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Die Ergebnisse des 20. Parteikongresses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion | APuZ 31/1956 | bpb.de

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APuZ 31/1956 Die Ergebnisse des 20. Parteikongresses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion

Die Ergebnisse des 20. Parteikongresses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion

BORIS MEISSNER

Fortsetzung Mit freundlicher Genehmigung des Forschungsinstitutes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Frankfurt, veröffentlichten wir in der letzten Ausgabe der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte* den einführenden theoretischen Teil des eben erschienenen Buches „DAS ENDE DES STALIN-MYTHOS — DIE ERGEBNISSE DES 20. PARTEIKONGRESSES DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI DER SOWJETUNION“, Dokumente und Berichte des Europa-Archivs, Band 13, Frankfurt am Main, 1956, von Legationsrat Dr. Boris Meißner. In dieser Ausgabe schließen wir die Veröffentlichung ab.

IV. Das Ende des Stalin-Mythos

1. Der revolutionäre Charakter der posthumen Entthronung Stalins In der Schlußresolution des 20. Parteikongresses heißt es zur Frage des Führerkults:

„Große Bedeutung für die Hebung der Aktivität der Konununisten und aller Werktätigen hatte die umfassende Erläuterung der marxistisch-leninistischen Auffassung von der Rolle der Persönlichkeit in der Gesdtichte. Der Parteitag ist der Ansicht, daß das Zentralkomitee völlig recht daran tat, als es gegen den Personenkult auftrat, dessen Verbreitung die Rolle der Partei und der Volksmassen herabminderte, die Rolle der kollektiven Führung in der Partei schmälerte und nicht selten zu ernsten Unterlassungen in der Arbeit führte; er beauftragt das Zentralkomitee, im Kampf gegen die Überreste des Personenkults nicht nachzulassen und in seiner ganzen Tätigkeit davon auszugehen, daß die wahren Schöpfer des neuen Lebens die Volksmassen sind, die von der Kommunistischen Partei geführt werden."

Hinter diesen apodiktisch abgefaßten und nüchtern klingenden Sätzen verbirgt sich ein revolutionärer Akt, dessen Auswirkungen in ihrem vollen Umfange heute noch gar nicht abzusehen sind — die Verdammung Stalins und seiner seit 1934 angewandten Herrschafts-methoden, wie sie dramatischer nicht vollzogen werden konnte. Die Nachfolger Stalins haben sich aus Gründen, auf die noch einzugehen sein wird, mit einer partiellen Abwertung der Persönlichkeit Stalins und seiner Autorität als Klassiker des Marxismus-Leninismus, wie sie im Rahmen einer schrittweisen Entstalinisierung durchaus vertretbar gewesen wäre, nicht begnügt. Sie haben aus innerpolitischen Erwägungen die revolutionäre Schockwirkung gesucht. Diese wurde durch den dreistündigen Bericht „über den Personenkult und seine Folgen“ bewirkt, den Chrusdttsdtow auf einer Geheimsitzung am Abend des 25. Februar 1956 erstattete nachdem Mikojan bereits in seiner Dis-kussionsrede vom 16. Februar mit der Zerstörung der Stalin-Legende begonnen hatte. Wie wenig außersowjetische Faktoren bei dieser „stali-

nistischen Liquidation Stalins“ eine Rolle gespielt haben, zeigt die Unbekümmertheit, mit der sich Chruschtschow über die Bedenken der ausländischen Kommunistenführer hinweggesetzt hat, die an der Geheimsitzung selbst nicht teilgenommen haben. Dies geht aus den Worten Togliattis hervor, der am 22. März vor der Kammerfraktion der italienischen KP erklärte „Thorez und ich haben Chruschtschow auseinandergesetzt, daß man eine andere Methode wählen könne, um die russische und die anderen Kommunistisdten Parteien zu unterrichten. Aber uns ist geantwortet worden, daß die Sowjets diesen Schock nötig haben, um den neuen Kurs einzuleiten, und daß alles so entschieden wurde, obwohl die übrigen Kommunistischen Parteien dadurch einen, wenn auch nur augenblicklichen Schaden davontragen würden.“

Wenn von der Sowjetführung auch an der Unterscheidung zwischen dem frühen Stalin und dem in der Folgezeit entarteten Alleinherrscher festgehalten wird, so sind doch andererseits, vor allem durch Chruschtschow, die Anschuldigungen und Verdammungsurteile so gehäuft worden, daß das Bild des mit terroristischen Mitteln herrschenden und von Wahnvorstellungen erfüllten Diktators der ganzen Welt gegenüber offen liegt und ihn in der russischen Geschichtsbetrachtung an die Seite eines Iwan des Schrecklichen, rückt.

Bisher sind nur Teile des Chruschtschow-Berichts durch lancierte „Indiskretionen“ im Ausland bekanntgeworden. In der Sowjetunion bildet er seit Wochen die propagandistische Grundlage einer umfassenden Aufklärungskampagne, die anläßlich des Lenin-Gedenktages am 22. April 1956 ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Unabhängig davon, wann und in welchem Umfange der Geheimbericht veröffentlicht werden wird, ist es bereits heute möglich, an Hand von Berichten und Kommentaren aus der Sowjetunion und dem sowjetischen Einflußbereich ein Bild darüber zu gewinnen, was Stalin vorgeworfen wird, welche Schlußfolgerungen daraus gezogen werden und welche Hoffnungen die Machthaber im Kreml an die Zerstörung des Stalin-Kults knüpfen. Dieses Material gestattet es auch, sich Gedanken über die Motive und Auswirkungen dieser revolutionären Eruption zu machen. Die Abkehr von dem zum despotischen Großtyrannen entarteten späten Stalin und die Verdammung des mit seiner Persönlichkeit verbundenen Kults ist vor allem aus den folgenden offiziellen sowjetkommunistischen Dokumenten zu entnehmen: 1. ZK-Beridtt Cltritsditsdiows;

2. Diskussionsreden Susslows, Mikojans, Malenkows und der Pankratowa; 3. Artikel der Prawda „Warum ist der Personenkult dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd?" vom 28. März 1956

4. Artikel des Obersten 1. Tsdtasdtnikow „Eine wichtige Frage der kriegsgesdiichtlidien Wissenschaft“ in der Krassnaja Swesda vom 3. April 1956

5. Artikel der Prawda „Die Kommunistische Partei siegt nadt wie vor durdi ihre Treue zum Leninismus“ vom 5. April 1956 57);

6. Rede Schepilows „Der Leninismus ist das siegreidte Banner der gegenwärtigen Epodte“ vom 22. April 1956 58);

7. Artikel der Trybuna Ludu „Über den Personenkult und seine Folgen“ vom 10. März 1956

8. Artikel von J. Morawski „Lehren des XX. Parteitags“ in der Trybuna Ludu vom 27. März 1956

9. Rede von W. Ulbricht „Antwort auf Fragen auf der Berliner Bezirksdelegiertenkonferenz der SED“ in Neues Deutschland vom 18.

März 1956;

10. Beridit von P. Togliatti an das Zentralkomitee der italienisdien KP in L'Unitä vom 15. März 1956 61);

An weiteren Quellen, von deren Auswertung abgesehen worden ist, weil sie weniger ergiebig sind, wären zu nennen: a) Bericht von M. Rakosi „Über den XX. Parteitag der KPdSU“ vom 12. März 1956

b) Bericht von Gh. Gheorghiu-Dej „Beschlüsse der KPdSU — Eine Hilfe für die rumänische Arbeiterpartei“ vom 23. März 1956 63);

c) Bericht von A. Novotny „Der XX. Parteitag der KPdSU und die Schlußfolgerungen für unsere Partei“ vom 29. März 1956 64);

d) Beridit von E. Ochab „die Ergebnisse der XX. Parteitags der KPdSU und die Aufgaben der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei“ vom 6. April 1956 65);

e) Artikel in Shenminshibao „Über die historisdien Erfahrungen der Diktatur des Proletariats“ vom 5. April 1956

f) Artikel von M. Thorez „Über einige vom XX. Parteitag der KPdSU gestellten Hauptfragen“ in L’Humanite vom 27. März 1956

Die vorliegenden Dokumente ermöglichen es, die Anklagen, die gegen Stalin erhoben werden, näher zu präzisieren und auf die Motive einzugehen, welche seine Epigonen veranlaßt haben, diesen Gerichtstag, der sie selbst in keinem sehr günstigen Lichte erscheinen läßt, abzuhalten. 2. Die Anklagen gegen Stalin und den Spätstalinismus Die Anklagen, die gegen Stalin und den Spätstalinismus erhoben werden, lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: 1) Stalin hat seine Person über die Parteiführung und die Partei selbst gestellt, d. h. eine unbeschränkte Selbstherrschaft ausgeübt.

a) Er hat das kollektive Führungsprinzip beseitigt und sich über die in der Parteisatzung vorgesehenen Parteiorgane hinweg gesetzt.

Morawski schreibt:

„Die Kollektivität in der Parteiführung wurde immer mehr eingeschränkt und schließlich liquidiert. Das zeigt allein die Tatsache, daß von 1934 bis 1952 nur ein Parteikongreß stattfand. Jahrelang wurden keine Vollsitzungen des Zentralkomitees mehr abgehalten.“

Ulbricht sagt:

„Wenn wir exakt die Entwicldung analysieren, müssen wir sagen, daß sich nach dem XVII. Parteitag in der Arbeit von J. W. Stalin immer stärker die Tendenzen der persönlichen Willkür zeigten. Die Tagungen des Zentralkomitees wurden seltener. Die Fristen zwischen den Parteitagen wurden größer, bis zu zwölf Jahren. Auch die Sitzungen des Politbüros wurden seltener. Die Folge dieses Personenkults waren eine Anzahl Felder.“ -

Togliatti erklärt:

„In der Folgezeit bestand sein Fehler darin, daß er sich Zug um Zug über die Führungsorgane der Partei, und die Partei selbst erhob, daß die kollektive Führung durch eine persönliche Führung ersetzt wurde. So bildete sich allmählich jener Personenkult heraus, der dem Geist der Partei widerspricht und zwangsläufig schweren Schaden anrichten mußte.

. . . Die Führungsorgane der Partei wurden nicht mehr regelmäßig einberufen; es zeigte sich die Tendenz, an Stelle der kollektiven Prüfung und Behandlung der Probleme und kollektiver Parteibesdtlüsse individuelle Entscheidungen zu fäilen, ungeachtet der Gefahr oberflächlicher, einseitiger und irriger Formulierungen. So war es vor dem Kriege, während des Krieges und nach dem Kriege.“

Susslow, der sich in seinem Diskussionsbeitrag eingehend mit der Theorie und Praxis des Personenkults auseinandersetzt, sagt:

„Sie schmälerte die Rolle der Volksmassen und die Rolle der Partei, degradierte die kollektive Führung, untergrub die innerparteiliche Demokratie, unterdrüdtte die Aktivität der Parteimitglieder, deren Initiative und selbständiges Handeln, führte zur Unkontrollierbarkeit, Verantwortungslosigkeit und sogar zur Willkür in der Arbeit einzelner Personen, behinderte die Entfaltung der Kritik und Selbstkritik und verursadite einseitige, mandtmal auch falsche Entscheidungen in der Lösung von Fragen.“ b) Er hat die Grundsätze der „innerparteilichen Demokratie“ verletzt und jede Kritik unterdrückt.

Die Prawda vom 28. März schreibt:

„Der Personenkult und die Führungspraxis, die sich unter dessen Einfluß in der letzten Periode des Lebens und der Tätigkeit J. W. Stalins herausgebildet hatte, haben großen Schaden angeridttet. Der Umstand, daß Stalin die Normen des Parteilebens und das Prinzip der kollektiven Führung der Partei ignorierte, daß er nicht selten Fragen eigenmächtig löste, führt zur Verzerrung der Parteiprinzipien und der Parteidemokratie, zu Verstößen gegen die revolutionäre Gesetzlichkeit, zu unbegründeten Repressalien.“

Schepilow erklärt:

„Der Personenkult sdimälert die Rolle der Partei und der Volksmassen, verneint die Rolle der kollektiven Führung in der Partei, drosselt und besdiränkt die Kritik und Selbstkritik, lähmt die Aktivität, die Initiative der Parteiorganisationen, der werktätigen Massen. Er führt zu groben Verstößen gegen die Parteidemokratie und die revolutionäre Gesetzlichkeit.“

Morawski bemerkt:

„Der Personenkult, der sich vor dem Kriege und noch mehr in den Kriegsjahren entwickelt hatte, war mit der Verletzung der Leninschen Normen des Parteilebens verbunden; er führte zu Verstößen gegen die Prinzipien der Demokratie in der Partei und im gesellsdiaftlidien Leben, zur Unterdrückung der Kritik, zum Auseinanderklaffen von Wort und Tat.“

Die Trybuna Ludu vom 10. März 1956 schreibt:

„Als sieb die Auffassung durchsetzte, daß sich in der praktischen Parteiarbeit die ganze Weisheit und Wahrheitserkenntnis bei einem Manne konzentriert, als die von ihm allein — ohne Beratung und sachlidte Erörterung der Angelegenheit vor einer Parteiinstanz — getroffenen Entscheidungen für unfehlbar und endgültig gehalten wurden, da waren Irrtümern und Exzessen Tür und Tor geöffnet. Die Partei verzichtete seither auf das selbständige Denken ihrer Mitglieder, auf ihr eigenes Bemühen um ein Verständnis der Wirklichkeit, auf die Entwiddung der Theorie und der Kenntnis der Wirklidtkeit, auf die bewußte Beteiligung an der Gestaltung der Parteipolitik und der Markierung der Wege für die Umgestaltung der Wirklichkeit. Damals endete der gegenseitige Austausch der Gedanken und Impulse zwischen der Parteiführung einerseits und dem Parteiaktiv und den Parteimassen andererseits, zwischen der Partei als Gesamtheit und der Arbeiterklasse, den Bauern-massen, also der ganzen Gesellsclraft, der Gedankenaustausch, der der Kraftquell für die Partei ist und der es ihr gestattet, die Parteipolitik ständig mit dem Leben zu konfrontieren und diese Politik zu korrigieren, wenn sich im Leben etwas verändert. Damals wurde der Kontakt zwischen der Partei, der Avantgarde der werktätigen Massen, und der Masse, der Werktätigen aufs Spiel gesetzt.

Schließlich zeigen die Erfahrungen, daß Entscheidungen, die allein, unter Umgehung der zuständigen Parteiinstanzen, ohne kollegiale und gründliche Diskussion, ohne Rücksicht auf die Meinung der Sachverständigen - nd ohne Rüd^griff auf die Erfahrung der Massen getroffen wurden, häufig unrichtig und oft sogar unwahr sind.

Der Personenkult hat ferner die schädliche Tendenz, sich zu verallgemeinern. Ein Mensch allein kann nicht überall sein und alles entscheiden. Dann treten in den einzelnen Bereidren des Denkens und Handelns, in den einzelnen Gegenden, Wojewodsdraften und Kreisen für die betreffenden Gebiete „entscheidende Persönlidikeiten“ auf den Plan, und es entsteht eine Art Leiter, eine Hierarchie „entscheidender Persönlichkeiten". Auf einer niedrigeren Ebene entsteht dann erneut die Gefahr einseitiger und unrichtiger Entscheidungen. Das Kollektiv, die Masse der Parteimitglieder bleibt auf die Rolle einer passiver Exekutive beschränkt, die Entscheidungen durchführt, die unabhängig von ihr getroffen, hinter ihrem Rücken gefällt wurden und ohne gemeinsame Erörterung zustande kamen. Dann werden die geistig selbständigeren Menschen unbequem und entbehrlich, es bildet sich ein neuer Nährboden für Exzesse und Mißbräuche.

Das wirkt sich besonders schädlich auf die Kaderpolitik aus. Es kommt dann die Tendenz auf, „operative“ Leute zu begünstigen, die sich in der Durchführung der von oben ausgegangenen Anordnungen bewähren, und Leute vom Typ eines politischen Funktionärs zu eliminieren, der sich dadurch auszeichnet, daß er. die allgemeine Parteipolitik in die Tat umsetzt und sich bemüht, sie sogleich selbständig und sdtöpferisch in die Sprach^ der konkreten Wirklichkeit seines Territoriums oder Arbeitsbereichs umzusetzen. Es kommt dann so weit, daß nach und nach — anfangs noch kaum wahrnehmbar, später schon ganz offen und ohne Umschweife — die Leninschen Normen des Parteilebens verletzt werden. Diese Normen sind aber die Voraussetzung für normale menschliche Beziehungen zwisdten den Genossen, von ihrer Beachtung hängen Offenheit und Redlichkeit im Leben der Organisation ab. Die Verletzung der Leninschen Normen hat zur Folge, daß in der Partei Karrieremadterei, Augenwisdterei, Heudielei und andere noch sdtwerere Krankheiten um sich greifen.“

c) Er hat jede Kontrolle ausgeschaltet u n d • d e r Bürokratisierung Vorschub geleistet.

Alorawski schreibt:

„Der Personenkult mußte die Sdtwächuug der Kontrolle über einzelne Maditorgane nadi sich ziehen und hat es audi getan: sowohl der kollektiven Kontrolle von oben seitens der Parteiführung als auch der gesellschaftlichen Kontrolle von unten seitens der Volksmassen. . . . Hartherziger, seelenloser Bürokratismus, Unterdrückung der Kritik, Mißachtung der Bedürfnisse und Meinungen der Menschen — dies sind nur einige Ersdteinungen, die in der Atmosphäre des Personen-kultes und der Verletzung der Prinzipien der innerparteilichen Demo kratie gedeihen konnten. Oft noch, zu oft, können wir sdtädliche Auswirkungen dieser Atmosphäre antreffen, wie das Kommandieren, die Einschüchterung der Menschen, die Mißachtung des Willens des Kollektivs. In dieser Atmosphäre entwickeln sich Liebedienerei und Speichelleckerei, eine formelle Einstellung zu-allen . Verordnungen von oben, Vertuschung der Wahrheit, fehlende Selbständigkeit und Initiative."

Den mit der Bürokratisierung verbundenen Byzantinismus schildert Togliatti mit den Worten:

„Statt der Kritik, der Selbstkritik und der Initiative der Partei-und Regierungsarbeiter breiteten sich, auf der Grundlage des Personenkults Speichelleckerei und Postenjägerei aus, während die Apparate des Staates und der Partei zunehmend bürokratisierten. Das ging so weit, daß schließlich bestimmte historische Tatsachen in einer Form dargestellt wurden, die nicht der Wirklichkeit, sondern einem nachgerade obligatorisch gewordenen Zeremoniell der persönlichen Huldigung entsprach.“

2) Stalin hat unter Mißbrauch seiner Machtbefugnisse eine Willkür-herrschaft ausgeübt

a) ErhatdiePolizeiorganedazubenutzt, umseine persönliche Macht über die Partei zu festigen. Die Prawda vom 28. März erklärt:

„Nur infolge des Personenkults und der mit ihm verbundenen Verletzungen der Normen des Parteilebens konnte sielt ein solcher abgefeimter Agent des Imperialismus wie Berija und seine Komplizen in führende Funktionen in Partei und Staat einsdtleichen.“

Morawski schreibt

„Unter diesen Verhältnissen mußte sich eine Degeneration der Sicherheitsorgane ergeben, und so war es auch; der Sicherheitsorgane, die von der Parteiautorität unabhängig wurden und nun dazu benutzt wurden, um die persönliche Macht Stalins über die Partei zu festigen."

Ulbricht gibt im Zusammenhang mit den Fällen Postyschew und 'Wosnessenskij zu, „daß willkürliche Maßnahmen mit Hilfe der Sicherheitsorgane des Staates getroffen wurden, daß an die Sicherheitsorgane des Staates Anweisungen gegeben wurden, die gegen die Sowjetgesetze verstießen."

b) Er hat alle, die gegen ihn opponierten oder ihm verdächtig schienen, mit terroristischen Mitteln unterdrückt.

Morawski schreibt

„In dieser Situation wurden viele aufrichtige Aktivisten der KPdSU, die in verschiedenen Angelegenheiten gegen Stalin opponierten, ein Opfer der Unterdrüdtung. Später wurde die Unterdrüdtung mechanisch und blindlings immer öfter gegen Kommunisten und einfache Sowjet-bürger angewandt, die verdächtig schienen ..."

c) Erhat die „sozialistische Gesetzlichkeit" verletzt und die Beugung des Rechts zugelassen.

Auf die Willkürherrschaft als Folge des Führer-Kults hat Malenkow mit den Worten hingewiesen, „daß das alles zur Unanfeditbarkeit der Entscheidungen eines einzelnen, zur Willkür führte und in einem gewissen Zeitraum . für die Leitung der Partei und des Landes von großem Schaden war.“

Morawski stellt bei der Schilderung des Stalinschen Massenterrors fest

„Methoden der Provokation wurden angewandt, falsdie Beschuldigungen aufgestellt, während der Untersudtungen wurden Beschimpfungen angewandt, um die Verdammung der Besdtuldigten zu erreidten. Der Erfolg war, daß viele aufrichtige Menschen ins Gefängnis kamen, in Straflager geschidtt oder ersdtossen wurden."

Er fährt fort:

„Auf Grund verlogener, konstruierter Anschuldigungen kam es zum Beschluß der Komintern, die Kommunistische Partri Polens aufzulösen. Fast alle damals in der Sowjetunion weilenden führenden Funktionäre der PKP wurden verhaftet." Die nächste Provokation, bereits nach dem Krieg, war der sogenannte „Leningrader Fall". Eine ähnliche Provokation war audt der sogenannte „Ärztefall“.

Im gleichen Zusammenhang bemerkte Togliatti:

„Ein Parteiführer und Staatschef, der . . . eine soldte Doktrin akzeptiert, mußte unweigerlich in ein allgemeines und unablässiges Mißtrauen verfallen, sein Verdadit mußte sich auf alle Richtungen und Verhältnisse erstredcen ... Auf diese Weise verlor er den Sinn für die Wirklichkeit, und die schlimmste Konsequenz war, daß er im Denken und Handeln auch den Respekt vor der revolutionären Gesetzlichkeit verlor ... Es kam auf diese Weise auch noch zu anderen ungerechtfertigten Unterdrückungsmaßnahmen und zu Verstößen gegen die sozialistiche Gesetzlichkeit, z. B. indem man als allgemeinverbindliches Beweismittel das bloße Geständnis zuließ und sich nicltt auf Beweismaterial stützte, obwohl dies den Grundsätzen der sozialistischen Gesetzlichkeit zuwiderläuft und der Schädlingsarbeit der im Sicherheitsapparat eingenisteten Feinde Vorschub leistet. Auf diesem Gebiet sind schwere Fehler vorgekommen, die jetzt angezeigt und abgestellt werden müssen.“

Auch Ulbridtt sieht sich veranlaßt, die Verletzung der sowjetischen Gesetzlichkeit durch die persönliche Willkürherrschaft Stalins einzugestehen: „Zweifellos gab es Verletzungen der Gesetze, besonders in den fahren 1936 bis 1938 und nach dem Kriege. Durd-i die Erscheinungen des Personenkults war die Sowjetdemokratie teilweise entstellt worden." Stalin hat grundlegende theoretische Fehler begangen und ist daher nicht als ein „Klassiker des Marxismus-Leninismus“ anzusehen.

a) Er hat 1937 die falsche Theorie von der V e r -

SchärfungdesKlassenkampfesinderPeriodedes Aufbaus des Sozialismus entwickelt.

Morawski schreibt:

„Stalin legte diese Theorie ausführlich auf dem Plenum des ZK der Partei im März 1937 dar, wobei er behauptete, daß der Klassenfeind in einem den Sozialismus aufbauenden Lande in dem Maße, wie er den Boden unter den Füßen verliert, zu immer schärferen Kampf-methoden, zu Diversionsakten und Terror übergeht. Zweifellos läßt sidt nicht die Tatsache bestreiten, daß der Klassenfeind im Kampf gegen den Sozialismus vor keinem Mittel zurückschreckt. Aber die Erfahrungen zeigen: Je stärker der Sozialismus wird, desto schmaler wird die soziale Basis des Feindes und desto beschränkter werden die Möglichkeiten für seine Handlungen."

Er fährt fort

„. . . alle Versuche, diese Theorie dem Leben aufzudrücken und gegen das Lehen, gegen die Tatsachen anzuwenden, mußten zu Verzerrungen führen.

Die in dieser Theorie liegende engstirnige und falsche Identifizierung von Spionage und Sabotagetätigkeit, die eine der Arten der Tätigkeit des Feindes darstellen, mit dem Klassenkampf im allgemeinen — d. h. mit einem sehr vielseitigen Kampf zwischen gegensätzlichen sozialen Kräften auf den. Gebieten der Wirtschaft, der Ideologie und der Politik usw_ _ führte ebenfalls zu Verzerrungen. In dieser Theorie fanden Stalins morbider Argwohn und sein wachsender Despotismus ihren Ausdruck, die nicht einmal den kleinsten Einwand gestatteten. Mit Hilfe dieser Theorie wollte er die Anerkennung drastischer Unterdrückungsmaßnahmen nicht nur im Hinblidt auf seine Feinde und politischen Gegner rechtfertigen, sondern auch im Hinbliclc auf Persönlichkeiten, die anderen Ansichten huldigten.“

Auch Ulbricht weist auf den destruktiven Charakter dieser Theorie hin und erklärt:

„. . , nachdem die feindlichen Klassen in der Sowjetunion liquidiert waren, gegen wen mußte sich die Verschärfung dieses Kampfes von seifen der staatlichen Sicherheitsorgane richten? Die feindlichen Klassen waren liquidiert. Die vorhandenen gegnerischen Kräfte waren keine ernste Gefahr. Der Stoß richtete sich gegen einen Teil der Kommunisten.“

Er betonte anschließend:

„Wenn Genosse Stalin die Leninschen Normen so verletzt und außerdem bestimmte Fehler in der Durchführung der Politik der Partei gemacht hat, dann kann man nicht sagen, daß er zu den Klassikern gehört.“

Togliatti ist in stärkerem Maße als Ulbricht bemüht, das Andenken Stalins als eines „großen“ marxistischen Denkers zu erhalten. Doch auch er sieht sich gezwungen, gegen Stalins Theorie von der Verschärfung des Klassenkampfes Stellung zu nehmen. Er meint:

„Zum Beispiel ist offenbar unrichtig, irrig und übertrieben die von Stalin zu einem bestimmten Zeitpunkt vertretene These zur Entwicklung des Klassenkampfes in einem sozialistischen Staate nach der Entmachtung der Kapitalisten und der Zerschlagung der Ausbeuterklassen. Nach seiner These müßte es unter diesen Bedingungen zwangsläufig zu einer fortwährenden Verschärfung des Klassenkampfes und zu einer sdücksalhaften Vermehrung der Feinde des sozialistischen Staates innerhalb und außerhalb seiner Staatsgrenzen kommen. Diese These ist eine Übertreibung, sie ist falsch. Feinde hat es gegeben, es gibt sie auch heute noch, und ein Teil dieser Feinde wird bis zum Ende niemals die Waffen stredcen. Deshalb bedarf es der Wadtsamkeit und des Kampfes gegen diese Feinde, um sie zu entlarven, aufzustöbern, zu sddagen. Die Stalinsche Position verallgemeinerte jedoch in unzulässiger Weise einen einzelnen Aspekt und einen einzelnen Moment der Wirklichkeit. Ins-Seite tracht, die der Sozialismus audt auf nidttproletarisdie Menschen und Gruppen innerhalb und außerhalb des sozialistisdien Staates ausübt. Daher gelangte er zu der im Grunde verzweifelten Perspektive eines endlosen wechselseitigen Verfolgungskampfes der einander gegenüberstehenden Teile der Gesellschaft, und zwar auch im Innern der Organisationen der Arbeiterklasse.“

b) Er hat falsche wirtschaftstheoretische Thesen in den „Ökonomischen Problemen des Sozialismus“ (1 95 2) aufgestellt.

Mikojan hat in seiner Rede vor allem die Thesen von der Unver-meidbarkeit des Produktionsrückganges in der kapitalistischen Welt und der Notwendigkeit, den Handel zwischen dem industriellen Sektor und den Kolchosen durch den Naturaltausch zu ersetzen, abgelehnt und erklärt, „daß nodt einige andere Leitsätze der . Ökonomischen Probleme', wenn man sie genau betraditet, von unseren Wirtschaftswissenschaftlern gründlich erforscht und vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus revidiert werden müssen.“

c) Er hat durch Förderung des Personenkults die Entwicklung der marxistisch-leninistischen Lehre gehemmt.

Die Prawda vom 28. März stellt der schlichten Zurückhaltung von Marx, Engels und Lenin die Selbstgefälligkeit Stalins gegenüber und erklärt:

„Da es ihm an persönlicher Bescheidenheit fehlte, unterband er nicht nur nicht diese Beweihräucherung und Lobpreisung seiner Person, sondern unterstützte und ermunterte sie auf jede Weise. Mit der Zeit nahm dieser Personenkult immer häßlid-tere Formen an und fügte der Sadie ernsten Sdiaden zu.“

Großer Schaden sei durch den Personenkult, der Stalin mit übernatürlichen Charakterzügen und Eigenschaften ausstattete und aus ihm einen Wundertäter machte, auch in der ideologischen Arbeit verursacht worden. Mit ätzender Schärfe stellt die Prawda fest:

„Dogmatismus und Budtstabengelehrtheit sind eine direkte Folge der Blütezeit des Personenkults, bei dem die Meinung vertreten wurde, daß es nur einem Mensdten, Stalin, besdiieden sei, die Theorie weiterzuentwickeln, sie voranzutreiben und etwas Originales und Neues hervorzubringen, während alle anderen bloß seine Gedanken zu popularisieren und seine Formulierungen darzulegen hätten. All dies hemmte die Entwicklung der marxistisch-leninistisdien Theorie.“

Auch Togliatti weist darauf hin, daß infolge des Führerkults Stalin allein die Aufgabe zufiel, die ideologischen Probleme zu meistern, „und daß infolgedessen die lebendige Diskussion über die Lehrsätze unserer Doktrin verkümmerte“.

4) Stalin hat wirtschafts-und kulturpolitische Fehler begangen, die der Entwicklung der Sowjetunion schweren Schaden zugefügt haben.

a) Durch seine agrarpolitischen Fehler ist ein Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion verursacht worden.

Die Prawda vom 28. März erklärt:

„Der Personenkult hat zur Verbreitung einer fehlerhaften Methode bei der Leitung der Partei-und Wirtschaftsarbeit — zum bloßen Administrieren beigetragen und zur Geringschätzung gegenüber der von unten kommenden Initiative erzogen. So wurden ernste Fehler bei der Leitung der Landwirtschaft gemacht, welche die Vernachlässigung einer Reihe ihrer wichtigen Zweige verursachten. Bekanntlich deckte das ZK diese Fehler auf und ergriff Maßnahmen für einen rapiden Aufstieg der Landwirtschaft, was bereits gute Ergebnisse zeitigt.“ -Ulbricht sagt:

„Was die Frage der Landwirtschaft betrifft, so ist es offenkundig, daß auf diesem Gebiet unter Verantwortung des Genossen Stalin bedeutende Fehler gemacht wurden, daß man sich hier nicht auf die Erhöhung der Hektarerträge und die Ausnutzung des Brachlandes, also des guten Bodens, konzentrierte, sondern Experimente in Gebieten machte, wo wenig Aussicht bestand, entsprechende Erträge zu erreichen . . .

. . . Wenn eine Reihe wirtschaftlicher Fehler in der Landwirtschaftspolitik der Sowjetunion begangen wurden, die dazu geführt haben, daß der Getreideertrag zurückging, dann war es richtig, durch Kritik ohne Ansehen der Person diese Fehler zu überwinden.“

Auch Togliatti stellt fest, daß „die Fehler, Lücken, Irrtümer, die einen negativen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung ausübten, das bekannte Zurückbleiben in der Bewältigung der Landwirtschaftsprobleme verursachten.“

b) Erhrt durch die Verherrlichung seiner Person die Entwicklung der Wissen schäft, Literatur und Kunst gehemmt.

Die Prawda vom 28. März erklärt:

„Nimmt man die unter dem Einfluß des Personenkults entstandenen Schriften zu Fragen der Philosophie, der Politökonomie, der Geschichte und anderen Gesellschaftswissenschaften, so sieht man, daß viele nichts anderes als eine Anhäufung von Zitaten aus den Werken J. W. Stalins und eine Lobhudelei auf ihn darstellen . . . Der Personenkult fand in gewissem Maße auch in einer Reihe von Werken der Kunst und Literatur seinen Niederschlag. Viele unserer historischen Filme und Werke der Literatur und Malerei, besonders zu Kriegsthemen,'haben hauptsächlich die Lobpreisung und Herausstellung der Person Stalins zum Inhalt.“

c) Er hat Geschichtsfälschungen zu gelassen und teilweise selbst veranlaßt

Mikojan hat in seiner Rede Kritik einerseits am „Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU“, andererseits an den Abhandlungen von Berija und Bagirow über die Geschichte der transkaukasischen Partei-organisationen geübt und darauf hingewiesen, daß in ihnen „Tatsachen gefälscht, manche Personen willkürlich gepriesen und andere überhaupt nicht erwähnt, zweitrangige Ereignisse auf unverdiente Höhe, gehoben und andere wichtigere bagatellisiert wurden“ sowie „... die leitende und richtunggebende Rolle des vorrevolutionären Leninschen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei herabgemindert wurde."

Er hat ferner erklärt, daß in der Sowjetunion „keine wirklidi marxistischen W£tke über die Periode des Bürgerkrieges vorhanden seien.“

Die bisher herausgekommenen Bücher wiesen große Mängel auf, hätten keinen wissenschaftlichen Wert und würden sogar eine negative Rolle spielen. Im Zusammenhang damit stellte er fest:

„Einige komplizierte und widerspruchsvolle Ereignisse des Bürgerkrieges 1918— 1920 erklären manche Historiker nicht durch Veränderungen im Verhältnis der Klassenkräfte in den einzelnen Zeitabschnitten, sondern durch angebliche Schädlingstätigkeit einzelner der damaligen Parteiführer, die viele Jahre nach den beschriebenen Ereignissen zu Unrecht zu Volksfeinden gestempelt wurden.“

Die Prawda vom 28. März bemerkt:

„Ein krasser Ausdruck des Personenkults ist J. W. Stalins , Kurze Biographie', die unter seiner unmittelbaren Teilnahme redigiert wurde. Auch der . Kurze Lehrgang der Geschichte der KPdSU'ist weitgehend vom Personenkult durchdrungen.“

Auch Lllbricht weist darauf hin, daß bestimmte Abschnitte der Stalin-Biographie, die den Tatsachen nicht entsprechen, von Stalin selbst eingefügt worden sind. In der Stalin-Biographie würde unter anderem gesagt:

„ 1938 erschien das Buch , Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki), Kurzer Lehrgang', das von Stalin verfaßt und von einer Kommission des Zentralkomitees der KPdSU bestätigt wurde.“ In Wirklichkeit sei genau das Gegenteil der Fall gewesen. Der „Kurze Lehrgang“ sei von einer Kommission verfaßt und von Stalin bestätigt worden. Im übrigen bemüht sich Ulbi-iclit für die Beibehaltung des „Kurzen Lehrgangs" mit den Worten einzutreten:

„Die Geschichte der KPdSU ist eine Kollektivarbeit. Die Entstellungen sind nur hineingekowmen, soweit sie einen gewissen Personen-kult enthalten. Das betrifft vor allein die letzten Kapitel.“

5) Stalin hat schwerwiegende Fehler in der Kriegführung begangen und ist daher nicht als genialer Feldherr anzusehen.

a) Er hat Warnungen vor einem deutschen Angriff nicht beachtet, keine ausreichenden Verte idigungsmaßnahmcn getroffen und fehlerhafte militärische Operationen, die mit hohen Verlusten verbunden waren, an befohlen

Morawski schreibt

„Stalins (Kriegs-) Beitrag war, wie wir heute wissen, in dieser Periode Mit schwerwiegenden Irrtiintern verflochten, die vielen Menschen das Leben kosteten. Die schweren Verluste wurden durch die Tatsache verursacht, daß die Gefahr der Nazi-Invasion nicht rechtzeitig erkannt wurde, daß unerläßliche VorsichtSMaßnahnten vernachlässigt und während des Krieges eine Anzahl von Operationen durchgeführt wurden auf Stalins Befehl und gegen die Meinungen von Militärexperten.“

Ulbricht sagt:

„Es ist bekaiMtgeworden, daß Stalin das Laud nicht in der notwendigen Weise auf den Krieg vorbereitet hatte, obwohl die Aggression Hitlerdeutschlands vorauszusehen war. Nachdem int engen Kreis von Hitler der Überfall auf die Sowjetunion beschlossen war, nachdem die Militärs bereits den Plan des Überfalls ausgearbeitet hatten, was selbstverständlich nicht ganz geheim bleiben konnte, wurde Genosse Stalin von drei Stellen darauf aufmerksam gemacht. Selbst als in der Nacht vor Beginn des Überfalls ein deutscher Soldat — es war ein einfacher Arbeiter — über die Linie ging und den sowjetischen Offizieren meldete, daß morgen früh um 4 Uhr der Überfall beginnt, wurde diese Meldung nicht als wahrheitsgemäß zur Kenntnis genommen. Aber nicht nur das. Auch während des Krieges gab es eine Anzahl Fälle, wo Genosse Stalin nicht auf die Meinung der leitenden militärischen Fachleute hörte, die sich als richtig erwiesen hat.“

Audi Togliatti weist darauf hin, daß Stalin den deutschen Überraschungsangriff nicht rechtzeitig vorausgesehen und einzelne militärische Operationen während des Krieges schlecht durchgeführt hätte.

Die Anfänge der Kritik an dem Feldherrngenie Stalins reichen bis in die Zeit des Regierungswechsels Anfang Februar 1956 zurück. In dem Interview mit den amerikanischen Journalisten W. R. Hearst, J. Kingsbury Smith und F. Coniff am 5. Februar 195 5 erklärte Marschall Shukow, daß der Umschwung im deutsch-sowjetischen Krieg dank einer Reihe erfolgreicher Operationen in den Jahren 1941 und 1942 eingetreten sei. Moskau, Stalingrad und Kursk bezeichnete er als die entscheidenden Schlachten, wobei er die Rolle des genialen Feldherrn Stalin mit keinem Wort erwähnte.

Der neue Oberbefehlshaber der sowjetischen Panzerwaffe, Marschall Rotwistrow, ging in einem Artikel in der Krassnaja Swesda vom 24. März 1-955 einen Schritt weiter und trat dem „idealisierten Bilde" entgegen, das in dem kriegsgeschichtlichen Denken über die erste Kriegs-periode vorherrsche. Die Preisgabe von weiten Gebieten von hohem strategischem und wehrwirtschaftlichen Wert, zu der die Sowjetunion 1941/42 gezwungen worden sei, dürfte nicht als wohlüberlegte Rückzugsoperation beschönigt werden. Shukow griff im Gegensatz zu Konjew diese These anläßlich des Jahrestages der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht in der Prawda vom 8. Mai 195 5 auf und erklärte:

„In der ersten Periode des Großen Vaterländischen Krieges waren unsere Streitkräfte gezwungen, in den Verteidigungskämpfen schwere Mißerfolge hinzunehmen und sich unter dem Ansturm der plötzlich in unser Land eingedrungenen Panzertruppen des Feindes zurüdtzuziehen.“

Konjew drückte sich bedeutend vorsichtiger aus, indem er in seiner Gedenkrede vom 8. Mai 195 5 feststellte:

„Der Große Vaterländische Krieg begann unter ungünstigen Bedingungen für unsere Armee und Flotte. In der Anfangsperiode war unsere Armee unter dem Druck des Feindes gezwungen, sdtwere Rückzugs-kämpfe zu führen.“

Erst nach der Warschauer Ostblockkonferenz (11. bis 14. Mai 1955), auf der eine integrierte Ostblockarmee unter Führung Marschall Konjews gebildet wurde, scheint sich die von Shukow und Rotmistrow vertretene sowie von dem Generalstabschef Sokolowskij unterstützte Richtung gegen die Marschälle der Stalinschen Schule durchgesetzt zu haben. Dies wurde aus dem Artikel des Stellv. Leiters der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetwehrmacht, Generalleutnant Schatilow, in der Literaturnaja Gaseta vom 28. Mai und der gleichzeitigen Konferenz sowjetischer Militärschriftsteller und -kritiker in Moskau (27. bis 31. Mai 1955) ersichtlich, über deren Ergebnisse die Krassnaja Swesda berichtete.

Sdiatilow erklärte:

„Man muß darauf hinweisen, daß in unserer Literatur, die dem Großen Vaterländischen Kriege gewidmet ist, die erste Periode der Kampfhandlung sehr oft idealisiert worden ist. Sie wird als eine Periode der durchdachten, klassisch geformten Handlung, der sogenannten aktiven Verteidigung, dargestellt, wobei die Autoren versuchen, im Gegensatz zu den realen Tatsadten die Ereignisse so darzustellen, als ob diese aktive Verteidigung sdton vorher geplant wurde und zum Plan unseres Oberkommandos gehörte. In Wirklidtkeit war die erste Periode des Krieges, wegen des plötzlichen Überfalls des Feindes, der uns zahlenmäßig in bezug auf Panzer und Flugzeuge weit überlegen war, für unser Land und unsere Armee sehr ungünstig. Unsere Armee hat, ungeachtet der Standhaftigkeit und Tapferkeit unserer Soldaten, die jedes Stück ihres Heimatlandes verteidigten, die Bitterkeit des Rückzuges erlebt. Die primitive, die Wahrheit verdrehende Darstellung der ersten Periode des Krieges, ganz gleich, wo sie geschieht, ob in wissenschaftlichen Werken, ob in der Schönen Literatur, kann nicht mehr geduldet werden. Sie verdreht die geschichtliche Wahrheit, sie desorientiert unsere Menschen, indem sie den Eindruck erweckt, als seien derartige Präzedenzfälle in der Zukunft möglich oder gar zweckmäßig.“

Den bisher heftigsten öffentlichen Angriff gegen Stalin führte die amtliche Monatsschrift des sowjetischen Verteidigungsministeriums Militärisdier Herold Ende April 1956. In einem ungezeichneten Artikel, für den Marschall Shukow als Verteidigungsminister die Verantwortung trägt, beschuldigte die Zeitschrift Stalin, durch Ignorierung aller Warnungen des sowjetischen militärischen Nachrichtendienstes die Rückschläge der Sowjetarmee bei Kriegsbeginn, die fast zu einem allgemeinen Zusammenbruch geführt haben, verschuldet und nachher ein falsche Schilderung des Kriegsablaufs veranlaßt zu haben. Die höchste Führung, die damals ganz in den Händen Stalins gelegen habe, hätte sich durch den Angriff Hitlers nicht überraschen lassen dürfen. Stalin sei auch schuld daran gewesen, daß den Truppen bis Ende 1942 das notwendige Material gefehlt habe. Der Artikel räumt mit der These Stalins auf, daß der Rückzug einem Plan der „aktiven Verteidigung" entsprungen sei. Das Heer habe sich auf Moskau, Leningrad und Rostow zurückziehen müssen, nicht weil dies eine strategische Planung vorsah, die gar nicht existierte, sondern weil notwendige Abwehrmaßnahmen unterlassen worden sind.

Als unwahr wird auch die Stalinsche Behauptung hingestellt, daß der Rückzug auf Stalingrad seit dem ersten deutschen Durchbruch am Donbogen geplant worden sei, um die Flanke des Gegners zu ent-, bloßen. Vielmehr habe dieser Durchbruch der Sowjetunion große Verluste gebracht. Erst unter Berücksichtigung dieser schwierigen Verhältnisse könnte die große Leistung des Sowjetvolkes und der Sowjetarmee, die durch die Stalinsche Version herabgesetzt worden sei, in vollem Maße gewürdigt werden.

b) Er hat unberechtigterweise den alleinigen Kriegsruhm für sich in Anspruch genommen).

Die Prawda erklärt:

„In den Filmen und Werken der Literatur und Kunst zu Kriegs-themen wird z. B. bis jetzt die Rolle der Kontrnunistisclten Partei und der Sowjetregierung, unserer Armee und unseres Volkes im Großen Vaterländischen Krieg nodt nicht richtig beleuchtet, denen das welt-historische Verdienst für die Verteidigung unserer Heimat . . . gebührt.“

In der Ulbricht-Rede heißt es:

„Nun haben unsere Genossen gesagt: Aber Stalin ist den Massen bekannt als , der Mann, der den Hitlerfaschismus geschlagen hat'. Ich darf die Genossen daran erinnern, daß in den Dokumenten der Partei gesagt wird, daß der Hitlerfaschismus durch den Heroismus der Sowjetarmee und des Sowjetvolkes geschlagen worden ist. Wir sind auch heute noch dieser Meinung. In der Stalin-Biographie wird gesagt, daß Stahn der geniale Feldherr war, ohne den keine wichtige Entscheidung gefällt wurde, daß er allein das Land zum Sieg über den Faschismus geführt hat. — Aber geschichtlich stimmt das nicht. Das hat Genosse Stalin selbst in seine Biographie hineingeschrieben.“

Wie wir bereits in der Einführung sahen, geht die Auseindersetzung um den Kriegsruhm, an der auch Bulganin und Chruschtschow auf der einen und Malenkow auf der anderen Seite beteiligt waren, bis auf das Frühjahr 1954 zurück.

Nach der Verdrängung Malenkows bildeten sich in der sowjetischen Generalität zwei Gruppen heraus. Die eine Gruppe, an deren Spitze Marschall Konjcw stand und als deren Sprecher zunächst der Garde-Generalleutnant Rodihtzew auftrat, bemühte sich, den Kriegsruhm allein für Stalin und die Politrukgruppe als Exponenten der Partei in Anspruch zu nehmen. Die andere Gruppe unter den Marschällen Shukow und Sokolowskij, der sich nach einigem Schwanken auch die Marschälle Wassilewskij und Tschuikow anschlossen, beanspruchte den Kriegsruhm in erster Linie für die „von der Partei herangezogenen talentierten Heer-führer“, d. h. für die Sowjetmarschälle als Exponenten der Armee.

Im bereits erwähnten Interview vom 5. Februar 1955 antwortete Shukow auf die Frage von Hearst: „Waren Sie an der Schlacht bei Moskau und an der Stalingrader Schlacht persönlich beteiligt?", ohne die Namen Stalin oder Bulganin und Chruschtschow überhaupt zu erwähnen:

„Durch Beschluß des Verteidigungskomitees war ich zur Zeit der Verteidigung Moskaus zum Befehlshaber der Truppen ernannt worden. Bei der Stalingrader Schlacht leitete ich die ganze mit der Durchführung der Stalingrader Operation verbundene Vorbereitungsarbeit. Die Operation selbst wurde von Marsdtall Wassilewskij durchgeführt. Ich war damals mit der Vorbereitung der folgenden Offensivoperationen beschäftigt, zu denen wir rüsteten, um Hitler die Möglichkeit zu nehmen, mit seinen Kräften zu manövrieren.“

In seinem Prawda-Artikel vom 8. Mai 1956, den er mit dem Hinweis auf einen Lenin-Ausspruch einleitete, erwähnte Shukow Stalin nur am Rande und ging auf die Verdienste der Politrukgruppe (Bulganin, Chruschtschow, Shdanow, Schtscherbakow), die Konjew in seiner Rede um Woroschilow und L. M. Kaganowitsch erweiterte, überhaupt nicht ein.

Shukow erklärte:

„Die Siege der Sowjetarmee bei Moskau, Stalingrad und Kursk, die vernidttenden Schläge gegen den Feind im Jahre 1944, die strategisdten Operationen im Jahre 1945, die den Krieg abschlossen, waren klassische Leistungen der Kriegskunst des zweiten Weltkrieges, der Stolz unserer Streitkräfte und zugleich das Zeugnis ihrer Kampfkraft sowie der hervorragenden Kunst der durch die KPdSU erzogenen Heerführer.“

Einer ähnlichen Formel bediente sich anläßlich des 38. Jahrestages der Sowjetwehrmacht Marschall Wassilewskij, indem er am 23. Februar 1956 in der Iswestija schrieb:

„Die sowjetischen Feldherrn, die aus dem Volke kommen, und von der Partei großgezogen sind, haben hervorragende Beispiele der Führung großer Truppenmassen gezeigt. Indem sie Fronten und Armeen befehligten, waren sie unmittelbare Organisatoren der KampfOperationen zur Zersdtmetterung der feindlichen Truppen. Unsere Kommandeure haben das Beispiel einer schöpferischen Lösung der Kampfaufgaben gegeben. Die Operationen wurden unter Berücksichtigung der konkreten Feindlage geplant und großzügig und mit Entschiedenheit durchgeführt.

Die Legende von Stalin als dem „Mann, der den zweiten Weltkrieg gewonnen hat“ ist im Märzheft der Woprossy Istorii endgültig fallen-gelassen worden. In der Zeitschrift heißt es:

„In unserer Literatur wurde der historische Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland ausschließlich der Führung J. W. Stalins zugeschrieben. Eine so subjektive Erklärung der Gründe unseres Sieges ist völlig unrichtig. In Wirklichkeit wurde der Sieg von der Partei und vom ganzen Volk sowie von den glorreichen Sowjettruppen errungen, an deren Spitze die begabten militärischen Führer standen, die von der Partei und dem Volke herausgestellt worden sind.“

Im gleichen Heft wird festgestellt, daß auch die Rolle Stalins in der Interventionsund Bürgerkriegszeit (1918 bis 1921) weit überschätzt worden ist:

„In der Literatur über die Geschichte des Bürgerkrieges ist der Personenkult deutlich zum Ausdruclt gekommen. In der . Kurzen Biographie'und anderen Arbeiten wird J. W. Stalin unrechtmäßig als der unmittelbare Initiator und Organisator der wichtigsten Siege der Roten Armee und als der Urheber der wichtigsten strategischen Pläne dargestellt. Um die Rolle Stalins besonders hervorzuheben, wurde zum Beispiel die Bedeutung des Zarizyn-Frontabschnittes als Ort des Hauptschlages seitens der Gegenrevolution im Jahre 1918 für das Schicksal des Sowjetlandes übertrieben. Tatsächlich war die wichtigste Front in dieser Zeit die östliche. W. I. Lenin hat mehrfach darauf hingewiesen, daß das Schicksal der Revolution in erster Linie dort entschieden worden ist.“

c) Er hat durch fehlerhafte Thesen die Weiterentwicklung der sowjetischen Militärwissenschaft gehemmt.

Oberst Tschaschnikow erkärt hierzu:

...der Personenkult, insbesondere aber der Kult der Persönlichkeit Stalins, behinderte die Entwicklung der einzelnen Zweige der Wissenschaft und führte zum Stillstand im theoretischen Denken und mandtmal sogar zu direkten Verzerrungen. Dies bezieht sich auch auf die Militärwissensdiaft, auf die Fragen der Kriegstheorie und Gesdüdtte. Bei aller Würdigung der Verdienste Stalins . . . bei der Ausarbeitung einzelner Fragen der sowjetischen Militärwissenschaft, erscheint es notwendig, einige seiner unrichtigen Thesen zu überprüfen, insbesondere seinen fehlerhaften Hinweis bezüglich der Rolle W. 1. Lenins bei der Entwiddung des Kriegswesens und des militär-theoretischen Vermächtnisses, das vom großen Lenin hinterlassen worden ist.“

Tsdtaschnikow wendet sich gegen die Behauptung Stalins in seinem Brief an den Obersten Rasin aus dem Jahre 1946, Lenin sei kein Kenner militärischer Fragen gewesen und stellt demgegenüber fest, daß Lenin auch im militärischen Bereich eine führende Rolle gespielt habe. Er hätte die theoretischen Grundlagen der sowjetischen Militärwissenschaft erarbeitet, die Sowjetarmee als eine Armee neuen Typs organisiert und sich im Bürgerkrieg als militärischer Stratege ausgezeichnet. Tsdtasnikow weist hierbei auf die von Lenin geforderte Schwerpunkt-bildung an der Ural-Front hin, die bekanntlich von Trotzkis und dem Oberkommandierenden, S. S. Kamenjow, befürwortet wurde, und vermerkt eine kritische Bemerkung Lenins an dem Bevollmächtigten des Verteidigungsrates an der Südfront, der damals Stalin persönlich war!

Abschließend bemerkt er:

„Die Feststellung Stalins, Lenin sei kein Kenner des Kriegswesens gewesen, hat bisher von der Erforschung des überreidten militärischen Vermächtnisses Lenins abgehalten. Die Fehlbeurteilung der Rolle Lenins bei der Ausarbeitung militärischer Fragen führte dazu, daß bei uns in letzter Zeit keinerlei ernsthafte Arbeiten zu diesem Thema erschienen sind.“

6. Stalin hat schwerwiegende Fehler in der Nationalitätenpolitik begangen

Diese Fehler sind von Chruschtschow, Mikojan und der Pankratowa angedeutet worden.

Chrusdusdiow sprach im ZK-Bericht von dem Durcheinander, das „einigen Genossen" bei ihrer Auslegung der nationalen Frage angerichtet hätten, die der Auffassung gewesen seien, daß zwischen dem sowjetischen Patriotismus und dem proletarischen Internationalismus ein Widerspruch bestünde.

In einer Abhandlung in dem Märzheft der Woprossy Istorii, auf die später noch näher einzugehen sein wird, ist Stalin vorgeworfen worden, bei der Konstituierung der Sowjetunion im Gegensatz zu Lenin eine von großrussischen Interessen bestimmte, falsche Konzeption vertreten zu haben. Die in Warschau erscheinende jüdische Tageszeitung Folkssbtime (Volksstimme) berichtete am 4. April 1956 über antisemitische Säuberungsaktionen in der Sowjetunion während der großen Säuberung und in den Jahren 1948 bis 1953. Den Säuberungen der Nachkriegszeit fiel unter anderem auch der Vorsitzende des jüdischen Antifaschistischen Komitees in Moskau, der bekannte Schauspieler Solomon Michaels, zum Opfer.

7. Stalin hat schwerwiegende Fehler in der Außenpolitik begangen.

Morawski schreibt:

„Der Einfluß dieser verbrecherisdten Methoden war audt über die Grenzen der UdSSR hinaus zu verspüren. Er führte zu Verzerrungen in den Sicherheitsorganen einer Reihe volksdemokratischer Länder, zur Provokation großen Maßstabs in der Jugoslawienfrage.“

In der Ulbridtt-Rede heißt es:

„Wer kann bestreiten, daß sich der Personenkult sdtädlidc auf die Entwiddung in der Sowjetunion und in den Staaten des sozialistisdten Lagers ausgewirkt hat? Die falsche Entscheidung in der jugoslawisdien Frage und in einigen anderen Fragen der Außenpolitik und die Verletzung der sowjetischen Gesetzlidikeit als Folge des Personenkults und persönlidter Willkür haben sich schädlich ausgewirkt.“

Togliatti betont in Verbindung mit dem Tito-Konflikt, daß eine mechanische Anwendung der sowjetischen „Erfahrungen“ auf die Volksdemokratien und China ein Fehler wäre. Er sagt: „Wir haben uns sdton immer gegen die mechanische Übernahme sowjetischer Dinge in unsere Agitation, Propaganda und Aktivität gesträubt, audt wenn es unter uns einige Leute gab, bei denen derartige Tendenzen vorhanden waren.“

Mit dem Hinweis auf die verfehlte Taktik der griechischen KP im Jahre 194 5 deutet er an, daß auch der griechische Bürgerkrieg nachträglich von sowjetkommunistischer Seite als ein Fehler angesehen wird. 3. Das Aktionsprogramm der Nachfolger Stalins Aus den Anklagepunkten, die sich gegen Stalin und den Spätstalinismus richten, lassen sich bestimmte Forderungen ableiten, die in ihrer Gesamtheit ein innerpolitisches Programm darstellen, das weniger auf eine grundlegende Reform der bestehenden totalitären Staats-und Gesellschaftsordnung als auf die Wiederherstellung des freieren Zustandes abzielt, wie er in der Lenin-Ära und teilweise auch unter de: frühen Stalin im Zeichen der NEP bestanden hat.

Diese Forderungen, die teils reformistische, teils revolutionäre und teils auch restaurative Züge aufweisen und die einen Umbau der bestehenden autokratischen Herrschaftsordnung cäsaropapistischen Stils im Sinne eines stärker rational bestimmten „aufgeklärten Absolutismus“ anstreben, lauten: 1. An die Stelle der Einmanndiktatur hat die Herrschaft eines „Führerkollektivs“ zu treten.

a) Das Führerprinzip ist durch den Grundsatz der kollektiven Führung zu ersetzen. Die leitende Funktion der in der Parteisatzung vorgesehenen Parteiorgane ist wiederherzu stellen.

Im Chruschtschow-Bericht heißt es:

„Erstrangige Bedeutung hatte die Wiederherstellung und gründliche Verankerung des Leninschen Prinzips der Kollektivität der Leitung. Das Zentralkomitee der KPdSU war bemüht, in dieser Hinsicht das Beispiel zu geben. Es ist für alle offenkundig, wie sehr sich die Rolle des Zentralkomitees als des kollektiven Führers unserer Partei in den letzten Jahren gehoben hat. Das Präsidium des ZK ist zu einem ständig tätigen kollektiven Organ geworden, in dessen Gesichtskreis sich die wichtigsten Fragen im Leben der Partei und des Landes befinden . . .

Der führende Kern der Partei ist keine durch persönliche Beziehungen oder gegenseitigen Vorteil verbundene Gruppe von Menschen, sondern ein tätiges Kollektiv von leitenden Genossen, deren Beziehungen auf prinzipieller ideologischer Grundlage beruhen, die weder gegenseitige Rücksichtnahme noch persönliche Feindschaft zuläßt.

Wenn es sich herausgestellt hat, daß irgendein führender Parteifunktionär in seiner Arbeit Fehler begangen hat, ergriff das ZK der KPdSU einmütig die erforderlichen Maßnahmen, um diese Fehler zu korrigieren. Auf den Plenartagungen des ZK der KPdSU wurde die Tätigkeit einer Anzahl Parteiorganisationen und Mitglieder, darunter auch die Tätigkeit von Mitgliedern des ZK, einer bolschewistischen Kritik ohne Ansehen der Person unterzogen. Einige Funktionäre, die das von der Partei in sie gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt hatten, wurden aus dem Zentralkomitee entfernt. Es braucht wohl kaum bewiesen zu werden, daß die Einheit der Partei dadurch nicht gelitten, sondern nur gewonnen hat.“

Bei Susslow heißt es:

„Die Wiederherstellung des Leninschen Prinzips der kollektiven Führung bedeutet die Wiederherstellung der wichtigsten Grundlage des Parteiaufbaus. Denn unsere Partei ist in der Tat eine lebendige, selbständig handelnde Organisation. Die Kollektivität der Führung, die Wählbarkeit der Parteiorgane und ihre Pflicht, Rechenschaft abzulegen, die Kritik und Selbstkritik, all dies sind entscheidende Voraussetzungen, um die Initiative zu entfalten, Fehler und Mängel in der Arbeit aufzudedten, Wege zu ihrer Beseitigung zu finden, und die Aktivität der Mitglieder der Kommunistsdien Partei zu entwid^eln.

Daß dasPrinzip der kollektivenFührung auf der ganzenStufenleitervom ZK bis zu den Grundorganisationen gegenwärtig mit Erfolg wiederhergestellt wird, davon zeugt die Tatsache, daß sich Kritik und Selbstkritik immer stärker entfalten und die Parteiorgane die wichtigsten Fragen wirklich kollektiv beraten und entsdteiden. Ohne den geringsten Zweifel kann man sagen, daß das Prinzip der kollektiven Führung im Zen- tralkomitee voll und ganz wiederhergestellt ist. Die Entscheidung aller hauptsächlichen Fragen ging'in die Hände des regelmäßig tagenden ZK-Plenums über, dieses breiten, kollektiv handelnden Parteizentrums, das auf das engste mit-den entscheidenden Abschnitten des Aufbaus der kommunistischen Gesellschaft verbunden ist. Die kollektiven Erfahrungen des Zentralkomitees, die sich auf den Marxismus-Leninismus stützen, gewährleisten die richtige Leitung der Partei und des Landes sowie die unerschütterlidre Einheit ihrer Reihen.

Es gilt, mit der schädlichen Theorie und Praxis des Persönlichkeitskults restlos Schluß zu machen und in der Arbeit aller Parteiorgane das Prinzip der kollektiven Führung streng zu beachten. Jeder Parteifunktionär muß sidt das Prinzip der kollektiven Führung voll und ganz zu eigen madten, denn es ist die widitigste Voraussetzung für die Einheit der Partei, für die Ausarbeitung und erfolgreidte Verwirklichung einer richtigen Politik, für die richtige Erziehung der Kader und einen neuen Aufschwung der gesamten Parteiarbeit.“

Mikojan erklärt:

„Die Arbeit des Zentralkomitees und seines Präsidiums in den letzten drei Jahren ist hauptsächlich dadurch gekennzeichnet, daß in unserer Partei nach einer langen Unterbrechung eine kollektive Führung gesdtaffen wurde.

Jetzt verfügt unsere Partei über ein fest zusammengeschweißtes leitendes Kollektiv, dessen Stärke nicht nur darin liegt, daß es aus Genossen besteht, die lange Jahre den revolutionären Kampf geführt haben, was natürlich sehr widttig ist, sondern hauptsächlich darin, daß dieses Kollektiv, geleitet von den Leninschen Ideen und Grundsätzen des Parteiaufbaus und der Führung der Partei, die Leninschen Grundsätze des Parteilebens in kurzer Zeit von den obersten Organen bis in die Grundeinheiten wieder herzustellen vermochte.

Der Grundsatz der kollektiven Führung ist ein elementares Gesetz für die proletarisdte Partei, für die Partei Leninsdten Typs . . .“

Malenkow sagt:

„Nur die kollektive politisdie Erfahrung, die kollektive Weisheit des Zentralkomitees, das sich auf die wissensdtaftlidte Grundlage der marxistisdi-leninistisdien Theorie stützt, gewährleistet die richtige Anleitung beim Aufbau des Kommunismus in unserem Lande und verleiht der Partei die unerschütterliche Einheit ihrer Reihen.“

Die Prawda vom 28. März 1956 schreibt:

„Der Begründer und Führer der Kommunistischen Partei und des Sowjetstaates, W. 1. Lenin, hat stets der Rolle der Partei bei der Leitung des Sowjetstaates und des ganzen sozialisisdten Aufbaus besondere Bedeutung beigemessen. Lenin wies auf die hohe Verantwortung der Kommunistischen Partei als der regierenden Partei im Land hin und hielt selber streng die von der Partei auf Grund reicher Erfahrungen ausgearbeiteten Normen des Parteilcbens und Führungsprinzipien ein und forderte das gleiclte von allen Kommunisten. Das wichtigste dieser Prinzipien ist die Kollektivität der Führung, die dem Wesen der Partei selbst entspringt, welphe auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus aufgebaut ist, der die Aktivität, die Initiative und die Selbst-tätigkeit der Parteimitglieder mit einer eisernen Disziplin vereinigt. Lenin sagte, , daß die Revolution ein kollektives Organisationstalent hervorbringen wird, ohne das die Millionenarmeen der Proletarier nicht den Sieg erringen können. (Werke, Bd. 29, S. 75 russ.) . . .

Die regelmäßige Abhaltung von Parteitagen und -konferenzen und von Plenartagungen des Zentralkomitees, die systematische Arbeit der anderen oberen Parteiorgane und ihrer lokalen Organisationen, die eingehende Erörterung und Ausarbeitung kollektiver Beschlüsse — all das ist eine unbedingte Regel unserer Partei, die für die Geschielte eines großen Staates, des Volkes, für den Aufbau des Kommunismus in unserem Land verantwortlich ist. . .

Das Leben zeigt, daß die Wiederherstellung der Leninschen Prinzipien der kollektiven Führung und der Kampf gegen den Personenkult eine nie dagewesene Aktivität und schöpferische Initiative der breiten Massen der Werktätigen hervorgerufen haben. Das wirkt sich wohltuend auf unseren gesamten wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau aus."

Die begrenzte Auflockerung des totalitären Systems, die mit dem kollektiven Führungsprinzip zwangsläufig verbunden ist, darf nicht mit der Vorstellung einer Demokratisierung im westlichen Sinn gleichgesetzt werden, selbst wenn eine private Äußerung Chruschtschows zutreffen sollte, daß im ZK-Präsidium gelegentlich Abstimmungen stattfinden und abweichende Auffassungen schriftlich festgehalten werden

Das kollektive Führungsprinzip stellt in Verbindung mit dem autoritären Organisationsgrundsatz des „demokratischen Zentralismus“ im Grunde genommen nur eine Modifizierung des bisherigen Führer-prinzips dar.

Im Bereich der Wehrmacht, der Staatswirtschaft und des Bildungsund Schulwesens gilt im übrigen der Grundsatz der einheitlichen Befehlsgewalt (Jedinonatschalije), d. h. Führerprinzip, weiter. Auch bedeutet die Ablehnung des Personenkults vom sowjetischen Standpunkt in keiner Wiese die Leugnung der Autorität der „Führer“ (Woshdi).

Dies geht deutlich aus der folgenden Feststellung im Prawda-ArtWel vom 28. März hervor, in dem auch auf die Ausnahme von der Regel des kollektiven Führungsprinzips eingegangen wird:

„Im Kampf gegen den Personenkult muß man daran denken, daß dem Marxismus-Leninismus kleinbürgerliche, anardtistisdte Auffassungen, die die Rolle der Führer, der Organisatoren der Massen, negieren, fremd sind. Die überaus reichen Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus lehren, daß das Prinzip der Kollektivität der Führung, einer weitgehenden Entfaltung des sozialistischen Demokratismus, durchaus nicht die Rolle und die Verantwortung eines einzelnen Führers für die ihm übertragene Aufgabe negiert.

Es ist ferner bekannt, daß die Kommunistische Partei das Prinzip der Ein-Mann-Führung in den Produktionsbetrieben und beim Militär vertrat und vertritt.“

Schepilow erklärt:

„Wenn der revolutionäre Marxismus gegen den Personenkult, für eine materialistische Geschichtsauffassung kämpft, verleugnet er dabei keineswegs die Rolle der Leiter und Führer im gesellschaftlichen Prozeß, die das Volk hervorbringt und denen es vertraut, sondern mißt ihr vielmehr gewaltige Bedeutung bei. , Keine Klasse ist ja in der Geschichte zur Herrschaft gelangt', sagte Lenin, , wenn sie nicht ihre eigenen politischen Führer, ihre Vorkämpfer hervorbrachte, die fähig waren, die Bewegung zu organisieren und zu leiten.'Die Leninschen Prinzipien der großzügigen Selbsttätigkeit der Massen und der kollektiven Führung bedeuten keineswegs eine Leitung der Produktion, der Schule, der Armee usw. durch Versammlungen. Der Marxismus-Leninismus führte und führt einen Kampf sowohl gegen die idealistische Auffassung von den Melden als Hauptgestaltern der Geschichte, als auch gegen den Anarchismus, der die Autorität der Führer leugnet.“

Von der Sowjetunion aus gesehen, ist es sicher ein Unterschied, ob an der Staatsspitze ein selbstherrlicher Diktator steht oder ob ein Gremium erfahrener Berufspolitiker kollektiver Träger einer „Diktatur ohne Diktator“ ist. In prinzizieller Hinsicht ist jedoch dieser Unterschied geringer, als es auf den ersten Blick scheint. An die Stelle der Unfehlbarkeit des Führers ist lediglich die unfehlbare Weisheit des „Führerkollektivs“ getreten, wobei die Verantwortung für die Durchführung von Kollektiv-entscheidungen jeweils bei einer einzelnen Person liegt, die keiner demokratischen Kontrolle unterworfen ist.

Die verfassungspolitische Bedeutung des kollektiven Führungsprinzips liegt weniger in der Art der Führung als vielmehr in der Aufteilung der in den alleinigen Händen der Exekutive ruhenden Staatsgewalt in einzelne Funktionsbereiche und der damit verbundene Übergang von einer persönlichen zu einer institutionalisierten Autokratie, deren Beschränkung sich aus dem Gleichgewicht der Kräfte ergibt, die sich in den einzelnen Funktionsbereichen bestimmend auswirken (Partei, Regierung, Wehrmacht usw.). b) Die Grundsätze der „innerparteilichen Demokratie“ sind wiederherzustellen. Diskussion und Kritik sind zu beleben.

Im Chruschtschow-Bericht wird erklärt:

„Die weitere Festigkeit der Einheit der Partei und die Hebung der Aktivität der Parteiorganisationen erforderten die Wiederherstellung der von Lenin ausgearbeiteten Normen des Parteilebens, gegen die früher häufig verstoßen wurde . .. Die prinzipielle und offene Kritik und Selbstkritik ist der sichere Weg zur weiteren Stärkung der Partei, zur raschesten Behebung der Mängel, zu neuen Erfolgen an allen Abschnitten des koittmunistischen Aufbaus.“

In der Schlußresolution wird erklärt:

„Der Parteitag billigt voll und ganz die große Arbeit, die das Zentralkomitee geleistet hat, um die Leninschen Normen des Parteilebens wiederherzustellen, die innerparteiliche Demokratie zu entwiclteln, die Prinzipien der kollektiven Führung auf der Grundlage der Durchführung der marxistisch-leninistischen Politik zu verankern, den Stil und die Methoden der Parteiarbeit zu vervollkommnen. Der Kampf für die Einhaltung der demokratischen Grundbestimmungen des Parteilebens, gegen das Administrieren und die kanzleibürokratischen Führungsmethoden, für die Entfaltung von Kritik und Selbstkritik sicherte eine erhöhte Aktivität der Parteimassen, eine gesteigerte Verantwortung der Kommunisten für die Sache der Partei, einen neuen Aufschwung der politischen Aktivität und des Arbeitselans der Werktätigen.“

In einem Artikel „Die große Renaissance“ in der Trybuna L'udu vom 17. April 1956 heißt es:

„Die fundamentale Aufgabe, die gegenwärtig vor uns liegt, besteht in einem beständigen Kampf für die Einführung des leninistischen Standards, für eine noch größere Demokratisierung unseres Partei-und Soziallebens. Es ist verständlich, daß eine Periode wie diese viel Zweifel aufkommen läßt. Man sollte dem Volk nicht den Mund verschließen, man sollte niemand zwingen, über seine Nöte stillzuschweigen. Laßt die Menschen offen darüber sprechen, was sie quält . . .

In lebhaften Erörterungen, in einem Zusammenprall der Meinungen, in einem Gedankenaustausch werden wir immer bessere Lebensbedingungen schaffen ... In dieser Diskussion wächst die Partei und wird stärker..

Die Grundsätze der „innerparteilichen Demokratie" bedeuten erstens, daß alle Parteiorgane gewählt werden, wobei mit der Kandidatenaufstellung, die meist auf Weisung von oben erfolgt, im Grunde genommen die Entscheidung vorweggenommen wird; zweitens, daß die Organe zu regelmäßigen Tagungen zusammentreten; drittens, daß die einzelnen Mitglieder ihre Meinung äußern können. Ausgehend von dem Grundsatz der Parteieinheit, den Lenin 1921 entwickelte wird eine „Fraktionsbildung" innerhalb der Partei jedoch nicht geduldet. Nachdem ein Beschluß gefaßt ist, muß sich die Minderheit der Mehrheitsentscheidung bedingungslos unterwerfen. Auf die Grenzen, die im Rahmen der Aufklärungskampagne über die Beschlüsse des 20. Parteikongresses der innerparteilichen Diskussion gesetzt sind, wurde im Prawda-Artikel vom 5. April sehr drastisch hingewiesen:

„Zugleidt darf nicht an der Tatsache vorbeigegangen werden, daß einzelne von Fäulnis befallene Elemente versuchen, Kritik und Selbstkritik zu den verschiedensten verleumderischen Ausfällen und partei-feindlichen Behauptungen zu benutzen. So machten sich auf einer Parteiversammlung eines wissenschaftlichen Laboratoriums die Mitarbeiter Awalow, Orlow, Nesterow und Schtschedrin die innerparteiliche Demokratie für verleumderische Reden gegen die Politik der Partei, gegen ihre Leninschen Grundlagen zunutze. Die Mitglieder der Parteiorganisation legten nicht die notwendige bolschewistische kämpferische Unversöhnlichkeit gegen diese parteifeindlichen Ausfälle an den Tag. Auf einer Parteiversammlung der Statistischen Verwaltung des Moskauer Gebiets gab L. Jaroschenko provokatorische, parteifeindliche Erklärungen ab. Solche Reden sind dem Wesen nach ein Nachbeten fremder Stimmen, eine Wiederholung der abgedroschenen verleumderischen Hirn-gespinste der ausländischen reaktionären Propaganda. Einzelne von Fäulnis befallene Elemente versuchen, unter dem Deckmantel der Ver-urteiluHg des Personenkults die Richtigkeit der Politik der Partei in Zweifel zu stellen. Die gesamte geschichtliche Entwicklung des Sowjet-landes widerlegt solche Erfindungen und läßt von solchen Versuchen mit untauglichen Mitteln keinen Stein auf dem andern.

Die Politik der Partei war in allen Perioden ihrer Geschichte eine Leninsche Politik und bleibt es. Die Politik ist von der Partei, von ihrem Zentralkomitee im Kampf für den Sieg des Sozialismus ausgearbeitet worden, sie verkörpert in sielt die kollektive Weisheit der Partei . . .

Unsere ganze Partei billigt einmütig die weise Leninsche Politik. Aber es kommt noch vor, daß manche Parteiorganisationen an spießbürgerlichen, von Versumpfung zeugenden Äußerungen einzelner Personen vorübergehen, sie nicht entlarven, Liberalismus in Bezug auf Leute zulassen, die parteifeindliche Erklärungen abgeben. So nahm sich das Parteimitglied Ternowskij auf einer Parteiaktivtagung des Stadt-bezirks Dsershinski in Tschkalow falsche, dem Wesen nach demagogische Äußerungen heraus, ohne daß die Tagungsteilnehmer, darunter auch der auf der Tagung anwesende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Gebietssowjets Tschkalow und Mitglied des Büros des Gebietsparteikomitees, Genosse Shukow, ihm eine Abfuhr erteilt hätten.

Die Parteiorganisationen müssen entschlossen alle Abweichungen von der Politik der Kommunistischen Partei, von der marxistisch-leninistischen Ideologie bekämpfen. Jedem Kommunisten ist im Rahmen des Statuts der KPdSU die Freiheit gewährt, alle Fragen der Parteipolitik zu erörtern. Aber die Partei hat nie kleinbürgerliche Verlotterung und erst recht keine parteifeindlichen Äußerungen in ihrer Mitte, mochten sie auch vereinzelt sein, zugelassen und wird es auch in Zukunft nicht tun. Die Partei kann nicht dulden, daß die Diskussionsfreiheit als Freiheit der Propagierung dem Geist des Marxismus-Leninismus fremder Anschauungen ausgelegt wird, denn dies widerspricht den Bestimmungen des Parteistatuts, den Prinzipien der Partei.“

c) Die Kontrolle über die Exekutive ist wiederherzustellen und die bürokratische Erstarrung zu überwinden.

Im Prawda-Artikel vom 28. März heißt es:

„Lenin lehrte: , Die Masse muß das Recht haben, sich verantwortliche Leiter zu wählen. Die Masse muß das Recht haben, sie abzusetzen, die Masse muß das Recht haben, jeden kleinsten Schritt ihrer Tätigkeit zu kennen und zu kontrollieren.“

Die Prawda vorn 5. April schreibt:

„Die ganze Tätigkeit der Kommunistischen Partei und ihres Zentral-komitees ist stets von tiefem Glauben an die revolutionäre Energie des Volkes als des Schöpfers aller materiellen und geistigen Güter der Gesellschaft erfüllt.

Der Leninismus lehrt, daß das lebendige Schaffen der Massen die Haupttriebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung ist. . . Der entschlossene Kampf gegen die Überreste des Personenkults hat einen neuen Aufschwung der politischen und Arbeitsaktivität der breiten Volks-massen ausgelöst. . . Ein gewaltiger politischer und Arbeitselan herrscht in den Städten und Dörfern, in den Industriebetrieben, in den Kolchosen, MTS und Sowchosen des Sowjetlandes . ..

Immer klarer zeigen sich die günstigen Ergebnisse der vom Zentralkomitee der Partei ergriffenen Maßnahmen zur Wiederherstellung und weiteren Entwicltlung der demokratischen Prinzipien des Lebens und der Tätigkeit der Partei, gegen das bloße Administrieren und gegen kanzleimäßig-bürokratische Leitungsmethoden, gegen das Vertuschen von Mängeln und das Schönfärben der Wirklicltkeit, gegen Beamten-hochmut und Selbstzufriedenheit, für die Entfaltung einer sachlidien, prinzipiellen Kritik und Selbstkritik. Dies gewährleistet eine Zunahme der politischen Aktivität der breiten Massen der Parteimitglieder, bahnt der schöpferischen Initiative und Energie der Sowjetmenschen den Weg, trägt zur allseitigen Entwicklung des Neuerertums bei und hebt beträchtlich das Verantwortungsgefühl eines jeden Kommunisten, eines jeden Sowjetmenschen für die ihm übertragene Aufgabe.“

Sdiepilow sagt:

„Zur erfolgreichen Lösung dieser großen und komplizierten Aufgaben ist es erforderlich, bürokratische Verzerrungen und Amtsschimmel jeder Art in unserem Staatsapparat zu beseitigen, die materielle Interessiertheit der Arbeiter, Kolchosbauern, Ingenieure, Agronomen " an der besse- reu Ausnutzung der Produktionsressourcen zu erhölien, die Arbeiter und Kolchosbauern zur unmittelbaren Leitung der Produktion breiter heranzuziehen.

Die Partei verlangt, daß unsere Partei-, Komsomol-, Verwaltungs-, Wirtschafts-, Gewerkschaftsleiter, die oberen und die unteren, tatsächlich auf Leninsche Weise arbeiten. Lenin sagte, daß sie , tief im Arbeiter-leben verwurzelt bleiben müssen, das Leben der Arbeiter in-und auswendig kennen müssen, verstehen müssen, in jeder Frage, in jedem Moment die Stimmung der Massen, ihre wirklichen Bestrebungen, Bedürfnisse, Gedanken unfehlbar zu erfassen, verstehen müssen . . . das grenzenlose Vertrauen der Masse zu gewinnen durch kameradschaftliches Verhalten zu ihr, durch sorgsame Befriedigung ihrer Bedürfnisse.“

Von der Einführung einer rechtsstaatlichen Kontrolle kann in einem zentralisierten Verwaltungsstaat wie der Sowjetunion natürlich keine Rede sein. Die Ausführungen über die Kontrolle von „oben" und „unten“ bedeuten im Grunde nur, daß die Partei die Kontrollfunktion, die sie im öffentlichen Leben der Sowjetunion ausübt, zu intensivieren gedenkt.

Die konkreten Maßnahmen, die bisher gegen die Bürokratisierung ergriffen worden sind, betrafen einerseits eine zahlenmäßige Verringerung und rationellere Verteilung des Beamtenstabes andererseits eine begrenzte Dezentralisierung der Verwaltungsbehörden, deren Bedeutung im Rahmen des schrittweisen Entstalinisierungsprozesses nicht sehr hoch zu veranschlagen ist

2. Persönliche Willkür und der Mißbrauch von Machtbefugnissen sollen ausgeschlossen werden.

a) Die Staatspolizei ist der Kontrolle der zuständigen Partei-und Staatsorgane zu unterstellen, zugleich aber zu verstärken.

Im ZK-Bericht heißt es:

„Die Arbeit der Staatssicherheitsorgane wurde unter die erforderliche Kontrolle der Partei und der Regierung gestellt. Es wurde eine bedeutsame Arbeit geleistet, um die Organe der Staatssicherheit, das Gerichtswesen und die Staatsanwaltschaft, durch bewährte Kader zu festigen. Die Staatsanwaltschaft erhielt ihre Rechte im vollen Umfange wieder und ist verstärkt worden.“

Inzwischen ist zur Überwachung des Staatssicherheitsdienstes ein Sonderausschuß bei der sowjetischen Staatsanwaltschaft geschaffen worden

Im gleichen ZK-Bericht verurteilte Chruschtschow eine Diffamierung des Staatssicherheitsdienstes und sprach sich für seine weitere Festigung aus:

„Es muß gesagt werden, daß im Zusammenhang mit der Überprüfung und Aufhebung der in verschiedenen Verfahren gefällten Urteile bei manchen Genossen ein gewisses Mißtrauen gegenüber den Mitarbeitern der Staatssicherheitsorgane in Erscheinung getreten ist. Das ist natürlich falsch und sehr schädlich. Wir wissen, daß die Mitarbeiter unseres Sicherheitsdienstes in ihrer überwiegenden Mehrheit aus ehrlichen, unserer gemeinsamen Sache ergebenen Funktionären bestehen, und wir vertrauen diesen Kadern. Man darf nicht vergessen, daß die Feinde stets versucht haben und auch in Zukunft versuchen werden, die große Sache der Errichtung des Kommunismus zu stören. Die kapitalistische Umwelt hat so manchen Spion und Diversanten zu uns geschidtt. Es wäre naiv anzunehmen, die Feinde würden ihre Versuche, uns mit allen Mitteln zu schaden, jetzt aufgeben . . .

Deshalb müssen wir die revolutionäre Wachsamkeit im Sowjetvolk in jeder Weise heben und die Staatssicherheitsorgane festigen.“

Die Reaktion der Sowjetbevölkerung auf die Zerstörung des Stalin-Mythos, die der Sowjetführung teilweise überraschend kam, veranlaßte den Ersten Parteisekretär, sich am 13. April 1956 in einer Rede vor jungen Bauarbeitern noch eindeutiger für eine Stärkung des Staatssicherheitsdienstes einzusetzen.

Chruschtschow erklärte:

„Die Kapitalisten verstehen es sehr gut, ihre kapitalistische Welt und ihre ausbeuterische Ordnung zu verteidigen. Sie verstehen es, den Spionagedienst zu organisieren und ihre Spione und Diversanten zu uns zu schicken. Dürfen wir denn sorglos sein und gleichgültig gegenüber allen jenen Gemeinheiten verbleiben, die die Imperialisten uns gegenüber unternehmen? Wir müssen es verstehen, den Feind zu erkennen, alle seine Kniffe rechtzeitig zu durchschauen. Wir müssen die Sicherheit unseres Staates mit allen Mitteln festigen, Wachsamkeit an den Tag legen und die Handlungen der Feinde unterbinden. Die Feinde hoffen, daß wir in unserer Wachsamkeit nachlassen und die Organe unserer Staatssicherheit sdtwächen werden. Nein, das wird niemals geschehen! Das proletarische Schwert muß immer scharf sein, muß die Errungenschaften der Revolution, die Errungenschaften der Arbeiterklasse und die Errungenschaften des werktätigen Volkes stets geschickt beschützen.“

Es ist nicht uninteressant, dieser Äußerung Chruschtschows eine ähnlich gehaltene Erklärung Stalins aus dem Jahre 1927 gegenüberzustellen, in welcher der auf dem Wege der Alleinherrschaft befindliche Diktator die besondere Stellung der Staatspolizei im System der stationären Diktatur zu bestimmen und die von ihr ausgeübte Herrschaftsfunktion zu rechtfertigen versuchte Der Vergleich zeigt, daß die mit dem Begriff der „kapitalistischen Einkreisung" verbundenen Vorstellungen, auf die noch später einzugehen sein wird, in der Sowjetunion noch nicht völlig überwunden sind.

Stalin sagte:

„Die GPU ist eine Drohung an die Bourgeoisie, eine immer wachsame Wache der Revolution, das entblößte Schwert des Proletariats. Was die Lage im Innern anbetrifft, so ist die Stellung der Revolution derart fest und unerschütterlich, daß man auch ohne die GPU auskommen könnte, die Sache ist jedoch die, daß unsere inneren Feinde nicht isolierte Einzelgänger sind. Sie sind durch Tausende von Fäden mit den Kapitalisten aller Länder verbunden, die sie mit allen Kräften und allen Mitteln unterstützen. Wir sind ein Land, das von kapitalistischen Staaten umgeben ist. Die inneren Feinde der Revolution sind die Agenten der Kapitalisten aller Länder. Die kapitalistischen Staaten stellen die Basen und die Etappen der inneren Feinde unserer Revolution dar. Indem wir die inneren Feinde bekämpfen, kämpfen wir also gegen die gegenrevolutionären Elemente aller Länder. Urteilen Sie jetzt selber, ob es unter solchen Umständen möglich ist, auf Straforgane wie die GPU zu verzichten . . . Nein, Genossen, wir wollen die Fehler der Träger der Pariser Kommune nicht wiederholen. Die Revolution braucht die GPU, und die GPU wird bei uns zum Schrecken der Feinde des Proletariats weiterbestehen.“

b) Die Opfer der Stalinschen Willkürherrschaft sind zu rehabilitieren.

Im Chruschtschow-Bericht wird erklärt:

„Das Zentralkomitee hat den sogenannten . Leningrader Fall'überprüft und festgestellt, daß er von Berija und seinen Handlangern inszeniert wurde, um die Leningrader Parteiorganisation zu schwächen und ihre Kader in Verruf zu bringen. Nach Feststellung der Haltlosigkeit des . Leningrader Prozesses'hat das Zentralkomitee der Partei auch eine Reihe anderer zweifelhafter Prozesse überprüft.

Das ZK hat Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit getroffen. Auf Antrag des Zentralkomitees wurden die unschuldig verurteilten Menschen rehabilitiert.“

Der Reigen der Rehabilitierten wurde in derMikojan-Rede mit An-tonow-Owsejenko, Kossior und Bela Kun eröffnet. Letzterem widmete der ungarische Wirtschaftstheoretiker Varga, der unter Stalin in Un-gnade gefallen war, einen längeren Gedenkartikel in der Prawda. Ulbricht wies in seiner Rede auf Postyschew und Wosnessenskij hin und beantworte die Frage: „Aber gab es denn niemand, der dagegen opponiert hat?“ mit den Worten: „Jawohl, Postyschew, Wosnessenskij und andere haben dagegen opponiert und wurden daraufhin verhaftet. Es ist nachweisbar, daß ihr Standpunkt richtig war.“

Es ist kein Zufall, daß Ulbricht den Namen Postychew besonders hervorgehoben hat. Postyschew war auf der Plenartagung des Zentral-komitees im März 1937, auf der Stalin seine Theorie des verschärften Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus entwickelte, von Mehrheit des Zentralkomitees als Sprecher herausgestellt worden, um gegen Stalins Absicht, die Opposition physisch zu liquidieren, zu opponieren Postychew war absichtlich gewählt worden, weil hinsichtlich seiner persönlichen Ergebenheit gegenüber Stalin auch nicht der geringste Zweifel bestand. Zusammen mit Kossior hatte Postyscltew 193 3 eine Säuberung der ukrainischen KP von oppositionellen Elementen durchgeführt und Skrypnik des „bürgerlichen Nationalismus" bezichtigt, der daraufhin Selbstmord verübte. Kossior und Postysdtew wurden bereits in dem Februarheft der Woprossy Istorii genannt, das ferner noch Namen der folgenden Spitzenfunktionäre erwähnte, die in der Großen Säuberung (1934— 1938) umgekommen waren Rudsutak, Tschubarj, Kossarew, Gamarnik, Podwojskij. Diese Liste der Rehabilitierten wurde im Märzheft der Woprossy Istorii noch durch folgende Namen erweitert Blücher, ]egorow, Unschlicht, Bubnow, Kedrow, Ruchimowitsch und — mit gewissen Vorbehalten — Skrypnik.

In beiden Heften wurden ferner Namen von Personen aufgeführt, die erst nach ihrem Tode in Ungnade gefallen waren, wie Pokrowskij Eine dritte Gruppe umfaßt Persönlichkeiten, die unter Lenin und teilweise unter Stalin eine führende Rolle gespielt haben, deren Bedeutung jedoch unter dem Spätstalinismus nicht gebührend gewürdigt worden ist. Zu dieser Gruppe gehören: Tsdtitscherin, Lunatscharskij, die Krupskaja, S. S. Kamenjew und in gewissem Sinne auch Jaroslawskij, Losowskij und Manuilskij.

Gemäß dem Borba-Bericht soll im Zusammenhang mit dem Leningrader Fall neben Wosnessenskij auch A. A. Kusnezow genannt worden sein Ferner ist der bekannte sowjetische Biologe Wawilow rehabilitiert worden.

Wenn man von den rehabilitierten ausländischen Kommunisten-führern und den Persönlichkeiten, deren Bedeutung aufgewertet wird, absieht, so lassen sich bei den bisher Rehabilitierten folgende Kategorien unterscheiden: 1. Mitarbeiter Stalins, die während der Großen Säuberung und in der Nachkriegszeit gegen ihn opponierten und daraufhin liquidiert wurden:

Vollmitglieder des Politbüros: Bubnow, Rudsutak, Kossior, Tschubarj, Wosnessenskij.

Kandidaten des Politbüros: Petrowski/ (195 3 rehabilitiert), Postysdtew, A. A. Kusnezow.

Komsomolführer: Kossarew.

Von den Kandidaten des Politbüros, die trotz ihrer Zugehörigkeit zur Stalinfraktion Opfer der Säuberung wurden, fehlen nur noch Eiche und Syrzow, der bereits 1930 in Opposition zu Stalin trat An eine Rehabilitierung der oppositionellen Gruppen (Trotzkisten, Bucharin-Anhänger) ist, wie aus der scharfen Bemerkung Chruschtschows in dem ZK-Bericht hervorgeht zunächst nicht gedacht, doch sollen die einzelnen Oppositionellen nicht mehr als Verbrecher, sondern als ideologische Gegner gewertet werden. So ist die Legende, daß Trotzkij ein „imperialistischer Agent" und Haupt eines Spionagerings gewesen sei stillschweigend fallengelassen worden. Schon das genügt, wie Halperin zutreffend festgestellt hat um die drei großen Schauprozesse gegen die linke und rechte Opposition (1936, 1937, 1938) zu disqualifizieren, da in allen drei Prozessen die Angeklagten gestanden haben, ihre Verbrechen im Auftrage Trotzkijs verübt zu haben.

Früher oder später wird eine Revision dieser Prozesse nicht zu umgehen sein.

Der Name Trotzkij taucht bereits häufig auf, desgleichen die Namen der Angehörigen der rechten Opposition (Budtarin, Rykow, Tomskij), der Arbeiteropposition (Schljapnikow) und der Gruppe „Demokratischer Zentralismus" (Ossinskij, Sapronow). Die letzte Gruppe, die sich seinerzeit besonders für das Kollegialitätsprinzip eingesetzt hat, wird aus verständlichen Gründen am freundlichsten behandelt Besondere Schwierigkeiten dürfte der jetzigen Sowjetführung der Fall Bucharins, des großen ideologischen Gegenspielers Stalins, bereiten, der die Stalinsche Theorie von der Verschärfung des Klassenkampfes bereits im ersten Aufbaustadium des Sozialismus scharf abgelehnt hatte.

Die einzigen Politbüroangehörigen, welche die. Große Säuberung lebend überstanden haben, sind Petrowskij und Bubnow. Letzterer soll kürzlich nach Moskau zurückgekehrt sein Über das Schicksal Sokolnikows, Rakowskis und Radeks, die ihre Strafe längst verbüßt haben müßten, ist nichts bekannt geworden.

2. Führende militärische Persönlichkeiten, die in Verbindung mit dem Fall Tuchatschewskij (1937) und später den Tod gefunden haben:

Militärs:

Marschall Blüdter — Oberbefehlshaber der legendären Fernost-Armee (OKDWA)

Marschall Jegorow — Generalstabschef der Roten Armee Unschlicht — Oberbefehlshaber der sowjetischen Luftwaffe Die Gruppe Tuchatschewskij ist bisher nicht rehabilitiert worden. Blücher und Jegorow, die 1938 verschwanden, gehörten dem Militärtribunal an, das Tudratsdrewskij und seine Kampfgefährten zum Tode verurteilte.

Auch der 1935 eines natürlichen Todes gestorbene Vorgänger Jegorows, S. S. Kamenjew, der als Oberbefehlshaber maßgebenden Anteil an dem siegreichen Ausgang des Interventionsund Bürgerkrieges hatte, wird als Persönlichkeit aufgewertet.

Politruks:

Gamarnik — Leiter der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee Bubnow — Vorgänger Gamarniks. Während der Bürgerkriegs-zeit Mitglied des Obersten Kriegsrates der RSFSR Antonow- — Als Mitglied des Dreierkollegiums Kriegskommissar Owsejenko der RSFRS (1917)

Podwojskij — Als Mitglied des Dreierkollegiums Kriegskommissar der RSFSR (1917)

Gamarnik, der über enge Beziehungen zu Marschall Blücher verfügte, verübte im Zusammenhang mit dem Tuchatschewskii-Fall Selbstmord. Bubnow, Antonow-Owsejenko, Podwojskij gehörten dem Revolutionären Militärkomitee an, das den bewaffneten Aufstand in St. Petersburg leitete, der die Machtübernahme der Bolschewiki ermöglichte.

Wehrwirtschaftsführer:

Kredow — Leiter der Rüstungsabteilung des GOSSPLAN 3. Bekannte Dichter und Wissenschaftler, die unter Stalin in Ungnade gefallen waren:

Jessenin — Lyriker Wawilow — Genetiker Pokrowskij — Historiker Die Aufwertung der Persönlichkeit Jessenins, der 1925 Selbstmord verübte, erfolgte bereits im Herbst 1955 Die Rehabilitierung Waw! -lows, der 1941 in der Verbannung gestorben ist, hatte die Absetzung seines Gegenspielers Lyssenko vom Posten eines Leiters der Landwirtschaftlichen Akademie der UdSSR zur Folge.

Eine Rehabilitierung des bekannten Rechtstheoretikers und Völkerrechtlers Paschnkanis ist bisher noch nicht erfolgt. Sie dürfte auf die Rechtswissenschaft ähnliche Auswirkungen haben wie die Rehabilitierung Pokrowskijs auf die Geschichtsschreibung.

Auffallend ist, daß sich unter den Rehabilitierten viele Spitzenfunktionäre befinden, die in der Ukraine eine wichtige Rolle gespielt haben. Dies gilt sowohl für die Politbüroangehörigen: Kossior, Postyschew, Tschnbarj, Petrowski) als auch für die Politruks: Bubnow, Antonow-Owsejenko, Podwojskij und Gawarnik, die während des Bürgerkriegs-zeit in der Ukraine tätig waren.

Von besonderem Interesse ist dabei der von Mikojan aufgebrachte Fall Kossior (Kosjur), da am Sturz dieses langjährigen Statthalters Stalins in der Ukraine Molotow und Cltrusdttsdiow maßgeblich mitgewirkt haben

c) Die Grundsätze der „sozialistischen Gesetzlichkeit" sind wiederherzustellen.

Im Chrusdttschow-Beridtt heißt es:

„Große Aufwerksawkeit schenkt das Zentralkomitee der Partei nach wie vor der Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Die Erfahrung gen haben gezeigt, daß die Feinde des Sowjetstaates schon die geringste Schwächung der sozialistisdten Gesetzlichkeit für ihre niederträchtige Zersetzungsarbeit auszunutzen suchen.“

Woroschilow gab in seinem Bericht folgende Maßnahmen zur Festigung der „sozialistischen Gesetzgebung“ bekannt:

1. Revision der Arbeits-und Sozialgesetzgebung, 2. Verabschiedung der Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuches und einer neuen Strafprozeßordnung, 3. Erlaß einer neuen Verordnung über die Aufsicht der Staatsanwaltschaft.

. In Verbindung mit der bevorstehenden Strafrechtsreform sind die von Wyschinskij als dem Kronjuristen der Stalin-Ära vertretenen Rechts-auffassungen in der juristischen Fachzeitschrift Sowjetskoje Gossudarstwa i Prawo einer scharfen Kritik unterzogen worden. In dem Organ des nach Wyschinskij benannten Rechtsinstituts der Akademie der Wis-

schenschaften der UdSSR heißt es

„Für die im wissenschaftlichen Bereich tätigen Juristen ist es erforderlich, die Fragen der Garantie und der Verwirklidtung der Gesetzlichkeit bezüglich des Schutzes der Rechte und Pflichten der Bürger der UdSSR tiefgründig und allseitig zu erforsdten und zu ergründen, wobei fehlerhafte Feststellungen, die in der sowjetisdren Beweistheorie vorhanden sind, zu beseitigen sind. Zu diesen gehört auch die -Feststellung von A. Ja. Wyschinskij, welche die Verpflichtung des Richters, in jedem ein zelnen Fall nach der absoluten Wahrheit zu forschen, leugnet und die Möglichkeit der Verurteilung eines Mensdten allein nur auf Grund der Wahrscheinlidtkeit der einen oder anderen Tatsache, die der ridtterlichen Bewertung unterliegt, zuläßt. Eine solche Feststellung weicht von den Forderungen der Partei und der Regierung über strenge Einhaltung der Gesetzlichkeit und der Tätigkeit der Untersudiungs-, Gerichts-und.

Staatsanwaltschaftsorgane ab.

Die in der praktischen Tätigkeit der Untersudiungs-, Gerichts-und Staatsanwaltschaftsorgane stattgefundene Verurteilung der einen oder anderen Person als sdtuldig und verantwortlich für schwerste Verbrechen allein nur auf Grund des persönlichen Geständnisses der Angeklagten ist als eine empörende Verletzung der sozialistischen Gesetzlidrkeit und der Grundsätze der Rechtswissenschaft anzusehen.“

Die neue Verordnung über die Aufsicht der Staatsanwaltschaft soll nach Woroschilow ein „exaktes Programm“ für die Staatsanwaltschaftsorgane darstellen und sie veranlassen, „prinzipienfest und unversöhnlich für die strenge Einhaltung der Gesetze durch alle Institutionen, Amtspersonen und Bürger der UdSSR zu kämpfen“. Die Schlüsselstellung, die der Staatsanwaltschaft bei diesen ersten schüchternen Schritten zu einer rechsstaatlichen Ordnung zugewiesen wird, läßt deutlich die Grenzen erkennen, die der sowjetischen „Rechtsform“ von vornherein gesetzt sind. Bei der Staatsanwaltschaft handelt es sich ja um ein Organ der Exekutive und nicht der Justiz, das bei seinen Entscheidungen einerseits von den Erfordernissen der formalen Gesetzmäßigkeit, andererseits der politischen Zweckmäßigkeit ausgeht.

Bezeichnenderweise ist auf dem 20. Parteikongreß weder von der Abschaffung der hauptsächlich von der Staatspolizei ausgeübten Verwaltungs-Strafgerichtsbarkeit, über die der amerikanische Jurist Berman berichtet hat, noch von der Einschränkung oder gar der Aufhebung des von Stalin eingeführten Systems der Zwangsarbeitslager die Rede gewesen. Solange diese beiden Institutionen weiterbestehen, bleiben der Wiederherstellung eines despotischen Regimes Tür und Tor geöffnet. 3. Die Theorie hat sich in erster Linie an Lenin und nicht an Stalin zu orientieren.

a) D i e sowjetische Staatslehre ist unter Verzicht auf die Stalinsche Theorie vom verschärften Klassenkampf weiterzuentwickeln.

Die Theorie vom verschärften Klassenkampf beim Aufbau des Sozialismus ist von Stalin 1937 formuliert, tatsächlich jedoch bereits früher entwickelt und bei der Zwangskollektivierung praktisch angewandt worden. Sie bildet die Kehrseite der Theorie vom „Kommunismus in einem Lande“, die Stalin 1939 schuf, und die eine Modifizierung seiner ursprünglichen Lehre vom „Sozialismus in einem Lande“ darstellte, die seit 1924 die ideologische Grundlage der von der Stalin-Fraktion vertretenen Generallinie bildete Den Kerri der Theorie vom Kommunismus in seinem Lande bildete die These von der „kapitalistischen Einkreisung“, mit der Stalin nicht nur das Fortbestehen, sondern auch die Stärkung des ideologischen Überbaus und insbesondere der staatlichen Zwangsgewalt rechtfertigte, die nach der Auffassung Lenins im Stadium des entfalteten Sozialismus absterben sollte. Aus der These von der „kapitalistischen Einkreisung“ ergab sich auch die Begründung für die Anwendung der Theorie des verstärkten Klassenkampfes beim Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus. Diese dogmatisch enge und negativ gehaltene Begründung der beiden Theorien, welche die Grundlage der sowjetischen Staatslehre bildeten, konnte auf die Dauer weder der veränderten sowjetischen Wirklichkeit noch dem durch die Entdeckung der Atomkraft und der Elektronentechnik revolutionär veränderten Weltbild der Nachkriegszeit genügen. Stalin bemühte sich mit seiner im Zuge der Linguistik-Diskussion im Sommer 1950 entwickelten Lehre von der „Revolution von oben“ > die Ideologie der Wirklichkeit anzupassen, indem er die Notwendigkeit für das Fortbestehen des Staates sowjetisch-kommunistischer Prägung mit der permanenten revolutionären Funktion der staatlichen Zwangsgewalt rechtfertigte. Mit dieser positiven Begründung, die dem ideologischen Überbau neben einer konservierenden Funktion eine revolutionär-schöpferische Mission zu-wies, wurde die These von der kapitalistischen Einkreisung hinfällig, die von dem 20. Parteikongreß durch die Vorstellung von der dauerhaften Koexistenz zwischen den beiden Weltsystemen des „Sozialismus" und „Kapitalismus“ ersetzt worden ist, wobei das Gleichgewicht zwischen diesen beiden konkurrierenden Systemen dadurch gewährleistet werden soll, daß sich das soziale Lager mit den neutralistischen Mächten (die an sich keine geschlossene Dritte Kraft bilden sollen, denen aber eine autonome nationalstaatliche Entwicklung zugestanden wird) zu einer soge-nannten „Zone des Friedens“ zusammenschließen soll. Zwecks besserer ideologischer Unterbauung des Koexistenz-Begriffs und unter Berücksichtigung der sich aus der atomaren Vergeltungstheorie ergebenden militärisch-strategischen Schlußfolgerungen ist dabei auf zwei Grund-thesen Lenins verzichtet worden, die sich auf die Unvermeidbarkeit von Kriegen in der imperialistischen Epoche und kriegerischer Gewaltanwendung bei der kommunistischen Machtübernahme bezogen. Die Verneinung der Unvermeidbarkeit von Kriegen und die Anerkennung vielfältiger Übergangsformen zum Sozialismus, die sich aus der Abkehr von der zweiten Grundthese Lenins ergaben, die bisher für die sowjetische Staatslehre von entscheidender Bedeutung gewesen ist, bedeuten an sich noch keine prinzipielle Absage an die Notwendigkeit eines revolutionären Umsturzes. Es wird nur die Möglichkeit bejaht, die Revolution auch mit Hilfe „friedlicher Mittel", günstigenfalls auf parlamentarischem Wege, zu verwirklichen. Die neue These von der Vermeidbarkeit kriegerischer Auseinandersetzungen bedeutet keinen Verzicht auf nichtkriegerische Gewaltanwendung und damit auf die Intervention als Mittel der Politik.

Dies wird an den Beispielen Reval (1940) und Prag (1948) deutlich illustriert Die Machtergreifung führt, wie auf dem 20. Parteikongreß mehrfach hingewiesen worden ist, notwendigerweise zur Diktatur sowjetischen Typs, wobei dieser Prozeß irreversibel ist Damit erweist sich dieses Aufstocken parlamentarisch-demokratischer Quantitäten, die auf dem Höhepunkt der Krise in sowjetisch-sozialistische Qualität Umschlägen sollen, nur als eine Verbindung der von Hitler angewandten Technik der „legalen Machtübernahme" mit den Schlußfolgerungen, die sich aus der Anwendung der Methoden der „Revolution von oben“

auf die Außenwelt ergeben.

Die ideologischen Änderungen besitzen somit, obgleich sie eine wesentliche Modifizierung des Stalinismus darstellen, nur beschränkten Charakter. Sie rühren nicht an die Wurzel der leninistisch-stalinistischen Doktrin, die auf dem Glauben an die schöpferische Funktion der Gewalt beruht. Diese Funktion bleibt im Rahmen der Lehre von der „Revolution von oben“ auch im innerstaatlichen Bereich, trotz des Wegfalls der Theorie vom verschärften Klassenkampf, wirksam, der mit der These von der kapitalistischen Einkreisung sowieso der ideologische Boden unter den Füßen weggezogen worden ist. Die Lehre von der „Revolution von oben“ bedeutet aber trotz der Einschränkung, die sie im Verlauf der philosophischen Diskussion seit 1945 erfahren hat, daß die Anwendung staatlicher Zwangsgewalt gerechtfertigt ist, wenn dies zur Erreichung der durch die Generallinie der Partei näher bestimmten Zielsetzung der Sowjetführung beiträgt. b) Die falschen wirtschaftstheoretischen Thesen in den „Ökonomischen Problemen des Sozialismus“ sind zu revidieren.

Dieses Ziel, auf das hier nicht näher einzugehen ist, soll durch eine Umarbeitung des Lehrbuches für Politische Ökonomie durch eine „objektive“ Erforschung der politischen und ökonomischen Vorgänge in der kapitalistischen Welt erfolgen. Zu diesem Zweck soll das früher von Prof. Varga geleitete Institut für Weltpolitik und Weltwirtschaft Wiedererstehen. Eine wesentliche Rolle bei dieser Neuorientierung sollen die persönlichen Kontakte mit den kapitalistischen Ländern spielen, die weiter zu intensivieren sind. c) Die Theorie soll unter Beseitigung der Auswüchse des Personenkults „schöpferisch“ weiterentwickelt werden.

Das voluntaristische Moment, das bereits in der Stalinschen Lehre von der „Revolution von oben“ anklang, ist durch die Beschlüsse des 20. Parteikongresses im Sinne einer „schöpferischen", d. h. praktikablen und nicht dogmatischen Theorie verstärkt worden. Die Lehre von der „Revolution von oben", die weiter gilt, hat sich aus den Schranken des fatalistischen Determinismus, in die sie 1952 durch die „Ökonomischen Probleme des Sozialismus" gezwungen wurde, erneut gelöst. Sie ist jedoch im. Zuge der philosophischen Diskussion, die sich seit 1954 mit dem dialektischen und historischen Materialismus beschäftigte und im Januar 195 5 auf der Philosophentagung ihren Höhepunkt erreichte, nicht unwesentlich modifiziert worden Diese Modifizierung kommt in den folgenden Momenten zum Ausdruck: 1. Rückkehr zu den 16 Elementen der Leninschen Dialektik, insbesondere zum sogenannten Gesetz der „Negation der Negation", das von Stalin in seiner Abhandlung „Über den dialektischen und historischen Materialismus“, die das Kernstück des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSLI(B) bildet, fallengelassen wurde.

Dieses Gesetz wird in der Abhandlung Lenins über Karl Marx folgendermaßen definiert: „Die Entwicklung, die die bereits durchlaufenen Stufen wiederholt, sie jedoch auf einer höheren Basis anders wiederholt (, die Negation der Negation), die sozusagen spiralisch, nicht aber in gerader Linie verlaufende Entwiddung . . 2. Kritik an der Kategorienlehre, insbesondere dem Materie-Begriff, und an dem in der Beschränkung auf die „Vier Züge der dialektischen Methode" zum Ausdruck kommenden Schematismus Stalins.

Durch diese Kritik wurden auch die Ausführungen in den Linguistik-Briefen über die begriffliche Identität von „Sprung“ und „allmählicher Entwicklung" sowie der Differenz zwischen „Sprung“ und „Explosion“ berührt.

3. Stärkere Betonung des Bewegungsmoments, wobei die geistig orientierte Bewegungsfaktorentheorie Stalins einerseits zugunsten des ursprünglichen Marxismus eingeschränkt, andererseits durch Betonung der „ökonomischen Form“ aufrechterhalten worden ist. 4. Überwindung der gesellschaftlichen Widersprüche im Zuge des revolutionären Entwicklungsprozesses.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die philosophische Auseinandersetzung mit den Auffassungen Stalins zu einer stärkeren Betonung des revolutionären Aspekts geführt hat, während in der ursprünglichen Lehre von der „Revolution von oben" das stärkere Gewicht auf die Kontinuität des Entwicklungsprozesses gelegt wurde. Die Schaffung des Neuen und nicht die Bewahrung des Alten ist das Hauptziel. Die revolutionäre Bewegung, die vom ideologischen Überbau unter Ausnutzung der in der ökonomischen Basis verankerten Realfaktoren ausgelöst und gesteuert wird, soll dazu dienen, durch Anheben des Niveaus der Produktionskräfte die Produktionsverhältnisse des niedrigen Stadiums in einem höheren gemäß dem Gesetz der „Negation der Negation“ in anderer Form zu wiederholen. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, die gesellschaftlichen Widersprüche in der Phase des „Übergangs vom Sozialismus zum Kommunismus“, die nach offizieller sowjetischer Auffassung nur in Wachstumskrisen ihren Ausdruck finden können, auf einer höheren Ebene zu überwinden. In diesem revolutionären Prozeß wird dem Menschen als „Hauptproduktivkraft“ eine zentrale Rolle zugewiesen. 4) Eine „kühnere“ Wirtschaftspolitik und eine „liberale“ Kultur-politik sind zu betreiben.

a) DieagrarischeProduktion istimgleichenUm-

fange zu steigern wie die industrielle.

Auf die Probleme, die mit der Überwindung der „Disproportionen“ zwischen der industriellen und landwirtschaftlichen Erzeugung verbunden sind, ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Auf einzelne Aspekte des neuen Fünfjahrplans, in dem dieser Grundsatz zum Ausdruck kommt, ist in der Einführung hingewiesen worden. b) Den schöpferischen Kräften in Wissenschaft, Literatur und Kunst soll mehr Spielraum gegeben werden.

Mikojan sagt:

„Unsere Wissenschaftler und Theoretiker sollten alle ihre Kräfte dem Studium der neuen Tatsachen unserer Wirklichkeit, der neuen Ereignisse und Erscheinungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in der UdSSR und dem Auslande weihen, sollten diese Tatsachen und Erscheinungen allseitig studieren, sie im Sinne des Marxismus-Leninismus bereichern.

Und mögen die an der ideologischen Front tätigen Genossen wissen, daß die Partei ihr Zurückbleiben hinter dem Leben nicht länger dulden kann. Die Wirtschaftswissenschaftler, Historiker, Philosophen und'Juristen müssen mit der Partei, mit unserem Leben Schritt halten, sie sind verpflichtet, dem Zurückbleiben der wissenschaftlichen Arbeit ein Ende zu setzen und den Marxismus-Leninismus schöpferisch zu bereichern.“

Schepilow erklärt in seiner Rede vom 22. April 1956:

„Der 20. Parteitag hat der schöpferischen Entwicklung des marxistischen Gedankens stärksten Antrieb gegeben, damit in allen Bereichen unserer Kultur im Rahmen des Parteigeistes, im Rahmen der sozialistischen Ideologie — der fortschrittlichsten der Welt — der freie und sachliche Meinungsaustausch noch breiter entfaltet wird, jeglicher Schablone und allen toten Schemata der Krieg erklärt und sachliche prinzipielle Kritik in jeder Weise gefördert wird, und damit man sich zu neuen Vorschlägen für die Verbesserung der Arbeit feinhörig verhält. Im Bereiche der Literatur und Kunst, wo die Methode des sozialistischen Realismus einem den Leninschen Prinzipien entsprechenden Schöpfertum unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, ist es unbedingt erforderlich, weiten Raum für persönliche Initiative und für individuelle Meinungen, für Gedanken und Phantasie, für Form und Inhalt zu gewährleisten.“

Auf Einzelheiten der kulturpolitischen Entwicklung soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Es bestehen Anzeichen dafür, daß sich die „gelenkte Liberalisierung" auf dem kulturpolitischen Gebiet am stärksten auswirkt. Dies dürfte hauptsächlich daran liegen, daß die Sowjetführung, nicht zuletzt aus ihrer materialistischen Grundhaltung heraus, in diesem Bereich noch am ehesten zu Zugeständnissen bereit ist, weil sie in Konzessionen auf ökonomischem Gebiet eine weit größere Gefahr für den Bestand des Regimes erblickt.

c) Die durch den Personenkult bedingten Geschichtsfälschungen sind auszumerzen und die Geschichtsschreibung auf Tatsachen aufzubauen.

Diese Forderung ist vor allem von der Pankratowa ausgesprochen worden. Sie erklärte:

„Gewisse Historiker frisieren die geschichtliclren Ereignisse, simplifizieren sie, behandeln sie einseitig und infolgedessen unrichtig. Sie stellen den Weg, den die Partei zurückgelegt hat, als einen einzigen Triumphzug dar, bei dem es keinerlei Sdrwierigkeiten gab. Tatsächlich hat aber die Partei, wie Lenin schrieb, wiederholt aus dem Leben, aus der Praxis gelernt. Im Rechenschaftsbericht des ZK auf dem VIII. Parteitag sagte Lenin: , Wir mußten uns fast durchweg tastend vorwärtsbewegen , . . Wir machten uns an ein Werk, an das sich bisher noch niemand in der Welt in diesem Umfange gewagt hatte.'(W. I. Lenin, Ausgewählte 8, Werke, Band Seite 35.) Leider wird diese These Lenins von den Historikern nicht immer beachtet . . .

Lenin protestierte entschieden gegen die willkürliche Behandlung von Tatsachen, gegen das Herausreißen von Tatsachen aus dem allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen. Er wies in seinen Schriften auf die Notwendigkeit hin, ein Fundament aus exakten und zweifelsfrei feststehenden Tatsachen zu schaffen, und forderte, man sollte nicht einzelne Tatsachen herausgreifen, sondern die Tatsachen in ihrer Gesamtheit nehmen, damit nicht der Verdadrt entstehen könne, daß , die Tatsachen willkürlich ausgewählt oder herausgegriffen sind, daß statt des objektiven Zusammenhangs und der wedcselseitigen Abhängigkeit der historischen Ersdteinungen in ihrer Gesamtheit ein . subjektiv'zubereitetes Geridit dargeboten wird . . . * (Werke, Band 23, Seite 266/267, russ.) Mandte Historiker stellen aber falsche Thesen auf und scheuen, um sie zu stützen, nicht davor zurück, mit ganzen Sdtriften willkürlich zu verfahren . . .

Mit größter Befriedigung wurde der im Rediensdtaftsbericht des ZK enthaltene Hinweis darauf begrüßt, daß die konkreten Tatsachen gut erforsdtt und eine den Tatsadten entspredtende Einschätzung ohne jede Schönfärberei vorgenommen werden soll, damit sich unsere gesamte ideologisdte Arbeit auf einem hohen theoretischen Niveau, in entsddossenem Kampf gegen den Dogmatismus und die Buchstabengelehrsamkeit entwickelt. Eine Darstellung der historischen Wirklichkeit, die nicht der Wahrheit entspricht, kann unsere Kader und unsere Freunde im Ausland daran hindern, die wertvollen, im Kampf der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gesammelten Erfahrungen richtig auszuwerten. Leider führen wir keinen konsecjuenten und entschiedenen Kampf gegen die Abweichung von der Leninschen Einschätzung der historische Ereignisse, gegen alle Elemente des Antihistorismus und der Simp/ifikation, gegen eine subjektivistische Einstellung zur Geschichte, gegen die Modernisierung der Geschichte und eine der jeweiligen Situation angepaßte, konjunkturhafte Geschichtsbetrachtung.“

Die nächsten Arbeitsvorhaben der sowjetischen Geschichtsschreibung sind teils aus der Pankratowa-Rede, teils aus den Ergebnissen der Historiker-Tagung zu ersehen, über die im Februar-Heft der Woprossy Istorii berichtet wird. Da sich die sowjetische Geschichtsschreibung jetzt hauptsächlich der Lenin-Aera zuwendet, die vom Auslande her viel besser verfolgt werden kann, weil über sie bedeutend mehr Quellen und Augenzeugenberichte als über die Stalin-Aera vorliegen, wird es nicht schwierig sein festzustellen, ob die Forderung nach „opjektiver Forschung" eingehalten oder lediglich zur Unterbauung eines Lenin-Kults mißbraucht wird.

5) Die sowjetische Kriegsgeschichte und Militärwissenschaft sind zu revidieren.

a) Die defensive Stalinsche These von der „aktiven Verteidigung“ ist durch eine offensive „atomare Vergeltungstheorie“ zu ersetzen.

Die These von der kriegsentscheidenden Gegenoffensive (Kontrnastu-plenije) im Rahmen der Strategie der „aktiven Verteidigung“ wurde von Stalin in seinem bereits früher erwähnten Briefwechsel mit dem Obersten Rasin entwickelt, in dem er die Lehren von Clausewitz und anderen deutschen Militärtheoretikern als überholt bezeichnete „Es fehlt ein Abschnitt über die Gegenoffensive (nicht zu verwechseln mit dem Gegenstoß). Ich spreche von der Gegenoffensive nach einer erfolgreichen Offensive des Gegners, die jedoch keine entsclteidenden Resultate ergeben hat, so daß der Verteidiger während ihres Ablaufes seine Kräfte sammelt, zur Gegenoffensive übergeht und dem Gegner schließlich eine entscheidende Niederlage beibringt. Ich glaube, daß die gut organisierte Gegenoffensive eine sehr interessante Angriffsart ist. Sie hätten sich als Historiker dafür interessieren müssen. Schon die alten Parther kannten solche Gegenoffensiven, als sie den römischen Feldherrn Crassus und seine Truppen in die Tiefe ihres Landes lockten, dann zur Gegenoffensive ausholten und ihn vernichteten. Sehr viel verstand davon auch unser genialer Kutusow,'der Napoleon und seine Armee durch eine gut vorbereitete Gegenoffensive vernichtete.“

Stalins Offener Brief an Oberst Rasin, der 1946 mit dem Beginn des „Kalten Krieges“ zusammenfiel, wurde zum Ausgangspunkt für eine Flut von Arbeiten, in denen die westliche Militärwissenschaft in ihrer Gesamtheit verurteilt und die militärischen Operationen der Jahre 1941 und 1942 als Übergang zu gut vorbereiteten Gegenoffensiven aufgeführt wurden. Die These von der „aktiven Verteidigung" wurde dabei verbunden mit der Theorie der „ständig wirksamen Faktoren", was auf eine totale Kriegstheorie von defensivem Charakter hinauslief, bei der den geographischen und ökonomischen Faktoren die Hauptbedeutung zufiel. Diese Konzeption konnte den Anforderungen eines neuzeitlichen Atom-krieges in keiner Weise genügen. Dieser Erkenntnis verlieh als erster der sowjetische Generalstabschef Marschall Sokolowskij anläßlich des 37. Jahrestages der Sowjetwehrmacht in der Iswestija vom 23. Februar 19 55 Ausdruck, indem er feststellte: „Unter den gegenwärtigen Bedingungen, die eine Folge der Entwiddung einer Waffe von gewaltiger Zerstörungskraft, einer nicht dagewesenen Entwicklung der Düsenflugzeuge und der Raketentedmik sind, ist die Bedeutung des Überrasdiuugsfaktors wesentlich gestiegen. Unter solchen Bedingungen genügt es nicht, daß die Staaten, die der Gefahr eines Überfalls ausgesetzt sind, die Bereitschaft und Fähigkeit besitzen, den Schlag mit einem Gegenschlag zu beantworten. Es kommt darauf an, dem Angreifer den Faktor der Überraschung zu entziehen und sich nicht überrumpeln zu lassen.

Unsere Aufgabe besteht darin, zielstrebig unser militärisches Wissen zu erweitern und die sowjetische Militärwissenschaft zu erforschen, aber sie auch vorwärtszubewegen.

Es ist notwendig, die alleraktuellsten Probleme der Militärwissenschaft, die Probleme der Erhöhung der Kampfbereitschaft der Wehrmacht, schöpferisch zu erforschen und kühn zu lösen, indem man den Charakter des modernen Krieges sowie des Fortschritts der Wissenschaft und Technik allseitig berücksichtigt und sich auf die reichen Erfahrungen des Großen Vaterländischen Krieges stützt.

Man darf nicht vergessen, daß nur jene Wirtschaft sich erfolgreich entwidrelt und einen gewaltigen Einfluß auf die praktische Tätigkeit der Menschen ausübt, welche die Anforderungen des Lebens berüdtsiditigt, weldte die Erfahrungen der Praxis verallgemeinert. Um erfolgreich die mit der Führung von Kampfoperationen unter den neuen Bedingungen verbundenen wichtigen Probleme lösen zu können, sind unsere militärischen Kader verpflichtet, tiefgehend und allseitig die Gesdiidtte der früheren Kriege und die letzten Errungensdtaften der Kriegskunst nidit nur bei uns, sondern audt im Ausland zu studieren.

Der Versuch sich von überholten militärischen Vorstellungen zu lösen, kam noch deutlicher in dem bereits zitierten Artikel des Panzerfeldmar-sthalls Rotmistrow in der Krassnaja Swesda vom 24. März 195 5 zum Ausdruck, in dem an der Stalinschen These von der „aktiven Verteidigung“ erstmalig scharfe Kritik geübt wurde. In dem Artikel wurde festgestellt, daß sich die Möglichkeit eines Überraschungsangriffs, die nicht unterschätzt werden dürfe, in letzter Zeit eher vergrößert als vermindert habe, und zwar nicht nur auf Grund der neuen Massenvernichtungswaffen, sondern auch weil die kapitalistische Wirtschaft nicht imstande sei, einen längeren Krieg durchzuhalten; daher würden die Angreifer versuchen, einen „Blitzkrieg“ oder sogar einen „Super-Blitzkrieg“ zu führen. Es müßte ffen zugegeben werden, daß infolge der Durchschlagskraft der Atom-und Wasserstoffwaffen „in einigen Fällen ein Überraschungsangriff ein entscheidender Faktor nicht nur für die Anfangsphase eines Krieges, sondern auch für seinen Ausgang werden könnte“. Die Unterschätzung der Gefahr des modernen „Überraschungsangriffs" sei für die Kampfbereitschaft der sowjetischen Truppen äußerst schädlich. Rotmistrow meinte:

„Wir dürfen diese Ereignisse nicht mehr passiv mit ansehen, wir sollen unsere Militär-Kader nicht mit veralteten Theorien einlullen, wir müssen die wachsende Gefahr des Überrasdtungsangriffs aufzeigen und dementsprechend die Kampfbereitschaft unserer Armee, Kriegsmarine und Luftwaffe ausbauen.“

Das Ziel müsse sein, jede Möglichkeit eines Überraschungsangriffs gegen die Sowjetunion auszuschließen und alles zu tun, um nicht „überrumpelt zu werden“.

Die veränderte Haltung gegenüber den Problemen des Überraschungsangriffs vermindere nicht die Rolle der ständig wirksamen Faktoren, von denen das Endergebnis des Krieges abhängt, doch müßte die alte These, daß die bürgerlichen Staaten nicht fähig seien, diese ständig wirksamen Faktoren zu schaffen, verworfen werden. Es habe sich vielmehr erwiesen, daß die bürgerlichen militärischen Führer auch in ihren Ländern diese ständig wirksamen Faktoren entwickelten. Sie bezeichneten sie mit anderen Namen, doch würden sie alles tun, um auch auf diesem Gebiet die Sowjetunion zu überflügeln. Es dürfe auch nicht übersehen werden, daß es eine bürgerliche Militärwissenschaft gibt, die in einer ständigen Fort-entwicklung begriffen sei. Sie müßte genau erforscht werden, um ihre Möglichkeiten aufzuzeigen, ihre starken und schwachen Punkte herauszufinden und die von ihr propagierten Kampfmittel und Methoden zu erproben.

Abschließend meinte Rotmistrow:

„Nur wenn wir ihre Methoden kennen, können wir ihnen bessere und modernere Methoden der Kriegführung entgegenstellen, die sie nicht erwarten.“

Bei der Auseinandersetzung über die Notwendigkeit, durch Über-windung der defensiven stalinistischen Militärdoktrin eine den Erfordernissen der modernen Kriegführung entsprechende offensive, strategische Konzeption zu entwickeln, haben sich die gleichen Gruppen wie bei der Auseinandersetzung um den Kriegsruhm gegenübergestanden, wobei es den Anschein hat, daß die Entscheidung für eine stärkere Berücksichtigung der neuen Bedingungen des Atomkrieges und vor allem des Über-raschungsfaktors bei der Weiterentwicklung der sowjetischen Militär-wissenschaft schneller gefallen ist als der Entschluß, mit den Stalinschen militärtheoretischen Lehren endgültig zu brechen.

Dies wird aus einem Artikel des Generalmajors Kornijenko im Sowjetskij Flöt vom 6. Mai 1955 deutlich, in dem erklärt wurde: „Die Führung von Partei und Staat haben detaillierte Richtlinien über die Ziele ünd Wege der künftigen Entwicklung der sowjetischen Militärwissenschaft gegeben ...

Die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung fordern von den militärischen Führern, alle überholten Ideen und Systeme von Kampf-vorbereitungen sowie alles, was den neuen Bedingungen kriegerischer Auseinandersetzungen nicht entspricht, zu verwerfen . . .

Mit dem Auftreten neuer Waffen, die eine furchtbare Zerstörungskraft besitzen, hat die Bedeutung des Überraschungsfaktors in der gegenwärtigen Zeit ungeheuer zugenommen. Im Hinblidc darauf fordert die Kommunistische Partei, daß der Personalbestand unserer Armee und Kriegsmarine vom Geiste größter Wachsamkeit sowie ständiger und hoher Kampfbereitschaft erfüllt sein möge, um so jederzeit imstande zu sein, die Initiative dem Feinde zu entreißen und ihn nach Verabfolgung heftiger Gegenschläge schließlich vollständig zu besiegen ...

Unsere militärwissenschaftlichen Kader sind beauftragt worden, versdtiedene Fragen zu lösen, die sich auf die Ausnutzung der neuesten Erfindungen für militärische Zwecke beziehen, sowie Probleme zu bearbeiten, die mit dem Charakter der modernen operativen und taktisdten Maßnahmen, mit der Organisation, Sidierung und Durdiführung der Operationen und den Methoden der Truppenführung unter den neuen Bedingungen verbunden sind.“

Abschließend stellt Kornijenko fest, daß die moderne Kriegführung eine höhere Moral und Disziplin erfordere, was die Partei und die Regierung veranlaßt habe, neue Maßnahmen zu treffen, um die Stellung der Truppenoffiziere zu festigen, die in noch viel stärkerem Maße als bisher für die Kampfbereitschaft und die politische Erziehung ihrer Untergebenen verantwortlich seien.

Gegen eine defensive Einstellung wandte sich auch Generalleutnant Schatilow in seinem Artikel in der Literaturnaja Gaseta vom 28. Mai 1955, in dem er die Stalinsche Deutung der Geschehnisse von 1941/42 scharf kritisierte: „Die Entwicklung der Kriegstechnik, das Entstehen neuer Kampf-mittel haben stets gewisse Änderungen in der Taktik und Organisation der Truppen zur Folge gehabt und ein neues Herangehen an die Lösung gewisser Probleme der Kriegskunst erfordert. In der Schulung und Erziehung der Kader unserer Streitkräfte, in der Propagierung der sowjetischen Militärideologie und Militärwissenschaft, in der künstlerischen Wiedergabe von Prozessen, die in der Armee und in der Flotte vor sich gehen, müssen wir von realen Tatsachen ausgehen, uns auf eine gründliche und allseitige Analyse des gegenwärtigen Standes der Streitkräfte sowohl unseres Landes als auch der Länder des imperialistischen Lagers stützen.

Gegenwärtig erlangt die Frage der Überraschung im modernen Kriege eine große Bedeutung. Das Überraschungsmoment hat auch in den Kriegen der Vergangenheit eine redit große Rolle gespielt, wobei seine Bedeutung in dem Maße gewachsen ist, in dem die Armeen immer größer und beweglicher, die Waffen aber, über die sie verfügten, immer stärker und zerstörender geworden sind, in dem Maße, wie es möglich geworden ist, mit diesen Waffen nicht nur auf Truppen und Objekte unmittelbar in der Frontlinie einzuwirken, sondern auch auf Objekte und Reserven tief im Hinterland.

Die Erfahrungen des Großen Vaterländischen Krieges und die nachfolgende Entwicklung des Militärwesens zeugen davon, daß sich die Bedeutung des Überraschungsmomentes unter den gegenwärtigen Bedingungen keineswegs verringert hat, sondern umgekehrt noch gewachsen ist ,., Die modernen Armeen verfügen über Atom-und Wasserstoffwaffen und über Düsenflugzeuge, die riesige Entfernungen überwinden können, über ferngelenkte Kampfmittel, Radargeräte, Fernsehgeräte sowie andere Artin der Waffen und der technischen Ausrüstung. Der Einsatz aller dieser Mittel kann der angreifenden Seite einen gewaltigen Norteil und in manchen Fällen auch den entscheidenden Erfolg bringen, vor allem dann, wenn das plötzlich überfallene Land eine ungenügend entwidtelte Wirtschaft und ein kleines Territorium besitzt.

Die sowjetische Kriegswissenschaft, die die wadtsende Rolle des Überrasdtungsmomentes berücksichtigt, ist keineswegs geneigt, die Rolle der ständig wirkenden Faktoren, die den Ausgang'des Krieges entscheiden, herabzusetzen. Die sowjetisdte Militärwissensdiaft beruhte stets auf einer nüchternen, realistischen Einschätzung sowohl der eigenen Kräfte und Möglichkeiten als auch jener Kräfte, die der Gegner zur Verfügung hat. Die ridttige Einsdiätzung nicht nur der schwadten, sondern audt der starken Seiten des Gegners ist von ungemein grosser Bedeutung bei der allseitigen Vorbereitung des Landes zur Abwehr des Aggressors, für die ridttige Schulung und Erziehung der Streitkräfte. Und umgekehrt: Jede Unterstützung der Möglichkeiten der aggressiven Staaten kann direkt entgegengesetzte Resultate zeitigen und falsdte Vorstellungen über den Charakter der Schwierigkeiten im Kriege und über die Wege zum Sieg erwedten.

Wenn die Aggressoren uns einen Krieg aufzwingen, werden wir gegen einen starken und hodtbeweglidten Gegner kämpfen müssen, der mit allen Arten der modernen Tedtnik ausgerüstet und zu jedem Verbredten fähig ist.

Es wäre falsdt, den Aggressor sdtwadt und willenlos darzustellen und die Illusion zu sdtaffen, der Sieg über ihn würde keine grosse Anstrengungen der Armee und des ganzen Volkes erfordern. Die Meinung, es gäbe in den bürgerlidten Ländern keine Kriegswissenschaft, keine neuen Entdedtungen, es gäbe in diesen Ländern nichts, was man von ihnen lernen könnte, ist nidtt ernst zu nehmen. Soldte Ansiditen können nur Sorglosigkeit, Überheblidtkeit und Selbstzufriedenheit hervorbringen und der Verteidigungsfähigkeit des Landes Sdiaden zufügen. Wir müssen uns den Inhalt der bürgerlidten Wissensdtaft kritisch aneignen, wobei wir ihren reaktionären sozialen, politisdten und methodologisdten Charakter berücksiditigen müssen. Aber gleidtzeitig müssen wir die Entwicklung der tedtnischen Kampfmittel und die Methoden ihres Einsatzes sowie die Kriegskunst aufmerksam studieren.“

Schatilow gelangt zu dem Schluß:

„Der imperialistische Angreifer rechnet damit, daß er den Sieg über die friedliebenden Staaten mit Mitteln der Überrasdtung erringen könnte. Für uns ergibt sich daraus der Schluß, daß es uns nicht erlaubt ist, solchen Überlegungen passiv zu begegnen. Wir dürfen unsere militärisdten Kader nidtt auf allgemeine Überlegungen, sondern wir müssen sie ernsthaft und mit voller Überzeugung auf den überrasdtenden Angriff ausridtten, ihre Wachsamkeit erhöhen und die Gefechtsbereitschaft von Armee, Kriegsmarine und Luftwaffe auf diesen Moment abstellen.“ x

Auf die zentrale Bedeutung des moralischen Faktors im Rahmen einer offensiven Vergeltungsstrategie wies Oberst Kaschirin in der Krassnaja Swesda vom 28. Mai 195 5 hin: „Bekanntlich sind in der Nadikriegsperiode sehr bedeutsame Veränderungen sowohl in unseren als audt in den Armeen der imperialistischen Staaten vor sidi gegangen. Die Truppen sind heute tedtnisdt wesentlich besser ausgerüstet. Für die Bewaffnung wurde eine neue, leistungsfähigere und bessere technische Kampfausrüstung gesdiaffen. Die Motorisierung und Medtanisierung der Armeen wird ständig verstärkt. In diesem Zusammenhang taudit die Frage auf, weldte Rolle die Moral der Truppen unter den modernen Bedingungen spielt. Einige Militärtheoretiker imperialistisdter Länder geben der Furcht der Bourgeoisie vor den Volksmassen, vor ihrem zunehmenden politisdten Bewußtsein Ausdruck, wenn sie behaupten, daß im modernen Krieg die tedtnisdte Kampfausrüstung und die Waffen die entscheidende Rolle auf den Sdiladttfeldern spielen werden. Dem Mensdten messen sie zweitrangige Bedeutung bei. Besonderen Raum in der Auffassung dieser Theoretiker nimmt die Atom-und Wasserstoffwaffe ein. Nadi ihrer Meinung muß diese Waffe, kombiniert mit dem Überrasdtungsmoment beim Angriff, einen Blitzsieg im Kriege sichern. -

Von der sowjetischen Militärwissensdiaft wird die zunehmende Bedeutung der tedrnisdten Kampfausrüstung und der Bewaffnung im modernen Krieg nicht negiert. Die Quantität und Qualität der Bewaffnung ist ein Faktor, der im Zusammenhang mit anderen Faktoren einen überaus großen Einfluß auf den Verlauf und den Ausgang eines Krieges hat. Das bedeutet aber durdiaus nicht, daß die quantitative und qualitative Entwicklung der Technik und der Waffen die Bedeutung der Menschenmassen im Kriege, die Rolle der Moral der Truppen für Verlauf und Ausgang des Krieges vermindert. Die technische Kampfausrüstung kann noch so mächtig sein und mag über eine noch so zerstörende Kraft verfügen, den Sieg kann sie nicht von selbst, ohne die Alenschen bringen, die in der Lage sind, die Waffen zu meistern, und über eine große -moralische Stärke, einen hohen moralischen Geist ver-, fügen . ..

Zwei Dinge dürfen nicht miteinander verwechselt werden: die notwendige Achtung vor den gesetzlichen Rechten der Völker, vor ihrer Unabhängigkeit und Souveränität, mit der Notwendigkeit, die imperialistischen Aggressoren sowohl auf ihrem eigenen als auch auf dem von ihnen besetzten fremden Territorium zu schlagen. Leider verwechseln wir zuweilen diese beiden völlig verschiedenen Begriffe miteinander. Daraus erklärt sich im Grunde genommen auch die unter einigen unserer Genossen Soldaten herrschende Meinung, daß unsere Aufgabe in dem Falle, da uns die imperialistischen Aggressoren angreifen, lediglich darin bestehe, uns zu verteidigen, den Vorstoß abzuschlagen und die Feinde nicht in das Innere des Landes zu lassen. Wem aber ist nicht klar, daß die Aufforderung, sich zu verteidigen, das Haus nicht zu verlassen, nichts anderes ist als eine spießbürgerliche, pazifistische Ideologie, die ihrem Wesen nach und ihrem Geist nach unserer sowjetischen revolutionären Kampfideologie in keiner Weise entspricht . ..

Der Umstand, daß unsere Armee infolge der sidi ergebenden militärischen Situation und zur endgültigen Zerschlagung der Truppen der imperialistischen Räuber sowie zum Sdtutz der staatlidien Interessen der UdSSR gezwungen ist, das Territorium anderer Staaten zu betreten, erfordert von allen Soldaten der sowjetisdien bewaffneten Streitkräfte hohe moralisdte Qualitäten.“

Das Ergebnis der militärtheoretischen Überlegungen ist aus der atomaren Vergeltungstheorie zu ersehen, die von Marschall Shukow in seinem Diskussionsbeitrag entwickelt wurde. Trotz ihres offensiven Charakters darf sie nicht mit einem präventiven Kriegsdenken gleichgesetzt werden, da sie von der Vorstellung eines militärischen Gleichgewichts im Rahmen einer weltweiten Koexistenz ausgeht.

Aus der Shukow-Rede geht auch hervor, daß der organisatorische Umbau der Sowjetmacht, den das sowjetische Oberkommando auf Grund der neuen strategischen Konzeption angeordnet hat, im wesentlichen abgeschlossen worden ist Dieser Umbau hat es der Sowjetführung ermöglicht, die Gesamtstärke der bewaffneten Streitkräfte (Wehrmacht und Polizei) von etwa 4, 8— 5 Millionen Mann auf etwa 3— 3, 2 Millionen herabzusetzen. Im Herbst 1955 ist die Demobilmachung von 640 000 Mann, im Frühjahr 1956 die von 1, 2 Millionen Mann angeordnet worden. Durch diese Aktion wird in erster Linie das Heer betroffen. Sie bedeutet zwar infolge des weiteren Ausbaus der Atomrüstung, der Raketenwaffen, der Luftwaffe und der Kriegsmarine, der ungeheuer kostspielig ist, keine erhebliche Verminderung der sowjetischen Rüstungslast, wohl aber eine wesentliche Entlastung für die angespannte sowjetische Arbeitskräfte-bilanz. Die ausscheidenden Berufsoffiziere sollen im Rahmen des DOSSAAF, des para-militärischen sowjetischen Wehrverbandes, dessen Tätigkeit in letzter Zeit intensiviert worden ist, Verwendung finden. b) Die sowjetische Kriegsgeschichtsschreibung des Zweiten Weltkrieges ist zu revidieren und die Autorität der Kommandeure zu heben.

In dem bereits zitierten Artikel der Monatszeitschrift Militärisdter Herold wird festgestellt, daß Stalin die Erfolge übertrieben und die Fehler und Versäumnisse verschwiegen habe. Daher müßten die Kriegsdarstellungen radikal überprüft werden. Diese Prüfung müsse den strategischen, taktischen und operativen Verlauf des Krieges umfassen und nicht nur die Fehler bei den Operationen, sondern auch die Erfolge und Siege der Sowjetarmee einbeziehen, wobei die führende Rolle der aus dem Volk hervorgegangenen und von der Partei herangezogenen Heer-führer richtig gewürdigt werden müßte.

In diesem Sinne wurde bereits in der Krassnaja Swesdn an mehreren kriegsgeschichtlichen Veröffentlichungen der jüngsten Zeit scharfe Kritik geübt

Im engen Zusammenhang mit der Forderung, den entscheidenden Anteil der Armee an dem siegreichen Ausgang des zweiten Weltkrieges gebührend zu würdigen, standen die Maßnahmen, die seit dem Frühjahr 195 5 ergriffen wurden, um die Autorität der Waffenoffiziere sowohl gegenüber den Soldaten als auch gegenüber den Politruks zu heben. In der Krassnaja Swesda vom 3. März 195 5 wurde ein Reglement veröffentlicht, aus dem hervorging, daß es den Politoffizieren verboten worden ist, Truppenoffiziere und Soldaten ohne Einverständnis des zuständigen Kommandeurs zu Schulungsveranstaltungen zu verpflichten.

Von dem Armeeorgan wurde bei dieser Gelegenheit betont, daß die Kommandeure als Inhaber der einheitlichen Befehlsgewalt (Jedinona-

tschalije) für die politische Erziehung voll verantwortlich seien. Diese Regelung bedeutete, daß die Politoffiziere im Rahmen der neuen militär-strategischen Konzeption auf die Funktion rein technischer Gehilfen der Waffenoffiziere beschränkt wurden. Die Vorgänge, die zu der in der Einführung erwähnten Rede Shukows Ende Januar führten und den Anlaß bildeten, daß die führenden Vertreter der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetwehrmacht nicht in das Zentralkomitee ausgenommen wurden, sollten im Verlauf des 20. Parteikongresses zu einem eindeutigen Sieg der Waffenoffiziere über die Politruks führen. Dies ist nicht nur aus der Tatsache zu ersehen, daß sich selbst der Gegenspieler Shukows, Marschall Koujew, in einem Artikel in der Krassnaja Swesda vom 23. Februar 1956 für eine weitere Stärkung der einheitlichen Befehlsgewalt einsetzte, sondern auch aus dem Verlauf der Konferenz der führenden Politruks der Armee und Flotte Ende April 1956 (Krassnaja Swesda vom 26. April 1956) und dem Presse-Interview des Marschalls Tiinosdienko (Krassnaja Swesda vom 27. April 1956), der bereits in der Vorkriegszeit eng mit Shukow verbunden gewesen ist.

Auf der Konferenz wurde an der bisherigen Tätigkeit der Politorgane und Parteiorganisationen der Sowjetwehrmacht scharfe Kritik geübt. Der Politischen Hauptverwaltung wurde vorgeworfen, die Leitung der Politorgane unbefriedigend auszuüben, die parteipropagandistische Arbeit viel zu formalistisch und abstrakt durchzuführen und mit den praktischen Aufgaben der Truppe nicht vertraut zu sein. Die Politorgane, insbesondere die Politische Hauptverwaltung der Sowjetwehrmacht und die Politischen Verwaltungen der einzelnen Wehrmachtsteile, müßten sowohl den Inhalt als auch die Methoden der propagandistischen Arbeit ändern und nur „militär-ideologische Fragen“ behandeln, die für die militärische Praxis von Bedeutung seien. Die Hauptaufgabe der Politorgane sei es, „die einheitliche Befehlsgewalt zu festigen und die Autorität der Kommandeure zu heben“. Die einheitliche Befehlsgewalt — das sei die Linie der Partei beim Aufbau der Wehrmacht. Die Politorgane und die Partei-organisationen hätten gemäß den Partei-und Regierungsdirektiven für die strikte Durchführung der Forderungen der Kommandeure einzutreten und die Soldaten im Geiste strenger Pflichterfüllung zu erziehen. Der Leiter der politischen Hauptverwaltung der Sowjetwehrmacht, Generaloberst Sheltow, bemerkte selbstkritisch:

.. Die Mängel, auf die der 20. Parteitag der KPdSU in der partei-organisatorischen und ideologischen Arbeit hingewiesen hat, gelten ganz und gar audt für die Politorgane und die Parteiorganisationen der Armee und Flotte. Die politisch-erzieherische Arbeit in einer Reihe von Einheiten und Verbänden ist nur schwach ausgerichtet, um positive Erfahrungen hinsichtlich der Ausbildung und Erziehung der Soldaten zu verbreiten und den Kampf mit negativen Erscheinungen im Leben der Truppe zu führen. Daraus ergibt sidt, dal'sie ihren kämpferischen, offensiven Charakter, ihre politisdte Sdtärfe verliert und nidtt selten ein Leerlauf ist. Die ideologische Arbeit, die unter den Truppen durdtgeführt wird, hat zunädist nur einen sdtwadien Einfluß auf die Bildung hoher moralisdt-kämpferisdter Eigenschaften, die heutzutage dem Soldaten, Matrosen, Offizier im Kampfe notwendig sind.“

Als Hauptaufgabe der Politorgane und Parteiorganisationen bezeichnete Sheltow die Forderung, die einheitliche Befehlsgewalt zu festigen und Willensstärke und anspruchsvolle Kommandeure heranzuziehen.

Marschall Shukow sprach von der Notwendigkeit, durch Überwindung der Folgen des Personenkults das schöpferische militärische Denken zu wecken, das auf der objektiven Analyse der gegebenen Tatsachen und auf dem Gedankengut der marxistisch-leninistischen Theorie und Militärwissenschaft beruhen müßte. Eine der vordringlichsten Aufgaben sei es, der Truppe ein gutes Lehrbuch über die marxistisch-leninistische Lehre über Krieg und Wehrwesen in die Hand zu geben, „in dem der ganze Reichtum der Leninschen Ideen und die besonderen Züge des militärischen Aufbaues in der Gegenwart richtig verwertet und behandelt wären“. Ein solches Lehrbuch würde zur Verbesserung der ideologischen Arbeit in der Truppe-wesentlich beitragen.

Shukow übte scharfe Kritik an .der bisherigen Arbeit der Politorgane, die oft einen „deklarativ-prunkhaften Charakter“ trage und ohne unmittelbare Beziehung zu den konkreten Verhältnissen und Aufgaben der Armee und Flotte durchgeführt würde. Die Polit-Arbeiter würden es vorziehen, sich in ihre Arbeitsräume zu verkriechen, statt eine „konkrete" Erziehung der Soldaten durchzuführen. Sie entwickelten in der Regel nur geringe Initiative in der politischen Arbeit, die in erster Linie dazu bestimmt sei, eine erfolgreiche Kampfausbildung zu gewährleisten. Auch das Niveau ihrer politischen und militärischen Kenntnisse sei gering. Shukow schloß mit den Worten: „Es ist klar, daß ein politisdier Mitarbeiter, der die militärische Kunst und die Gesetze der sozialen Entwiddung nidtt kennt, mit den ihm auferlegten Aufgaben nidtt fertig wird. Ein politisdier Mitarbeiter muß ein guter Kommunist sein, der die Parteiarbeit kennt, muß ein begabter Organisator sein, der die Arbeit mit den Massen kennt und über die notwendigen politischen und militärischen Kenntnisse verfügen . ..

Die Pflicht der Politorgane und der Parteiorganisationen ist es, die Soldaten im Geiste einer pünktlichen und genauen Ausführung ausnahmslos aller Forderungen zu erziehen, die sich aus den Befehlen, Dienstordnungen und Vorsdiriften ergeben. Die Festigung der Disziplin muß zu allererst mit der Festigung der einheitlichen Befehlsgewalt und der Hebung der Autorität der Kommandeur-Kader begonnen werden, mit dem persönlidten Vorbild der Kommunisten und der Komsomolzen und ihre Unduldsamkeit gegenüber denjenigen, die die Disziplin verletzen.“ Marschall Timosdienko, der Urheber der Wehrreform von 1940 erklärt in seinem Interview, die wichtigste Aufgabe der parteipolitischen Arbeit in der Wehrmacht sei es, die Autorität und den Einfluß des Kommandeurs zu heben und die einheitliche Befehlsgewalt zu festigen. Ein „falscher Demokratismus“ sei in der Armee fehl am Platz. Die Kommandeure müßten imstande sein, sowohl die Mittel der Überzeugung als auch des'Zwanges in einem richtigen Verhältnis anzuwenden. Sie müßten die notwendige Härte besitzen, um disziplinierte und kampfbereite Soldaten zu erziehen. Die Aufgabe der Politorgane sowie Partei-und Komsomolorgane sei es, sie dabei bedingungslos zu unterstützen. Das militärische Bildungswesen erscheine reformbedürftig, da die Führungseigenschaften der jungen Offiziere auf den Kriegsschulen nicht hinreichend entwickelt würden. c) Die sowjetische Kriegsgeschichtsschreibung der Interventions -und Bürgerkriegszeit ist zu revidieren und die mit der Person Lenins verbundene revolutionäre Tradition der Sowjetarmee wiederzubeleben.

Diese Forderung wird sowohl vom Obersten Tsdtasdmikow wie auch vom Generalmajor Chorosdtilow in ihren Lenin-Artikeln in der Krassnaja Swesda vertreten. Tsdtasdmikow weist auf den Ausspruch Frunses hin, der den Leninismus als den „neuen Strahl“ bezeichnet hat, der in die Lehre vom Klassenkrieg hineingebracht worden ist, und ihn als die notwendige Ergänzung beim Studium des rein militärischen Kurses für Strategie und allgemeine Taktik angesehen habe 6) In der sowjetischen Nationalitätenpolitik soll die Autonomie der einzelnen Völker und Volksgruppen im Rahmen des Gesamtstaates stärker berücksichtigt werden.

In der Schlußresolution heißt es:

„In ihrer Nationalitätenpolitik ging und geht die Partei von deut Leninschen Leitsatz aus, daß der Sozialismus die nationalen Unterschiede und Besonderheiten keineswegs beseitigt, sondern im Gegenteil die allseitige Entwicklung und das Gedeihen der Wirtschaft und der Kultur aller Nationen und Völkerschaften sichert. Die Partei muß diese Besonderheiten auch künftighin in ihrer ganzen praktischen Tätigkeit aufs aufmerksamste berücksichtigen."

Chruschtschow befürwortete im ZK Bericht eine beträchtliche Erweiterung der Rechte der einzelnen Gliedrepubliken und die Schaffung einer besonderen Wirtschaftskommission des Nationalitätenrates, der 2. Kammer des Obersten Sowjets der UdSSR. Er erklärte, daß die Nationalitätenpolitik der Partei von der organischen Verbindung zwischen dem sowjetischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus auszugehen und die Weisnung Lenins zu beachten habe, daß „nur eine äußerst sorgsame Beachtung der Interessen der verschiedenen Nationen den Konflikten den Boden entzieht und das gegenseitige Mißtrauen beseitigt.“

Die Pankratowa erklärte in ihrer Diskussionsrede:

„Unsere Pflidit ist es, an konkretem und historisdeem Material die Frage zu behandeln, wie es der Kommunistisdten Partei gelang, das zwisdien den Völkern des zaristisdien Rußland bestehende Mißtrauen zu überwinden, sie durdi Freundsdiaftsbande zu vereinen und zu zeigen, wieviel Aufmerksamkeit die Partei den Interessen, den nationalen Eigenarten und Erwartungen der großen und kleinen Völker, ihrer Erziehung im Geiste der Brüderlichkeit und des Internationalismus entgegenbradtte und entgegenbringt.“

Im Märzheft der Problemy Jstorii wird festgestellt, daß Lenins Verurteilung des Antisemitismus bisher viel zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Lenin habe sowohl den Nationalismus der nicht-russischen Völker in der Sowjetunion als auch den Chauvinismus der Russen sowie die vorrevolutionären „bürgerlichen Parteien, insbesondere ihren Antisemitismus“, verurteilt. Dieser sei dem Proletariat fremd.

W. W. Pentkowskaja weist in einem Artikel darauf hin, daßes hauptsächlich ein Verdienst von Lenin und nicht von Stalin gewesen ist, wenn die Sowjetunion als Nationalitätenstaat richtig konstruiert worden ist. Lenin hätte sich gegen die Verzerrung der föderalistischen Idee durch den Großmachtchauvinismus und gegen eine Verletzung des proletarischen Internationalismus und der Gleichberechtigung der einzelnen Unionsrepubliken gewandt. Den großrussischen Chauvinismus hätte er als die gefährlichste Abweichung angesehen. Sie schreibt „W. I. Lenin hat als ersten das Banner des Kampfes gegen den großrussisdten Chauvinismus erhoben, er zeigte, daß der Großmadit-Chauvinismus eine ernste Gefahr auf dem Entwicklungswege zum Sozialismus darstellt.“

Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob diese Rückbesinnung auf die Leninschen Grundsätze zu einer Belebung des Sowjetföderalismus und zu einer Wiedergutmachung des Unrechts führen wird, das in der StalinÄra an den Völkern und Volksgruppen innerhalb und außerhalb der Sowjetunion begangen worden ist.

7) Der Stil und die Methoden der sowjetischen Außenpolitik sind zu ändern.

Die bisherigen Maßnahmen auf außenpolitischem Gebiet zeigen, daß die Sowjetführung zu einem Wechsel der bisherigen Methoden der Herrschaft und Beeinflussung nur gegenüber den Teilen der Außenwelt entschlossen ist, die von ihr abhängig oder beeinflußbar sind. Die Zugeständnisse, zu denen sie bereit ist, sind nur beschränkter Art. Sie wirken sich noch am stärksten im Satellitenbereich im Sinne eines „gelenkten Titoismus“ und darüber hinaus im Verhältnis zu den Mächten aus, welche die Sowjetunion als aktuelle oder potentielle Partner des von ihr angestrebten „Friedenslagers" ansieht.

Die politisch-psychologische und wirtschaftliche Offensive im asiatisch-afrikanischen Raum und die Wiederaufnahme einer modifizierten Volks-frontpolitik in Europa zeigen, daß die Sowjetführung nur eine Gewichtsverschiebung zugunsten der weltrevotutionären Komponente ihrer Außenpolitik vorgenommen hat, ohne die Bereitschaft zu größeren Konzessionen'zu zeigen, um eine dauerhafte Friedensregelung und damit eine Beendigung des Wettrüstens zu ermöglichen. Es mag an der inneren Unruhe liegen, die es unmöglich macht, außenpolitische Risiken einzugehen, bis sich der neue Kurs endgültig durchgesetzt hat, wenn es die Sowjetführung bisher nicht wahrhaben wollte, daß der Willkürherrschaft Stalins im Innern seine nach außen betriebene imperialistische Politik entsprochen hat, die wesentlich zur Entstehung des Kalten Krieges beigetragen hat. Die Entstalinisierung im Innern läßt eine Revision dieser imperialistischen Politik der Stalin-Ära als eine zwingende logische Notwendigkeit erscheinen.

Wenn die Nachfolger Stalins auch heute nicht zu dieser Revision bereit sind, so werden sie sich auf die Dauer dieser Forderung nicht entziehen können, da sie im Einklang mit der außenpolitischen Konzeption Lenins steht, die auf den Grundsätzen eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen sowie des Selbstbestimmungsrechts der Völker beruht. 4. Die Motive für die Zei Störung des Stalin-Kults Über die Motive, welche die Nachfolger Stalins veranlaßt haben, den Sturz ihres bisherigen Idols in so dramatischer Form zu vollziehen, sind die verschiedensten Vermutungen aufgestellt worden. Das gleiche gilt für die nähere Bestimmung der Kräfte, die an diesem Vorgang maßgebend mitgewirkt haben.

Auf beide Fragen läßt sich eine einigermaßen zuverlässige Antwort nur auf Grund der vorausgegangenen systematischen Analyse erteilen, die gezeigt hat, daß es hauptsächlich innerpolitische Beweggründe gewesen sind, welche die Machthaber im Kreml veranlaßt haben, die negativen Elemente des Stalinschen Vermächtnisses abzustoßen, die nach den Worten Togliattis „ein Bleigewicht für die gesamte Partei, den Staat, die sozialistische Gesellschaft bildeten“.

Der gleiche Togliatti, der sich nur widerstrebend der von Chruschtschow angewandten Schocktherapie gefügt hatte, meinte an anderer Stelle:

„Der Gesamtkomplex dieser Irrtümer erforderte eine Kritik, und zwar eine offene Kritik. Ohne diese Kritik wäre ein Vakuum entstanden, wäre es unmöglidt gewesen, den normalen Geschäftsgang des Partei-und Staatsapparates und den Respekt vor der sowjetisdten Gesetzlichkeit wiederherzustellen.“

Aus diesen Worten geht hervor, daß es dem „Führerkollektiv", das weder über die Autorität noch die Macht Stalins verfügt, darum ging, durch diesen revolutionären Akt ein Vertrauensverhältnis zwischen der Sowjetführung und der Sowjetgesellschaft zu schaffen, um ihre eigene Herrschaft zu stabilisieren und die Weltmachtstellung der Sowjetunion zu wahren. Die wichtigsten Motive der Präsidiumsmehrheit dürften dabei die folgenden gewesen sein: 1) Rationalisierung der „Diktatur ohne Diktator“.

Das Prinzip der kollektiven Führung und die stärkere Betonung der sog. Leninschen Normen des Parteilebens sind der Versuch, die absolutistische Entartung und bürokratische Erstarrung des Partei-und Staats-apparats, die sich in den letzten Regierungsjahren Stalins nachhaltig bemerkbar gemacht haben, zu beseitigen. Nicht zuletzt erfordert die Durchführung des weitgespannten wehr-und wirtschaftspolitischen Programms eine größere Elastizität des gesamten Herrschaftsapparates und damit ein neues Verhältnis von Initiative, Verantwortung und Disziplin.

Der Herrschaftsapparat soll moderner, rationeller, effektiver gestaltet werden, damit er eine stärkere Ausstrahlungskraft entwickeln kann.

Durch den Schock wird gleichzeitig den Funktionären auf sämtlichen Stufen der Sowjethierarchie klargemacht, daß die Führung von ihnen ein neuartiges Reagieren, mehr Initiative und Verantwortungsbewußtsein erwartet.

Das Prinzip der kollektiven Führung bedeutet außerdem nach der Kompromittierung jeder persönlichen Diktatur eine Sicherung für die Mitglieder des Führerkollektivs und ihre Gefolgsleute, daß die alte Einmannherrschaft kaum so bald durch eine neue ersetzt werden wird. Damit wird jedenfalls verhütet, daß in absehbarer Zeit eine Konzentration der vorhandenen Machtmittel in einer Hand stattfindet. 2) Burgfriede zwischen Sowjetführung und Sowjetgesellschaft.

Mit dem ideologischen Bild von der belagerten Festung ist auch der permanente Ausnahmezustand aufgehoben worden, der bisher die Sowjetgesellschaft in ständiger Unruhe hielt. Nach der Auseinandersetzung mit Berija schienen die übrigen Mitglieder des „Führerkollek-tivs“ weder den Willen noch die Kraft zu besitzen, den geschwächten Terrorapparat in der bisherigen rücksichtslosen Art zu repressiven Zwekken einzusetzen. Der Massenterror, der durch die Staatspolizei und Strafjustiz ausgeübt wurde, hatte in der Stalin-Ära in Verbindung mit einem vielgestaltigen Überwachungssystem Mißtrauen und Furcht gleichsam institutionalisiert und zu den entscheidenden seelischen Triebkräften der Sowjetbürger erhoben. Indem sich die Sowjetführung bemüht, an die Stelle dieser negativen Triebkräfte Vertrauen und Überzeugung zu setzen, ist sie gleichzeitig gezwungen, auf die Wünsche der einzelnen Schichten und Gruppen der Sowjetgesellschaft stärker einzugehen, als dieses bisher der Fall war.

Vor allem muß sie auf die Sowjetintelligenz Rücksicht nehmen, die nach einem Leben ohne ständige Furcht vor Verhaftung, einem höheren Lebensstandard, größerer Geistes-und Meinungsfreiheit sowie nach einem begrenzten Mitspracherecht im Staate strebt.

Lim einen modus vivendi zwischen der Sowjetführung und der Sowjet-gesellschaft herzustellen und vor allem die Sowjetintelligenz zur aktiven Mitarbeit zu gewinnen, mußten die Männer im Kreml den Eindruck erwecken, daß es sich um eine wirkliche Wandlung handelt, daß eine neue und glücklichere Epoche angebrochen sei.

Die bisherigen Fehler und Mißerfolge mußten erklärt werden, und zwar in einer Weise, welche die Partei und die jetzige Führungsgruppe nicht zu sehr belastete. Der „Erzagent“ Berija genügte auf die Dauer nicht, um für alle Schnitzer und Verbrechen der Vergangenheit aufzukommen; so mußte der späte Stalin als Sündenbock herhalten. Sein Ruf wurde geopfert, um das Vertrauen der Massen zu neuen Versprechungen seiner Nachfolger zu gewinnen. Dieser Akt, verbunden mit dem gleich-

zeitigen Wechsel in den Herrschaftsmethoden und im Herrschaftsstil, soll der Sowjetgesellschaft zeigen, daß das Aussöhnungsangebot seitens der Sowjetführung ernst und nicht als ein taktisches Manöver gemeint ist.

Der Versuch soll, wie Löwenthal zutreffend festgestellt hat die Parteidiktatur durch Versöhnung mit den lebendigen Kräften der Sowjet-gesellschaft retten, nicht auflösen. 3) Wiederbelebung der Initiative, der schöpferischen Aktivität, des Arbeitselans und des Arbeitsethos der Volksmassen.

Dieses Motiv, dem hauptsächlich ökonomische Überlegungen zugrunde liegen, dürfte als das Hauptmotiv der Zerstörung des Stalin-Mythos gelten. Es klingt in allen parteiamtlichen Äußerungen immer wieder an.

In der Vergangenheit hat der Polizeistaat Stalins das tägliche Leben und Denken der Sowjetmenschen derart scharf kontrolliert, daß die Initiative und die nutzbringenden Experimente auf allen Gebieten erstickt wurden. Diese lähmenden Auswirkungen hemmten den Fortschritt in der Landwirtschaft, in der Industrie, bei den Geistes-und Naturwissenschaften. Die neue Tendenz ist darauf gerichtet, die Volksmassen von dieser polizeistaatlichen Bevormundung zu befreien, da eine auf völliger Subordination beruhende Befehlshierarchie kein geeignetes System ist, um in einer modernen Volkswirtschaft die Arbeitsproduktivität zu steigern und höhere Produktionsleistungen zu erzielen. Ein weiteres Ziel scheint zu sein, die produktiven und schöpferischen Fähigkeiten der sowjetischen Ingenieure, Wissenschaftler und Künstler anzuregen, indem ihnen die Sicherheit vermittelt wird, daß ihre Tätigkeit nicht wie in der Stalin-Aera durch eine Änderung der Parteilinie wieder zunichte gemacht werden kann. Die Sowjetführung scheint die mit der Zerstörung des Stalin-Mythos und der Relativierung des Leninismus-Stalinismus verbundenen Gefahren bewußt in Kauf genommen zu haben, da sie der Überzeugung zu sein scheint, daß die weitgesteckten Ziele der neuen Generallinie nur bei einer Wiederbelebung der unter der Selbstherrschaft Stalins verloren-gegangenen revolutionären Schwungkraft zu erreichen sein werden. 4) Umstellung der militärisch-strategischen Konzeption der Sowjet-wehrmacht von der „aktiven Verteidigung“ auf eine offensiv gehaltene atomare Vergeltungstheorie.

Diese Umstellung, auf die bereits in früheren Abschnitten näher eingegangen worden ist, konnte bei der tiefgehenden Verankerung der These Stalins von der „aktiven Verteidigung“ in der russischen Militärtradition nur dann erfolgreich durchgeführt werden, wenn die militärische Autorität Stalins von Grund auf erschüttert wurde. Dies ist in der Geheimrede Chruschtschows geschehen. Das militärische Gebiet ist auch dasjenige, auf dem die Unterscheidung zwischen einem frühen und späten Stalin keine Rolle spielt. Die besondere Hervorhebung Lenins, der im Verhältnis zu Trotzkij und auch zu Stalin nur einen begrenzten Einfluß auf das Kriegsgeschehen im Interventionsund Bürgerkrieg ausgeübt hat, zeigt, daß mit diesem Vorgehen in erster Linie die Wiederbelebung der revolutionären Tradition der Roten Armee und der damit verbundenen offensiven Haltung angestrebt wird.

Schließlich seien noch zwei moralische Faktoren erwähnt, die in der revolutionären Bewegung Rußlands immer eine große Rolle gespielt haben und die im Unterbewußtsein auf die Entscheidung des „Führerkollektivs" einen Einfluß ausgeübt haben mögen: a) Das schlechte Gewissen.

Stalin hat es verstanden, einen großen Teil der Sowjetführer zu Komplizen seiner despotischen Herrschaftsmethoden zu machen. Dem schlechten Gewissen auf der Seite der Herrschenden stand der wachsende Haß auf der Seite der Beherrschten entgegen. Er hat sich nach dem Tode Stalins nicht verringert, da er durch die Begegnung mit dem Millionenheer der aus den Zwangsarbeitslagern heimgekehrten Amnestierten neu geweckt wurde. Die Sowjetführung wird bestrebt gewesen sein, der Erschütterung, die sich der Sowjetgesellschaft angesichts dieses „anderen Rußlands" bemächtigte, durch Enthüllungen über Stalin zu begegnen, um damit die Verantwortung auf den toten Diktator abzuwälzen. b) Das Streben nach Wahrheit.

In der Geschichte der Menschheit hat das Streben nach der Wahrheit, um der Wahrheit und nicht nur um der Nützlichkeit willen, immer eine entscheidende Rolle gespielt.

Wenn dieser moralische Faktor die Entscheidung des „Führerkollektives“ auch kaum wesentlich beeinflußt haben dürfte, so ist dieses andererseits allein aus bloßem Selbsterhaltungstrieb, um die von Stalin geschaffene Isolierung nach innen und außen zu überwinden, zu teilweisen Zugeständnissen an die Wahrheit veranlaßt worden. 5. Die Auswirkungen der Abkehr von Stalin und dem Spätstalinismus Zu den Auswirkungen der posthumen Entthronung Stalins läßt sich auf Grund der ersten Eindrücke folgendes sagen: 1. Die Reaktion der Sowjetbevölkerung auf die Zerstörung des Stalin-Mythos ist wesentlich differenzierter ausgefallen, als es ursprünglich die Sowjetführung erwartet haben dürfte. Die Sowjetführung ist in psychologischer Hinsicht allgemein in einen Zwiespalt gestoßen worden. Zwanzig Jahre sowjetischer Geschichte sind plötzlich fragwürdig geworden. In Georgien ist es zu Demonstrationen vor allem der Jugend zugunsten Stalins gekommen. Wenn hierbei auch nationale Momente mitgespielt haben dürften, so ist doch nicht zu verkennen, daß die Sowjetjugend durch den Sturz ihres Idols besonders betroffen worden ist. Für viele unter ihnen ist ein Weltbild zerbrochen, in dem Stalin die Rolle eines Erlöser-Prometheus zufiel.

Bei der propagandistischen Aufklärungsaktion der Partei ist es insbesondere in den großrussischen Unionsrepubliken zu kritischen Äußerungen nicht nur an Stalin, sondern auch an den gegenwärtigen Parteiführern und der von ihnen vertretenen Linie gekommen, gegen die sich die Partijnaja Shisnj wandte, nachdem auch die Prawda am 5. April, wie wir bereits sahen, zu dieser Frage in scharfer Form Stellung genommen hatte. Das Parteiblatt schrieb: „In einigen Versammlungen gab es Fälle aufwieglerischer Reden, in denen die Kritik am Personenkult in Wirklichkeit auf eine Verneinung aller Autorität im allgemeinen und auf eine Unterminierung der persönlidien Autorität, Disziplin und Organisation gerichtet war. Solche Erklärungen können nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Es wäre eine politische Blindheit, wenn man nicht sehen würde, daß gewisse verrottete Elemente unter der Maske der Verurteilung des Personenkults Zweifel an der Richtigkeit der Parteipolitik aufkommen lassen wollen.“ Auf Grund verschiedener Äußerungen von Chruschtschow und anderen Parteiführern kann bezweifelt werden, ob die Reformfreudigkeit der Sowjetführung heute noch im gleichen Umfange besteht wie während des Parteitages. Andererseits wird sich die Sowjetintelligenz und insbesondere die Sowjetjugend auf die Dauer mit Teilzugeständnissen an die Realität nicht abspeisen lassen. 2. Der Versuch der Parteiführung, zwischen einem frühen und späten Stalin zu unterscheiden und nur den Stalin nach 1934 als entarteten Diktator hinzustellen, ist nicht geglückt, da die Kritik auf dem Gebiet der Wehr-und Nationalitätenpolitik auch auf die Anfänge Stalins erstreckt wurde und die Theorie von der Verschärfung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus von ihm bereits seit dem Ende der zwanziger Jahre angewandt wurde. Infolgedessen ist es auch schwer, eine Grenze bei den Rehabilitierungen zu ziehen.

Im Kommunist ist noch kürzlich festgestellt worden, daß die Verurteilung des Personenkults nicht als eine Ablehnung der Werke Stalins anzusehen sei. Er bleibe trotz allem einer der größten Marxisten. Das Blatt stellt fest, man müsse den Werken Stalins das „Wertvolle“ entnehmen und seine „irrigen ideologischen Anschauungen einer kritischen Revision unterziehen“. Diese Feststellung, ebenso wie die Forderung Chrusduschows nach der Stärkung der Staatssicherheitsorgane, zeigt, daß die Aussöhnung zwischen Sowjetführung und Sowjetgesellschaft problematisch ist.

Bisher sind nur einige, wenn auch wichtige Thesen Stalins als unrichtig bezeichnet worden. Die Abkehr vom späten Stalin bedeutet somit noch keine Revision, wohl aber eine Relativierung und Säkularisierung des leninistisch-stalinistischen Lehrgebäudes, da nicht nur seine Glaubens-grundlagen, sondern auch seine Glaubwürdigkeit durch die Enthüllungen über die Geschichtsfälschungen und ideologischen Irrtümer Stalins und seine auf erbarmungslosem Terror beruhende Willkürherrschaft erschüttert worden sind. Die Umwandlung Stalins aus einem Halbgott in einen Tyrannen hat ein Element der Spaltung in die kommunistische Weltbewegung hineingebracht, das immer wieder von neuem erstehen kann.

Die Geschlossenheit der „una sancta“ mit dem Zentrum in Moskau ist zerstört. Es fragt sich, ob diese verlorengegangene Einheit unter welt-revolutionären Vorzeichen wiedcrhergestellt werden kann, ob nicht das dialektische Gesetz der „Negation der Negation“ eine Chimäre ist und sich den Wirkungen des Zeitgeistes unterlegen erweisen wird, die sich in der allgemeinen Unruhe der Sowjetwelt bereits deutlich bemerkbar machen. 3. Selbst wenn es der Sowjetführung mit Hilfe der Schocktherapie gelingen sollte, die revolutionäre Schwungkraft wiederzubeleben und eine schöpferische Initiative und Aktivität bei den Volksmassen zu entfesseln, ist es eine große Frage, ob nicht dieser Vorgang Entwicklungen geistiger Art nach sich ziehen wird, deren Wirkung die Sowjetführung heute gar nicht voraussehen kann. Es könnte leicht eine Situation entstehen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegt. 4. Der Schlag gegen den Autoritätsglauben kann leicht Kräfte wecken und in Bewegung setzen, die die heutige Entwicklung nur als einen Ausgangspunkt ansehen mögen zumal die Mythologie ebenso wie die Natur kein Vakuum duldet. In diesem Zusammenhang kommt der Tatsache eine besondere Bedeutung zu, daß die Armee und nicht die Partei sich bisher als der hauptsächlichste Nutznießer der Liquidation des Stalin-Kults erwiesen hat, da sie von den Sünden der Vergangenheit unbelastet erscheint. Diesem Umstand kommt in Verbindung mit der veränderten inneren Machtkonstellatibn im Hinblick auf die zukünftige innerund außenpolitische Entwicklung der Sowjetunion allergrößte Bedeutung zu.

V. Die Bedeutung des 20. Parteikongresses

Bedenkt man die bisher vorliegenden und noch möglichen Auswirkungen, so wird man sich der Größe des Risikos der Entscheidung, eine revolutionäre Bewegung im Sinne des dialektischen Gesetzes der „Negation der Negation“ auszulösen, voll bewußt. Auf die Zielsetzung, die mit dieser Entscheidung verbunden gewesen ist, und die zugrundeliegenden hauptsächlichsten Motive ist im vorausgegangenen Kapitel eingegangen worden. Wir sahen, daß es in erster Linie wehr-und wirtschaftspolitische Motive gewesen sind, welche die Präsidiumsmehrheit unter Bulganin und'Chrusditsdiow, die sich die Unterstützung des sowjetischen Oberkommandos mit Marschall Shukow an der Spitze gesichert hat, veranlaßte, diese weittragende und risikoreiche Entscheidung zu treffen. Daß neben der Generallinie der Präsidiumsmehrheit auch andere politische Konzeptionen vertreten worden sind, geht deutlich aus der Heftigkeit hervor, mit der Chruschtschow im ZK-Bericht Molotow und Malenkow attackierte. Sie sind zwar nicht mit Namen bezeichnet worden, doch daß nur sie gemeint sein konnten, geht sowohl aus dem Vorspiel zum 20. Parteikongreß als auch aus dem allgemeinen Zusammenhang hervor.

Chrusdttsdiows Angriff galt zunächst Molotow, indem er feststellte, daß das Zentralkomitee diejenigen Funktionäre zurechtweisen mußte, die in einige klare und von der Partei längst beschlossene Fragen „Wirrwarr und Durcheinander“ gebracht hätten. Als Beispiel nannte er die Frage, ob in der Sowjetunion „der Sozialismus in den Grundzügen erbaut“ oder aber nur „die Grundlagen des Sozialismus erbaut“ seien (wosnownom postrojeno — osnowy postrojeny).

Dieser Unterschied in der Formulierung ist vom Standpunkt der leninistisch-stalinistischen Ideologie bedeutsam, da nur nach Vollendung des sozialistischen Aufbaus der Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus möglich ist.

Die „fehlerhafte Formulierung", die von Chruschtschow als „desorientierend“ gerügt wurde, war von Molotow, wie wir bereits sahen, in seiner außenpolitischen Rede vom 8. Februar 1955 gebraucht und in seinem Offenen Brief an den Kommunist vom 17. September 1955 widerrufen worden.

In seiner Diskussionsrede am 18. Februar 1956 gebrauchte Molotow, nachdem er erst die „tiefe marxistisch-leninistische Analyse der gegenwärtigen Situation" seitens Chrusdttsdiows gerühmt hatte, die richtige Formulierung: „Schon in der Vorkriegszeit erbaute das Sowjetvolk im wesentlichen die sozialistische Gesellschaft und verwirklichte jetzt den allmählichen Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus."

Gleichzeitig war Molotow gezwungen, die Erfolge der außenpolitischen Aktivität der Troika „Chrusditsdiow, Bulganin, Mikojan“ einzugestehen. Es war bezeichnenderweise Mikojan, der bei der Behandlung außenpolitischer Fragen davon sprach, daß es in letzter Zeit gelungen sei, „gewisse starre Formen“ der Sowjetdiplomatie im Verkehr mit ausländischen Staaten abzuschaffen und damit die (selbstgewählte) Isolierung der Sowjetunion zu beseitigen. Aus den Ausführungen Chrusditschows und Mikojans geht hervor, daß Molotow zweierlei vorgeworfen wird: 1. Sein Zögern gegenüber den innenpolitischen Risiken, die mit einem vorzeitigen Übergang vom Sozialismus infolge der begrenzten Wirtschaft der Sowjetunion zwangsläufig verbunden sind. 2. Die Starrheit seiner auf Erhaltung des Status quo gerichteten Außenpolitik. Während der von Molotow verkörperten Richtung vorgehalten wird, die beim sozialistischen Aufbau erzielten Resultate herabzusetzen, werden Malenkow und seine Parteigänger als „Projektemacher und Phantasten“ bezeichnet, die in das andere Extrem verfallen seien, indem sie die Verwirklichung der Prinzipien der kommunistischen Gesellschaft bereits auf der gegebenen Etappe angestrebt und einen genauen Zeit-plan für den Übergang zum Kommunismus in allen Einzelheiten ausgearbeitet hätten.

Zweierlei wirft Chruschtschow Malenkow vor:

1. Die Förderung der Konsumgüterproduktion auf Kosten der Schwerindustrie. 2. Die These von der Möglichkeit einer Koexistenz auf ideologischem Gebiet.

Den ersten Punkt bezeichnete er als „utopische Illusion“, den zweiten als „schädliche Verirrung“. In der Schlußdeklaration werden die Abweichungen Malenkows und Molotows mit den Worten verurteilt: „Der Parteitag stellt fest, daß das Zentralkomitee rechtzeitig Versuchen entgegengetreten ist, von der Generallinie der Partei — der vorrangigen Entwicklung der Schwerindustrie — abzugehen, desgleichen gegen irrige Auffassungen in der Frage des Aufbaus des Sozialismus in unserem Lande und einigen anderen Fragen der Theorie.“

Die Malenkow-Ridttmg ist auch in Diskussionsreden kritisiert worden. Bei den Rednern handelte es sich bezeichnenderweise meist um Persönlichkeiten, die ihm früher nahegestanden haben, wie Mikojan, Saburow, Susslow. Dies geschah wohl in erster Linie, um das Gesicht zu wahren.

Das Ergebnis des 20. Parteikongresses ist im Grunde genommen, wenn man vom ökonomischen Bereich absieht, ein Kompromiß zwischen den Anschauungen Chruschtschows und Malenkows.

Diese Entwicklung hat Mikojan, der zwischen Chruschtschow und Malenkow eine gewisse Mittellinie verfolgt, stärker in den Vordergrund gerückt, als es seinem politischen Gewicht innerhalb des „Führerkollektivs" zukommt.

Die Kritik -Chruschtschows an Molotow ist in ihrer Schlußfolgerung wesentlich schärfer gewesen als an Malenkow. Während es bei der Molotow-Richtung heißt, daß ihr „die gebührende Abfuhr“ erteilt worden ist, wird bei der Malenkow-Richtung lediglich „zur Ordnung gerufen".

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Stellung Malenkows innerhalb des „Führerkollektivs“ nach dem 20. Parteikongreß stärker, Molotows dagegen schwächer geworden ist. Die Stärkung der Position Malenkows ist nicht zuletzt aus seiner Entsendung nach Großbritannien am Vorabend des Bulganin-Chruschtsclww-Besudis zu ersehen gewesen.

Es ist anzunehmen, daß sich der vorsichtige Molotow auch in stärkerem Maße als etwa Malenkow gegen die Absicht der Präsidiumsmehrheit gesträubt haben wird, die Abkehr von Stalin und dem Spätstalinismus in so radikaler Form zu vollziehen.

Bei seinem Widerstand gegen das weitgespannte Wirtschaftsprogramm der Sowjetführung wird sich Molotow als der verantwortliche Steuermann des sowjetischen Staatsschiffes seit über drei Jahrzehnten auch der Warnung Stalins erinnert haben, der in seinem bekannten Presseinterview vom 14. Februar 1951 feststellte, daß die Sowjetunion nicht in der Lage wäre, gleichzeitig mit den großen Bauvorhaben zur Verbreitung der Energiebasis, die Milliardensummen staatlicher Ausgaben erforderten, ihre Streitkräfte zu vergrößern und ihre Kriegsindustrie zu entfalten. Dies würde zur Einschränkung der Friedensindustrie, zur Stillegung großer ziviler Bauvorhaben, zur Erhöhung der Steuern und im letzten Effekt zum Staatsbankrott führen. Es war ein Monat nach dieser Feststellung, daß Stalin Cltrusdttsdtow Einhalt gebot, als dieser als zuständiger ZK-Sekretär für die Landwirtschaft zur Umwandlung der Groß-kolchose in Kolchosstädte, d. h. Agrarkommunen, ansetzte. Chrusdttschow ist jetzt, wie aus den letzten Maßnahmen auf dem Agrarsektor zu ersehen ist, auf dem besten Wege, das zu tun, was Stalin ihm 1951 verboten hatte; und er muß es auch tun, weil er nur im Umbau der bestehenden Kolchosorganisation einen Ausweg sieht, um die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch eine weitgehende Mechanisierung und Intensivierung zu ermöglichen und gleichzeitig im Rahmen dieses Rationalisierungsprogramms Arbeitskräfte freizusetzen, die Bulganin und L. M. Kaganowitsdt benötigen, um die industriellen Ziele des neuen Fünfjahrplans zu erreichen und das technische Gesamt-niveau der Sowjetwirtschaft, insbesondere aber der Schwerindustrie, zu heben. Die nächste Zukunft wird zeigen, ob der revolutionäre Wille, der insbesondere den Ersten Parteisekretär beseelt, allein genügt, eine totale Mobilisierung aller Kräfte zu erreichen, um die unter Stalin gewonnene Weltmachtstellung nicht nur zu halten, sondern auch zu festigen und weiter auszubauen; und ob es möglich sein wird, in der sowjetischen Bevölkerung in Verbindung mit der Zerstörung des Stalin-Mythos und der gleichzeitigen Entwicklung eines Lenin-Kults das Gefühl eines revolutionären Neub. eginns und das Bewußtsein zu wecken, daß die schweren Opfer, die das Volk gebracht hat, nicht umsonst gewesen sind; daß man jetzt mit dem 20. Parteitag einen Gipfel erreicht habe, von dem aus man bereits einen Schimmer des gelobten Landes erblicken könnte.

Die Prawda vom 5. April 1956 hat diese aus einem revolutionären Sendungsbewußtsein entspringende Erwartung in einem programmatischen Artikel so ausgedrückt: „Ruhmvoll, aber sdtwierig war der Weg, den unser Land unter der Führung der Partei zum erstenmal zu jenem Gipfel gebahnt hat, auf dem wir heute stehen und von dem aus wir schon klar die neuen weiten Horizonte, unser ersehntes Ziel sehen: den Kommunismus.“

Es dürfte müßig sein, heute bereits Vermutungen darüber anzustellen, ob es dem Duumvirat Bulganin-Chrusdttsdtow gelingen wird, diese revolutionäre Zielsetzung trotz der großen politisch-psychologischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu verwirklichen oder nicht. In jedem Fall werden die beiden Duumvirn auf ihrem weiteren Weg gezwungen sein, sich ständig mit den Richtungen auseinanderzusetzen, die heute noch von Molotow und Malenkow repräsentiert werden. Es wäre falsch, diese Richtungen als unbedingte Gegenpole anzusehen, wie einst die von Trotzkij, Sinowjew, Kamenjew einerseits, von Bucharin, Rykow, Tomskij andererseits geführte linke und rechte Opposition. In vielen Dingen dürfte der Abstand zwischen diesen beiden Richtungen, die einerseits restaurative, andererseits reformistische Züge aufweisen, geringer sein als derjenige zur Generallinie, bei der das revolutionäre Element überwiegt. Dieser Umstand ist nicht nur für den weiteren Verlauf des inneren Machtkampfes bedeutsam. Ihm kommt auch eine prinzipielle Bedeutung zu.

Die Sowjetunion ist heute an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung angelangt. Der 20. Parteikongreß bezeichnet gleichsam einen Wegweiser, der in drei Richtungen weist, wobei es zur Zeit noch ungewiß ist, ob letzten Endes der Weg der Revolution, Restauration oder Reform für die künftige Entwicklung des Sowjetimperiums bestimmend sein wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Neue Zürdier Zeitung vom 19. und 20. März 1956. Der Geheimbericht Cliruschtsdiows ist bisher nicht veröffentlicht worden. Die zuverlässigsten Angaben stammen aus einem Artikel von Salisbury in The New Tork Times vom 16. März 1956 und einem Reuter-Bericht „aus Bonn" vom 18. März 1956. Der Artikel von J. S(mole) -Der XX. Kongreß der KPdSU über Stalin.seine Orientierung und seine Methoden“ in der Borba vom 20. März 19 56, der Ausschnitte aus der Chruschtschow-Rede wiedergibt und kommentiert, bestätigt wesentliche Teile dieser Berichte, die er noch mit einigen weiteren Angaben ergänzt. Da es sich in allen drei Fällen nicht um sowjet-kommunistische Quellen handelt, wird auf ihren Inhalt nur in den Anmerkungen hingewiesen.

  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. März 1956.

  3. Wortlaut (in deutscher Übersetzung) in Für Dauerhaften Frieden, für Volkbdeniokratiel vom 30. März 1956.

  4. Zum gleichen Thema vgl. auch den Artikel des Generalmajors P. Choroschilow in Krassnaja Swesda vom 19. April 1956.

  5. Wortlaut (in deutscher Übersetzung) in Ost-Probleme, 8. Jg„ 1956, S. 477— 480.

  6. Wortlaut (in deutscher Übersetzung) in Für Dauerhaften Frieden, für Volks-demokratie! vom 6. April 1956. Das polnische Original ist in der deutschen Über-setzung des Kominformorgans gekürzt worden, wobei gerade die Stellen weggefallcn sind, in denen Jerzy Morawski, der ZK-Sekretär der polnischen KP ist, in besonders scharfer Form Kritik an dem Willkürregime Stalins übte. Soweit diese Teile zitiert werden, wird auf das polnische Original verwiesen.

  7. Wortlaut (in deutscher Übersetzung) in Ost-Probleme, 8. Jg., 1956, S. 476— 477.

  8. Wortlaut (in deutscher Übersetzung) in Für Dauerhaften Frieden, für Volks-demokratie! vom 13. April 1956,

  9. Wiedergabe (in deutscher Übersetzung) in Für Dauerhaften Frieden, für Volks-demokratie! vom 6. April 1956.

  10. Über die Willkürherrschaft Stalins ergibt sich aus den bisher vorliegenden inoffiziellen Berichten folgendes Bild: Stalin habe das Testament Lenins unterdrückt und die Witwe Lenins, die Krupskaja, beleidigt und bedroht.

  11. Zitiert nachdem polnischen Original, im Koniinformorgan ausgelassen.

  12. Zitiert nachdem polnischen Original, im Kominformorgan ausgelassen.

  13. Zitiert nachdem polnischen Original, im Kominformorgan ausgelassen.

  14. Zitiert nach dem polnischen Original, im Kominformorgan ausgelassen.

  15. Stalins Biographie soll von Chriisdttsdiow in seiner Geheimrede als ein „widerlichesBuch" bezeichnet worden sein. Stalin habe im Manuskript vor seinem Namen eigenhändig die Eigenschaft „welikij" (großer) eingefügt und Phrasen wie „der wahre Arbeiterführer“ und „scheuer und bescheidener Mensch" eingeflochten. Diese Darstellung stimmt mit dem Borba-Bericht überein, der weitere Einzelheiten enthält.

  16. Chrusditsdtow soll in seiner Geheimrede gründlich mit der Legende aufgeräumt haben, daß Stalin der Architekt des sowjetischen Sieges im zweiten Weltkrieg gewesen sei. Vor dem deutschen Angriff gegen die Sowjetunion habe jedermann gewußt, was komme, nur Stalin nicht, der seinen Pakt mit Hitler als einen Meisterstreich ansah und keine Zweifel an dessen Vertragstreue hegte. Er habe sich daher sowohl über die Warnungen Churchills und des britischen Botschafters Cripps sowie des amerikanischen Präsidenten Roosevelt als aud des sowjetischen Militärattaches in Berlin. Oberst Percbeschtsehik, hinweggesetzt. Der letztere habe das genaue Datum des bevorstehenden deutschen Angriffs gekannt und Moskau darüber informiert. Am Morgen des deutschen Angriffs gab Stalin den sowjetischen Truppen zunächst den Befehl, das Feuer nicht zu erwidern. Sein Glaube an Hitler sei so groß gewesen, daß er die Rote Armee dahin informierte, bei dem Angriff handle cs sich tim nichts anderes als um „Disziplinlosigkeit" seitens einzelner deutscher Einheiten; die sowjetischen Grenztruppen seien wohl imstande, mit der Lage fertig zu werden.

  17. Zitiert nach dem polnischen Original, im Kominformorgan ausgelassen.

  18. Woprossy Istorii, 19 56, Nr. 3, S. 10. In der Nummer, die am 29. März 19 56 zum Druck freigegeben wurde, heißt es ferner:

  19. Aus dem westlichen Bericht geht hervor, daß Chruschtschow Stalin als einen scharfen Nationalisten und Antisemiten bezeichnet hat. Nach einer NTB-Meldung vom 17. April 1956 soll Chruschtschow davon gesprochen haben, daß Stalin kurz vor seinem Tode eine Massendeportation von sowjetischen Juden nach Sibirien geplant habe.

  20. Diese Mitteilung Chruscätsdiows wurde gemäß einer Reuter-Meldung vom 7. März 1956 auf einem diplomatischen Empfang gemacht.

  21. Leonard Sdiapiro hat in seinem 1955 herausgekommenen Werk „The Origin of the Communist Autocracy. Political Opposition in the Soviet State, First Phase 1917 bis 1922“, Harvard University Press, Cambridge (Mass.), die bemerkenswerte Feststellung gemacht, daß die entscheidenden Grundlagen für die autokratische Herrschaftsordnung der Sowjetunion durch Lenin auf dem 10. Parteikongreß im März 1921 gelegt worden sind. Er wies dabei insbesondere auf die Beschlüsse hin, durch die der „AnarchoSyndikalismus“ und die „Fraktionsmacherei“ verdammt und der Grundsatz der monolithischen Einheit der Partei proklamiert wurden. Diese Wendung wurde auf dem gleichen Parteitag vollzogen, auf dem die „Neue Ökonomische Politik" (NEP) verkündet wurde, die als eine Atempause in der Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Welt gedacht war.

  22. Chrusdtschow machte im ZK-Bericht die Mitteilung, daß der Verwaltungsapparat um 750 000 Personen verringert worden ist. Nach einer Reuter-Meldung vom 26. April 1956 sollen nach dem 20. Parteikongreß die Gehälter der höchstbezahlten sowjetischen Berufs-und Verwaltungsklassen um nicht weniger als 50 Prozent gekürzt worden sein.

  23. Die Grenzen der bisher durchgeführten Dezentralisierung sind von J. H. Hazard in seinem Aufsatz „Governmental Developments in the USSR since Stalin“ in The Anuals of the American Academy of Political and Social Science, January 1956, S. 11 ff., richtig gesehen worden, während W. Leonhard in seiner Berichterstattung im SBZ-Ardtiv die Bedeutung des Dezentralisierungsprozesses überschätzt hat.

  24. Er wurde mit Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR Ende April 1956 errichtet.

  25. Prawda vom 13. April 1956.

  26. Stalin, J.: „Fragen des Leninismus", 9. Auf. (russ.) S. 512— 313.

  27. Vgl. G. Kostjuk „Podenije P. P. Postyschewa" (Der Sturz Postyschews), in Westnik Instituta po fesutschenilu istorii i kultury SSSR (Mitteilungen des Instituts zur Erforschung der Geschichte und Kultur der UdSSR), München 1954, Nr. 6, S. 112— 123.

  28. Vgl. die Quellenangaben in der Anmerkung 22.

  29. Woprossy Istorii. 1956, Nr. 3, S. 8.

  30. Vgl. „Der Fall Pokrowski" in Neue Zürcher Zeitung vom 22. März 1956.

  31. Zur Zugehörigkeit Wosnessenskijs und A. A. Kusnezows zur Shdanow-Gruppe vgl. „Rußland im Umbruch", a. a. O., S. 23 ff.

  32. Außer Bela-Kun wurde die Mehrheit der polnischen KP-Führung (Warski, Lenski, Koszutska usw.), die während der Großen Säuberung liquidiert worden war, rehabilitiert. Bereits am 1. Mai 1955 waren ihre Bilder in der Trybuna Ludu veröffentlicht worden. Während des 20. Parteikongresses erfolgte der Widerruf der 1938 erfolgten Auflösung der polnischen Sektion durch die Komintern. Bei den Rehabilitierten der Nachkriegszeit handelt es sich entweder um Opfer der antititoistischen Säuberungsaktionen (Gomulka in Polen, Rajk in Ungarn, Kostow in Bulgarien) oder um Angehörige bürgerlicher und sozialdemokratischer Oppositionsgruppen. An eine Revision des Slansky-Prozesses in der Tschechoslowakei ist bisher nicht gedacht.

  33. Zum Fall Syrzow vgl. I. Deutscher: „Stalin. Die Geschichte des modernen Ruß-land“, Stuttgart 1951, S. 347. Daß Syrzow in seiner Einstellung nicht allein stand, zeigt der tragische Ausgang der Auseinandersetzung Stalins mit seiner zweiten Frau, Na-deshda Allilujewa. Ende 1932. Vgl. Deutscher, a. a. O„ S. 348— 349.

  34. Chruschtsdiow sagte:

  35. Diese Legende ist merkwürdigerweise auch von Nikolaus Basseches in seine Stalin-Biographie („Stalin. Das Schicksal eines Erfolges", Bern 1950) übernommen worden. Mit der viel zu positiven Bewertung der historischen Rolle Stalins durch Basseches und Deutscher hat sich der Verfasser bereits 1952 in einer Besprechung ihrer Stalin-Bücher auseinandergesetzt. (Stalin-Biographien, Osteuropa, 2. Jg., 1952, S. 228— 231). Seine Einwände galten im gleichen Maße auch für die von A. W. Just verfaßte Kurz-biographie Stalins („Stalin und seine Epoche", München 1953).

  36. (E. H) alp(erin): „Die Revision der Parteigeschichte in der Sowjetunion" in Neue Zürcher Zeitung vom 13. März 1956. Ein Überblick über die Veränderungen im Zentralkomitee im Zuge der Auseinandersetzungen der Stalin-Fraktion mit den einzelnen Oppositionsgruppen findet sich bei Mediator: „Der Parteigeneralstab der KPdSU (B) in Ost-Probleme, 3. Jg., 1951, S. 351— 353.

  37. Vgl.den Brief Lenins an Ossinskij vom 12. April 1922, der anläßlich des Lenin-Gedenktages veröffentlicht wurde. „Nowyje Dokumenty W. 1. Lenina“ (Neue Dokumente W. 1. Lenins) in Prawda vom 22. April 1956.

  38. Vgl. „Altbolschewist taucht wieder auf" in Süddeutsche Zeitung vom 23. März 1956.

  39. Vgl. Caev, A. G.: „The Amnestied Dead“ in Bulletin of tUe Institute for the Study of the USsR, 2. Jg„ 1955, Nr. 11, S. 32— 37.

  40. Die Liquidierung Kossiors im Jahre 1937 ist 1951 vom jugoslawischen Kommunistenführer Moscha Pijade in einer Rede geschildert worden. Pijades Bericht, der in die offizielle Tito-Biographie Vladimir Dedi/'ers übernommen wurde, lautet (deutsche Ausgabe, Berlin 195 3. S. 101 ff):

  41. Sowjetskoje Gossudarstwo i Prawo, 1956, Nr. 2, S. 8/9. Das Heft ist am 23. März 1956 zum Druck freigegeben worden.

  42. Vgl.den Abschnitt „Die drei Phasen des Stalinismus" in „Rußland im Umbruch", a. a. O., S. 18.

  43. Diese Bezeichnung, die sich inzwischen allgemein eingebürgert hat, ist vom Verfasser zum erstenmal in seinem 1951 erschienenen Buch „Rußland im Umbruch" gebraucht worden.

  44. Auf das Beispiel Reval hat der Erste Parteisekretär der estnischen KP, Käbin, auf das Beispiel Prag Mikojan hingewiesen. Der volle Wortlaut der Rede Käbins findet sich in Sowjetskaja Estonija vom 21. Februar 1956. Wie sich die kommunistische Machtübernahme in Estland tatsächlich abgespielt hat, ist aus dem Buch des Verfassers „Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht", Köln 1956, zu ersehen.

  45. Dies geht aus den entsprechenden Ausführungen Sdiepilows und Susslows deut-lieh hervor. Sdiepilow spricht davon, daß die Diktatur des Proletariats unter Umständen -gezwungen sein wird, diesen Widerstand (der Ausbeuterklassen) durch Gewaltmaßnahmen zu brechen", und Susslow bemerkt, daß die Arbeiterklasse die politische Führung des Staates in den Händen haben müsse, „um je nach den konkreten Verhältnissen in kürzeren oder längeren Zeitspannen der Kapitalistenklasse das Eigentum an den Produktionsmitteln entziehen und die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum umwandeln, um allen etwaigen Restaurationsversuchen der gestürzten Ausbeuterklasse organisierten Widerstand entgegensetzen und den soziatlistischen Aufbau in die Wege leiten zu können.“

  46. Vgl.den vorzüglichen Überblick über die Diskussion bei Dahm, H.: -Vergangenes und Unvergängliches“ in Ost-Probleme, 8. Jg., 1956, S. 596— 608.

  47. Wortlaut in Bolschewik, 1947, Nr. 3. Vgl. hierzu auch Carthoff, R. L.: „Die Sowjetarmee, Wesen und Lehre“, Köln 195 5. Der primär defensive Charakter der Stalinschen Strategie der „aktiven Verteidigung" ist von Garthoff, wie die Revision der stalinistischen Militär-Theorie zeigt, zu Unrecht bestritten worden.

  48. Dies ist auch von Marsdhall Konjew in einem Artikel in der Krassnaja Swesda vom 23. Februar 1956 bestätigt worden.

  49. Vgl. z. B.den Artikel des Obersten N. Pawlenko: „Objektiwno osweschtschatj fakty woennoi istorii“ (Objektiv die Tatsachen der Kriegsgeschichte darstellen) in: Krassnaja Swesda vom 23. März 1956.

  50. Zu der Bedeutung der Wehrreform Timosdienkos im Rahmen der Vor-und Nachkriegsentwicklung der Sowjetwehrmacht siehe . Rußland im Umbruch*, a. a. O. S. 36 ff.

  51. Problemy Istorij, 1956, Nr. 3, S. 8 Im gleichen Heft (a. a. O.. S. 8) heißt es: .. Die Historiker sind aufgerufen, die Wahrheit wiederherzustellen und die führende Rolle der Kommunistischen Partei und des Zentralkomitees, den Heroismus der werktätigen Massen im Kampf mit den Interventen und Weißgardisten, die Verdienste der hervorragenden Kommandeure und Politarbeiter der Roten Armee (und nicht allein nur J. W. Stalins) aufzuzeigen."

  52. Pentkoivskaia, W. W.: „Rolj W. I. Lenina w obrasowanii SSSR“ (Die Rolle Lenins bei der Bildung der UdSSR) in Problemy Istorii, 1956, Nr. 3, S. 13— 24.

  53. Löwenthal, R.: „Jenseits des Stalinismus" in Der Monat, S. Jg., 1956, Nr. 91, S. 4.

  54. Vgl. Leonhard, W.: „Der XX. Parteitag der KPdSU“ in: SBZ-Ardiiv, 6. Jg., 195 5, S. 71. Leonhard weist zutreffend auf die Grenzen des bisherigen Entstalinisie-rungsprozesses hin.

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