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Göttliches und Menschliches in der Kirche | APuZ 21/1955 | bpb.de

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APuZ 21/1955 Einheit und Reformation der Kirche Göttliches und Menschliches in der Kirche

Göttliches und Menschliches in der Kirche

Thomas Sartory OSB.

Wir möchten die Fragen nach dem Göttlichen und dem Menschlichen in der Kirche untersuchen, eine Frage, die der französische Dominikaner Congar den „neuralgischen Punkt“ der Lehre von der Kirche genannt hat. Es geht uns dabei auch um das große ökumenische Anliegen, denn vornehmlich in der Frage nach dem Wesen der Kirche scheiden sich die Konfessionen.

Die Frage lautet: Wie verbindet sich Göttliches und Menschliches in der Kirche, wie weit reicht das Göttliche und damit der Anspruch des Absoluten, und wie weit das Menschliche und damit das Relative. Wandelbare und Korrekturfähige in ihr. Eine Vermischungstendenz würde das Menschliche und darum den Menschen vergöttlichen und der Ehre Gottes Schmach antun. Das Thema „Göttliches und Menschliches in der Kirche" soll sich nicht mit dem Göttlichen und den „Menschlichkeiten" in der Kirche beschäftigen, so wie es Paul Simon in seinem bedeutsamen Buch getan hat, sondern die Frage soll auf der Ebene der Dogmatik behandelt werden.

Das Problem liegt in erster Linie in der Frage nach dem Verhältnis Christus — Kirche. Damit sind wir aber mitten im Kontroversgespräch mit dem Protestantismus. Die Lehre und auch die Frömmigkeit des Katholiken hat als ihren Grundzug im Mittelpunkt die K i r c h e. In seinen „Neuen Untersuchungen" schrieb Joltann Adam Möhler: „Ich höre die Verachtung aussprechenden Worte: . Nichts als Kirche, Kirche, Kirche’, und ich antworte: es ist nichts anderes und kann nichts anderes sein, denn ohne Kirche haben wir keinen Christus und keine HL Schrift. Nehmt die katholische Kirche auch nur in Gedanken aus der Geschichte des Christentums hinweg, und fragt euch, was ihr alsdann noch von Christus wißt“ (§ 76).

Nichts als Kirche, Kirche, Kirche, so wird vor allem der evangelische Christ im Hinblick auf den Katholizismus sagen. Lind er wird aus seiner Grundhaltung heraus dem entgegensetzen: Nichts als Christus, Christus, Christus. Der evangelische Christ kommt ja vom Evangelium her, dessen Hauptthema Christus ist. Die Zentrierung auf Christus wird darum in allem sein Anliegen sein. Er wird betonen: ohne Christus gibt es keine Hl. Schrift und keine Kirche.

Beide Positionen haben ihre Gefahr, wenn sie gegeneinander stehen. Beim Katholiken besteht die Gefahr, daß er die Kirche in ihrer Sichtbarkeit so sehr herausstellt, daß Christus dabei in den Hintergrund tritt und in einem gewissen Sinne unsichtbar wird; während auf der anderen Seite die umgekehrte Gefahr liegt: Christus wird so sehr sichtbar gemacht, daß die Kirche unsichtbar, d. h. geradezu zur unsichtbaren Kirche wird. Beides zusammen wird erst die richtige Sicht geben, denn die Kirche ist nur Kirche als K i r c h e Jesu Christi.

Damit sind wir aber schon mitten im Problem. Jesus Christus und Seine Kirche sind nicht zu trennen. Wo Christus ist, dort ist die Kirche, und wo die Kirche ist, dort ist Jesus Christus. Für die Theologie bedeutet das: Christologie und Ekklesiologie stehen in engstem Zusammenhang. Die Grundposition in der Christologie zieht ihre Linien hinüber in die Ekklesiologie, was bedeutet: wie man von Christus spricht, so muß man von der Kirche sprechen. Ein Fehler in der Christologie wird seine Konsequenz in der Ekklesiologie haben, so daß man in der Tat auch von einer nestorianischen oder monophysitischen Ekklesiologie sprechen kann. Ja, man wird auch sagen können: Fehldeutungen in der Lehre von der Kirche werden verborgene Fehldeutungen in der Christologie ans Licht bringen. Es könnte sein, um die Sache ganz deutlich auszusprechen, daß jemand formell die christologische Formel des Konzils von Chalkedon: Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, bekennt und dennoch ein häretisches Verständnis dieser christologischen Aussage hat, was seine Lehre von der Kirche an den Tag bringt.

Wenn der Satz stimmt: wo Christus ist, dort ist die Kirche — so geht die Frage dahin: kann man also ein Gleichheitszeichen setzen zwischen Christus und der Kirche, ein Gleichheitszeichen, das die katholische Theologie gerne setzt, wenn sie von der Kirche spricht als dem fortlebenden Christus, oder genauer präzisiert: in der Kirche setzt sich die Inkarnation, die Menschwerdung Christi, fort, die Kirche ist die incarnatio continuata Jesu Christi. An diesem Punkt wird nun sogleich der Protest der evangelischen Christen hörbar. Der amerikanische protestantische Theologe Reinhold Niebuhr stellte auf der Weltkirchenkonferenz zu Evanston 1954 als die große Irrlehre der römisch-katholischen Kirche heraus, daß sie durch den Begriff einer „Fortsetzung der Inkarnation“ die Kirche wesensmäßig göttlich, zum Mittler des Gerichtes Gottes mache. Ein Einwurf, auf den wir Katholiken hören sollten, denn er zeigt einen wesenhaften Unterschied zwischen dem katholischen und dem protestantischen Kirchenbegriff, er kann aber auch deutlich machen, daß wir Katholiken vielleicht viel zu undiffenrenziert mit diesem Wort umgehen. Allerdings ist dieser Begriff auch der protestantischen Theologie heute nicht mehr fremd. In den Schriften der ökumenischen Bewegung wird oft und oft von einer „Ausdehnung der Inkarnation“, von einer „Fortsetzung der Inkarnation“ gesprochen; aber es besteht ein großer Unterschied im Verständnis dieses Wortes. Der Ausdruck „incarnatio continuata“ wird von der protestantischen Theologie verstanden als „eine bildliche Aussage, daß die Kirche durch Wort und Tat die erlösende Bedeutung der Inkarnation erweist“ (N. Flew); er hat nur Geltung „für das innere Sein der Kirche“ (E. Lewis), nicht aber für ihre formale Sichtbarkeit. Nelson bemerkt: „Wenn die Kirche die Fortsetzung der Inkarnation ist, dann müssen wir unseren Glauben in Bezug auf die Inkarnation revidieren.“ Wir möchten ergänzen: den Glauben in Bezug auf die Person Jesu Christi.

Fragen wir darum zunächst: Wie sehen Katholiken und Protestanten Jesus Christus?

Die katholische Aussage über Jesus Christus Es ist hier nicht der Raum, eine ganze Christologie zu entwickeln. Ein vornehmliches Merkmal sei hervorgehoben. Ehe der Katholik vom Erlösungswerk Jesu Christi spricht, reflektiert er über die Person Christi selbst. Der Ausgangspunkt ist das Konzil von Chalkedon, das definierte: „In Christus ist eine göttliche Person, nämlich die Person des göttlichen Wortes, und in ihm sind zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche“. Bei dieser Formulierung geht das Interesse auf das objektive Sein. Der ontologische Ort der Mysterien sollte zunächst fcstgclegt werden. Die Frage nach Christus ist also zunächst eine Frage der Ontologie: wer ist Jesus Christus in sich selbst? Erst nach der Klärung dieser Frage, die mit dem angeführten Glaubenssatz ausgedrückt ist, wendet man sich dem Erlösungswerk zu. Das Interesse geht dahin, daß göttliche und menschliche Natur in einer hypostatischen Union vereinigt sind und weder vermischt noch getrennt werden dürfen. Die reformatorische Aussage

Bei Luther und den Reformatoren verlagert sich das Interesse völlig. „Christus hat zwei Naturen“, sagt Luther, „aber inwiefern betrifft mich das? Wenn er diesen großen und tröstenden Namen . Christus* trägt, so wegen des Dienstes und des Makels, den er auf sich genommen hat-dies gibt ihm seinen Namen. Daß er der Natur nach Mensch und Gott ist, das betrifft ihn allein. Aber daß er seinen Dienst geheiligt hat, daß er seine Liebe ausgebreitet hat, um mein Retter und mein Erlöser zu werden: das ist es, worin ich meinen Trost und mein Heil finde . . .

An Christus glauben heißt nicht, sagen, daß Christus eine Person sei, die Mensch und Gott ist — denn das nützt keinem etwas: an Christus glauben, heißt sagen, daß diese Person der Christus ist, daß er für uns aus Gott herausgegangen und in die Welt gekommen ist; von diesem Dienst her hat er seinen Namen“. Im gleichen Sinne auch Melanchthon:

„Das heißt Christus erkennen: seine Wohltaten erkennen“. Das Interesse geht hier also ganz und gar auf den Christus pro nobis, auf das Heilswerk Christi an uns. „Du hast Christum noch nicht“, so führt Luther im Kommentar zum Galaterbrief aus, „wenn du auch weißt, daß er Gott und Mensch ist. Du hast ihn wahrhaft erst dann, wenn du weißt, daß diese ganz reine und ganz unschuldige Person dir vom Vater gegeben wurde, um dein Pontifex, dein Erlöser zu sein“ Offenbarung bedeutet also für Luther ganz und gar Kundgabe der Heilsabsicht Gottes.

In seinen Randbemerkungen zum Sentenzenbuch des Petrus Lombardus stellt der Reformator den Theologen gegen den Logiker, die Theologie gegen die Philosophie. Lind so geht es ihm bei der Christologie nicht um ontische Aussagen, sondern um die Erlösungslehre. Christologie ist für Luther ausschließlich Soteriologie, Erlösungslehre.

Interessant ist nun, zu fragen, welche Rolle dabei der Menschheit Jesu zugewiesen wird. Luther hat die Einheit von Gottheit und Menschheit in der einen Person stark betont. Aber seine ganze Religiosität durchzieht der Gedanke von der Alleinwirksam keitGottes, also einer Bewegung nur von oben nach unten. Dieser Gedanke wird deytlich in Luthers Konzeption vom Bezug zwischen Glauben und Werken, zwischen Gesetz und Evangelium. Dieses Prinzip der Alleinwirksamkeit Gottes überträgt er nun auch auf Christus, und so erhält die Menschheit Christi keine eigentlich positive Bedeutung. Im Kommentar zum Galaterbrief heißt es ausdrücklich, daß Christus nur durch seine Gottheit wirkt, „humanitate nihil cooperante“. Die ganze Erlösung wird nur als Werk Gottes in Christus betrachtet, Christus aber nur in seiner Göttlichkeit. Die Erlösung ist ein Drama, dessen eigentlicher Spieler im Grunde nur Gott ist: der rechtfertigende Gott; die Menschheit Christi ist die Bühne. Gott leistet sich selbst in Christus Genugtuung.

Mit dieser Konzeption unterscheidet sich Luther wesentlich von der westlichen Theologie, die über die Kirchenväter Johannes und Paulus interpretiert: das fleischgewordene Wort Gottes wird in seiner Menschheit zur ursprünglichen, wenn auch sekundären Heilsquelle. Christus ist nicht einfach nur der Ort, wo Gottes Heilswille wirkt, sondern er ist selbst heilswirkend, auch durch seine Menschheit. Dadurch kommt die historische Inkarnation zur Auswirkung, was für die Erlösung bedeutet: sie wirkt nicht ohne Kontakt mit der Schöpfung, sondern in die Schöpfung hinein, die ernst genommen wird. Congar hat hier die Frage gestellt, ob Luther überhaupt eine präzise und korrekte trinitarische Theologie habe. Lind er verneint diese Frage, denn es gehe Luther gar nicht um das Trinitätsmysterium, sondern einzig um „Gott“. Im Grunde seien Christus und der Hl. Geist für Luther nur Funktionen eines „Gottes“, der sich uns nur als der Gott unseres Heiles geoffenbart hat.

Diese ganze soteriologisch geprägte Christologie wirkt sich nun in der Lehre von der Kirche aus. Das Prinzip der Alleinwirksamkeit Gottes läßt der Schöpfung, der Kreatur, dem Sichtbaren keinen (wenn auch relativen) eigenständigen Raum. Luther wertete die Menschheit Christi ja nur darum ab, weil er im Schema des Nominalismus befangen war (wenn wir von der religiösen Intention absehen). Alles Sichtbare wird mit der Qualität des sündhaften Fleisches belegt, nur im Inneren, Unsichtbaren liegt die wahre geistliche Realität. Der Bewegung von oben nach unten entspricht eine Bewegung von innen nach außen, nie aber umgekehrt. Christus ist Haupt seines mystischen Leibes.

Wie versteht aber Luther dieses Hauptsein Christi? Je später er schreibt, desto weniger versteht er es im Sinne einer Kausalität, sondern immer mehr als Exemplum, als Vorbild, allerdings nicht nur im Sinne eines moralischen Vorbildes, sondern eines seinsmäßigen. Aber nur im Sinne eines exemplum ist Christus caput, Haupt des mystischen Leibes. Der mystische Leib ist nicht der sichtbare, kirchliche Organismus der Sakramente und des kirchlichen Amtes, sondern die Gesamtheit der Personen, denen die Fides, der Glaube Christi, die Gerechtigkeit Christi zugesprochen wurde. Christus ist Haupt seines Leibes nicht als Quelle und Ursache, sondern als der Erste, an dem Gott das Böse besiegt hat und nach dessen Beispiel er es immer neu im glaubenden Menschen besiegt. Mit Recht bemerkt ein protestantischer Theologe unserer Tage: „Die reformatorische Christologie war zu einer christologischen Darlegung der Kirche als Leib Christi gar nicht in der Lage, weil ihre gesamte theologische Konzeption von einer soteriologischen Christologie her geformt war" (O. Dilschneider). Einerseits ist Luther Dualisr, denn er trennt radikal die göttliche von der kreatürlichen Ordnung und setzt sie in scharfen Gegensatz zueinander, sogar bei Christus, wie wir sahen; andererseits ist er Monist in der Festlegung des Heilsgeschehens auf die Alleinwirksamkeit Gottes. Also ein denkerischer Dualismus und ein religiöser Monismus (Congar). Durch die wesentlich soteriologische Linie bekommt Luthers Christologie, trotz der Betonung der realen zwei Naturen, einen monophysitischen Anstrich, der auch auf protestantischer und orthodoxer Seite vermerkt wurde (K. Holl, E. Vogelsang, K. Barth, N. Berdjajew, Ludolf Müller).

Wenn wir von einer fortgesetzten Inkarnation Jesu Christi in der Kirche sprechen, so müssen wir fragen, in welcher Weise sich die Linien der Formel von Chalkedon auf die Kirche ausziehen lassen.

Die Heilige Schrift Die erlösende Gnade Gottes erscheint der Welt in der Fleischwerdung Jesu Christi. Gottes Gnade ist eine Gabe, die in der Gnade besteht, die der eine Mensch Jesus Christus i s t (und nicht bloß bewirkt): „Die Gnade ist uns gegeben in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbar geworden durch die Erscheinung unseres Heilandes Jesus Christus“ (2 Tim. 1, 9); „in seinem Fleisch hat Er die Sünde vernichtet“ (Röm. 8, 3); „die Gnadengabe Gottes besteht in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus“ (Röm. 5, 15). Damit ist deutlich gesagt, daß die Gnade jetzt erschienen i s t durch die Erscheinung unseres Erlösers Jesus Christus. Im Menschen Christus als solchem ist die göttliche Gnade präsent geworden. Der Mensch Jesus ist das Präsens der Gnade Gottes. Daß Paulus so spricht, nicht nur Johannes, zeigt das urchristliche Verständnis von Gnade: Gnade ist da im Fleisch, also im Sichtbaren, Datierbaren, Greifbaren, in der Geschichte, und kann nicht verstanden werden in einem jeweiligen Ereignis, das je und je dort geschieht, wo ein weltloses Wort Gottes vom Himmel herabfährt. Freilich zielt das Dasein auf den Vollzug, auf das Werk, aber zuerst gilt, daß die Gnade da ist und in der geschichtlichen Welt greifbar wurde. Diese von der Schrift gelehrte Gnadenauffassung ist die Grundlage für die Lehre von.der Kirche. Denn es erhebt sich die Frage: Wo bleibt die Fleischwerdung der Gnade, wenn die Menschheit Christi zur Rechten Gottes erhöht und darum für den Menschen in dieser Welt nicht mehr zugänglich wurde?

Wie uns vor allem der evangelische Exeget Cullwaitn gezeigt hat, war es das Interesse des Johannesevangeliums, die Verbindung des fleischgewordenen Christus mit der Zeit nach seiner Himmelfahrt aufzuzeigen. „Das Johannesevangelium sucht die völlige Identität des in der urchristlichen Gemeinde gegenwärtigen Herrn mit dem historischen Jesus aufzuzeigen, und zwar an Hand der Tatsachen des Lebens Jesu. Die Linie zielt also vom Christus der Geschichte zu Christus dem Herrn der Gemeinde, in der sich die Fleischwerdung des Logos fortsetzt“ Wie aber setzt sich diese Fleischwerdung des Logos in der Gemeinde fort? „Die Gegenwart Christi in seiner Gemeinde äußert sich konkret im Gottesdienst. Dieser stellt sich immer entweder als Mahl-feier oder als Taufe dar“ Damit wird die neue, nachösterliche Existenzweise Christi deutlich: es ist die sakramentale Seins-weise. Die Gegenwart des Hauptes im Leibe geschieht in der Art und Weise des Sakramentes. Das, was den urchristlichen Gottesdienst konstituiert: Taufe und Eucharistie, konstituiert auch die Kirche. Paulus spricht es ganz deutlich aus: „Weil es ein Brot ist, darum sind wir, die Vielen, ein Leib, nämlich alle, die an dem einen Brote Anteil haben" (1 Kor. 10, 17). Dieser eine, vielgegliederte Leib besteht nach Paulus „in einem Geiste" (1. Kor. 12). Es ist der Geist Christi, von dem der Apostel hier spricht. Der in der Kirche sakramental fortlebende Christus lebt als Pneuma in seiner Kirche fort. Die Kirche hat darum pneumatischen Charakter, der überall dort deutlich wird, wo der Geist sich nach dem NT objektiviert: in den Sakramenten, in den Ämtern, im Recht. Die sakramentale Existenzweise dieses Geistes wird aber an äußere Handlungen der Kirche geknüpft, vor allem an die Handauflegung (1. Tim. 4, 14; 2. Tim. 1, Damit bezeugt das NT eine Bewegung von außen nach innen. Äußeres Tun, eine äußere Institution erhält Heilsbedeutung. Die Heilskraft der Menschheit Christi setzt sich in menschlichen Handlungen, in einer menschlichen Institution fort: damit weist das Mittlertum Christi eine ekklesiale Dimension auf. Zutiefst verknüpft Paulus ja die Menschheit Christi mit der ganzen Menschheit (Röm. 5). Weil die Kirche, die Vielen in einem Leibe, Trägerin der Gnade und Mittlerin des Heiles ist, darum kann Petrus von einem „königlichen Priestertum" (1. Petr. 2, 9) der Kirche sprechen, das am Hohepriestertum des Menschgewordenen teilhat.

So ist die Kirche Christi Leib, so lebt Christus in seiner Kirche fort. Von dieser neutestamentlichen und katholischen Lehre her ist nun erneut die Frage zu stellen: Wie verhalten sich Göttliches und Menschliches in der Kirche, wie weit reicht das Göttliche, wie weit reicht das Menschliche?

Wenn die Kirche der fortlebende Christus ist, dann liegt es nahe, die Formel von Chalkedon, zwei Naturen in Person, einer auszuziehen und anzuwenden auf die Kirche.

Die Kirche der fortlebende Christus 6) Nach Art eines Parallelismus haben bedeutende katholische Theologen das Verhältnis Christus — Kirche verstanden, so Möhler, Tyszkiewicz, Perrone, Feckes, Sertillanges, Scheeben, Franzelin. Unter den Päpsten besonders Leo XIII. in „Satis cognitum". Man spricht von einer theandrischen (gottmenschlichen) Struktur der Kirche.

Nach dem, was wir soeben ausführten, liegt die Wahrheit dieses Parallelismus auf der Hand. Die Kirche gehört zur Heilsökonomie Gottes, zum Heilshandeln Gottes an der Menschheit. Ein einziger Heilsplan Gottes geht durch die Geschichte. Die Kontinuität mit dem inkarnierten Wort kann darum sehr wohl eine gewisse Analogie in der Struktur mit dem inkarnierten Wort selbst begründen. Könnte man von der Kirche als dem Leib Christi sprechen, wenn sie nichts Gemeinsames mit Christus in der Struktur hätte? Und dennoch ist „Parallelismus“ nicht der Weg, der den Sachverhalt adäquat ausdrückt Dem Parallelismus liegt eine romantisierende Sicht der Kirche zugrunde. Die Einheit zwischen Christus und der Kirche ist nicht im Sinne eines natur-haften Organismus zu verstehen. Die Menschheit Jesu war ihrem Sein nach (secundum esse) mit Gott verbunden. Die Verbindung mit Gott, die bei der Menschheit Christi in hypostatischer Weise erfolgt, ist bei der Kirche eine dynamische Einheit. Die Kirche ist Instrument Gottes in ihrer menschlichen Realität. Und diese menschliche Realität hat ihren Eigenwert. Wo das übersehen wird, da droht die Gefahr eines e k k I e s i o 1 o g i s c h e n M o n o p h y s i t i s m u s , d. h. einer Vergöttlichung der Kirche. Es gibt einige Akte in der Kirche, die nur aus dem göttlichen Prinzip ableitbar sind: die Sakramentenspendung, die feierliche Glaubensverkündigung, das unfehlbare Lehramt. Daneben aber viele Funktionen, die die menschliche Seite der Kirche zur Materialursache haben und darum dem Relativen, Wandelbaren und Historischen unterliegen. (In diesem Zusammenhang sei auf die LInterscheidung hingewiesen, die die Kirche selber macht zwischen den unfehlbaren Äußerungen des Lehramtes [ex cathedra] und anderen Äußerungen der kirchlichen Leitung.). Bei der Kirche kann also nicht von einer göttlichen Natur im strengen Sinne gesprochen werden und ebensowenig von einer göttlichen Personalität. Eine direkte Kommunikation der Eigenschaften zwischen Christus und der Kirche ist daher nicht möglich, und darum ist es auch nicht möglich, ohne eine genaue Präzisierung von der Kirche als der fortgesetzten Inkarnation Christi zu sprechen. Zwischen Christus und der Kirche besteht nicht eine Parallelität, sondern eine Analogie, und bei einer Analogie ist die Unähnlichkeit immer größer als die Ähnlichkeit.

Mit diesem Prinzip als Schlüssel wollen wir nun die Kirche in ihren wichtigsten Äußerungen, in der Dogmenverkündigung, in der Sakramentenspendung und in der Institution der Hierarchie untersuchen. Denn hier wird die Frage, wie weit das göttliche und das menschliche Element reichen, geradezu brennend.

Das Dogma Das Glaubensgut (depositum fidei) ist eine göttliche Realität, eine göttliche Wahrheit, die Gott durch Christus seiner Kirche übergeben hat. Nicht menschliche Spekulation kann irgendeine Glaubenswahrheit ersinnen, sondern sie ist als Offenbarung Christi und apostolische Verkündigung an der Wiege der christlichen Gemeinde da. „Seid gehorsam der Lehrnorm, in die ihr hineingegeben worden seid“, mahnt Paulus die Römer (Rom. 6, 18). Dieses Glaubensgut besteht aus der Hl. Schrift und der Überlieferung durch die Apostel. Wie steht nun die Kirche zu diesem Glaubensgut, zu der Offenbarung? Das Lehramt der Kirche wird heute von der Theologie als regula die proxima fidei, die nächste Regel des Glaubens, bezeichnet, während Schrift und Überlieferung die regula remota, die weiter zurückliegende Glaubensregel, genannt werden. Die evangelischen Christen können nicht verstehen, wie bei uns die Schrift nur regula remota ist. Dazu ist ein klärendes Wort zu sagen, das zugleich ein Wort über das Wesen der Kirche ist: 1. Der Glaubenssachverhalt oder Glaubensgegenstand, das Glaubens-gut, ist etwas Gegebenes: traditio passiva. Demgegenüber steht die überlieferte Tätigkeit, die Verkündigung durch die Kirche: traditio a c t i v a. Dieses Gegenüber ist deutlich zu betonen. 2. Der Glaubensgegenstand, das depositum fidei, steht unter der Inspiration des Hl. Geistes, es ist unmittelbares Wort Gottes. Demgegenüber geschieht die Verkündigung unter dem Beistand des Hl. Geistes, sub assistentia Spiritus Sancti. Diese Assistenz des Hl. Geistes in der Kirche ist etwas anderes als die Inspiration. 3. Darum ist der Glaubensgegenstand, das depositum fidei, Quelle der Offenbarung. Die Verkündigung, also die Kirche, ist aber nicht Quelle der Offenbarung, sondern nur regula fidei, eine regulier e n d e N o r m , die etwas schon Konstituiertes lediglich reguliert. Das Glaubensgut, also Schrift und Überlieferung, ist letzte innere Instanz, während die Verkündigung, also die Kirche, zwar auch letzte, aber nur äußereNorm ist. Das Glaubensgut ist inneres, aufbauendes, konstitutives Prinzip; die Verkündigung der Kirche ist zwar nächste Glaubensregel, aber eine äußere und nur regulierende (mere directiva).

Dieser so wichtigen Unterscheidung hat das Vatikanische Konzil Rechnung getragen, es hat die Kirche nicht in die Ursächlichkeit der fides divina, des göttlichen Glaubens, hineingenommen. Der Raum Christi und der Apostel ist wesentlich ein anderer Raum als der der Kirche. Zwischen dem Hl. Petrus und dem ersten Papst liegt in gewisser Weise eine Zäsur. Niemals kann der Papst Offenbarungsträger sein wie der Apostel. Papst und Bischöfe sind successores, Nachfolger der Apostel. Ihr Tun liegt auf einer anderen Ebene.

Ein Zweites kommt hinzu. Die kirchlichen Dogmen, die Glaubens-wahrheiten, haben in ihrem Kern eine unwandelbare göttliche Wahrheit. Hier ist ein klares göttliches Element in der Kirche. Aber dieser unwandelbare, absolute Wahrheitskern ist in menschlicher Sprache überliefert. „Der sprachliche Ausdruck einer Glaubensdefinition, wie der von Chalkedon, ist eine Schöpfung der Kirche in ihrer Zeit, und insofern ein zeitbedingter Ausdruck für einen göttlichen Offenbarungsinhalt, wie er der Kirche von den Aposteln überkommen ist. Im Unterschied zum inspirierten Gotteswort der Schrift ist hier die menschliche Ausdrucksform nicht formell Gotteswort, sondern Redeform der Kirche, die in eigenem Namen kraft der ihr verliehenen Lehrautorität ihren Entscheid als verbindliche Glaubensregel vorlegt“ Der Beistand des Hl. Geistes sorgt dafür, daß die menschliche Sprache die absolute göttliche Wahrheit nicht irrtümlich wiedergibt, nicht aber dafür, daß die menschliche Sprache das offenbarte Mysterium völlig umfassend und erschöpfend wiedergibt. Was gesagt wird, ist wahr, aber es muß nicht das Letzte, Erschöpfende und LImfassendste sein, was gesagt werden kann. Hier hat die Dogmenentwicklung ihren Ort. Hier gilt aber auch, was Karl Rahner in diesem Zusammenhang sagte: „Wir katholischen Theologen meinen, daß wenigstens grundsätzlich . .. jede — auch jede unserer uns verpflichtenden .definierten'Formulierungen — an sich überholbar ist (wenn sie auch nicht falsch wird), durch eine bessere ersetzt werden kann, durch eine, die deutlicher, assimilierbarer, auf die Mitte der ganzen Wahrheit und Wirklichkeit des Glaubens zentrierter die immer größere Wirklichkeit des Geoffenbarten sagt". Gerade hier wird deutlich, wie sehr die Kirche in via, auf dem Wege ist, und selbst als unfehlbare Verkünderin der Wahrheit im Ringen um den Ausdruck, den Sprachleib der Wahrheit, steht.

Die Sakramente Die Unterscheidung von göttlichem Kern und menschlicher Ausgestaltung beim Glaubensgut findet sich in der gleichen Deutlichkeit bei den Sakramenten. Gott hat die Mitteilung seiner Gnade, wenn auch nicht nur, so doch vornehmlich an äußere Zeichen und Handlungen geknüpft. Die Schrift bezeugt diesen Sachverhalt, wenn sie die Rechtfertigung eine Geburt aus dem Wasser und dem Hl. Geiste nennt (Joh. 3, 5 f.), wenn die Vergebung der Sünden dem Untertauchen im Wasser zugeschrieben wird (Apg. 2, 38; 6, 16— 18; Röm. 6 usw.), wenn mit dem Genuß des Fleisches und Blutes Jesu Christi das ewige Leben begründet wird (Joh. 6, 52 ff.). Ja, das Zeichen ist sogar ein Gestaltwerden der unsichtbaren Wirklichkeit. Es ist Glaubenssatz, daß die Sakramente die Gnade enthalten und demjenigen verleihen, der kein Hindernis entgegenstellt. In diese äußere Symbolik ist aber zutiefst die Kirche ein-bezogen. Hier wird ihr werkzeuglicher Charakter ganz deutlich. Aber dieses Werkzeug handelt nicht blind und unpersonal. Weil Christus die äußeren Zeichen der Sakramente nur in ihrer Grundlage festlegte, schrieb das Tridentinum der Kirche eine gewisse Vollmacht hinsichtlich des äußeren Zeichens zu. Das wesentliche So-Sein kann die Kirche nicht ändern und darf es nicht antasten. Aber weil die Kirche Spenderin der Sakramente ist und die Sakramente infolgedessen Lebensäußerungen der Kirche sind, weil die Sakramente dramatische Handlungen sind, deren Kern Christus selbst festlegte, eine dramatische Handlung aber die Variationsbreite des Zeichenfeldes hat, darum kann von einer gewissen Vollmacht der Kirche über die Sakramente gesprochen werden. Erlangt damit die Kirche eine Herrschaft über die Gnade? Nie und nimmer, denn der eigentliche Spender ist immer Christus selbst. An dieser Frage sieht man deutlich die enge Verbundenheit Von Christus und Kirche, aber auch, daß von einer Identifizierung nicht die Rede sein kann.

Wie tief göttlicher und kirchlicher Bereich verbunden sind, zeigt die Existenz des Bußsakramentes. Es ist Glaubenssatz: „Wie Christus selbst Sünden vergab, so hat er auch seinen Aposteln und deren Nachfolgern die Gewalt übertragen, Sünden zu vergeben“. Auch hier sehen wir den Werkzeugcharakter der Kirche. Nach Mt. 18, 15— 20 gibt Christus seinen Jüngern folgende Unterweisung: „Hat dein Bruder gefehlt, so geh hin und stelle ihn unter vier Augen zur Rede. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei andere mit dir, damit durch die Aussage zweier oder dreier Zeugen alles festgestellt werde. Hört er auch auf diese Brüder nicht, so teile es der Kirche mit. Will er auch auf die Kirche nicht hören, so gelte er dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder. Wahrlich, ich sage euch: was immer ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was immer ihr auf Erden löst, das wird auch im Himmel gelöst sein“. Binden und Lösen bedeutet die Aus-schließung aus der Gemeinde und die Aufhebung bzw. Nichtverhängung der Ausschließung. Nach dieser Schriftstelle bedeutet also der Ausschluß aus der Gemeinschaft der Kirche auch Ausschluß vom Gottesreich. Nach der Auferstehung überträgt Christus seine eigene Sendung den Zwölfen (Joh. 20, 21) und bekleidet sie mit seiner eigenen göttlichen Autorität: „Er hauchte sie an und sprach: Empfanget Heiligen Geist (d. h. die von Christus stammende Kraft und Vollmacht). Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben. Wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten“ (Joh. 20, 21— 23). Das Gericht der Kirche wird also zum Gericht Gottes. Ausstoßung vom oder Aufnahme in das kirchliche Gemeinschaftsleben hat Geltung vor Gott.

Vergibt also die Kirche die Sünde? So darf man nicht sagen. Die Wiederaufnahme fällt nicht förmlich mit der Vergebung der Sünde zusammen. Lind doch kann man andererseits wieder sagen, daß sie die Vergebung wirkt, weil die Wiedereinfügung in die kirchliche Lebens-gemeinschaft Teilnahme am HL Geiste wirkt, der seinerseits die Sünde vergibt. Allein Gott kann Sünden vergeben. Die Kirche kann nicht unmittelbar Sünden nachlassen. Dieses Problem hat die Theologie lange Jahrhunderte beschäftigt. Gerade hier wird deutlich, wie sehr das Zusammenspiel und das Getrenntsein von Göttlichem und Menschlichem der neuralgische Punkt nicht nur der Ekklesiologie, sondern der Theologie überhaupt ist. Daß im Gericht der Kirche das Gericht Gottes gegenwärtig und wirksam ist, gibt dem Gericht der Kirche seine eigentliche unheimliche Tragweite. Ja, diese Tragweite ist wirklich unheimlich!

Wir sehen, wie innig verflochten göttlicher und menschlicher Bereich sind oder im kirchlichen Bereich das göttliche und das menschliche Element, wir sehen aber auch, daß sie nicht vermischt werden dürfen.

Die hierarchische Konstitution der Kirche Die Kirche ist das neue Gottesvolk in hierarchischer Ordnung. Hierarchie bedeutet heiliger Urspruch und heilige Ordnung. Christus beruft eine Jüngerschaft, unter denen die Zwölf herausragen. Ihnen verleiht er heilige Gewalten (Mt. 18, 18; Mk. 16, 15; Joh. 20, 21). An der Spitze dieses Apostelkollegs steht Petrus als oberster Hirte (Mt. 16, 13— 19; Joh. 21, 15— 17; Lk. 22, 31 f.). Wie Christus für das neue Gottesvolk lebensspendendes und ordnendes Prinzip ist (Joh. 15, 1— 11), so wird die Kirche mit Weihe-und Hirtengewalt bevollmächtigt. Die Hirtengewalt Christi verleiblicht sich in den auf göttlicher Einsetzung beruhenden Stufen des päpstlichen Primates und des Episkopates. Wir wollen den Primat herausgreifen, um auch hier die Frage nach Göttlichem und Menschlichem in der Kirche zu stellen.

Der Primat als solcher beruht auf göttlicher Einsetzung und stellt ein göttliches Prinzip, eine göttliche Realität dar. Der Primat des Papstes ist eine Glaubenswahrheit, die man so formulieren kann: Christus hat Petrus als Haupt des Apostelkollegs eingesetzt und hat diese Vollmacht auch seinen Nachfolgern mitgeteilt. Petrus lebt in seinem römischen Nachfolger fort. Dies ist ein Mysterium des Glaubens. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen physischer und mystischer Person Als physische Personen sind die Apostel gestorben und haben physische Nachfolger bekommen. Als mystische Personen bleiben die „Zwölf“ in ihren Nachfolgern, deren physische Zahl in der irdischen Kirche ohne weiteres zu-und abnehmen kann, deren mystische Zahl jedoch fortdauert: die Zwölf. So ist es auch bei Petrus. Als Haupt vergeht er nicht. Er dauert im Bischof von Rom fort. Die Päpste Linus, Cletus, Clemens und die anderen sind tot. Sie mögen ihrem Sitz materiell oder geistig zur Zierde oder zur Schmach geworden sein, sie mögen Heilige oder neue Judasse gewesen sein — es tut nichts zur Sache: Petrus, das Haupt, der mystisch nicht sterben konnte, bleibt in ihnen lebendig. Dieses Mysterium ist nur dem übernatürlichen Glauben zugänglich. „Man wird vielleicht sagen, daß dieser Begriff (— des Primates Petri) vor allem das Ergebnis der Arbeit der westlichen Theologen sei, die auf den politischen Aufstieg des päpstlichen Rom hinstrebten und deren juridisch geprägte Geistigkeit auf solche Entwicklungen angelegt war. Das leugnen wir nicht. Aber zurückgeführt auf seinen Wesensgrund, ist dieser Begriff mit keiner zeitbedingten oder veränderlichen Konzeption verbunden. Er steht ganz in der Linie der Theologie der Väter, welche den Ewigkeitscharakter unserer Dogmen oft viel stärker betonten, als wir es tun“ (Rousseau a. a. O. S. 376).

Wiederum wird der LInterschied zwischen Göttlichem und Menschlichem sichtbar. Der dogmatische Aspekt des Primates ist vom historischen zu unterscheiden. Die Einsetzung des Primates durch Christus und das Mysterium der mystischen Person ist die dogmatische Seite. Der Primat darf nicht mit gewissen zeitlichen Aspekten des historischen Papsttums identifiziert werden. Die Primatsfrage ist sicherlich der Hauptkontroverspunkt zwischen den Konfessionen, aber Rousseau bemerkt mit Recht, daß dabei vielleicht nicht so sehr die dogmatische Seite in Frage steht als vielmehr eine Vermischung dieser transzendenten Wirklichkeit mit anderen Elementen, die zwar durchaus legitim, aber menschlichen Ursprungs sind. Bei der Kontroverse mit der Ostkirche ist das sicherlich der Fall.

Die Kirche ist der Leib Christi. Sie ist fortwirkende Inkarnation Christi, aber mit einer nicht zu übersehenden Unterscheidung zur Inkarnation Christi im Fleisch. Die Wirklichkeit dieses Leibes steht in der Mitte zwischen einem nestorianischen und einem monophysitischen Verständnis. Eine nestorianische Ekklesiologie läßt die Kirche auseinanderfallen in eine unsichtbare und eine sichtbare Kirche. Die monophysitische Ekklesiologie tendiert dahin, in der Kirche das göttliche Wesen par excellence zu sehen, wo alles heilig, alles unwandelbar und unveränderlich ist, wo die menschliche Freiheit als Mitwirkung mit Gott keinen Raum hat. Das Ergebnis dieser Auffassung ist eine Heilsmagie. Von beiden Gefahren ist die Kirche bedroht. —

Wir möchten diese Überlegungen abschließen mit einem Blick auf das 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes. Pneuma, soma und sarx — Geist, Leib und sündhaftes Fleisch — diese Begriffsdreiheit spielt eine bedeutende Rolle im paulinischen Verständnis des Menschen. Pneuma und sarx sind Herrschaftsbereiche, Herrschaftsbereich des HI. Geistes und Herrschaftsbereich des Teufels. Zwischen diesen beiden Herrschaftsbereichen, von beiden beeinflußt und geprägt, steht der Leib. Augustinus hat diese Linien auf die Kirche ausgezogen. Die Kirche ist soma pneumaticon, Leib im Herrschaftsbereich des HL Geistes. Aber sie ist auch en sarki, in infirmitate, in der Schwachheit. Die Kirche hat die Gestalt einer niedrigen Magd. Auf Erden gibt es noch keine Vollendung: daher muß die Kirche eine Selbstbescheidung nach innen vollziehen. Diese Selbstbescheidung, die die Kirche in den Raum des Glaubens und der Hoffnung verweist, läßt sie liebend verlangen nach der Gegenwart des dreieinigen Gottes: des Vaters, der in Christus durch den Hl. Geist in ihrem Hause Wohnung nimmt — die Glieder der Kirche sind „Hausgenossen Gottes“ (Eph. 2, 19); des Sohnes, der uns erlöste und die Kirche machte zum Volk seines Eigentums“ (Tit. 2, 14), zu seinem Leib, dessen Haupt er ist (Eph. 1, 22); 4, 4— 16), zu seiner Braut (Eph.

5, 22— 32); des Heiligen Geistes, der die Einheit des Leibes und der Glieder bewirkt (Eph. 4, 4). Dieser dreieinige Gott wirkte die Menschwerdung des Sohnes. Jesus Christus ist der Eckstein, das Fundament und der alle rekapitulierende Schlußstein dieses geistlichen Bauwerkes. Darum lebt die Kirche ganz und gar von Jesus Christus. Es gilt das Wort Henri de Lnbacs in seinen „Meditations sur LEnglise"

„Wenn der Reichtum der Kirche nicht von Christus stammt, ist die Kirche armselig. Unfruchtbar ist sie, wenn darin nicht der Geist Jesu Christi blüht. Baufällig ist ihr Gebäude, wenn dessen Baumeister nicht Jesus Christus ist und nicht Sein Geist der Mörtel der lebendigen Steine ist, aus denen sie sich zusammenfügt. Unschön ist sie, wenn sie nicht die einzigartige Schönheit des Antlitzes Jesu Christi wiederspiegelt und wenn sie nicht der Baum ist, der in den Leiden Jesu Christi wurzelt. Falsch ist das Wissen, auf das sie sich beruft, und falsch die Weisheit, die sie schmückt, wenn nicht beides auf Jesus Christus beruht. In der Finsternis des Todes hält sie uns fest, wenn ihr Licht kein . erleuchtetes Licht'ist, das von Jesus Christus ausgeht. Lüge ist ihre ganze Lehre, wenn sie nicht die Wahrheit verkündet, die Jesus Christus ist. Eitel ist ihr Ruhm, wenn sie ihn nicht in die Demut Jesu Christi setzt. Sogar ihr Name ist uns fremd, wenn er uns nicht sofort an den einzigen Namen erinnert, der den Menschen um ihres Heiles willen gegeben ist. Nichts ist sie uns, wenn sie für uns nicht das Sakrament, das wirksame Zeichen Jesu Christi ist".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für das Folgende vgl. Yves M. -J. Congar O P, „Regards et reflexions sur la diristologie de Luther", in: Grillmeier-Bacht, „Das Konzil von Chalkedon" 111, S. 457-486).

  2. Die drei Zitate sind aus dem Französischen rückübersetzt nach Congar a. a. O.

  3. „Zugleich ist der Glaube rein . theozentrisch'. weil er in Christo nur Gott meint“ (E. Vogelsang. „Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung insbesondere in ihren exegetischen und systematischen Zusammenhängen mit Augustin und der Scholastik dargestellt". Arbeiten zur Kirchengeschichte 15, Berlin-Leipzig 1929, S. 161). — Wenn Luther nämlich sagt: der Mensch Christus ist König der Kirche, so verschiebt er den Begriff der humanitas Christi. Humanitas ist dann nicht diejenige Seite an Christus, die er mit dem Menschen gemein hat. sondern die Erscheinungsform, in der die Gottheit für die Menschheit sichtbar wird ... Nicht der Mensch Christus ist also König, gesondert von seiner Göttlichkeit, sondern der Mensch Christus, in dem die Gottheit inkarniert ist" (F. Huck, „Die Entwicklung der Christologie Luthers von der Psalmen-zur Römervorlesung", in: TheolStudKrit 102 [= Lutherana VI], 61/142, 1930, S. 127). -„Gott und Christus stehen nicht in Rivalität nebeneinander, noch in der Weise untereinander, daß das Dasein Christi die notwendige Voraussetzung für die Gnadenwirksamkeit Gottes böte und damit deren Allmacht einschränkte. . . Das Problem . christozentrisch — theozentrisch'besteht daher für Luther nicht. Für Luther ist Jesus weder ein primäres, noch ein sekundäres Objekt seiner Frömmigkeit geworden, sondern er ist ihm die Offenbarung der göttlichen Erlösungstat geblieben'[Gogarten" (H. Thimme, „Christi Bedeutung für Luthers Glauben. Unter Zugrundelegung des Römerbrief-, des Hebräerbrief-, des Galaterbriefkommentars (von 1531) und der Disputationen", Gütersloh 1933, S. 148). — „All depends on the assertion that it is God Himself who in Christ overcomes the tyrants. 1t is at the same time evident that the Deity of Christ is not for Luther a bare metaphysical dogma, still less a . physical doctrine: for in the work of redemption the actual agent is no other and no less than God s own Blessing, Righteousness, and Life (G. Aulen, Christus Victor“, engl. Übersetzung London 1931, p. 124).

  4. Cullmann, „Urchristentum und Gottesdienst", S. 38.

  5. Cullmann a. a. O., S. 58.

  6. Zum Folgenden vgl. Congar, „Dogme christologique et Ecclesiologie. Vrit et limites d'un parallre", Grillmeier-Bacht, „Das Konzil von Chalkedon“ 111, S. 239— 286.

  7. J. Ternus SJ, „Chalkedon und die protestantische Theologie“, in:

  8. Vgl. O. Rousseau OSB, „La notion theologique de la Papaute et 1‘Unite chretienne", in: Irenikon XX/1947, Nr. 4, S. 372— 3 80.

  9. H.de Lubac SJ, „Meditations sur l’Eglise"; deutsche Ausgabe; „Betrachtungen über die Kirche“. Styria-Verlag 1954. S. 149.

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