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Weihnachtsbotschaft 1955 | APuZ 2/1956 | bpb.de

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APuZ 2/1956 Weihnachtsbotschaft 1955 Die „Mehrheit der deutschen Bevölkerung "?

Weihnachtsbotschaft 1955

Papst Pius XII.

Die innere Weihnachtsfreude Mit offenem Herzen für die innige Freude, die das Geburtsfest des Erlösers wiederum in den Seelen der Gläubigen wecken wird, möchten Wir euch, geliebte Söhne und Töchter der Christenheit, und allen Menschen ohne Unterschied unsere väterlichen Glückwünsche entbieten. Wie in den vergangenen Jahren nehmen wir zu deren Gegenstand das unerschöpfliche Geheimnis des Lichtes und der Gnade, das von der Wiege des göttlichen Kindes in der heiligen Nacht von Bethlehem aufstrahlte und dessen Leuchten nie erlöschen wird, solange auf Erden die schmerzenden Schritte jener widerhallen, die zwischen den Dornen den Pfad des wahren Lebens suchen.

Wie sehr wünschten Wir, die Menschen alle, verstreut über die Kontinente hin, in Stadt und Dorf, in den Tälern, Einöden und Steppen, auf den weiten Flächen der Eisfelder und Meere und auf dem ganzen Erdball, möchten wieder, wie an jeden einzelnen von ihnen eigens gerichtet, die Stimme des Engels hören, der das Geheimnis der göttlichen Größe und der unendlichen Liebe verkündete, der Liebe, die eine Vergangenheit der Finsternis und Verwerfung abschloß und das Reich der Wahrheit und des Heiles anheben ließ: „Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Davids-stadt der Heiland geboren worden, Christus der Herr” (Luk. 2, 10— 11).

Wir möchten, die Menschen von heute würden gleich den einfachen Hirten, die als erste in schweigender Anbetung die Heilsbotschaft aufnahmen, von demselben Empfinden des Staunens ergriffen und hingerissen, das jedes menschliche Wort verstummen läßt und den Geist zur betrachtenden Anbetung zwingt, wo eine erhabene Majestät sich ihren Augen offenbart: die Majestät des menschgewordenen Gottes.

Die Einstellung des modernen Menschen Weihnachten gegenüber

INHALT DIESER BEILAGE: Toni Stolper:

„Die Mehrheit der (S. 22) deutschen Bevölkerung?“

Die Bewunderer der äußeren menschlichen Macht Man muß sich aber mit zagender Besorgnis fragen, ob der moderne Mensch noch in der Verfassung ist, sich von einer so übernatürlichen Größe gefangennehmen und von ihrer innigen Freudigkeit durchdringen zu lassen: Dieser Mensch, der sozusagen überzeugt ist von seinem erhöhten Können und geneigt, die eigene Größe zu bemessen an der Macht seiner Instrumente, seiner Organisationen, seiner Waffen, nach der Präzision seiner Berechnungen, der Zahl seiner Erzeugnisse, nach der Entfernung, bis zu der sein Wort, sein Blick, sein Einfluß reichen kann: dieser Mensch, der schon mit Stolz von einem Zeitalter billigen Wohlstandes spricht, wie wenn es in Reichweite wäre, der — seiner selbst und seiner Zukunft sicher — alles wagt, von einer unaufhaltsamen Kühnheit getrieben, der Natur ihr letztes Geheimnis zu entreißen, ihre Kräfte unter sein Wollen zu beugen, begierig danach, persönlich, wie er leibt und lebt, auch in die Räume zwischen den Planeten vorzudringen. )

Gerade weil der moderne Mensch im Besitz alles dessen ist, was menschlicher Geist und Fleiß im Laufe der Zeit errungen haben, sollte er auch mehr den unendlichen Abstand zwischen seiner unmittelbaren Leistung und der des unermeßlichen Gottes anerkennen.

In Wirklichkeit ist es jedoch ganz anders. Die falschen oder verengten, vom modernen Menschen geteilten Anschauungen über Welt und Leben verhindern ihn nicht bloß, aus den Werken Gottes und im besonderen aus der Menschwerdung des Wortes ein Gefühl der Bewunderung und Freude zu schöpfen, sondern entziehen ihm die Fähigkeit, darin die unentbehrliche Grundlage zu erkennen, die den menschlichen Werken Bestand und rechtes Maß verleiht. Tatsächlich lassen sich nicht wenige fast blenden von dem begrenzten Glanz, der von diesen ausstrahlt, und widerstehen dem inneren Antrieb, dessen Quelle und Krönung außer und über der Welt der Wissenschaft und Technik zu suchen.

Ähnlich den Erbauern des Turms von Babel träumen sie von einer unwirklichen „Vergöttlichung des Menschen", die geeignet und genügend wäre für jedes Erfordernis des körperlichen und geistigen Lebens. Die Menschwerdung Gottes und sein „Wohnen unter uns" (vgl. Joh. 1, 14) wecken in ihnen kein tiefes Interesse, keine erhebende Ergriffenheit.

Weihnachten hat für sie keine andere Bedeutung und Sprache als jene, die eben eine Wiege zum Ausdruck bringen kann: mehr oder weniger lebhafte, aber rein menschliche Gefühle, wenn sie nicht gar übertönt werden von weltlichem und lärmendem Getue, das auch den einfachen ästhetischen und familiären Wert entweiht, den Weihnachten gleich einem fernen Widerschein von der Größe seines Geheimnisses ausstrahlt.

Die Vertreter eines falschen inneren Lebens Andere hingegen kommen auf entgegengesetzten Wegen zur Mißachtung der Werke Gottes und verschließen sich damit den Zugang zur trauten Weihnachtsfreude. Belehrt durch die harte Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte, die, wie sie sagen, die menschlich verkleidete Brutalität der gegenwärtigen Gesellschaft bewiesen haben, verurteilen sie scharf den äußeren Prunk ihrer Fassaden, verweigern dem Menschen und seinen Werken jegliche Glaubwürdigkeit und verhehlen nicht das tiefe Mißfallen, das deren übertriebene Verherrlichung in ihren Herzen hervorruft. Deshalb wünschen sie, daß der Mensch dem fieberhaften äußeren Dynamismus besonders des Technischen entsage, daß er sich verschließe in sich selbst, wo er den Reichtum eines ganz ihm eigenen und ausschließlich menschlichen Innenlebens finden werde, das imstande wäre, jedes nur mögliche Bedürfnis zu erfüllen.

Doch diese rein menschliche Innerlichkeit ist unfähig, das Versprechen zu halten, das man ihr zuschreibt, nämlich dem ganzen Bedürfnis des Menschen zu genügen. Sie ist vielmehr eine trotzige, fast verzweifelte Einsamkeit, eingegeben von der Furcht und von der Unfähigkeit, sich eine äußere Ordnung zu geben, und sie hat nichts gemein mit der echten Innerlichkeit, die den Menschen erfüllt, ihn antreibt und die ihn erhebt.

In dieser ist der Mensch wirklich nicht allein, sondern lebt zusammen, mit Christus, das heißt sein Denken und Tun stellt sich ihm als Freund, Schüler und gleichsam Mitarbeiter zur Seite und wird von ihm gehoben und gehalten, daß er die Welt draußen meistere nach den göttlichen Richtlinien, denn Er ist „der Hirt und Hüter unserer Seesen“ (vgl. 1. Petrus 2, 25).

Die Gleichgültigen und Gefühllosen Zwischen den einen und den anderen, welche die irrige Auffassung des Menschen und des Lebens dem bestimmenden und heilsamen Einfluß des menschgewordenen Gottes entzieht, befindet sich die weite Schicht jener, . die weder stolz sind auf den äußeren Glanz der heutigen Menschheit, noch beabsichtigen, sich auf sich selbst zurückzuziehen, um nur von dem zu leben, was der Geist bieten kann. Es sind jene, die sich befriedigt erklären, wenn es ihnen gelingt, dem Augenblick zu leben, auf nichts anderes sinnend und bedacht, als hur darauf, daß ihnen die größte Verfügungsmöglichkeit über äußere Güter gesichert bleibe und daß im kommenden Augenblick keine Minderung in ihrer Lebenshaltung zu fürchten sei. Weder die Größe Gottes noch die Würde des Menschen, beide wunderbar und sichtbar im Weihnachtsgeheimnis hervorgehoben, macht Eindruck auf diese armseligen Geister, unempfindlich und unfähig, wie sie geworden sind, ihrem Leben einen Sinn zu geben.

Nach solcher Verkennung oder Verwerfung der Gegenwart des mensch-gewordenen Sohnes hat der moderne Mensch eine Welt gebaut, in der das Großartige sich mit dem Armseligen vermengt, eine Welt von Inkonsequenzen wie ein Weg ohne Ausgang oder wie ein vollständig eingerichtetes Haus, das doch mangels eines Daches unfähig ist, seinen Bewohnern die gewünschte Sicherheit zu bieten. In bestimmten Nationen verbreitet sich trotz der ungeheuren Entwicklung des äußeren Fortschritts und obwohl dort allen Schichten des Volkes der materielle Bestand gesichert ist, doch schleichend ein Gefühl unbestimmbaren Mißbehagens, ein besorgtes Erwarten von etwas, das geschehen müsse. Man wird diesbezüglich erinnert an die Erwartung der einfachen Hirten auf den Fluren von Bethlehem, die aber mit ihrer Feinfühligkeit und Bereitschaft den stolzen Menschen des 20. Jahrhunderts zeigen können, wo man das suchen muß, was fehlt: „Auf, laßt uns nach Bethlehem eilen“, so sagen sie, „und sehen, was da geschehen ist und was der Herr uns kundgetan hat!" (Luk. 2, 15). Das Ereignis, das schon seit zwei Jahrtausenden in die Geschichte eingegangen ist, dessen Wahrheit und Wirkung aber wiederum ihren Platz in den Gewissen gewinnen müssen, ist das Kommen Gottes in sein Haus und in sein Eigentum (vgl. Joh. 1, 11). Nun aber kann die Menschheit das Kommen und das Wohnen Gottes auf Erden nicht ungestraft zurückweisen und vergessen, denn dieses ist nach der Heilsordnung der Vorsehung wesentlich, um die Ordnung und das rechte Verhältnis zwischen den Menschen und seinen Dingen so wie zwischen diesen und Gott herzustellen. Der Apostel Paulus beschrieb die Ganzheit dieser Ordnung in einer wundervollen Zusammenfassung: „Alles 'gehört euch, ihr aber gehört Christus und Christus Gott“ (1. Kor. 3, 23). Wer aus dieser unzerstörbaren Ordnung Gott und Christus fallen lassen wollte, um von den Worten des Apostels nur das Recht des Menschen auf die Dinge festzuhalten, der würde einen wesentlichen Bruch im Plane des Schöpfers vollziehen. Der hl. Paulus selbst würde mit der Mahnung entgegentreten: „Niemand soll sich rühmend machen mit Menschen" (1. Kor. 3, 21). Wer sähe nicht, wie zeitgemäß diese Mahnung für die Menschen unserer Tage ist, die so stolz sind auf ihre Erfinder und Entdecker. Diese erleiden nicht mehr so häufig wie einstens das harte Los der Vereinsamung, sondern beschäftigen im Gegenteil die Phantasie der Massen und auch die wache Aufmerksamkeit der Staatsmänner! Es ist aber eines, ihnen die rechte Ehre zu zollen und ein anderes, von ihnen und ihren Entdeckungen die Lösung des grundlegenden Lebensproblems zu erwarten. Daher müssen der Reichtum und die Werke, die Pläne und Erfindungen, Ruhm und Qual der modernen Zeit im Hinblick auf den Menschen als Ebenbild Gottes betrachtet werden.

Wenn also das, was man Fortschritt nennt, nicht vereinbar ist mit den Gesetzen der göttlichen Weltordnung, so ist es sicher weder gut noch ein Fortschritt, sondern ein Weg zum Verderben. Vor dem unvermeidlichen Ende werden weder die vollkommenste Kunst der Organisation, noch die entwickelten Methoden der Berechnung bewahren, welche die innere Festigkeit des Menschen nicht zu schaffen und noch weniger zu ersetzen vermögen.

Christus im geschichtlichen und sozialen Leben der Menschheit

Nur Jesus Christus gibt den Menschen jene innere Festigkeit. „Als die Fülle der Zeit kam“ (Gal. 4, 4), stieg das Wort Gottes in unser Erden-leben herab, indem es eine wahre Menschennatur annahm. Auf diese Weise trat es auch in das geschichtliche und soziale Leben der Menschheit ein, auch hier „Uns Menschen gleich geworden" (Phil. 2, 7), so sehr wie Gott seit aller Ewigkeit. Sein Kommen zeigt also, daß Christus beabsichtigte, sich zum Führer der Menschen und zu ihrer Stütze in der Geschichte und Gesellschaft zu machen. Die Tatsache, daß der Mensch im gegenwärtigen technischen und industriellen Zeitalter eine staunenswerte Macht über die organischen und anorganischen Dinge gewonnen hat, stellt keinen Titel dar auf Befreiung von der Pflicht, sich Christus, dem König der Geschichte, unterzuordnen, noch vermindert sie die für den Menschen bestehende Notwendigkeit, von ihm gehalten und gestützt zu werden. Und tatsächlich ist die Besorgnis um die Sicherheiten immer stärker geworden.

Die heutige Erfahrung beweist gerade, daß das Vergessen oder Übersehen der Gegenwart Christi in der Welt das Gefühl der Verwirrung und den Mangel an der dem technischen Zeitalter eigenen Sicherheit und Stetigkeit hervorgerufen hat. Das Vergessen auf Christus hat dazu geführt, auch die Wirklichkeit der Menschennatur zu mißachten, die von Gott als Grundlage des Zusammenlebens in Raum und Zeit gesetzt wurde.

In welcher Richtung ist also die Sicherheit und die innere Festigkeit des Zusammenlebens zu suchen, wenn nicht darin, daß man die Geister dazu bringt, die Grundsätze der unverfälschten, von Gott gewollten Menschennatur zu wahren und von neuem lebendig zu gestalten? Es gibt nämlich eine natürliche Ordnung, auch wenn ihre Formen sich mit der geschichtlichen und sozialen Entwicklung ändern. Die wesentlichen Dinge waren und sind jedoch noch immer die gleichen: die Familie und das Eigentum als Grundlage persönlicher Versorgung, sodann als ergänzende Kräfte der Sicherheit die örtlichen Behörden, die Berufsgemeinschaften und endlich der Staat.

Auf diese Grundsätze und Richtlinien beriefen sich bisher in Theorie und Praxis die im Christentum gefestigten Menschen, um, soweit es in ihrer Macht lag, die Ordnung zu verwirklichen, welche die Sicherheit gewährleistet. Doch wußten zum Unterschied von den Modernen unsere Vorfahren — auch aus den Irrtümern, von denen ihre konkreten Anwendungen nicht frei waren —, daß die menschlichen Kräfte im Schaffen der Sicherheit in sich begrenzt sind; und deshalb nahmen sie ihre Zuflucht zum Gebet, um zu erlangen, daß eine weit höhere Macht ihr Ungenügen ergänze. Das Abkommen vom Beten aber ist in dem sogenannten industriellen Zeitalter das auffallendste Symptom des behaupteten Selbstgenügens, dessen sich der moderne Mensch rühmt. Allzu viele sind es, die heute nicht mehr um die Sicherheit beten und die als von der Technik überholt die Bitte ansehen, die der Herr auf die Lippen der Menschen legte: „Gib uns heute unser tägliches Brot“ (Matth. 6, 11), oder die sie rein mit den Lippen noch aussprechen, ohne innere Überzeugung von ihrer immerwährenden Notwendigkeit.

Falsche Anwendung der modernen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften auf die Sicherheit Aber kann man wirklich behaupten, der Mensch habe das volle Selbst-genügen erreicht oder sei daran, es zu erreichen? Die sicherlich Staunen erregenden modernen Errungenschaften des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts werden dem Menschen gewiß eine weitgehende Macht über die Kräfte der Natur, über die Krankheiten und sogar über Beginn und Ende des menschlichen Lebens zu geben vermögen. Es steht aber ebenfalls fest, daß eine solche Meisterung der Dinge die Erde nicht in ein Paradies sicheren Genusses wird umformen können. Wie also wird man dann vernünftigerweise alles von der Kraft des Menschen erwarten wollen, wenn schon die Tatsache neuer falscher Entwicklungen und auch neue Krankheiten die Einseitigkeit eines Denkens aufzeigen, welches das Leben ausschließlich auf der Grundlage quantitativer Analyse und Synthese beherrschen möchte. Seine Anwendung auf das gesellschaftliche Leben ist nicht nur falsch, sondern auch eine praktisch gefährliche Vereinfachung sehr verwickelter Vorgänge. Unter solchen Umständen bedarf auch der modeFne Mensch des Gebetes, und er ist, wenn verständig, auch bereit, für die Sicherheit zu beten.

Dies bedeutet aber nicht, daß der Mensch auf neue Formen verzichten müsse, d. h. daß er zu seiner Sicherheit die soeben aufgezeigte Ordnung, welche die wahre Menschennatur widerspiegelt, nicht den gegenwärtigen Verhältnissen anpassen dürfe. Nichts verbietet die Schaffung der Sicherheit unter Ausnützung auch der Ergebnisse der Technik und Industrie! Nur ist der Versuchung zu widerstehen, Ordnung und Sicherheit ruhen zu lassen auf der oben angedeuteten rein quantitativen Methode, die keinerlei Rücksicht auf die Naturordnung nimmt, wie es jene möchten, die das ganze Geschick des Menschen der gewaltigen industriellen Macht des gegenwärtigen Zeitraumes anvertrauen. Sie vermeinen, jegliche Sicherheit begründen zu können auf der stets wachsenden Produktivität und auf dem ununterbrochenen Lauf der immer größeren, fruchtbaren Gütererzeugung der nationalen Wirtschaft. Diese wird, so behaupten sie, auf der Grundlage einer vollständigen und immer vollkommeneren Automatisierung der Produktion und gestützt auf die besten Methoden der Organisation und der Berechnung allen Werktätigen ein ständig wachsendes Arbeitseinkommen sichern. Auf einer folgenden Entwicklungsstufe wird das letztere so groß werden, daß es vermittels der Maßnahmen der Gemeinschaft für die Sicherheit auch derer genügen kann, die nicht mehr oder noch nicht arbeitsfähig sind: der Kinder, der Alten und der Kranken. Um die Sicherheit zu festigen, so schließen sie, wird darum der Rückgriff auf das Eigentum nicht mehr nötig sein, sei es privates oder kollektives, sei es Eigentum in Natur oder in Geldkapital.

Nun, diese Art der Sicherheit zu schaffen, ist keine der Formen, die Naturgrundlage den neuen Entwicklungen anzupassen, sondern ein Anschlag auf das Wesen der natürlichen Beziehungen des Menschen zu seinesgleichen, zur Arbeit, zur Gesellschaft. In diesem zu gekünstelten System ist die Lebenssicherheit des Menschen bedrohlich getrennt von jenen Anlagen und Kräften zum Aufbau der Gesellschaft, die gerade der wahren menschlichen Natur anhaften und die allein eine solidarisch verpflichtende Einheit der Menschen möglich machen. In irgendeiner Weise, wenn auch mit der nötigen Anpassung an die Zeitumstände, müssen die Familie und das Eigentum unter den Grundlagen des freien persönlichen Ordnens bleiben. Irgendwie müssen die kleineren Gemeinschaften und der Staat dazwischentreten können als ergänzende Kräfte der Sicherheit.

Darum ergibt sich von neuem: Keine quantitative Methode, mag sie auch noch so vollkommen sein, kann und darf die gesellschaftliche und geschichtliche Wirklichkeit des menschlichen Lebens beherrschen. Der immerfort sich hebende Lebensstandard, die sich ständig vermehrende technische Produktivität sind keine Kriterien, die aus sich zu der Behauptung berechtigen, daß ein wirkliches Wachstum des wirtschaftlichen Lebens eines Volkes vorliegt. Nur eine einseitige Schau der Gegenwart und vielleicht auch der nächsten Zukunft kann sich mit einem solchen Kriterium zufrieden geben, aber nicht darüber hinaus.

Daher kommt manchmal für lange Zeit ein unüberlegter Verbrauch der Reserven und Schätze der Natur, leider auch der verfügbaren menschlichen Arbeitskraft, wie dann auch ganz allmählich ein immer größeres Mißverhältnis zwischen der Notwendigkeit, die Besiedelung des Heimat-bodens allen seinen produktiven Möglichkeiten vernünftig anzupassen, und einer übermäßigen Zusammenballung der arbeitenden Menschen. Dazu füge man die Zersetzung der Gesellschaft, besonders der Familie, in einzelne und getrennte Träger der Arbeit und des Verbrauchs, die wachsende Gefährdung der Lebenssicherung — sie beruht auf dem Ertrag des Eigentums in jeglicher Form, dieses aber ist zu sehr jeder Geldentwertung ausgestzt — und das Risiko, das darin liegt, jene Sicherheit einzig in das laufende Arbeitseinkommen zu verlegen.

Wer in diesem Zeitalter der industriellen Gesellschaft mit Recht den Kommunismus anklagt, die Völker seines Herrschaftsbereichs der Freiheit beraubt zu haben, dürfte nicht unterlassen zu bemerken, daß auch im anderen Teil der Welt die Freiheit ein recht zweifelhafter Besitz sein wird, wenn die Sicherheit des Menschen nicht mehr aus einem Gefüge hergeleitet wird, das seiner wahren Natur entspricht.

Die irrtümliche Auffassung, die das Heil in den stetig steigenden Ablauf der gesellschaftlichen Produktion verlegt, ist ein Aberglaube, vielleicht der einzige unserer rationalistischen Industrieperiode, aber auch der gefährlichste, weil er wirtschaftliche Notzeiten, die immer die Gefahr einer Rückkehr zur Diktatur in sich tragen, für unmöglich zu halten scheint. Überdies ist jener Aberglaube nicht einmal brauchbar zur Errichtung eines festen Bollwerks gegen den Kommunismus, weil er von der kommunistischen Seite wie auch von nicht wenigen auf der nichtkommunistischen geteilt wird. In dieser irrtümlichen Auffassung begegnen sich beide Seiten und stellen so eine schweigende Übereinkunft her, geeignet, die scheinbaren Realisten des Westens von einer möglichen echten Koexistenz träumen zu lassen.

Die Auffassung der Kirche vom Kommunismus In der Weihnachtsbotschaft des vergangenen Jahres setzten Wir die Auffassung der Kirche über diesen Gegenstand auseinander, und nun beabsichtigen Wir, sie noch einmal zu bestätigen. Wir weisen den Kommunismus als gesellschaftliches System zurück, kraft der christlichen Lehre, und müssen dabei in besonderer Weise die Grundlagen des Naturrechts betonen. Aus demselben Grund verwerfen Wir auch die Meinung, der Christ müsse heute den Kommunismus sehen als eine Erscheinung oder Etappe des Geschichtsablaufes, gleichsam ein ihr notwendiges Entwicklungsmoment, und er müsse ihn darum wie von der göttlichen Vorsehung bestimmt hinnehmen.

Mahnung an die Christen im augenblicklichen Industriezeitalter Wir aber mahnen gerade jetzt die Christen des Industriezeitalters von neuem und im Geist unserer letzten Vorgänger im höchsten Hirten-und Lehramt, sich nicht zu begnügen mit einem nur auf dem Leitwort und der Verteidigung einer inhaltlosen Freiheit fußenden Gegenkommunismus. Wir fordern sie vielmehr auf zum Bau einer Gesellschaft, in der die Sicherung des Menschen auf der sittlichen Ordnung ruht, deren Notwendigkeit und Auswirkung Wir des öfteren auseinandergesetzt haben, auf daß sie die wahre Menschennatur widerspiegelt. Nun müßten die Christen, an die Wir uns hier besonders wenden, besser als die anderen wissen, daß der menschgewordene Gottessohn der einzige feste Halt der Menschheit auch im sozialen und geschichtlichen Leben ist, und daß er mit Annahme der Menschennatur ihre Würde bestätigt hat als Grundlage und Richtschnur jener sittlichen Ordnung. Es ist also ihre vorzügliche Aufgabe, dahin zu wirken, daß die heutige Gesellschaft in ihrem Aufbau zurückkehre zu den vom fleischgewordenen Worte Gottes geheiligten Quellen. Sollten die Christen diese ihre Aufgabe vernachlässigen und soweit es auf sie ankommt, die Ordnungskraft des Glaubens im öffentlichen Leben unwirksam lassen, würden sie einen Verrat begehen am Gott-Menschen, der sichtbar unter uns in der Krippe von Bethlehem erschienen ist. Das möge genügen, den Ernst und die tiefe Begründung christlichen Wirkens in die Welt hinein zu bezeugen und sogleich jeglichen Verdacht zu beseitigen, als handle es sich um irdisches Machtstreben der Kirche.

Wenn sich also die Christen zu diesem Zweck in verschiedenen Gründungen und Organiationen vereinen, setzen sie sich kein anderes Ziel als den von Gott zum Besten der Welt gewollten Dienst. Aus diesem Grund, nicht aber aus Schwäche, verbinden die Christen sich untereinander. Aber sie — und sie vor allen — bleiben offen für jedes gesunde Unternehmen und für jeden wahren Fortschritt. Sie ziehen sich damit nicht in ein Ghetto zurück, wie um sich vor der Welt zu bewahren. Sich der Förderung des Gemeinwohls hingebend verachten sie nicht die anderen, die übrigens, wenn sie sich vom Licht der Vernunft belehren lassen, vom Lehrgut des Christentums wenigstens das annehmen könnten und müßten, was in ihm naturrechtlich begründet ist.

Hütet euch vor denen, die jenen christlichen Dienst an der Welt verachten und ihm ein sogenanntes „reines“, „geistiges“ Christentum entgegensetzen. Sie haben die göttliche Lehre gleich von ihrer Grundlage an nicht begriffen: Christus wahrer Gott, aber auch wahrer Mensch. Der Apostel Paulus läßt uns das volle ungeteilte Wollen des Gott-Menschen, das auch diese irdische Welt zu ordnen bezweckt, erkennen, indem er ihm zwei bedeutsame Ehrentitel beilegt: Der „Mittler" und der „Mensch“ (1. Timot. 2, 5), ja, der Mensch, wie es ein jeder der von ihm Erlösten ist.

Ganzheit und Halt jedes Menschenlebens notwendig in Christus

Jesus Christus ist der feste Halt der Menschheit nicht nur im sozialen und geschichtlichen Leben, sondern auch in dem des einzelnen Christen, und zwar derart, daß wie „alles durch ihn geworden ist und nichts ohne ihn“ (Joh. 1, 3), so auch niemand je ohne ihn Werke, die der göttlichen Weisheit und Herrlichkeit würdig wären, vollbringen kann. Der Begriff der notwendigen Ganzheit und des inneren Haltes jedes Lebens in Christus wurde den Gläubigen von den Anfängen der Kirche an eingeschärft: durch den Apostel Petrus, als er in der Vorhalle des Tempels voh Jerusalem Christus verkündete als den „Urheber des Lebens" und durch den Völkerapostel, der häufig ausführte, was die Grundlage des neuen, in der Taufe erhaltenen Lebens sein müsse: Ihr — so schreibt er — gründet euer Dasein nicht auf das Fleisch, sondern auf den Geist, wenn der Geist Gottes wahrhaft in euch wohnt. Denn wenn jemand nicht den Geist Christi hat, so gehört er Gott nicht an (vgl. Röm. 8, 9). Wie daher jeder Erlöste in Christus „wiedergeboren wird“, so findet er sich durch ihn „im Glauben geborgen“ (vgl. Joh. 3, 3; 1. Petrusbr. 1, 5).

Grenzen der menschlichen Macht Wie könnte übrigens der sich selbst überlassene Einzelne, auch wenn er nicht Christ, vernünftigerweise an die eigene Autonomie, Ganzheit und Festigkeit glauben, wenn doch die Wirklichkeit ihm von allen Seiten die Grenzen vor Augen hält, in welche die Natur ihn einzwängt, Grenzen, die wohl erweitert, aber nicht ganz aufgehoben werden können. Das Gesetz der Begrenztheit ist dem Leben auf Erden eigen, und Jesus Christus selbst entzog sich nicht seiner Herrschaft, insoweit er Mensch war, dessen Wirken Grenzen gezogen waren durch die unerforschlichen Ratschlüsse Gottes und entsprechend dem geheimnisvollen Zusammenspiel von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit. Wenn aber der in seinem Erden-leben begrenzte Mensch Christus uns in unserer Begrenztheit tröstet und stärkt, so flößt Christus-Gott uns höheren Mut ein, da er die Fülle der Weisheit und Macht besitzt. Der Christ, der sich auf der Grundlage dieser Wirklichkeit daran macht, mutig und mit allen natürlichen und übernatürlichen Mitteln eine Welt im Sinn der von Gott gewollten natürlichen und übernatürlichen Ordnung aufzubauen, wird ständig den Blick auf Christus richten und sein Tun innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen halten. Dies Verkennen hieße eine Welt wollen, die gegen die göttliche Anordnung und folglich für das soziale Leben selbst schädlich wäre.

Wir haben soeben die schädlichen Folgen gezeigt, die sich aus der irrigen Überschätzung der menschlichen Macht und aus der Unterschätzung der objektiven Wirklichkeit ergeben, der Wirklichkeit, die durch eine Summe von Grundsätzen und Richtlinien religiöser, sittlicher, wirtschaftlicher, sozialer Art Grenzen zieht und die rechte Richtung der menschlichen Handlungen aufzeigt. Nun wiederholen sich aber dieselben Irrtümer mit ähnlichen Folgen auf dem Gebiet der menschlichen Arbeit und näherhin der wirtschaftlichen Produktion.

Angesichts der überraschenden Entwicklung der Technik und häufiger noch infolge der weltanschaulichen Bearbeitung fühlt sich der Arbeiter als unumschränkter Herr und Meister seiner Existenz imstande, einfach-hin alle Ziele zu verfolgen und alle Träume zu verwirklichen. Indem er die ganze Wirklichkeit in der greifbaren Natur beschnlossen glaubt, sieht, er in der Lebendigkeit der Produktion den Weg zum immer vollkommeneren Menschentum. Die produktive Gesellschaft, die sich dem Arbeiter dauernd als die lebendige und einzige Wirklichkeit und als die alles tragende Macht darstellt, gibt den Maßstab für sein ganzes Leben. Sie ist daher sein einziger fester Halt für die Gegenwart wie für die Zukunft. In ihr lebt er, in ihr bewegt er sich und in ihr ist er; sie wird schließlich für ihn ein Religionsersatz. Auf diese Weise, so meint man, wird ein neuer Menschentyp erstehen, nämlich jener, der die Arbeit mit dem Glorienschein des höchsten ethischen Wertes umgibt und die arbeitende Gesellschaft mit einer Art religiösen Eifers verehrt.

Der hohe sittliche Wert der Arbeit Es erhebt sich nun die Frage, ob die schöpferische Kraft der Arbeit in Wahrheit unabhängig von anderen, nicht rein technischen Werten den festen Halt des Menschen bilde und also verdiene, vom modernen Menschen geradezu vergöttlicht zu werden. Nein, gewiß nicht, wie es nicht irgendeine andere Macht oder eine andere Tätigkeit wirtschaftlicher Natur sein kann. Auch im Zeitalter der Technik bleibt die von Gott erschaffene und von Christus erlöste menschliche Person in ihrem Sein und in ihrer Würde geadelt, und folglich haben ihre schöpferische Kraft und ihr Wirken eine weit höher begründete Festigkeit. So unterbaut ist auch die menschliche Arbeit ein hoher sittlicher Wert und die arbeitende Menschheit eine Gesellschaft, die nicht nur Dinge produziert, sondern Gott verherrlicht. Der Mensch kann seine Arbeit als ein wahres Mittel der. eigenen Heiligung betrachten, denn indem er arbeitet, vervollkommnet er in sich das Bild Gottes, erfüllt er die Pflicht und das Recht, sich und den Seinen den notwendigen Lebensunterhalt zu besorgen, und macht er sich zu einem der Gesellschaft nützlichen Glied. Die Verwirklichung dieser Ordnung wird ihm Sicherheit und zugleich den von den Engeln verkündeten „Frieden auf Erden" schaffen.

(

Die Frage des Friedens Und doch wird gerade ihm, dem religiösen, christlichen Menschen von manchen der Vorwurf gemacht, ein Hindernis für den Frieden zu sein und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen, der Völker, der verschiedenen Systeme entgegenzustehen, weil er seine religiösen Überzeugungen nicht schweigsam im Inneren des Gewissens zurückhält, sondern sie auch geltend macht in herkömmlichen und starken Organisationen, in allen Betätigungen des privaten und öffentlichen Lebens. Man behauptet, ein solches Christentum mache den Menschen rechthaberisch, parteiisch, allzu selbstsicher und selbstzufrieden. Es verleite ihn zur Verteidigung von Stellungen, die keinen Sinn mehr haben, statt daß er allem und allen gegenüber aufgeschlossen sei und darauf vertraue, es werde in einer allgemeinen Koexistenz der innere, lebendige Glaube als „Geist und Liebe“ wenigstens in Kreuz und Opfer einen entscheidenden Beitrag zur gemeinsamen Sache beisteuern. Haben wir nicht vielleicht in dieser irrigen Auffassung der Religion und des Christentums von neuem jenen falschen Kult des menschlichen Subjekts und seiner konkreten Vitalität vor uns, nur auf das übernatürliche Leben übertragen? Meinungen und Systemen gegenüber, die der wahren Religion entgegengesetzt sind, bleibt der Mensch doch immer gebunden durch die von Gott in der natürlichen und übernatürlichen Ordnung gezogenen Grenzen. Gehorsam diesem Grundsatz kann unser Friedensprogramm eine unterschiedslose Koexistenz mit allen um jeden Preis nicht billigen, sicher nicht um den Preis der Wahrheit und Gerechtigkeit. Jene unverrückbaren Grenzen verlangen in der Tat volle Einhaltung. Wo diese besteht, ist auch heute in der Frage des Friedens die Religion in sicherer Art geschützt gegen den Mißbrauch von Seiten der Politik, während dort, wo sie auf das rein innere Leben eingeschränkt wird, die Religion selbst jener Gefahr mehr ausgesetzt ist.

Die Atomwaffen und die Rüstungskontrolle Dieser Gedanke führt Uns von selbst zu der immer brennenden Frage des Friedens, welche die ständige Sorge Unseres Herzens bildet, und von der ein Teilproblem in diesem Augenblick eine besondere Erwägung verdient. Wir beabsichtigen damit, Bezug zu nehmen auf einen kürzlichen Vorschlag, der dahin geht, man solle durch internationale Vereinbarungen die Experimente mit den Atomwaffen einstellen. Es ist auch davon gesprochen worden, in weiteren Schritten zu Abmachungen zu kommen, kraft deren auf den Gebrauch jener Waffen verzichtet und alle Staaten sich einer wirksamen Rüstungskontrolle unterwerfen würden. Es handelte sich also um drei Maßnahmen: Verzicht auf die Experimente mit Atomwaffen, Verzicht auf den Gebrauch solcher Waffen, allgemeine Rüstungskontrolle.

Die höchste Wichtigkeit dieser Vorschläge erscheint in erschütternder Beleuchtung, wenn man erwägt, was die Wissenschaft glaubt, über so schwerwiegende Geschehnisse sagen zu können, und was Wir kurz zusammenzufassen hier für nützlich erachten. Was die Experimente mit Atomexplosionen betrifft, so scheint immer größere Glaubwürdigkeit die Meinung jener zu finden, die wegen der Wirkungen in Besorgnis sind, die deren Vervielfältigung hervorrufen könnte. Im Laufe der Zeit könnten sie in der Tat eine Dichtigkeit von radioaktiven Produkten in der Atmosphäre verursachen, deren Verteilung von Umständen abhängt, die sich der Macht des Menschen entziehen; sie könnten so einen für das Leben sehr vieler Wesen höchst gefährlichen Zustand schaffen.

Bezüglich des Gebrauchs: Bei einer Atomexplosion entwickelt sich in äußerst kurzer Zeit eine ungeheuere Menge von Energie, die mehreren Milliarden Kilowatt entspricht. Sie wird gebildet durch Ausstrahlungen elektromagnetischer Natur von höchster Dichtigkeit, verteilt innerhalb einer weiten Ausdehnung von Wellenlängen bis zu den durchdringendsten Strahlen und durch Korpuskeln, die mit einer der Lichtgeschwindigkeit ganz nahe kommenden Schnelligkeit geschleudert werden und von Prozessen der Atomaufspaltung herrühren. Diese Energie überträgt sich auf die Atmosphäre, erhöht im Verlauf von Tausendsteln einer Sekunde um Hunderte von Grad die Temperatur der umliegenden Luftmassen und bewirkt deren gewaltsame Verschiebung, die sich mit der Geschwindigkeit des Schalles fortpflanzt. Man hat auf der Erdoberfläche in einer Ausdehnung von vielen Quadratkilometern Prozesse von unvorstellbarer Wucht, mit der Verflüchtigung von Materie und totalen Zerstörungen hervorgerufen, durch direkte Bestrahlung, durch die Temperatur, durch die mechanische Wirkung, während eine ungeheuere Menge radioaktiver Stoffe von verschiedener durchschnittlicher Lebensdauer das Vernichtungswerk durch ihre Tätigkeit vervollständigen und fortsetzen.

Dies wäre also das Schauspiel, daß sich dem bestürzten Blick als Folge eines solchen Gebrauchs bieten würde: Ganze Städte, unter ihnen auch die größten und an Geschichte und Kunst reichsten, vernichtet, ein schwarzes Leichentuch über zerstörter Materie, die unzählige Opfer bedeckt und mit verbrannten, verrenkten, verstreuten Gliedern, während andere in den Zuckungen des Todeskampfes stöhnen. Währenddem verhindert der Schrecken der radioaktiven Wolke jede erbarmende Hilfe für die Überlebenden und geht erbarmungslos ihren Weg, um das übriggebliebene Leben zu vernichten. Es wird keinen Siegesruf geben, sondern nur das untröstliche Weinen der Menschheit, die verzweifelt die ihrem eigenen Wahn zuzuschreibende Katastrophe schauen wird.

Was nun die Kontrolle angeht: Jemand hat Inspektionen vorgeschlagen in eigens für den Zweck ausgerüsteten Flugzeugen, die weite Gebiete auf Atomexplosionen überwachen könnten. Andere möchten vielleicht an die Möglichkeit eines Netzes von Beobachtungzentren über die Welt hin denken, jedes von Gelehrten der verschiedenen Länder bedient und alle durch feierliche internationale Verpflichtungen gewährleistet. Solche Zentren müßten versehen sein mit empfindlichen Präzisionsinstrumenten für metereologische und seismographische Beobachtungen, für chemische Analysen, für Massenspektrographie und ähnliches, und sie würden die wirksame Kontrolle von vielen, leider nicht allen Tätigkeiten ermöglichen, die auf dem Gebiet der Atomexplosionen vorher untersagt worden wären. Wir zögern nicht zu behaupten, auch im Sinn Unserer früheren Ansprachen, daß die Gesamtheit jener drei Vorkehrungen als Gegenstand internationaler Übereinkunft Gewissenspflicht der Völker und ihrer Regierungen ist. Wir-sagten, die Gesamtheit jener Vorkehrungen, denn die Begründung ihrer sittlichen Verpflichtung ist auch die Schaffung einer gleichen Sicherheit für alle Völker. Wenn dagegen nur der erste Punkt zur Ausführung käme, so träte ein Zustand ein, der die genannte Bedingung nicht erfüllte, um so mehr, als mit Fug daran gezweifelt werden könnte, ob man wirklich zum Abschluß der beiden anderen Übereinkünfte kommen wolle. Wir sprechen so offen, weil die Gefahr ungenügender Vorschläge in der Frage des Friedens zum großen Teil abhängt vom gegenseitigen Argwohn, der oft die Beziehungen der beteiligten Mächte stört, indem sie sich gegenseitig, wenn auch in verschiedenem Grad der reinen Taktik, ja sogar des Mangels an Ehrlichkeit beschuldigend, in einer für das Los des ganzen Menschengeschlechtes grundlegenden Sache.

Die vorbeugende Befriedung Übrigens dürfen die Bemühungen um den Frieden nicht allein in den Vorkehrungen bestehen, die darauf hinzielen, die Möglichkeit einer Kriegführung zu beschränken, sondern mehr noch darin, den Gegensätzlichkeiten unter den Völkern, die ihn hervorrufen könnten, beizeiten zuvorzukommen, sie zu beseitigen oder zu mildern. Dieser Art vorbeugender Befriedung müßten sich mit besonderer Wachsamkeit die Staatsmänner widmen, durchdrungen vom Geist unparteiischer Gerechtigkeit und auch des Großmuts, wenn auch immer in den Grenzen eines gesunden Realismus. In der Weihnachtsbotschaft des vergangenen Jahres haben Wir bereits auf die. Herde von Gegensätzen hingedeutet, die sich im Verhält--nis von europäischen Völkern und jenen außereuropäischen bemerkbar machen, die die volle politische Unabhängigkeit erstreben. Kann man es vielleicht zulassen, daß die Gegensätze sozusagen ihren Lauf nehmen, der leicht dahin wirken könnte, ihren Ernst zu verschärfen, in die Gemüter Furchen des Hasses zu graben und die sogenannten „traditionellen Feindschaften“ zu schaffen? Und würde nicht vielleicht ein Dritter kommen, um daraus seinen Vorteil zu ziehen, ein Dritter, den die beiden anderen Gruppen im Grunde nicht wollen und nicht wollen können? Wie dem auch sei, eine gerechte und fortschreitende politische Freiheit möge jenen Völkern nicht verweigert und erschwert werden. Immerhin werden sie Europa das Verdienst ihres Fortschritts zuerkennen, Europa, ohne dessen auf alle Gebiete sich erstreckenden Einfluß sie von einem blinden Nationalismus mitgerissen werden könnten, um dann in das Chaos oder die Sklaverei zu stürzen. '

Andererseits dürfen die Völker des Westens, besonders Europas, im angedeuteten Fragenkomplex nicht passiv bleiben, in nutzloser Trauer um die Vergangenheit oder im gegenseitigen Vorwurf des Kolonialismus. Sie sollten sich statt dessen aufbauend ans Werk machen, um dort, wo es bisher vielleicht noch nicht geschehen ist, jene echten Werte Europas oder des Westens zu verbreiten, die in anderen Erdteilen soviel gute Frucht gezeitigt haben. Je mehr sie nun hierauf aus sind, desto mehr werden sie der berechtigten Freiheit der jungen Völker behilflich sein und diese selbst vor der Verführung des falschen Nationalismus bewahrt bleiben. Er ist in Wirklichkeit ihr wahrer Feind, der sie eines Tages aufhetzen würde, die einen gegen die anderen, zum Vorteil von Dritten. Eine solche nicht unbegründete Voraussicht dürfte von denen nicht übergangen noch vergessen werden, die die Frage des Friedens auf Kongressen behandeln, wo leider der Glanz einer äußerlichen und vorwiegend negativen Einheit aufleuchtet. Mit solchen Überlegungen und bei solcher Art des Vorgehens ergibt sich, so scheint es Uns, eine kostbare Sicherung des

Fussnoten

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