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Aus den Akten des 20. Juli. Der Bericht des Hauptmann Hagen | APuZ 29/1955 | bpb.de

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APuZ 29/1955 Aus den Akten des 20. Juli. Der Bericht des Hauptmann Hagen Carl Goerdeler. Gedenkrede zum 10. Todestag "Es lebe unser Heiliges Deutschland". Bannwort und Mahnung?

Aus den Akten des 20. Juli. Der Bericht des Hauptmann Hagen

Abschrift TATBERICHT ÜBER MEINE TÄTIGKEIT ALS VERBINDUNGSOFFIZIER DES WACHBATAILLONS „GROSSDEUTSCHLAND" ZUM REICHSMINI-STERIUM FÜR VOLKSAUFKLÄRUNG UND PROPAGANDA AM 20. JLILI 1944.

Abbildung 1

Ich hatte die Arbeit an meiner im Auftrag des Reichsleiters Bormann zu schreibenden Literaturgeschichte in Bayreuth am 15. Juli unterbrochen, um am 19. Juli im Harnack-Haus in Berlin-Dahlem die Gedenkrede für den im Osten gefallenen Dichter Haro Trüstedt zu halten. Wie immer, wenn ich die vierte Woche des Monats in Berlin bin, sagte ich mich im Wachbataillon für einen Vortrag über Führungsfragen und politischen Lagebericht vor dem Unterführerkorps an. Dieser Vortrag wurde von dem damaligen Major Remer auf Donnerstag, den 20. Juli, 15 Uhr festgesetzt.

Ich ging deshalb Donnerstag, den 20. Juli 1944, 14, 45 Uhr von meiner Dienststelle Friedrichstr. 172 zum Bahnhof Friedrichstraße. Auf der Höhe des Wintergartens begegnete mir ein offener PKW, in dem sowohl ich als auch mein Begleiter, Reichsamtsleiter Dr. Benatzky von der Dienststelle Rosenberg, den Generalfeldmarschall von Brauchitsch in voller Uniform zu erkennen glaubten. Wir unterhielten uns noch einen Augenblick darüber, wieso dieser z. D. gestellte Feldmarschall zu einer Autofahrt durch Berlin käme, maßen aber der Begegnung keine weitere Bedeutung bei. (Zeuge: SA-Standartenführer Dr. Siegwalt Benatzky, Amt „Weltanschauliche Information“ in der Dienststelle Rosenberg.)

Ich sprach, wie befohlen, von 15 bis 16 LIhr zur Lage und zu NS-Führungsfragen. Der Kommandeur des Wachbataillons, damals Major Remer, hörte sich den Vortrag mit an und bat mich nach Beendigung in seine Dienstwohnung, wo wir die angeschnittenen Probleme noch in gegenseitiger Aussprache vertiefen wollten.

Kurz nach 16. 10 Uhr kam, vom Adjutanten, damals Leutnant Siebert, gemeldet, das Alarmstichwort „Walküre“ durch. Major Remer bat mich zu bleiben und befahl dem Adjutanten, alle Vorbereitungen zum Alarm des Bataillons anlaufen zu lassen. Er selbst fuhr befehlsgemäß zum Kommandanten von Berlin, damals Generalleutnant von Hase, um die direkten Befehle abzuholen.

Gegen 16. 45 LIhr kehrte Major Remer zurück, kreidebleich und eröffnete dem Adjutanten und mir: „Auf den Führer ist ein Attentat verübt worden. Wir sehen noch nicht klar. Die Regierungsgewalt hat die Wehrmacht übernommen. Wir haben den Befehl, das Regierungsviertel zu zernieren. Es gilt vor allen Dingen, jetzt Ruhe und Besonnenheit zu bewahren. Dann wandte er sich an den Adjutanten: „Ist alles klar zum Alarm?“ Siebert: „Jawohl, Herr Major", alles klar, die Offiziere warten im Kommandeurzimmer.“

Major Remer bat mich, an der Offiziersbesprechung teilzunehmen. Dort wartete schon ein Oberstleutnant Wolters, der von der Kommandantur Major Remer beigegeben worden war.

Während der Besprechung, die ungefähr eine Viertelstunde dauerte, überdachte ich die Mitteilung von Major Remer: „Die Regierungsgewalt hat die Wehrmacht übernommen“. Mich störte die Anonymität, die dem Führergedanken widerspricht. In diesem Augenblick des Überdenkens sah ich den Wagen mit dem vermeintlichen Generalfeldmarschall von Brauchitsch wieder vor mir, ich nahm, noch in der Besprechung, die nebenstehenden Leutnante zur Seite und sagte zu Leutnant Gees: „Kinder, ich habe einen furchtbaren Verdacht. Hier stinkt's. Ich habe Brauchitsch gesehen. Wenn hier nur nicht geputscht wird“. (Zeuge: Leutnant Gees.)

Als nun Major Remer die Besprechung beenden und die Offiziere zu ihren eingewiesenen Plätzen entlassen wollte, nachdem an Hand der Karte die Aufteilung der Kompanien auf bestimmte Straßenzüge vor sich gegangen war, fiel ich ihm ins Wort: „Einen Augenblick, Herr Major, darf ich Sie unter vier Augen sprechen. Ich bitte alle Herren hier zu lassen“.

Major Remer, mit dem mich seit unserer ersten Begegnung Ende April 1944 ein grenzenloses menschliches Vertrauen und eine persönliche Freundschaft, gegründet auf gleicher weltanschaulicher Einstellung, verband, gab meiner Bitte nach, und wir gingen ins Adjutantenzimmer. Dort wiederholte ich meinen Verdacht: „Herr Major, ich habe einen furchtbaren Verdacht. Ich habe auf dem Weg hierher in einem offenen PKW. Generalfeldmarschall von Brauchitsch in voller Uniform gesehen. Die Formulierung des Befehls über die Übernahme der Regierungsgewalt macht mich auch stutzig". Major Remer sagte: „Mir ist auch nicht geheuer bei der ganzen Sache." Ich schlug ihm darauf vor: „Ich bitte Sie, Herr Major, entlassen Sie mich jetzt aus Ihrem Befehl. Ich brauche nur ein Krad. Ich fahre zu meinem Minister Dr. Goebbels oder zum SD, erkunde dort die Lage und schlage mich auf irgendeine Weise schon wieder zu Ihnen durch. Bis ich komme, führen Sie die Befehle so aus, wie Sie sie erhalten, damit nicht der geringste Verdacht aufkommt“.

Wir gaben uns die Hand, daß für uns nur der Führer und, wäre er tot, sein hinterlassener Wille gelten dürfe. Dann verschwand ich unbemerkt von meinen Kameraden, die im Kommandeurzimmer die Rückkehr von Major Remer erwarteten.

Da alles bereits alarmiert war, hatte ich sofort ein Solokrad, das der Fahrer Gefreiter Vögtle fuhr. Ich befahl ihm so rasch als möglich ins Propagandaministerium zu fahren, da ich Minister Dr. Goebbels in seinem Amtszimmer vermutete. Ich ging ins Ministeramt zu Regierungsrat Dr.

Heinrichsdorff, der mir von früher her befreundet ist, stürmte in sein Zimmer, warf die Dame, die zum Diktat bei ihm war, raus und sagte: „Haben Sie keine Angst, ich bin weder betrunken noch verrückt. (Beides konnte man nach meiner Erregung annehmen.) „Ich muß sofort den Minister sprechen. Mein Bataillon hat den Befehl, das Regierungsviertel zu zernieren, niemanden, auch keinen Minister rein-oder rauszulassen. Idi habe Brauchitsch in voller Uniform gesehen. Dem Bataillon wurde mitgeteilt, auf den Führer sei ein Attentat verübt worden, die Regierungsgewalt sei in die Hände der Wehrmacht übergeganger. Ich glaube, hier ist Verrat im Spiel. Idi muß sofort den Minister sprechen."

Unter Hintansetzung aller bürokratischen Bedenken, meinen Worten glaubend, erwirkte Dr. Heinrichsdorff, daß ich auf schnellstem Wege zum Minister kam. Ich mußte in die Wohnung Hermann-Göring-Straße 20 fahren. Auf der Treppe begegnete mir Oberbürgermeister Steeg und stellvertretender Gauleiter Schach. Nach kurzen Ausweisformalitäten empfing mich der Minister 17. 25 Uhr mit den Worten: „Na, Dr. Hagen, was bringen Sie mir?“ Ich wiederholte sinngemäß, was ich schon zu Dr. Heinrichsdorff gesagt hatte. Den genauen Wortlaut hat Dr. Goebbels mitgeschrieben. AIs ich bei der Wiedergabe des Befehls an das Wachbataillon angelangt war, sprang Dr. Goebbels auf: „Das ist doch unmöglich!" Ich erwiderte: „Bitte, Herr Minister, hier unten rollt gerade eine auf LKW verlastete Kompanie des Bataillons vorbei“. Ich konnte daraus entnehmen, daß Dr. Goebbels wohl von dem Attentat unterrichtet war, von dem in Berlin anrollenden Putsch aber noch keine Ahnung hatte.

Dr. Goebbels besprach sich mit Schach, Steeg und Dr. Hamel: „Was machen wir?" Ich schlug vor: „Major Remer holen“. Dr. Goebbels: „Jawohl, holen Sie Major Remer“. Als ich gehen wollte, faßte er mich am Arm: „Ist Major Remer auch sicher?“ Ich erwiderte: „Herr Minister, meinen Kopf!“ Dr. Goebbels: „Gut, holen Sie ihn“. Bevor ich nun gehen konnte, wurde noch die Leibstandarte Adolf Hitler alarmiert, aber in Sitzbereitschaft in der Lichterfelder Unterkunft belassen.

Mit dieser Rückendeckung fuhr ich zurück zu Major Reiner. Zuerst zum Wachbataillon. Am Brandenburger Tor unterrichtete ich den Chef der ersten Kompanie, Ritterkreuzträger Oberleutnant Blumenthal, davon, daß alles Verrat sei. Oberleutnant Blumenthal, wie auch alle anderen Offiziere und Unteroffiziere, gingen sofort auf meine Weisungen ein. (Zeuge: der jetzige Hauptmann Blumenthal.)

Beim Wachbataillon erfuhr ich, daß Major Remer seinen Gefechtsstand bereits in der Kommandantur Unter den Linden 1 bezogen hatte. Ich unterrichtete den Leitenden des Meldekopfes im Kommandanturzimmer, Leutnant Gees, von der Lage und trug ihm auf, alle Befehle von sich aus daraufhin zu prüfen, zu ändern, zu unterschlagen oder weiterzugeben, wie sie der neuen Lage entsprächen. Auch Leutnant Gees, ohnehin NS-Führungsoffizier im Bataillon, zeigte wachstes Verständnis und Eingehen die in Lage, so daß ich beruhigt zur fahren Kommandantur konnte, Major Remer aufzusuchen (Zeuge: Leutnant Gees).

Gegen 18 LIhr (es kann auch etwas später gewesen sein), betrat ich die Kommandantur. Auf meine Frage nach dem Gefechtsstand von Major Remer erhielt ich die Meldung: „Im Vorzimmer von General von Hase“. Ich rauf, rein ins Vorzimmer. Da hörte ich im Zimmer des Generals diesen mit Major Remer sprechen. Obwohl General von Hase stets meine politischen Vorträge im Wachbataillon sich mit angehört und auch anschließend sich eingehend darüber mit mir unterhalten hatte, zuckte ich instinktiv davor zurück, in das Zimmer des Generals zu gehen. Ich verließ das Vorzimmer wieder und traf auf der Treppe die Leutnante Siebert und Buck des Wachbataillons. Ich zog beide in eine ruhige Ecke und klärte sie über die Lage auf.

Leutnant Bude ersuchte ich, dem Major folgende Meldung zu überbringen: „Alles Verrat. Der Führer lebt. Die Regierung ist selbstverständlich in den althergebrachten Händen. Melden Sie Major Remer, er solle sofort zu Dr. Goebbels kommen. Ist er in 20 Minuten nicht in der Wohnung des Ministers Hermann-Göring-Straße 20, nehme ich an, daß er mit Gewalt hier festgehalten wird. Dann lasse ich die Kommandantur durch die SS stürmen“.. (Zeuge: Leutnant Siebert und Leutnant Buck.)

Ich fuhr zurück, hatte vorher Schwierigkeiten, aus der Kommandantur herauszukommen, da mich die Wache nicht kannte. Auf der Rückfahrt zur Ministerwohnung verständigte ich die Kompaniechefs von der neuen Lage und ordnete an, daß auf evtl, einrückende SS nicht geschossen werden dürfe. Ich fuhr zurück zu Dr. Goebbels und meldete ihm die Durchführung meines Auftrages. Dann ging ich vor die Türe, und zwei Minuten vor Ablauf der gestellten Frist bog der Wagen von Major Remer und mit ihm Leutnant Buck, aus dem Brandenburger Tor kommend, in die Hermann-Göring-Straße ein. Leutnant Buck kam auf mich zu und bat mich, Major Remer zu Minister Dr. Goebbels zu bringen. Zeit 18. 55 Uhr.

Damit war der mir selbst auferlegte Auftrag erfüllt. Major Remer erhielt vom Führer den Befehl zur Niederschlagung des Putsches. Wie er es tat, hat die Welt aus dem Mund des Ministers Dr. Goebbels und durch die Anerkennung des Führers erfahren. Ich stellte mich nach Beendigung des Telefongespräches von Major Remer mit dem Führer wieder unter dessen Befehl gegen 19. 00 Uhr.

Ich schloß meinen kurzen Tatbericht, den ich 24 Stunden nach dem Putsch niedergeschrieben hatte, mit den Worten, die auch hier den Anschluß an die von Major Remer durchgeführte Niederwerfung des Verrates geben sollen:

Ich mache diese Meldung aus zwei Gründen: einmal gegen mich selbst, da ich als Soldat gegen den Befehl gehandelt habe, indem ich mich nach Aufkommen meines Verdachtes, der sich als richtig erwies, außerhalb des Befehls stellte und auf eigene Faust die Verbindung zwischen dem Reichsverteidigungskommissar und dem zu verräterischen Zwecken aufgebotenen Wachbataillon „Großdeutschland“ wiederherstellte. Ich tue es aber zweitens darum, um meinen Kommandeur in dem Gewissenskonflikt zu entlasten, in dem er stand, als er mich auf meine Bitte hin aus seiner Befehlsgewalt entließ und so die Möglichkeit gewann, die Freiheit für sein Handeln wieder zu gewinnen. Daß der Putsch innerhalb von Stunden niedergeschlagen oder, besser gesagt, aufgefangen werden konnte, ist einzig und allein dieser Tat Major Remer zuzuschreiben, der sein Bataillon auf diese Weise als erste Einheit überhaupt frei bekam. Über die Art der Durchführung der späteren militärischen Aktionen steht mir kein LIrteil zu, dieses LIrteil aber wurde in der Schlußansprache des Reichs-führers SS Himmler an Major Remer und die Männer des Bataillons gewürdigt.

Der Bericht muß abschließend noch einmal betonen, daß ohne das menschliche Vertrauen, das Major Remer in mich setzte, meine Aktion der Verbindungsaufnahme mit Dr. Goebbels nicht möglich gewesen wäre. Es ist mein Dank an diesen großen Soldaten, daß er mir in einer den herkömmlichen Gepflogenheiten widersprechenden Weise, aber in höchstcr militärischer Freiheit und Verantwortung die Gelegenheit zum Einsatz meiner Person gegeben hat (Zeuge für den Gesamtvorgang ist selbstverständlich der jetzige Oberst Otto Ernst Remer).

Bayreuth, den 16. 10. 1944 gez. Dr. Hagen Hauptmann im Wachregiment „Großdeutschland Abschrift 8 Führerhauptcinartier, den 6. 11. 1944 Mü/Kd.

VERMERK FÜR HERRN REICHSLEITER BORMANN Betreff: Oberst Remer Ergänzend zu anliegendem heute eingegangenem Schreiben vom 2. 11. 1944 teilte SS-Sturmbannführer Sanders, den ich erst heute Nachmittag fernmündlich erreichen konnte, folgendes mit:

Eine Vernehmung Remers zu dem ganzen Komplex sei nicht erfolgt. Die anliegenden Niederschriften stellten daher das einzige Material dar, das über die Tätigkeit Remers näher Aufschluß gebe. Die in den Verfahren gegen die Beteiligten getroffenen Feststellungen hätten in den wesentlichen Punkten die Richtigkeit der hier niedergelegten Schilderung Remers bestätigt. Nach Auffassung des Reichssicherheitshauptamtes habe sich R. einwandfrei verhalten. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß der damalige Leutnant Hagen ein sehr wesentliches Verdienst daran habe, daß die Angelegenheit in Berlin so gelaufen war.

Abschrift Fiihrerhanptqnartier, den 20. 10. 1944 09, 45 Uhr Reichsleiter M. Bormann an Pg. Dr. Friedrich ♦ München Streng vertraulich * Betr.: 20. 7.

In der Verhandlung gegen den ehemaligen General von Thuengen wurde festgestellt, daß auch Oberst Remer zunächst geneigt war, alle ihm erteilten Befehle betreffend Zernierung des Regierungsviertels etc. durchzuführen.

Oberst Remer habe zunächst dreimal mit dem General von Hase und anderen Vorgesetzten gesprochen. Er sei erst zu Dr. Goebbels gegangen, als er hierzu die Erlaubnis des Generals von Hase erhielt.

Ich bitte Sie, möglichst umgehend einwandfrei und ausführlich diesen Sachverhalt, das heißt, das gesamte Verhalten Remers am 20. 7. zu klären. Dies ist besonders notwendig, da Oberst Remer jetzt Kampfkommandant des Fhqu. ist.

Hm alle Mißverständnisse auszuschließen, sei betont, daß irgendwelche Zweifel an der nationalsozialistischen Haltung und Einstellung des Oberst Remer nicht bestehen. Meine Anfrage verfolgt lediglich den Zweck, die Vorgänge vom 20. 7. in Berlin klarzustellen.

Bitte lassen Sie auch Abschriften der Vernehmungs-Niederschriften Remers fertigen. Ich nehme an, daß Oberst Remer sowohl von den Sachbearbeitern des Sicherheitshauptamtes wie von denen des Volksgerichtshofes vernommen wurde.

Heil Hitler! gez. AI. Bormann durchgegeben: rlbo^Lechner 09, 50 Uhr angenommen: pkz mdinJHerzner 09, 43 Uhr angenommen: aasn bln/Schulze 09. 50 Uhr

Fussnoten

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