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Der Einfluß der Technik auf die menschlichen Beziehungen in modernen Streitkräften | APuZ 18/1954 | bpb.de

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APuZ 18/1954 Der Einfluß der Technik auf die menschlichen Beziehungen in modernen Streitkräften

Der Einfluß der Technik auf die menschlichen Beziehungen in modernen Streitkräften

Heinz Karst

Napoleons Wort „La politique c'est la fatalit" würde vielen Menschen heute in der Abwandlung „Die Technik ist das Schicksal" zutreffender dünken. Ganz deutlich, w i e schicksalhaft verflochten unser Dasein mit der Technik ist, wurde den meisten Mitlebenden aber erst, als im August 1945 Atombomben über Nagasaki und Hiroshima explodierten. Es war das Auftreten eines überdimensionalenVernichtungsmittelsin der Hand von Soldaten, was auch den stumpfesten Verstand aufhorchen ließ und die allgemeine Bestürzung und Ratlosigkeitverstärkte. Der amerikanische Offizier, der eine der Bomben warf, ging ins Kloster. Sein Schritt zeigt, in welche fast unauflöslichen Konflikte die moderne Waffentechnik den Soldaten bringen kann, — bis zur inneren und äußeren Aufhebung seines Auftrags. Denn die 12— 14 Kobaltbomben, die vielleicht in einer zukünftigen Auseinandersetzung geworfen werden, benötigen, um ins Ziel zu kommen, keine Soldaten mehr. Das könnten gut ausgebildete Zivilpiloten schließlich auch vollbringen.

Aber nicht der Soldat allein steht vor solchen Konflikten! Der Kriegs-apparat von heute und morgen ist Ausschnitt und Ausdruck der übergeordneten zivilisatorischen Technizität der Gemeinschaften, denen er dient. Diese Verbindung ist so durchgängig geworden, daß auch das geringste materielle oder moralische Erdbeben in einem Teil sich sogleich als unterirdisches Grollen im anderen anmeldet.

Seither haben Forscher, Techniker und Soldaten die Kampfmittel und Geräte in sich überschlagender Eile noch leistungsfähiger und wirksamer gemacht. Es bleibt immer aufschlußreich, darüber nachzudenken, wie es kommt, daß die Menschen in Erfindung und Entwicklung von Kriegs-mitteln und ihnen zugeordneten Organisationsformen zu größeren Leistungen sich aufraffen, als in der Herstellung von Dingen, die dem friedlichen Zusammenleben dienen. Dabei steht fest, daß viele für kriegerische Zwecke vorgesehene Mittel und Stoffe auch friedlichen Absichten nutzbar gemacht werden können und oft gemacht wurden. Gerade das zeigt schon, wie nach wie vor der Mensch es ist, der entscheidet, in welcher Richtung seine technischen Kräfte und Errungenschaften anzuwenden sind, und daß die Bewältigung der Technik, die doch eine Schöpfung europäischen Geistes ist, einen höheren Sinn für Freiheit verlangt, als wie er zur Zeit in Ost und West sichtbar ist.

Man könnte an diese Feststellungen mannigfache Betrachtungen knüpfen, in denen die Veranwortung des Menschen für die aus seiner Hand hervorgegangenen Kampfmittel zu untersuchen und aufzurufen wäre. Solche Gedanken können wohl nur noch zu verbindlichen Lösungen führen, wenn man die Brücke zum theologischen Raum schlägt; denn sie hängen aufs engste zusammen mit der Frage nach dem Sinn von Tod und Leben. Diese Fragen zu ergründen und mit ihren Antworten fertigzuwerden, ist jedem Einzelnen unausweichlich anheimgegeben. Sie gehen nicht nur den Soldaten an, obwohl sie bei ihm eine besondere Unmittelbarkeit gew i n. n e n : denn er ist es, der diese Mittel und Waffen anwenden muß.

Die Folgerungen aus dem Stilwandel des Kampfes, der mit dem zwangsläufigen, schrankenlosen Einbruch von Rationalismus und Technik in den soldatischen Raum das bisherige Ethos des Soldaten zwar nicht aufhob, aber auf veränderte Grundlagen stellte — vergegenwärtigen wir uns, daß es noch im 19. Jahrhundert geschehen konnte, daß zwei sich bekämpfende Truppen das Feuer einstellten, weil eine Frau sich zwischen die Linien verirrt hatte, und solange mit der Fortsetzung des Kampfes warteten, bis die Frau aus der Feuerzone war -, sind im Zeitalter des totalen Krieges auch in allem, was ihre sittlichen Bedenken und Gefahren angeht, nicht vom Soldaten allein, sondern von allen Staatsbürgern zu verantworten. Man denke an die „hateful decision“

Churchills, als er am 3. Juli 1940 dem Admiral Cunningham befahl, die an der Reede von Oran liegende Flotte des französischen Bundesgenossen zusammenschießen, und an die Argumentationen, die Paget in der Verteidigung Feldmarschall von Mansteins daran knüpfte. Die Diskussion über den Bombergeneral Sir Arthur Harris in England liegt auf der gleichen Linie.

Auch soll ein weiterer, sich anbietender Fragenkreis: der Zusammenhang zwischen Wehrtechnik und Taktik nur soweit behandelt werden, als er unser Thema, das auf einen geschichtlichen Ausweis und auf eine pädagogische Antwort zielt, zu klären beiträgt. Das Wechselverhältnis zwischen Technik und Taktik aufzuzeigen, wäre schon eher ein soldatisches Anliegen. Die Erfindung neuer Kampfmittel, die schnelle Fortentwicklung auf dem Gebiet der Kernphysik, der chemischen und bakteriologischen Waffen, des Flugzeug-und Raketenbaus, des Fernmeldewesens, die rapide Leistungssteigerung der traditionellen Waffen und Geräte zwingen dazu, die taktischen und operativen Grundsätze neu zu durchdenken, um sie geschmeidig den veränderten, von der Technik angebotenen oder von den Streitkräften geforderten Möglichkeiten anzupassen. Jedem Laien dürfte es klar sein, daß z. B. Marsche, Truppenversammlungen und Bereitstellungen in der Dichte, wie sie noch im letzten Kriege durchgeführt wurden, in Zukunft untragbar sind. Die genaue Schnellortung mit Radar stellt den Einsatz vieler Waffen vor neue Probleme. Man wird mit Atomwaffen wohl kaum noch den Durchbruch an der schwächsten, sondern wahrscheinlich an der stärksten Stelle des feindlichen Widerstandes zu erzwingen suchen, um auf diese Weise mit dem raren und schwerwiegenden Kampfmittel möglichst viele Gegner auszuschalten. Selbst das operative Denken hat eine Vielzahl von Dimensionen angenommen und verlangt in hohen Kommandostellen von allen Offizieren ein „triphibisches" Denken, ausgedehnte taktische, politische, wehrgeographische, technische und logistische Kenntnisse, erhöhten Überblick, die Fähigkeit zu schöpferischer Zusammenschau und verantwortlicher Entscheidung wie nie zuvor.

Folgen des technischen „Fortschrittes“

Die totale Abhängigkeit des soldatischen Bereichs von der Technik ist unleugbar geworden. Von der industriellen Revolution und vom Übertritt aus dem alten Sozial-gefüge selbstgenugsamer Lebenskreise in die arbeitsteilige moderne Gesellschaft ist auch der mächtigste Sozialkörper eines Volkes, seine Armee, nicht verschont geblieben. Sie hat sich naturgemäß den daraus entspringenden Forderungen — besonders in Deutschland — am heftigsten entgegengestemmt. Viele heute im Rampenlicht der „ 08/15-Kritik" stehenden bedenklichen Erscheinungen unserer soldatischen Vergangenheit ließen sich aus diesem geschichtlichen Dilemma ungleich tiefer und zutreffender erklären, als es in der landläufigen publizistischen Interpretation heutzutage in Deutschland noch geschieht.

Es wäre nun falsche Romantik, wenn die verantwortlichen Soldaten in Zukunft nicht alle technischen Möglichkeiten ausschöpften, die sich als förderlich für ihren Auftrag erweisen, wenn sie nicht im engsten Kontakt mit Forschung, Wirtschaft und Industrie arbeiten würden. Es bedarf auch keiner Frage, daß eine Armee, selbst wenn sie über modernste Waffen und Ausrüstung verfügt, unterlegen ist, solange sie ihre taktischen Prinzipien nicht der veränderten technischen Lage anpaßt! Jeder Fortschritt auf dem Gebiet der technischen Kriegsmittel hat taktische Überlegungen zur Folge. Aber der technische „Fortschritt“ hat noch mehr zur Folge — und auf diese Folgen für die menschlichen Verhältnisse in der Truppe, für das „Betriebsklima“ soll hier eingegangen werden. Wenn wir nur eine dieser Folgen erwägen, z. B. die Wirkung des sprunghaften Tempos, in dem Waffen und Ausrüstung in modernen Streitkräften verbessert werden, kommen wir zur engeren Fassung unseres Themas: die Bedeutung der Technik für die Kampfformen und die damit verbundenen menschlichen Beziehungen der Soldaten untereinander und zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Diese mannigfachen wichtigen psychologischen und moralischen Rückwirkungen der Technisierung auf das innere Gefüge der Truppe und die sich daraus ergebenden neuen Forderungen an Ausbildung und Erziehung in den Streitkräften scheinen oft weniger handgreiflich und werden daher leicht vernachlässigt. Sie sind indessen d i e entscheidende Komponente in dem großen Thema von der Bedeutung der Technik für moderne Streitkräfte. Das sei an einem Beispiel vorweg kurz demonstriert.

Es ist hinlänglich bekannt, daß die technische Entwicklung nicht zuletzt deswegen so beunruhigend ist, weil sie sich in einem der kühnsten Phantasie vorauseilenden Geschwindeschritt vollzieht, namentlich im Krieg. Jeder Soldat hat es erlebt, daß Waffen von heute morgen bereits überholt sein können. Als der T 34 im Osten auf der Bildfläche erschien, waren unsere Panzerabwehrwaffen mit einem Schlage unzureichend; als die Radarortung für über Wasser marschierende U-Boote wirksam wurde, war es lange Zeit um die U-Booterfolge geschehen. Man mußte Abhilfen und Verbesserungen ersinnen. Neue Erprobungen wurden und werden in allen Armeen unablässig durchgeführt. Die Regierungen scheuen sich, das Risiko einzugehen — so vernimmt man — Waffen und Geräte in Serien fertigen zu lassen, da die Gefahr naheliegt, daß diese Waffen oder Geräte bereits veraltet sein könnten, wenn die Serie ausläuft. Offiziere und Unteroffiziere werden häufiger als früher aus ihren Einheiten herausgelöst und zu Speziallehrgängen abkommandiert. Die Truppen kommen nicht mehr zur Ruhe; ein stetes ungestörtes Zusammenwachsen wird erschwert. Häufige Verlegungen vermehren diese Unruhe. Selbst zu seiner Waffe gewinnt der Soldat doch nur ein Verhältnis, wenn sie nicht allzu oft wechselt. Die Abhängigkeit der menschlichen und soldatischen Reaktionen von der Technik — und der eben erwähnte schnelle Wandel in der Ausrüstung ist nur ein Tatbestand von vielen — erschüttert viele soldatische Voraussetzungen: das einzusehen bedarf es in England z. B.der alarmierenden Sabotageakte auf dem Flugzeugträger „Eagle", wo sich, nach vorliegenden Berichten, die Matrosen in ihrer Bedrängnis, von den vielen technischen Neueinrichtungen menschlich untergepflügt zu werden, dadurch zur Wehr setzten, daß sie an ihrem eigenen Schiff Zerstörungen anrichteten, um auf dem Wege über die Strafe möglichst schnell von Bord zu kommen.

Von dem rechten inneren Verhältnis der Soldaten zum Impersonalis-mus und Sachzwang der Technik, zu den von ihr bedingten veränderten Kampfformen wird es aber, bei einer technischen Armee, weitgehend abhängen, wes Geistes eine Truppe sein wird. Wer zum Schutz der freiheitlichen Lebensordnung, wie sie der Westen erstrebt, die Waffe trägt, kann sich den technologischen Kräften nicht unterwerfen, wie etwa der Soldat sowjetischer Prägung, dem „Apparatschik" und „Traktorist“ von Jugend luf als Idole vorgehalten werden und der den Anspruch der personalen Freiheit gegenüber dem Automatismus der Technik als Schwäche empfinden würde. Streitkräfte der freien Welt stehen immer vor der schweren Aufgabe, die Technik zupackend und kühn zu nutzen, aufgeschlossen zu bejahen und ihr dennoch nicht zu verfallen: in dieser Einstellung zur Technik wird ihr zukünftiges Ethos nicht zuletzt beschlossen liegen, — ob sie Kriegstechniker und Regisseure der Vernichtung werden oder auch in der Technizität ihres Berufes Soldaten bleiben.

Das technische Kriegsbild bestimmt Organisation und Kampfmittel

Es ist normalerweise nicht das Kampferlebnis, das ein dem Krieg angemessenes Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und von Soldat zu Soldat herstellt, selbst wenn die äußeren Verkehrsformen in Erziehung und Ausbildung von früheren kriegerischen Erfahrungen bestimmt sind. Die menschlichen Beziehungen der Soldaten untereinander, die von ebenso ausschlaggebender Bedeutung sind wie das Verhältnis vom Vorgesetzten zum Untergebenen, gewinnen vielmehr Umriß im Regelfall, d. h. in der Friedensausbildung, die von einem mit gezügelter Phantasie entworfenen Kriegsbild der Zukunft geleitet sein muß; sie sind von vielerlei Umständen und Faktoren abhängig, die zum größeren Teil n i c h t 'm militärischen Bereich liegen. Es bleibt eine nicht aufhebbare militärische Schwierigkeit, daß das innere Verhältnis der Soldaten untereinander und zwischen Führung und Truppe weitgehend geformt wird durch ihre Tätigkeit im Frieden, obwohl cs auf den Krieg angelegt sein soll. Erst scharfer Schuß des Feindes und Todes-bedrohung, der Zwang zur Gewaltanwendung und zum unbedingten Gehorsam auch in unübersichtlichen Lagen bringen — bald deutlich. bald unmerklich — Korrekturen oder schaffen spontan neue Verhältnisse. Gerade wenn die alten Grundlagen und Erfahrungen überholt sind, ist der Krieg nicht nur eine Zerreißprobe für bisherige Verhältnisse, sondern beschleunigt auch die Lösung von unterhöhlten Formen und Vorstellungen. Ein großer Teil der soldatischen Ausbildung und Organisation bleibt in Friedenszeiten immer fiktiv und „Spiel“ — z. B. „Kriegsspiel“, „Planspiel". Nicht ohne alles Recht spricht man im Volksmund vom „Soldatenspielen". Während man aber bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts den Ablauf eines möglichen, zukünftigen Krieges wenigstens ungefähr vorausahnen konnte und daraus die nötigen Rückschlüsse auf Erziehung, Ausbildung und Führung der Truppe tun durfte, scheint der Ablauf eines modernen „Krieges ohne Kriegserklärung" angesichts der unvoraussehbaren technischen Möglichkeiten und der engmaschigen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen über die Erde hin weniger denn je im Frieden entwerfbar zu sein. Nur der geborene Feldherr kann vielleicht ahnen, welche Wege und Mittel, Ausmaße und Formen eine zukünftige kriegerische Auseinandersetzung der Weltmächte finden würde; nur in höchsten Führungsstäben weiß man um Möglichkeiten. Aber auch dort muß man damit rechnen, daß sich aller penible Kalkül als falsch erweist. Gerade deswegen greifen Streitkräfte gern und nicht ohne Grund zu „langerprobten“ Erfahrungen, die sich in früheren Kriegen als brauchbar und sinnvoll erwiesen haben. Sie halten sich streng an „bewährte Grundsätze" und verfallen damit umso lechter der Gefahr des Maginot-Denkens, d. h. hinter der Entwicklung zurückzubleiben, als die Geschwindigkeit geschichtlicher und technischer Vorgänge ständig zuzu-nehmen scheint. Der Krieg fällt dann das Urteil, ob man schöpferisch aus dei Vergangenheit lernte oder phantasielos zu ihrem Sklaven geworden war. Die Gefahr, dabei zu revolutionär über das Ziel hinauszuschießen, scheint in allen Armeen der Erde weit geringer, als konservativ zu verholzen. Das gilt auch und in besonderem Maße für die Einstellung der Soldaten zur Waffentechnik. Man denke nur an den zähen Kampf Guderians, die Erkenntnis von der Bedeutung der Panzerwaffe durchzusetzen. Doppelgesicht des modernen Krieges Seitdem die zunehmende Technisierung von Bewaffnung und Ausrüstung, die wachsende Verästelung der Nachschub-und Versorgungsorganisationen mit ihren immer weiter rückwärts stattfindenden Leistungszusammenballungen, die der Soldat nur noch als letzter Exponent „vorn“ in Bewegung und Feuer umsetzt, — seitdem das bedrohliche Anschwellen von Stäben aller Art, die zum Teil ohne Truppen-kontakt zu wirken haben, seitdem das letzte Pferd aus den Streitkräften verbannt und die Armee zur technischen durchkomponierten „Maschine" zu werden sich anschickt, seitdem das alles das geistige Antlitz des Soldaten zu wandeln begann — ungeachtet aller nach wie vor stattfindenden kämpferischen Begegnungen „alten Stils“, die niemals wegfallen werden, wahrscheinlich sogar mit der Länge eines Krieges wieder an Bedeutung gewinnen — ist man sich darüber klar geworden, daß damit Fragen im Raum desMenschlichen aufgeworfen sind, die in ihrer ganzen Tragweite noch gar nicht abzusehen sind und — ähnlich wie im industriellen Leben — zum LImdenken zwingen. Nur zögernd wendet man sich, auch unter den ehemaligen Soldaten, der Frage zu, wie der einzelne Kämpfer, der sich einer erdrückenden Masse eigenen und fremden Materials ausgesetzt sieht, wie der Soldat in dieser bedenklichen Apparatur als Mensch, als Person bestehen kann. Mit Kenntnis und Scharfsinn werden zur Zeit Vergleiche mit dem Dasein des Arbeiters im industriellen Großbetrieb angestellt. Man untersucht psychologische Probleme aller Art, z. B. die Angst der Soldaten, das Entstehen von Paniken auf dem Kampffeld usw. Die Aufgabe aber, wie sie sich hier stellt, scheint in der einschlägigen Literatur weniger im Blick zu sein. Die Gefahr droht überdies, daß das Interesse für solche Fragen nachläßt, je mehr der Krieg aus den Augen und dem Gedächtnis schwindet. Ein Grund liegt auch wohl darin, daß meist nur höhere Offiziere sich über grundsätzliche Zusammenhänge im Schrifttum äußern, während Mannschaften, Unteroffiziere und jüngere Offiziere weniger veröffentlichen — und wenn, dann nur in der Form von Erlebnisberichten. Auf diese Weise kommen diese Probleme, soweit ich sehe, in der Fachliteratur zu kurz, denn sie werden nur ganz sichtbar im unmittelbaren Kampferleben der K 1 e i n t a k t i k. Es ist bereits ein Zeichen dafür, wie aufgespalten der ehemals noch homogene soldatische Erlebnisbereich ist, daß man als Frontoffizier des Heeres nur einen begrenzten Ausschnitt als Erfahrungsbasis benutzen kann. Darüber hinaus sei der Blick gelegentlich auf die weitere Entwicklung in Korea und Indochina gelenkt, obwohl beide kriegsähnlichen Aktionen im „traditionellen“ Stil des Kampfes verlaufen und deshalb nur bedingt herangezogen werden können. Es scheint fast so, als beginne der Krieg ein Doppelgesicht zu bekommen: eines, das noch soldatisches Profil zeigt, d. h. wo der Kampf, wie z. B. in Dien Bien Phu, mit Handgranaten und Maschinengewehr, Panzer und Geschütz unter Soldaten ausgefochten wird. Ein anderes, mögliches, wo die Massenvernichtung, ohne Unterschied ob Kämpfer oder Nicht-kämpfer, aus dem Raum der „Nur-Technik" droht, der „push-button" der Amerikaner. Beide werden ineinander verflochten oder auch nebeneinander verlaufen: in ihrer technischen Grundlegung gehören sie zusammen.

Wandel im Platz des taktischen Führers Lassen Sie mich von einem unauffälligen Geschehen ausgehen. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges waren die Infanterie-Offiziere verpflichtet, vor der Front ihrer Einheiten mindestens 20 m vorauseilend den Angriff zu führen. Den Säbel schwingend riß der Offizier durch sein persönliches Vorbild, das allen noch „vor" Augen war, seine Truppe vorwärts. Weniger die überschauende Regie und Lenkung des Gefechtes, die geschmeidige Koordinierung der Kampfmittel, der Einsatz der Nachrichtenverbindungen waren notwendig, als vielmehr ein demonstratives Verhalten. Der Offizier exponierte sich in einer Form, die ihn sowohl für seine eigenen Soldaten als für den Feind deutlich als Führenden erkennen ließ. Das besagte: er hob sich vor seinen Untergebenen auch äußerlich sichtbar ab, er bewahrte das Recht, bevorzugt sterben zu dürfen. Deshalb durfte die höchste Auszeichnung auch nur ihm verliehen werden. Der Gedanke, seine Person durch Zurücktreten in die vorgehende Truppe in irgendeiner Form zu tarnen und mehr zu sichern, war undenkbar. Dies Verhalten zeigt weiterhin, daß man den Feind ganz selbstverständlich nur von vorn erwartete. Die „Igelstellung“, die „Kessel" -Situation, nicht nur der Truppe, sondern in einem tieferen Sinne jedes Einzelnen, war damals noch nicht gegeben. Die hohen Offiziersverluste in den Jahren 1914/15 sind nicht zuletzt auf diese Herausstellung, in der sich noch ein Rest der feudalen Auffassung vom Offiziersstand aussprach, zurückzuführen. Das Maschinengewehr und die Länge des Krieges zerschlugen bald diese Auffassung.

Im September 1939 kam, während des Polenfeldzuges, ein allgemeiner Befehl durch, wonach Offiziere ab sofort keine Reithosen, Schulterriemen und kein gelbes Koppelzeug mehr tragen durften, da sich herausgestellt hatte, daß die feindlichen Schützen den sich äußerlich sichtbar abhebenden Offizier selbst aus der Mitte seiner Soldaten herausschossen. Sogar die Schulterstücke mußten verhüllt werden. Der Offizier trug fortab die gleiche Uniform wie der Mann. Es wurde als sinnwidrig betrachtet, daß er sich besonders exponiere, solange es nicht das Kampfgeschehen zwingend erfordere. Sein „Vorbild", das noch 1914 an das Erlebnis aller, die ihm in Schützenlinie folgten, sichtbar gebunden war, verwandelte sich zusehends in das „Beispiel", das er an seinem Platz geben konnte, wo ihn meist nur noch ein Teil seiner Soldaten sehen konnte. Angesichts der sich mehr und mehr auflockernden Kampfformen konnten die Offiziere meist nicht mehr im Blickfeld aller Soldaten ihrer Einheit führen. Vor allem zwang die zunehmende Technisierung, das Zusammenwirken aller Waffen, die immer kompliziertere Regie und Organisation des Kampfes dazu, die Wahl des Platzes für den Führer ihm seihst zu überlassen. So ergab sich die paradoxe Situation, verglichen mit dem ersten Weltkrieg, daß gelegentlich Generale in vorderster Front führten, während mancher Kompaniechef und Bataillonskommandeur von weiter rückwärts zu führen gezwungen war. . . Dazu verpflichtete überdies auch die Tatsache, daß die Bedrohung nicht mehr nur von vorne — also linear oder eindimensional — sondern auch von oben und zunehmend von rückwärts an jeden Einzelnen und an die Einheit heran-treten konnte.

Verlagerung der Kampfverantwortung Zwar gab es immer Krisensituationen — und wird sie immer wieder geben — wo der Offizier, ob junger Leutnant oder Regimentskommandeur, persönlich mit der Maschinenpistole in der Hand Vorkämpfer sein mußte, um die Entscheidung mit letztem Nachdruck herbeizuführen oder die wankende Truppe wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Aber nicht selten war im letzten Kriege der Drang zum Vorkampf eine Flucht vor der viel schwereren Verantwortung, zu führen. Mit Nachdruck sagt der amerikanische Oberst Marshall in seinem Buch „Soldaten im Feuer": „Der Führer kleiner Verbände, der sich wiederholt der Todesgefahr aussetzt, um damit die Moral seiner Truppe zu heben, belastet die Nerven der Truppe unnötigerweise und endet meist damit, daß er unter Bedingungen getötet wird, wo es der Armee gar nichts nützt. Eine Truppe will Offiziere, die mit ihr kämpfen und vorgehen. Es beeinträchtigt ihre Moral, wenn sie ihre Anführer sich drücken sieht; aber es macht ihr auch keinen Eindruck, wenn die Vorgesetzten die Rolle des mechanischen Hasen spielen, der voran läuft, um die Hunde nachzulocken. Solche Taten sind nur ganz ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn sehr viel auf dem Spiele steht und das Versagen anderer ein solches Verhalten notwendig macht. Ihr Wert liegt großenteils in der Einmaligkeit.“ Er schreibt als Amerikaner aus den Erfahrungen des Krieges im Pazifik und in Korea. Die Amerikaner, die im Unterschied zu uns der Organisation des Feuers und der Kampfmittel größeren Wert beizumessen geneigt waren als dem persönlichen Einsatz des einzelnen Kämpfers, setzen sich in der letzten Zeit ernsthaft mit den darin beschlossenen Fragen und Schwierigkeiten auseinander. Unzweifelhaft sind im Zeitalter der Atomartillerie, der Napalbombe, des Panzers und der gepanzerten Schlachtflugzeuge die Kampfeinheiten — selbst in Kompaniestärke — von ihren taktischen Führern kaum noch jederzeit zu überschauen und durch persönliche Einwirkung zu spüren. Das zeigte sich schon bei vielen Truppenteilen im letzten Krieg, zumal sich der Kampf im wachsenden Maße in die Nacht verlagerte. Während man noch im 19. Jahrhundert bei Einbruch der Dunkelheit meist den Kampf einstellte, hörte man in Korea bei Anbruch des Tages auf.

Die Last der unmittelbaren K a m p f v e r a n t w o r -tung verlagert sich damit mehr und mehr auf die Schulter der unteren Führung, der Leutnante, Feldwebel, Unteroffiziere und Gefreiten, ja auf deneinzelnenMann. In einer kürzlichen Verlautbarung General Ridgeways heißt es: „Die bedeutende Erhöhung der Feuerkraft zwinge den Truppenführer, größeren Nachdruck auf die weiträumige Entwicklung seiner Truppe zu legen. Daher würden Kampfhandlungen kleiner Einheiten typisch werden. Der Dezentralisation der Befehlsführung käme dementsprechende Bedeutung zu. Dadurch gewännen die Nachrichten-Verbindungen noch an Wichtigkeit, und es entsteht eine größere Abhängigkeit von jüngeren Offizieren und einzelnen Soldaten.“ Der taktische Führer, z. B. einer Panzerjägerkompanie oder einer Panzerspäh-Einheit sah im letzten Kriege Teile seiner Truppe längere Zeit nicht. Von der Abteilung abgestellte Funktrupps lebten oft wochenlang fremden Einheiten zugeteilt. Der Ansatz zum Kampf, die Koordinierung der Mittel und die Bewältigung von Krisen blieben die zentralen und nicht abnehmbaren Aufgaben der Chefs der Einheiten. Sie nahmen während des Gefechts ihren Platz am Schwerpunkt. Dabei war eine vielfache Erfahrung der Front, daß der Brennpunkt unerwartet an anderer Stelle entstand; dann mußten wiederum untere Führer verantwortlich eingreifen und handeln.

Technisierung der Führungsmittel Mit zunehmender Technisierung der Führungsmittel trat der taktische Führer noch mehr zurück: er gab seine Befehle mehr und mehr durch Fernsprecher oder per Funk durch. Allenfalls wurde noch sein Panzer oder sein Befchlsfahrzeug gesehen. Er selbst nicht mehr. Was für die Marine schon seit längerem selbstverständlich war, trat jetzt auch im Heer auf: die Stimme vieler Vorgesetzten erreichte die Soldaten nur noch über den Äther, d. h. durch ein technisches Medium gebrochen. Die unpersönliche Anonymität eines Apparates schaltete sich zwischen Vorgesetzte und Untergebene, die sich in ihrer Bewegungsfreiheit in diesem Apparat dicht eingespannt und von ihm abhängig erkannten. Um die zunehmende, durch die Technik bedingte menschliche Entfernung zueinander zu überbrücken, mußten mehr und mehr technische Mittel eingesetzt werden. Mit französischer Emphase bemerkte der Colonel Combaux in seiner Studie „La guerre des ondes“: „Die Schlachten breiten sich nicht nur auf immer größere Flächen aus, sondern auch in die Tiefe des Himmels. In diesem dreidimensionalen Ringen vermischen sich die Wirkung der Land-, Luft-und See-Streitkräfte. Über ihnen schwebt der seltsame Geist der sie zusammenschweißenden Verbindung der „Radio“, das Geheimnis einer neuen Waffe. Sich über Zeit und Raum hinwegsetzend, webt sie die Bande eines einheitlichen Denkens zwischen den Teilen einer modernen Armee. Sie vereint in einem unbegrenzten Raum die Einzelaktionen, die sich von einem bis zum anderen Ende eines ungeheuren Schlachtfeldes abspielen, und gibt ihnen einen Rhythmus, der dem von 1914 zehnmal überlegen ist.“

Welch ein Abstand zu dem der ganzen Kompanie sichtbar vorauseilenden, säbelschwingenden Hauptmann des ersten Weltkrieges, der noch im Sinne der Moltkeschen „Verordnung für die höheren Truppen-führer“ handelte, in der es heißt: „In dem Zugführer vor der Front, in dem Hauptmann und Rittmeister, auf den alle Blicke gerichtet sind, liegt die Kraft der Armee.“ (Allgemeines, Punkt 2, 869). Das Verhalten dieses Hauptmanns war noch von anderen Motiven mitbestimmt als denen, die technisch-taktisch notwendig waren. Im zweiten Weltkrieg bestimmte sich das Verhältnis von Vorgesetzten zum Untergebenen zunehmend von rationalen Motiven her: es wurde vieler elementarer, unterbewußter, ständischer und emotionaler Beweggründe entkleidet. Die Disziplin wurde zunehmend Sachdisziplin, vom technischen Gerät her mitbestimmt.

Die Uniform Den gleichen Vorgang kann man z. B. an einem Mittel der Kriegführung, der Uniform betrachten. Die Uniform der Soldaten war 1914 teilweise noch von anderen als Kampfzwecken her bestimmt. Sie war z. T. noch Schaustück und von modisch-traditionellen Gesichtspunkten beeinflußt. Französische Truppen trugen anfangs sogar noch rote Hosen. Die Vielzahl der unpraktischen Helme, die farbenfreudigen Monturen, die Portepees, der hochgeschlossene Kragen, die Pickelhaube und selbst der Degen konnten kaum noch ausgesprochenen Kampfzwecken dienen. Schon der zweite Weltkrieg brachte erhebliche Vereinheitlichungen. Die Alliierten waren uns darin voraus. Betrachtet man Entwürfe zur Kampf-uniform des zukünftigen Soldaten, meint man eher, technische Spezialkleidung aus der industriellen Arbeitswelt vor sich zu sehen. Nichts mehr von Zier, von Selbstzweck, von Parade-und Schaugepränge; jedes Stück und jede Form ist bestimmt von sachlichem Zweck. Ein Unterschied von Offizier und Mann ist nicht mehr erkennbar; nur noch die Rangabzeichen heben Offiziere und Unteroffiziere von den Mannschaf-ten ab. Es ist bezeichnend, daß die Entwicklung im sowjetischen Bereich gegenläufig ist: der Abstand zwischen Offizier-und Mannschaftsuniform wurde vergrößert. Eine partnerschaftliche Gleichordnung auch im Äußerlichen brächte die totalitäre Disziplin, die auf Mißtrauen, Überwachung und Strafe aufbaut, ins Wanken. Hier zeigt sich deutlich ihre innere Schwäche, ungeachtet aller äußeren Stoßkraft.

Die sich schon seit 1915 anbahnende Entwicklung ist damit im Westen fast zu einem Abschluß gekommen. Das Verhältnis vom Soldaten zum Offizier ist nur noch bestimmt von der Notwendigkeit des kriegerischen Einsatzes beider: sie sind Partner mit gleicher Intensität der Verantwortung, aber verschiedenen Verantwortungsbereichen.

Die Parade So wie die rationalisiert technische Kampfforderung das Verhältnis vom Vorgesetzten zum Untergebenen beeinflußte, wie sie die Uniform formte, so bekam auch die Parade ein verändertes Vorzeichen. Sie ist eine Entdeckung des Barockzeitalters. (Fast zur selben Zeit, als man das Ballett schuf, erfand man die Exerzierkunst!) Das Wort ist von den Franzosen entlehnt. Diese haben es von den Spaniern. „Parada" heißt ursprünglich der festliche Aufzug der Ritter vor den Reiterspielen. In der Bedeutung „Musterung“, „Heerschau“ wurde der Ausdruck zuerst in Frankreich unter Ludwig IV. gebraucht, der in einer Verfügung vom 25. Juli 1665 die französische Garde zur „Parade“ berief. In Deutschland wurde unter Paraden zunächst die „Aufführung der Wache“ verstanden. Das 17. Jahrhundert ist das große Zeitalter des Theaters. Es war jene Zeit, in der man den Kriegsschauplatz (!) noch „Kriegstheater“ nannte. Die Paradeformen waren damals noch weitgehend identisch mit den Kampfformen. Die Truppe marschierte im Gefecht hochaufgerichtet in Linie und später im Gleichschritt mit geschulterter Waffe oder gefälltem Bajonett auf den Feind zu, ähnlich, wie sie in der Parade zu marschieren gewohnt war. Die Parade hatte noch einen Sinn: die gut paradierende Truppe gab den Beweis ihrer technischen Gefechtstüchtigkeit. Das Maschinengewehr zerschlug schon im ersten Weltkrieg die meisten Exerzierformen des Gefechtes und ließ nur einige Formen der geöffneten Ordnung übrig. Im 2. Weltkrieg wurde auch der geschlossene Marsch weitgehend aufgelöst.

Dennoch behielt man die Parade für repräsentative Zwecke bei. Die Kluft zwischen Parade-und Kampfform wurde größer. Im OKH sollen Offiziere noch 1944 die Einführung des Sturmgewehres mit der Begründung abgelehnt haben, man könne damit keinen anständigen Griff klopfen. Das Wort vom „Paradesoldaten“ wurde bei der Fronttruppe üblich, genau so wie die Unterscheidung von „Friedens-“ und „Kriegs-Soldaten". Dahinter wird sichtbar der Unterschied zwischen einer mehr romantischen Auffassung vom Soldaten, die ästhetisch und einer nüch-tern-zweckhaften, die entweder ethisch oder nur rational orientiert sein kann.

Aber nach wie vor übt die Parade starke Anziehungskraft aus. Eine Parade jedoch in der Kampfuniform der zukünftigen Soldaten wäre wohl eher ein unheimlicher Anblick. Schafft man nun aber eine gefällige Paradeuniform, dann wird deutlich, daß damit der Ernst des soldatischen Daseins in nicht unbedenklicher Form verfälscht werden könnte. Eine unter der Gewitterwolke des Atombombenkrieges zur Parade mit Musik aufmarschierende Truppe könnte für manchen nachdenklichen Geist zu einem Bild surrealistischer Gespenstigkeit werden. Die im Kampferlebnis der Front erreichte gemeinsame Auffassung vom soldatischen Auftrag in ihrem sittlichen Verzicht auf Pathos und Anerkennung sollte hinfort das tragende Fundament für das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, der Soldaten untereinander und zur Gemeinschaft sein. Diese Auffassung wird aber immer weniger so etwas wie „Schaugepränge“ wollen. Die äußerlich nüchtern und sachlich gewordene Form rechten soldatischen Lebens wird ihren ästhetischen Ausgleich in anderen Momenten finden als in der Parade. Der kriegsmäßige Vorbeimarsch hingegen, soweit er im Frieden durchführbar ist, entspräche der Wirklichkeit weit mehr. Er gäbe genau so, wie die Parade alten Stils, die Möglichkeit, den politischen Zweck jeder Parade — nämlich Machtdemonstration des Staates — gerecht zu werden.

Ich erwähnte den Wandel im Platz des taktischen Führers, im Charakter der Uniform und in der Auffassung der Parade, um an diesen drei herausgegriffenen Beispielen die Kongruenz aufzuzeigen, wie die Kampf-formen, die Kampfmittel unter dem Einfluß der Technik gleicherweise sich veränderten auf die rationale Notwendigkeit und Zweckhaftigkeit des Krieges hin, während die Parade — das „Zeremoniell“ — nicht Schritt hielt und sich damit endgültig davon trennte. Mit anderen Worten: das technische Kriegsbild bestimmt, im Rahmen der allgemeinen Ordnung, weitgehend Organisation, Kampfmittel und die menschlichen Beziehungen in der Truppe. Der Sachzwang der Technik beginnt alle elementaren, nicht dem rationalen Ziel dienende Momente in Kampfform, Kampf-mittel und menschlichem Verhältnis zu unterdrücken oder umzuwandeln.

Neue taktische und technische Dimensionen

Ich sagte eingangs: der Offizier trat auch äußerlich sichtbar unter seine Soldaten. Sein Platz war bald vorn, bald hinten, bald zwischen seinen Soldaten, bald an den Flanken. Sein „Vorbild“ wurde in der Form des „Beispiels“ wirksam. Das bedeutete: er mußte weit mehr Vertrauen in jeden einzelnen Untergebenen setzen und Aufgaben und Verantwortung zunehmend delegieren. Damit aber nahm auch der Vorgesetzte seinerseits einen neuen Platz ein. Eine veränderte Form der Autorität wandelte seine Stellung im Ganzen.

Gerade diese Erscheinung ist genauer zu untersuchen:

Alle neueren Kriege führen zu einer stärkeren Solidarität zwischen Vorgesetzten und Untergebenen als im Frieden. Das ist eine alte Erfahrung. Kommißköpfe halten sich an der Front nicht. Aber auch der feudale Abstand, der den Offizier aufforderte, seine Untergebenen ständig zu überwachen, fällt. Die schroffen Rangunterschiede weichen einer veränderten menschlichen Zuordnung. Im zweiten Weltkrieg trugen verschiedene neue Umstände zu diesen Veränderungen bei, die unter dem Zwang des rapiden Stilwandels im Kampf revolutionierende Ausmaße angenommen haben und in Zukunft von vornherein bedacht werden müssen. Es handelt sich um die zusätzlichen taktischen und technischen Dimensionen, die der Krieg annahm, und die das bisherige Kriegsbild wandelten:

l. Der Kampf des Gegners richtete sich zunehmend gegen Heimat und Zivilbevölkerung. Die Front wird, mit den ironischen Worten eines englischen Offiziers, in Zukunft zum „relativ sichersten Aufenthaltsort" werden. Der Soldat erlebte im Urlaub und vernahm durch den Rundfunk, daß seine Lieben, Frau, Kind oder Eltern, wehrlos bedroht waren, in oft viel stärkerem Maße als er selbst. Dieses Wissen führte zu einer erhöhten Belastung der Kämpfer. Es bewirkte aber auch im Zusammenleben der Truppe eine erhöhte Solidarität. In der Privatsphäre der Familie fielen alle militärischen Unterschiede weg, abgesehen davon, daß viele der unteren Führungsdienstgrade Reservisten waren und noch mehr im zivilen Raum wurzelten als die Berufssoldaten. Die Angehörigen eines jeden einzelnen Soldaten — gleich ob Mann, Unteroffizier oder Offizier — waren ja gleiche Menschen, die in gleichen Bindungen zu ihren Kämpfern an der Front standen. Sie sahen sich ohne Möglichkeit der Gegenwehr gleicher Weise einem furchtbaren Tod ausgesetzt.

„Ferndimension Man könnte diese Erstreckung des Krieges die “

nennen. Sie veränderte die seelische des Kämpfers, denn sie Position ihm das Gefühl, Schild eines in seinem Schutz nahm unbarmherzig geborgenen Bezirks zu sein.

2. Die zweite Dimension könnte man die „Rückendimension“ nennen.

Jeder, der von der Front in Heimaturlaub fuhr und dabei von Partisanen beschossen wurde, sich also nicht selten den Urlaub noch mit der Waffe in der Hand erkämpfen mußte, weiß, was damit gemeint ist.

Die Welt im Rücken wurde unheimlich. Gerade in der Partisanengefahr wurde sich jeder der Rundumbedrohung bewußt, die eine neue seelische Situation hervorrief und eine mit der Entfernung des Eindringens in den russischen Raum zunehmende Unsicherheit. 3. Die dritte Dimension ist die „Luftdimension". Die wachsende Bedrohung durch feindliche Flugzeuge zwang, neben der Partisanen-gefahr, allerorts zu erhöhter Wachsamkeit und vermehrter Gefechts-bereitschaft. Luftlandetruppen und Fallschirmspringer erhöhten diesen Zwang. Die Unterschiedsgrade in der physischen Sicherheit der Soldaten waren im ersten Weltkrieg abhängig von der Reichweite der Artillerie. Fernab vom Beschüß weittragender Geschütze waren frontnahe Stäbe und Truppen in fast völliger Sicherheit. Die Luftwaffe spielte noch kaum eine Rolle. Der Abstand zwischen Etappe und Front wurde daher schroff empfunden. Seine psychologische Rüdewirkung war ein betontes Abheben der „Frontkameradschaft“ gegenüber allen, die in rückwärtigen Diensten tätig waren. Im zweiten Weltkrieg ebneten Partisanen und Luftwaffe diesen Abstand beträchtlich ein. Man war oft froh, wenn man „vorn" beim „Haufen“ war. Die Zahl der gefallenen deutschen Generale während des zweiten Weltkrieges spricht eine deutliche Sprache, auch wenn diese Verluste nur zum Teil auf feindliche Flugzeuge oder Partisanen zurückzuführen sind. In Zukunft werden diese Unterschiede bis in die Zivilbevölkerung hinein noch nachhaltiger eingeebnet sein. Die Begriffe „Igelstellung" oder „Kessel" wurden nicht nur aus einer taktischen Situation heraus geprägt, sie bezeichnen die Situation des modernen Soldaten überhaupt. Die lineare Bedrohung hat aufgehört. An ihre Stelle tritt die Rundumbedrohung. Die Verteidigung wurde „stützpunktartig" geführt. Diese Stützpunkte waren zur „Rundumverteidigung" einzu-

lichten.

Wachsendes Verlangen nach menschlicher Nähe Die unmittelbare Folge dieser neuen Dimensionen war, je mehr sich die zunehmende Technisierung des Kampfgeschehens trennend zwischen die Soldaten schob, ein wachsendes Verlangen nach menschlicher Nähe und Gemeinschaft. Diese drei Dimensionen, zu der man noch die „Ätherdimension“ des „Wellenkrieges“ mit all den raffinierten Auswirkungen psychologischer Kriegführung hinzurechnen könnte, schuf Voraussetzungen für eine bis dahin nicht gekannte Verbundenheit zwischen allen Soldaten. Es war daher auch kein Wunder, und tat der Disziplin wenig Abbruch, daß das kameradschaftliche „Du“ zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, besonders bei den unteren Dienstgraden, an der Front häufig wurde. Am Ende des Krieges bewies sich diese Verbundenheit dadurch, daß man wohl Kritik und Anklage unter den Soldaten erlebte — mehr um sich Luft zu schaffen, gelegentlich auch aus Opportunismus —, aber daß wie 1919 Offizieren die Schulter-stücke heruntergerissen oder sie verprügelt wurden, erlebte man nicht. Blickt man heute zurück, so läßt sich erkennen, daß die Diffamierung der Soldaten in den meisten Fällen nicht von Frontsoldaten betrieben wurde, vielmehr von denen, die meist nicht oder nur kurz oder nur im Ersatzheer, wo andere Verhältnisse vorlagen, dienten. Es ist ein historischer Irrtum gewisser Kreise des In-und Auslandes, daß die Mehrzahl der deutschen Soldaten nur aus Angst vor ihren Vorgesetzten noch gekämpft hätten. Zur Verblüffung mancher Publizisten bleibt auch die Tatsache, daß viele ehemalige Berufssoldaten nach dem Kriege trotz massiven literarischen und gesetzlichen Widerstandes gute Stellungen im Zivilleben gewonnen haben, ein Beweis dafür, daß das Vertrauen in den Offizier in breiteren Volkskreisen keineswegs so erschüttert war, wie es vielfach hingestellt wurde und noch wird. Eher kann man sagen, daß die soldatische Daseinsform als solche fragwürdig geworden war. Und es sollte eine der Voraussetzungen für jedes zukünftige deutsche Offizierskorps sein, daß seine wachen und führenden Geister wenigstens diese „Feuerprobe der Antithese“ ehrlich durchgestanden haben.

Der große Trugschluß

Nehmen wir zunächst den Gedanken von der „Rundumbedrohung“ wieder auf, so kommen wir in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen: an die Folgerungen, die aus dem Einbruch der modernen Technik in das soldatische Leben entstanden und damit an die angedeutete veränderte Stellung zu ihren Untergebenen.

Die Industrie ist durch ihre zunehmende Perfektion in der technischen Organisation der Arbeit, durch die Anonymität und Unüberschaubarkeit ihrer Bezirke vor neue Fragen über die Bedeutung der menschlichen Beziehungen im Betrieb gestellt worden. Man beginnt zu erkennen, daß im wachsenden Automatismus der Arbeitsvorgänge die menschliche Seite zu kurz kommt. Die Verlorenheit des einzelnen Arbeiters in der „Apparatur“ hat sich als menschlich bedenklich und als sachlich leistungsmindernd erwiesen. Bemühungen der modernen Betriebspädagogik und -Psychologie gehen dahin, die menschlichen Beziehungen der Betriebsangehörigen untereinander zu verbessern. Selbst wenn mancher Unternehmer dabei nur von nüchternem Geschäftsinteresse geleitet wird — entscheidend ist, daß die Aufgabe selbst in den Blick kam.

Eine ähnliche Technisierung begann im soldatischen Bereich, besonders im Heer, tragischerweise geradewährend des zweiten Weltkrieges sich durchzusetzen. Forschung, Industrie und Rüstungsorganisation wurden in zunehmendem Maße in den Dienst der Armee gestellt. Das soldatische Dasein nun aber als ein Teilgebiet der industriellen Arbeitswelt zu betrachten, hieße die Zäsuren verkennen, die beide trennen. Der Soldat ist in der Regel nicht Techniker erster Hand, sondern nur ihr Benutzer. Es bleibt daher zu fragen, ob der öfters erörterte Vorschlag, daß Offiziere bei den technischen Truppenteilen hinfort zugleich Ingenieure sein sollten, nicht eine Gefahr bedeutet? Denn der Nur-Techniker wird immer nach Perfektion streben, — nicht selten ohne Rücksicht auf Nutzen und Wirkung. Mitgerissen von der Faszination technischer Vollendung, der durch den Krieg ungeahnte Energien und Möglichkeiten eröffnet werden, könnte dem Soldaten gerade das geschehen, was ver-mieden werden muß: daß sie Kriegstechniker würden und daß ihr strategisches Denken, das auf den Frieden zielt, unterdrückt würde zu Gunsten technischer Perfektion der Vernichtung.

Hinzu kommt, daß der platte Optimismus, die Leistungen der Ingenieure würden den Krieg gewinnen, nicht auch der Einsatz der Kämpfer, ohne Grundlage ist und bleiben wird. Man hat ihn uns im letzten Kriege lange, besonders durch den Hinweis auf die „Wunderwaffen'', einzuimpfen versucht. Die Fronttatsachen sprachen dagegen. In Zukunft werden sogar an der Front, wo die kämpfenden Parteien ineinandergeschoben sind, manche Kampfmittel nicht verwendet werden können, die im Raum hinter der Front durchaus anzuwenden sind. Die Technisierung der Kampfmittel, die hohe Rasanz, Schußgeschwindigkeit und Reichweite der automatischen Waffen, zwangen überdies die Truppen in einer Ferm auseinander, daß gerade dadurch der Einzelne oder die kleine Gruppe in erhöhtem Maße herausgefordert wurden. Das aufgelockerte Gefecht belastete körperlich und geistig mehr als je zuvor. So, wie die Hoffnung, daß der technische Fortschritt mit seiner Vielzahl an Maschinen uns allen das Leben bequemer machen würde, sich als Trugschluß erwiesen hat, genauso ist die Meinung, daß die technischen Kampf-mittel dem Sodaten die kämpferische Leistung erleichtern oder abnehmen würden, ein Trugschluß, solange nicht der uneingeschränkte Atomkrieg stattfindet. Die Tatsache, daß im Gegenteil jeder einzelne Soldat mehr denn je belastet wurde, verantwortlich und selbsttätig zu handeln, machte notwendig, höchste Auszeichnungen ohne Unterschied der Dienstgrade zu verleihen.

Während noch im ersten Weltkrieg ein Fliegerfeldwebel zum Leutnant befördert werden mußte, ehe er den Pour le merit erhalten konnte, wurden in diesem Kriege zahlreiche Mannschaften mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Wenn auch hinter diesem Wandel eine tiefgreifende soziologische Veränderung der Gesamtsituation steht, so kann doch nicht geleugnet werden, daß technische und taktische Notwendigkeiten Pate standen.

Partnerschaft und Hierarchie der militärischen Rangordnung

Diese neuen Erstreckungen und die damit gegebenen neuen Aufgaben durchbrachen vielfach die friedensmäßig hergestellte Ordnung in den Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Denn wenn wir bisher feststellten, daß infolge der veränderten Kampfsituation eine zunehmende Einebnung der Rangunterschiede, ein Zueinanderwachsen von Vorgesetzten und Untergebenen eintrat, so deuteten sich gleichzeitig an, daß damit neue Verhältnisse im Blick auf Autorität und Disziplin sich anbahnten. In die Vertikale der gewohnten, durch Rang-und Dienststellung bestimmten Hierarchie brachen verschiedene Horizontale ein: 1. Zunächst die neue Ordnung der Tüchtigen.

Immer wieder wurde und wird das Gefecht Anlaß, spontan die vorhandenen friedensmäßigen Ordnungen in der Truppe abzustreifen und neue Verhältnisse zu schaffen. Jeder hat es im Kampf erlebt, wie im entscheidenden Augenblick der Gefreite dem Unteroffizier, der Feldwebel dem Leutnant, der Leutnant dem Hauptmann usw. die Führung der Truppe aus der Hand nehmen konnte. Norman Mailer gibt in seinem höchst zweifelhaften Buch ein gutes Beispiel im Verhalten des Sergeanten Croft bei der Landung in Montone. Noch Ludwig Renn berichtete in seinem bekannten Buch „Der Krieg", wie oft man sich im 1. Weltkrieg geärgert habe, daß eben nicht der Tüchtige und Erfahrene führte, den die Truppe schnell erkannte, sondern der höhere Dienstgrad. Im zweiten Weltkrieg hat man diesem Übel, so gut es ging, durch schnelle und plötzliche Beförderungen abzuhelfen versucht. Nowotny war z. B. mit 23 Jahren Kommodore. Die Auswirkungen dieser schnellen Beförderungen brachten eine Menge Probleme, die hier nicht zu erörtern sind.

2. D i e zweite, kann man sagen, bedenkliche Durchbrechung der Hierarchie geschah durch den Einsatz und die wachsende Wichtigkeit der militärischen Kontrollorgane. Die Unüberschaubarkeit der sich in alle Bezirke des Volkes ausdehnenden „Kriegsmaschine" zwingt zum Aufbau starker Polizeikräfte. Weil man nun aber in der Feldgendarmerie und im Streifendienst von vornherein nicht damit rechnen konnte, die genügende Anzahl von Dienstgraden zur Verfügung zu haben, machte man aus der Not eine Tugend und gab z. B. Bahnstreifen, die von einem Feldwebel geführt wurden, Kontrollund Festnahmerecht über Offiziere bis zum Hauptmann aufwärts. Es bleibt eine bedenkliche Paradoxie unserer modernen Situation, daß für die staatlichen Kontrollund Polizeiorgane innerhalb der Streitkräfte die körperlich und geistig besten Soldaten ausgelesen werden. Man betrachte nur die Hünengestalten der alliierten Militärpolizei im Vergleich mit ihren durchschnittlichen Soldaten. 3 Den dritten Einbruch brachte die Technik unmittelbar.

Ihn befriedigend zu regeln und in die Gesamtordnung der Streitkräfte organisch einzubauen, war auch im zweiten Weltkrieg, sieht man von der Marine ab, noch nicht gelungen: Es handelt sich um das Nebeneinander zwischen dem technischen Fachmann und dem taktischen Führer.

Abhängigkeit von dem Spezialisten Ohne Zweifel wird der technische Fachmann immer unentbehrlicher.

„Der Spezialist ist eine Schlüsselfigur im technischen Krieg" (H. W. Baldwin). Er wird auch immer selbständiger werden, weil ihn meist nur noch der „Fachmann“ kontrollieren kann. Damit wird der taktische Führer angesichts der wachsenden Kompliziertheit der hochwertigen technischen Waffen und Geräte, Fahrzeuge und Einrichtungen vor eine neue Situation gestellt: er wird von Rat und Tat des technischen Fachmannes abhängig. Während noch bis in die Reichswehrzeit hinein alle verantwortlichen Chefs bis zu den Kommandeuren hinauf imstande waren — und man es auch von ihnen verlangte —, daß sie alle Waffen, Geräte und Fahrzeuge ihrer Einheit bis in die Details kannten und zu handhaben verstanden, hat die Spezialisierung bereits im zweiten Weltkrieg in manchen Truppengattungen dazu geführt, daß der Chef manche Waffen oder Geräte nicht mehr persönlich genau kennen und handhaben konnte.

Es wird innerhalb jeder zukünftigen Truppe Waffen und Geräte geben, deren genaue und Bedienung eine technische Vorbildung erfordert. Es ist unmöglich, daß der taktische Führer sie so gut, wie der Soldat oder Spezialist, dem sie anvertraut sind, kennen und beherrschen aber kann. Damit begibt sich der Truppenführer in Abhängigkeit von den Spezialisten, denen er auf ihrem Fachgebiet nur taktische Weisungen oder Befehle geben kann. Die spezielle Handhabung kann er selber nicht mehr kontrollieren. Dazu muß er sich wiederum seiner „Spezialisten“ bedienen, die ihm als Berater zur Seite stehen. In einer amerikanischen Militärzeitung heißt es in einem Artikel „Über den taktischen Einsatz von Atomwaffen: „Atom-Spezialisten zweierlei Art, deren Ausbildung wie auch Aufgaben verschieden sind, werden also benötigt. Die eine Gruppe dieses Personals wird aus wissenschaftlich gebildeten Technikern bestehen, um den Kommandeur bei der Zündereinstellung, der Höhe des Sprengpunktes, der Sprengkraft der Bombe und der Einsatzmethoden im Hinblick auf die Erzielung der höchsten Wirkung am Ziel oder in den Zielen, die der Kommandeur bestimmt, zu beraten. Die andere Gruppe wird aus Generalstabsoffizieren bestehen, die in der Taktik der Atomkriegführung besonders ausgebildet sind". Aber man braucht gar nicht zur Atomwaffe zu greifen. Schon der Infanterieoffizier, der eine Mot. -Truppe übernahm, konnte u. U. von seinem Schirrmeister hinters Licht geführt werden, wenn dieser bestimmte Fahrzeuge für nicht einsatzbereit erklärte.

Auf der höheren Ebene der Taktik brach immer wieder Streit aus, wenn Panzer, Pioniere oder Sturmgeschütze der Infanterie unterstellt oder auf Zusammenarbeit angewiesen wurden. Während man jedoch diese taktische Diskrepanz durch gründliche Schulung aller Offiziere über die wechselseitigen Einsatzbedingungen ihrer Waffen weitgehend beseitigen kann, läßt sich der Nachteil der technischen Spezialisierung wohl durch Standardisierung von Waffen und Gerät mildern, durch intensive technische Instruktion der verantwortlichen taktischen Führer ausgleichen, — beseitigen kann man ihn nicht. Daraus aber folgert, daß die Technisierung der Streitkräfte ein neues und erhöhtes Vertrauensverhältnis zwischen taktischem Führer und Spezialisten und zwischen Vorgesetztem und Untergebenem verlangt und die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen erheblich steigert. Der hierarchische Aufbau wird damit zwar nicht aufgehoben, dem taktischen Führer bleibt die letzte verantwortliche Entscheidung. Die Hierarchie wird aber durch Partnerschaftlic he Zuordnung in ein verändertes Klima überführt. Interessant ist dabei die Übereinstimmung: was die aufgelockerte Form des Kampfes von der Tak t i k her verlangt, fordert gleicherweise die technische Entwicklung von Waffe und Gerät und die politische Haltung des Einzelnen von seiner staatsbürgerlichen Aufgabe her: die Technisierung macht ein vermehrtes mitverantwortliches Denken und Handeln aller Beteiligten notwendig. Denken und Handeln jedes einzelnen Soldaten müssen sich immer eingebettet im Auftrag des Ganzen erkennen. Zu einem wirkungsvollen Zusammenspiel aller Kampfmittel im entscheidenden Augenblick kann es nur kommen, wenn die taktischen Führer alle technischen Mittel souverän zum Zwecke des Gefechtes einzusetzen vermögen, und wenn umgekehrt die technischen Spezialisten ihren Einzelauftrag immer vom taktischen Gesamtauftrag zu verstehen sich bemühen.

Mitverantwortung aller Auf der unteren Ebene hat eine vermehrte wechselseitige Ausbildung dafür die Voraussetzungen zu schaffen — die taktischen Führer müssen eine gediegene Einführung in die technische Seite ihrer Waffe bekommen, die technischen Spezialisten zureichende taktische Kenntnisse erwerben. Auf der oberen Ebene wird es eine entscheidende Aufgabe der Erziehung sein, über Dienstgradversteinerung und Uniform-Vergötzung hinweg partnerschaftliches Verständnis und Mitveranwortung zu wecken. Damit wächst besonders dem Spezialisten erhöhte Verantwortung zu, denn bei ihm ist die Neigung, sich als Funktionär seiner technischen Teilaufgabe zu betrachten, größer als beim taktischen Führer, der Aufgaben, die Überschau verlangen, bewältigen muß.

Die Schwierigkeiten werden aber nicht nur durch dieses Abhängigkeitsverhältnis sondern auch durch eine weitere Alternative. - Ver gegenwärtigt man sich die Bedeutung der Spezialisten, die Notwendigkeit langer Vorschule und den Wert des Materials, das Einzelnen anvertraut werden muß, so erweist es sich als unumgänglich, solchen Soldaten einen entsprechenden Dienstgrad zu geben, obwohl sie als taktische Führer und Erzieher nicht immer und ausreichend ausgebildet werden noch eingesetzt werden können, oder sie, in Konkurrenz mit der Wirtschaft, gut zu bezahlen. Dann aber ist man endgültig dabei angelangt, daß bei einzelnen Zweigen die Berufswahl nach der Höhe der Bezahlung erfolgt. Im letzten Krieg hat man sich mit Dienstgraden geholfen. In der Luftwaffe z. B. konnte der Beobachter als Flugzeugführer Unteroffizier sein, während der Pilot Feldwebel war. Zwar ist man bestrebt gewesen, derartige Divergenzen nicht aufkommen zu lassen, — im Gebiet der Versorgung und Wirtschaft z. B. durch die Einführung der in Offiziers-rang stehenden Sonderführer oder durch Ernennung von Beamten zu Offizieren des Truppensonderdienstes. Das Problem meldete sich aber immer dringlicher an. Es wird sich im Frieden, wo man hochqualifiziertes Fachpersonal nicht ohne entsprechende Einstufung bekommt, noch entschiedener anmelden. Ein Ausgleich war auch im letzten Kriege nicht überall gelungen; — trotz gelegentlicher Bravourleistungen von Spezialisten als taktische Führer. Die Truppe mißtraute den hohen Dienstgraden, die nicht zugleich taktische Führer waren, und ordnete sie gedankenlos unter dem Titel „Kriegsverlängerungsrat" ein. Überlegt man, daß ein moderner schwerer Panzer ungefähr soviel kostet, wie früher die Ausstattung einer ganzen Infanterie-Kompanie, so erkennt man die Bedeutung des Problems. Im „Apparat“ gewinnt die Kenntnis des technischen Sachverständigen gelegentlich eine so umfassende Bedeutung, daß sich der nichttechnische Soldat, auch wenn er ranghöher ist, fügen muß. Mit Befehl allein ist es da nicht mehr getan. Spezialist und Politiker müssen eng zusammenwirken. An dieser Stelle bricht in die Hierarchie der militärischen Rangstufung eine partnerschaftliche Ordnung der verschiedenen Sachverständigen ein. Dazu tritt noch eine Erscheinung, die zunehmende Bedeutung gewann: der Offizier ohne Truppe — Verbindungsoffiziere aller Art, Dolmetscher-Offiziere, Flieger-Leitoffiziere, Steilfcuerleitoffiziere, Flakleitoffiziere, Panzerabwehroffiziere usw. —, von deren Kenntnissen, Takt und Leistung viel abhängt. Die damit auftretenden Schwierigkeiten, die durch ein beträchtliches An-schwellen der Stäbe äußerlich sichtbar sind, können nur von dem Wissen um die partnerschaftliche Aufgabe her ausgeglichen werden. Der taktische Führer kann nicht die Meisterschaft des Technikers gewinnen, ohne in der Regel Einbuße in seinem eigentlichen Feld zu erleiden. Umgekehrt ist es nicht viel anders. Sicherlich wird es in beiden Fällen Angleichungen und Ausnahmen geben. Eine echte Lösung aber, wie sie sich schon in der Luftwaffe anbahnte, in der Marine durchgeführt war, wäre ein partnerschaftliches Verständnis für die Arbeitsteilung und für die Notwendigkeit und Bedeutung der Fachleistung jedes Einzelnen im Ganzen. Damit schiebt sich das menschliche und erzieherische Problem eindeutig in den Vordergrund: diese technische Situation kann nur aus dem Raum der Freiheit und Verantwortung befriedigend geklärt werden. Die Brücke zur staatsbürgerlichen Voraussetzung und Erziehung wird deutlich. Wenn es auch nicht überall geschah: meist bildeten sich an der Front schon solche Zusammenhänge. Man fand sich um der Aufgabe willen und von der Aufgabe her durch ihre sachlichen Verpflichtungen mehr und mehr zusammen. Das wurde vor allem deutlich im Bereich der kleinsten technischen Kampfeinheiten, z. B.der Panzerbesatzung, im Flugzeug, im Schnellboot, im U-Boot, in der Zusammenarbeit zwischen Bodenpersonal und fliegendem Personal, zwischen Panzerwart und Panzerkommandant zwischen Techniker und Generalstabsoffizier.

Unsichtbarkeit des Gegners

Hinzu treten noch psychologische Momente. Zunächst hat die „Leere“ des Schlachtfeldes, genau wie die Unüberschaubarkeit eines technischen Großbetriebes, eine lähmende Wirkung. Beide scheinen den Menschen hilflos zu lassen und an anonyme Mächte auszuliefern, denen er sich nicht gewachsen fühlt. Die Unbarmherzigkeit der modernen technischen Organisationswelt, wenn man sie in ihrer ganzen Tiefe auslotet, wo der Mensch zur Nummer wird und sich zum Rädchen im Betriebe erniedrigt fühlt, streift dabei oft an die Unbarmherzigkeit des Schlachtfeldes, wo die physische Vernichtung im Vordergrund steht. In zunehmendem Maße beginnt allerdings die Technik auch im zivilen Bereich physische Opfer zu verlangen. Die Zahl der Unfalltoten beginnt auf der ganzen Erde Ausmaße anzunehmen, wie sie sonst nur der Krieg brachte. Die USA hatten allein im Jahre 1953 98 000 Unfalltote.

Umwertung der Waffengattungen Der moderne Kampf läßt den Soldaten zunächst viele menschliche Halte vermissen, die er vorher erlebte und die ihn trugen. Während seiner Ausbildung, besonders aber während der Paraden, fühlt er sich eingebettet in einen Block von menschlichen Hilfen: rechts, links, hinter oder vor ihm marschieren oder fahren die Kameraden. Er erblickt eine Fülle von imponierenden Waffen. Immer hat er Tuchfühlung. Immer lebt er in der Atmosphäre der Unterstützung, der gemeinsamen Aktion, in der Geborgenheit der Vielzahl, die er vor Augen hat. Plötzlich aber, angesichts des Gegners, erlebt er sich, nicht nur bei Nacht, oft genug allein. Der auf menschliche Nähe eingestellte Soldat findet sie nicht mehr. Er sieht selbst den Feind nur selten. Die Bolschewisten waren meist nicht zu sehen. Selbst den toten Feind erblickte man selten. Alle Fernkampfwaffen merkt er nur an ihrer Wirkung. Man kann sich anders die demoralisierende Wirkung einiger Scharfschützen nicht erklären als aus der Tatsache ihrer Unsichtbarkeit. (Es ist bezeichnend, daß die Nord-koreaner und Chinesen die amerikanische Artillerie weit mehr fürchten als die Flieger!) Die Erlösung im Nahkampf blieb oft versagt. Zwar kam es immer wieder zu Nahkämpfen. Aber angesichts der abstoßenden, weitreichenden Wirkung der modernen automatischen Waffen wurde und wird der Kampf meist per distanz geführt. Damit vollzog sich auch eine Umwertung der Waffengattungen. Während früher die Truppe, die ganz auf den Nahkampf ausgebildet und aufgebaut war — die Kavallerie —, führend war, die Infanterie, die sowohl den Nahkampf als den Feuer-kampf auf Distanz führen konnte, in der Bewertung folgte, und die technischen Waffen, z. B. Artillerie und Pioniere, sich nur geringer Wertschätzung erfreuten und das Reservoir für die „bürgerlichen“ Offiziere bildeten, begann sich mit der einsetzenden Technisierung die Artillerie nach vorn zu schieben (Ende des 19. Jahrhunderts). Heute hat sich der Wertakzent so verlagert, daß die Kavallerie verschwunden ist, die Infanterie in ihrer Bedeutung unterschätzt wird und aller Nachdruck auf den technischen Waffen liegt, so daß man in Amerika vom „DruckknopfKrieg" spricht, vom „Krieg der Quartiermeister und Ingenieure“ in offensichtlicher Verkennung der faktischen Gegebenheiten.

Seit der Entdeckung des Radargeräts begann auch die Marine gegen den unsichtbaren Gegner zu feuern. Während vorher wenigstens die Mastspitzen des gegnerischen Schiffes zu sehen sein mußten, oder ein Flugzeug als Vermittler den Feuerkampf leitete, ist mit Radar der Gegner auch ohne Sicht zu packen. Ähnliches leistet die Rakete. Das Problem des Einsatzes unbemannter, ferngesteuerter Flugzeuge geht der Lösung entgegen. Der Gegner schießt und tötet, bleibt aber meist unsichtbar. Dieses Phänomen steigert die Angst, aber auch das Anlehnungsbedürfnis. Es lähmt, weckt aber auch, wie die Erfahrung lehrt, Brutalität und Vernichtungswillen. Die Unsichtbarkeit des Gegners war oft Voraussetzung und Anlaß mancher Paniken. Optische Geräte, Funkpeilung, Schallmeß-, Lichtmeßverfahren, Radar und Horchgeräte versuchen als technische Mittel sich an den Gegner heranzutasten und den Ausgleich zu schaffen.

Die kleine Kampfgemeinschaft All diese Momente drängten, neben den schon erwähnten neuen Kampfdimensionen, die Soldaten zusammen. Im Augenblick, wo viele gewohnte Bindungen zerrissen, sucht man instinktiv neue. Der ausgesprochene „Einzelkämpfer“ wurde seltener. Was einzelne vorgeschobene Beobachter, Posten, Melder, Scharfschützen, Fernsprecher oder Baum-schützen geleistet haben, ist höchste Achtung wert, nicht zuletzt, weil sie es allein leisten mußten. Aber man ließ sie diese Aufträge doch immer weniger allein leisten. Es war die übereinstimmende Beobachtung aller Frontsoldaten, daß sich im Kampf wie in der Länge des Krieges zunehmend kleine Gemeinschaften zusammenfanden und zum dichtesten Kampfferment wurden:

Ein Teil dieser kleinsten Kampfgemeinschaften — man spricht heute von „Teams" — wurde durch dietechnischeArbeitsteilung gebildet und wuchs daran menschlich zusammen, (Aufklärungstrupp, Geschützbedienung, Flugzeugbesatzung, Vorpostenboot usw.), ein Teil fand sich einfach menschlich zusammen oder scharte sich um den Tüchtigen. Tatsächlich ist die Infanteriegruppe strukturell unterschieden vom Team. Im Team hat jeder Angehörige bis zum Führer hinauf einen festen funktionalen Stellwert von der Sache vom technischen Gerät her. In der Infanteriegruppe ist der funktionale Stellenwert geringer, leichter austauschbar und ohne einschneidende Bedeutung bei Ausfall eines Funktionsträgers. Der Zusammenhalt ist mehr menschlich als sachlich begründet. Dabei bedurfte es zum menschlichen Zusammenhalt keiner Ideologie, vielmehr der Achtung vor sich selbst, die lieber alles andere verlieren läßt. Wenn nichts mehr halten wollte, dann blieb noch das Schamgefühl davor, daß man Kameraden, mit denen man auf Gedeih und Verderb verbunden war, im Stich ließ. Zwar kann die Erfahrung der Amerikaner in Korea, daß der Einzelkämpfer häufig von Panik und Angst befallen wurde, derart durch die deutsche Erfahrung nicht bestätigt werden. Die deutschen Soldaten waren auch als Einzelkämpfer ziemlich standfest. Erst bei den Rückzügen nach Stalingrad machten wir zunehmend die Erfahrung, daß Einzelversprengte kaum noch Kampfwert hatten, selbst wenn man sie in gute Einheiten steckte. Sie verschwanden meist bei Nacht und suchten ihre Truppe. Geschlossene kleine Trupps dagegen, Geschützbedienungen, Gruppen oder Züge, die von ihrer Einheit getrennt worden waren, kämpften nach ihrer Eingliederung in eine fremde Einheit oft vorzüglich. Dieser Beobachtung entsprechen die in allen Armeen der Erde gemachten Erfahrungen, daß umgekehrt der undisziplinierte Rowdy, ja oft der Gangster und Asoziale, als Einzelkämpfer hervorragendes leistet. Er ist an die Isoliertheit des Lebens gewöhnt und braucht die menschlichen Halte nicht. Ist der Kampf vorbei und steht er wieder in geordneter Gemeinschaft, sackt er jedoch bald ab. Es gab natürlich auch sonst ausgesprochene Einzelkämpfer, die den Kampf gern auf eigene Faust führten. Sie waren aber Ausnahmeerscheinungen. Man muß den Gedanken der Partnerschaft in der Truppe behutsam anpacken und verstehen. Er sollte zur Selbstverständlichkeit werden, so. wie er in einer Erscheinung an der Front bereits ganz deutlich sichtbar wurde. Bei fast allen guten Fronttruppenteilen besprachen sich die taktischen Führer vor einem gewagten Unternehmen, vor einem größeren Angriff, wenn dazu Zeit war, ohne Scheu über das Wie des Unternehmens mit ihren Spezialisten, Unterführern, ja einfachen Soldaten und nahmen gute Vorschläge an. Inoffiziellen „Kriegsrat" gab es bis in die kleinste Einheit. Die Forderung zur freien Initiative im Kampf trug dazu bei, daß bei solchep Gelegenheiten etwas wie eine freie Meinungsund Willensbildung aufkam und das Bewußtsein der Mitverantwortlichkeit in den Vordergrund trat, ohne dem taktischen Führer die Pflicht der verantwortlichen Entscheidung abzunehmen. Ein derartiger „Kriegsrat“ war aber nur möglich und fruchtbar, wo Vorgesetzte und Untergebene wußten, daß sie sich aufeinander verlassen konnten. Jede Form von Partnerschaft in der Truppe setzt eine sichereVertrauensgrundlage, einen hohen militärischen Bi 1dungsstand, Kameradschaft und ein klares Wissen um die gemeinsame Verantwortung voraus.

Gefahr der unpersönlichen Befehlsgebung Auf der anderen Seite ist nicht abzuleugnen, daß die technische Entwicklung, besonders Fernsprecher, Funk, Funksprech und Fernschreiber psychologisch trennten und einer unmenschlichen Unpersönlichkeit der Befehlsgebung Vorschub leisteten und die persönliche Verantwortung einschränkten. Der Nachrichtenapparat legte sich wie ein Spinnetz über den Truppenkörper — helfend da, wo er sinnvoll, tötend, wo er mechanisch oder unmenschlich gebraucht wurde. Gibt man einen unverantwortlichen Befehl durch Funk, braucht man dem anderen, dem Gehorchenden, nicht ins Auge zu sehen. Das erleichtert. Man begann in der höchsten und hohen Führung zunehmend über den Menschen hinweg zu befehlen. Ein riesiger Verwaltungsapparat und wachsende Stäbe förderten diese Entwicklung. Wenn auch dazu andere Gründe beisteuerten, die Technik hatte ihren Anteil daran. Auch die gewandelte Wehrform zeigte Bilder, in denen die Wirklichkeit alle vorauseilende Fantasie überholte. In einer kritischen Situation im Winter 1943/44 in Rußland kam der Befehl durch, daß jeder Soldat, der ohne Auftrag zurückging, ohne gerichtliche Verhandlung, durch den Offizier, der ihn ertappte, sogleich zu erschießen sei. Offiziere, die diesem Befehle gefolgt wären, hätten ihre Pistole glühend schießen müssen, so strömten die versprengten Infanteristen vor den nachdrängenden Bolschewisten in die Stellungen meiner Abteilung. Hier wird die Kehrseite deutlich: im unsinnigen, unsachlichen und schließlich verbrecherischen Befehl.

Durch die technische Organisation verführt, dachte man nur noch quantitativ und betrachtete die Menschen als Zahlen, als Nummern. Die natürliche Hierarchie der militärischen Ränge wurde versteinert von einem eiskalten Rechnen mit Zahlen und Quantitäten. Der homo sapiens wurde abgelöst vom homo faber. Der Krieg wurde nur noch technisch gesehen. Auf der anderen Seite zeigte die Aufstellung z. B.des Volks-sturms, wie romantische Gesichtspunkte anstelle der klaren Erkenntnis des Möglichen und Notwendigen traten. Dieses Schaukeln zwischen Romantik und Hoffnungen auf Supertechnik, zwischen Sentiment und unmenschlich mechanistischem Denken war typisch überall dort, wo man Technik und Maschine nicht menschlich bewältigt hatte. Das Verhältnis des Menschen zur Maschine wurde von vielen bald negiert, bald mit überschwenglichen Erwartungen begrüßt. Die klare Mitte fand man nicht, weil die Menschen, die Technik und Volkssturm schufen und trugen, keine menschliche Mitte mehr hatten. Überbewertung der technischen Organisation Noch in einer anderen Form zeigte sich, wie die gewandelte technische Kämpfform nicht bewältigt war: die Technik erzog unter bestimmten Umständen zur Feigheit, mindestens aber zur Passivität. Ein deutscher Autor schreibt aus dem Blickwinkel des Infanteristen: „Es wunderte und ärgerte uns oft, wie die Nachrichten-und Propagandapolitik sich in den Ruhm der technischen Waffen verrannte, der Panzer und Flieger, obgleich dieser Ruhm nur einzelnen zukam, den sogenannten Assen, während die meisten Flieger, je stärker der Feind wurde in der Luft, sich sorgenvoll zurückhielten. Die Vorsicht der Panzer hatte uns im Gefecht oft geärgert. Freilich hatte diese Propaganda sehr deutliche Gründe. Vor dem Kriege versprach man sich alles von Panzern und Flugzeugen, sie schmeichelten dem Bewußtsein der Massen, dem Aberglauben an Zahl, Fortschritt und Technik. In Wirklichkeit leistete der Mensch das meiste, der Infanterist. Im Gefecht stiegen die „schnellen Truppen" ab und kämpften zu Fuß. Die Technik erzog zur Feigheit und Vorsicht, die mit Rücksicht auf die Unersetzlichkeit dieser Maschinen und ihrer Kenner bemäntelt wurde. War es bei der Infanterie schon so, daß hinter jedem einzelnen Graben-kämpfer neun Nachschübler standen, so war dies Verhältnis bei den technischen Truppen etwa zwanzigmal ungünstiger. Das ist kein Vorwurf, es muß so sein im modernen Krieg; aber dreihundert wirkliche Flieger verzehrten den Ruhm von dreihunderttausend Infanteristen . . . Als Techniker und Sportsleute, die sie waren, neigten sie zur Aufgabe des Kampfes, sobald die technischen und sportlichen Bedingungen nicht mehr gegeben waren. Sie kannten von Haus und Erziehung aus nicht, das was für die Infanteristen aller Ränge und Dienstgrade das A und O war: dreitausend Feinde mit einem Eselskinnbacken zu erschlagen.“

Curt H o h o f f s subjektive Betrachtung vergißt dabei, daß auch die Infanterie zur Feigheit erzogen werden konnte. Die technischen Waffen erweckten falsche Erwartungen. Man verließ sich mehr und mehr auf den Schutz der schweren Waffen, — die Infanterie besonders auf die Artillerie. Die Anwesenheit einiger Sturmgeschütze, selbst wenn sie nicht schossen, genügte oft, eine Truppe im schwersten Feuer vorwärts zu reißen. Umgekehrt konnte es geschehen, daß eine sonst gute Infanterieeinheit angesichts schwachen Feindes, wenn unerwartet die Panzer oder Sturmgeschütze zu anderer Verwendung aus der Front gezogen wurden, schmählich die Flucht ergriff. An den Fronten wurden zunehmend die Kämpfe durch Artillerie — soweit vorhanden — geführt und nicht selten entschieden. 16°/o Feindverluste entstanden z. B. in Korea durch Infanterie-waffen, 84% durch Artillerie, Bomben und Granatwerfer. Innerlich hatten eben viele Offiziere und Mannschaften die Möglichkeiten und Grenzen der Technik im Kampf noch nicht erkannt und bewältigt. Man schwankte zwischen Überschätzung und Verachtung.

Die amerikanische Auffassung, daß es im Kampf nur gelte, das Feuer zu organisieren, zeigt deutlich eine Extremauffassung. Man will Blut schonen. Ihr gegenüber stand die deutsche Auffassung — auch ein Extrem —, daß — wie man sich ausdrückte — „der Geist das Material besiege". Während die eine Auffassung die Gefahr in sich birgt, daß die technische Organisation des Kampfes überbewertet und der Soldat als Kämpfer zur Lauheit angehalten wird, weil er ja nicht mehr kämpft, sobald kein Feuer da ist, grenzte die deutsche Auffassung an einen Verrat am Geiste. Sie war unredliche Propaganda oder wirklichkeitsfremde Romantik. Der Geist einer Truppe kann noch so. gut sein, — waffenlos oder mit minderwertigen Waffen und unzureichender Munition ausgestattet kommt sie gegen einen modern ausgerüsteten Gegner nicht mehr an. Nur wenn annähernde Materialgleichheit besteht kann der Satz gelten, daß der Geist das Material besiegt.

Die schlimmste Folge aber war die Passivität, die gedrückte Stummheit, die sich, besonders nach Stalingrad, auch in der Fronttruppe zeigte. Wer sich auf Wunderwaffen verläßt, und seine Hoffnungen auf technische Wirkungen richtet, mit der andere, die man nicht kennt, helfen sollen, wird auch in seinem Kampfauftrag leicht passiv und abwartend. Schon heute diskutiert man in Deutschland allen Ernstes darüber, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, angesichts der Atomrüstung Soldaten aufzustellen, und dokumentiert damit, daß man der technischen Hypnose bereits zum Opfer gefallen ist. Man berichtet, daß die amerikanische Armee in Korea die „stummste Armee der Welt“ gewesen sei. Die Soldaten hätten nicht mehr gesprochen. Auch die Vorgesetzten vermochten nicht mehr recht, mit ihnen zu reden. Wie schon im zivilen Leben heute Kino, Radio und Fernsehen zur stummen und passiven Aufnahme zwingen, so führt eine Überbewertung technischer Möglichkeiten auch im soldatischen Leben zur passiven Stummheit. Der Mensch wird aber erst Mensch im Gespräch. Das Wort gibt menschliche Nähe. Menschliche Nähe aber führt zu Vertrauen und Leistung. Wen die Technik zur Stummheit verführt, der beweist damit, daß er ihr innerlich nicht mehr gewachsen ist. Wir alle werden doch zunehmend „Zuschauer". Der soldatische Auftrag aber verlangt Aktivität und Wagemut. Jede zukünftige Erziehung und Ausbildung in der Armee muß diese technischen Verführungen erkennen und sich entsprechend einstellen, ihnen zu begegnen.

Freiheit gewinnt der Soldat durch Bindung

An dieser Stelle erhebt sich nun die Frage: wie kann man angesichts der aufgewiesenen Entwicklung, deren ausgedehntes Feld im Zuge dieses Aufsatzes nur angeleuchtet werden konnte, den Impersonalismus, die Spezialisierung und die Passivität als Zeichen der nicht bewältigten technischen Möglichkeiten überwinden? Sicherlich nicht dadurch, daß man in einem mechanischen Sinne nach dem beliebten Satz verfährt; jedermann an seinem Platz. Es sollte wohl überlegt werden, was man dabei unter „Platz“ versteht. Würde man z. B.den Kraftfahrzeug-schlosser, wenn er Soldat wird, nur an das Kraftfahrzeug stellen, den Tischler nur zu den Pionieren, den Radiofachmann nur zur Nachrichten-truppe stecken, so würde ein derartiges Verfahren nicht nur eine menschliehe Verarmung fördern, Überheblichkeit der Spezialisten züchten, den Wunsch des jungen Menschen nach neuen Betätigungsbereichen übersehen, sondern auch dazu führen, das ungelernte Arbeiter und nicht-technische Berufe dorthin abgeschoben würden, wo man sie verwenden kann. Die Infanterie würde erneut — allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz — Sammelbecken für alle die, mit denen man bei der technischen Truppe nichts anfangen kann. Gerade dies zeigt, wie das Menschliche und das Soldatische immer wieder die technischen Forderungen durchkreuzen und wie eine Arbeitsteilung, die in der Industrie zwangsläufig ist, für den soldatischen Bereich nicht unbedingt gelten kann. Auch die Infanterie kann heutzutage in Lagen kommen, wo sie mit eigenen Mitteln technische Aufgaben zu bewältigen hat, während umgekehrt die technischen Truppen jederzeit infanteristisch zu kämpfen gezwungen werden können. Es scheint nun eine durchgängige Erfahrung, daß der technisch vorgebildete junge Mann in der Regel selbstständiger und aufgeschlossener ist als der ungelernte Arbeiter. Es darf aber auch nicht verkannt werden, daß nicht selten der ungelernte Arbeiter in dem ihm zugewiesenen Bereich der Truppe, nachdem er ausgebildet war, Besseres leistete, als der Facharbeiter. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum anzunehmen, daß der im Panzerwerk tätige Facharbeiter notwendig auch der beste Panzersoldat würde. Der soldatische Auftrag verlangt primär andere und tiefere Qualitäten: Verantwortungsfreude, Initiative, schnell-entschlossenes, selbständiges Handeln im Sinne des Ganzen, Pflichtgefühl und absolute Bindung. Jeder echte Soldat muß es im Fleisch und Blut haben, daß die Technik auch in seinem Bereich nur dienende Funktion hat und daß das Bestehen des Kampfes vor allem aus seelischen Quellen möglich wird, nicht allein durch technische Routine. Wird das nicht erkannt und erlebt, dann entsteht der mechanische Jawohl-Sager, der sich der Verantwortung entschlägt, indem er sie in die Apparatur evakuiert, und den Gehorsam um des Gehorsams willen übt. Das Verhältnis vom Vorgesetzten zum Untergebenen wäre dann nur ein organisatorisches, allenfalls juristisches Phänomen, nicht vornehmlich ein menschliches. Damit aber würde die innere Berechtigung des soldatischen Auftrags und sein Sinn aufgegeben. Man vernimmt heute im betrieblichen Leben, in der Wirtschaft und in Diskussionen um die zukünftigen Streitkräfte oft den Satz, daß der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse. Die allzu gelenkige Verwendung dieses Satzes stimmt nachdenklich. Er läuft Gefahr, zur unverbindlichen Phrase zu werden, mir der Machtinteressen, Egoismen und wirtschaftliche Skrupellosigkeit moralisch bemäntelt werden. Seien wir auf der Hut, daß uns im Sog der technischen Perfektion, vor allem aber im soldatischen Raum, der Mensch in seiner verpflichtenden Würde und Freiheit erkannt und vor der Vermassung bewahrt bleibt. „Technik und Massenordnung haben sich gegenseitig hervorgebracht“ (K. Jaspers). Demokratie und totalitäre Diktatur scheinen die beiden Gesellschaftsformen zu sein, in denen sich die arbeitsteiligen Kollektive im 20. Jahrhundert ordnen. Die Streitkräfte sind in diese arbeitsteilige Massenordnung durch die Technik vollständig hineinverflochen. Was sie bewahren kann, zum neutralen „Kriegsinstrument“ zu werden, — bei aller Härte und Kampfbereitschaft — sind die in der Demokratie westlicher Prägung wenigstens freigegebenen, angestrebten und aufbruchmöglichen Werte eines Gott, seinem Gewissen und der Gemeinschaft verantwortlichen Menschentums, das sich im letzten „geführt“ weiß.

Ihrem besonderen und hierarchischen Wesen nach autokratisch, haben die Streitkräfte die freiheitliche Grundlegung ihres Wehrwesens mehr denn je nötig, wenn sie der Technik nicht hörig werden wollen. Disziplin allein kann es nicht mehr sein, was sie auszeichnet — vielmehr die Art, wie sie Disziplin tragen und handhaben. Freiheit gewinnt der Soldat durch Bindung — vielleicht'nicht nur der Soldat. Das Mittelglied zwischen Freiheit und Bindung ist die Verantwortung. Wir sahen, daß die Technik auch den Soldaten die Verantwortung nicht abnimmt, sondern sie im Gegenteil erhöht. Es wird vornehmlich am Staat wie an jedem Einzelnen, an den Kirchen wie an den Schulen liegen, die jungen Staatsbürger lebensvoll zu lehren, wem sie — wenn sie einmal zum Wehrdienst gerufen werden sollten — verantwortlich sind. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Franziska Baumgarten-Tramer: „Charakter und Demokratie"

Robert Boothby: „Die Führung Westeuropas"

H. O. Brandon: „Augenschein in Asien“

Bernhard Brodie: „Atomwaffen:

Strategie oder Taktik?"

Freiherr von der Heydte: „Freiheit und Sicherheit in der modernen Demokratie"

Pascual Jordan: „Kopernikus und die Entwicklung des abendländischen Denkens"

Artur W. Just:

„Situation der Volksrepublik China"

Kurt Georg Kiesinger: „Haben wir noch den Bürger?

Die Problematik des Parteienstaates"

Adelbert Weinstein: „Die Verteidigung ist unteilbar"

Woodrow Wyatt:

„England ist in Europa"

Deutsche Gespräche „Die Vollmacht des Gewissens" über den Widerstand: Die Rechtslage im Terrorstaat Der Landesverrat Das Widerstandsrecht Der Eid (Europäische Publikation Nr. 4— 7)

Eine Zusammenstellung „Im Brennpunkt Zeitgeschichte"

der aktuellen politischen Literatur:

Fussnoten

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