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Die Türkei, eine strategische Bastion | APuZ 13/1954 | bpb.de

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APuZ 13/1954 Stärke der Freien Völker Die Türkei, eine strategische Bastion Spanien in Europa Kurze Geschichte der Weimarer Republik

Die Türkei, eine strategische Bastion

Adelbert Weinstein

besonders für den Mittleren und Fernen Osten zu. Wir haben weitgehend bereitwillig und, wie ich hoffe, auch konstruktiv dazu beigetragen, die Aggression in Indochina aufzuhalten und die Freiheit zu sichern. Der Einsatz, um den es dort geht, ist so groß, daß man sich schuldig machen würde, wenn man die Streitkräfte, die gegen die kommunistische Versklavung kämpfen, nicht unterstützen würde. Allgemein gesprochen jedoch, ist die bisherige Wirtschaftshilfe in Form nichtrückzahlbarer Darlehen im Begriff, als Hauptbestandteil unserer Außenpolitik zu verschwinden. Dies ist in vielerlei Hinsicht wünschenswert, denn dadurch ist es uns möglich, unser eigenes Budget besser zu handhaben und eine internationale Zusammenarbeit des gegenseitigen Respekts zu schaffen.

Das ist es, was unsere Verbündeten wollen. Handel, größere Märkte und ein Strom von Investitionskapital sind weitaus gesünder als Leih-abkommen zwischen den Regierungen. Es ist natürlich wichtig, daß wir auch wirklich den für alle Teile vorteilhafteren Ersatz für die bisherige „Hilfe“ schaffen. Dies zu erreichen ist eines der Hauptziele der Regierung. Eisenhower und ein wesentlicher Bestandteil der bereits beschriebenen Gesamtpolitik.

Unser nationales Ziel Wir erheben natürlich keinen Anspruch darauf, irgendeine Zauber-formel, die gegen alle Arten des Kommunismus erfolgreich ist, gefunden zu haben. Der Despotismus hat seine Stellung ausgebaut wie nie zuvor. Er bleibt aggressiv, ganz besonders in Asien. In Europa sind seine Ziele expansionistisch, wie dies aus Mr. Molotows Plänen, für Deutschland, Österreich und das gesamte Europa auf der Berliner Konferenz hervorging. Aber sowohl Zeit als auch die grundlegenden Umstände selbst werden für uns arbeiten, so wir es nur zulassen.

Die Diktatoren stehen einer unlösbaren Aufgabe gegenüber, wenn sie sich darauf einlassen, die Möglichkeiten, die aus dem Strom der Freiheit kommen, über weite Strecken und auf lange Zeit hinaus abzudrosseln. Wir können sicher sein, daß auch innerhalb des sowjetischen Einflußbereiches in aller Stille Machtkämpfe zwischen den Diktatoren und der großen Masse des Volkes im Gange sind. Der Kampf des einzelnen freilich scheint ein hilfloses Unterfangen; aber ihr vereintes Wollen bildet eine gewaltige Macht. Es sind gewisse Anzeichen dafür vorhanden, daß die sowjetischen Herrscher in einigen nationalen Fragen sich den Wünschen des Volkes werden beugen müssen. Da sind die Versprechen von besserem und mehr Essen, mehr Haushaltwaren, mehr wirtschaftlicher Freiheit. Das bedeutet nicht etwa, die Diktatoren hätten sich bekehren lassen, aber sie beginnen wohl zu ahnen, daß der Macht ihrer fortgesetzten Knebelung des menschlichen Geistes Grenzen gesetzt sind.

Diese Wahrheit sollten wir nicht aus den Augen verlieren, wenn wir unsere eigenen politischen Entscheidungen treffen. Unser nationales Ziel ist nicht allein zu überleben in einer Welt voller unheil-schwangerer Gefahren. Wir wollen dieser Ära der Angst ein Ende setzen. Wir werden dies nicht allein durch die Schaffung einer großen Militärmacht, die unentbehrlich ist für unsere Verteidigung und zur Verhinderung jeden Angriffs, erreichen. Aber das Schwert des Damokles schwebt weiter über unseren Häuptern. Der einzige Weg, diese Gefahr auf friedlichem Wege zu bannen, ist zu zeigen, daß Freiheit nicht nur Schießgewehre produziert, sondern allen seelischen, geistigen und materiellen Reichtum in sich birgt, den die Menschen sich er-wünschen.

Das sind die Grundsätze, die uns leiten mögen. Wir haben die Zuversicht, daß, wenn unsere Nation sich beharrlich nach ihnen richtet, die Freiheit in ihrem jahrhundertealten Kampf mit dem Despotismus wieder die Oberhand gewinnen und damit die Gefahr des Krieges mehr und mehr schwinden wird.

Der türkische Außenminister hat sich dieser Tage erneut gegen den Neutralismus ausgesprochen. Die Nüchternheit der allgemeinen politischen Lage gegenüber, die aus dieser Haltung spricht, ist das Kennzeichen der türkischen Politik überhaupt. Die moderne Türkei weiß, daß der entscheidende Teil der Politik der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Militärpolitik ist. Die übermäßige Rüstung des östlichen russischen Nachbarn im Verein mit dem radikalen, ideologischen Führungsanspruch des Kreml lassen keine illusionäre Politik der Verständigung zu. Sie haben zu dem zwar betrüblichen aber nicht wegzuleugnenden Zustand geführt, daß jeder Staat, zumal dann, wenn er sich unmittelbar im Ausstrahlungsbereich der Sowjetunion, also in einem ihrem Interessengebiet angrenzenden Raum, befindet, nur zwei politische Entscheidungen fällen kann: Entweder er gibt dem Druck der Sowjets nach und leitet damit aus Furcht oder aus Unkenntnis der roten Gefahr oder aus Mangel an Empfinden für echte Freiheit den eigenen Selbstmord ein. Der Beginn einer solchen Politik ist schon die politische Konzeption des Neutralismus. Oder aber ein Volk schließt sich in einer der großen militärischen Allianzen mit anderen Nationen zusammen, die ihre Freiheit erhalten wollen. Die Türken haben sich für die Freiheit entschieden und deshalb konsequent eine Militärpolitik verwirklicht, die ihnen im Vorfeld des atlantisdien Systems nun eine Sonderrolle einräumt.

Es ist nicht ganz einfach für die Türken gewesen, den Westen zu überzeugen, daß sie in die atlantische Abwehrorganisation hineingehörten. Ankara hatte vor allem mit Widerständen aus London zu kämpfen. Die Engländer vertraten die Auffassung, die Türkei sei ihrer geographischen Lage entsprechend nie nur ein atlantischer Sperriegel, sondern vielmehr auch eine Art strategischen Sprungbretts, von dem aus ohne weiteres ein Angriff vorgetragen werden könnte. Das aber widerspräche dem defensiven Charakter des Atlantikpaktes.

Nun war dieser englische Einwand keineswegs aus der Luft gegriffen. Mit der Türkei hat der freie Westen wirklich eine unvergleichlich starke Bastion in seinen Abwehrring einbezogen, die mehr ist als nur eine Festung. Von den türkischen Basen können die Jagdverbände aufsteigen und die strategischen Bombergeschwader, etwa aus Marokko, bis in die Höhe von Warschau, — einen der großen sowjetischen Versorgungsund Transportzentren — begleiten oder abholen. In der Türkei sind jetzt Fluganlagen im Entstehen, von denen aus mit den modernsten, amerikanischen Maschinen die sowjetische Rüstungsindustrie mühelos angeflogen werden kann. Die Türkei verfügt zudem über eine militärische Elite, die nicht nur als Abwehrkraft eingesetzt werden kann. Diese Möglichkeiten scheinen uns jedoch im Gegenteil entscheidende Gründe dafür zu sein, die Türkei nicht etwa als Partner abzulchnen, sondern sie auf alle Fälle in dem Organismus der Abwehr der Freien Welt zu erhalten.

Als sich England gegen die Einbeziehung der Türkei in das atlantische System sträubte, hatte der Westen noch nicht mit seiner Verteidigungsplanung im Mittelmeer Schiffbruch erlitten. Großbritannien, das noch heute englische Politik und Mittelmeerpolitik gleichsetzt, hatte in Erinnerung an seine führende Rolle in diesem Raum und der ihm aus der Geschichte überlassenen Aufgabe, die Verbindungslinien zur See nach dem Fernen Osten zu schützen, versucht, eine Art Nah-Ost-Pakt zu organisieren. Dieser Pakt sollte sich an die atlantische Gemeinschaft räumlich, wie politisch und militärisch anschließen. Diese Pläne sind nicht verwirklicht worden. Der Angelpunkt dieses Systems hätte Kairo werden sollen. Man hatte gehofft, daß von dort die Initiative ausgehen könnte, die arabischen Länder zusammenzufassen, um so einen islamischen, antikommunistischen Block zu bilden. Eine führende Rolle der Türkei hätte eine solche Planung fast ausgeschlossen. Aegypten sieht in Ankara immer noch die legitime Nachfolgerin des türkischen Reiches, dem es einmal als Untertan angehörte.

Die politischen Unstimmigkeiten unter den einzelnen Völkern des Nahen Ostens, die sich nur in ihrer gemeinsamen Ablehnung ihres Feindes Israel einig sind, haben einer Verwirklichung eines größeren arabischen Bündnisses außerdem entgegengestanden. Dazu kam die wirtschaftliche Unentwickelheit mancher Gebiete, ihre nach westlicher Auffassung zurückgebliebene staatliche Ordnung und die Wirklichkeit, daß ihre militärische wie ökonomische Stärke in keinem Verhältnis zu ihrem politischen Anspruch steht. Eine gewisse Ablehnung der alten Kolonialmacht England und ein Mißtrauen gegenüber den sich zwar antikolonialistisch gebärdenden Vereinigten Staaten, von denen man aber doch eine neue Form des Kolonialismus, eine Art Kapitalimperialismus fürchtete, dürften mit verantwortlich sein für den negativen Ausgang des Versuchs. Außerdem sprengten Kräfte, mit denen man nicht gerechnet hatte, den westlichen Start, im Mittelmeer eine durchgehende antibolschewistische Front zu schaffen. Indien begann mit seinen Ideen, eine neutrale Machtgruppe zwischen Ost und West und in den arabischen Ländern zu schaffen, Freunde zu gewinnen.

Sicherlich wären die Vereinigten Staaten dennoch nicht so schnell auf den Ausweg gekommen, anstelle des sich versagenden Kairo, Ankara den Antrag zu machen, Sammlerin einer Abwehrorganisation zu werden. Erst die beispielhafte Einsatzfreudigkeit der türkischen Brigade in Korea zeigte der freien Welt demonstrativ, welche Freunde und Partner man bisher vernachlässigt hatte.

Nur in einem politisch abgedeckten System Damals war die Türkei zwar schon in das atlantische System ausgenommen worden, ihr Aufstieg als strategische Macht begann aber erst mit Korea. Die Türken hatten sich bis zu ihrer Eingliederung in die atlantische Abwehrorganisation ihrerseits mit Leidenschaft dagegen gewehrt, etwa nur Flotten-oder Luftbasis der Vereinigten Staaten zu werden, ohne die politische Sicherung, in eine die westliche Welt umfassende militärische Allianz einbezogen zu sein. Denn während noch die englischen Träume einer Nah-Ost-Allianz geträumt wurden, hatte die amerikanische Luftwaffe schon den Wunsch geäußert, in der Türkei Luftstützpunkte anzulegen. Sie hatte allerdings dabei gefordert, daß dann auch die Meerengen von der amerikanischen Kriegsmarine gesichert würden. Die Marine hatte aber verlangt, daß sie bei solchen Planungen, denen sie sich nicht abgeneigt zeigte, erwarte, daß die Meerengen infanteristisch durch amerikanische Divisionen gesichert würden.

Solchen Forderungen konnte die Türkei niemals nachkommen ohne ein allumfassendes Bündnis, das politisch abgestützt war. Das Risiko, dem sich das Land sonst im Hinblick auf den östlichen Gegner ausgesetzt hätte, mußte ausgeglichen werden durch die Garantie des gesamten Westens, mitzurückzuschlagen. In zähen Verhandlungen hat die Türkei die Interessenten und seine Interessen aufeinander abgestimmt. AIs die Türkei dann Mitglied der atlantischen Organisation geworden war, wurde sie sofort der Eckpfeiler im Südosten.

Schutz der Meerengen Als wichtige Aufgabe sieht Ankara an, den Sowjets den Zugang zum Mittelmeer zu versperren. Der Zugriff zu den Meerengen ist im Zeitalter der raumgreifenden Waffen keineswegs nur noch durch eine direkte Abwehr zur See zu verhindern. Viel wahrscheinlicher müßte der türkische Generalstab eine sowjetische Offensive aus Bulgarien erwarten, die mit Masse längs der griechisch-türkischen Grenze nach Süden ausgelöst werden könnte.

Ein Blick auf die Karte zeigt, daß an dieser Stelle ein roter Angriff auf das Meer durchaus möglich ist, und die Meerengen von hinten, von der Landseite her, aufgerissen werden könnten. Dieser Abschnitt, der sich von Gallipoli über Kesan durch das türkische und griechische Thrazien nach Saloniki erstreckt, ist zu verteidigen. Zerklüftete hohe Gebirgszüge gehen bis dicht an das Meer. Es gibt nur wenige Straßen, das Eisenbahnnetz ist völlig unzureichend. Das erschwert zwar das Vordringen eines Feindes; die Versorgung der eigenen Front nach Norden, vor allem eine Verschiebung von Truppen, Gut und Material parallel zur Front ist jedoch ebenfalls sehr erschwert und im großen Stil nur mit Hilfe der Flotte möglich. Wichtig vom taktischen Gesichtspunkt aus ist außerdem, daß die politische Grenze zwischen Griechenland und der Türkei schon für die militärische Vorbereitungszeit im Frieden fällt und im Ernstfall einfach nicht mehr existieren darf. Das bedeutet schließlich, daß in diesem Raum die benachbarten Truppen der Türken und Griechen unter einem gemeinsamen Befehlshaber operieren müssen, dem nicht nur die Erdverbände, sondern auch die Luftstreitkräfte und ein Teil der Marine zu unterstehen haben.

Verbrüderung Ankara und Athen, in der Atlantikpaktorganisation vereint, haben nun mit viel diplomatischem Geschick und noch mehr politischer Weit-sicht, aber auch mit dem Aufgebot aller Energie dieses Problem gelöst. Beide Staaten haben eingewilligt, daß das Kommando in diesem Abschnitt der atlantischen Front einem gemeinsamen Befehlshaber und zwar — einem amerikanischen General übertragen wurde. Der Amerikaner, der sich dieser schwierigen Aufgabe unterzog, war General Wyman.

Wir haben General Wyman bei den türkischen Manövern in Thrazien im vergangenen Jahr sehen und sprechen können. Die Vereinigten Staaten verfügen über einen Generalstyp, der wie ihr jetziger Präsident, Diplomat und Militär zugleich ist. Wyman, der sich in Korea auszeichnete und dort das achte Korps führte, hat es in meisterhafter Form verstanden, die verschiedenen nationalen Interessen in seinem Befehls-bereich auf das gemeinsame Ziel abzustimmen. Nun haben ihm das Verständnis der beiden Generalstäbe in Ankara und Athen geholfen. Ihnen ist vor allen die mehr politische als militärische Demonstration zu verdanken, bei der sich im Oktober 1953 ein türkisches und ein griechisches Bataillon auf der thrazischen Hochebene verbrüderten. Diese Freundschaftsgeste wurde der Beginn einer echten Allianz, und zugleich das Ende einer langen militärischen Feindschaft zwischen dem griechischen und dem türkischen Volk. Türkische, griechische und amerikanische Offiziere sagten uns — wir waren Zeugen dieses geschichtlichen Augenblicks — damals: „Wenn es doch erst so weit mit den Deutschen und den Franzosen wäre.“

Diese enge Zusammenarbeit der Griechen, Türken und Amerikaner an der Südostflanke des atlantischen Paktes macht einen sowjetischen Vorstoß in diesem Raum nunmehr also zu einem Risiko, zumal das Pakt-system nach Belgrad ausgeweitet wird. In diese Betrachtung gehört aber auch die Untersuchung mit hinein, ob dieser mögliche sowjetische Vorstoß nur das Ziel haben könnte, die Meerengen in die Hand zu bekommen. Die großen amerikanischen und englischen Flottenansammlungen im Mittelmeer könnten hier nämlich eine Entscheidung herbeiführen, die keineswegs im Sinne der sowjetischen Strategie ist. Für den Kreml kann deshalb noch wichtiger als die Öffnung des Mittelmeeres die nachhaltige Ausschaltung der atlantischen Luftstützpunkte in der Türkei durch eine Besetzung der gesamten Türkei sein.

Die Inbesitznahme dieser großen und für Sowjetrußland gefährlichen westlichen Basen für Luftflotten wäre im Ernstfall wirklich ein entscheidender Auftrag für sowjetische Verbände. Viele türkische Flugplätze sind ideale Absprunghäfen für die alliierten Jäger, die die in der Tiefe des feindlichen Luftraumes operierenden Fernkampfverbände begleiten oder abholen. Jede sowjetische Vorwärtsbewegung nach Mitteleuropa kann nämlich aus der Flanke im Südosten in ihrer Tiefe so empfindlich durch Luftangriffe bedroht werden, daß eine gleichzeitige Offensive gegen den türkischen Abschnitt zur Ausschaltung dieser Gefahr unumgänglich wird. Das muß die sowjetische Strategie erheblich beeinflussen und kann zu der Überlegung führen, einen militärischen Angriff auf den Westen überhaupt zu unterlassen.

Die Armee Den größten Trumpf, den die Türkei neben ihrer günstigen geographischen Lage in das große politische Spiel werfen kann, ist die Armee. Seit Atatürk, den Armee und Volk als den größten Türken feiern, der je gelebt hat, die geistige Revolution einleitete, liegt das Land im unaufhaltsamen Wettlauf mit der Technik. Auch die Armee, die, wie in keinem anderen Land ein Spiegelbild ihres Volkes ist, steht in einer permanenten Revolution. Man ist dabei, aus einem Reiter-und Infanterieheer eine moderne technische Armee zu gestalten. Nun gibt es da ein Hindernis, das nur mühselig überwunden werden kann. Fast die Hälfte aller türkischen Soldaten sind Analphabeten. In den letzten zwanzig ‘Jahren sind im Erziehungs-und Bildungswesen der Armee unerhörte Fortsdiritte gemacht worden und die Zahl derer, die lesen und schreiben können, nimmt ständig zu. Aber eine moderne Armee braucht eine breite Schicht nicht nur Intellektueller, sondern Menschen mit ausreichender Volksschulbildung. Die Türken verfügen über sechzehn Infanterie-und drei Kavallerie-Divisionen, sowie über sechs Panzer-brigaden. Dieser Heeresapparat verschlingt schon viel Intelligenz. Dazu kommen die Fliegereinheiten und das Bodenpersonal, die Spezialtruppen und die Flotte. An eine Ausweitung der Technisierung ist deshalb nur in vorsichtiger Form zu denken. Die Armee hilft sich zwar mit Energie selbst. Sie macht Kurse, sie benützt das glänzende Gedächtnis dieser unverbrauchten klugen Bauernsöhne und läßt durch Auswendiglernen Manches ersetzen. Viele Jeep-und Lastwagenfahrer können nicht lesen, was auf den Schildern zur Gebrauchsanweisung ihrer Fahrzeuge steht. Aber sie können die Sätze auswendig. Insgesamt bedeutet das jedoch, daß außer den wirklichen Spezialisten zahlreiche „Pseudo-Spezialisten“ mit technischen Geräten umgehen müssen, was Auswirkungen auf das Material haben muß. Wir sind tagelang mit türkischen Fahrern unterwegs gewesen und glauben, daß unserem neuen Jeep keine lange Lebensdauer beschieden sein wird.

Amerikanische Freundschaft Die türkische Armeeführung wird die Aufgabe der Modernisierung bewältigen, aber sie wird Zeit brauchen. Der benötigte Zeitraum steht in einer direkten Abhängigkeit von der Zahl der Soldaten, die bei einer gesamten Mobilmachung erfaßt werden können. Die Armeeführung muß mit zwei Millionen Mann fertig werden. Dennoch sind heute schon die Türken die stärkste militärische Macht des Nahen Ostens. Die Tatsache der militärischen Beweglichkeit durch sechs Panzerbrigaden, die die politische und militärische Führung in ihre Berechnungen als konstante Größe einbeziehen kann, steigert die Überlegenheit über alle Nachbarn zu einer Art militärischer Monopolstellung.

Diese Sonderstellung der Türken drückt sich auch in ihrem Verhalten den Amerikanern gegenüber aus. Der türkische Oberbefehlshaber der ersten Armee, General Nuretin Baransel, hatte bei den vergangenen Manövern klar zum Ausdruck gebracht, daß er der Gastgeber sei und der amerikanische General Wyman zwar als atlantischer Oberbefehlshaber Südost alle Anerkennung verdiene, er sich jedoch auf türkischem Boden befinde. Die türkische Generalität war keinesfalls den Amerikanern gegenüber überheblich, aber der Grad der Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft zeigte die Herzlichkeit gleichberechtigter Partner.

Spannungen werden nicht ausbleiben Es kann nicht ausbleiben, daß Reibungen entstehen, wenn zwei Völker eine solch enge Allianz eingehen wie Amerika und die Türkei. Der Aufenthalt ausländischer Truppen, auch in einem befreundeten Land, selbst wenn sie vorwiegend Instruktoren sind, ist ständig mit Schwierigkeiten verbunden. Hier spielen auch politische Überlegungen hinein. Die wirtschaftliche Hilfe des . einen und die Notwendigkeit der politischen Selbständigkeit des anderen machen immer wieder eine neue Überprüfung der Situation notwendig und fordern eine Analyse des Zustandes des beiderseitigen Verhaltens.

Auch die Armee wird noch Spannungen auszuhalten haben. Die technische Revolution führt unmerklich, aber ständig zu einer inneren Strukturwandlung. Die Generalität und die Obersten sind fast alle nach deutscher militärischer Methode erzogen worden und ihre taktischen und operativen Überlegungen leugnen die Verwandschaft mit deutschen Führungsgrundsätzen nicht. Mit Stolz und Freude erzählte man uns im thrazischen Hochland Geschichten aus deutschen Garnisonen. Die Generale sprechen fast alle deutsch und kannten ihre entsprechenden Jahrgangskameraden in der deutschen Armee. Auch die Majore, die zur Zeit die Bataillone führen, sind noch auf deutschen Infanterieschulen gewesen. Aber die jüngere militärische Generation beginnt amerikanisch zu denken. Man ist noch stramm und exakt. Die formende Kraft der alten Generation hat noch die stärkste Wirkung. Aber der Umgang mit der Technik, mit den amerikanischen Offizieren, die mit ihren modernen Waffen auch einen Teil des Geistes mitbringen, den die amerikanische Form der Freiheit prägte, lockert manche Form. Die hohe militärische Führungsschicht versucht, diesen Vorgang zu bremsen, weiß aber, daß sie ihn nicht aufhalten wird. In zehn bis zwanzig Jahren wird die türkische Armee so „amerikanisch“ sein, wie sie heute „deutsch“ ist.

Ohne Anlehnung an eine Mitte Die besondere geographische Lage der Türkei hat ihr im Rahmen der atlantischen Verteidigung, die Aufgabe des Eckpfeilers zugeteilt, der die gesamte Südostflanke abdeckt und zusammenhält. Im Zeitalter der raumgreifendenWaffen hängt dieTürkei jedochdennoch strategisch in derLuft, weil sie keine Anlehnung an eine strategische Mitte hat. Die Verlängerung der Flanke nach der Mitte hin über Griechenland und Jugoslawien genügt nicht. Solange Westdeutschland noch ein militärisches Vakuum ist, ist der Atlantikpakt eine Unvollkommenheit und die einzelnen Paktgruppen könnten nacheinander geschlagen werden. Bei diesen Wechselwirkungen besteht natürlich gerade für die Türkei das größte Interesse, daß das Loch in der Mitte gestopft wird, Deutschland also wieder Truppen bekommt.

Freundschaft Erst dann wird auch die Ausweitung des Atlantikpaktsystems auf den Mittleren und Nahen Osten praktische Ergebnisse haben können. Die Türkei hat natürlich auch in der jetzigen Lage bereits Erfolge als Sammlerin der Kräfte aufzuweisen. Die militärische Stärke ihrer modernen Armee hat ihre anziehende Kraft schon unter Beweis gestellt. Die Annäherung der beiden Nachbarn Iran und Irak ist nicht aufzuhalten. Damit ist zwar ein Teil der Brücke nach Pakistan schon vorhanden, aber das gesamte System bleibt fragwürdig, solange es nur eine neue regionale Koalition darstellt, die sich nicht in eine gesamtstrategische Konzeption einpaßt. Also in ein Paktsystem mit Deutschland. Wenn Pakistan, der größte mohammedanische Staat der Welt, sich mit Ankara eng zusammenschließt, wird der Riegel wirksam werden, der sich schon jetzt vor jede sowjetische Aggressionsabsicht legt, deren Ziel ein Vorstoß aus dem Kaukasus heraus mit Richtung auf Suez sein könnte. Aber die Achse Ankara—Pakistan muß ihre Verlängerung in die Mitte Europas finden. Dann dürfte es allerdings schwierig für die roten Truppen werden, an der Türkei vorbei durch ein mit Ankara verbündetes Irak und Iran vorzugehen. Keine Armee der Welt könnte das Risiko eingehen eine solche Operation vorzunehmen. Sie müßte nämlich dann mit offener Flanke durch schwierigstes Gelände an der im anatolischen Hochmassiv sitzenden, hochgerüsteten türkischen Armee vorbeistoßen.

Die Türkei ist also einer der entscheidenden Aktivposten bei der Abwehr einer möglichen Bedrohung aus dem Osten. Niemand zweifelt daran, daß vor allem die türkische Armee ihre besondere Aufgabe erfüllen wird. Diese Armee setzt sich nämlich aus Soldaten eines Volkes zusammen, dessen natürlicher kriegerischer Instinkt es zur militärischen Elite des Westens macht. Tradition und Disziplin dieser Armee, in der Hand einer zielstrebigen antikommunistischen Regierung in Ankara werden somit zur Garantie für den Frieden, weil eine solche Kraft jeden Feind abschreckt; und wir können stolz darauf sein, dieses Volk und seine Armee zum Freund zu haben.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Adelbert Weinstein, geb. 7. 5. 1916/ gest. 12.1.2003, im Kriege aktiver Offizier (Major im Generalstab), Redakteur der Frankfurter Allgemeinen, Verfasser des Buches „Armee ohne Pathos".