen keineswegs stets mit den tatsächlichen Lehren von Marx, Engels und Lenin übereinstimmen, sondern bedenkenlos den realpolitischen Bedingungen angepaßt, verändert, ja manchmal sogar direkt entstellt wurden.

Der Marxismus-Leninismus wird in den SED-Parteischulen in folgende 4 „Säulen“ zergliedert:

1. Philosophie (vor allem dialektischer und historischer Materialismus). 2. Politökonomie (komprimierte Darstellung der ökonomischen Lehren von Marx und Engels, des Leninschen Werkes „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ und der ökonomischen Aufsätze von Stalin, darunter vor allem seine Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“). 3. Geschichte (zusammengefaßte Übersicht über die Weltgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte Deutschlands mit dem Schwerpunkt auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei Deutschlands, allerdings in stalinistischer Verfälschung). 4. „Grundfragen des Marxismus-Leninismus", worunter der politische Teil der marxistisch-leninistischen Lehre (allerdings auch hier wieder in ihrer stalinistisch verfälschten Version) zu verstehen ist. Dazu gehören Themen wie: Klasse und Klassenkampf; die Lehre vom Staat; formale und reale Demokratie; die Rolle der Arbeiterklasse; die Lehre von der Partei; der Kampf gegen Opportunismus; Revisionismus und Reformismus; Strategie und Taktik; die Bauernfrage; die nationale und koloniale Frage.

Die Lehren des Marxismus-Leninismus werden von der SED-Führung völlig dogmatisch dargelegt(von den mutmaßlichen Veränderungen nach dem XX. Parteitag wird noch die Rede sein). Nicht selten werden diejenigen Gedanken, Auffassungen und Lehrsätze von Marx, Engels und mitunter auch von Lenin, die mit späteren Erklärungen Stalins nicht übereinstimmen, teils überhaupt verschwiegen, teils im Sinne späterer Äußerungen Stalins „umgebogen“. Der von der SED propagierte „Marxismus-Leninismus“ stützt sich also weniger auf die Schriften von Marx und Engels als vielmehr auf (bestimmte ausgewählte) Schriften Lenins und vor allem auf die Reden und Arbeiten Stalins. Als wuchtigste Schriften Lenins gelten, getreu der von Stalin eingeführten dogmatischen Einteilung, folgende vier Bücher, von denen jedes eine bestimmte Seite der Grundlagen der Partei darlegen soll: Lenin „Was tun?" (1902) — Darlegung der ideologisdien Grundlagen der Partei.

2. Lenin „Ein Schritt vorwärts — zwei Schritte zurück" (1903) — Darlegung der orgaiiisatorisdtcn Grundlagen der Partei.

3. Lenin „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie und der sozialdemokratischen Revolution" (1905) — Darlegung der taktisdien Grundlagen der Partei.

4. Lenin „Materialismus und Empiriokritizismus (1908) — Darlegung der theoretisdten Grundlagen der Partei.

Durch diese von Stalin eingeführte Einteilung sind einige andere Schriften Lenins, vor allem sein Buch „Staat und Revolution“, worin das Absterben des Staates und die soziale Differenzierung in der Übergangsperiode behandelt werden, in den Hintergrund gedrängt worden.

Neben den erwähnten vier Schriften Lenins gehören zu den wuchtigsten Materialien der Parteischulung Stalins Broschüre „Marxismus und die nationale Frage" (1912) und seine 1924 verfaßte Schrift „Die Grundlagen des Leninismus", offiziell als „meisterhafte Darlegung und theoretische Begründung des Leninismus“ bezeichnet. Auch Stalins Reden auf den Parteitagen der KPdSU wurden bis März 1956 keineswegs als bedeutsam nur für ein bestimmtes Land zu einem bestimmten Zeitpunkt angesehen, sondern ebenfalls als „ideologische Grundwerke“ gewertet. Von allen ideologischen Schriften war bis zum Frühjahr 1956 der 1938 in der Sowjetunion erschienene „Kurze Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ das meistverbreitete Buch (cs hatte als einzige politische Schrift der Sowjetzone eine Auflage von übet 1 Million Exemplaren) und die wichtigste ideologische Schrift der gesamten Parteischulung.

Sowohl die Tendenz als auch das Ausmaß der SED-Parteischulung geht, zumindest indirekt, aus der Zahl und Auflageziffer der vom parteiamtlichen „Dietz-Verlag" herausgegebenen ideologischen Schriften hervor 1).

Bis Juli 195 5 waren im Dietz-Verlag 35 Bände der gesammelten Werke Lenins erschienen. Von den Werken Stalins erschienen 13 Bände mit einer Gesamtauflage von 3 840 000 Exemplaren.

Die „Bücherei des Marxismus-Leninismus" umfaßte im Juli 195 5 47 Bände mit einer Auflage von 182 000 Exemplaren. Die „Kleine Bücherei des Marxismus-Leninismus“ umfaßte 8 5 Titel mit einer Gesamtauflage von 9 130 000 Exemplaren.

Einige Schriften, wie Marx-Engels „Kommunistisches Manifest" und die „Geschichte der KPdSU" hatten im Juli 1955 bereits eine Einzelauflage von je 1 Million Exemplaren erreicht.

Insgesamt wurden in der Verlagsgruppe der Klassiker Marx, Engels, Lenin, Stalin von 1945 bis Sommer 1955 189 Titel mit einer Auflage von 23 Millionen Exemplaren herausgebracht.

Mit dem XX. Parteitag der KPdSU (14. bis 25. Februar 1956) hat in allen Ländern des Sowjetblocks, wenn auch in unterschiedlichem Tempo, eine wesentliche Veränderung der Ideologie begonnen, die sich bereits auf die Sdhulungsarbeit auswirkt und sich noch weiter auswirken wird. Mit der Kritik am „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ und der Relativierung einiger Stalinscher Schriften, vor allem seiner Arbeit über „ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ begann eine ideologische Entstalinisierung, die früher oder später auch in der SED spürbar werden dürfte. Um das Ausmaß dieser Veränderungen erkennen und ihre Bedeutung einschätzen zu können, ist es notwendig, sie mit dem bisherigen Inhalt und Aufbau des SED-Schulungssystems zu vergleichen.

Die Hauptetappen der Schulungstätigkeit der SED

Wenn wir die fast elfjährige Schulungstätigkeit der SED heute rückblickend betrachten, lassen sich deutlich vier Perioden erkennen.

Die erste Periode dauerte etwa vom Sommer 1945 bis zum Sommer 1948. Es war die Periode des Aufbaus des Schulungssystems; die sowjetischen Schulungsmethoden wurden noch nicht kopiert, sondern es wurde relativ weitgehend den Besonderheiten der politischen Gegebenheiten in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands Rechnung getragen. Ideologischer Kernpunkt war die These vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus".

Nach etwa drei Jahren, als ein großer Teil der Parteifunktionäre bereits durch Internatsschulen der Partei gegangen war, aber auch die internationale Lage sich verschärft hatte (Gründung der Kominform, Blockade Berlins, Auszug der Sowjetvertreter aus dem Kontrollrat, Un-abhängigkeitserklärung der jugoslawischen Kommunisten), begann die zweite Periode. Diese Periode — etwa vom Sommer 1948 bis zum Sommer 1950 — ist gekennzeichnet durch die Verurteilung der These des „besonderen deutschen Weges zum Sozialismus“ und die Veränderung sämtlicher Lehrpläne im Sinne eines verstärkten Studiums der Sowjetunion, vor allem der „Geschichte der KPdSU (B)“. Zwar wurde das in der ersten Periode geschaffene System der Schulung noch beibehalten, der Inhalt der Schulung aber bereits verändert.

Der 3. Juni 1950 — dies ist wahrscheinlich das bedeutsamste Datum in der Entwicklung der Parteischulung der SED — leitete die dritte Phase ein. Nun wurde auch das Schulungssystem vollkommen verändert und weitgehend-dem in der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten angeglichen. Die Zeit vom Sommer 1950 bis 1955 muß als die rein stalinistische Phase der Parteischulung angesehen werden.

Vorn 7 Sommer 195 5 an machten sich die ersten Veränderungen im Inhalt und in den Methoden bemrkbar, unzweifelhaft beeinflußt von den bereits vor dieser Zeit begonnenen ideologischen Veränderungen in der Sowjetunion. Mit der offenen Kritik an einigen Schriften Stalins und dem „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ ’n den Reden Mikojans und Chruschtschows auf dem XX. Parteitag und den anschließenden, noch weitergehenden Kritiken an ideologischen Leitsätzen und Schriften Stalins in der UdSSR, findet eine weitere Beeinflussung des Schulungssystems in der SED statt, so daß wir etwa von 1956 an von einer vierten Phase der Parteischulung sprechen dürfen.

Selbstverständlich sind die einzelnen Perioden nicht durch eine chinesische Mauer voneinander getrennt, sondern gehen ineinander über. Trotzdem scheint es berechtigt, diese Einteilung vorzunehmen, da die einzelnen Phasen sich klar voneinander unterscheiden und die Entwicklung, den Aufbau und die Methoden des Schulungssystems der

Die Anfänge der Parteischulung (1945-1946)

Die Schulungsarbeit begann unmittelbar nach der Neugründung der Kommunistischen Partei Deutschlands am 11. Juni 1945. Als erste Maßnahme wurden für sämtliche Mitglieder der Partei „Schulungsabende" eingeführt, die jeden Dienstag in allen Parteiorganisationen stattzufinden hatten. Jeweils einige Tage vor den Schulungsabenden fanden sogenannte „Referentenbesprechungen" statt, in denen die Referenten für die Durchführung der Schulungsabende in den einzelnen Gruppen vorbereitet wurden. Für diese Schulungsabende wurden jede Woche von der Abteilung Agitation und Propaganda des ZK der KPD Schulungshefte, die in Konzeptform abgefaßt waren und „Vortragsdispositionen" genannt wurden, zur Verfügung gestellt. Am Ende jeder Vortragsdisposition befand sich zur Erleichterung für die Referenten und die Schulungsteilnehmer eine Aufstellung der 10 wichtigsten Fragen zu diesem Thema, eine Literaturangabe und eine Erklärung aller im Text vorkommenden politischen Begriffe.

Die Schulungshefte („Vortragsdispositionen“) der damaligen KPD sollten vor allem die Mitglieder der Partei mit der neuen Linie der Partei nach 1945 bekanntmachen. So wurden 1945 Schulungshefte über die allgemeine Linie der Partei, die Blockpolitik, die Bodenreform, die Schulreform, die Aufgaben der KPD auf dem Lande usw. geschrieben, aber auch Themen wie der Kampf gegen die Nazi-Ideologie, das reaktionäre Preußentum und einzelne geschichtliche Fragen der KPD wurden behandelt.

Darüberhinaus richtete die Parteiführung besondere Internatsschulen zur Heranbildung der Partei-Elite ein. Die ersten Schulen wurden bereits im Herbst 1945 gegründet. Anfang 1946, als die Kampagne zur Vereinigung mit der SPD in verstärkter Form begann, hatten die sechs Landesorganisationen der KPD (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg, Berlin und Thüringen) bereits ihre eigenen Landesschulen auf Internatsbasis. Die Dauer der Lehrgänge schwankte damals zwischen vier und sechs Wochen. Eine Schule besonderer Art war die politische Schule der SMA (Sowjetische Militäradministration) in Königswusterhausen, deren Lektoren und Seminarleiter zum größten Teil politisch sehr gut geschult und ein ausgezeichnetes Deutsch sprechende sowjetische Offiziere waren. In diese Schule wurden jedoch nicht nur SED-Funktionäre, sondern auch einige Vertreter der Sowjetzonen-CDU und der LDP ausgenommen.

Mit der Gründung der SED im April 1946 erfuhr die Schulungsarbeit gewisse Veränderungen, die durch das Hereinströmen vieler ehemaliger Mitglieder der SPD in die Partei bedingt waren. Die SED-Führung stand damals vor der Aufgabe, mittels der Schulung vor allem drei Probleme zu lösen: a) bei den aus der früheren SPD kommenden Mitgliedern die „reformistischen" Auffassungen zu überwinden;

b) die aus der früheren KPD kommenden Mitglieder von „sektiererischen“ Auffassungen zu befreien;

c) die neu in die Partei strömenden Mitglieder mit der Partei-Ideologie vertraut zu machen und gleichzeitig vor allem bei den jüngeren eine Auseinandersetzung mit den Überresten der Nazi-Ideologie-zu führen.

Die Schulungshefte der KPD erschienen weiter, hießen nun aber „Sozialistische Bildungshefte“. Der politische Schulungsabend, der nach der Gründung der SED nicht mehr wöchentlich, sondern alle 14 Tage stattfand, richtete sich nach den in den Bildungsheften vorgeschriebenen Themen, die grundsätzliche wie aktuelle Fragen umfaßten. Zu den grundsätzlichen Themen gehörten u. a. „Das Wesen der Sozialistischen Einheitspartei", „Die antifaschistisch demokratische Republik“, „Der Sozialismus", „Die Gleichberechtigung der Frau“, „Die Nazi-Lüge vom Lebensraum“, „Die Rassenlüge der Nazis“, „Der Imperialismus“, „Das Bündnis der Arbeiter und Bauern". Aus der aktuellen Politik wurden Fragen behandelt wie „Die Gemeindewahlen und unsere Aufgaben , „Unsere Stellung zu den nominellen PG's“, „Die SED und die anderen Parteien", „SED und Gewerkschaften", „Unsere Ernährungspolitik", „Demokratisierung der Schule“, „Der organisatorische Aufbau der SED“, „Nach der Moskauer Konferenz“ usw.

Das Ausmaß der SED-Mitgliederschulung geht aus der Auflage der Sozialistischen Bildungshefte hervor. Im Verlaufe des Jahres 1946 bis Anfang 1947 stieg die Auflage von 71 500 auf 160 000 pro Heft Die Beteiligung an den Schulungsabenden war jedoch großen Schwankungen unterworfen. Nach offiziellen Angaben sollen unmittelbar nach der Vereinigung, d. h. im Frühjahr 1946, über 50% aller SED-Mitglieder -as zweifellos übertrieben sein dürfte) an den Bildungs-und Schulung -benden teilgenommen haben. Infolge der praktischen Tätigkeit der Partei bei den Gemeinde-und Landtagswahlen im Herbst 1946 und während des anschließenden harten Winters 1946/47 sank die Teilnahme auf 10— 200/0 des Mitgliederbestandes der SED. Im Frühjahr 1947 soll die Teilnahme wieder auf 30— 35% der Mitglieder gestiegen sein. Selbst wenn wir nur eine durchschnittliche Beteiligung vxi 20% aller Mitglieder annehmen (was kaum zu hoch gegriffen s-. n dürfte), so würde dies nach dem damaligen Mitgliederstand einer regelmäßigen Schulung von 200— 250 000 Parteimitgliedern entsprechen.

Durch die Schulungsabende wurde ein großer Teil der Parteimitglieder mit den offiziellen Begriffen der Ideologie bekanntgemacht. In jedem „Bildungsheft" wurde im Anhang für jeden vorkommenden poli-tischen Begriff eine offizielle Definition gegeben. Damit gewöhnten sich die an der Schulung teilnehmenden Parteimitglieder bereits 1945/47 an diese Begriffe, sie gingen ihnen gewissermaßen in Fleisch und Blut über. Da diese Frage von erheblicher Bedeutung sein dürfte, seien nachstehend einige parteioffizielle Formulierungen für politische Begriffe aus den „Bildungsheften" von 1946 wiedergegeben:

Demokratie — Volksherrschaft (von den beiden griechischen Wörtern demos = Volk, kratein = herrschen). Als demokratische Regierung bezeichnet man eine solche Regierung, die vom Volk gewählt wird und in ihrer Tätigkeit das Interesse der überwältigenden Mehrheit des Volkes, das sind die Werktätigen, vertritt.

Kapitalismus — Gesellschaftsordnung, die auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruht. Im Kapitalismus befindet sich der größte Teil des Reichtums des Volkes — Fabriken, Betriebe, Grund und Boden, die Gesamtsumme der großen Produktionsmittel — in den Händen einer kleineren Gruppe von Ausbeutern, der Kapitalisten und Grundbesitzer.

Monopolkapitalisten — Monopole sind mächtige Vereinigungen groß-kapitalistischer Betriebe, die geschaffen werden, um den Markt zu beherrschen und dadurch hohe Preise zu diktieren. Durch die Monopol-vereinigungen werden die Gewinne der Kapitalisten um ein Vielfaches gesteigert. Die deutschen Monopolkapitalisten waren die Hauptkriegstreiber der ersten und zweiten Weltkrieges und die Hintermänner der Nazibewegung, die sic durch riesige Geldsummen unterstützten.

Proletariat — die Klasse der ausgebeuteten Arbeiterschaft in der kapitalistischen Gesellschaft, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft lebt. Als organisierteste, revolutionärste und politisch bewußteste Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist das Proletariat der Vorkämpfer der bürgerlich-demokratischen Umwälzung und des Kampfes für die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft. reaktionär — von Reaktion. Reaktion bedeutet wörtlich: Gegenwirkung, Rückschlag. Das Bestreben, veraltete Einrichtungen im Staate zu erhalten oder wiederherzustellen und die freiheitlichen Kräfte wieder zu unterdrücken. Reaktionäre sind also heute diejenigen, die sich einer fortschrittlichen demokratischen Entwicklung (Bodenreform, Schulreform, Übergabe der Betriebe der Kriegs-und Naziverbrecher in die Hände des Volkes usw.) entgegenstellen.

Reformismus — Verzicht auf sozialistische Revolution, Beschränkung auf Reformen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. revolutionär — das Bestreben, die bestehende Gesellschaftsordnung in fortschrittlichem Sinne umzuwälzen.

Sozialismus — eine nach der Errichtung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse geschaffene Gesellschaftsordnung, in der Grund und Boden, die Produktionsmittel (Fabriken, Maschinen, der Transport und die Banken) sich nicht in den Händen einzelner Kapitalisten befinden, die sie für ihre persönliche Bereicherung benutzen, sondern Gemeingut des Volkes sind. Die Ausbeuterklassen, Kapitalisten und Gutsbesitzer, sind entmachtet und enteignet, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufgehoben.

Klassen — „Als Klassen bezeichnet man große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden nach ihrer Stellung in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem (größtenteils in Gesetzen festgelegten und zum Ausdruck gebrachten) Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und dem Umfang des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen.“ (Lenin)

Komprontiß — Ausgleich widerstreitender Interessen. Der Marxismus unterscheidet einerseits zwischen einem Kompromiß, der durch die objektiven Verhältnisse erzwungen ist und die revolutionäre Hingabe und Bereitschaft zum Kampf keineswegs beeinträchtigt, und andererseits einen Kompromiß von Verrätern, die ihren Futterkrippeninteressen und ihrem Wunsch, sich bei den Kapitalisten lieb Kind zu machen, nachgehen

Die Parteiführung war, vor allen Dingen in der ersten Zeit, bestrebt, bei der Besetzung der Lektoren-und Referentenstellen wie auch bei der Auswahl der Kursanten paritätisch vorzugehen und möglichst viele ehemalige Sozialdemokraten hinzuzuziehen. Das gelang jedoch nicht überall, da sich gerade aus den Reihen der ehemaligen Sozialdemokraten häufig Widerstand gegen den Besuch von Partei-schulen bemerkbar machte; sie befürchteten, nicht ganz zu Unrecht, dort im stalinistischen Sinne der neuen Einheitspartei „umgeschult“ zu werden.

Unmittelbar nach der Gründung der SED verfügte die Partei über folgende, von der KPD gegründeten Landesparteischulen:

Groß-Berlin: Friedrich-Engels-Schule in Bestensee Brandenburg: Ernst-Thälmann-Schule in Schmerwitz Mecklenburg: August-Bebel-Schule in Klein-Trebbow Sachsen-Anhalt: Wilhelm-Liebknecht-Schule in Wettin Land Sachsen: Fritz-Heckert-Schule in Ottendorf Thüringen: Rosa-Luxemburg-Schule in Bad Berka Außerdem gab es noch zwei Landesspezialschulen für Sonderkurse, und zwar für Thüringen in Camburg und für Sachsen in Biberstein.

Anfang 1946 wurde als höchste ideologische Instanz die Parteihochschule „Karl-Marx" geschaffen, die sich bis Januar 1948 in Lieben-walde bei Berlin befand. Die Aufgabe der Parteihochschule war laut Beschluß des Parteivorstandes der SED vom 14. Mai 1946 „die Heran-bildung qualifizierter Kader in Verbindung mit theoretischer Forschungsarbeit und Herstellung von Schulungs-und anderem Material“. Der erste Lehrgang der Parteihochschule, an dem 141 Funktionäre teilnahmen, begann am 5. Juni 1946 und wurde am 14. Dezember 1946 beendet.

Der Ausbau der Internatsschulen der Partei (Herbst 1946 -Sommer 1948)

Nach der Niederlage der SED bei den Berlin-Wahlen vom 20. Oktober 1946 wurde die Schulungsarbeit bedeutend verstärkt. Am 25. Oktober 1946 erschien ein entsprechender Beschluß der Parteiführung, in dem bemängelt wurde, daß „in den letzten Monaten die Bildungsarbeit in den Hintergrund gedrängt“ worden sei und die bisherigen Beschlüsse in dieser Frage „nur sehr ungenügend durchgeführt wurden".

Es folgte die entscheidende Direktive: „Angesichts dieser Lage hält der Parteivorstand der SED es für die wichtigste Aufgabe der gesamten Partei, nunmehr in verstärktem Maße die Aufmerksamkeit der Bildungsund Schulungsarbeit zuzuwenden“. Der Besuch des politischen Bildungsabends sei „für jedes Parteimitglied selbstverständliche Verpflichtung". Für den regelmäßigen Besuch des Schulungsabends „ist sofort in der gesamten Parteipresse eine systematische Werbekampagne" einzuleiten.

Die sechs Landesvorstände der SED wurden verpflichtet, in allen 130 Kreisen der sowjetischen Zone in kürzester Frist Kreisschulen auf Internatsbasis zu organisieren, in denen je nach Größe des Kreises 60— 80 Teilnehmer einen zweiwöchigen Schulungskursus durchzumachen hatten. Zusätzlich sollten Betriebsparteischulen mit Kurzlehrgängen eingerichtet werden. Die Lehrgänge in den sechs Landesschulen sollten auf drei Monate verlängert werden;

Die Abteilung Schulung und Werbung des Zentralsekretariats erhielt die Aufgabe, inerhalb eines Jahres 180 000 Mitglieder und Funktionäre der SED in den neu zu schaffenden 130 Internatskreisschulen auszubilden. Mittel standen für diesen Zweck unbegrenzt zur Verfügung.

Nach dem 25. Oktober 1946 wurde'der Ausbau des Schulungsapparats der Partei mit größter Intensität betrieben. Im Unterschied zu früher, als die Schulen noch eine gewisse Selbständigkeit wahren konnten, wurde nun der Unterricht für alle zu schaffenden Kreisschulen einheitlich geregelt. Zu diesem Zweck wurde ein sogenanntes „Lehrbuch für Kreisschulen der SED“ mit einer Anfangsauflage von 47 000 Exemplaren gedruckt, das für alle Kreisschulen verbindlich war und jedem Schüler einer Kreisschule in die Hand gegeben wurde. Kurz darauf folgte mit einer Anfangsauflage von 30 000 Exemplaren ein sogenann-tes „Lesebuch für die Kreisschulen", das den gesamten auf einer Kreis-schule durchzuarbeitenden Lesestoff enthielt.

Da das „Lehrbuch für Kreisschulen der SED" viele Jahre hindurch das entscheidende ideologische Lehrbuch der Partei war, nach dem sich alle neu gegründeten Kreisschulen genauestens zu richten hatten, seien hier acht Themen des Lehrbuches kurz wiedergegeben: 1. Thema: Einführung in den Marxismus Das Wesen des Marxismus — Die marxistische Philosophie — Die marxistische politische Ökonomie — Die marxistische Theorie vom Klassenkampf und Sozialismus — Der Marxismus in der Gegenwart 2. Thema: Das Wesen der SED Die Entstehung der SED — das Wesen der SED — Die organisatorische Struktur der SED.

3. Thema: Die SED und die Verbündeten der Arbeiterklasse Die grundsätzliche Stellung der Marxisten zur Frage der Bundesgenossen der Arbeiterklasse — Die Bauernfrage — Die Mittelschichten in der Stadt — Die Intelligenz — Die Blockpolitik der antifaschistischen Parteien.

4. Thema: Unser Kampf gegen das Monopolkapital Das Wesen des Imperialismus — Die wichtigsten Besonderheiten des deutschen Imperialismus — Die Rolle des Monopolkapitalismus in der Durchführung der faschistischen Diktatur — Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz — Unser Kampf gegen die Monopole.

5. Thema: Der Kampf gegen die Nazi-Ideologie Die Vergiftung des deutschen Volkes — Die Lüge vom „Dolchstoß“

— Die Lüge vom „Lebensraum" — Die Rassenlüge — Führerprinzip, Feind jeder Demokratie — Hitlers „deutscher Sozialismus“.

6. Thema: Unser Kampf um die Demokratie Grundsätzliches über Demokratie — Das Wesen der bürgerlichen Demokratie — Der Kampf um die Demokratie in Deutschland — Der demokratische Aufbau nach dem Sturz des Faschismus — Die Einheit der Arbeiterklasse als Garant des demokratischen Aufbaus — Unser Entwurf einer Verfassung für die deutsche demokratische Republik. 7. Thema: Der Sozialismus Unser Endziel, der Sozialismus, Der Weg zum Sozialismus — Unser Kampf gegen bürgerliche Verfälschung und Verleumdungen der sozialistischen Idee. 8. Thema: Deutschland und die internationale Lage Die Weltlage nach dem zweiten Weltkrieg — Die Lage und Entwicklung Deutschlands nach den Beschlüssen der Berliner Konferenz — Die Sowjetunion und Deutschland — Die außenpolitische Orientierung des deutschen Volkes.

Der riesige Plan, innerhalb eines Jahres 130 Internatsschulen der Partei zu schaffen und in diesen 180 000 Funktionäre der SED zu schulen, ist zwar nicht ganz, aber doch zu einem sehr großen Teil erfüllt worden. Bereits bis Ende Mai 1947 hatten 20 000 Parteimitglieder und Funktionäre Lehrgänge auf den inzwischen geschaffenen 105 Kreisinternatsschulen der Partei absolviert. Im Frühjahr 1948 verfügte die SED neben der Parteihochschule Karl-Marx in Klein-Machnow bei Berlin und sechs Landesschulen bereits über 120 Internatskreisschulen der Partei und zur 1 OO-Jahrfeier der Märzrevolution von 1848 prangte in der SED-Parteihochschule „Karl-Marx" die Losung: „In 120 Kreis-schulen, 6 Landesschulen und 1 Parteihochschule werden die Waffen des ideologischen Kampfes geschmiedet“.

Die Landesschulen waren am 2. Januar 1947 zu Drei-Monatskursen übergegangen. Der Unterricht erfolgte auf Grund eines einheitlichen, vom Zentralsekretariat der SED bestätigten Lehrplanes, der 41 Themen umfaßte, die in folgende Hauptgruppen gegliedert waren: 1. Marxistisches Grundwissen (10 Themen); 2. Deutsche Geschichte (8 Themen); 3. Geschichte der Sowjetunion (6 Themen); Faschismus, der zweite Weltkrieg und seine Folgen (7 Themen); 5. Die SED und die Aufgaben der Gegenwart (10 Themen). Bis Juni 1947 hatten bereits 2 200 Funktionäre die SED-Landesschulen absolviert.

Die Stalinisierung der SED Parteischulung (Sommer 1948 -Sommer 1950)

Der Sommer 1948 brachte — wie auf fast allen anderen Gebieten der SED-Politik — auch wichtige Veränderungen innerhalb der Schulung. Die Gründung der Kominform im Herbst 1947, der Shdanow-Kurs in der UdSSR, die Ereignisse in Prag im Frühjahr 1948, die Verschärfung der Beziehungen zu den Westmächten, der Auszug der Sowjetvertreter äus dem Kontrollrat, der Beginn der Berliner Blockade und vor allem die Unabhängigkeitserklärung der jugoslawischen kom-munistischen Partei fanden ihren Niederschlag in einer Reihe von Beschlüssen der SED-Führung, von denen die Schulung maßgeblich betroffen wurde.

Der Beschluß der SED-Führung vom 3. Juli 1948, worin die Komin-formresolution gegen Jugoslawien begrüßt wurde, und der Beschluß vom 29. Juli 1948 über „Die organisatorische Festigung der Partei und ihre Säuberung von entarteten und feindlichen Elementen“ zeigten bereits an, daß eine Angleichung an die stalinistische Partei der UdSSR bevorstand.

Noch deutlicher trat dieTendenz auf der 13. Tagung des SED-Parteivorstandes im September 1948 hervor. In den Beschlüssen dieser Tagung wurde noch einmal die Kominformresolution begeistert begrüßt und selbstkritisch erklärt, es sei bisher „nicht genügend" getan worden, „um die Parteimitglieder vertraut zu machen mit den Erfahrungen des Kampfes um den Sozialismus in der Sowjetunion und mit den Lehren aus der Geschichte der KPdSU (B), mit der führenden Rolle der Sowjetunion im Kampfe für den Frieden und gegen den Imperialismus und mit der Befreierrolle der Sowjetarmee".

Die offizielle Verurteilung der Theorie des besonderen deutschen Weges zum Sozialismus in der gleichen Resolution war ein weiterer Schritt in dieser Richtung. -

Mit dem Beschluß vom 20. September 1948 „Über die Verstärkung des Studiums der Geschichte der KPdSU“, erfolgte die Angliederung an die KPdSU. Allen Funktionären wurde nun zur Pflicht gemacht, den „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ zu studieren. Die Partei-presse wurde angewiesen, eine Kampagne zur Förderung dieses Studiums einzuleiten, es sollten besondere Konsultationsbüros für die Geschichte der KPdSU eingerichtet und in den „Sozialistischen Bildungsheften“ laufend einzelne Kapitel der Geschichte der KPdSU behandelt werden. Auch das 1946 ausgearbeitete obligatorische Lehrbuch für die SED-Kreisschulen mußte nun umgearbeitet werden. Die Geschichte der KPdSU sei „in größtmöglichem Maße heranzuziehen". Sowohl die Landes-schulen der SED als auch die Parteihochschule „Karl-Marx“ mußten den „Kurzen Lehrgang" zur „Grundlage des Studiums“ machen.

Neben der außerordentlich starken Betonung der „Geschichte der KPdSU“ als Grundlage der gesamten ideologischen Schulung wurde nun auch eine verschärfte Auseinandersetzung mit dem „Sozialdemokratismus“ und dem „Titoismus“ verlangt. So hieß es in der Entschließung der I. Parteikonferenz der SED im Januar 1949 über die Schulungsarbeit u. a.: „Die SED hat auf dem Gebiete der Parteischulungsarbeit große Fortschritte erzielt. Das in der Partei entwickelte Schulungssystem reicht jedoch nicht aus, um dem ständig wachsenden Bedarf nach geschulten Funktionären zu genügen .. . Die ideologische Erziehungsarbeit soll vor allem in drei Richtungen vor sich gehen.

1. Studium des Marxismus-Leninismus; vor allem an Hand des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)“ und der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin.

2. Kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: Geschichte der Sozialdemokratie, der Strömungen in ihr, erster Weltkrieg, Novemberrevolution, Weimarer Republik, Faschismus.

3. Internationale Erziehung durch Studium der Erfahrungen in den volksdemokratischen Ländern (Reden Dimitroffs und Bieruts), in China usw. Kritische Stellungnahme gegen die Entartung in der Führung der KP Jugoslawiens.“ 4)

Der Beschluß vom 4. Mai 1949 unterstrich erneut und noch schärfer die Bedeutung der Geschichte der KPdSU für die Schulung.

Die zweite Phase der SED-Schulung ist jedoch nicht nur durch das verstärkte Studium der Geschichte der KPdSU und der offensiven Auseinandersetzung mit dem „Sozialdemokratismus“ und dem „Titoismus“ gekennzeichnet, sondern auch durch einen weiteren quantitativen Ausbau des gesamten Schulungssystems.

Nach einem offiziellen Bericht haben in der Zeit vom II. Parteitag der SED (September 1947) bis zum III. Parteitag (Juni 1950) 65 000 Mitglieder die Betriebsparteischulen, 170 000 Mitglieder die Kreisparteischulen und 5000 Mitglieder die Landesparteischulen und die Parteihochschule „Karl-Marx“ besucht. Von den 2201 Delegierten auf dem III. Parteitag hatten rd. 72 °o nach 1945 die Parteischulen besucht. Dabei ist zu beachten, daß fast die Hälfte der Delegierten unter 30 Jahre alt war. Unter den Delegierten waren bereits 73 Absolventen der Parteihochschule „Karl-Marx“, 8 5 von Antifa-Schulen in der UdSSR und 279 von Landesparteischulen. Kreisparteischulen hatten rd. 1000 und die Betriebsparteischulen 136 Delegierte besucht.

War die erste Phase der Entwicklung des Parteischulungssystems (1945— 1948) somit vor allem durch die Notwendigkeit gekennzeichnet, die alten Mitglieder der KPD auf die „neue Linie“ zu bringen und — nach der Gründung der SED — die in die Partei hineinströmenden Sozialdemokraten im Sinne der SED zu schulen, sowie auf den Internats-schulen der Partei ältere Funktionäre umzuschulen und neue junge Funktionäre heranzubilden, so war die zweite Phase (1948— 1950) durch die Tendenz gekennzeichnet, den Unterricht in dem bereits bestehenden Parteischulungssystem im Sinn des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU" und der Angleichung an das Vorbild der stalinistischen Sowjetunion zu verändern.

Die Einführung des Parteilehrjahres (Sommer 1950) -der Wendepunkt in der Parteischulung

Im Sommer 1950 hielt das Politbüro der SED — zweifellos nach Rücksprache mit der damaligen Stalin-Führung in Moskau — die innerparteiliche Entwicklung ideologisch und organisatorisch für soweit fortgeschritten, daß nun nicht nur der Inhalt sondern auch der Aufbau des Systems der Schulung in allen Stadien an das Vorbild der KPdSU angepaßt werden sollte.

Diesem Zweck diente der Beschluß der SED-Führung „Uber die Verbesserung der Parteipropaganda“ vom 3. Juni 1950. Mit diesem Beschluß, der wohl der entscheidenste in der Entwicklung des Parteischulungssystems ist, begann ein neuer Abschnitt in der Entwicklung der SED-Parteischulung. Im Beschluß wurde eingangs erklärt, es sei „eine der entscheidenden Lehren des Rajk-Prozesses in Ungarn und des Kostoff-Prozesses in Bulgarien, wie auch der verstärkten Sabotage-und Schädlingsarbeit der anglo-amerikanischen Kriegstreiber und ihrer Handlanger gegen die Deutsche Demokratische Republik, daß die ideologische Sorglosigkeit und die mangelhafte politische Wachsamkeit nur durch eine systematische ideologische Erziehungsarbeit der Mitglieder und Funktionäre überwunden werden kann". In der üblichen Weise wurde zunächst lobend hervorgehoben, daß bereits Zehntausende von Mitgliedern und Funktionären an Schulungen teilgenommen haben und „gegenwärtig (d. h. im Sommer 1950 — W. L.) etwa 60 000 Mitglieder und Funktionäre die Geschichte der KPdSU studieren", gleichzeitig aber wurde erklärt, daß es noch sehr erhebliche Mängel gäbe. So sei festgestellt worden, daß im Land Sachsen-Anhalt nur etwa 35’A der Parteimitglieder an den Schulungsabenden teilnähmen. Viele Zirkel zum Studium der Geschichte der KPdSU arbeiteten unkontrolliert. Die Lehrer seien noch nicht genügend qualifiziert und die Auswahl der Schüler erfolge häufig planlos. Es sei besonders ernst, daß zahlreiche verantwortliche Funktionäre in Verwaltung und Wirtschaft noch keine Parteischule besucht hätten, das Selbststudium vernachlässigten und ideologisch zurückblieben.

Das bisher bestehende System der Parteischulung und die Ausbildung der Kader der Partei entspräche nicht mehr den neuen Anforderungen. Es sei an der Zeit, mit der Geringschätzung der marxistisch-leninistischen Theorie Schluß zu machen, und deshalb seien „Maßnahmen zur grundlegenden Verbesserung des Systems und der Methoden unserer Parteipropaganda" erforderlich. Dies wurde von dem Hinweis der SED-Parteiführung: „Dabei gehen wir von den gewaltigen Erfahrungen der KPdSU, der Partei Lenins-Stalins aus“, begleitet.

Nach dem Beschluß vom 3. Juni 1950, der verhältnismäßig schnell in die Praxis umgesetzt und, von einigen geringfügigen Veränderungen abgesehen, bis zum Frühjahr 1956 in Kraft war, gliederte sich das Schulungssystem der SED in folgender Weise:

Die gesamte Parteischulung wird im Rahmen eines einheitlichen Parteilehrjahres durchgeführt, das am 1. Oktober eines jeden Jahres begann und am 30. Juni (auf dem Lande am 15. Juni) des darauffolgenden Jahres endete. Die Schulung der Mitglieder und Kandidaten im Rahmen des Parteilehrjahres erfolgt in vier Formen:

I. Politisdie Grundsdtulen „für alle Mitglieder und Kandidaten der Partei, die noch ungenügend mit den Grundbegriffen des Marxismus-Leninismus vertraut sind, sowie für Parteilose (insbesondere Aktivisten), die mit der SED sympathisieren und sich schulen wollen".

Jede politische Grundschule wird von 20 bis 25 Mitgliedern besucht. Sie wird von einem ständigen Lehrer geleitet, der Unterricht findet monatlich zweimal in je zwei Stunden nach der Arbeit statt (auf dem Lande dreimal monatlich).

Der Unterricht basiert auf einem einheitlichen „Lehrbuch für die politischen Grundschulen", das bereits Ende 1951 eine Auflage von 1 520 000 Exemplaren erreicht hatte. Dem Lehrbuch ist die Geschichte der KPdSU zugrunde gelegt; es behandelt jedoch nur die Hauptetappen der Entwicklung der UdSSR und die sich daraus ergebenden Lehren für die SED.

Das Lehrbuch besteht aus folgenden sieben Themen:

1. Das Leben der Arbeiter und Bauern im zaristischen Rußland und ihr Befreiungskampf, 2. Die große Sozialistische Oktoberrevolution, 3. Der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in der UdSSR, 4. Die Sowjetunion und die kapitalistische Welt, 5. Der Große Vaterländische Krieg der Sowjetunion, 6. Die Sowjetunion auf dem Wege zum Kommunismus, 7. Zwei Lager in der Weltpolitik.

Das Buch ist im Vergleich zu sonstigen östlichen Lehrbüchern populär geschrieben, enthält nach jedem Kapitel eine kurze Zusammenfassung und im Anhang für jedes Thema eine Liste von Werken der schönen Literatur und von Filmen, die „zum besseren Verständnis des in der politischen Grundschule behandelten Themas empfohlen werden“ und eine sehr einfach gehaltene Erklärung politischer Begriffe.

II. Zirkel zum Studium der Biographie J. W. Stalins und Zirkel zum StudiuM der Cesdrichte der KPdSU (B)

Diese „höhere" Form der Parteischulung ist bestimmt für „diejenigen Funktionäre, Mitglieder und Kandidaten der Partei sowie Parteilose, die bereits mit den Grundbegriffen des Marxismus-Leninismus vertraut sind". Die Zirkel tagen ebenfalls monatlich zweimal je zwei Stunden und arbeiten nach dem von der Propagandaabteilung des Parteivorstandes festgelegten Lehrplan.

Der Zirkel zum Studium der Biographie J. W. Stalins dauert ein Jahr, der Zirkel zum Studium des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU“ zwei Jahre.

III. Kreisabendschulen Sie sind bestimmt „für die Funktionäre der Grundeinheiten der Partei, die Mitarbeiter der Kreisleitungen, sowie leitenden Parteifunktionäre in volkseigenen Betrieben, MAS, volkseigenen Gütern, Verwaltungen, Massenorganisationen usw. im Kreismaßstab, die das erforderliche Grundwissen besitzen und die bereits die Kreisparteischule besucht haben".

Der Unterricht erfolgt auf der Grundlage eines von der Propaganda-abteilung des Parteivorstandes herausgegebenen einheitlichen Lehrplans, der folgende Fächer umfaßt: Geschichte der KPdSU (B), Wirtschaftsfragen, Parteiaufbau, politische und ökonomische Geographie.

IV. „Abenduniversitäten des MarxiSMUS-LeniniSMUs" sind vorgesehen für verantwortliche Parteifunktionäre aus dem Apparat der Partei, der Wirtschaft und Verwaltung, die bereits Kreis-und Landesparteischulen besucht haben. Interessanterweise können an den Abenduniversitäten Professoren und Dozenten der Hochschulen, Künstler, Ärzte, Techniker, Studenten usw., die den Marxismus-Leninismus studieren wollen, teilnehmen. Der Lehrplan umfaßt Geschichte der Arbeiterbewegung, Geschichte der Sowjetunion, internationale Beziehungen, ökonomische und politische Geographie. Der Lehrplan wird von der Propagandaabteilung des Parteivorstandes ausgearbeitet. Die Lehrzeit beträgt zwei Jahre. Nach jedem Semester, (der Lehrgang ist in vier Semester eingeteilt), findet eine mündliche Zwischenprüfung statt. Am Ende des Lehrgangs wird ein schriftliches und mündliches Abschlußexamen durchgeführt.

Die erste Abenduniversität wurde Ende November 1950 in Berlin gegründet und im darauffolgenden Jahr wurden Abenduniversitäten auch in Leipzig, Dresden, Halle und Erfurt eingeführt.

Mit der Einführung dieses neuen Schulungssystems wurde der bisherige „politische Bildungsabend“ aufgehoben. Die „Sozialistischen Bildungshefte" wurden umgestaltet und sollten nun der Erläuterung von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Fragen dienen.

Das gesamte Schulungssystem nahm durch diesen Beschluß festere, organisierte Formen an. So wurden besondere Teilnehmerkarten ein-geführt als Einlage zum Parteibuch, auf denen jeweils der Besuch des betreffenden Zirkels oder der Parteischule bestätigt werden mußte.

Mit diesen vier Grundformen der Schulungsarbeit wurde das Schwergewicht auf die Abende, d. h. außerhalb der Arbeitszeit verlegt. Trotzdem wurden die Internatsparteischulen durch den Beschluß vom 3. Juni 1950 keineswegs aufgegeben, sondern erhielten neue, höher stehende Aufgaben: a) Die Betriebsparteisdtulen mit einer Schulungsdauer von 15 Tagen dienen der Ausbildung der Betriebsfunktionäre. b) Die Kreisparteisdiuleii haben die Aufgabe, Ortsfunktionäre (Vorsitzende der ländlichen Ortsgruppen, Kulturleiter der MAS usw.) politisch auszubilden. Die Lehrdauer wurde zunächst auf acht Wochen und später auf drei Monate verlängert. c) Die Landesparteischulen (seit-der Verwaltungsreform im Jahre 1952, Bezirksparteischulen) haben die Aufgabe, leitende Kader für die Kreisleitungen, die Verwaltungen und Massenorganisationen im Kreis-maßstab, sowie Lehrer für die Kreisabendschulen und Schulungszirkel heranzubilden. Die Lehrdauer wurde Anfang 1951 auf ein Jahr verlängert. In den Landesschulen wird in folgenden Fächern unterrichtet: Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Geschichte der KPdSU (B), Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung, ökonomische und politische Geographie, internationale Lage, Parteiaufbau, Wirtschafts-und Finanzpolitik.

An der Spitze des gesamten Schulungssystems steht die Parteilioch-schule „Karl-Marx“, die bereits seit 1948 zwei Lehrgänge führt: einen Zweijahrlehrgang zur Ausbildung leitender Funktionäre für den Parteivorstand, die zentralen Leitungen der Massenorganisationen und die Ministerien, einen Einjahrlehrgang zur Qualifizierung der Sekretäre der Landes-leitungen, Mitarbeiter des Parteivorstandes, der Massenorganisationen und Ministerien.

Der Unterricht an der Parteihochschule erfolgt in nachstehenden Fächern: Geschichte der KPdSU (B), dialektischer und historischer Materialismus, Politökonomie und praktische Wirtschaftsfragen, allgemeine Geschichte, Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung, Parteiaufbau, ökonomische und politische Geographie, internationale Beziehungen, Journalistik, Literatur und Kunst, deutsche und russische Sprache.

Im Februar 195 3 wurde der erste Dreijahrlehrgang auf der Partei-hochschule eingeführt.

Als höchste Stufe der ideologischen Ausbildung wurde auf Grund des Beschlusses vom 3. Juni 1950 ein marxistisch-leninistischres Seminar („Aspirantur") in der Parteihochschule gebildet „aus Absolventen des Zweijahreslehrgangs, die sich für die wissenschaftlich-theoretische Arbeit eigenen und aus Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Mitglieder der Partei sind". Die Teilnehmer des Seminars befassen sich mit der Ausarbeitung wissenschaftlicher Dissertationen über ideologische Fragen. Das Seminar, dem — wie gesagt — Absolventen des Zweijahrlehrganges angehören, dauert weitere zwei Jahre.

Der Beschluß vom 3. Juni 1950 über den Aufbau des Schulungssystems wurde auf dem III. Parteitag der SED (20. — 24. Juli 1950) offiziell bestätigt. In dem Beschluß des Parteitages über die Schulung wird darüber hinaus betont, „daß die Aneignung der marxistisch-leninistischen Theorie nur im Kampf gegen die bürgerliche Ideologie und ihren Einfluß auf die Arbeiterklasse erfolgen kann“. Eine weitere wichtige Aufgabe der Schulung sei der Kampf gegen die Überreste des Sozialdemo-kratismus in der SED, die heute in einer falschen, formalen Einstellung zur Demokratie, in der opportunistischen Auffassung der Blockpolitik und der nationalen Front des demokratischen Deutschland im Sinne der Aufgabe der selbständigen Politik der Partei, in der Unterschätzung der Rolle der Sowjetunion, in nationalistischen Tendenzen gegenüber Volks-polen usw. zum Ausdruck kommen“.

Der Kampf gegen „Sozialdemokratismus" und „Sektierertum" könne jedoch nur wirksam sein, „wenn er zugleich gegen alle liberalistischen und versöhnlerischen Tendenzen geführt wird, denn das Versöhnlertum ist nichts anderes als die Auffangsstellung für die Opportunisten".

Um die Bedeutung des neueingeführten Schulungssystems zu unterstreichen, wurde in dem auf dem III. Parteitag angenommenen Statut der SED offiziell jedes Parteimitglied verpflichtet, „ständig sein politisches Wissen durch das Studium des Marxismus-Leninismus zu erweitern".

Als Anreiz für die auf dem Gebiet der Parteischulung tätigen Lehrer (offiziell als „Propagandisten" bezeichnet) beschloß die 7. Tagung des ZK der SED (18. — 20. Oktober 1950), den Lehrern an der Parteihochschule, an den Landesparteischulen und anderen Schulen n Tagung des ZK der SED (18. — 20. Oktober 1950), den Lehrern an der Parteihochschule, an den Landesparteischulen und anderen Schulen nach Ablegung von Examen und Ausarbeitung von Dissertationen die Titel Dozent, Professor oder Doktor der Gesellschaftswissenschaften zu verleihen. Diese Maßnahme sollte „zur schnelleren Überwindung des Zurückbleibens der Lehrer auf dem Gebiet der Theorie und zur Schaffung standhafter Kader" dienen. Gleichzeitig damit erfolgte eine weitere materielle Differenzierung in der Entlohnung für die Lehrer an Parteischulen und Propagandisten, die von dem damaligen Chefideologen Fred Oelssner mit folgenden Worten begründet wurde: „Auf der 7. Tagung des Zentralkomitees wurde beschlossen, auch den Propagandisten der Partei die Möglichkeit zu geben, ein Staatsexamen abzulegen und einen akademischen Grad zu erwerben. Wenn das verwirklicht ist, wird auch die Bezahlung der Propagandisten differenziert werden. Wer ein Examen bestanden und den Doktorgrad erworben hat, wird besser bezahlt werden als ein Propagandist ohne Examen und ohne Doktorgrad. Bei der Verleihung dieser neuen Grade und Titel wird es keine persönlichen Rücksichten geben. Ein Genosse wird nicht den Doktorgrad erhalten, weil er ein guter Kerl ist oder lange Jahre im KZ gesessen hat; das reicht nicht aus. Er wird Doktor werden, wenn er die erforderliche Arbeit geschrieben, die erforderliche Prüfung abgelegt hat, wenn er also seine wissenschaftliche Qualifikation bewiesen hat. Dann erhält er den Grad, gehört zur Parteiintelligenz und wird auch materiell entsprechend eingestuft." 6)

Die Einführung des Parteilehrjahres wurde für so wichtig erachtet, daß am 9. Oktober 1950 noch einmal in einem besonderen Beschluß des Sekretariats des ZK der SED („Beseitigt die ernsten Mängel in der Vorbereitung des Lehrjahres 1950— 51 der Parteischulung“) die Landes-und Kreissekretariate aufgerufen wurden, die Schulungspläne zu überprüfen, Räume für den Unterricht sicherzustellen, die Auswahl und Ausbildung der Lektoren und Propagandisten zu beenden und den Bedarf an politischer Literatur zu decken.

LInmittelbar vor Beginn des 1. Parteilehrjahres, am 31. Oktober 1950, wurde sogar die sonst ungewöhnliche Form eines „Briefes der Parteivorsitzenden an alle Mitglieder anläßlich des Beginns des Partei-lehrjahres" gewählt, um die SED-Mitgliedschaft eindringlichst zur ideologischen Schulung aufzurufen: „Die Periode des sporadischen planlosen Lebens . wenn ich mal dazu komme', ist in unserer Partei endgültig vorbei. Die für das Studium notwendige Zeit mußt Du fest in Deine Zeiteinteilung einbauen. Das heißt, das Lesen und Lernen nach dem Studienplan muß ein ständiger Bestandteil Deines Tages-und Wochenplans werden." 7)

Die stalinistischen Parteilehrjahre (1950-1955)

Nach der Einführung des neuen Schulungssystems durch den Beschluß vom 3. Juni 1950 fanden in der SED folgende fünf Parteilehrjahre statt: 1. Parteilehrjahr— 1. November 1950 bis 30. Juni 1951 (auf dem Lande 15. Juni) 2. » — 1. Oktober 1951 bis 30. Juni 1952 3. » — 20. Oktober 1952 bis 15. Juli 1953 4. » — 1. Oktober 1953 bis 31. Mai 1954 • 5. » — 1. Oktober 1954 bis 31. Mai 1955

Beim Abschluß eines Parteilehrjahres wurde eine Übersicht über den Verlauf des vergangenen und über die zukünftigen Aufgaben des nächsten Parteilehrjahrs gegeben. In diesen Verlautbarungen werden meist auch bestimmte Veränderungen im Inhalt der zukünftigen Parteischulung bekannt gegeben.

Nach Abschluß des 1. Parteilehrjahrs wurde z. B. im Beschluß des Politbüros der SED vom 7. August 1951 darauf hingewiesen, daß „annähernd eine Million Parteimitglieder und Kandidaten" am Parteilehrjahr teilgenommen hätten; 60 000 Parteilehrer (Propagandisten) hatten den Unterricht geleitet. Im Verlauf des Lehrjahres seien 105 Lehrmaterialien in einer Auflage von über 10 Millionen Exemplaren erschienen. Das erste Parteile Millionen Exemplaren erschienen. 8) Das erste Parteilehrjahr sei „ein bedeutsamer Schritt vorwärts in der Entwicklung der SED zur Partei neuen Typus". Es hätten sich aber auch sehr ernste Mängel und Schwächen gezeigt. Die Partei-leitungen hätten den Besuch der Schulungsabende nicht genügend kontrolliert, die Bedeutung des Parteilehrjahrs zum Teil unterschätzt, die Einstufung der Mitglieder in das System der Parteischulung-vielfach formal und bürokratisch vorgenommen und die Parteilehrer (Propagandisten) hätten es noch nicht genügend verstanden, die Theorie mit den konkreten Verhältnissen zu verbinden. Auch hätten sie den Kampf gegen die bürgerliche Ideologie und den Sozialdemokratismus nur mangelhaft geführt.

Für das Parteilehrjahr 1951— 52 wurden die Zirkel zum Studium der Biographie J. W. Stalins „auf Grund des Wunsches vieler Teilnehmer" um ein weiteres Jahr verlängert. 9) Außerdem wurde zur Qualifizierung der Lehrer an Betriebs-und Kreisparteischulen beschlossen, alle vier Wochen besondere Seminare durchzuführen, die Zahl der Lehrkräfte auf der Parteihochschule „Karl-Marx" zu erhöhen und am 1. Oktober 1951 beim ZK der SED ein „Institut für Gesellschaftswissenschaften" zu gründen. Dieses Institut soll in Drei-bzw. Einjahrlehrgängen theoretische Kader, vor allem hochgeschulte Dozenten für die Themen und Grundlagen des Marxismus-Leninismus, für dialektischen und historischen Materialismus, Politökonomie und Geschichte der KPdSU (B) hcranbilden.

Der Abschluß des zweiten Parteilehrjahres (1951— 52) fiel zeitlich mit der II. Parteikonferenz der SED zusammen, die bekanntlich eine bedeutende Verschärfung des innenpolitischen Kurses einleitete, und auf der „der Aufbau des Sozialismus in der DDR“ proklamiert wurde.

So faßte die II. Parteikonferenz auf dem Gebiet der Parteischulung folgenden Beschluß:

„Auf ideologischem Gebiet ist die wichtigste Aufgabe, die Arbeiterklasse und die Masse der Werktätigen mit sozialistischem Bewußtsein zu erfüllen und zugleich den täglichen konsequenten Kampf gegen die bürgerlichen Ideologien zu führen. Die Propagandisten werden verpflichtet, die neuen theoretischen Probleme, wie sie von der II. Parteikonferenz gestellt worden sind, auszuarbeiten und zu popularisieren. Das Studium der Geschichte der KPdSU (B), das die Grundlage unserer gesamten Parteischulung bildet und das Studium der Werke des Genossen Stalin ist noch gründlicher durchzuführen.“ 10)

Die Aufgaben für das dritte Parteilehrjahr (1952— 5 3) wurden in dem Beschluß des Politbüros „Aufgaben der Parteileitung und Parteiorganisationen bei der Vorbereitung und Durchführung des Parteilehrjahres 1952— 5 3“ dargelegt. In dem Beschluß wurde mitgeteilt, daß im zweiten Parteilehrjahr über 50 000 Politische Grundschulen, Zirkel und Kreis-abendschulen bestanden hätten. Allerdings wären neben den Erfolgen „eine Reihe ernster ideologischer Mängel“ aufgetreten. Vor allem solche Fragen wie „die nationale Frage in Deutschland in der gegenwärtigen Lage, das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den werktätigen Bauern, die Liquidierung der Auffassungen von der Gleichmacherei, das Verhältnis zur Intelligenz“ seien nicht genügend geklärt worden.

Die wesentlichste Neuerung war der Beschluß, bei den Landes-und Kreisleitungen ständige Lektorengruppen zu bilden, „deren Aufgabe es ist, öffentliche Lektionen, sowie Vorlesungen vor Propagandisten und Agitatoren über die Grundfragen des Marxismus-Leninismus und die Beschlüsse der Partei und der Regierung durchzuführen".

Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 blieb nicht ohne Wirkung auf die Schulungsarbeit der Partei. In der Entschließung der 15. Tagung des ZK der SED vom 26. Juni 1953 (die sich mit den Lehren des 17. Juni befaßte), wurde kritisch vermerkt, die Propagandaarbeit sei „oft in Dogmatismus, Buchstabengelehrtheit und Talmudismus“ verfallen, wäre losgelöst von den konkreten Aufgaben der Partei und hätte den Mitgliedern nicht genügend „kämpferischen Geist" vermittelt. „Besonders mangelhaft war die marxistisch-leninistische. Schulung der früheren Kader der Partei", hieß es wörtlich. Der Beschluß fordert, daß in der zukünftigen Schulungsarbeit „der konsequente, prinzipielle Kampf gegen die bürgerliche Ideologie, besonders gegen den Sozialdemokratismus verstärkt" werden müsse.

Anläßlich des vierten Parteilehrjahres (1953— 54) wurde in dem entsprechenden Beschluß des Politbüros vom 18. August 195 3 im Unterschied zu früheren Beschlüssen kein Wort über Erfolge des vergangenen Parteilehrjahres gesagt — offensichtlich eine Auswirkung der Ereignisse des 17. Juni — dafür aber die Kritik besonders stark hervorgehoben. „Die Auseinandersetzung mit feindlichen Auffassungen war im vergangenen Parteilehrjahr mangelhaft", hieß es im Beschluß Die Parteimitglieder hätten zu viel Arbeiten über die Klassiker des Marxismus-Leninismus gelesen, aber die Werke selbst nicht studiert.

Genau wie in der Sowjetunion wurden die Zirkel über das Leben und Wirken Stalins abgeschafft und durch einen zweijährigen „Zirkel zum Studium grundlegender Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus" ersetzt. Die Funktionäre wurden angewiesen, im neuen Parteilehrjahr die Beschlüsse des 15. Plenums des ZK der SED (über den „Neuen Kurs“) zu behandeln und neben der Geschichte der KPdSU (B) auch den Beschluß des ZK der KPdSU vom Juli 1953 „Fünfzig Jahre Kommunistische Partei der Sowjetunion (1903 bis 1953)“ — der eine teilweise recht veränderte Darstellung der Geschichte der KPdSU, vor allem der Rolle Stalins gibt — zu studieren. Schließlich wurde empfohlen, den Unterricht im Parteilehrjahr lebendig und interessant zu gestalten, sowie mehr Diagramme, Karten und Bilder im Unterricht zu verwenden.

Im Verlauf des 5. Parteilehrjahres (1954/55) wurden vor allem kritisiert, „daß es noch Unklarheiten über das Weltfriedenslager, die Politik der Partei zur Lösung der nationalen Frage in Deutschland, den Charakter unseres Arbeiter-und Bauernstaates, in Fragen der Ökonomik während der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus und über den dialektischen Materialismus als der theoretischen Grundlage unserer Partei“ gäbe. Erneut wurde gerügt, daß „noch immer eine Gleichgültigkeit in der Auseinandersetzung mit ideologischen Fragen und falschen Auffassungen“ zu verzeichnen sei.

Das 6 Parteilehrjahr der SED (1955-1956)

Die ideologischen Veränderungen nach dem Tode Stalins, in der UdSSR bereits im Sommer 195 3 sichtbar, wurden von der SED-Führung zunächst nur sehr zögernd und widerstrebend zur Kenntnis genommen.

Die Thesen des ZK der KPdSU vom Juli 1953 anläßlich des 50.

Jahrestages des Bestehens der bolschewistischen Partei macht sowohl eine Abkehr von Stalin (der Name Stalins kam in diesen Thesen nur viermal, der Name Lenins dagegen einundvierzigmal vor; zudem wurde in der Resolution nicht eine einzige Schrift Stalins genannt), als auch eine Zurückdrängung des „Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU"

deutlich. Der Kampf gegen „Talmudismus", und „Buchtstabengelehrtheit", der in der Sowjetunion seit 195 3 mit zunehmender Stärke geführt wurde, die große Philosophie-Diskussion im Winter 1954'55 unter Teilnahme maßgebender Vertreter der Parteihochschule beim Zentralkomitee der Militärpolitischen Akademie „Lenin“ und des Instituts für Philosophie der Akademie der Wissenschaften und viele andere Ereignisse zeigten in der UdSSR die Abkehr von der stalinistischen Ideologie an. In der Sowjetzone wurde diese Abkehr jedoch zögernd und widerstrebend zur Kenntnis genommen und sie spiegelte sich im Schulungssystem kaum wieder. Wie sehr die SED-Führung noch im Sommer 195 5 an den überlieferten stalinistischen Formen der Schulung festhielt, macht die Direktive über das 6. Parteilehrjahr deutlich.

Das 6. Parteilehrjahr wurde Anfang Mai 1955 mit einem ausführlichen Beschluß des Politbüros eingeleitet. Auf weltanschaulichem Gebiet sollten die Hauptaufgaben des 6. Parteilehrjahres darin bestehen, „die Überlegenheit des dialektischen Materialismus über die bürgerliche Ideologie zu zeigen“ und „das reaktionäre Wesen der Religion zu entlarven und religiöse Vorurteile zu überwinden". Auf aktuellem Gebiet sollte vor allem „die Notwendigkeit der allseitigen Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik“ gezeigt werden. Die Parteimitglieder hätten die Aufgabe, „pazifistische und fatalistische Stimmungen zu überwinden“ und „die Werktätigen zur Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften und zur Meisterung der Waffen zu erziehen“. Dabei sollten mehr als bisher die Lehren der Geschichte ausgewertet werden.

Die Erziehung zur Freundschaft mit der Sowjetunion und den Volksdemokratien, sowie das Studium der ökonomischen Fragen des Über-gangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in der „DDR“ sollten verstärkt werden

In Aufbau und Inhalt des Parteilehrjahres wurden eine Reihe von Veränderungen vorgenommen. So wurde z. B. das im vorigen Jahr begonnene Studium der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in den allgemeinen Zirkeln nicht fortgeführt. Als Begründung dafür gab man an, „daß kein vollständiges Lehrmaterial vorhanden ist und einzelne Probleme nur oberflächlich, teilweise sogar falsch eingeschätzt und behandelt wurden

Die Zirkel zum Studium der grundlegenden Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus wurden nicht weitergeführt. Es habe sich gezeigt, daß in der kurzen Zeit ein wirkliches Durcharbeiten der verschiedenen Werke und ein tieferes Eindringen in die Probleme nicht möglich sei. Andererseits wurde der Aufbau des Zirkelsystems durch zwei neue Stufen erweitert, die sich vor allem mit der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der „DDR“ beschäftigen. Überhaupt hob man im Unterschied zu den vergangenen Lehrjahren Fragen der politischen Ökonomie, vor allem in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus hervor. Bei der Bekämpfung „parteifeindlicher“ Theorien und Auffassungen werden diesmal auch „pazifistische Strömungen“ und „religiöser Aberglaube“ genannt. Auf aktuellem Gebiet wurde besonders die Erziehung zur Verteidigungsbereitschaft, auf wirtschaftlichem Gebiet vor allem die Frage ‘der Rentabilität der Betriebe unterstrichen

Gleichzeitig damit forderte man auch eine Verstärkung der militärpolitischen Propaganda. Es sei notwendig, „eine Reihe wissenschaftlicher Kader an unseren Parteischulen, Universitäten, Hoch-und Fachschulen auf Fragen des Militärwesens zu orientieren“. Zu diesem Zweck sollten wissenschaftliche Arbeiten über den Aufbau der Sowjetarmee, über die Kämpfe im Bürgerkrieg und im Großen Vaterländischen Krieg, sowie über die siegreichen Kämpfe der chinesischen, koreanischen und vietnamesischen Armee erscheinen. Die Herausgabe militärischer Literatur, besonders von Übersetzungen aus der Sowjetunion, sollte gesteigert werden

In den Politischen Grundschulen seien „Grundkenntnisse über die Politik der Partei" zu vermitteln, darunter (im ersten Lehrjahr) solche Fragen wie die Strategie und Taktik der Partei in der Periode des Imperialismus, die Aufgaben der SED im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus, sowie die Rolle des Parteistatuts im Leben der Partei und schließlich die Rolle der Partei im Kampf um die nationale Wiedervereinigung Deutschlands und (im zweiten Lehrjahr) die wichtigsten Maßnahmen im Übergangsstadium vom Kapitalismus zum Sozialismus in der „DDR“ (vor allem die Aufgaben in Industrie, Landwirtschaft und Handel).

In den „Zirkeln zum Studium der Geschichte der KPdSU“, die für diejenigen bestimmt sind, die die Politische Grundschule beendet haben, sollte (im ersten Lehrjahr) in 8 Themen die Entwicklung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion von der Gründung bis zum Jahre 1920 behandelt werden. Das zweite Lehrjahr war für die Entwicklung der KPdSU von 1921 bis heute vorgesehen, die letzten beiden Themen waren der Entwicklung in der Nachkriegszeit und der Verwirklichung der vom XIX. Parteitag gestellten Aufgaben gewidmet.

Die neu eingeführten „Zirkel zum Studium der ökonomischen Politik der Partei in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus“

sollten in zwei Formen durchgeführt werden:

a) der Zyklus „Industrie“ sollte die Grundzüge der Übergangsperiode von Kapitalismus zum Sozialismus behandeln, darunter die Bedeutung der sozialistischen Industrialisierung, Fragen der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft, der Arbeitsproduktivität, Rechnungsführung und Rentabilität der Betriebe.

b) der Zyklus „Landwirtschaft“ sollte das Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern, die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft, die Rolle der MTS, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, der „volkseigenen" Güter und die Neuerermethoden in der Landwirtschaft behandeln.

Die „Zirkel zur Einführung in die Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus“ wurden für diejenigen Funktionäre bestimmt, „die bisher in den Zirkeln die grundlegenden Werke der Klassiker studiert haben", also bereits höhere Schulungszirkel besucht haben. Der Unterricht findet auf der Grundlage des Lehrbuchs „Politische Ökonomie" statt.

In den Kreisabendschulen sollten theoretische Grundfragen des Marxismus-Leninismus studiert werden, darunter Probleme des dialektischen und historischen Materialismus, die Theorie von der Klasse und dem Klassenkampf, vom Staat, die Lehre von der nationalen Frage, die politische Ökonomie des Kapitalismus und die Frage des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus.

Die Abenduniversitäten des Marxismus-Leninismus begannen am 1. September 1955 mit einem neuen Dreijahrlehrplan. Die Voraussetzungen sind bedeutend erhöht worden. Für den Besuch einer Abenduniver-sität war bereits das für den Besuch einer Bezirksparteischule erforderliche Grundwissen notwendig. In den Abenduniversitäten wurde gelehrt:

im 1. Lehrjahr: Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus, im 2. Lehrjahr: Ökonomische und politische Geographie (Deutschland, Sowjetunion, China, Polen CSR), Dialektischer und Historischer Materialismus,

im 3. Lehrjahr: Geschichte der KPdSU, Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung.

Stärken und Schwächen der Parteischulung

Zweifellos scheut die Führung der SED weder Mittel noch Kräfte, um die Mitglieder und Funktionäre in ihrem Sinne zu schulen. Ziffern über die Gesamtzahl der Teilnehmer im 6. Parteilehrjahr liegen nicht vor, es wurden jedoch einige Teilangaben veröffentlicht. So hieß es in einem offiziellen Beschluß der SED-Führung, daß im Laufe des Sommer 1955 an den Kreisparteischulen 3000 neue Propagandisten (=Schulungsleiter) in Achtwochenlehrgängen für den Unterricht in Politischer Ökonomie geschult wurden. Je 800 Propagandisten wurden für die Zirkel „Grundlagen des Marxismus-Leninismus“ und für die Zirkel „Politische Ökonomie" in Vierwochenlehrgängen ausgebildet

Trotz des riesigen Aufwandes an Energie und finanziellen Mitteln für die Parteischulung muß sich die SED-Führung immer wieder in offiziellen Beschlüssen mit den Schwächen, Mängeln und „fehlerhaften Auffassungen“ beschäftigen, besonders nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der nur allzu deutlich die Schwächen des SED-Regimes offenbar werden ließ. Es hieß, die Propagandaarbeit sei „oft in Dogmatismus, Buchstabengelehrtheit und Talmudismus" verfallen, von den konkreten Aufgaben der Partei losgelöst und hätte den Mitgliedern nicht genügend „kämpferischen Geist“ vermittelt (26. Juli 1953) und „die Auseinandersetzung mit feindlichen Auffassungen war im vergangenen Parteilehrjahr mangelhaft“ (18. August 1953) Im Frühjahr und Sommer 1955 — nach fünf abgeschlossenen Parteilehrjahren — sah sich die SED-Führung erneut gezwungen erhebliche Mängel festzustellen. So erklärte das Politbü Juli 1953) und „die Auseinandersetzung mit feindlichen Auffassungen war im vergangenen Parteilehrjahr mangelhaft“ (18. August 1953) 20). Im Frühjahr und Sommer 1955 — nach fünf abgeschlossenen Parteilehrjahren — sah sich die SED-Führung erneut gezwungen erhebliche Mängel festzustellen. So erklärte das Politbüro in seinem Beschluß vom 3. Mai 1955, es bestünden noch „große Unklarheiten über den Weg zur Erhaltung des Friedens und zur Wiedervereinigung Deutschlands, über die nationale Aufgabe der Deutschen Demokratischen Republik“. Besonders interessant ist der Hinweis, daß „die Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft“ durch „pazifistische Stimmungen behindert“ würden und die Erziehung zur Freundschaft mit der UdSSR, Polen und der CSR „unzureichend“ sei.

Die Hauptschwächen in der Schulungsarbeit bestünden „in dem ungenügenden wissenschaftlichen Niveau, in der oft vom Leben losgelösten, dogmatischen Vermittlung des Marxismus-Leninismus und in der ungenügenden Entwicklung des ideologischen Kampfes". Das Politbüro kritisierte vor allem den Dogmatismus in der Schulung, der darin bestehe, „das theoretische Leitsätze abstrakt und losgelöst von den Aufgaben ier Partei in der gegenwärtigen Situation und von den Parteibeschlüssen behandelt werden". Auch Erscheinungen von Vulgarisierung und Verflachung wurden gerügt. Viele Parteileitungen hätten sich „völlig tngenügend mit dem Studium der Mitglieder im Parteilehrjahr beschäftigt“ und geduldet, „daß die Teilnahme am Parteilehrjahr zurückging und sich eine Reihe Zirkel, besonders der unteren Zirkelstufen ganz auflösten". In den Zirkeln gäbe es zu wenig Auseinandersetzungen über ideologische Fragen, und das theoretische und ideologische Wachstum der Parteimitglieder vollziehe sich zu langsam 21).

Auch die Ausbildung der Schulungsleiter wurde gerügt. Sie wären vielfach „ungenügend theoretisch und methodisch qualifiziert“ und „ungenügend zu kämpferischen Auseinandersetzungen in ideologischen Fragen“ erzogen. Daher würden vielfach Lektionen, Seminare und Zirkel auf einem niedrigen Niveau durchgeführt.

Offener und deutlicher als in offiziellen Beschlüssen der Parteiführung werden die Mängel in der Schulung in Artikeln der SED-Presse kritisiert. Die ständigen Klagen über mangelnde Beteiligung reissen nicht ab. So mußte die Funktionärszeitschrift „Neuer Weg" mitteilen, daß selbst die Propagandisten, die als Lehrer in den Zirkeln tätig sein sollen, in Potsdam nur zu 30 bis 40 v. H., in Riesa sogar nui zu 15 V. H. an den für sie vorgesehenen Propagandistenseminaren teilnehmen 22).

Ernster als die mangelhafte Teilnahme erscheinen der SED-Führung die „fehlerhaften Auffassungen", die immer wieder auftauchen, z. B. wenn im Bezirksseminar in Neubrandenburg die Politik der SED von 195 3 mit der Neuen Ökonomischen Politik in Sowjetrußland gleichgesetzt oder in einem Zirkel im Rat der Stadt Potsdam die Meinung vertreten wurde, „es könne im Sozialismus auch zu Krisen kommen, und zwar durch Witterungseinflüsse" 23).

Besondere Sorge bereitete der SED-Führung offensichtlich die während der Reise von Bundeskanzler Adenauer nach Moskau verbreitete Behauptung, „daß die Deutsche Demokratische Republik bei den kommenden Verhandlungen von der Sowjetunion preisgegeben werde 24).

Ein weiterer wunder Punkt ist der Versuch der Zirkelleiter und Referenten, „heißen Eisen“ auszuweichen und in die theoretischen Probleme des Marxismus zu flüchten. Immer wieder muß die SED-Presse darauf hinweisen, daß die theoretischen Fragen nicht losgelöst von der Tagespolitik behandelt werden dürfen. So gäbe es in der Bezirksleitung Dresden Lektionen über die nationale Frage, in denen sich die Referenten nicht mit der Oder-Neiße-Linie beschäftigten, und Lektionen über den Internationalismus, ohne daß die „enge Kampfgemeinschaft mit dem Sowjetvolk unterstrichen werde" 25). Besonders typisch für dieses Ausweichen war die scharf gerügte Lektion des SED-Funktionärs Kalek in der SED-Kreisabendschule in Rostock, die in der Feststellung gipfelte, „daß über die Rolle und die Aufgaben der Staatsgemeinschaft in der Deutschen Demokratischen Republik wenig zu sagen sei, dies sei eine kitzlige'Angelegenheit“ 26). Unzweifelhaft ist es der SED-Führung nach fast elfjähriger Schulungstätigkeit gelungen, einen nicht geringen Stamm von festen, der Partei ergebenen Funktionären heranzuziehen. Auf der anderen Seite ist es der SED-Führung — die dies übrigens auch selbst zugeben muß — trotz aller Anstrengungen weder gelungen, die „partei-und staatsfeindlichen Auffassungen“ in der Bevölkerung, noch Bedenken und Zweifel bei den SED-Funktionären selbst zu überwinden, die sich nicht selten über den Widerspruch zwischen der marxistischen Theorie auf der einen und der praktischen Politik der SED auf der anderen Seite ihre eigenen Gedanken machen.

Im Herbst 1955 deuteten einige Anzeichen darauf hin, daß das bereits zur Schablone erstarrte System der Parteischulung gewissen Veränderungen unterzogen werden sollte. Offensichtlich hatte sich gezeigt, daß angesichts der zunehmenden Spezialisierung innerhalb des sowjetzonalen Systems das bisherige Schulungssystem nicht mehr ausreicht. Trotz wiederholter Aufforderungen, „die Theorie mit der Praxis zu verbinden“, traten die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis deutlich zu Tage. Die theoretisch interessierten Funktionäre waren trotz ständiger Angriffe und Erklärungen nur schwer dazu zu bringen, grundsätzliche Vorlesungen mit der Propagierung praktischer Tagesmaßnahmen zu verknüpfen, während umgekehrt die in der Praxis stehenden Funktionäre — etwa im Staatsapparat oder in der Wirtschaft — einer auf allgemeine politische Fragen ausgerichteten Parteischulung oft nicht genügend Interesse entgegenbrachten.

Offensichtlich waren im Herbst 195 5 diese Widersprüche erkannt worden und sollten durch gewisse Veränderungen behoben werden.

Auf dem Gebiet der staatspolitischen Schulung wurde bestimmt, statt des einheitlichen Schulungssystems in Zukunft bei der Aufstellung der Themenpläne von bestimmten Aufgaben der einzelnen staatlichen Organe auszugehen. In den verschiedenen Zweigen der Staatsverwaltung, Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Handel und Versorgung sollten in Zukunft unterschiedliche Schulungsthemen behandelt werden. Auch die Anzahl und Art der cinzurichtenden Zirkel sollte in keiner Weise festgelegt und begrenzt werden, sondern weitgehend den einzelnen Gebieten angepaßt werden. Die Schulung sollte sich nicht mehr auf Lektionen und Seminare beschränken. Durch Vortragszyklen, Exkursionen, Kurzreferate, Lichtbildervorträge, Buchausstellungen hoffte die Parteiführung, das Schulungssystem zu beleben und lebendiger zu gestalten

Diese Veränderung in der staatspolitischen Schulung war der Auftakt für ähnliche Veränderungen innerhalb des Parteischulungssystems. Der Sekretär des ZK der SED Kurt Hager, einer der wichtigsten ideologischen Repräsentanten der Parteiführung, hat in seiner Rede auf dem 25. Plenum des ZK der SED erstmalig das Parteischulungssystem einer Kritik unterzogen.

In seinem Diskussionsbeitrag, der erst in der zweiten November-hälfte unter dem bezeichnenden Titel „Die Erstarrung in der ideologisch-politischen Arbeit überwinden" veröffentlicht worden ist, bemängelte der für ideologische Fragen verantwortliche ZK-Sekretär, daß die Partei-ihre ideologische Verpflichtung noch schlecht erfülle und nach wie vor zurück bleibe. Vor allem „weichen wir in der ideologisch-politischen Arbeit sehr häufig der prinzipiellen Auseinandersetzung aus". Die ideologische Arbeit trage „oft keinen kämpferischen Charakter, sondern ist häufig .. . ein seichtes liberales Gerede". Kurt Hager mußte zugeben, daß die Schulung „oftmals deshalb schlecht und wenig wirksam ist, weil sie nicht genügend lebendig und vielseitig ist". Der Lehrstoff werde trocken dargeboten, ohne lebendige Beispiele und ohne Beziehung zur Praxis.

Nach dieser Kritik folgten die entscheidenden Sätze: „In der ideologisch-politischen Arbeit macht sich eine gewisse routinemäßige Erstarrung bemerkbar. Das gilt m. E. auch für das Parteilehrjahr, das vielfach zu einem starren System geworden ist, anstatt zu einem Instrument der Partei, um die Parteimitglieder und Kandidaten an das selbständige Studium der Lehren des Marxismus-Leninismus heranzuführen, vom Nichtwissen zum Wissen und vom weniger tiefen zum immer tieferen Wissen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie durch neue Formen-Seminare, theoretische Beratungen, wissenschaftliche Diskussionen usw. die Parteipropaganda belebt werden kann"

Diese Hinweise deuteten eine bevorstehende Veränderung des gesamten Parteischulungsystems der SED an. Statt des bisherigen zentralisierten, hierarchisch abgestuften Schulungssystems sollte — entsprechend ähnlichen Veränderungen auf dem Gebiet des Staats-und Wirtschaftsapparates — eine gewisse Auflockerung dieses starren Systems erfolgen, es sollte stärker an die örtlichen Gegebenheiten und unterschiedlichen Notwendigkeiten angepaßt und lebendiger gestaltet werden.

Während die SED-Führung im Herbst 195 5 gerade erst zögernd begann, Veränderungen im Aufbau und den Schulungsmethoden anzudeuten — und auch die in noch sehr zurückhaltender Form — waren die. Wandlungen in der Sowjetunion bereits viel weiter gediehen. Ehe die SED-Führung noch die ersten Richtlinien über eine geplante Veränderung des Schulungssystems ausgearbeitet hatte, fand bereits in Moskau der 20. Parteitag der KPdSU statt, der die SED-Führung vor völlig neue, viel weitergehende Probleme stellte.

Die Auswirkungen des XX. Parteitages der KPdSU auf das Schulungssystem der SED

Es kann heute kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Parteiführung der SED von den weitgehenden Erklärungen auf dem 20. Parteitag der KPdSU, vor allem der Kritik an Stalin, überrascht worden ist. Noch im Dezember 195 5, drei Monate vor dem sowjetischen Parteitag, feierte die theoretische SED-Zeitschrift „Einheit" als „Bereicherung der marxistisch-leninistischen Lehre" das Erscheinen des 13. Bandes von Stalins Werken. In einer ausführlichen Analyse wurden alle in diesem Band enthaltenen Reden und Erklärungen Stalins (aus der Zeit von 1930— 1934) lobend hervorgehoben. Das Studium dieser Schriften vermittle nicht nur „einen tiefen Einblick in die Hauptprobleme der KPdSU, sondern ermöglicht uns vor allem ein tieferes Eindringen in die unbesiegbare Lehre des Marxismus-Leninismus, schult und übt uns in der schöpferischen Anwendung dieser Lehre"

Noch im Februar 1956, als in Moskau der 20. Parteitag bereits offene Kritik an Stalins Politik und seinen Schriften, darunter vor allem der „Geschichte der KPdSU“ übte, erklärte die SED-Zeitschrift „Einheit“, das Studium der Geschichte der KPdSU habe „einen großen Anteil an der Entwicklung unserer Partei“ und sei „ein wirksamer Beitrag zur Zerschlagung der Einflüsse der rechtssozialistischen Ideologie", vor allem sei es wichtig, „die Zerschlagung der feindlichen Auffassungen durch die KPdSU sorgfältig zu studieren", das Studium der Geschichte der KPdSU helfe, „Fehler vermeiden und die politische Arbeit verbessern"

Daß die SED-Führung von dem plötzlichen Kurswechsel in Moskau überrascht wurde, geht auch aus folgendem hervor: Am 14. Februar 1956 veröffentlichte „Neues Deutschland" die Grußbotschaft des Zentralkomitees der SED an den 20. Parteitag der KPdSU, die mit den Worten endete: „Es lebe die unbesiegbare Lehre von Marx, Engels, Lenin und Stalin“. Drei Tage später, als Ulbricht diese Botschaft auf dem Parteitag in Moskau verlas, schloß er mit den Worten: „Es lebe der Marxismus-Leninismus“

In der Tat brachten die Erklärungen'der Sowjetführer auf dem 20. Parteitag die SED in nicht geringe Verlegenheit, denn sie hatte sich von allen Parteien der Ostblockstaaten am wenigsten den nach Stalins Tod in der UdSSR vorgenommenen Veränderungen angepaßt. Es ist hier nicht der Platz, den 20. Parteitag der KPdSU im allgemeinen zu beleuchten; nur einige Erklärungen seien erwähnt, die für das Verständnis der jetzigen Veränderungen in der SED-Schulung von Bedeutung sind.

Dazu gehört zunächst die Verurteilung des Personenkultes und der Alleinherrschaft Stalins durch den sowjetischen Parteitag. Die öffentliche Erklärung Mikojans, „daß ungefähr 20 Jahre lang“ in der UdSSR „keine kollektive Leitung bestand, weil der Persönlichkeitskult blühte“, und dies „mußte sich natürlich negativ auf die Lage der Partei auswirken“ sowie ähnliche Erklärungen von Bulganin, Suslow und Malenkow (der sogar von „Willkür“ in der sowjetischen Vergangenheit sprach), dürften für die SED-Führung besonders bedeutungsvoll gewesen sein, da gerade in der SED nicht nur der Personenkult mit den eigenen Führern, sondern auch der Stalin-Kult stets besonders forciert worden war! Es sei nur daran erinnert, daß zum 70. Geburtstag Stalins dieser von Ulbricht als „höchste Verkörperung des Parteiführers neuen Typus“ und „großer Theoretiker des Sozialismus“ gepriesen worden war Im Glückwunsch des ZK der SED zum 71. Geburtstag Stalins wurde dieser als „der Führer und Lehrer“ und „der Lenin unserer Tage“ bezeichnet Im Laufe des Jahres 1952 hatte das Zentralkomitee der SED fünf unterwürfige Telegramme an Stalin gesandt, (am 3. April zur 30. Wiederkehr seiner Wahl zum Generalsekretär; am 12. Juli in der Grußadresse der 2. Parteikonferenz der SED; am 4. Oktober zum 19. Parteitag der KPdSU; am 7. November zum 35. Jahrestag der Oktoberrevolution und am 21. Dezember zu seinem 73. Geburtstag).

Auch die Kritik an Stalins letzter Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ auf dem 20. Parteitag, verurteilte indirekt eine Reihe früherer offizieller SED-Beschlüsse. Die Erklärung Mikojans auf dem 20. Parteitag, bei der Analyse der Wirtschaft des modernen Kapitalismus könne die Stalin-Schrift „wohl kaum helfen und dürfte wohl kaum richtig sein" und auch noch „einige andere Leitsätze“ in diesem Buch „müßten vom Standpunkt des Marxismus-Leni-nismus kritisch revidiert werden" richtete sich gegen eine Schrift, die vom ZK der SED am 7. November 1952 als „geniale Arbeit" bezeichnet worden war, die „eine wertvolle Hilfe und Unterstützung" für die SED sei und „unserer Partei neue wirksame Waffen zum Kampf“ gebe. Im Glückwunsch des ZK der SED vom 21. Dezember 1952 wurde diese Schrift als „großes wissenschaftliches Werk" bezeichnet, und noch nach dem Tode Stalins, am 13. April 1953, erschien ein Beschluß des Sekretariats des ZK der SED „Gegen das Versöhnlertum in ideologischen Fragen“, in dem eine Reihe von Parteiorganisationen gerügt wurden, weil sie das Studium des „grundlegenden Werkes des Genossen Stalin . Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR'nur mangelhaft durchführten“. Besonders die Leitung der Hochschule für Planökonomie wurde wegen „mangelhaften Studiums“ der Stalin-Schrift stark angegriffen. In diesem Zusammenhang wurden sogar personelle Absetzungen und Degradierungen vorgenommen.

Besondere Schwierigkeit bereitete der SED-Führung die Kritik des 20. Parteitages am „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“. Aus der Erklärung Chruschtschows, daß statt des bisherigen „Kurzen Lehrganges der Geschichte der KPdSU“ ein „populäres, auf den historischen Tatsachen beruhendes marxistisches Lehrbuch der Parteigeschichte geschaffen werden muß“ geht eindeutig hervor, daß die nachstalinsche Führung der UdSSR, — übrigens mit vollem Recht — die bisherige amtliche Parteigeschichte als ein Buch betrachtet, das nicht auf dem Boden der historischen Tatsachen steht. Auch die teilweise noch weitergehenden Erklärungen von Mikojan und der sowjetischen Historikerin Pankratowa auf dem Parteitag zeigten dies deutlich an.

Mit dieser sowjetischen Kritik war das entscheidendste ideologische Lehrbuch des gesamten Ostblocks, das auch für die Entwicklung der SED eine so entscheidende Rolle gespielt hat, öffentlich angegriffen worden. Die SED-Führung hatte dieses Buch in zwei offiziellen Beschlüssen (September 1948 und Mai 1949) zur Grundlage der gesamten SED-Schulung gemacht. Zum 10. Jahrestag des Erscheinens des „Kurzen Lehrganges der Geschichte der KPdSU" hatte Ulbricht das jetzt kritisierte Buch als eine „Enzyklopädie für die deutschen Arbeiter" und „Enzyklopädie des Grundwissens des Marxismus-Leninismus“ bezeichnet und auf der Organisationskonferenz der SED (7. und 8. Juni 1949) hatte Ulbricht gefordert, dieses „Lehrbuch des Marxismus-Leninismus . . . zur Grundlage der gesamten Schulung zu machen". In allen sechs Parteilehrjahren der SED hatte der „Kurze Lehrgang“ eindeutig vor allen anderen politischen Schriften den Vorrang, und das Studium dieser Schrift war immer wieder forciert worden.

Schließlich konnte auch die offizielle Verkündung der These vom unterschiedlichen Weg zum Sozialismus auf dem 20. Parteitag der KPdSU nicht ohne Wirkung auf die SED bleiben. Die Erklärung Chruschtschows, „daß die Formen des Überganges zum Sozialismus immer mannigfaltiger werden" und Suslows „daß sich der Übergang zum Sozialismus in den kapitalistischen Ländern künftig durch noch stärkere Eigenarten auszeichenen wird, daß immer neue Formen für den Über-gang zum Sozialismus entstehen werden" und andere Ausführungen auf dem 20. Parteitag, bedeuteten in ihrer Konsequenz für die SED eine nachträgliche offizielle Rechtfertigung jener Thesen, die Anton Ackermann in seinem vielbeachteten Artikel „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?“ im Januar 1946 veröffentlicht hatte.

Ackermann war davon ausgegangen, daß Karl Marx einen revolutionären Übergang zum Sozialismus auf die kontinentalen Länder beschränkte, im damaligen England und Amerika aber einen friedlichen demokratischen Übergang zum Sozialismus für möglich hielt, weil diese Länder bürgerlich-demokratische Regierungsformen ohne besonders ausgeprägten Militarismus und große Bürokratie besaßen. Daraus zog Anton Ackermann den Schluß, „daß es falsch wäre, unter allen Um-ständen, für alle Länder und Zeiten“ die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus zu verneinen: „Dieser Übergang ist dann auf relativ friedlichem Wege möglich, wenn die Klasse der Bourgeosie durch besondere Umstände nicht über den militaristischen und bürokratischen staatlichen Gewaltapparat verfügt. ..“. Nachdem er dargelegt hatte, daß für Deutschland nach 1945 die Möglichkeit einer solchen friedlichen Entwicklung gegeben sei, betonte Ackermann in seinem Artikel, die Entwicklung zum Sozialismus in Deutschland würde sich von der Rußlands nach 1917 unterscheiden. Diese Unterschiede könnten sich dahingehend auswirken, daß bei einer zukünftigen sozialistischen in Deutschland „im Verhältnis zu den Opfern, die vom russischen Volk für den Aufbau des Sozialismus gebracht werden mußten, unsere Anstrengungen relativ geringer sein werden; das Anwachsen des sozialistischen Wohlstandes kann unter Umständen rascher vor sich gehen“. Auch der innere politische Kampf würde sich „weniger opferreich gestalten“ und „die Entfaltung der sozialistischen Demokratie“ könnte beschleunigt verwirklicht werden

Diese These vom unterschiedlichen Weg zum Sozialismus war in den Jahren 1946 und 1947 von Gomulka (Polen), Togliatti (Italien), Gott-wald (Tschechoslowakei), Dimitroff (Bulgarien) und Thorez (Frank-reich) unterstützt, seit der Gründung der Kominform im Herbst 1947 jedoch mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt und schließlich nach dem Ausschluß der jugoslawischen Kommunisten aus der Kominform im Sommer 1948 offiziell verurteilt worden. So hieß es in der Resolution der 13. Tagung des Parteivorstandes der SED vom September 1948: „Der Parteivorstand stellt fest, daß auch in der SED falsche . Theorien'über einen . besonderen deutschen Weg'zum Sozialismus vorhanden sind . . . Der Versuch, einen solchen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus zu konstruieren, würde dazu führen, das große sowjetische Beispiel zu mißachten“.

Anton Ackermann wurde, sicher wider besseres Wissen, dazu gezwungen, seine frühere These zurückzunehmen. „Diese Theorie enthält das Element einer Abgrenzung von der Arbeiterklasse und von der bolschewistischen Partei der Sowjetunion", erklärte er in seiner Selbstkritik Auch später zog die SED-Führung wiederholt gegen diese These des unterschiedlichen Weges zum Sozialismus zu Felde. Ulbricht warf den Anhängern dieser These in der SED vor, sie würden „den Klassenkampf unterschätzen“ und wollten „die alte Praxis aus der Weimarer Republik fortsetzen“ Im Sommer 1950 behauptete er, diese These würde vor allem von ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen aus Jugoslawien, Trotzkisten und ehemaligen KPO-Leuten vertreten

Von den neuen Erklärungen auf dem 20. Parteitag waren — vom Standpunkt der ideologischen Schulungsarbeit der SED aus gesehen — also vor allem die Kritik am Personenkult und an Stalins Alleinherrschaft, die Kritik am „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU" und Stalins letzter Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“, sowie die offizielle Proklamierung des unterschiedlichen Weges zum Sozialismus in den verschiedenen Ländern von entscheidender Bedeutung. Hinzu kam schließlich das Referat Chruschtschows auf der Schluß-Sitzung des Parteitages am 25. Februar (als „Geheimbericht“ bekannt), mit der bisher weitestgehenden Kritik an Stalin. Es ist anzunehmen, daß die in Moskau anwesenden Parteiführer, obwohl sie an dieser Sitzung nicht teilgenommen haben, über die Grundthesen des Chruschtschow-Berichtes vom 25. Februar informiert worden sind.

Die offensichtliche Verwirrung der SED-Führung über die weitgehenden Erklärungen auf dem 20. Parteitag ging aus der Behandlung der neuen sowjetischen Probleme im Rahmen der Parteischulung deutlich hervor. Am 25. Februar erließ die Abteilung Wissenschaft und Propaganda des ZK der SED die erste Direktive über das Studium des 20. Parteitages im Rahmen des Parteilehrjahres. In dieser Direktive wurden alle Zirkel des Parteilehrjahres instruiert, bei der Behandlung der Materialien des sowjetischen Parteitages die wirtschaftlichen Fragen in den Mittelpunkt zu stellen und vor allem „den Fragen des technischen Fortschrittes und der Entwicklung der Arbeitsproduktivität größte Aufmerksamkeit zu schenken". Diese Probleme seien „im Zusammenhang mit den Grundfragen des 2. Fünfjahresplanes in der DDR zu behandeln“ Von der Kritik an Stalins Schriften, der Abkehr und Verurteilung einiger Maßnahmen Stalins, ja nicht einmal von der scharfen, auf dem 20. Parteitag geübten Kritik am Personen-kult war in dieser Direktive die Rede. Auch am nächsten Zirkelabend des Parteilehrjahres sollten nicht diese Fragen, sondern diesmal „die Perspektiven des Sozialismus und Kapitalismus" und „die zwei entgegengesetzten Hauptrichtungen in den internationalen Ereignissen" behandelt werden

Erst Anfang März 1956, etwa zwei Wochen nach Beendigung des 20. Parteitages, erfolgte die ideologische Umstellung in der SED, die gerade für diese Partei besonders überraschend kam, da, wie bereits erwähnt, die SED-Führung bis zum 20. Parteitag von den bereits vorhergehenden ideologischen Veränderungen in der UdSSR kaum Kenntnis genommen hatte. Der Auftakt zur ideologischen Umstellung war ein langer Aufsatz Walter Ulbrichts im Zentralorgan der SED. Die entscheidenden Sätze dieses Artikels lauten: „Das Zentralkomitee der KPdSU hat bestimmte theoretische Fehler, wie sie z. B. in Stalins Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus“ enthalten sind, korrigiert. Es wurde auch die von Stalin vertretene Auffassung korrigiert, daß sich mit den fortschreitenden Erfolgen des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion der Klassenkampf verschärfe . . . Wenn man von Genossen gefragt'wird, , ob Stalin zu den Klassikern des Marxismus gehört', kann man darauf nur antworten: Zweifellos hat Stalin nach dem Tode Lenins bedeutende Verdienste beim Aufbau des Sozialismus und im Kampf gegen die parteifeindlichen Gruppierungen der Trotzkisten, Bucharinleute und bürgerlichen Nationalisten. Als sich Stalin jedoch später über die Partei stellte und den Personenkult pflegte, erwuchsen der KPdSU und dem Sowjetstaat daraus bedeutende Schäden. Zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus kann man Stalin nicht rechnen . .'. Zur Verhinderung des Personenkults ist es notwendig, in der ganzen ideologischen Arbeit die wichtigsten Lehrsätze des Marxismus-Leninismus über das Volk als den Schöpfer der Geschichte, als den Schöpfer aller materiellen und geistigen Reichtümer der Menschheit und über die entsdreidende Rolle der marxistischen Partei im Kampf für die Umgestaltung der Gesellschaft, für den Sieg des Kommunismus, hervorzuheben . . .“

Erst nach dieser Erklärung Walter Ulbrichts ging das ZK der SED dazu über, wenigstens einige der wirklich zentralen Fragen des sowjetischen Parteitages in den Schulungszirkeln der SED behandeln zu lassen. In der dritten Schulungsdirektive vom 16. März wurde erstmals die Kritik am Personenkult und die Behandlung des Prinzips der Kollektivität der Leitung erwähnt, aber auch hier fehlte noch jede Kritik an Stalin. Es wurde sogar der Eindruck zu erwecken versucht, als ob in der SED bereits seit jeher das Prinzip der kollektiven Leitung bestanden hätte: „Der Propagandist soll bei der Behandlung des Leninschen Prinzips der Kollektivität der Leitung auf Artikel 26 unseres Parteistatuts hinweisen und zeigen, daß es gilt, dieses Prinzip in unserer Partei ständig besser anzuwenden“

Die in der UdSSR immer weitergehende Kritik an Stalin rief in der SED beträchtliche Verwirrung hervor. Ulbricht sah sich genötigt, zu den neuen politischen und ideologischen Thesen noch einmal Stellung zu nehmen. In seiner Rede auf der Berliner Bezirksdelegierten-Konferenz der SED erklärte er, daß durch Stalins falsche Theorie über die Verschärfung des Klassenkampfes im Sozialismus „der Stoß der Sicherheitsorgane sich faktisch gegen einen Teil der Kommunisten richtete“, Er gab zu, daß durch die weitere Entwicklung „die Sowjetdemokratie teilweise entstellt worden" sei und wies die These zurück, daß Stalin ein genialer Feldherr wäre („das hat Genosse Stalin selbst in seine Biographie hineingeschrieben"), Stalin sei nicht der Autor des „Kurzen Lehrganges der Geschichte der KPdSU", sondern dieses Buch sei eine Kollektivarbeit, und die Entstellungen in diesem Buch fänden sich vor allem in den letzten Kapiteln.

Ulbricht wies ferner darauf hin, daß man zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus nur Marx, Engels und Lenin zählen könne, da nur sie „den wissenschaftlichen Sozialismus durch große wissenschaftliche Schöpfungen und durch große Leistungen in der Durchführung dieser Lehre wirklich in großem Maße bereichert haben.“ Dieses treffe jedoch für Stalin nicht zu: „Wenn Genosse Stalin die Leninschen Normen so verletzt und außerdem bestimmte Fehler in der Durdtführung der Politik der Partei gemadit hat, dann kann man nidtt sagen, daß er zu den Klassikern gehört. Das bedeutet nicht, daß etwa'alles, was Genosse Stalin geschrieben hat, als falsch erklärt würde oder daß man die Bände von Stalin nicht mehr benutzen darf. Kein Mensch spricht davon. Stalin ist jetzt auf den Platz gestellt worden, der seiner Rolle und seiner Tätigkeit entspricht und nicht mehr auf den Platz, der dank des Personenkultes früher konstruiert worden war“

Die Fragen der Einschätzung Stalins und seiner Schriften und die Veränderungen in der Schulung wurden auch auf der 5. Parteikonferenz der SED (24. — 30. März 1956) behandelt. Auf dieser Parteikonferenz, an der 2 500 Delegierte und 500 Gäste teilnahmen, bezeichnete das Mitglied des Politbüros der SED, Karl Schirdewan, die Entwicklung in der UdSSR nach Stalins Tod als „einen großen Klärungsprozeß“, der die Überwindung „einer Reihe von Irrtümern und Fehlern in den theoretischen und praktischen leitenden Fähigkeiten Stalins“ zum Ziel habe.

Schirdewan war dabei bestrebt, die Kritik an Stalin nicht zu weit gehen zu lassen: „Bedeutet das, daß Stalin nicht große Leistungen für die KPdSU und für die Sowjetunion, für die internationale Arbeiterklasse voll-bracltt hat? Nein, das bedeutet es nicht. Natürlich hat Stalin ebenso wie andere Führer der KPdSU und der internationalen Arbeiterbewegung bedeutende Leistungen als marxistischer Denker und Praktiker vollbracht . . . Was die Würdigung Stalins anbelangt, so müssen wir unsere bisherigen Anschauungen einer Revision unterziehen. Wir sahen in Stalin die hervorragende Verkörperung der Leitung der KPdSU und betrachteten ihn als denjenigen, der als getreuer Schüler von Marx, Engels und Lenin, erprobt in unzähligen Kämpfen, uns ein großer Lehrmeister sein konnte, und das, Genossinnen und Genossen, trifft auch für verschiedene Etappen seiner Tätigkeit zu. Aber in den letzten fünfzehn Jahren seiner leitenden Arbeit sind Fehler und Irrtümer in seinem Wirken aufgetreten, durch die der Sache des Sozialismus Schaden entstanden ist“

In ähnlicher Weise wie Schirdewan hat auch der Sekretär des ZK der SED, Kurt Hager, der gegenwärtig in erster Linie für ideologische Fragen verantwortlich sein dürfte, sich gegen eine zu weitgehende Ent-stalinisierung in der Ideologie gewandt. Er rügte einige Historiker in der Sowjetzone, die sich gegen politische Forderungen an die Gesellschaftswissenschaft, gegen eine forcierte Aktualisierung der Geschichtswissenschaft und gegen eine Vermischung der Wissenschaft und Agitation ausgesprochen hatten. Auch Professor Jürgen Kuczinsky (SED) wurde von dieser Kritik betroffen.

Erst nach dieser Warnung vor einer zu weitgehenden Entstalinisierung sprach sich Hager für „die Überwindung einer gewissen Erstarrung und Engherzigkeit“ aus und forderte „mehr freimütige Diskussionen und geistige Auseinandersetzungen, aus dem die Wahrheit entspringt und weniger erhobene Zeigefinger.“ Es sei völlig unerträglich, „daß es an wissenschaftlichen Instituten eine sogenannte . Chefideolgie’ gibt, d. h. daß die Anschauungen des Chef heilig sind und absolute Gültigkeit besitzen, während die Mitarbeiter nicht zu Wort kommen , nd ein wissenschaftlicher Meinungsstreit fehlt.“

Die Aufgabe besteh» jetzt darin, „sich von einer gewissen dogmatischen Unduldsamkeit in der wissenschaftlichen Diskussion freizumachen", so wie von der Theorie loszukommen, „daß jede Anschauung eines sowjetischen Wissenschaftlers eine unumstößliche Wahrheit letzter Instanz sei und daß daneben keine andere Anschauung mehr möglich sei"

Die plötzliche ideologische Wendung — selbst in den hier aufgezeigten Grenzen — hat unter den Parteifunktionären und Mitgliedern der SED so große Verwirrung hervorgerufen, daß die Parteipresse wiederholt dazu Stellung nehmen mußte. So sah sich das Mitglied des Politbüros Karl Schirdewan genötigt, im Funktionärorgan „Neuer Weg“, Mitte April, noch einmal vor zu weitgehender Kritik zu warnen: „Manche Leute sprechen über die Erziehungsarbeit der Partei des gangenen Jahrzehnts jetzt ein wenig spöttisch und leiditsinnig. Andere wiederum betrachten die Kritik am Dogmatismus und an dem Festhalten an veralteten Lehrsätzen als eine Erschütterung des Vertrauens in die Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus Es gibt Genossen, die durch die Kritik am Personenkult, besonders aber an Stalin, voller Verwirrung nur noch Fehler sehen und diese nicht von der Flöhe des gewaltigen Wachstums der sozialistischen Wache in der Welt betrachten. Andere wollen die objektive geschichtliche Würdigung Stalins im Rahmen der großen schöpferischen Rolle der KPdSU und ihres Zentralkomitees seit Lenins Tod gleichsetzen mit der vollkommenen Mißachtung vieler seiner Leistungen, weil sie sich Stalin als einen marxistisdten Führer mit positiven und negativen Seiten unter vielen leitenden Marxisten der internationalen Arbeiterbewegung nicht vorstellen können ..."

Auch „Neues Deutschland“ warnte vor der Tätigkeit „des Feindes", der versucht, sich „in unsere große Diskussion einzumischen“ und „die Aneignung neuer Erkenntnisse hindern und diesen ideologischen Reifeprozeß bei unseren Genossen stören" will. Das SED-Zentralorgan erklärte, daß „sich einige Mitglieder unserer Partei verwirren lassen". Es habe Fälle gegeben, „wo die große Aussprache in unserer Partei das Ringen um die Aneignung der neuen Probleme von einigen Mitgliedern als Verzicht auf die revolutionäre Tradition der Arbeiterklasse verstanden wird“

Die hier aufgezeigen Beispiele, die durch viele andere ähnliche Ausführungen ergänzt werden könnten, zeigen das Bestreben der SED-Führung an, die ideologische Entstalinisierung, darunter vor allem die Kritik an der Stalin-Ara und die Abkehr von manchen Thesen und Schriften Stalins, zu begrenzen und nicht jene Ausmaße erreichen zu lassen, wie in anderen Staaten des Ostblocks, vor allem in der UdSSR und Polen. Das Zurückbleiben der Sowjetzone in der Entstalinisierung beschränkt sich keineswegs nur auf die Ideologie, es wird u. a. auch dadurch deutlich, daß in der Sowjetzone bisher weder eine Absetzung oder gar Verurteilung prominenter Stalinisten, noch eine Rehabilitierung von Opfern der Stalin-Ära erfolgt ist, wie das in fast allen anderen Ostblockstaaten bereits seit 1954, vor allem aber in den jüngsten Monaten wiederholt geschehen ist.

Die jüngsten Veränderungen in der SED-Schulung

Trotz dieses Zurückbleibens gegenüber den anderen Ostblockstaaten scheint es der SED-Führung unmöglich zu sein, sich auf die Dauer dem allgemeinen Prozeß der ideologischen Entstalinisierung zu entziehen. Diese ideologische Wandlung, die in der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten, vor allem durch die Kritik an Stalinschen Schriften und Thesen, die Loslösung von veralteten, den modernen Bedingungen nicht mehr entsprechenden Leitsätzen, die Annäherung der Ideologie an die tatsächlichen Gegebenheiten, eine schrittweise Befreiung vom Dogmatismus und der Zitatensucht und eine objektivere Betrachtung der Entwicklung in der nichtsowjetischen Welt gekennzeichnet ist. hat — wenn auch in beträchtlich abgeschwächter Form — in den jüngsten ideologischen Veränderungen der SED zumindest teilweise ihren Niederschlag gefunden.

Die Veränderungen, die sich auf dem Gebiet der Schulungsarbeit der SED abzuzeichnen beginnen, sind vor allem durch eine stärkere Hin-wendung zu ökonomischen Problemen, die Forderung nach engster Verbindung der Parteischulung mit den praktischen Gegenwartsaufgaben und ein Zurückdrängen des geschichtlichen Lehrstoffes in der Partei-schulung gekennzeichnet. Dabei wird allerdings stets der Versuch gemacht, den Unterschied gegenüber der bisherigen Tätigkeit auf dem Gebiet der Ideologie und Schulung nicht zu deutlich werden zu lassen, die Veränderungen möglichst langsam und kontinuierlich zu vollziehen und dabei jede zu weitgehende Kritik, selbst wenn sie sich völlig logisch aus der jetzigen Umstellung ergeben würde, zu unterbinden. Schließlich erfolgte in jüngster Zeit, wenn auch mit erheblicher Verspätung gegenüber der UdSSR, eine stärkere Betonung und Hervorhebung der Schriften Lenins, verbunden mit einer gleichzeitigen Zurücksetzung der Schriften Stalins.

Die beginnende Umgestaltung der SED-Parteischulung wurde Anfang Mai mit einem richtungsweisenden Artikel des Sekretärs des ZK der SED für ideologische Fragen, Kurt Hager, eingeleitet.

Kurt Hager wandte sich zunächst gegen eine völlig negierende Kritik der bisherigen Parteischulungsarbeit und erklärte, die bisherige Form in der Schulung der Parteilehrjahre, an der Hunderttausende Mitglieder und Kandidaten teilgenommen haben, hätte nicht unwesentlich zum ideologischen und organisatorischen Wachstum der Partei beigetragen. Allerdings sei die Schulungsarbeit bisher „vielfach formal und vom Leben so gelöst durchgeführt" worden und selbst jetzt noch sei die Schulung „nach wie vor von Dogmatismus und Buchstabengelehrtheit durchdrungen".

Die Kritik des ZK-Sekretärs an der bisherigen Schulungsarbeit richtete sich vor allem gegen die dogmatisch-starren Methoden: „Es muß offen gesagt werden, daß der Dogmatismus durch die vom Zentralkomitee herausgegebenen Lehrpläne, methodischen Anleitungen, Hinweise und schriftlichen Lektionen gefördert wurde, denn diese Pläne und Anweisungen legten nicht nur Thema und Zeitpunkt aller Zirkel genau fest, sondern schrieben den Propagandisten auch bis in alle Einzelheiten vor, wie er den Lehrstoff zu behandeln habe. Bei der Festlegung des Systems des Parteilehrjahres und der Aufstellung von Themenplänen wurde nicht immer davon ausgegangen, das Parteilehrjahr genau so zu gestalten, daß es den Parteimitgliedern hilft, die Politik der Partei im täglichen Kampf zu verwirklichen. Die Lektoren und Propagandisten wurden dazu erzogen, bestimmte Themen, z. B. über die Werke der Klassiker des Marxismus-Leninismus vorzutragen und mit Zitaten um sich zu werfen, anstatt sich den Lehrstoff lebendig und schöpferisch anzueignen. Es entstand ein starres System. Das Lehrjahr wurde mit theoretischen Lehrsätzen derart überladen, daß der Propagandist wenig Möglichkeit besaß, die Erfahrungen aus der praktischen Arbeit der jeweiligen Parteiorganisation zu verallgemeinern und auszuwerten.“

Nadi dieser Kritik an der bisherigen Parteischulung der SED wies der ZK-Sekretär Hager darauf hin, daß der Schwerpunkt der Partei-schulung in Zukunft auf das Studium der Probleme der Gegenwart, vor allem auf ökonomische Fragen festgelegt werden müsse. Im bevorste-henden Parteilehrjahr 1956— 57 würde das „Studium der marxistisch-leninistischen Ökonomie und der konkreten Wirtschaftspolitik im Vordergrund stehen“. In den SED-Parteischulen würden die Lehrprogramme ebenfalls in einer solchen Weise verändert werden, „daß die Fragen der politischen Ökonomie und der konkreten Wirtschaftspolitik in der DDR und der Politik der Partei zur Förderung des wissenschaftlich technischen Fortschrittes an die erste Stelle rücken“.

Schließlich verlangt Kurt Hager, die Werke Lenins gründlicher als bisher zu studieren und die Arbeiten Lenins aus den Jahren 1918— 1924 über die Fragen des sozialistischen Aufbaues in der ersten Periode der UdSSR beschleunigt herauszugeben. Dies dürfte mit der in der Sowjetunion bereits seit längerer Zeit deutlich werdenden Tendenz zu erklären sein, eine Revision der Geschichte der UdSSR vorzunehmen und vor allem Lenins Genossenschaftsplan der Stalinschen Kollektivisierung und Lenins Nationalitätenpolitik der Stalinschen Russifizierung entgegenzustellen. Mitte Juni widmete das SED-Zentralorgan den Werken Lenins einen besonderen Artikel, in dem mitgeteilt wurde, daß die SED-Führung „verstärkte Anstrengungen unternommen habe“ um das „Zurückbleiben“ in der Publikation von Lenins Werken „aufzuholen“. Die Herausgabe von bisher noch nicht veröffentlichten Arbeiten Lenins (die offensichtlich in der Stalin-Ara zurückgehalten wurden) und die beschleunigte Veröffentlichung des Gesamtwerkes von Lenin wird in Aussicht gestellt. Die aus zwei Bänden bestehenden „Ausgewählten Werke W. I. Lenins", bisher in 200 000 Exemplaren erschienen, werden erstmalig als „marxistisches Standardwerk" bezeichnet und die Parteimitglieder zum vordringlichen Studium dieser Bände aufgefordert

Interessanterweise wird im gleichen Artikel auch die von Stalin geführte und in der „Geschichte der KPdSU“ dargelegte dogmatische Aufteilung der vier Bücher Lenins „Was tun?“, „Ein Schritt vorwärts — zwei Schritte zurück“, „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in.der demokratischen Revolution“ und „Materialismus und Empiriokritizismus“, die angeblich jeweils die „ideologischen", „organisatorischen“, „taktischen“ und „theoretischen“ Grundlagen der Partei zum Ausdruck bringen sollen, einer Kritik unterzogen. Diese Grundlagen, so wird jetzt betont, seien auch „in anderen Arbeiten Lenins und in den Parteibeschlüssen formuliert und entwickelt worden".

Wie sehr sich die SED-Ideologen auch jetzt noch im Banne der von ihnen verurteilten starren dogmatischen Methoden befinden, geht u. a. aus der Bemerkung im gleichen Artikel hervor, man finde „im Bücher-ständer manches Genossen" Bücher von Lenin, „in denen nur ganz wenige Seiten durch Unterstreichungen als wirklich angeeignet kenntlich sind“.

Die Meinung, man könne nur durch Anstreichen den Leninismus studieren und Unterstreichungen seien die unabdingbaren Merkmale ernsthaften Studiums, ist ein kleines, aber typisches Beispiel dafür, wie sehr die SED-Schulungsfunktionäre trotz teilweiser Entstalinisierung noch in Stalinscher Dogmatik und Stalinschen Schulungsmethoden behaftet sind.

Am 10. Mai faßte das Sekretariat des ZK der SED den Beschluß über das Parteilehrjahr 1956— 57. Die schon 1955 erkennbar gewesene Tendenz, die praktischen, vor allem wirtschaftlichen Fragen des „sozialistischen Aufbaus" in den Vordergrund zu rücken, wird nun zum A und O der gesamten Parteischulung erklärt. „Mit dem zweiten Fünfjahrplan wird die Voraussetzung für das künftige einige Deutschland, in dem das arbeitende Volk bestimmen wird, geschaffen . . Im Mittelpunkt der gesamten Parteipropaganda müssen daher die Probleme der politischen Ökonomie des Sozialismus und der Wirtschaftspolitik der SED und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik stehen“.

Entsprechend dieser Direktive wird das System des Parteilehrjahres sehr weitgehend geändert. Der „Zirkel zum Studium einiger Probleme der ökonomischen Politik der Partei in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus“ rückt von der dritten auf die erste Stelle. Während im vergangenen Parteilehrjahr die Zirkel unterschieds-losfür Parteilose, Kandidaten, Mitglieder und Funktionäre bestimmt waren, wird die externe Schulung jetzt in eine für Mitglieder und eine für Funktionäre geschieden. Die „Geschichte der KPdSU“ ist vom Themenplan völlig verschwunden, offensichtlich, weil nach der Kritik des 20. Parteitages der KPdSU an der bisherigen sowjetischen Ge-

schichtsschreibung kein den neuen Bedingungen angepaßtes Lehrmaterial vorhanden ist, das den verurteilten „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“ ersetzen könnte. Auch die Themen über Strategie und Taktik der SED, das Parteistatut und Grundfragen der marxistischen politischen Ökonomie sind aus der Mitgliederschulung verbannt. Dafür werden spezifizierte Fragen des 2. Fünfjahrplanes in der Sowjetzone, gesondert für Industrie und Landwirtschaft, behandelt, und zwar im Rahmen des erwähnten Zirkels für die ökonomische Politik der Übergangsperiode. Der Zyklus der Landwirtschaft ist nochmals untergliedert in Themenpläne für Teilnehmer aus den Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS), den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und volkseigenen Gütern (VEG), die außerdem auf spezielle Probleme der einzelnen örtlichen Betriebe abgestellt werden sollen.

Für Funktionäre werden erstmals „Lektionszyklen zu speziellen Problemen des Marxismus-Leninismus“ eingeführt, um „den Funktionären in Partei, Staat und Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, ein spezialisiertes Studium der theoretischen und praktischen Probleme durchzuführen, die für ihre Tätigkeit besonders wichtig sind“.

Die Teilnehmer an diesen Zyklen brauchen an anderen Zirkeln des Parteilehrjahres nicht teilzunehmen, sollen aber als Propagandisten zur Unterstützung der Schulungsarbeit tätig sein (Ausarbeitung von Lektionen, Artikel für die Presse, Seminare in Betrieben usw.). Für diese Lektionszyklen schreibt das ZK der SED „Rahmenthemenpläne" für Funktionäre im Maschinenbau, im Braunkohlenbergwerksbau, im Bau-wesen und in der Landwirtschaft vor, die ausschließlich praktische Fragen der betreffenden Fachgebiete behandeln.

Grundsätzliche politische Themen werden in den Zyklen „für Parteisekretäre und Mitglieder der Parteileitungen“ und im Zyklus „für Genossen, die auf dem Gebiet der atheistischen Propaganda arbeiten, durchgenommen. In diesen Zyklen werden u. a. solche Fragen wie die Lehre von der Partei neuen Typus, darunter das Parteistatut, der demokratische Zentralismus und die Kollektivität der Leitung, der Partei-aufbau, die marxistisch-leninistische Erziehung der Parteimitglieder und die Erziehung der Masse der Werktätigen zum sozialistischen Bewußtsein behandelt, sowie Fragen des Staates, darunter die marxistischleninistische Lehre von der Entstehung und dem Wesen des Staates und des Rechts, von der Revolution und der Diktatur des Proletariats, die Rolle der Volksmassen und der Persönlichkeit in der Geschichte, der Charakter des „Bonner Staates" und der Staatsaufbau der Sowjetzone.

Neu ist auch ein Zyklus zu internationalen Fragen (darunter die allgemeine Krise des Kapitalismus und ihre Verschärfung nach dem 2. Weltkrieg, Lenin über die Möglichkeit des friedlichen Nebeneinander-bestehens von Ländern mit verschiedener Gesellschaftsordnung und das Prinzip der Koexistenz).

Für diejenigen Funktionäre, die auf dem Gebiet der atheistischen Propaganda arbeiten, sind zusätzliche Vorlesungen über die Stellung des Marxismus-Leninismus zur Religion, Wesen und Ursprung der Religion, sowie Lektionen über Physik, Astronomie und Biologie und schließlich das Thema „Die Bedeutung der sozialistischen Moral für den Kampf um den Aufbau des Sozialismus“ vorgesehen.

An den Kreisabendschulen wird der 1955 begonnene Zyklus „Politische Ökonomie" zu Ende geführt, allerdings ist der Themenplan „modernisiert“ worden. Das Thema „Die vorkapitalistischen Produktionsweisen“ ist gestrichen. Vorher allgemein betitelte Lektionen wie „Der Arbeitslohn unter den Bedingungen des Kapitalismus“ oder „Die allgemeine Krise des Kapitalismus" heißen jetzt zusätzlich „ .. . Die Ausbeuterlohnsysteme in Westdeutschland" und „ .. . Die Perspektiv-losigkeit des wiedererstandenen Imperialismus unter den Bedingungen der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus“. An die Stelle des Zyklus „Grundlagen des Marxismus-Leninismus" tritt der 7yklus „Dialektischer und historischer Materialismus", mit deutlichem Akzent auf dem „Kampf gegen die bürgerliche Ideologie". Der Lehrplan für die Abenduniversität wird ebenfalls geändert. Der Lehrgang „Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus" ist, genau wie der an der Kreisabendsdiule, mehr auf die aktuellen Erfordernisse zugeschnitten und durch Themen über Betriebspläne und Kennziffern, Arbeitsorganisation und Rolle der MTS, Planung und Erfassung der landwirtschaftlichen Produktion, die Politik der Partei gegenüber den Handwerkern und privaten Unternehmern ergänzt. Statt „Aufbau des Sozialismus in den volksdemokratischen Ländern“ heißt es jetzt „Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in den Volksdemokratien". Besonders interessant erscheint, daß die Lektion „Der allmähliche Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus“ diesmal gestrichen ist. Auch die Lektionen über ökonomische und politische Geographie, die Grundlage des Marxismus-Leninismus sowie die Geschichte der KPdSU und der deutschen Arbeiterbewegung erscheinen nicht mehr im Lehrplan der Abenduniversität. An ihre Stelle treten sechs Lektionen über dialektischen und acht Lektionen über historischen Materialismus.

Entsprechend der Direktive des ZK der SED: „Entscheidende Bedeutung hat das Studium des unerschöpflichen Reichtums der Theorie und Praxis, der in den Werken Lenins enthalten ist“, sind in die Lehrpläne aller Stufen des Parteilehrjahres besondere neue Themen über den Leninismus eingefügt worden:

„Die Bedeutung des Leninschen Planes der sozialistischen Industrialisierung für den Aufbau des Sozialismus in der DDR" und „Lenin über die Möglichkeit des friedlichen Nebeneinanderbestehens von Ländern mit verscltiedener Gesellschaftsordnung“ (in den Lektionszyklen für Funktionäre), „Die Bedeutung der Leninschen Definition des Materiebegriffs und seine Bestätigung durdi die Ergebnisse der Atomwissenschaft“ (Kreis-

abendschule), „Die Bedeutung des Leninschen Werkes . Materialismus und Empiriokritizismus'

für die Entwicklung der marxistischen Philosophie“, „Das Verhältnis der marxistisch-leninistischen Partei zur Religion“ und „Der (Abenduniversität). Marxismus-Leninismus über sozialistische Moral“

Gegenüber allen bisherigen Parteilehrjahren, auch dem letzten Partei-lehrjahr (Oktober 1955 bis Mai 1956), weist das neue Parteilehrjahr somit folgenden entscheidenden Unterschied auf: erstmalig seit 1950 gibt es weder Zirkel zum Studium der Biographie Stalins, noch zum Studium der Geschichte der KPdSU, ja nicht einmal zum Studium der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Der gesamte Komplex der Geschichte ist, offensichtlich im Zusammenhang mit der in Moskau in Angriff genommenen Revision der Geschichtsschreibung, vor allem der Parteigeschichte, ausgeklammert worden.

Getreulich das sowjetische Beispiel kopierend, hat auch die SED begonnen, sich kritisch mit ihrer eigenen Geschichtsschreibung zu beschäftigen.

Bisher ist sie dabei jedoch über Bemerkungen allgemeiner Art nicht hinausgekommen. In einem Mitte Juni veröffentlichten Artikel im SED-Zentralorgan über die Aufgaben der neuen Geschichtsschreibung stellt „Neues Deutschland“ fest, die bisherige Geschichtsschreibung sei durdi Dogmatismus gehemmt worden. „Dogmatismus“ sei keineswegs mit „Zitatenkrankheit“ gleichzusetzen, das Wesen des Dogmatismus bestände vielmehr darin, „daß er den unlöslichen Zusammenhang von wissenschaftlicher Theorie und gesellschaftliche Praxis außer acht läßt, sich vom Leben isoliert und sich in abstrakte Fragestellungen verliert, die von der Wahrheit wegführen“. Die dogmatische Tendenz habe sich vor allen Dingen darin gezeigt, „die in den Worten der Klassiker des Marxismus-Leninismus enthaltenen Wahrheiten als blind anwendbares Schemata zu benutzen". Dabei wird „eine gewisse Überschätzung der Stalinschen Arbeiten" gerügt. Auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung sei der Sammelband „Marx-Engels-Lenin-Stalin über die deutsche Geschichte“ (es handelt sich hierbei um eine vom Dietz-Verlag herausgegebene Zusammenstellung aller Äußerungen von Marx, Engels, Lenin und Stalin, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit der deutschen Geschichte stehen) als ein methodisches Handbuch der 55

Geschichte betrachtet und dabei vergessen worden, in welcher historischen Situation diese Aussprüche und Erklärungen entstanden seien.

Auch in diesem Artikel wird dabei vor „zu weitgehenden" Auffassungen gewarnt, und die Parteilichkeit der Geschichtsschreibung mit aller-Deutlichkeit unterstrichen.

Das Schwergewicht der SED-Parteischulung ist, wie nie zuvor, auf die Behandlung ökonomischer Probleme gelegt worden. Dies geht sowohl aus den bereits erwähnten Veränderungen für das nächste Partei-lehrjahr hervor, als auch aus wiederholten Kommentaren. So bezeichnete „Neues Deutschland" vom 16. Juni die „gründlichen Kenntnisse der ökonomischen Gesetze“ als „Hauptaufgabe des Parteilehrjahres 1956— 57". Die Verstärkung des Studiums der Ökonomie im Rahmen der SED-Parteischulung liegt auf der gleichen Linie wie in der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten, insbesondere seit dem Erscheinen des Lehrbuches „Politische Ökonomie" im Herbst 1954. In der besonders starken Hervorhebung des Ökonomie-Studiums in der SED-Schulung könnte jedoch auch der Versuch zu sehen sein, den Diskussionen der jetzt brennenden politischen Fragen (die z. B. in der UdSSR und Polen in einer bisher für diese Länder erstaunlichen Offenheit ausgetragen werden) auszuweichen. In der Tat sind, zumindest bisher, solche Fragen wie die Stellung zu Stalin, die Revision der Parteigeschichte, Probleme des Parteiaufbaus, des Führerkults und des Systems, das es Stalin ermöglichte, die jetzt offen zugegebenen Verbrechen zu begehen, in der SED bedeutend weniger als in der UdSSR, z. T. überhaupt noch nicht, behandelt worden.

Ein sorgfältiger Vergleich, der ideologischen Veränderungen der UdSSR auf der einen und der Sowjetzone auf der anderen Seite, läßt die Schlußfolgerung zu, daß der Prozeß der Entstalinisierung auf dem Gebiete der Ideologie (wie auf allen anderen Gebieten)

in der UdSSR bedeutend weiter fortgeschritten ist, als in der Sowjetzone. Es erhebt sich die Frage, ob dieses Zurückbleiben der Sowjetzone in der Entstalinisierung von Dauer sein kann. Selbst wenn wir eine (im Vergleich zur Stalin-Ära) relative Verselbständigung einzelner Ostblockstaaten in Rechnung stellen, dürften die gemeinsamen ideologischen Grundsätze so stark sein, daß dieses „Zurückbleiben" der SED kaum zu einer Dauereinrichtung werden dürfte. Man wird daher in der Annahme nicht fehlgehen, daß die jetzige, teilweise und noch zaghafte Abkehr von Stalin auf dem Gebiet der Parteischulung erst den Anfang, den Beginn einer weiteren Entstalinisierung darstellt.

Die im April 19 erfolgte Kritik an der SED im Zentralorgan der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, in der u. a. gerügt wurde, daß auf der SED-Parteikonferenz „die Fragen des innerparteilichen Lebens selbst nicht so viel Aufmerksamkeit finden, wie man erwarten konnte“ und „die konkrete Verletzung der leninistischen Normen und der dafür Verantwortlichen nicht mit der gebührenden Kraft ausgetragen" wurde 56) sowie die jüngsten Veröffentlichungen in der UdSSR, darunter die sehr weitgehende Forderung nach einer objektiven Darstellung der Geschichte der Partei, dürfte auch die SED-Führung in absehbarer Zeit dazu bewegen, nicht wenige ihrer früher verfaßten Schriften in einem ähnlichen Sinne zu revidieren. — Da in der Sowjetzone, wie in allen anderen Ostblockstaaten, die Innen-und Außenpolitik, ja das gesamte öffentliche Leben, von ideologischen Beweggründen abhängig ist, -kann eine ernstzunehmende Abkehr vom Stalinismus in der Praxis sich nur gleichzeitig mit einer Abkehr vom der Ideologie des Stalinismus vollziehen.

Die gegenwärtigen und auch vor allem die zukünftigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Parteischulung, das Ausmaß der Kritik an Stalin und der Abkehr von Stalinschen Thesen in der Ideologie werden daher wesentliche Rückschlüsse auf den Prozeß der Entstalinisierung auch in der praktischen Politik der Sowjetzone ermöglichen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Neuer Weg Nr. 12/1955, S. 766— 767, Einheit Nr. 7/1955, S. 728— 732 und Neues Deutschland Nr. 176 vom 30. Juni 1955.

  2. . Bericht des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den 2. Parteitag 1947“ — Dietz-Verlag, Berlin 1947, S. 73.

  3. Zitiert nadi Sozialistisches Bildungsheft Nr. 12, 1. Jahrgang, S. 14.

  4. Vgl. Otto Grotewohl: „Die Politik der Partei und die Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus", Dietz-Verlag, Berlin 1949, S. 88.

  5. Vgl. „Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands", Bd. III, Dietz-Verlag, Berlin 1952, S. 121.

  6. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Band III, Dietz-Verlag, Berlin 1952, S. 244.

  7. Vgl. . Die Ergebnisse des ersten Parteilehrjahres und die Aufgaben der Parteiorganisationen und Propagandisten im zweiten Parteilehrjahr 1951/52“. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. III, Dietz-Verlag, Berlin 1952.

  8. Beschluß des Politbüros der SED vom 29. Juli 1952 „Aufgaben der Parteileitungen und Parteiorganisationen bei der Vorbereitung und Durchführung des Parteilehrjahres von 1952/53“, Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Band IV, S. 107— 115.

  9. Dokumente der SED, Band IV, S. 322— 323.

  10. Dokumente der SED, Band IV, S. 470.

  11. Dokumente der SED, Band IV, S. 485.

  12. Vgl. W. Leonhard, „Diskussion um philosophische Probleme“, SBZ-Archiv Nr. 14/1955, S. 220— 222.

  13. Vgl. „Beschluß des Politbüros des Zentralkomitees vom 3. Mai 1955 über die Vorbereitung und Durchführung des Parteilehrjahres 1955/56“, Neuer Weg Nr. 8/1955, S. 493.

  14. Vgl. Gerda Holzmacher: „Zum Parteilehrjahr 1955'56“, Einheit Nr. 9/1955. S. 673.

  15. Neuer Weg Nr. 8/1955, S. 493.

  16. Vgl. Siegfried Otto: „Verstärkt die militärpolitische Propaganda“, Neuer Weg Nr. 19/1955, S. 1171.

  17. Vgl. Beschluß des Sekretariats des Zentralkomitees über Jie Auswahl und Ausbildung der Propangandisten für das Parteilehrjahr 1955'56”, Neuer Weg Nr. 8/1955, S. 510.

  18. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. IV, Dietz-Verlag, Berlin 1954, S. 470 und 485.

  19. a. a. O. (Anm. 23).

  20. Vgl. Gerda Köppen: „Zur Veränderung der staatspolitischen Schulung'Neuer Weg Nr. 16/1955, S. 970.

  21. Neues Deutschland Nr. 273 vom 22. November 1955.

  22. Heinz Schlaffke: Der 13. Band der Werke J. W. Stalins in deutscher Sprache, Einheit Nr. 12, Dezember 1955, Seite 1153 und 1163.

  23. „Zu einigen Fragen der Geschichte der KPdSU", Einheit Nr. 2 vom Februar 1956.

  24. Vgl. Neues Deutschland vom 14. und 16. Februar 1956.

  25. „Den Leninismus konsequent in die Tat umsetzen /Aus der Rede des Genossen Mikojan", Neues Deutschland vom 19. Februar 1956.

  26. Neues Deutschland vom 21. Dezember 1949.

  27. Neues Deutschland vom 21. Dezember 1950.

  28. „Den Leninismus konsequent in die Tat umsetzen /Aus der Rede des Genossen Mikojan", Neues Deutschland vom 19. Februar 1956.

  29. „Bericht des ZK der KPdSU an den 20. Parteitag", Neues Deutschland vcm 17. Februar 1956.

  30. Neues Deutschland vom 1. Oktober 1948.

  31. „Marxistisch-leninistische Theorie schöpferisch anwenden", aus der Rede des Genossen M. A. Suslow, Neues Deutschland vom 18. Februar 1956.

  32. Anton Ackermann: „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus? , Einheit Nr. 1, Januar 1946; vgl. auch Wolfgang Leonhard „Die Revolution entläßt ihre Kinder"", Seite 420— 422.

  33. Anton Ackermann „Uber den einzig möglichen Weg zum Sozialismus", Neues Deutschland vom 24. September 1948.

  34. Walter Ulbricht „Die SED vor der Parteikonferenz“, Neue Welt Nr. 22 vcm 3. November 1948.

  35. Waller Ulbricht „Zum 3. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands", Neues Deutschland vom 21. Juli 1950.

  36. Hinweise der Abt. Wissenschaft und Propaganda des ZK der SED für alle Zirkel des Parteilehrjahres" (1), Neues Deutschland vom 25. Februar 1950.

  37. „Hinweise der Abteilung Wissenschaft und Propaganda des ZK der SED für alle Zirkel des Parteilehrjahres" (2), Neues Deutschland vom 26. Februar 1956.

  38. Neues Deutschland vom 4. März 1956 (vgl. auch SBZ-Archiv Köln, Nr. 5'1956, Seite 77/78.

  39. „Hinweise der Abteilung Wissenschaft und Propanganda des ZK der SED für alle Zirkel des Parteilehrjahres", (3), Neues Deutschland vom 16. März 1956.

  40. „Antwort auf Fragen der Berliner Bezirksdelegierten-Konferenz der SED /Aus der Diskussionsrede des Genossen Walter Ulbricht", Neues Deutschland vom 18. März 1956.

  41. „Die Partei — der Organisator unserer Erfolge“, Neues Deutschland vom 26. März 1956.

  42. Kurt Hager: „Die wissenschaftliche und propagandistische Tätigkeit mehr auf die Fragen der Gegenwart orientieren", Neues Deutschland vom 27. März 1956.

  43. „Die 3. Parteikonferenz — Kompaß beim weiteren Aufbau des Sozialismus“, von Karl Schirdewan, Neuer Weg Nr. 7/1956.

  44. „Für die Einheit und Geschlossenheit unserer marxistisch-leninistischen Kampfpartei", Neues Deutschland vom 28. April 1956, vgl. auch SBZ-Archiv Nr. 9'1956, Seite 143.

  45. Kurt Hager: „Fragen der Parteipropaganda', Neues Deutschland, 3. Mai 1956.

  46. „Handbuch des Leninismus /Ausgewählte Werke W. I. Lenins — Beispiele des schöpferischen Marxismus", Neues Deutschland vom 15. Juni 1956.

  47. veröffentlicht nur in der Funktionärszeitsdirift „Neuer Weg" Nr. 10/1956, Seite 651— 664.

  48. Herwig Förder: „Schöpferische Erforschung der Geschichte — Fragen des Verhältnisses von Wissenschaft und Methode — Zur Diskussion über die Arbeit unserer Geschichtswissenschaftler", Neues Deutschland v. 19. Juni 1956.

  49. „Na konfereneji SED - Auf der Konferenz der SED", Trybuna Ludu vom 4. April 1956; deutsch: SBZ-Archiv Nr. 7- 8. 1956, Seite 127.

Weitere Inhalte